„Ich werde für die große Koalition stimmen“

Am Sonntag wird das Ergebnis verkündet: Geht die SPD in eine neue große Koalition? Die Mitglieder entscheiden. FR-Leser Bernd Wenzel aus Buchholz hatte per Leserbrief bekundet, für den Koalitionsvertrag zu stimmen: Er wolle nicht irgendwann von seinen Enkeln „gefragt werden, warum ich nicht geholfen hätte, diese Chance zu ergreifen, ihren Start ins Berufsleben zu erleichtern“. Konkret führte er das Beispiel an, dass der Koalitionsvertrag Restriktionen bei der Handhabung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen durch die Arbeitgeber vorsieht. Die SPD hat diese Forderung in der letzten Legislaturperiode nicht durchsetzen können, obwohl sie im Koalitionsvertrag steht. Mal sehen, ob es diesmal anders wird. Bernd Wenzel hofft darauf und stimmt mit Ja. Andrea Zech hat darauf mit einem langen Leserinbrief geantwortet, in dem sie noch einmal – wir hatten es ja noch nie – alle so wahrgenommenen Verfehlungen der Schröder-Regierung aufzählt; aber das muss an dieser Stelle eben noch einmal sein.

Update 4.3.2018, 12 Uhr: Die SPD-Basis hat recht deutlich für die Annahme des Koalitionsvertrags und damit für eine neue große Koalition gestimmt: Gut 66 waren dafür.

fr-debatte„Ich werde für die große Koalition stimmen“

„Wie alle anderen rund 460.000 Sozialdemokraten habe ich den Vertrag zwischen CDU/CSU und SPD für eine neue Groko zugeschickt bekommen. Diesem entnehme ich u.a., dass die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen tatsächlich bis auf ein unbedeutendes Minimum beseitigt werden soll. Meine fünf Enkelkinder werden in den nächsten Jahren in das Berufsleben eintreten. Ich möchte von diesen tüchtigen jungen Menschen nicht irgendwann gefragt werden, warum ich nicht geholfen hätte, diese einzigartige Chance zu ergreifen, ihren Start ins Berufsleben zu erleichtern und ihnen eine vernünftige Perspektive für den Aufbau einer wirtschaftlich gesicherten Familie zu geben. Ich möchte mich auch nicht fragen lassen, warum ich auf die lebensfernen Theorien eines 29-jährigen Jusovorsitzenden gehört hätte, der das Arbeitsleben nur vom Hörensagen kennt. Deshalb werde ich für eine Groko stimmen.
Irgendwann wird die Mehrheit der Bürger begreifen, wie viel sie dem mehr als 150-jährigen Wirken der SPD zu verdanken hat – und diese ehrwürdige Partei nicht mehr so schäbig wie bei der letzten Bundestagswahl behandeln.“

