Lebenskunde – was soll das sein?

Klaus Hurrelmann spricht in der FR über „Deutsche Besonderheiten“ beim Religionsunterricht: Deutsche Schüler gehören heute nur noch zu höchstens 70 Prozent den beiden christlichen Konfessionen an, zu denen – weit überwiegend jedenfalls – Religionsunterricht erteilt wird. In den ostdeutschen Bundesländern sind es nur 30 Prozent. Hurrelmann schreibt:

„Ein ständig wachsender Anteil ist ohne formale kirchliche Bindung. Wie die letzte Shell Jugendstudie gezeigt hat, betrachten sich viele dennoch als religiös; eine große Gruppe aber ist aus Überzeugung atheistisch. Wie können wir diesen Kindern und Jugendlichen einen Unterricht anbieten, der ihrem Bedarf an Lebensorientierung und Sinnsuche entspricht? Diese Frage wurde bisher immer verdrängt.“ Meist werde ihnen ein ethisch orientierter Ersatzunterricht angeboten, selten eine anspruchsvolle und qualitätsreiche Lebenskunde. Hurrelmann stellt auch einen Zusammenhang mit den Beschlüssen der Islamkonferenz her, nach denen islamische Religion Schulfach werden soll: So wenig, wie wir in Deutschland einen überkonfessionellen christlichen Religionsunterricht hinkriegen, so wenig ist das beim Islam umzusetzen – wir brauchen da wohl sunnitischen, schiitischen und alevitischen Unterricht. Wäre eine übergreifende „Lebenskunde“ also nicht sinnvoller?

Dazu Clauß Peter Sajak aus Mainz:

„Es ist erfreulich, dass Klaus Hurrelmann ‚eine einfühlsame und authentische Darstellung von Glaubensformen‘ in der Schule fordert. Unverständlich ist jedoch, warum er von der ‚allzu verkrusteten Realität‘ des Religionsunterrichts spricht und auch den Ethikunterricht für wenig überzeugend hält. Eltern und Schüler sehen das anders. Bekanntlich kann man sich vom Religionsunterricht abmelden. Bundesweit tun dies jedoch weniger als 5 Prozent.
Unzutreffend ist auch die Behauptung, es gebe nur evangelischen und katholischen Religionsunterricht. In vielen Bundesländern wird auch orthodoxer und jüdischer Religionsunterricht erteilt. Die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht stößt in der Tat auf Schwierigkeiten. Doch die Erfahrungen mit entsprechenden Schulversuchen in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen sind ermutigend. Dabei erleben wir zurzeit eine Professionalisierung der muslimischen Religionslehrerbildung und Unterrichtskultur. Es zeigt sich, dass der Islam-Unterricht nicht nur die Akzeptanz der muslimischen Schüler und Eltern findet, sondern meist auch das Verhältnis zur Schule insgesamt verbessert.
Schlichtweg falsch ist die bereits in der Überschrift prominent hervorgehobene Behauptung, konfessionell gebundener und bekenntnisorientierter Religionsunterricht an staatlichen Schulen sei „eine deutsche Besonderheit“. Das Gegenteil ist der Fall: Die meisten Länder in Europa kennen eine solche Form des Religionsunterrichts, die laizistisch verfassten Staaten Frankreich und Bulgarien ausgenommen.
Das plurale Angebot von Religions- und Ethikunterricht in der Schule entspricht der religiösen und weltanschaulichen Pluralität unserer Gesellschaft. Mit der Einführung einer „Lebenskunde“ (was soll das sein?) würden wir hingegen einen deutschen Sonderweg beschreiten. Ob dieser allerdings zu einer schulpädagogisch angemessenen Bearbeitung des Themas Religion führen könnte, bleibt wissenschaftlich noch zu klären.“

Friedrich Gehring, Pfarrer und Religionslehrer, aus Backnang:

