Bronskis Homeoffice-Tagebuch – Tag 25

Leben und Arbeiten in Zeiten der Pandemie

Ich bin kein Christ. Die Urkunde, die meinen Austritt aus der evangelischen Kirche bezeugt, stammt aus dem Jahr 1991. Dieser Austritt war meine Reaktion auf den Umgang der niedersächsischen evangelischen Kirche mit einem Pastor, der mit seinem Lebenspartner im Pfarrhaus zusammenwohnte (der „Fall“ Hans Jürgen Meyer). Teile der evangelischen Kirche haben sich seitdem entspannt, auch wenn hier und da weiterhin „Schwulenheiler“ auftauchen. In der katholischen Kirche sind die Verhältnisse leider immer noch schlimm. Sexualität ist für die Fortpflanzung da und hat in der Ehe zu passieren, obwohl doch alle längst wissen, dass die Wirklichkeit und das Leben weitaus vielfältiger und lustvoller sind. Untrügliches Zeichen dafür, dass insbesondere die katholische Kirche ein riesiges Problem mit Sexualität hat: die vielen Pädophilen in ihren Reihen. Gerade die katholische Kirche ist eigentlich völlig inkompetent beim Thema Sexualität.

Bronskis Homeoffice-Tagebuch – Tag 25
Karfreitag, 10. April 2020

Merken Sie, dass ich mit der institutionalisierten Religion fremdle? Klar, ist nicht zu übersehen. Trotzdem gehört die christliche Religion zu meinem kulturellen und ideengeschichtlichen Hintergrund, und Ostern gehört zur „Leitkultur“.  (Den Witz mit dem „d“ anstelle des „t“ in „Leitkultur“ verkneife ich mir an dieser Stelle.) Die Osterbotschaft ist eigentlich eine positive Sache. Gottes Sohn nimmt uns unsere Schuld ab, indem er sich kreuzigen lässt. Was für eine Großtat! Aber diese Geschichte, die historisch übrigens nicht belegt ist, funktioniert nur, wenn man die Sache mit der Schuld hinnimmt. Ebenso die Sache mit der Sünde. Ich kenne Gesetze. An die halte ich mich. Es gibt außerdem einen Kanon von Verhaltensregeln im menschlichen Miteinander, die für mich verbindlich sind: Respekt, Toleranz, Humanität, Freundlichkeit und, so will ich hoffen, Aufgeschlossenheit. Oder um es mit einem Schlagwort zu sagen: westliche Werte. Die Werte der Aufklärung. Menschenrechte, festgeschrieben in den Genfer Konventionen, der UN- und der Europäischen Menschenrechtscharta bzw. -konvention und im Grundgesetz. Doch wer darf mir mit welchem Recht einzureden versuchen, dass ich ein Sünder sei? Um mir diese Last dann durch Jesu Opfer wieder von den Schultern zu nehmen? Wer definiert, was Sünde ist? Alte, auffallend häufig pädophile Männer mit verschrobenen Ansichten, die in einer längst vergangenen Zeit wurzeln.

Gestern war hier in Offenbach großes Glockengeläut, das über etwa eine Viertelstunde die Lufthoheit beanspruchte. Bei Ihnen war’s ähnlich, oder? Gründonnerstag. Ja, das Christentum! Was wohl los wäre, wenn ein Muezzin seine Botschaft mit vergleichbarer Vehemenz in die Luft dröhnen würde? Hier in Offenbach hätte das durchaus Berechtigung, da es hier viele Muslime gibt. Aber die sind vergleichsweise still. Nur die Türglocke der türkischen Bäckerei schräg über die Straße klingelt immer wieder und unüberhörbar. Bei diesen schönen Temperaturen steht natürlich das Fenster meines Arbeitszimmers offen, so dass ich unmittelbar mitbekomme, was sich draußen auf der Straße tut. Und am Himmel. Dort ist es wunderbar ruhig. Kaum Flugzeuge. Wer im Luftverkehr arbeitet, wird diese Situation hassen. Ich hingegen find’s toll. Was das betrifft, können wir meinetwegen noch viele Monate Shutdown machen.