Bernd Wenzel, Buchholz

fr-debatte„Die SPD hat ihre Wähler schäbig behandelt“

„Sehr geehrter Herr Wenzel, es ist möglich, dass die Bürger irgendwann einmal entdecken, was sie der SPD in den letzten 150 Jahren zu verdanken haben. Es kann jedoch sein, dass die Bürger sich eher darüber Gedanken machen, was sie der SPD seit 1998 zu verdanken haben.
Hartz IV führte dazu, dass die SPD in persona Herrn Schröder 2005 auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos stolz verkündete: ‚Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.‘
Die Folge war, dass 2008 fast 23 Prozent der Beschäftigten Geringverdiener waren, die weniger als 8,90 Euro pro Stunde erhielten. Einer der Hauptgründe warum jetzt ein Mindestlohn geschaffen werden musste. Dafür feiert sich die SPD.
Ein weiterer Punkt ist die Senkung des Rentenniveaus. Die Rente als Lebensstandard-Sicherung ist eine gesetzlich verbindliche Zusage des Staates gegenüber den GRV-Versicherten, oder genauer gesagt war das so. Die von der SPD beschlossenen Reformmaßnahmen – die schrittweise Leistungsreduzierung der gesetzlichen Rentenversicherung führt zur Senkung des Rentenniveaus von ca 70 Prozent auf unter 50 Prozent, führt zur Verarmung einer beträchtlichen Zahl von Rentnern. Wer sich zu einer zusätzlichen Privatrente entschieden hat, das konnten natürlich nur Arbeitnehmer tun, die nicht in die Gruppe der Niedriglöhner gefallen waren, konnte feststellen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Einzahlungen direkt bei den Versicherungen gelandet ist.
Der AWD-Gründer Maschmeyer war zweifellos ein Nutznießer dieser Einführung der privaten Rentenversicherung. Die private Verbindung zu Herrn Schröder war sicher nur Zufall.
Nachdem viele Arbeitnehmer diese Verträge abgeschlossen hatten, erweckte diese große Vermögensmasse die Aufmerksamkeit von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Seit 2004 muss der volle Beitragssatz der Krankenkassen auf Betriebsrenten und Direktversicherungen bezahlt werden. Selbstverständlich auch von allen, die die Verträge vorher abgeschlossen hatten. Glück hat, wer in einer privaten Krankenversicherung ist, da fällt natürlich keine zusätzliche Zahlung an. Klug war, wer statt in eine private Rentenversicherung in einen Fond oder eine sonstige versicherungsfremde Kapitalanlage investiert hat, der zahlt gewiss keine Krankenversicherung.
Sie beklagen, dass Herr Kühnert lebensfremd ist und Arbeit nur vom Hörensagen kennt. Ich halte das erst einmal für eine Unterstellung. Spielt aber keine große Rolle. In der SPD kann man nach 20 Semestern und der Magisterarbeit: Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman durchaus Arbeitsministerin werden ohne je in der Privatwirtschaft gearbeitet zu haben. Es ist also für Herrn Kühnert noch Luft nach oben. Bei einer Arbeitsministerin kann ein bisschen Erfahrung in der Privatwirtschaft jedoch nützlich sein.
Nach den Streiks der GDL und Vereinigung Cockpit verkündete Frau Nahles das Motto: ein Betrieb, eine Gewerkschaft. Das klingt erst einmal sehr einleuchtend. Warum verkündet sie aber nicht auch: ein Betrieb, ein Tarifvertrag? Mit ein bisschen Erfahrung in der Privatwirtschaft hätte Frau Nahles gewusst, dass die Unternehmen ihre Tarifverträge umgehen, indem sie tariffreie Tochterunternehmen gründen, die dann nicht die Privilegien wie Weihnachts- und Urlaubsgeld oder eine 37 Stundenwoche haben. Sie arbeiten mit ihren Kollegen aus den tarifgebundenen Unternehmensteilen zusammen, leider zu deutlich schlechteren Bedingungen. Aber das hat Frau Nahles nicht interessiert.
Es gibt noch weitere Punkte: Abkopplung der Unternehmen bei Erhöhung der Krankenkassenbeträge, Mütterrente aus den Sozialkassen, als seien Kinder keine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Müttergeld nur für Mütter mit genügend Geld. Wer Aufstockung zum Lebensunterhalt braucht, bekommt den Betrag der Mütterente wieder abgezogen. Und es gibt noch deutlich mehr Punkte.
Für mich stellt sich nun die Frage: Behandeln die nicht-mehr-SPD-Wähler die SPD schäbig oder hat die SPD ihre Wähler schäbig behandelt?“

Andrea Zech, Offenbach

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21 Kommentare zu “„Ich werde für die große Koalition stimmen“

  1. Ich habe den Leserbrief von Andrea Zech heute morgen in der Print-Ausgabe der FR gelesen. Dieser Leserbrief hätte allen SPD-Mitgliedern mit den Abstimmungsunterlagen mitgesandt werden müssen, damit diese nicht, wie leider geschehen, nur ein Pro-GroKo-Plädoyer des Vorstandes, sondern wie auch auf dem Parteitag beschlossen, aber nicht realisiert, auch die Gegenmeinung erfahren.