„Klaus Hurrelmann stellt in einem Rundumschlag fest: ‚Nirgendwo gibt es einen Religionsunterricht, der seinen Namen verdient‘, der ‚eine einfühlsame und authentische Darstellung von Glaubensformen‘ bietet. Doch schon in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts begann die Entwicklung des ‚lebensbegleitenden Religionsunterrichts‘ an beruflichen Schulen. Dieser verwirklicht seit Jahrzehnten, was Hurrelmann als ‚qualitätsreiche Lebenskunde‘ fordert. Er ist weithin nicht nach Konfessionen getrennt. Ab 1970 ist diese weiterentwickelte Konzeption als ‚problemorientierter Religionsunterricht‘ in allgemein bildenden Schulen üblich geworden. Gleichzeitig gewann das Konzept des ‚therapeutischen Religionsunterrichts‘ Einfluss auf neue Generationen von Lehrkräften.
Nicht erst neuerdings sind wir ‚ein weltanschaulich, religiös und konfessionell vielgestaltiges Land‘. Seit Jahrzehnten kommt aus beiden großen Kirchen eine Schülerschaft mit einer großen weltanschaulichen Bandbreite von fundamentalistischen bis befreiungstheologischen Prägungen, denen gegenüber die Unterscheidung von katholisch und evangelisch marginal erscheint. Ein künftiger Islamunterricht wird sich mit derselben Bandbreite auseinandersetzen müssen. Das ist gut so. Ein pluralistischer konfessioneller Religionsunterricht ist ein guter Schutz gegen Fundamentalismus. Nach der weltanschaulichen Gleichschaltung im Nationalsozialismus sorgt der Staat selbst nun gewissermaßen für weltanschauliche Gewaltenteilung. Es ist nur konsequent, dass er diese auch bezahlt.“

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26 Kommentare zu “Lebenskunde – was soll das sein?

  1. Mein lieber Bronski. So langsam muss ich dich mal fragen: Wie hältst du´s mit der Religion? Findest du das Thema hier im Blog nicht ein kleines bisschen überrepräsentiert? Meines Erachtens ist diese Religionsunterricht-versus-Ethik-Debatte aufgeschäumt wie ein Baisser. Und in diesem Gebäck stecken bekanntlich lediglich Eischnee, Zucker und Luft. Hatten wir das nicht alles schon mal beim Thema Islamunterricht durchgekaut? Oder ist Herr Hurrelmann so was wie ein apokalyptischen Reiter?

    Ps:Ich wünsche mir mal was zum Thema „Europa“.

  2. Darf Ich Dir in jeder Hinsicht zur Seite treten Susanne und Hurrelmann noch eins draufgegen?

    Also:

    Mir scheint Hurrelmanns Kritik am Zustand des Religionsunterricht schon deshalb suspekt, da er sie nur formal abstrakt führt. So wurde auch, bei Auswechseln der Schlüsselwörter, gegen den dort angeblich sozialdemokratisch, sozialitisch, links orientierten Unterricht in Sozialkunde (Gesellschaftslehre) argumentiert, um den Pardigmenwechsel hin zum Unfach “PoWi” (Politik und Wirtschaft) zu legitimieren und durchzuführen. In PoWi soll jetzt genau das gemacht werden, was die “Gesellschaftslehre” angeblich verhinderte: Schüler zu entlassen, die “problemlos” im “modernen” gesellschaftlich-wirtschaflichen Prozess mitarbeiten, statt ihn “zu kritisch zu hinterfragen” und damit zu “blockieren”. Hurrelmann scheint mir, wenn überhaupt, nur an einem Religionsunterricht interessiert zu sein, der immanent alle akademischen Fragen der Religion beantwortete, das meinetwegen auch für den Islam in allen Schattierungen, dabei aber gewährleistete, dass das alles im Rahmen der von ihm aber immer schon allzu herrschaftlich verstandenen “freiheitlich-demokratischen Grundordnung” geschähe, bzw. dieser dienstbar bliebe.

    Solche Befürworter von Religionsunterricht braucht das deutsche Schulwesen nicht. Hurrelmann reitet hier auf der Welle von Schulkritik – s. die “eine” Seite der PISA-Diskussion – die Schule nicht zum Ort umfassender Bildung und der Erziehung kritischer Menschen machen will, sondern zur Vorstufe und Vorwegneahme von (beruflicher) Ausbildung zum ideologisch und praktisch einwandfreien Funktionierenden im Sinne von “Wirtschaft und Gesellschaft” und zwar genau in der Reihenfolge.

