Im Alltag nicht anwendbar

Der Pisa-Schock saß tief. Deutsche Bildungspolitiker suchten nach Auswegen und fanden sie im kompetenzorientierten Lernen, in der Ausbildung also von Problemlösungskompetenz, die mehr beinhaltet, als eine Handlung nach einem einmal gelernten Muster ausführen zu können. Diese neue Fokussierung auf Soft Skills macht Schüler erfolgreich – und dumm, sagt der Didaktiker Hans Peter Klein. Er hat die „Gesellschaft für Bildung und Wissen“ gegründet und warnt vor Aktionismus im Bildungssystem. Wissen, sagt er, sei durch die neue Kompetenzorientierung zu 90 Prozent abgeschafft worden; die Bildungsstandards berücksichtigten nicht mehr, dass ein Schüler etwas wissen muss. Dazu meint Matthias von Saldern aus Lüneburg:

„Herr Professor Klein hat das mit den Kompetenzen noch nicht verstanden. 2+2=4 ist ein gutes Beispiel. Schüler können sehr unterschiedlich damit umgehen. Sie können es z.B auswendig lernen. Dies ist eine geringe Kompetenz. Oder sie können das Ergebnis mathematisch herleiten auf der Basis der bisherigen mathematischen Kenntnisse. Dies ist schon schwieriger. Hohe Kompetenz ist aber, wenn ein Schüler (ich rede hier von der ersten Grundschulklasse) bei einem gestellten Problem erkennt, dass er die Formel 2+2=4 zur Problemlösung braucht. Und darin liegen genau die Schwächen des deutschen Bildungssystems. Unsere Schüler wissen eine Menge, können es aber häufig im Alltag nicht anwenden. Das nennt man träges Wissen. Kompetenz ist nämlich Wissen, aber ein Wissen, das nach Anwendung zur Lösung von Problemen  ruft. Und deshalb ist die Umstellung des Schulsystems auf Kompetenzorientierung richtig.“

Bill George aus Minden:

„Professor Klein scheint keine Angst vor der Pauschalierung zu haben. Während es durchaus Ansätze gibt, die in die von ihm kritisierte Richtung tendieren, ist dies bei weitem nicht die Regel. Ein konkretes Beispiel: Schüler in NRW mussten im Mai in der Abschlussprüfung Klasse 10 (Englisch) eine Rede von Kevin Rudd analysieren. U.a. wurde eine Auflistung der rhetorischen Mittel verlangt. Da mussten die Prüflinge nicht nur diese Mittel erkennen, sondern auch zitieren und möglichst benennen. Dass die meisten Gymnasiasten in der 10. Klasse die Mindestanforderungen erreichten, dürfte nicht überraschen – sie wären sonst auch nicht so weit gekommen. Aber die Schüler, die „sehr gute“ Noten einstreichen konnten, waren auch „sehr gut“.  – Es gibt sicher Fälle, wo geschickte Prüflinge aus dem Prüfungsmaterial ihre Antworten teils gestalten können: Dies ist aber erstens nicht die Regel und zweitens nur unter Voraussetzung guter Kenntnisse der Materie, gekoppelt mit hoher Intelligenz, zu schaffen.“

Katja Wolf aus Frankfurt dagegen:

„Herr Klein spricht mir aus der Seele, wenn er fordert, dass in erster Linie Wissen vermittelt werden muss. Das Beispiel mit der Abiturarbeit, die überwiegend von Neuntklässlern bestanden worden wäre, ist in der Tat erschreckend. Die Interviewerin schien dieses Beispiel der fehlenden Lerninhalte weniger erschreckt zu haben, wenn sie fragt:  Aber ist es nicht auch wichtig, präsentieren und in Gruppen arbeiten zu können?
Ich stelle die Frage zu den Ergebnissen der Pisa-Studien mal so: Hat die Gesellschaft mehr von Haupt- und Realschülern, die ordentlich rechnen und schreiben können und anschließend eine handwerkliche Lehre absolvieren oder mehr von Gymnasiasten (Abgänger mit allgemeiner Hochschulreife), die nicht einmal von einfachen Gleichungen die Ableitung bilden können?“