    Die Aufzählung könnte noch um viele Punkte, insbesondere auch aus dem Koalitionsvertrag, ergänzt werden. Ich möchte hier nicht meine Punkte aus früheren Kommentaren wiederholen. Am schlimmsten finde ich jedoch – das kann ich nicht verkneifen – die Lobhudelei auf die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta mit der Aufforderung, Ceta bald zu ratifizieren.

  2. Betrachte ich mir das Personal der SPD bezüglich ihrer Machenschaften, so Nahles bei Rente oder Scholz bei HSH Nordbank, dann finde ich als früherer SPD-Wähler die 17% bei Umfragen noch viel zu hoch. Wir brauchen in Old Germany keine weitere neoliberale Partei, wir haben doch schon CDU/CSU, FDP und, ja, leider, Grüne.

  3. Der Westend Verlag hat heute ein neues Buch herausgebracht mit dem Titel „Rückwärts“ „Das Strategiepapier zur Erneuerung der SPD“, ein satirisches Weißbuch.

    Zu dem Buch gibt es einen Spruch des verstorbenen Kabarettisten Wolfgang Neuss:
    „Wenn man nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt man aus der SPD.“

    Dieser Spruch hat sich über die lange Geschichte der SPD immer wieder bewahrheitet.

    Nur kann ich mich nicht erinnern, dass auch mal Rechte ausgeschlossen wurden, der einzige, gegen den ein PO-Verfahren eingeleitet wurde, war Clement, der dann von sich aus ausgetreten ist. Aber Müntefering wollte dessen Ausschluss verhindern.

  4. Von den Gewerkschaften wird der Koalitionsvertrag begrüßt und um Zustimmung bei den SPD-Mitgliedern geworben. Von den Wirtschaftsverbänden und auch von CDU-Mitgliedern wird beklagt, dass 70% SPD im Vertrag stünden. Also so arbeitnehmerfeindlich kann der Vertrag nicht sein. Ich verstehe nicht die ewigen Nörgler, die immer noch die Rücknahme der Agenda 2010 fordern, obwohl sie längst in einigen Punkten nachjustiert wurden. Einige Verordnungen bzw. Arbeitsförderungsmaßnahmen bauen darauf auf. Schon deshalb ist eine Rücknahme nicht einfach so möglich.Ich habe zugestimmt.

  5. @ Josef Ullrich:

    Dass die Wirtschaftsverbände klagen, wenn auch nur die geringste Lohnforderung oder dergleichen kommt, ist seit Jahren bekannt: Jedes Mal heißt es von deren Seite, der Standort oder die Wettbewerbsfähigkeit sei gefährdet.

    Seitens der Gewerkschaften ist mir nur eine Äußerung des DGB-Vorsitzenden Hoffmann bekannt, wobei dessen Haltung nicht nachvollziehbar ist, weil der Koalititionsvertrag eher wirtschafts- als arbeitnehmerfreundlich gehalten ist, z.B. die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung kann durch die Regelungen völlig unterlaufen werden ebenso das Rückkehrrecht in Vollarbeitszeit. Hinzu kommt die Absicht, Ceta zu ratifizieren, wodurch einseitig Konzerninteressen geschützt und gefördert werden, die Arbeitnehmer und die öffentliche Daseinsvorsorge dagegen völlig auf der Strecke bleiben. Vielleicht hat der DGB-Vorsitzende den Vertrag nicht richtig gelesen?

