Die Eliten wirken stilbildend, sind aber keine Vorbilder

Warum ist der Begriff „Gemeinwohl“ derart unter die Räder gekommen? Klingt er womöglich zu sehr nach Sozialismus? Nach Umverteilung? Oder nach politischer Korrektheit? Ist er einfach zu altmodisch in Zeiten, wo dauernd neue Denglizismen durchs Netz hüpfen? Gemeinwohl! Neulich schrieb ein Leser in einem Leserbrief, wir seien schon mal weiter gewesen; war’s unser Jürgen Malyssek? Es stimmt. Wir waren schon mal weiter. In der alten Bundesrepublik hatten Skandale noch Folgen. Heute erleben wir, dass ein Skandal wie der der Paradise Papers fast schulterzuckend aufgenommen wird: Was sollen wir machen? Oder dass ein Skandal wie der Dieselskandal keinerlei Konsequenzen hat. Wohlgemerkt: Das Management von Autokonzernen (nicht nur VW) hat betrogen. Unsere Eliten betrügen uns. Es geht ums Geld. Gemeinwohl? Es sind ja nur ein paar Tricksereien gewesen. Steuerhinterziehung? Na, sagen wir lieber Steuervermeidung!

Ich bin ein Fan des Gemeinwohls. Und um das gleich ein bisschen genauer zu definieren: ein Fan der austarierten sozialen Marktwirtschaft, die den sozialen Frieden als Gesellschaftsziel in den Mittelpunkt stellt. Wir hatten sie schon mal. Es war nicht alles perfekt, aber doch schon recht gut. Sie ist perdu. Heute haben wir eine Ellenbogengesellschaft, in der zwar niemand verhungern muss, da es Grundsicherung gibt, in der aber dennoch eine riesige Menge an sozialem Elend und sozialer Kälte existiert. Es gibt in dieser kalten Gesellschaft Solidarität und Hilfsbereitschaft, aber sie wird meistens privat organisiert, etwa wie im Herbst und Winter 2015, als die Flüchtlinge kamen, oder auch täglich in persönlichem, ehrenamtlichem Engagement bei den Tafeln, in den Flüchtlingsheimen, in der Sozialarbeit. Dabei ist die Sozialleistungsquote in Deutschland höher als im EU-Durchschnitt: 2016 lag der Anteil bei 29,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die EU insgesamt kommt auf 28,7 Prozent. Diese volkswirtschaftliche Kennziffer erfasst, wie viel von seiner wirtschaftlichen Leistung ein Staat in seine Sozialleistungen steckt. Das umfasst alles von der Rente bis zu Hartz IV. Über den Zustand des Gemeinwohls sagt sie dennoch wenig.

Mehr verrät uns, was man, vielleicht ein wenig leichtfertig, als „Stilfragen“ abqualifizieren könnte: persönliches Verhalten. Beispiele: Thomas Middelhoff, Klaus Zumwinkel, Uli Hoeneß, Georg Funke, Anton Schlecker, Paul Gauselmann, Curt Engelhorn, Martin Winterkorn. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Es finden sich darin verurteilte Straftäter, Steuerhinterzieher und auch solche, bei denen die Frage, ob ich von ihnen als Betrüger sprechen darf, noch juristisch geklärt werden muss. Sie alle eint, dass sie zur wirtschaftlichen Elite Deutschlands gehören. Einer wirtschaftlichen Elite, die stilbildend wirkt, die aber kein Vorbild mehr ist außer in Fragen der Selbstbereicherung. Die Übergänge zur politischen Elite sind fließend. Politiker wechseln in verantwortungsvolle wirtschaftliche Positionen und geben mit diesem Verhalten für jedermensch klar zu erkennen, dass der Glanz der Millionen Kröten sie anzieht. Promintestes Beispiel in letzter Zeit: Gerhard Schröder, jetzt Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Staatskonzerns Rosneft. Was für ein Unterschied zu seinem Parteigenossen Helmut Schmidt, der sich nach seiner politischen Karriere als Vortragsredner, Buchautor und Herausgeber betätigte. Der hatte noch Stil und war ein Vorbild.