Beate Altenhoff-Sluiter aus Oberkirch:

„Ich habe diesen hervorragenden Artikel für unser Lehrerzimmer kopiert und zur Diskussion gestellt. Das Resultat war ungeteilte Zustimmung. Seit Jahren erleben wir die inhaltliche Reduzierung von Lerninhalten zugunsten dieser beschriebenen soft skills. Es geht immer weniger um Sachkenntnisse, sondern immer mehr um „Präsentation und Moderation“. Soll hiermit eine Anpassung der Schüler an das zweifelhafte Niveau unserer Politiker erfolgen? Auch in der politischen Diskussion diverser Mainstream-Politiker geht es nicht um politische Inhalte, sondern Fehler sind immer nur beim „Rüberbringen“ gemacht worden.
Menschen mit wenig Sachwissen sind natürlich auch leichter zu manipulieren als Menschen mit fundierten Sachkenntnissen. Die an der Basis arbeitenden Lehrer wurden noch nie um ihren Beitrag zu Bildungsplanänderungen befragt, obwohl wir da durchaus Bedarf sehen.
Wir hatten ein hervorragendes Ausbildungssystem mit der Devise „Kein Abschluss ohne Anschluss“ und ein duales Ausbildungssystem, um das uns viele Länder beneideten, uns u.a. zum Exportweltmeister machten und unseren Produktionszuwachs stetig überproportional steigerte. Stattdessen wird heute eine Inflation an Abschlüssen produziert, die man nur erreichen kann, wenn das Anspruchsniveau reduziert wird. Wir werden es immer mit unterschiedlichen Begabungen zu tun haben, aber um schwache Schüler zu fördern und das Niveau unserer Bildung zu erhöhen,brauchen wir sinnvolle Fördermaßnahmen in Form von kleineren Klassen und spezieller, individueller Förderung. Aber das kostet Geld und das wurde ja jetzt leider schon an die Banker verteilt. Eine Anstrengung, die Fehlleitung der Steuergelder in Zukunft effektiv zu verhindern, ist nicht erkennbar. Billiger ist es da, das Anspruchsniveau zu reduzieren und dann mit höheren Abschlusszahlen der weiterführenden Schulen zu glänzen. Schade!!“

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10 Kommentare zu “Im Alltag nicht anwendbar

