Lieferkettengesetz: Wer interessiert sich für Menschenrechte, wenn es ums Geld geht?

Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen nichts freiwillig unternehmen, von dem sie annehmen, dass es ihre Position im Wettbewerb verschlechtert. Diese Erkenntnis ist so banal, dass mich eigentlich nur wundert, dass sich jemand darüber wundert. Was interessieren mich als Unternehmer die Menschenrechte in Bangladesch, wenn der Preisdruck an den deutschen Kassen so hoch ist, dass zwei T-Shirts nicht mehr als fünf Euro kosten dürfen und eine Jeans keine 20 Euro? Die Arbeitskräfte in solchen Billiglohnländern sollen nichts weiter sein als einfach billig. Wobei daran tatsächlich jedoch nichts einfach ist.

Jetzt rückt das Lieferkettengesetz näher, und das ist eine gute Nachricht. Es gut um Nachhaltigkeit und um die Einhaltung von Menschenrechten. Es ist natürlich ein Armutszeugnis, dass man darüber tatsächlich noch streitet. Der sogenannte Westen trägt die Werte, die er einst im Zuge mehrerer blutiger Revolutionen errungen hat – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit –, zwar gern vor sich her, wenn Sonntagsreden gehalten werden, doch tatsächlich betreibt er in Gestalt seiner mächtigen Konzerne weiterhin kaum verhohlen Ausbeutung. Unterstützt von Regierungen in den betreffenden Ländern, die ein Interesse daran zu haben scheinen, Billiglohnländer zu sein. Das geht oft mit Kinderarbeit einher, verhindert also Ausbildung und Entwicklung dieser Länder. Das ist nichts anderes als moderne Sklaverei und mündet oft in schwere Umweltzerstörung.

Es ist in unserem – des Westens – wohlverstandenen Interesse, endlich das globale Gemeinwohl in den Blick zu nehmen. Dazu gehört nicht nur, dass Menschen von ihrer Arbeit sollten leben können, sondern dazu gehört auch, dass Schluss sein muss mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Das bezieht den Klimawandel ein. Das erfordert einen grundsätzlichen Mentalitätswandel: Weg von billig, hin zu langlebig und nachhaltig. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel. Wir können nicht mehr so weiter wirtschaften wie bisher. Auch das ist eine banale Erkenntnis, und es wundert mich, dass sich darüber tatsächlich noch immer jemand wundern kann. Her mit dem Lieferkettengesetz, auch wenn das T-Shirt dann doppelt so viel kosten sollte und die Jeans 50 Euro!

fr-debatteWer wird sich freiwillig Kosten aufbürden?