Gemeinwohl! Spielt das Streben danach überhaupt noch eine Rolle? Es scheint niemanden von denen in verantwortlicher Positionen zu kümmern, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht, dass immer mehr Kinder in Armut aufwachsen, dass eine riesige Welle von Altersarmut auf dieses Land zurollt. Es scheint völlig egal zu sein, dass der Umgangston immer ruppiger wird, obwohl wir doch dringend mehr Empathie und Solidarität benötigen. Das Erstarken einer Partei wie der AfD ist ein weiterer Indikator dafür, dass etwas grundlegend schiefläuft.

Gemeinwohl heißt nicht, dass alles für alle gut läuft. Aber die Dinge sollten so geregelt sein, dass es so gut wie möglich läuft. Beispiel: Die Durchlässigkeit der sozialen Schichten sollte groß sein, so dass Talente es jederzeit von ganz unten schaffen können und so dass – Achtung! – Leistung sich wieder lohnt. Tatsächlich sind die Schichten heute aber undurchlässiger als noch nor zwanzig Jahren, und der Lebenserfolg, gemessen an Erfolg in Ausbildung und Beruf, hängt maßgeblich von der ökonomischen Herkunftssituation ab. Doch es scheint niemanden zu kümmern, dass dieses Land so schluddrig mit seiner einzigen echten Ressource umgeht, der Intelligenz seiner Menschen. Das ist nicht im Sinne des Gemeinwohls.

Ich könnte noch lange fortfahren, doch jetzt möchte ich das Feld zwei Leserbriefen überlassen, die mich bewogen haben, diese Debatte hier aufzumachen. Wir hatten vor kurzem eine Debatte über ein theoretisch immerhin denkbares, gewiss auch wünschenswertes linkes Projekt, angestoßen von einem Gastbeitrag der Grünen-Politikerin Antje Vollmer. In diesen Zusammenhang stelle ich diese Leserbriefe. Eine solche Allianz könnte zum Beispiel, wenn sie lösungsorientiert an die drängenden Fragen herangeht, zunächst eine Verständigung darüber versuchen, was an künftiger Entwicklung wünschenswert wäre, also: was Gemeinwohl eigentlich ist. Wäre das nicht lohnend?

fr-debatteVon den „Eliten“ kommt nix

„In der FR vom 8. November wurden im Wirtschaftsteil auf Seite 12 und 13 in vier interessanten Artikeln über „Tricksereien“ berichtet: „Die Lüge vom sauberen E-Auto“: Wie Autokonzerne ihre Strategie verfolgen; „Der Klimaforscher und seine Enkelin“: Wie Klimapolitik in USA betrieben wird; „Alles nur noch schlimmer“: Wie Krankenkassen auf Ärzte einwirken; „Paradise Papers erhöhen Druck“: Wie Schlupflöcher auf Immobiliendeals geschlossen werden sollen.
An diesen Beispielen sieht man wieder mal, was in unserer Gesellschaft möglich (üblich) ist. Diese Berichte sind natürlich für die „Wirtschaftslenker“ und „Eliten“ nicht erfreulich, dennoch kommt man mit diesen journalistischen Nadelstichen zurecht und freut sich und lacht sich ins Fäustchen, weil diese „Manipulationen“ nicht den Stellenwert haben, der ihnen eigentlich zusteht. Stattdessen konzentrieren sich „Volk“, „Presse“, „Parteien“ usw. auf das Thema „Flüchtlinge“, und es wird diesem Thema ein unendlich überhöhter und breiter Raum gegeben.
„Wir schaffen das!“ – warum nicht diese Losung aufnehmen für die Bekämpfung von Steuerflucht, Abgasmanipulation usw.? Wie gesagt, von den „Eliten“ kommt da nix, und das Volk ist auf „Flüchtlinge“ und z.B. auch auf „Sexismus“ fixiert. Es heißt ja, „Deutschland geht’s gut und ist ein reiches Land“; warum die Hierarchien und Gepflogenheiten (mit entsprechenden Skandalen) ändern?
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass die FR weiterhin neutral und sachlich berichtet und „alle“ Themen aufzeigt und kritisch anspricht.“

