Im Zusammenhang mit dem Gastbeitrag „Genossen, reißt die Fenster aus!“ (Online-Überschrift: „Agenda-2010-Komplex überwinden“) kamen verschiedene Zuschriften herein, die sich unter anderem kritisch mit der Person des Autors Michael Roth auseinandergesetzt haben. Roth ist seit 2015 Mitglied des Landesvorstands der hessischen SPD, seit Ende 2017 außerdem Mitglied des Bundesvorstandes, seit 1998 Bundestagsabgeordneter der SPD und seit Dezember 2013 Staatsminister bzw. parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Ein Fall von Ämter- und Postenhäufung, der bei einflussreichen Politikern nicht unüblich ist. Roth übt in seinem Gastbeitrag Selbstkritik an der SPD und sich, ruft zum „kreativen Streit“ auf, macht Vorschläge zur Kür von Kandidaten, die an das US-System der Vorwahlen angelehnt sind, und erteilt „langen programmatischen Schriften“ eine Absage. Stattdessen schreibt er: „Wir brauchen Leidenschaft im Reden und Handeln.“ Und: „Wir müssen endlich den posttraumatischen Agenda-2010-Komplex überwinden! Wir zerreden die Gegenwart und vertrödeln die Zukunft.“ Das sind ehrbare, bedenkenswerte Vorschläge und Ansätze, doch wie glaubwürdig ist so etwas, wenn es von jemandem kommt, der Teil des Establishments ist? Ist derjenige damit nicht eher ein Teil des Problems der Partei? Vertritt die überhaupt noch die Interessen der „kleinen Leute“, für die sie mal angetreten ist? Hat die SPD also nicht eigentlich ein ganz anderes Problem: ein Glaubwürdigkeitsproblem? Ein Problem, das sich auch in Gestalt des Begriffs „Funktionselite“ in der politischen Auseinandersetzung wiederfindet? Ein Gastbeitrag von Horst Trieflinger aus Frankfurt, hier in voller Länge (im Print-Leserforum gekürzte Wiedergabe).

Demokratisch bedenklich

Von Horst Trieflinger

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Offenbar ist Michael Roth zu selbstkritischem Nachdenken nicht fähig. Andernfalls hätte er zu der Einsicht kommen können oder sogar kommen müssen, dass seine Person mit ursächlich ist für den desolaten Zustand der SPD, wie dies die nachfolgenden Ausführungen belegen.

Roth ist nicht nur Mitglied im SPD-Bundesvorstand, sondern auch Mitglied im hessischen SPD-Landesvorstand. Außerdem dürften ihm diese Mitgliedschaften einige weitere Positionen für die SPD eingebracht haben. Seine gleichzeitige Mitgliedschaft im SPD-Bundesvorstand und im SPD-Landesvorstand ist nicht nur demokratisch bedenklich, sondern dürfte ihn daran gehindert haben, Kritik am Zustand der SPD im Bund und in Hessen zu üben. Roth wird als SPD-Bundesvorstandmitglied wohl kaum die Arbeit des SPD-Landesvorstandes kritisieren, weil er dort selber Mitglied ist. Ebenso wird er als Mitglied des hessischen SPD-Landesvorstandes Kritik am Bundevorstand unterlassen, weil er dort wiederum Mitglied ist.

Roth ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter und seit 2013 zusätzlich Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Seine beiden Funktionen sind aus mehreren Gründen zu kritisieren. Einerseits verstößt er damit möglicherweise gegen das Gebot der Gewaltentrennung, was Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz gebietet. Die Gewaltentrennung bedeutet, dass eine Person nicht in zwei Verfassungsorganen tätig sein darf. Andererseits verstößt Roth mit seiner Doppelfunktion gegen die soziale Gerechtigkeit, der seine Partei besonders verpflichtet sein will. Er bezieht Einkünfte aus zwei Tätigkeiten, die er vermutlich nicht sachgerecht ausüben kann, weil ihm die Zeit dazu fehlen dürfte. Offenbar ist ihm nicht bewusst, dass seine Einkünfte als Staatsminister den Tatbestand der ungerechtfertigten Bereicherung erfüllen könnten (§ 812 Bürgerliches Gesetz-buch). Ungerechtfertigte Bereicherung ist dann gegeben, wenn jemand auf Kosten eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erhält, in diesem Fall durch den Steuerzahler, obwohl er wegen des Gebotes der Gewaltentrennung nur Bundestagsabgeordneter sein dürfte. Es ist zu bezweifeln ob Roth dem Vorschlag seines Kollegen Florian Post zustimmen wird, wonach Abgeordnete nach einer bestimmten Anzahl von Perioden wieder ins normale Leben zurückkehren sollten („Frischzellenkur für  SPD gefordert„, FR vom 2.11.2018). Roth ist Abgeordneter seit fünf Perioden. Dies wäre gemäß Florian Post des Guten zu viel.

Angesichts des Wahldebakels der SPD bei der Bundestagswahl 2017 hätte Roth seiner Partei vorschlagen sollen, sämtliche Staatsminister abzuschaffen. Sie blähen den Staatsapparat unnötig auf und sind für jeden denkenden Menschen überflüssig. Sie dienen offenbar nur der Pfründenvergabe an Bundestagsabgeordnete und befriedigen deren Geltungssucht und Einkommensmaximierung. Ihm fehlte dazu wohl die Kraft wegen Eigennutzes.

Der Bund der Steuerzahler berichtet in seinem Internet-Auftritt, dass ein Staatsminister, auch parlamentarischer Staatssekretär genannt, aus seinen beiden Arbeitsplätzen als Bundestagsabgeordneter und als Staatsminister ein Monatseinkommen von mehr als € 20.000,- bezieht. Als weitere Kosten fallen je Staatsminister für den Steuerzahler rund € 300.000,– jährlich an für ein eingerichtetes Büro, Sekretariatspersonal, Dienstwagen und Fahrer. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Vollzeit verdient derzeit rund € 3.800,– im Monat. Herr Roth als Doppelverdiener muss sich angesichts der Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land fragen las-sen, ob er die kleinen Leute noch glaubhaft vertreten kann. Des Weiteren, ob er wegen seiner Doppelfunktion als SPD-Vorstandsmitglied und im Bundestag und in der Regierung noch die Zeit hat, die berechtigten Anliegen der Durchschnittsbürger(innen), z.B.  im persönlichen Ge-spräch, zur Kenntnis zu nehmen und für deren Interessen einzutreten.

Die Feststellung von Roth, dass die Idee der Sozialdemokratie nach wie vor populär ist, dürfte zutreffen. Sie wird aber von viel zu vielen hochrangigen SPD-Mitgliedern wie Roth vertreten, die durch ihr Verhalten diese Idee unglaubhaft verkörpern. Zwischen seinen Worten und seinem Handeln besteht eine tiefe Kluft.

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