    Eine Zeitung vom (alten) Schlage der FR sollte sich in der Tat andere Experten dienlich machen

  3. Das Thema ist und war ja auch erst kürzlich in allen möglichen Talkshows und Gesprächsrunden. (Maischberger, Stadtgespräch, HR3 an den Kartagen und und und…) Irgendwie ist da ne für mich nicht feststellbare Lobby hinterher, die suggerieren möchte, das Thema nähme tatsächlich breiteren Raum in der Bevölkerung ein, als es tatsächlich der Fall ist.

    Dabei ist doch völlig klar: Religionsunterricht gehört eben NICHT an die Schulen. Das sollen die in ihren Kirchen , Tempeln und Andachtsstätten abhalten. Da zieht auch nicht das Argument, der Staat solle das bezahlen, weil die Nazis dagegen waren.

    Doch damit dieser Staat das endlich einsieht, müssen wohl auch noch alle anderen Religionen ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung erheben. Hiermit rufe ich alle anerkannten Religionen auf, in Deutschland staatliche Unterstützung , Zeit, Räume und Lehrkräfte für die Unterrichtung ihrer Schäfchen zu fordern. Dann wird man hoffentlich einsehen, dass die Säkularisation auch hier ihre Geltung hat und jedwede kirchlichen Privilegien zu verschwinden haben.

  4. @ Bronski

    Susanne hat wieder einmal recht. Diese Diskussion haben wir bereits ausführlich (mit 55 Beiträgen), auch unter Bezug auf Hurlemanns Artikel, geführt:
    http://www.frblog.de/werte/

    Walthor kann dort meine Antwort auf seine Einwände finden (http://www.frblog.de/werte#comment-20212 und http://www.frblog.de/werte#comment-20288 sowie http://www.frblog.de/werte#comment-20415). Auch Heinrich und Susanne haben sich dazu bereits ausführlich geäußert.

  5. Was aber unbedingt sein muß, ist eine gewisse Ethikvermittlung, eben Werte, die in unserer Gesellschaft wichtig sind. Ich habe das Gefühl, das die Werte sich in unserer Gesellschaft und in der Jugendsubkultur im Speziellen verändert haben, und mitnichten zum Guten.

    Ich möchte da nur ein ganz subtiles Beispiel aus meiner Grundschulzeit anführen: Bei Raufereien galt die Regel : Wer am Boden liegt, ist tabu. Keine „Waffen“, also keine Stöcke etc…, und wenn einem die Nase geblutet hat war Schluß.

    Nun ist mir bewußt, das diese Art von Regeln damals nicht in einem Ethikunterricht vermittelt wurden.
    Aber selbs diese simplen „Grundregeln“ einer gepflegten Rauferei unter Kindern und Jugendlichen haben heute keine Geltung mehr. Immer mehr Kinder zeigen Verletzungsmuster auf , die durch Tritte von hinten oder auf dem Boden liegend verursacht werden.

    Hier sollte dringend angesetzt werden. Womit ich wieder bei der Religion bin´, denn :

    – Du sollst nicht töten
    – Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.
    – Du sollst Vater und Mutter ehren
    – Du sollst deinem Nächsten nicht schlecht nachreden (zugegeben, sehr frei….)

    Sind das keine Werte, die in der Schule vermittelt werden müßten, wenn sie schon nicht von zuhause mitgebracht werden ?

  6. Dabei ist doch völlig klar: Religionsunterricht gehört eben NICHT an die Schulen.

    Bin ich ebenso der Meinung, was ich hier vor nich allzulanger Zeit auch schrieb.

    Statt dessen: Sich kennen zu lernen, bedeutet zu lernen, wie fremd man einander ist.


    /me beobachtet sein Cookie, nicht daß ür drauß wird

  7. Den Streit um die richtige Religion sollten wir den verschiedenen Göttern überlassen.
    Wir müssen auf Erden klar kommen.

  8. @ all

    Dann ist es wohl mal wieder an der Zeit, darauf hinzuweisen, dass dieses Blog mit der Bronski-Seite der FR zusammenhängt. Und die Inhalte der Bronski-Seite werden bestimmt durch die Leserbriefe, die bei mir eintreffen. Viele Leserbriefe zu einem Thema bedeuten einen hohen Diskussionsbedarf, und sie deuten auch darauf hin, dass das Thema, zu dem man sich da äußert, als brennend und interessant wahrgenommen wird. Die Zahl der Einsendungen und ihr Gehalt bestimmt, was auf der Bronski-Seite landet, und damit bestimmt es auch, was hier im Blog als Thema aufgemacht wird.