    Und die CDU wie auch die CSU haben auf ihren Parteitagen gejubelt, dass sie ihre Forderungen durchgesetzt hätten. Von der CDU wird lediglich der Verlust des Finanzministeriums beklagt. Aber was haben wir von Olaf Scholz zu erwarten? Der Fall der Hamburger Warburg-Bank ist kein Ruhmesblatt für ihn. Und wenn ich an die ltzten SPD-Finanzminister denke: Eichel hat die Körperschaftssteuer sowie den Höchstsatz der Einkommensteuer gesenkt, die Steuer auf den Verkauf von Unternehmensanteilen abgeschafft, und Steinbrück hat die Mehrwertsteuer, die die breite Bevölkerung belastet, erhöht. Natürlich hätte die CDU am liebsten eine Schwarze Null wie Schäuble, der die Steuerhinterzieher geschützt, dagegen Millionen von Menschen in die Armut getrieben, viele sogar in den Tod getrieben hat. Aber Spahn wird dafür im Gesundheitsministerium für den sozialen Kahlschlag sorgen.

  6. @ Peter Boettel

    Nehme wahr, dass die Gewerkschaften langsam aufgewacht sind und viele Signale in Richtung gerechterer Gesellschaft senden. Dass der Koalitionsvertrag so unterstützt wird, ist mir jedenfalls nicht deutlich geworden.
    Was Sie, Herr Boettel im letzten Absatz oben zum Finanzministerium und Olaf Scholz sowie der Steuerpolitik sagen, kann ich gut unterstützen.
    Nur glaube ich nicht, dass Jens Spahn im Gesundheitsbereich für den sozialen Kahlschlag sorgen wird. Abgesehen davon, was man seit der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens fragen muss, was es da noch kahlzuschlagen gibt? Ist doch schon längst fest in Konzernen Hand.

  7. Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, zählt in der März-Ausgabe der Mitgliederzeitung die Pluspunkte für die Beschäftigten auf.

  8. @ Josef Ullrich

    Werde nachsehen und meinen hiesigen IG Metall-Kollegen damit konfrontieren.

  9. Meines Erachtens greift die Argumentation der Gewerkschaft zu kurz.

    Die Frage ist doch nicht, OB es einzelne Verbesserungen für bestimmte Bürger gibt. Die gibt es ohne Zweifel – und natürlich kann man die dann auch in irgendwelche Argumentationspapieren auflisten.

    Aber entscheidend ist doch die Antwort auf die Frage, ob die Fortschritte die Nachteile mehr als aufwiegen.

    Sollten es wirklich 70% aus dem SPD Programm in den Koalitionsvertrag geschafft haben, dann bleiben zwei Fragen:

    Waren die 30%, die nicht in den Vertrag gelangt sind, nicht wichtiger und für die Entwicklung der SPD bedeutender als die Punkte,die vertraglich normiert worden sind (jeder der schon mal Verhandlungen geführt hat, weiß, dass es nicht auf die reine Anzahl der durchgesetzten Punkte ankommt – es gibt eben wichtige und unwichtige Forderungen?

    Und zweitens (und noch wichtiger): Das Programm, von dem man glaubt, 70% umsetzen zu können, hat lediglich 20% der Leute überzeugt, die SPD zu wählen. Da stellt sich schon die Frage, was in dem letzten Programm alles gefehlt hat, um die SPD für mehr als 20% wählbar zu machen (und davon wurde dann ja gar nix umgesetzt und somit manifestiert die teilweise Umsetzung eines für die Bürger nur bedingt wählbaren Programms dann eben die fehlende Attraktivität der SPD und kann, jedenfalls mMn keinesfalls als Erfolgsausweis angesehen werden)!

    Dennoch glaube ich fest an ein „Ja“! Dafür hat auch schon die eigentliche unfaire „Versuchsanordnung“ gesorgt (es gab ja keine Infoveranstaltungen über sondern einseitige Werbeveranstaltungen für den Vertrag – darauf wurde hier ja schon hingewiesen)!

  10. Es ist für mich nichts erkennbar, dass es zum Nein-GroKo kommt, auch wenn ich ganz klar auf der Seite von Kevin Kühnert u.a. stehe.