  1. Glückwunsch! Eine Abituraufgabe auf dem Niveau der 9. Klasse ist ein echter Fortschritt für NRW!
    maat

  2. Hallo,
    um sich bei diesem Wetter an den PC zu setzen für eine Leserbrief benötigt schon etwas Empörung.

    Herr Klein der Didaktiker, und andere Bildungsexperten haben was aus der Traufe geholt und wollen eine „Gesellschaft für Bildung und Wissen taufen“ … Das kann Herr Klein auch gerne machen, er darf aber nicht seine „vereinfachte Sicht“ als Lösung eines gesellschaftlichen Problems politisch anbiedern.
    Problem Nummer 1: Menschen und hier besonders Kinder, sind keine einfachen Maschinen, in die man „Input“ reingibt und die „ouput“ liefern.
    Fehleinschätzung Nr.2: Aus der Perspektive der gehobenen Mittelschicht gesehen, ist das alles vielleicht nur ein „didaktisches Problem“, darunter allerdings ein benachteiligungs-, gerechtigkeits- und auch ein pädagogisches Problem.
    Unwissenschaftliches Vorgehen Nr. 3: Ignoranz von Studien und eine Sicht eher aus dem kürzeren Umfeld mit einem potenten Willen zur Erklärzung auf das Schulsystem im Ganzen und gerne mal induktiv.
    Da wird auch schon etwas klarer, an was das Bildungsystem so wirklich mitleidet: Didaktiker. Schwarz und weiß, oben und unten, vorne und hinten und von zwei oder drei auf alle schließen.
    Leider keine Antwort auf: Schulversager, Kinderarmut, Dauerschwänzer, Benachteiligung, Herkunftsbenachteiligung, Migrationskontext, Amokläufe an Schulen, unsinnige Amtsstrukturen, Fixierung auf Lesekompetenzen, Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus dem Bildungssystem bei Nichtbefolgen von Anpassungsvorstellungen. Unfähigkleit des dt. Bildungssystems etwas von anderen zu lernen und sich auch mal selbstkritisch zu sehen nicht hinter angeblichen föderalen Zwängen zu verstecken und Mittelschichtfantasien zu einem Lebenswert zu erheben.
    Und dann nochmal der selbe Text wie: zu viele Abiturienten … und zu leicht und … zu verwässert und früher war`s besser und und und …
    Herr Klein und seine Kumpels wollen eben keine “ Konkurrenz aus der Unterschicht“ für ihre Kinder! Vatern war Akademiker und du wirst eben auch einer! Reicht doch wenn wir unter 20 Prozent Akademiker haben!
    In „nordischen Ländern“ wird offiziell an die weiterführenden Schulen gefragt, warum habt ihr wieder nur 35 Prozent Studienreife in einem Jahrgang bekommen? Ziel ist es, möglichst viele gut zu bilden! Eben eine andere Denke!

    Gerd Gerbig, (staatl. anerk.Dipl. Soz.Päd.FH) Wird auch nicht reich, aber trotzdem studiert!

  3. Leserbriefschreiber Matthias von Saldern hat das mit den Kompetenzen noch nicht verstanden. Das Wissen, das mit der Kompetenz zusammenhängt, hat nichts mit dem fachlichen Wissen zu tun. Ein Beispiel: Kürzlich sah ich einen TV-Mitschnitt eines Diktats in einer Schule, der mich sehr erschreckte. Bei Diktaten scheint nämlich die Benutzung von Wörterbüchern neuerdings zugelassen zu sein. Mit anderen Worten, Wissen die Schreibweise von Wörtern ist nicht mehr in dem Umfang notwendig wie früher, es reicht die „Kompetenz“, mit einem Wörterbuch umgehen zu können. Das Wissen, daß mit dieser „Kompetenz“ zusammenhängt, hat nichts mit dem Wissen über die rechte Schreibung von Wörtern zu tun. Auch hier führte die Kompetenzorientierung zu einem Abbau des eigentlich notwendigen Wissens, was man auch durchaus „Verdummung“ nennen kann. Jetzt muß man das Diktattempo nur noch peu a peu so verlangsamen, daß die Schüler, mit stetig schlechteren Rechtschreibkenntnissen von Generation zu Generation, beim Nachschlagen auch nachkommen können, bzw. ihnen mehr und mehr Zeit zur „Nachbearbeitung“ vermittels Wörterbuch einräumen.

    Ein wunderbares Gebiet, wo der Wissensverfall ganz drastisch (sogar für jeden TV-Zuschauer sichtbar bei Jauch & Co.) zutage tritt, ist Geographie (Erdkunde), die ja klassisch sehr wissenslastig war. Tja, fließt die Donau nun durch Deutschland oder nicht? Wer unter 20 kann das heute noch beantworten? Na gut, man hat ja die Kompetenz, bei Wikipedia nachzusehen… vielleicht.

    Daher Zustimmung zu den Leserbriefen von Beate Altenhoff-Sluiter & Katja Wolf.