    Dass ihr, vor allem Susanne und Abraham, als Stammgäste dieses Blogs keine Lust habt, zu diesem Thema zu diskutieren, dass ihr schon meint ausreichend durchgekaut zu haben, kann ich mit Einschränkungen nachvollziehen. Vielleicht gibt es aber auch noch andere Leute, die sich dazu äußern möchten.

    Meine Bitte: Wenn euch dieses Thema nicht interessiert, dann äußert euch doch einfach nicht dazu. Niemand ist zum Kommentieren gezwungen. Lasst den Platz jenen, die sich vielleicht mal äußern möchten, sich aber nicht trauen, weil die Platzhirsche immer gleich da sind.

    Daneben sind hier aber nun auch schon Kommentare geschrieben worden, die man durchaus so verstehen könnte, als ob eine Diskussion sich lohnen könnte. So der Beitrag von

    @ Uwe

    „Hurrelmann scheint mir, wenn überhaupt, nur an einem Religionsunterricht interessiert zu sein, der immanent alle akademischen Fragen der Religion beantwortete …“

  9. @bronski

    Da wärs doch auch der Ehre wert, in der Einleitung ein paar Beiträge der fleißigen Blogger zu zitieren…

    Zum Thema:
    Religionsunterricht erzeugt Überzeugungen und ein Gefühl dazu!

    Ethik und Lebenskunde sollten wissenschaftlich neutral an die Sache herangehen.

    Da wäre doch eine Diskussion nötig, was denn für die Entwicklung des Menschen und seines kritischen Geistes förderlicher ist.

  10. @bronski

    Ja, hab ich auch mit Freude wahrgenommen, Das macht ja auch den halben Spaß aus, wegen der Printessenz.

    ok soweit.

  11. Und damit zurück zur Debatte. Noch mal die Kritik von Uwe an Hurrelmanns Kritk am bekenntnisorientierten Religionsunterricht:

    “Hurrelmann scheint mir, wenn überhaupt, nur an einem Religionsunterricht interessiert zu sein, der immanent alle akademischen Fragen der Religion beantwortete …”

    Und hier noch mal der Link zum Text von Hurrelmann …

    Bleibt jetzt bitte beim Thema. Weitere Postings, die nicht zum Thema sind, werde ich löschen.

  12. Wir sind ein weltanschaulich, religiös und konfessionell vielgestaltiges Land geworden, dem ein nur an zwei christlichen Konfessionen ausgerichteter Schulunterricht nicht mehr gerecht wird.

    Sag ich doch, lernen wie fremd man einander ist.

    Bedeutet, alle zusammen die Bräuche der anderen zu lernen. Einfaches Beispiel: Warum läuft der Muslime am Freitag mit so komischen Kleidern herum? Was erzählt der Muslim, wenn er zum Gebet ruft? Was bedeuten die Symbole der Synagoge? Warum ziehen sie ihre Schuhe aus? Warum läuten mittags um 12 die Glocken?

    Das sind nun einfache Fragen, für die kleinen, man kann im fortgeschritttenen Alter das auch vertiefen, ausbauen…

    So wird das Unbekannte zum vertrauten, was was einem vertraut ist, macht einen nicht Bange.

    Denk ich mal, könnte alles so einfach sein. Gute Nacht zusammen.


    /me beobachtet sein Cookie, nicht daß ür drauß wird

  13. (pssst … rü … du kannst diesen Zusatz mit dem Cookie jetzt langsam lassen. Ich glaube, alle haben gemerkt, dass dir da ein „ür“ hat was unterschieben wollen. Und jetzt Gute Nacht)

  14. @ Bronski

    Bravo, zeig’s ihnen! Was bilden sich die Typen eigentlich ein, sich hier mit Kritik breitzumachen, obwohl sie bloß deine Gäste sind, Stammgäste zwar, aber sie sollten lieber gewärtig sein, dass du sie jeder Zeit wieder ausladen oder hinauskomplimentieren kannst. „Platzhirsch“ ist ja wohl noch ein sehr gelinder Ausdruck für sie.