    Der Blick auf die Gewerkschaften, ist auch ein Blick auf die Zukunft. Und da die Gewerkschaften die arbeitende Bevölkerung vertreten, sind deren Stärke und Durchsetzungskräfte ganz wichtig, zumal wir nicht wissen, wie die Arbeitsgesellschaft sich unter 4.0 entwickelt und wie die Freisetzung von Arbeitskräften aussehen wird.

    Der Sozialverband VdK sagt, dass die Ergebnisse des Koalitionsvertrages bei einigen Punkten die VdK-Forderungen aufgegriffen werden, doch insgesamt bleiben die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. „Wir vermissen ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und Armut“, kritisiert VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.

  11. Kühner hat gefragt was bekommt ein SPD Wähler wenn er diese Partei wählt. Bei der Wahl die nach einem nein kommt ist die Frage leicht zu beantworten nichts.

  12. Die SPD-Mitglieder haben entschieden. Das ewige Herumgezacker hat ein Ende, Deutschland bekommt ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl endlich eine stabile Regierung. Ich schlage drei Kreuze und bin sicher, dass diese Lösung allemal besser ist als eine Minderheitenregierung oder Neuwahlen. Die Parteibasis war derselben Meinung.

    Nun können sich Kevin Kühnert und seine Anhänger in Ruhe daran machen, ein tolles neues Parteiprogramm und/oder Strategiepapier für die SPD zu entwickeln und sich das Ergebnis von der Basis absegnen lassen. Dann steht ihnen nichts mehr im Wege, sich als Abgeordnete und Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen zu lassen und zu beweisen, dass ihre Inhalte und Strategien viel mehr Wähler mobilisieren als der Kurs der bisherigen Parteispitze.
    Und wenn sie sich dann in den Wirren des politischen Alltagsgeschäfts bewähren müssen, wird man sehen, wie viele ihrer hehren Ziele sie tatsächlich erreichen.

  13. @ Brigitte Ernst

    Wenn es so kam wie es kommen musste (kannte das Ergebnis jetzt noch nicht), dann soll es halt so sein.
    Was Kevin Kühnert und die Juso-Positionen angehen, so möchte ich lieber nicht von „hehren Zielen“ sprechen, sondern von einer vernünftigen Neuausrichtung für soziale linke Ideen und einer konsequenten Haltung.
    Das ist mir weiter wichtig, auch wenn ich kein SPD-Anhänger bin. Hier tut sich was. Die neue GroKo werde ich dann auch noch überleben.
    Bei Ihnen, liebe Frau Ernst, habe ich hinsichtlich Kühnert, doch viel Skepsis herausgehört.
    Im Übrigen tue ich mich mit den Mitgliederbefragungen und -entscheiden eher schwer. Es ist damit auch nichts Vernünftiges und politisch Richtiges garantiert.

  14. @ Jürgen Malyssek

    Ich meine, die politische Landschaft braucht auf jeden Fall die (meist jungen) Himmelsstürmer, die die Utopie im Auge behalten. Die Begegnung mit der Realität bewirkt dann meist die Einsicht, dass man in einer Demokratie nur in kleinen Schritten vorwärtskommt. Das nannte man mal den „langen Weg durch die Institutionen“.

  15. Ich hätte ein knapperes Ergebnis erwartet. Aber ich bin überzeugt, dass mindestens 12- 15 % der Ja-Stimmen daher rühren, dass mit Neuwahlen gedroht wurde, die der SPD natürlich ein noch schlechteres Ergebnis bescheren würde als am 24. September 2017, während die AfD weiter zulegen würde.

    Vor allem wurden diese Neuwahlen von der Parteiführung als großes Damoklesschwert heraufbeschworen, während die Möglichkeit einer Minderheitsregierung, zu der selbst Merkel bereit gewesen wäre, völlig außen vor gelassen wurde.