Und jetzt Schluss mit dem Gezeter über Religion. Ich freue mich schon auf meine heutigen Sünden, etwa das Gläschen Wein zum Spargel, den es heute Abend gibt. Ich weiß nicht, ob man behaupten kann, dieses Gläschen hätte ich mir verdient, aber immerhin haben wir heute wieder eine Radtour gemacht.

Foto: Lutz „Bronski“ Büge

Das hier, man soll es nicht glauben, ist die Autobahn A3 kurz vor dem Offenbacher Kreuz, Blick nach Westen. Eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen der Bundesrepublik – fast leer! Eine Momentaufnahme.

Die Radtour, knapp 58 Kilometer, führte uns über Urberach, Eppertshausen, Babenhausen. Herrliches Wetter, mäßiger Wind (natürlich immer von vorn). Viele Menschen sind in kleinen Gruppen unterwegs. Etliche von ihnen leben die Mobilität per Fahrrad offenkundig nicht täglich. Vielleicht ist dies ja etwas, was wir aus der gegenwärtigen Krise lernen können: Zeit zu haben für die kleinen Freuden. Oder vielleicht gar zu entdecken, dass Radfahren Freude machen kann.

Hier schließt sich natürlich, siehe oben, nahtlos die Frage an: Kann denn Freude Sünde sein?

Naoned!

Worldometer  +++ SafetyDetectives

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6 Kommentare zu “Bronskis Homeoffice-Tagebuch – Tag 25

  1. „Keiner kommt an Jesus vorbei – außer Uwe Seeler.“ So beschrieb der Dortmunder Schriftsteller Max von der Grün in seinem Roman „Irrlicht und Feuer“ die Botschaft auf einer übermalten Plakatwand.

    Auch Sie, lieber Bronski, scheinen an dieser Gestalt nicht vorbeizukommen. Vielleicht wegen Karfreitag (im Ruhrgebiet sprachen wir von „Karl Freitag“). Aber Ihr Ansatz ist ein völlig anderer als der von Kirchenpräsident Volker Jung, der mir zu Ostern eine „Impulspost“ gesandt hat. Und darin Vorschläge für den Kontakt mit Gott macht.
    Unter anderem empfiehlt er: „Beten Sie, auch wenn Sie sich nicht sicher sind, ob es Gott überhaupt gibt.“ Na ja, dann könnte ich auch zu mir selbst beten. Schließlich sind die Götter nichts anderes als die Projektion menschlicher Hoffnungen auf eine Metaebene. Meinte der Philosoph Ludwig Feuerbach, der dadurch Karl Marx inspirierte.

    Ich habe dem Kirchenpräsidenten geantwortet. Und daran erinnert, dass trotz meiner evangelischen Sozialisation (wenn auch innerhalb einer sehr kleinen reformierten Gemeinschaft) Jesus als historische Figur nie eine Rolle spielte. Es war Konsens in dieser Gruppe, dass er nie so gelebt hatte, wie später in den Verkündigungsschriften beschrieben wurde, folglich auch nie so gestorben und erst recht nie auferstanden war. Die Opfertodtheologie wurde als Irrweg bezeichnet und der unkritischen Übernahme altgriechischer Göttervorstellungen angelastet. Die Evangelien galten als Sammlung weisheitlicher Erfahrungen im Kontext eines innerjüdischen Konflikts um den richtigen Weg zwischen Gott und Welt mit der Perspektive auf das erhoffte messianische Zeitalter, in welchem beides (wieder) vereint sein würde. Und als Verkündigung des neuen Menschen, der zu sich selbst gefunden hat, seinen Mitmenschen in Nächstenliebe (Solidarität) zugetan ist und das Leben als höchstes Gut verteidigt. Letzteres bedeutet auch ein Bekenntnis zu Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Abwehr autoritärer politischer Systeme. Von einer verklemmten Sexualmoral ganz zu schweigen.