    Das große Hauptproblem, das Computerintelligenz hat, mit der menschlichen Intelligenz gleichzuziehen, ist das fehlende sog. „Weltwissen“. Maschinelle Übersetzung, optisches Erkennen usw. scheitern alle mehr oder minder, und zwar am Mangel des „Weltwissens“, und auch Kreativität, wie man sie z.B. für das Schreiben eines Romans braucht, benötigt dieses Weltwissen in einem so exorbitanten Ausmaß, daß auf absehbare Zeit kein Computer einen (lesbaren) Roman schreiben wird. Das „Weltwissen“ verächtlich zu behandeln, es als irgendwie minder wichtig oder gar „minderwertig“ zu behandeln, drückt die Menschen in ihrer Leistungsfähigkeit in Richtung Maschinenniveau herunter.

    Daß aber Soft-Skills, und zwar besonders die Vermittlung sozialer Kompetenzen, desto mehr in den Mittelpunkt gestellt werden müssen, je mehr sie außerhalb der Schule nicht mehr vermittelt werden, ist auch klar. Doppelverdiener-Eltern ohne Zeit für Erziehung, zunehmend erziehungsinkompetente oder -desinteressierte Eltern, zunehmender Anteil von Einkinderfamilien, steigende Zeitanteile des Medienkonsums (TV, Computer) für sich allein bei Kindern führen mehr und mehr dazu, daß Defizite vorhanden sind, die die Schule ausgleichen muß, damit es überhaupt jemand tut. Wissensvermittlung muß dann zurücktreten.

    Tja, weil wir immer geldgeiler, bequemer und egoistischer werden, wird unser Nachwuchs halt immer dümmer, aber das wollen wir nicht hören, wir wollen hören, daß unser Nachwuchs immer schlauer wird, immer „kompetenter“, und moderner Pädagogik gelingt es daher blendend, uns dessen zu versichern.

  4. Ich halte diese Vergleiche für völlig nichtssagend. Ich habe unsere einfachen Einstellungstest für „benachteiligte“ Ausbildungsbewerber (ich nenne sie jetzt mal so, obwohl ich den Ausdruck nicht mag) mal Abiturienten vorgelegt. Die waren da auch erstaunlich schlecht. Aber was heißt das? Eigentlich gar nichts. Die Begabungen liegen auf unterschiedlichen Gebieten. Wir haben nie nach dem Testergebnis geurteilt (wieviel Punkte hat der Bewerber), sondern wie reagiert er anschließend auf die Erklärung zur Auflösung des Problems. Man kann doch Menschen kein Prüfungsschema überstülpen, um sie danach zu bewerten. Man kann Erstaunliches erleben, wenn man (jungen) Menschen Raum gibt, sich zu entfalten. „Rhythm Is It“ war so ein tolles Projekt und auch die Rüttlischule hat sich gemausert, nachdem dort engagierte Menschen künstlerisch ehrenamtlich mitgearbeitet haben.
    Das Wort Kompetenz ist für mich ein Ekelwort geworden. Die Fähigkeiten entfalten, die in jedem Menschen liegen, das sollte die pädagogische Aufgabe sein. Und JEDER Mensch hat Fähigkeiten.

  5. Herr Gerbig, lassen Sie mich Ihre Fehleinschätzungen mal aufzählen:

    1. Menschen, also auch Kinder funktionieren insofern leider doch analog zu Maschinen, als das, was man in sie als Weltwissen alles NICHT hineingibt, (oder zwar hineinzugeben versucht, aber geweigert wird aufzunehmen) die Qualität dessen, was aus ihnen herauskommt, drastisch verschlechtert.