Bernd Loeffler, Frankfurt

fr-debatteAuf Besserung ist nicht zu hoffen

„Ich nehme Bezug auf den Leserbrief von Bernd Loeffler, der einige der Berichte über Skandale anspricht, die einem bei der Zeitungslektüre die Galle hochkommen ließen – skandalöse Tatsachen, die die politische Klasse nicht zu berühren scheinen, obwohl sie selbst (direkt oder durch Zulassen) dazu beigetragen hat. Es können hier nur ein paar Beispiele aus den vergangenen Tagen angesprochen werden:
Dazu gehören die Enthüllungen der „Paradise Papers“ über neu aufgedeckte Schlupflöcher in Steueroasen, die bewusst zur Vermeidung von Steuerzahlungen eingerichtet wurden. Hier geben sich Politiker nun entrüstet, die dabei mitgewirkt oder es nicht verhindert haben. Ein Riesenskandal, wenn man bedenkt, wie die Arbeitnehmer und normalen Steuerzahler dafür geschröpft werden! „Steuervermeidung“ – ein viel zu schwaches Wort!
Oder der Bericht über die noch gesteigerten Falschangaben von Spritverbrauchswerten. Wer nach Aufdeckung des Dieselskandals ein Umdenken bei der Autoindustrie erwartet hatte, wurde eines Schlechteren belehrt! Die Auto- und auch die Kohlelobby hat die Regierungs-handelnden soweit im Griff, dass man solche Betrügereien zulässt – für Alexander Dobrindt, bis vor kurzem Verkehrsminister und einer der schwächsten Minister überhaupt, war alles kein Grund zum Rücktritt. Er setzte doch genau das um, was ihm die Industrie vorgab.
Leser Loeffler lobt die FR dafür, dass sie neutral und sachlich berichtet und „alle“ Themen kritisch anspricht. Dem kann ich zwar grundsätzlich zustimmen, doch werden zum Teil auch in der FR verharmlosende Ausdrücke wie „Tricksereien“ beispielsweise in Zusammenhang mit falschen und manipulierten Abgaswerten verwendet. Es handelt sich doch um Betrug, nicht nur an den Autobesitzern, sondern auch am Staat (entgangene Steuereinnahmen), und die Umwelt muss es ausbaden!
Es gibt noch viel mehr Unglaubliches, was von „Staatsdienern“ zugelassen oder befördert wird, die damit ihren Amtseid verletzen (dem Volke zu dienen). Es kommt einem doch das kalte Kotzen (sorry!), wenn man liest, dass die hessische CDU Roland Koch mit der Leuschner-Medaille „ehren“ will. Roland Koch, diesen widerlichsten Politiker, denn es je in Hessen gegeben hat, den Lügner und Betrüger (z.B. schwarze Kassen für illegale Partei-spenden), den knallharten neoliberalen Abbauer des Sozialstaats usw. – das macht einen doch nur noch sprachlos!
Weiter, nur in Stichworten: Das Abbremsen der Energiewende durch die GroKo, kaum verminderter CO2-Ausstoß (unwirksame CO2-Zertifikate bis mindestens 2020) sowie Verhinderung rascher Stilllegung wenigstens der dreckigsten Kohlekraftwerke. Die Kanzlerin selbst schämt sich nicht, wenn die von ihr verkündeten Klimaziele nun verfehlt werden.
All dies kann ich nur mit dem Zitat zusammenfassen: „So viel kann ich gar nicht essen, wie ich kotzen möchte!“ Auf Besserung ist derzeit nicht zu hoffen!