    Vielleicht lädtst du Hurrelmann ja mal hier ins Blog als Gast ein. Der Platz ist noch frei für Leute wie ihn. Wenn erst einmal die Platzhirsche Susanne oder Abraham ihre Gedanken hier entwickeln, traut er sich bestimmt nicht mehr, sein hohles und reduntantes Allerweltsgewäsch, garniert durch angeberische und apodiktische Aussagen, hier zu posten.

    Sag‘ mal, Bronski, kriegt der da Geld dafür? Darf ich nicht auch mal? Das schreib‘ ich euch in einer viertel Stunde besser aus den einschlägigen Kommentaren zum Islamunterricht ab, die in den letzten drei Wochen erschienen sind. Vielleicht hab‘ ich’s auch schon besser geschrieben. Aber womöglich zu akademisch, nicht so wie schlicht wie Hurrelmann, Allerweltsgewäsch zwar, wie gesagt, das schon X mal ausgesprochen wurde, aber eben noch nicht von Hurrelmann.

    Wusstet ihr z.B. schon, dass beamtete und angestellte Lehrer aus Steuergeldern bezahlt werden? Oder weiß der Bildungsforscher, wo in aller Welt staatlich finanzierter Bekenntnisunterricht stattfindet? Nö, aber „wahrscheinlich sehr selten“.

    Das musste doch mal gesagt werden. Und wer von denjenigen, die zehn Jahre und mehr zur Schule gegangen sind, weiß etwa dies: „Der heutige Religionsunterricht wird in katholischer und evangelischer Form gegeben, meist sehr streng voneinander getrennt organisiert“. Das ist eine Nachricht, die in die Zeitung gehört.

    „Wie können wir diesen Kindern und Jugendlichen einen Unterricht anbieten, der ihrem Bedarf an Lebensorientierung und Sinnsuche entspricht? Diese Frage wurde bisher immer verdrängt“

    Ja Donnerwetter aber auch, tatsächlich! Aber endlich, enlich: Hurrelmann stellt sie. Da ist die Gretchenfrage Susannes aber nun wirklich hohler Baisser dagegen.

    „Nirgendwo gibt es einen Religionsunterricht, der seinen Namen verdient.“
    Aha, nirgends und nirgendwo, Hurrelmann weiß, was landauf landab in den Klassenzimmern nicht passiert. Er hat aber das Universalrezept dafür bereit, was passieren müsste:

    „eine einfühlsame und authentische Darstellung von Glaubensformen, theistischen und atheistischen, die miteinander in Beziehung gesetzt und in ihrem Gehalt und ihrer Ausstrahlung gewürdigt werden. Unterricht, der einer aufgeklärten Kultur angemessen ist, der Verständnis und Toleranz für Glaubensformen aller Art vermittelt.“

    Reine Phraseologie, abgeschrieben vermutlich aus einer abgegriffenen Handreichung für Religionslehrer, einer aufgeklärten Kultur wahrhaft angemessen.

    Ein Kommentar, den man nur ertragen kann mit Verständnis und Toleranz für Schwachsinn aller Art.

  15. huch, was ist dann mit Ihnen los Heinrich? Wenn ich das so letzte Woche geschrieben hätte, das ist nämlich meine Paradedisziplin, hätten mich alle gesteinigt. Was bin ich doch für ein braves, anständiges bloggendes Wesen.

    /me knipst hier das Licht aus und huscht ins Bett

  16. Also ich finde das Lebenskunde vom Titel her genau richtig ist.
    Da kann man alles mit reinpacken.
    Wie man Auto fährt oder eine Angel am besten hält.
    Es ist doch ganz einfach sobald es um andere „Gruppen“ geht kommt immer wieder das unterschwellige Gefühl der Deutschen hoch:
    Wir sind an allem Schuld.
    Ich halte es nicht mehr aus und muss weg!

  17. Guten Morgrn,

    das hat mit dem Schuldgefühl meineserachtens wenig zu tun.

    Als die EU-Verfassung geschrieben wurde, fehlte der Gottesbezug. Wen hat das aufgeregt, was sprach Frau Merkel warum der Gottesbezug in die EU-Verfassung hinein muß?