    2. Wie man die „Ungerechtigkeit“ z.B. von unterschiedlichen Veranlagungen ausgleichen will, bleibt stets das Geheimnis derjenigen, die es fordern. Ein gewisser Teil des schulischen Leistungsvermögens hängt von genetischer Prädisposition ab, die von der genetischen Prädisposition der Eltern abhängt, welche wiederum deren gesellschaftliche Position mitbestimmt. Hier liegt nun mal ein Zusammenhang, den man in Studien so regelmäßig bejammert und hinstellt, als wäre er irgendwie eine Macke im Bildungssystem. Auch die Vorstellung, daß man frühkindliche Vernachlässigung (die ja nun mal doch eher in bestimmten Schichten anzutreffen ist) einfach mal so durch „schulische Förderung“ restlos beseitigen kann, ist naiv. Es wird dabei bleiben, an den Metern der Bücherregallänge im Elternhaus wird man den Erfolg des Kindes im Bildungssystem (und daher auch später im Leben) statistisch vorherbestimmen können… es sei denn, es kommt die Ganztagsschule ab Alter 1 Jahr. Aber von der sind wir noch ein Stückchen entfernt.

    3. Die Studie, die Klein selber machte, hat er schonmal nicht ignoriert. Ansonsten fällt auf, daß Studien, die die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystem objektiv messen, eher rar gesäht sind. Wieso fielen wir erst durch PISA aus allen Wolken? Es hat wohl kein Pädagoge Lust, seinem Kollegen ans Bein zu pinkeln, und außerhalb des Pädagogenmilieus macht man solche Studien wohl nicht. Z.B. die mehr oder minder linken Politiker, die wir mittlerweile nur noch haben, haben keine Lust, Studien zu beauftragen, die nur Ärger mit der GEW bringen oder dokumentieren, daß der Staat bei der Gestaltung des Bildungssystems versagt hat.

    Den Vogel schießt ihre Kritik an „Fixierung auf Lesekompetenzen“ ab… eine der letzten Fertigkeiten, die noch(!) als sine qua non gesehen wird, ist also im Grunde auch überflüssig? Ein Volk von Analphabeten, ist es das, was Ihnen vorschwebt?

    Also da habe ich garantiert Bronski auf meiner Seite. Ohne ausreichend Lesekompetenzen unter den Bürgern wird er nämlich arbeitslos.

  6. @ I. Werner,

    Tests sollten Vorwegnahmen von realistischen Lebenssituationen sein. Man kann natürlich beim Scheitern im Test leicht mit den Schultern zucken und sagen, ach, nur ein blöder Test, ein „übergestülptes Schema“, sagt doch nichts aus über den Absolventen. Wenn der Test aber eine Vorwegnahme einer realistischen Lebenssituation ist, dann wird der Betreffende, der im Test scheiterte, in ähnlichen Lebenssituationen wohl ebenfalls scheitern. Er wird dann beim Leseverständnis einer Internetseite zuhause ebenso scheitern wie beim Leseverständnis im Schulbuch in einer Testsituation usw.

    Natürlich kann man dann inmitten eines Volkes, daß irgendwann in der Mehrzahl bei einem Großteil aller anfallenden Lebenssituationen bei der Bewältigung mehr oder mindern scheitert, darauf hinweisen, daß das Leben einfach den Menschen nicht die Probleme stellte, für die sie befähigt waren (und zu irgendwas ist ja jeder befähigt), oder zu deren Lösung hin sie die Motivation spüren, sich zu „entfalten“. Das Leben wird sich dann sicher danach richten und die Menschen nur mit Problemstellungen konfrontieren, zu deren Bewältigung sie willens und befähigt sind. 😉

  7. Hallo Herr MAx Wedell.

    ….“Wie man die “Ungerechtigkeit” z.B. von unterschiedlichen Veranlagungen ausgleichen will, bleibt stets das Geheimnis derjenigen, die es fordern. Ein gewisser Teil des schulischen Leistungsvermögens hängt von genetischer Prädisposition ab, die von der genetischen Prädisposition der Eltern abhängt, welche wiederum deren gesellschaftliche Position mitbestimmt. Hier liegt nun mal ein Zusammenhang, den man in Studien so regelmäßig bejammert und hinstellt, als wäre er irgendwie eine Macke im Bildungssystem. Auch die Vorstellung, daß man frühkindliche Vernachlässigung (die ja nun mal doch eher in bestimmten Schichten anzutreffen ist) einfach mal so durch “schulische Förderung” restlos beseitigen kann, ist naiv. Es wird dabei bleiben, an den Metern der Bücherregallänge im Elternhaus wird man den Erfolg des Kindes im Bildungssystem (und daher auch später im Leben) statistisch vorherbestimmen können… es sei denn, es kommt die Ganztagsschule ab Alter 1 Jahr. Aber von der sind wir noch ein Stückchen entfernt…“

    Ja das ist von Ihnen!