Winfried Kallabis, Dieburg

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24 Kommentare zu “Die Eliten wirken stilbildend, sind aber keine Vorbilder

  1. Angesichts dessen, dass mit dem Begriff des Sozialen nonstop Nonsens produziert wird („Sozial ist, was Arbeit schafft!“) anstatt ihn entsprechend seiner natürlichen Gegebenheit näher zu bestimmen, bleibt auch das, was unter Gemeinwohl zu verstehen ist, weitgehend vage. So konnte in der jüngsten Vergangenheit ein Bundeswirtschaftsminister seine kartellrechtliche Erlaubnis zur Fusion zweier Einzelhändler zunächst mit leichter Hand mit dem Gemeinwohl begründen, bis ihn schließlich ein Gericht in die Schranken wies. Es nimmt daher nicht wunder, dass noch immer zu großen Teilen keine Erkenntnisse dazu vorliegen, was eigentlich das Soziale an der vielgerühmten sozialen Marktwirtschaft ist, auf die sich sogar jüngst die Jamaika-Unterhändler beriefen.

  2. Ich wehre mich dagegen, diese Leute als „Elite“ zu bezeichnen. Die Definition des Duden für das Wort „Elite“ lautet: „Auslese der Besten“. Aber von wem reden wir hier? Z.B. von einem mittelmäßigen Typen, der als junger Mensch mal gut kicken konnte, dann als Obervereinsmeier und Wurstfabrikant glänzte, bis er seiner Zockerleidenschaft erlag und in den Knast wanderte. Auslese der Besten, dass ich nicht lache! Menschen, die durch Beziehungen, Klüngelwirtschaft oder Erbschaft oft nur zufällig nach oben katapultiert werden und ihre Aufgabe zum Teil so schlecht erledigen, dass sie Firmen und deren Beschäftigte oder Kleinanleger in den Ruin treiben. Oder skrupellose Verbrecher, die sich mit Lug und Trug ein riesiges Vermögen zusammenraffen, für das sie nicht einmal Steuern bezahlen. Das ist keine Elite, denn dazu gehört moralische Integrität, das dagegen sind trübe Sumpfblüten.
    Die wahre Elite bildet sich aus großen Geistern, die dem Menschen dienliche Leisungen erbringen und über der primitiven Jagd nach dem Geld stehen. Diese Menschen gibt es, ohne Frage, aber die setzen auf Bescheidenheit, wie sich das für wahre Größe gehört, und haben ein Gefühl für Maß und Anstand.

  3. Mal langsam, Herr Flessner, Sie können doch nicht ernsthaft bei der Aufzählung der Elitenträger von Einzelfällen reden und damit die Probleme des verschwindenden Gemeinwohls und des sozialen Ausgleichs in der Gesellschaft bagatellisieren oder an der Richtigkeit dieser verheerenden Entwicklung Ihre Fragzeichen setzen?!
    Wir müssen hier nicht den Begriff Gemeinwohl durchdeklinieren, um nachzuweisen, worum es hier bei der Raffgier der Eliten geht und welchen sozialen Schaden dies in der bereits gespaltenen Gesellschaft anrichtet.

    Wir, die meist älteren Zeitgenossen der Diskurse hier, wissen ganz genau, dass es sowas wie die soziale Marktwirtschaft und es im Großen und Ganzen eine Lohngerechtigkeit mal gab. Sonst hätten alle (?) von uns jetzt nicht eine Rente, von der man passabel – oder bei dem Einen oder anderen – sogar prächtig leben kann.

    Es ist doch grausam, wenn man sich die Rentenhöhe von Bürgerinnen und Bürgern schon heute und in Zukunft anschaut, mit der diese noch nicht einmal ihre Miete mehr mit eigenen Kräften zahlen können.

    Natürlich sind die Hoenesse, Zumwinkels, Schröders, Middeldorfs, Maschmeyers, Hartzens, Winterkorns oder Schleckers ein Affront, ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die inzwischen drei bis vier Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen oder die von den Jobcentern bis ins Mark gedemütigt werden oder denen, die mit der Angst im Nacken auf den nächsten Arbeitsplatzverlust warten, weil schon wieder eine Betriebsschließung droht, nur weil die Manager, Bosse und Konzernchefs den Rachen nicht voll genug kriegen können.

    „Unsere Eliten betrügen uns“. Ja sicher, was denn sonst?