    Aber schlimmerweise wird die nächste, ob reguläre oder vorzeitige Wahl, auch nicht besser ausgehen, weil das Regierungspersonal wie auch der Koalitionsvertrag keinerlei Besserung verheißen, Leute wie Altmaier, Seehofer, Spahn und Flintenuschi, Merkel sowieso, versprechen einen weiteren reaktionären Kurs zu Lasten des überwiegend einkommensschwachen Teils der Bevölkerung zu Gunsten des Kapitals, während die SPD-Mitglieder in der Regierung wieder koaltionstreu allen Mist wie Aufrüstung, ÖPP’s, Ceta, private Vorsorge etc. mittragen werden.

    Und die positiven Ansätze wie Parität in der Krankenversicherung oder Ratifizierung des UN-Sozialpakts werden auf der Strecke bleiben, von der Union verhindert wie z.B. die Finanztransaktionssteuer, die seit Jahren als Platzhalter genannt wird, ohne dass ernsthaft deren Realisierung angegangen wird.

    Und die Rückkehr in die Vollarbeitszeit oder die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sind so formuliert, dass sie jederzeit von den Unternehmen unterlaufen werden können. Ansätze zu einer überfälligen Abkehr der bsiherigen Umverteilung von unten nach oben fehlen im Koalitionsvertrag gänzlich; denn mit dem Kindergeld, dem Kinderfreibetrag oder der Mütterrente aus der Rentenkasse werden die Reichen weiter begünstigt, von einer gerechteren Steuerpolitik wird völlig abgesehen. Die angekündigten Verbesserungen in der Pflege sind ein Tropfen auf den heißen Stein und werden von der Finanzierung abhängig gemacht, während die Trump-hörige Aufrüstung nicht in Frage gestellt wird.

    Damit wird die Ungleichheit in der Bevölkerung weiter zementiert und verschlimmert, was der SPD von den Wählern angelastet werden wird, womit wiederum die „Im Stich Gelassenen“ entweder nicht zur Wahl gehen oder bei der AfD, wenn auch vergeblich, ihr Heil suchen, weil, wie Andrea Zech schreibt, die SPD ihre Wähler mal wieder schäbig behandelt hat.

    Ich hatte bereits vor zwei Jahren in meinem Buch hingewiesen, dass die SPD, wenn sie sich nicht endlich auf ihre Grundwerte besinnt, erhebliche Wahlverluste einstecken muss und faschistische Parteien daraus einen Vorteil ziehen. So wie meine damalige Einschätzung bestätigt wurde, wird auch meine heutige Einschätzung bestätigt werden, weil die Partei leider nie aus ihren Fehlern zu lernen bereit ist.

  16. „Was würden Kurt Schumacher, Herbert Wehner oder vielleicht auch Willy Brandt zu diesem Theaterdonner sagen, den die SPD seit Jahrzehnten in aller Öffentlichkeit erzeugt ? Fest steht, dass während der straffen Führung der SPD durch Schumacher und Wehner solche Selbstzerstörungsorgien, wie sie dauerhaft zelebriert werden, nicht vorgekommen sind und die SPD kontinuierlich gewachsen ist.

    Die jetzige SPD spiegelt bis heute den Geist und Einfluß der Alt – 68er wieder, die alles in Frage stellen und alle Konventionen hinterfragen, bis am Ende keine politische Substanz und kein potentes Personal mehr übrig ist.Betrachtet man die Geschichte der SPD während der letzten 30 Jahre, hat diese eine unbändige Lust an Untergang und Selbstzerstörung mit möglichst viel Schmerz.