    Und wieder weg. Schönen Tag zusammen.

  18. „Lebenskunde“ als Schulfach, einen solchen Vorschlag kann nur jemand machen, der sowohl vom Leben abgehoben ist als auch von der Kunde, welche die Domäne der Schule ist.

    In der Schule erwerben die Kinder und Jugendlichen im günstigsten Fall ein Wissen von der Welt, im Sportunterricht entwickeln sie ihre körperlichen Wesenskräfte und bewegen sich im Spiel zum Ausgleich für das viele Sitzen in der Schule, im Werkunterricht lernen sie ihre Hände zu gebrauchen und sich in ihren Produkten zu vergegenständlichen, die Betrachtung und Reflexion von Kunstwerken im Kunst- und Musikunterricht eröffnet ihnen eine spezifische sinnliche Erkenntnis, eine besondere Weltsicht, die über das theoretisch erworbene Wissen hinausgeht. Darüber und darüber hinaus lernen und üben sie, in ihren eigenen Produktionen ihre kreativen Wesenskräfte zu entfalten. In der Theater-AG üben sie zur Freude ihres Fräulein Lehrerin, das große Spiel des Lebens samt den darin vorkommenden und vorstellbaren Rollen in fiktiven Lebens- und Konfliktsituationen im kleinen Spiel gestaltend nachzuahmen und vorzuleben und ersparen sich dadurch nach Abgang der 68er Lehrergeneration den Besuch des Ethik-Unterrichts.

    wie gesagt: im günstigsten Falle, das wäre ein Kennenlernen der Welt und des Lebens, wie es im Buche der großen Pädagogen steht.

    Deren Adepten an den Hochschulen sind mitsamt ihren Theorien, die sie für Wissenschaft ausgeben, zu nichts nutze, als den künftigen Pädagogen in öden Pflichtvorlesungen die Freude am Leben und ihrem künftigen Beruf zu verderben und die Öffentlichkeit mit sinnleeren aufgeblähten Zeitungskommentaren zu belästigen.

    P.S. Über das alles hinaus gibt es auch noch ein Leben neben der und außerhalb von der Schule. Dort findet man ggf. mit dem in der Schule geschärften Orientierungssinn die eine oder andere Fahrschule und den einen oder anderen Angelverein.

  19. Hurrelmann liegt natürlich schief mit seiner Äußerung: „eine große Gruppe aber ist aus Überzeugung atheistisch“… er wollte damit wohl etwa sagen, „eine große Gruppe ist atheistisch“, aber ob hinter dem Nichtglauben an Gott dieser Gruppe „Überzeugungen“ stehen, das ist doch sehr die Frage… ich kenne die Mongolei nicht, war noch nie dort… aber eine Überzeugung steht da nicht dahinter, daß ich die Mongolei nicht kenne oder noch nicht dort war, oder erstmal auch nicht hinfahre…

    Und hier ist auch gleich dann der Bereich, den die „Lebenskunde“ abdecken müsste. (Den Namen dafür finde ich auch nicht gut, aber es ist schwierig, einen anderen zu finden.)

    In dem Thread zu Wilders Film beschrieb ich die Bereiche, zu denen Religionen vorgeben, dem Menschen etwas sagen zu können. Aus diesen Bereichen leitet sich dann auch ab, was Bestandteil der „Lebenskunde“ sein könnte:

    a) Erkenntnis über die Welt
    b) Erkenntnis des Menschen über sich
    c) Soziale Gemeinwesen

    Zu a) Philosophie, Wissenschaftstheorie, neuste wissenschaftlichen Weltmodelle, religiöse Weltmodelle im Kontrast (die religiösen Weltmodelle haben da den Vorsprung, daß sie über Bereiche der Welt, über die die Wissenschaften keine Aussagen machen können, d.h. z.B. das „Jenseits“, etwas zu sagen haben)

    D.h. also, welche Methoden des Erkenntnisgewinns über die Welt werden jeweils angewendet, und zu welchen Ergebnissen führten sie…

    Zu b) die unterschiedlichen Modelle des Menschen von sich selbst… also wieder Philosophie, dann Psychologie, Psychotherapie, auch gern das neuste aus Neurobiologie, und daneben wieder die Religionen und ihre Vorstellungen vom Menschen. Psychologische und biologische Hintergründe religiöser Gebote usw.