    Ich habe dem Kirchenpräsidenten geraten, auf „Impulspost“ künftig zu verzichten. Denn der Exodus aus der Kirche sei darauf zurückzuführen, dass diese den Menschen nichts mehr zu sagen habe. Eben weil sie sich an formelhafte religiöse Aussagen klammere, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben. Und ich appellierte an ihn: Werfen Sie längst bedeutungslos gewordene Sprachhülsen wie Sünde, fragwürdige Moralvorstellungen, Opfertod, Auferstehung und Ewiges Leben über Bord. Entfachen Sie ein Feuer auf Erden, polarisieren Sie und lassen Sie die Toten ihre Toten begraben, so wie es der Evangelist Lukas beschreibt (ca. 40 Jahre nach Jesus‘ vermeintlichem Tod, was damals eine halbe Ewigkeit war und nicht als zeitgenössisches Zeugnis zu verstehen ist).

    Und da wir in Corona-Zeiten leben: Vermutliche haben viele den US-evangelikalen Teufelsaustreiber im Fernsehen gesehen, der mit brutaler Verzückung verbal auf einen Satan namens Corona einschlug. Es hat den Anschein, dass Corona auch die religiöse Irrationalität neu beflügelt.

    Ansonsten: Die Nonnen schwitzen in den Klostern – es wird Ostern. Auch ein Ruhrgebietsspruch.

  2. @Klaus Philipp Mertens
    Irgendwann die Tage – die Zeit kommt mir abhanden -sah ich das Gebet, die Ansprache, wie auch immer, von Franziskus auf dem Petersplatz und dachte, ich kann mit seinen Worten nichts anfangen. Sie berühren mich nicht. Es ist eine Abfolge von Worten, die nichts mit dieser Zeit zu tun haben. Bis auf den einen Satz, der zwar auch aus der Bibel stammt, den er aber mit Leben füllen konnte: „sag uns noch einmal, fürchtet euch nicht“.

  3. Hallo Frau Hartl, Hallo Herr Mertens,
    Die beiden Teufelsaustreiber, die, ich glaube, bei extra drei, gezeigt wurden, waren so gut, die waren noch besser als Trump, auch wenn das kaum möglich erscheint. Das ist die Nation, die über das größte Waffenarsenal aller Zeiten verfügt, die sich einen Trump freiwillig als Präsidenten wählt, die einen Vice President haben, der als Creationist glaubt, dass Gott die Erde vor 6000 Jahren geschaffen hat. Da kann es einem kalt den Rücken hinab laufen. Hinsichtlich Religion bin ich zu dem Schluss gekommen, dass evolutionär gesehen Religionen untereinander und miteinander kämpfen, um Vorherrschaft, also Darwins survival of the fittest auch auf diesem Gebiet tätig ist. Man kann da manchmal durchaus auf die Idee kommen, da steckt doch System drin, wobei natürlich, woher soll`s kommen ? Die Blüten jedenfalls, die die Religionen über die Jahrtausende getrieben haben, eine Geißel der Menschheit, um es einmal nett zu beschreiben. Es gibt aber auch Menschen, die finden Trost darin und meinen, dass ein Kulturschatz darin ruhe. Der Gedanke, dass die Menschheit auf diesem Planeten sitzt, aus welchen Gründen auch immer, um die Sonne herum und mit ihr durchs Universum, aus völlig unverständlichen Gründen, wenn man das rein physikalische mal außer Acht lässt, scheint den meisten Menschen nicht zu genügen. Diese Menschen glauben dann meist aber auch, dass sie doch recht klug seien, obwohl der Spruch, ich weiß, dass ich nichts weiß, nun wirklich uralt ist und bis heute nicht widerlegt werden konnte. Es ist eigentlich nicht zu begreifen.
    Ja, Corona ist natürlich ein gefundenes Fressen, Wieso schickt der doch „gute“ Gott ein solches Virus und verhindert, dass sich die Gläubigen in den Kirchen versammeln, das muss doch etwas zu bedeuten haben. Und und und . Das ganze Spiel ist Jahrtausende alt, die alten Griechen waren da schon weiter, aber die Christen haben es total vermasselt. Wenn die Menschheit doch wenigstens an den Erhalt der Natur glauben würde, da hätte sie sich einen Gefallen getan, auch wenn es unterm Strich egal ist, was die Menschheit auf diesem Planeten treibt, ob sie das Leben auslöscht oder nicht, wen sollte es kümmern ?
    Mit diesen flotten Reden wünsche ich den Lesern des blog schöne Ostertage – immer schön Abstand halten !