Menschenrechte spielen bei deutschen Großunternehmen keine Rolle. Umsatz und Profit haben Vorrang. Nach vielen Skandalen rund um Produktionsmethoden (z.B. Kleiderproduktion in Bangladesh) und Rohstoffgewinnung (z.B. Kinderarbeit im Kongo), um nur einige wenige zu nennen, wurde von einer breiten Öffentlichkeit ein Lieferkettengesetz gefordert. Ein solches Gesetz soll die Einhaltung der Menschenrechte und der ökologischen Standards in den Billiglohnländern, vorwiegend im globalen Süden, verbessern. Die Konzerne, die die Produkte herstellen lassen oder Rohstoffe beziehen, sollen in die Verantwortung genommen werden, wenn die entsprechenden Menschenrechts- und Öko-Standards von ihren Lieferanten nicht eingehalten werden. Nach jahrelangem Negieren der Probleme hat sich die CDU/CSU in den Koalitionsverhandlungen 2018 widerstrebend dazu bereit erklärt, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Voraussetzung ist, dass weniger als 50% der betroffenen Großunternehmen bereit sind, auf freiwilliger Basis Verantwortung zu übernehmen. Eine erste Umfrage ergab 2019, dass nur ca. 20% der Unternehmen darauf achten, dass entsprechende Standards bei ihren Lieferanten eingehalten werden. Eine daraufhin initiierte zweite, jetzt veröffentlichte Umfrage ergab ein ähnliches Ergebnis. Wie zu erwarten war und vielfach bewiesen wurde (z.B. Fleischindustrie) sind Unternehmen nicht bereit, freiwillig Verantwortung und ggf. Kosten zu übernehmen. Unabhängig davon war die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, die auf eine 50-prozentige Zustimmung setzte, ohnehin lächerlich. Wer glaubt denn, dass sich in unserem auf Wettbewerb basierenden System die eine Hälfte der Unternehmen freiwillig mehr Verantwortung und höhere Kosten aufbürdet?
Nach dem für die Unternehmen blamablen Umfrageergebnis bringen sich nun die Verbandsfunktionäre in Stellung und wollen, mit Unterstützung von Peter Altmaier, massiv Einfluss nehmen. Ingo Kramer (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA), Dieter Kempf (Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI), Eric Schweitzer (Deutsche Industrie- und Handelskammertag, DIHK) und Peter Wollseifer (Zentralverband des Deutschen Handwerks, ZDH), um einmal die „Herrn“ Verweigerer beim Namen zu nennen, nutzen ihren guten Draht zur CDU, um vor einem solchen Gesetz zu warnen. In ihrer Argumentation kommt die Coronakrise genau recht. In diesen wirtschaftlich schweren Zeiten darf man nicht auch noch auf die Menschenrechte und die Umwelt Rücksicht nehmen. Was zählt, ist Wachstum und natürlich Arbeitsplätze. In diesem Sinne hat unsere Regierung schon angekündigt, sich während der EU- Ratspräsidentschaft für das Mercosur-Handelsabkommen mit Brasiliens rechtsradikalen Präsident Bolsonaro einzusetzen. Herrn Altmaier sind Menschenrechte und Ökologie egal und er wird’s schon im Interesse der Konzerne richten.

Dieter Murmann, Dietzenbach

fr-debatteFür Handelsverträge kriecht die EU zu Kreuze

Eine Aufklärung des Kunden, welche Politik sie mit einigen Käufen unterstützen, sowie Veröffentlichungen darüber, welche unmenschliche Politik die Großkonzerne fördern, ist sicherlich überfällig und nötig. Aber eine solche Marktpolitik ist schon bis in die Zeit des Kolonialismus bekannt und man muß aufpassen, daß man sich nicht wieder einen Mantel der ewigen Selbstbeschuldigung überstülpt. Wenn man eine solche Politik verfolgen möchte, dann aber bitte schon richtig. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir milliardenschwere Handelsverträge mit der Volksrepublik China eingegangen sind, die Türkei wird mit Samthandschuhen angefaßt, obwohl die EU auch eine Wertegemeinschaft ist. Wir bewegen uns mit Rußland und mit Donald Trump, der Vergehen gegen das Völkerrecht mehr als fördert, auf dem absoluten diplomatischen Parkett. Anstatt dort die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts einzufordern, kriecht die EU, Deutschland und die deutsche Industrie vor dem Reich der Mitte und der Türkei, vor Putin und vor Donald Trump regelrecht zu Kreuze, lediglich um Wirtschaftsverträge aufrecht zu erhalten und damit die Menschenrechte und das Völkerrecht in die Subsidiarität zu verbannen. Man darf nicht vergessen, daß Donald Trump neben seiner mehr als merkwürdigen Politik im eigenen Land mit Innen- und Außenwirkung, auch der internationalen Welt vorschreiben möchte, mit wem sie Verträge einzugehen oder aufrecht zu erhalten hat. Das Verhalten der chinesischen Regierung, von Putin Hand in Hand mit Assad, von Trump in seiner Unterstützung von Israel, von Erdogan und von Netanjahu wiegt mindestens genauso schlimm wie die Ausbeutung der Menschen, vor allem Frauen und Kinder in den Billigländern. Die Ausbeutung der armen Bevölkerung in der Dritten Welt sowie die Unterstützung durch die westlichen Konzerne machen es erst möglich, bei uns preiswert einzukaufen und eine solche Politik erlaubt es auch, die pervertierte Wegwerfgesellschaft bei uns leichter zu machen.