    Was soll ich da sagen?
    „Der alte Kampf der Naturwissenschaft gegen Geisteswissenschaft?
    In einem genetisch gesunden Körper aus guter Familie ein genetisch guter Geist?
    Gesellschaft immer noch als ein Zuchtproblem? Die Unterschicht im Griff halten?
    eieieiei….
    Da sind sehr viele Komponenten die so „unveränderbar“ und „wahr“ klingen sollen.
    Schade!
    Da hoffe ich mal für Sie das die „unterschiedlichen Veranlagungen“ auch schön auf der anderen Straßenseite bleiben, wenn Sie abends spazieren gehen. Aber das kann man denen ja schon frühzeitig beibringen. Ist das ihr Bildungssystem?
    ….Je nach politischer Farbe werden Studien, Wissen, Ergebnisse gerne interpretiert, was für die „komplizierte Maschine“ spricht“. Auch Kinder werden von diesen Farben miterzogen, aber nicht immer gleich, Gottseidank, was wiederum auch für die genannte Komplexität spricht….die haben nämlich einen eigenen Kopf und eigene Erfahrungen mit Eltern, Erwachsenen und Pädagogen! Aber für Sie schreib` ich das nochmal gerne „links“ -nähmlich-, Bitte!

    Gruß vom Vogelabschießer?!

  8. @ Gerd Gerbig,

    leider haben Sie keine entkräftenden Argumente gebracht, nur deutlich gemacht, daß Ihnen die von mir erwähnten Tatsachen nicht angenehm erscheinen.

    Zur Ergänzung möchte ich hinzufügen, daß es sich hier natürlich nicht um individuell zwangsläufige Mechanismen handelt (der Art: Eltern blöd, also die Kinder auch blöd), sondern um Zusammenhänge, die statistisch über große Samples sichtbar werden. Eben über die großen Samples, über die auch nur die Studien, die die Bildungsgerechtigkeit untersuchen wollen, urteilen. Ich gehe nicht vor wie sie in meinem Fall, daß ich diese Studien lächerlich mache, indem ich höhnisch auf einen mir bekannten Unterschichtenfall hinweise, der gerade an der Uni promovierte. Ihre Unterstellung, ich hätte behauptet: intelligente Eltern, also intelligente Kinder (In einem genetisch gesunden Körper aus guter Familie ein genetisch guter Geist… zwangsläufig), ins Leere.

    Wir können es aber auch mal ganz einfach machen, und die ihnen mißliebige Genetik außen vor lassen. Es ist bekannt (und es gab vor einiger Zeit auch in der FR einen sehr erschütternden Artikel dazu), daß Alkoholmißbrauch während der Schwangerschaft zu psychischen Schäden beim Nachwuchs führt, mal schwerere, mal weniger schwere, aber in einem Ausmaß, das generell unterschätzt wird (Aufmerksamkeitsstörungen, nicht zügelbare Impulsaggressivität, prinzipielle Unfähigkeit, jegliche Regeln (Fremdsteuerung) zu akzeptieren usw.). Nun kann man sicher Grund zur Meinung haben, daß Alkoholmißbrauch in Mittel- und Oberschicht auch verbreitet sind (Deutschland ist übrigens Weltklasse, im Alkoholkonsum, Liter pro Bürger), ich meine jedoch, die Verantwortungslosigkeit, diesen während der Schwangerschaft nicht zu zügeln, wird in Unterschichten ausgeprägter sein, ebenso wie die Fähigkeiten zur Selbstkontrolle dazu allgemein. Wohl gemerkt, nicht in jedem Einzelfall, sondern wieder statistisch, über große Samples. Also wird man ernste psychische Störungen, die einem schulischen Erfolg erstmal im Wege stehen, auch aus diesem Sachverhalt resultierend öfter bei Unterschichtenkindern feststellen müssen als bei anderen Kindern. Was macht das Gutmenschentum aus den beobachteten Folgen? Das Bildungssystem ist gegenüber Unterschichtenkindern einfach ungerecht! Ja klar, das ist die einfache, bequeme Antwort!