    Zu c) Wieder Philosophie, Ethik, aber auch Staatskunde, Formen des Regelns menschlichen Zusammenlebens, also z.B. auch Demokratie, aber im Grunde passt hier sehr viel rein, bis zu Marx, sowie Vorstellungen der religiösen Systeme diesbezüglich (Zehn Gebote usw.).

    Wenn man mir sagt: Aber das ist doch schon heute Schulstoff, na dann gut, dann ist ja alles in Ordnung. Zu meiner Schulzeit war es das nicht, es gab zwar ein merkwürdiges Fach „Gemeinschaftskunde“ (von uns sog. Laberfach), aber das fiel entweder immer aus, oder quälte sich monothematisch jahrelang durch ein Thema wie „Kommunismus“ (damals sehr modern!).

    Das Fach sollte den Heranwachsenden helfen, ein „Weltbild“ zu entwickeln. Ein bischen Mathe, ein bischen Physik, ein bischen Chemie, ein bischen Deutsch, ein bischen Englisch, ein bischen Geschichte, ein bischen Kunst oder Werken, ein bischen Musik, und das wars… das reicht in meinen Augen nicht zur Bildung eines umfassenden Weltbildes, eines Weltbildes, daß dann auch gefeit ist gegen alle möglichen Irrationalitäten, die auf den Menschen heute einprasseln (z.B. ausbeuterische Sekten).

    Man könnte also das Fach „Weltbildung“ nennen. Ist aber auch nicht zu gebrauchen, da die meisten Menschen von „Welt“ die Vorstellung „Erde, und alles was auf ihr kreucht und fleucht“ haben… und das wäre, vor allem im Hinblick auf die Themen zu a) wirklich bei weitem zu eng…

  20. Wobei… atheistisch ja gottlos ist, nebenan daraus dann jener weniger wert wird.

    Früher gab es Gesellschaftskunde .-)

  21. @heinrich

    Würde ja nicht schaden, wenn die Schule hinaus in’s Leben ginge.

    Wäre auch hilfreich, wenn es ein „Fach“ gäbe, das die vereinsamten Fachdisziplinen miteinander in Beziehung setzte.

    Worte werden in der Schule genug gewechselt, Taten werden außerhalb ungeregelt vollbracht.

    Meine Erfahrung ist, daß Schüler das Wissen in Minuten erfassen, Sinn und Zweck jedoch viele innere und äußere Kämpfe erfordern.
    Diese Kämpfe finden jedoch nur mehr nebenbei statt, mit engagierten Lehrern oder zuhause, mit den Eltern.

  22. @ 22. BvG

    „Würde ja nicht schaden, wenn die Schule hinaus in’s Leben ginge.“

    Zu dem Satz kann ich Dir aus der Praxis des Pädagogen nur sagen:

    Solange Schule nicht wieder angebunden wird an einen allgemeinen Bildungsbegriff, der die Erziehung und Ausbildung des Schülers in allen wesentlichen Feldern, von Gesellschaft, Politik, Sprachen, Kunst und Wirtschaft incl. der zum herrschenden Modell bestehenden Alternativen, mindestens Vorschlägen dazu zum Ziel hat, sondern nur eine die berufliche Bildung in die Schule vorverlegende, die Wirtschaft in deren Sinne entlastende Funktion hat, werden Sie mit Ihrem Vorschlag mindestens ins Leere rennen, bzw. höchstens als Alibistichwortgeber für Sonntagsreden in Presse, Politik und Wirtschaft sich wiederfinden.

    Turboabitur und abgespeckte Gymnasiallehrpläne, Einrichtung von Leuchtturmgymnasien (Hansenberg) und Abkoppelung der restlichen beiden, zementierten schulischen Bildungsgänge davon, sprechen die klare Sprache der Auslese und Elitenbildung (Stichwort Klassengesellschaft), nicht den der Stiftung von Solidarität und Errichtung eines Gemeinwesens auf allseitig begriffener und begreifbarer, damit kollektiv veränderbarer – natürlich immer – demokratischer Grundlage.