  4. Ob mit oder ohne Teufel. Insbesondere das Alte Testament mit seinen archaischen Figuren, seinen Glaubensprüfungen oder Gehorsams- und Opferhandlungen sitzen noch tief in unserer „DNA“. Und dieser „allmächtige Gott“ …

    Die alten Griechen haben mir da mit der vielfältigen Götterwelt besser gefallen.

    Szenenwechsel: Heute einen klugen Satz von Ulrike Baureithel (der Freitag, 2. April, „Moderne Gefahren“)gelesen:

    „Wollen wir uns die Freiheit bewahren, so müssen wir Unsicherheit aushalten.“

    (dabei beschäftigt sich Baureithel mit der Aktualität von Ulrich Becks
    „Risikogesellschaft“ (2003).

  5. Sehr schön, wie sich alle Medien derzeit so rührend um das quasi fast ausgefallene Ostern kümmern. Ich persönlich bin 1992 aus der Kirche ausgetreten und gehöre seit 2000 der hiesigen buddhistischen Minderheit an. Und nur so nebenbei, es sind ja nicht nur die Kirchen geschlossen und am Vollmond des 9. Mai diesen Jahres ist Vesakh, der höchste buddhistische Feiertag. Aber nun konkret zum artikel. Sie schreiben „Die Seuche entmenschlicht das Sterben“. Nein, noch sind wir die Akteure unseres Handelns, die keine alternativen Trauerrituale entwickeln. Die Behörden, denen man fast unterstellen mag, dass sie Freude daran haben, endlich mal rigide Verbote aussprechen zu dürfen, agieren hier ebenso phantasielos wie die meisten Gesellschaftsmitglieder. Es ist ja übrigens auch das demonstrieren verboten, nicht aber das Schlange stehen vor der Eisdiele. Unsere Gesellschaft hat doch schon lange einen schrägen, verklemmten Blick auf den Tod. Der Tod, der ja letztendlich nun wirklich jeden ereilen wird, soll hierzulande ausschliesslich durch Konsum sublimiert werden, Leichen werden schon lange nicht mehr zu Hause aufgebahrt. Ein Leben ohne Tod aber ist nicht denkbar. Der eigenen Vergänglichkeit gedenken ist eine essentielle Praxis im Buddhismus, die dazu dient das Ego und die eigenen Anhaftungen aufzulösen. Selbst, wenn man im Christentum vom ewigen Leben spricht, ist doch auch das jüngste Gericht ein wichtiger Bestandteil der Lehre. Vielleicht sollte also auch die Mehrheitsgesellschaft dessen mal wieder gedenken, damit nach der Coronakrise nicht alle wieder in die alten Bahnen der Gier verfallen und wir nach diesen Erfahrungen, die wir allesamt gerade durchmachen, vielleicht in eine neue Gesellschaft starten können. Das wäre wünschenswert, dann würden diese ganzen Osterartikel auch einen gewissen Sinn ergeben.

  6. Von Anfang an gehört es zum Wesen von Ostern, für Überraschungen, große wie kleine, zu sorgen – auch zu Ostern 2020! Obwohl die Stadt Frankfurt angekündigt hatte, das Große Stadtgeläut an Ostersamstag nur im Internet erklingen zu lassen, haben viele Innenstadt-Kirchen dennoch ihre Glocken traditionell von 16. 30 bis 17 Uhr läuten lassen (Die Alte Nikolaikirche bildete offenbar eine der wenigen Ausnahmen).

    Freilich wirkte der Klang der Osterglocken – gerade in Zeiten von Corona – wohltuend, ja lebensbejahend! Und rief dabei Erinnerungen an den Glockenklang in der Osternacht in Goethes Faust hervor:

    Woher die holde Nachricht tönt;

    Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

    Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben…

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