Georg Dovermann, Bonn

fr-debatteExistenzsichernde Löhne sind ein Muss

weinbrenner klein
Dietrich Weinbrenner in einer äthiopischen Textilfabrik. Bild: privat

Ich kann nur zustimmen: Freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen, Menschenrechte in ihren Lieferketten zu achten, „Sorgfaltspflicht“ zu üben, haben nicht zum Erfolg geführt. Ein Lieferkettengesetz ist not-wendig!
Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel geben: Im Oktober 2018 konnte ich in einer äthiopischen Textilfabrik während einer ganzen Schicht die Arbeit einer Näherin verfolgen. Dort wurden T-Shirts für ein deutsches Unternehmen produziert, die dann im Doppelpack für 5,99 verkauft wurden. Diese Arbeiterin nähte nur die beiden Ärmelsäume und brauchte dabei für ein T-Shirt ca. 50 Sekunden. Genähte T-Shirts pro Stunde: 72. Genähte T-Shirts pro Schicht: 576. Genähte T-Shirts pro Monat (25 Arbeitstage): 14 400. Bei einem Monatslohn von 55 Euro(schon viel für Äthiopien!) ergibt dies einen Lohnanteil von 0,38 Cent pro T-Shirt!
Solche Hungerlöhne kommen durch Einkaufspraktiken von Unternehmen zustande, die den Fabriken möglichst billige Preise diktieren. Übrigens: Diese Fabrik gehörte einem Eigentümer aus Bangladesh, der nach Äthiopien umgezogen ist, weil dort noch „günstiger“ produziert werden kann.
Die Evangelische Kirche von Westfalen, in der ich arbeite, hat zu diesen Fragen seit langer Zeit eine klare Position. So formulierte die Landessynode 2005: „Die Evangelische Kirche von Westfalen ist der Überzeugung, dass Wirtschaft dem Leben dienen muss, dass Gesundheit und Leben von Arbeiterinnen und Arbeitern absoluten Vorrang haben vor der Gewinnmaximierung von Unternehmen“. Für die Lohnfrage bedeutet dies: die Zahlung von existenzsichernden Löhnen ist ein Muss!

Dietrich Weinbrenner, Witten

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Ein Kommentar zu “Lieferkettengesetz: Wer interessiert sich für Menschenrechte, wenn es ums Geld geht?

  1. Noch ist das Lieferkettengesetz nicht beschlossen. Weiterhin mauert der Abgesandte der Lobbyisten in der Bundesregierung, Altmaier, gegen die Regelung im Koalitionsvertrag.

    Ähnlich verhält es sich mit dem Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt, dessen Ratifizierung ebenfalls im Koalitionsvertrag steht, aber leider immer wieder verhindert wird.

    So habe ich hierzu am 23.01.2020 an den zuständigen Menschenrechtsbeauftragten der SPD-Fraktion folgende Mail geschickt:

    „…schockiert hat mich dann folgender Auszug aus dem Protokoll der Bundestagssitzung vom 14. November 2019:

    „Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. November 2019, Vizepräsidentin Petra Pau

    Tagesordnungspunkt 35 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Harald Ebner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Menschenrechte wirksam durchsetzen – Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt jetzt ratifizieren, Drucksachen 19/4554, 19/10720

    Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/10720, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4554 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer enthält sich? – Die FDP- Fraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.“

    Damit hat doch die gesamte Koalition in Eintracht mit der AfD gegen den eigenen Koalitionsvertrag verstoßen, wobei es mir schwer fällt, noch zu glauben , dass Ihr wirklich darum kämpft. Dies erweckt doch unweigerlich den Eindruck, dass Euch der Koalitionsfriede wichtiger ist als die Durchsetzung von Menschrenrechten. Dass die Union dagegen gestimmt, verwundert ja nicht, da deren Intuitionen das Gegenteil von ihrem Namensteil „christlich“ darstellt….“

    Inzwischen habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass hier noch etwas geschieht.

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