  4. @Jürgen Malyssek
    Ich habe geschrieben, dass mich die Form des Arguments nicht überzeugt. Sie antworten zum Inhalt.
    Wenn es heissen würde «Ein Teil der Eliten betrügt uns.», wäre das in Ordnung. Aber hier wir eine All-Aussage gemacht. All-Aussagen müssen aber, damit sie überzeugend sind, gut begründet werden. Beweisen kann man sie aus erkenntnistheoretischen Gründen sowieso nicht. Eine Aufzählung von 8 Einzelfällen reicht mir als Begründung nicht aus.
    Wenn jemand aus der Straffälligkeit von acht Flüchtlingen den Schluss ziehen würde, dass alle Flüchtlinge Straftäter sind, würden Sie ja auch zu Recht protestieren.
    Alle 8 aufgezählten Personen sind männliche Manager, die sich strafbar gemacht haben. Wenn daraus geschlossen werden darf, dass die Elite aus Straftätern besteht, dann darf auch daraus geschlossen werden, dass sie männlich ist. Frau Ernst wäre damit zu Recht nicht einverstanden.
    Man kann argumentieren, dass die Form nicht wichtig ist, sondern nur der Inhalt. Ich sehe das nicht so.
    Eine Analyse der Denkmuster kann einem z. B. erklären, warum manche Linksextremisten (Mahler) ohne grosse Probleme zu Rechtsextremisten werden können.

  5. @Brigitte Ernst
    Ich stimme Ihnen voll zu.
    Der Begriff der Elite ist doch sehr schwammig. Ralf Dahrendorf zählte ein Prozent der Bevölkerung zur Elite. Das wären ca. 800’000 Menschen. Dann gehören einige von uns hier sicherlich auch dazu. Die Chefredaktion der FR würde ich dazu zählen.

  6. Um die Vergehen, geschweige denn die Verbrechen einer vermeintlich bloß auf den eigenen Vorteil erpichten Elite kritisieren zu können, bedarf es kategorial einer äußerst trennscharfen Bestimmung dessen, was dem Wohl aller dient und was dem Gemeinwohl frontal zuwider läuft. Ohne eine Erkundung der von Natur aus gegebenen Voraussetzungen bleibt es demnach von vornherein unmöglich, entsprechende Erkenntnisse zum sozialen Wesen des Menschen zu gewinnen. Solch ein Unterfangen stellt jedoch die allerhöchsten Anforderungen. Schon Adorno verwies in seiner letzten Vorlesung vor seinem Tod darauf, dass „man … sich genau überlegen (muß), auf welche Weise man die Erkenntnisziele, die man sich gesetzt hat, am besten erreichen kann, und muß dabei selbstverständlich auch, wenn man nicht entweder den Nordpol noch einmal entdecken oder im Polareis erfrieren will, (sich) der bereits in einem solchen Zusammenhang vorhandenen Techniken bedienen“ (Adorno, 1993: 125). Weil derzeit kaum noch welche von den an sich dazu befähigten Forschern sich diesen geradezu inhumanen Strapazen unterziehen möchten, genießen auch künftig die mitunter selbsternannten Eliten gleichsam Narrenfreiheit. Für die weitere Diskussion hier im Blog schlage ich deshalb vor, notwendig Ansatzpunkte für den Bruch mit den gegenwärtig zunehmend pervertierten Verhältnissen ausfindig zu machen.

  7. @ Brigitte Ernst

    „Die wahre Elite bildet sich aus großen Geistern …“

    Das sehe ich im Prinzip genauso. Wenn es hilfreich ist, nennen Sie Elite, so wie ich sie hier meine, meinetwegen Geldelite oder Wirtschaftselite. Es handelt sich jedenfalls um die tonangebende soziale Schicht, sogar global gesehen. Von der „wahren Elite“, wie Sie sich meinen, ist praktisch nichts zu sehen oder zu hören. Es gibt natürlich ein paar Leute wie Ai Weiwei und Malala Yousafzi, auf nationaler Ebene bei uns vielleicht Richard David Precht, aber dann hört es auch schon bald auf.