    Nicht einmal Ernst Blochs (schon damals nicht neue) Forderung nach einem studium generale auf Hochschulebene wurde in Deutschland (West) je verwirklicht für Deutschland (Ost), als es annektiert wurde, abgeschafft. Statt dessen haben wir jetzt eine Bachelor-Abschluss-Struktur, die festschreibt, dass nur noch ein Drittel derer die ein Studium überhaupt aufnehmen, das ist ein Fünftel eines Jahrgangs, einen Masters-Abschluss machen werden und dann als Elite den weisungsgebundnen Bachelors die Arbeit vorschreibt, was auch gar nicht anders geht in diesem Bereich, da der Bachelor im Schnitt zu eigenständigem, wissenschaftlichen Methoden verbundenem Arbeiten gar nicht mehr ausgebildet sein wird, nicht mehr gebraucht wird. – Den Wahlspruch „Teile und Herrsche“ kann man auch so verwirklichen.

    Das heißt Schule und Hochschule sind inzischen längst übernommen, von dem Leben, in das so hinauszugehen im Sinne emanzipatorischer Bildung fast gar nicht mehr möglich erscheint, jedenfalls nicht unter den herrschenden Bedingungen, solange diese nicht empfindlich berührt würden.

  23. @ Uwe Theel

    Wenn dem so ist wie Du schreibst, ist Religions- oder Ethikunterricht ein Luxusgut, das nicht mehr notwendig scheint. Folgerichtig haben wir auch die Schlüsselbegriffe der Wirtschaft zu übernehmen: Schule und Hochschule sind demnach reine Dienstleistungsbetriebe, die in In- und Output-Kategorien gemessen werden. Der Begriff „Bildung“ hat dann seine Daseinsberechtigung verloren. Humboldt hat ausgedient. Dann ist die Aussage des Hessischen Unternehmerverbands zur zukünftigen Schule, diese solle „eine Dienstleistungsorganisation im Bereich Bildung und keine soziale Einrichtung“ sein, schon in der Begriffswahl verschleiernd, weil es nicht mehr um Bildung geht, sondern um Zurichtung für die wirtschaftlichen Interessen eines Staates, der sich dem kapitalistischen System zum Büttel macht. Der Religions- und Ethikunterricht, egal wie er nun heißen mag, hat letztendlich nur noch die Funktion, Minimalstandards des Zusammenlebens zu reflektieren, damit der kapitalistische Gesamtbetrieb möglichst störungsfrei am Laufen gehalten werden kann.

  24. @ bakunix

    Lieber bakunix,

    ich bin mir nicht sicher, ob Du mich nicht mißverstanden hast:

    Ich hatte gerade versucht auszudrücken, dass die Tatsache, dass „Der Begriff “Bildung” … seine Daseinsberechtigung verloren hat“, „Humboldt ausgedient hat“, genauer vom System ausgemustert worden ist, ein Grund und gleichzeitig Symptom für die Misere unser Zeit ist.

    Ich glaube wir sind uns da vollkommen einig.

  25. Sollte es tatsächlich so sein, daß Bildungspolitiker (bedingt durch irgendwelche mehr oder minder geheimen Mechanismen) tatsächlich Erfüllungsgehilfen wirtschaftlicher Interessenten sind, so wäre dies natürlich ein großes Problem… fast so groß wie das „Ausmustern“ von Bildung durch folgende andere „Systeme“:

    – Privat- und weitgehend auch ÖRE TV
    – Computerunterhaltung (Internet, Spiele)
    – Bei Jugendlichen verbreitet wachsende Unfähigkeit, Situationen zu ertragen, die nicht durchweg und völlig ohne Unlustgefühle erlebt werden können… z.B. „anstrengende“ Lernsituationen…

    Wenn ich sage, daß obige Medien „Bildung ausmustern“, dann meine ich damit NICHT, daß es zuwenig bildende Inhalte in diesen Medien gibt. Ich meine damit, daß die größtenteils verbildenden Inhalte konsumiert werden, und zwar in einem Umfang (Zeit!), der wirklich alle Vorstellungen sprengt!

    Das sehe ich viel mehr als ein „Symptom für die Misere unserer Zeit“, als es alles andere auf absehbare Zeit sein kann.

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