    Die Diskussion „Was tun“ ist dann eine andere. 68er-inspirierte Pädagogik mit ihrer Kompetenzorientierung, die eine Anforderungsreduktion schönredet, produziert momentan 15-20% Ausbildungsunfähige; ob das ein Fortschritt gegenüber eher klassischen Formen der Pädagogik ist, weiß niemand, weil es dazu keine Zahlen gibt (ich bezweifle es sehr). Jetzt sagen Sie und I. Werner uns, was das Problem ist… die Anforderungen sind nicht ausreichend reduziert worden. Sie kritisieren z.B. „Fixierung auf Lesekompetenz“, und I. Werner kann inzwischen sogar das Wort Kompetenz nicht mehr hören und sagt mehr oder minder, daß Kinder im Bildungssystem nur noch mit dem konfrontiert werden sollten, wofür sie einfach entfaltbare Fähigkeiten besitzen. Leider ist es nicht abwegig zu glauben, daß auch entlang dieser Linie der weiteren Anforderungsreduzierung weiterreformiert wird. Die längere Grundschule für alle kann nur in diese Richtung gehen.

  9. @ Max Wedell

    Kann es sein, dass Sie mich nicht verstehen wollen? Sie wollen sich hier doch keiner nachdenklichen Diskussion stellen, oder vielleicht doch?
    Es geht hier doch nicht um Schlagabtausch, sondern um die Frage, wie wir unseren Kindern und Jugendlichen gerecht werden können und was hilfreich sein könnte. Darüber sollten wir doch alle parteilichen Positionen außen vor lassen.
    Morgen mehr, bin jetzt müde.

  10. @ I.Werner,

    Leider entsteht bei mir der Eindruck, daß all diese tollen Tanz-, Rap-, Theater- und sonstigen Projekte irgendwie dann ein Ersatz für Lesen, Schreiben und Rechnen und nicht eine Ergänzung sein sollen. Und das bezeichne ich als Anforderungsreduzierung. Mein Eindruck von Ihrem Posting ist, daß sie das Wort „Kompetenz“ mittlerweile deshalb stört, weil es eine VORGABE ist, weil irgend jemand die Entscheidung traf, diese oder jene Kompetenz müsste auf Deibel komm raus entwickelt werden bzw. irgendwann da sein. Wie ich schon weiter oben schrieb, wäre es problematisch, davon abzugehen… denn wie sagt der Volksmund? „Das Leben (und für das Leben lernen wir) ist nun mal kein Wunschkonzert“.

    Bildung erfüllt zwei Zwecke:

    1. Grundfertigkeiten vermitteln, die das Leben in der Gesellschaft erfordern
    2. Bildung eines reichen Ichs (Bildung und Vervollkommnung einer reichen Persönlichkeit).

    1. erfordert m.E. eher die Kompetenzen, 2. eher das reiche Weltwissen. Verschiedene gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie das Scheitern unseres Bildungssystem gerade am unteren Rand bedingt, daß immer mehr Fokus auf Aspekt 1 gelegt werden muß, und das hat zur Folge, daß 2. immer weniger stattfindet. Ich merke das jedenfalls bei Unterhaltungen mit Jugendlichen… es gibt oft nicht viel, worüber sie sich unterhalten können… ein Zeichen des Ungebildetseins im Sinne 2.

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