    @ Henning Flessner

    „Ich bin nicht überzeugt.“

    Aber das macht doch nichts. Fangen wir einfach noch mal von vorn an. Sie sagen, es werde von Einzelfällen auf ein Ganzes geschlossen. Das Gegenteil ist der Fall. Die verurteilten deutschen Manager sind nur die Spitze des Eisberges. Das Problem mit dieser Elite ist global und umfassend. Das zeigen die Panama Papers und die Paradise Papers. Ökonomen beziffern das weltweite Steuervolumen, das durch Praktiken wie den in den Panama Papers öffentlich gewordenen verloren geht, auf 150 Milliarden Euro (170 Milliarden Dollar) jährlich (Wikipedia). Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) schätzte im Zusammenhang mit den Paradise Papers, dass allein Deutschland jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro aufgrund illegaler Finanztransaktionen verloren gehen (Wikipedia). Daher sage ich ganz leicht zugespitzt: Unsere Eliten betrügen uns. Das heißt nicht, dass alle Mitglieder dieser Schicht sich so verhalten. Es gibt durchaus echte Vorbilder (z.B. Wolfgang Grupp von Trigema), aber die wirken nicht stilbildend. Andere Mitglieder dieser Schicht, die aus anderen Gründen Vorbilder sind, Leute wie Franz Beckenbauer, Michael Schumacher, Sebastian Vettel usw., haben ihre Wohnsitze im Ausland, um Steuern zu sparen. Vorbildlich, nicht wahr? Oder Lewis Hamilton, amtierender Formel-1-Weltmeister, der Steuern spart, indem er seinen Privatjet von einer Firma kaufen lässt, die auf der Isle of Man angesiedelt ist und daher bestimmte Steuern auf den Jet nicht zahlen muss, die dort nicht erhoben werden. Von dieser Firma least er den eigenen Jet. Das alles ist legal. Vielleicht ist es auch legitim. Jedenfalls ist es vorbildlich – aber nicht im Sinne des Gemeinwohls. Das ist der Punkt, um den es hier geht, lieber Herr Flessner.

  8. @ Henning Flessner

    Sie haben recht, die All-Aussage ist nicht ganz korrekt. Sie wissen bestimmt, wie ich es meine. Natürlich gehören die hier aufgezählten Personen zur teils kriminellen Elite. Die „Elite“ als solche in Bausch und Bogen zu verdammen, das ist nicht meine Absicht.

    Aber wir reden hier ja auch von der Zerstörung der Solidarität und des Gemeinwohls (wörtlich gemeint)in der auf Hochtouren laufenden Leistungsgesellschaft, die mit großer Rücksichtslosigkeit der machtbesessenen Konzerne und ihrer Macher immer mehr Menschen ins Abseits drängt (siehe neues Beispiel: Siemens in Görlitz, Erfurt und Leipzig).

    „Wir waren schon mal weiter“, das habe ich unlängst so gesagt. Das ist ernst gemeint.
    Die „Eliten“ der Wirtschaft haben uns und auch die Mehrzahl der Politiker (es gibt ja auch eine politische Elite) fest im Griff.
    Inzwischen auch und besonders die Konzerne der Digitalisierung und Robotisierung. Sie beherrschen den Markt und damit auch das Konsumentenverhalten.

    Ich will, was Ihre Anmerkung betrifft, sicher nicht Form und Inhalt auseinanderreißen. Will aber auch nicht einen streng wissenschaftlichen Diskurs, sondern so gut es geht, meine Meinung zum Ausdruck bringen.

    Bronski fragt oben im Vorspann: Spielt das Streben nach Gemeinwohl noch eine Rolle?
    Darauf gibt es heute viele Wahrnehmungen, Erfahrungen und Beschreibungen, die einen wachsamen Bürger erschrecken müssten.