    Dieses wird auch kompromisslos und konsequent umgesetzt — Sacher – Masoch hätte seine Freude an diesem Verein, dessen echte Regierungsfähigkeint auf Jahre hinaus beschädigt ist. Das Interessante und schier Unbegreifliche ist nur, daß dieser Virus alle linken Parteien und Strömungen erfasst hat. Das linke Lager macht sich selbst platt, es wird so lange diskutiert, intrigiert, gegeneinander statt füreinander gekämpft, bis keine Substanz mehr da ist. Wo ist denn die einst stolze INTERNATIONALE Sozialdemokratie ? Das linke Lager geht, wenn es so weitergeht, unweigerlich in die Politische Insolvenz, egal ob national oder International.

    Die Geschichte liefert die eindeutigen Beweise

  17. @ Brigitte Ernst

    Aus der sichtbaren Enttäuschung der Jusos über den Ausgang der Mitgliederbefragung schließe ich, dass die politisch-inhaltliche Debatte weitergehen wird. Bin auch ziemlich sicher, dass es sehr konstruktiv sein wird, was die politische Jugend auf die Beine stellen wird.

    @ Jürgen Schäufele

    Wenn Sie allen linken Parteien den Spiegel ständiger Strittigkeiten und Intrigen vor’s Gesicht halten, dann unterstellt es gewissermaßen, dass die anderen Parteien in Friede und Eintracht miteinander leben. Da muss ich doch widersprechen.
    Dass die jetzige SPD bis heute den Geist und den Einfluß der Alt-68er widerspiegelt, das ist eher eine steile Behauptung. Ich kann jedenfalls schlecht ausmachen, wo die jetzige SPD alle Konventionen hinterfragt oder alles in Frage stellt.
    Übrigens steht das linke Lager noch lange nicht vor einer politischen Insolvenz.

  18. @ Jürgen Schäufele

    Interessante Positionen!
    Ich sehe die Selbstzerstörung der SPD eher in ihrem Abrücken von den alten Werten der Sozialdemokratie, nämlich von der internationalen Solidarität, begründet. Es war doch gerade der Basta-Kanzler Schröder, der genau die straffe Führung praktizierte, der Sie nachtrauern, der mit seiner Agenda 2010 den Untergang der traditionellen Sozialdemokratie einleitete, der die angestammte Klientele der Partei aus den Augen verlor und dazu veranlasst hat, in Scharen die Partei zu verlassen. Und das Gleiche kann man der internationalen Sozialdemokratie vorwerfen: das Gekungel mit den Konzernen hat Vorrang vor den Interessen der Arbeitnehmer und den demokratischen Grundprinzipien (siehe TTIP und CETA).
    Und das soll alles die Schuld der Alt-68er sein? Ganz im Gegenteil: Das Abrücken von deren Ideen von Solidarität und Gerechtigkeit hat die Misere doch erst ausgelöst.