  9. Was sich mit Gewissheit zur inzwischen sträflich vernachlässigten Frage des Gemeinwohls sagen lässt, ist, dass das Erarbeiten von Lösungen für Probleme, die dem Menschen unmittelbar ans Leben gehen, sowie die Befriedigung dementsprechender Bedürfnisse für weite Teile der Bevölkerung Europas zwar kaum noch von Interesse ist. Mehr über kurz als lang schlagen aber unter Garantie die gesellschaftlichen Verhältnisse auf diejenigen Kreise zurück, die sich solch eines Versäumnisses schuldig gemacht haben. Insofern könnte es einfältiger nicht sein, wenn insbesondere die Wirtschaftseliten sich lediglich darin gefallen, ungeheure Reichtümer anzuhäufen und dabei vergessen, dass jene umso rascher an Wert verlieren, je mehr der Problemdruck zum Erhalt und zur Weiterentwicklung einer modernen Industriegesellschaft wie der hiesigen ins Unerträgliche hinein eskaliert. Eine grundlegende Änderung des Stils, der sich nicht bloß in schierer Selbstzerstörung erschöpft, tut demnach mehr als Not, falls der Begriff nicht vollends ad absurdum geführt werden soll.

  10. @ Bronski
    Na, da sind Sie aber pessimistisch! Ganze 3 Leute zählen Sie zur wahren Elite?? Also da kann ich doch zum Glück einige mehr nennen: kritische Geister, kluge Menschen, humane Menschen – denen es nicht nur um Gewinnmaximierung und Außendarstellung geht – auch wenn sie durchaus natürlich öffentlich tätig sind. gibt auch andere, die nicht öffentlich tätig sind und die in den Nahbereichen bleiben.
    Ich zähle z.B. den geläuterten Heiner Geißler dazu, dann sogar Norbert Blüm und Jürgen Todenhöfer (erstaunlicherweise alles CDU-Leute – aber eben alt und weise geworden), selbst als Nichtkirchenmitglied kann ich Frau Käßmann anerkennen. Dann z.B. Harald Welzer mit seinem Futur 2; Claus Leggewie, den großen alten Schweizer Jean Ziegler, Rüdiger Nehberg, Rupert Neudeck, Bernd Hontschick…………….
    es gibt zum Glück tolle Leute , die ich deutlich lieber zur Elite zähle als Herrn Middelhoff, Herrn Piech u.a.

  11. @ Barbara Eilers

    Einvertanden: Harald Welzer, Jean Ziegler, Rupert Neudeck, Jürgen Todenhöfer u.a. sind auch zu nennen.

  12. Zunächst muss man festhalten: Gemeinwohl ist keine direkte betriebswirtschaftliche Größe. Das Gemeinwesen ebenso wenig. Gemeinwohl und Gemeinwesen sind für mich wie die zwei Seiten einer Medaille oder – wie Wikipedia formuliert – bezeichnet Gemeinwohl das Wohl des Gemeinwesens. Und beeinflusst mittel- und langfristig auch den betriebswirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Tatsächlich findet man in „failed states“ keine international erfolgreichen Unternehmen. Trotzdem zieren sich Besitzer größer Vermögen erkennbar, ihren Beitrag zum Gemeinwohl und Gemeinwesen im angemessenen Umfang zu leisten, obwohl sie durch dessen Nutzung und Verbrauch (Forschung, Bildung, Infrastruktur, Rechtssicherheit, Polizei, Feuerwehr, Umwelt, u. a.) die größten Profiteure sind. Der „schlanke Staat“ als die kostengünstige Variante des Gemeinwesens ist daher nicht zufällig eine Erfindung von bezahlten Think-Tanks wie der INSM oder finanziell sehr gut ausgestatteter so wie steuerbegünstigter Einrichtungen wie der „Stiftung Familienunternehmen“ und der „Bertelsmann-Stiftung“. Je schlanker der Staat, desto geringer sind die Kosten oder eben Steuern, die von der Geldelite zu entrichten sind. So die rein betriebswirtschaftliche Betrachtung.