  19. Nach den 66% sind die von FR-Lesern und Jusos beständig erhobene Forderungen, die SPD möge sich erneuern, zu ihren Wurzeln zurückkehren oder Lafontaine/Wagenknecht folgen, endgültig obsolet geworden. Zu einer Perestroika des Systems der Volksparteien könnten dagegen folgende Überlegungen beitragen:
    In jeder zivilisierten Gesellschaft gibt es zwei politische Lager. Die Progressiven wollen die Welt verändern, die Konservativen wollen die Welt so lassen, wie sie ist. Je klarer sich diese Lager gegeneinander abgrenzen, um so leichter fällt es dem Wähler, sich zwischen ihnen zu entscheiden. Wenn jedoch, wie in den letzten Jahrzehnten, übergreifende Koalitionen die Grenzen zwischen den Lagern immer mehr verwischen, verliert der Wähler die Übersicht, verweigert sich oder wählt aus Protest eine Partei, die überhaupt nicht seiner Überzeugung entspricht.
    Um in den nächsten vier Jahren dem Wähler die Orientierung zurückzugeben, müssten die Lager wieder deutlicher getrennt werden, und es müsste ermöglicht werden, dass ein Lager regieren kann, ohne Scheinkompromisse mit dem anderen Lager eingehen zu müssen. Dazu wäre das bestehende Wahlverfahren wie folgt zu ergänzen:
    1. Hat ein Wahlergebnis zur Folge, dass sich keine Koalition zur Erlangung der absoluten Mehrheit bilden lässt, ordnet der Bundespräsident einen zweiten Wahlgang an.
    2. Dazu können die im ersten Wahlgang in den Bundestag gewählten Parteien einzeln antreten, oder sie bilden Wahlbündnisse – in der Regel mit Parteien desselben Lagers – die dem Wähler ein verbindliches gemeinsames Regierungsprogramm und eine Schattenregierung anbieten.
    3. Der Wähler entscheidet dann, welche Partei oder welches Bündnis – d. h. welches Lager – regieren soll.
    4. Damit das bei Beibehaltung des Ergebnisses des ersten Wahlgangs möglich wird, erhält nach dem zweiten Wahlgang die Partei oder das Bündnis mit den meisten Stimmen nach dem Vorbild des griechischen Wahlrechts einen Mehrheitsbonus von zusätzlichen Sitzen, um im Bundestag über eine absolute Mehrheit verfügen zu können. (In Athen werden der Mehrheitspartei pauschal 50 zusätzliche Sitze zugeteilt. Tsipras regiert seit 2015, obwohl er bei der Wahl nur 30% erhalten hatte.)
    Mir wäre es mittlerweile ziemlich egal, ob die progressive oder die konservative Seite den Bonus erhielte – Hauptsache, es kann regiert werden, und die Mehrheit aller Wähler entscheidet, wer das tut! Allerdings müsste man dann eher befürchten, dass 2021 wegen der Merkel-Müdigkeit wieder eine rot-grüne Regierung mit Finanzmarkt-Deregulierungen, Steuersenkungen für Superreiche und einer Agenda 2030 gegen die Armen möglich werden könnte – wenn Finanzminister Scholz das nicht schon vorher hinkriegt.

  20. Klasse heute! Zwei der beliebtesten SPD-Politiker gehören der neuen GroKo-Regierung nicht mehr an. Mach‘ weiter so, SPD! Irgendwann schaffst Du dann auch den Sprung über die 5%-Hürde, von vorne. Und Willy und andere sozialen Demokraten rotieren im Grab, weil irgendwann bei einem einstelligen Ergebnis auch keine Ministerposten mehr zu vergeben sind. Bin mal gespannt, in wieviel Monaten die AfD, trotz Poggenburgs Rückzug, Dich in Umfragen überholt hat. So um die 20% sollten es schon werden, damit es für Schwarz-Braun langt. Österreich macht es vor.

  21. Ich nehme 50% meiner Meinung zurück, bezüglich S. Gabriel, lt. dieser Meldung:
    „Für seine treuen Dienste: Rüstungsindustrie errichtet Denkmal zu Ehren Sigmar Gabriels
    Berlin (dpo) – Sie haben ihm so viel zu verdanken: Nach dem Ausscheiden von Sigmar Gabriel aus dem Bundeskabinett hat die deutsche Rüstungsindustrie den SPD-Politiker heute in Berlin mit einem eigenen Denkmal geehrt. Kein anderer Politiker der letzten Jahre habe sich so um deutsche Waffenexporte verdient gemacht wie der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister.
    „Sigmar Gabriel hat uns in seiner Zeit als Wirtschaftsminister absolute Traum-Deals ermöglicht“, so Armin Papperger vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), vor dessen Zentrale das Denkmal eingeweiht wurde. „7,86 Milliarden genehmigte Rüstungsexporte im Jahr 2015, 6,85 Milliarden im Jahr 2016 – das waren der höchste und der zweithöchste Wert aller Zeiten. Das hat nicht mal Schwarz-Gelb geschafft.“
    Quelle: Der Postillon“

    Also bleibt nur noch die Frage, warum Frau Hendricks?

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