    Gemeinwohl und Steueroasen könnte man – um ein Bild aus dem Tierreich zu wählen – als „Fress-Feinde“ verstehen. Was dem Gemeinwohl mit Hilfe unterschiedlicher Wege vorenthalten wird, landet im großen Stil offshore, in privaten Assets oder im Kleinen in der „Schwarzgeldbörse“. Das Besondere ist, Steueroasen entstehen nicht durch korrupte Regime – sie sind das Ergebnis des Nichtstuns und/ oder Wegschauens unserer westlichen Regierungen – der gewählten Geschäftsführer unserer Gemeinwesen. Wie eng die Kooperationsbeziehungen zwischen der Finanzindustrie, dem Gesetzgeber und der Aufsichtsbehörden sind, zeigen ehemalige und aktuelle Zentralbanker, die zuvor bei Goldman Sachs oder anderen internationalen Instituten gearbeitet haben oder dort irgendwann wieder tätig werden. Eine Drehtür der Macht und Kontrolle für die weltweit tätige Geldelite. Sie ist es, die den Gemeinwesen überall durch Steuervermeidung, Steuerbetrug und entsprechende Gesetzgebung (siehe Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland, das „Niederlandmodell“, den Luxemburg-Deal) Haushaltsmittel für Investitionen und Personal (auch für Steuerbehörden) entzieht. In der Folge unterbleiben Betriebsprüfungen, fehlen Fachstäbe zur qualifizierten Bewertung der Aktivitäten der Finanzbranche, werden Gesetze nicht umgesetzt, auf die lange Bank geschoben oder gleich so formuliert, dass viele Formen steuerlicher Privilegien mit großen wirtschaftlichen Schäden für unser Gemeinwesen entstehen.

    Die „schwarze Null“ muss auf diesem Hintergrund als die beabsichtigte, permanente Staatsverschlankung durch die Vertreter der Geldelite verstanden werden mit der Folge chronisch unterfinanzierter Bereiche, fehlender Investitionen und fortwährender Not in vielen Ländern und Gemeinden. Würde ich aufzählen, wo es überall brennt und welche Personalmissstände neben Lehrern, Polizisten, Richtern, Staatsanwälten, Fachkräften für Bauwesen, Wirtschaft und Finanzen Probleme und Folgekosten verursachen, wäre ich mit einer Seite lange nicht fertig.

    In die Zange genommen werden Gemeinwohl und Gemeinwesen noch von einer weiteren Seite, den Privatisierungen öffentlicher Güter und Dienstleistungen. Damit verfolgen die Akteure zwei Ziele: Zum einen gelingt es mit Privatisierungen neue, für Investoren attraktive „Rentenmodelle“ aus öffentlich finanzierten Gütern zu generieren, zum anderen wird das Gemeinwohl betriebswirtschaftlich ausgerichtet und damit anderen Zwecken – in erster Linie der Rendite – unterworfen. Am Beispiel zahlreicher Krankenhausprivatisierungen (z. B. UK Gießen-Marburg) zeigen sich die Folgen für Patienten durch gravierende Versorgungsmängel und beim Pflegepersonal durch erhebliche Mehrbelastungen bei miserabler Bezahlung.

    Wie der Einfluss der Superreichen in Deutschland genutzt wird, zeigt die „Stiftung Familienunter-nehmen“. Klingt doch richtig familiär oder? Tatsächlich sind kleine Familienunternehmen so gut wie nicht vertreten. Im Kuratorium sitzen internationale Holdings und Großunternehmen. Es finden sich – wenn man von Familien sprechen möchte – die Familien Quandt, Haniel, Henkel, Metzler (Bank), Kohl (Pharma) und – neben vielen weiteren Großindustriellen – u. a. die Unternehmensgruppe Theo Müller (Lebensmittel), einer Holding in Luxemburg mit 27000 Mitarbeitern in zahlreichen Ländern. So ganz familiär also doch nicht, sondern man könnte eher von deutschen Oligarchen sprechen. Und was treibt die in der Stiftung versammelten um? Das Märchen von der in den Ruin treibenden Erbschaftssteuer. Dafür bilden sie Kooperationen mit der Süddeutschen Zeitung, der Welt und deren Leitartiklern und mit Wirtschaftswissenschaftlern wie Sinn, um Entscheidungen zu ihren Gunsten zu erreichen. Bestens vernetzt und höchst effektiv, aber eben auch „extraktiv“, wenn es um unser Gemeinwohl und das Gemeinwesen geht. Letzteres wird als Dienstleister der Industrie angesehen, soll aber nach Möglichkeit wenig kosten. Demografisch haben „die Bürger“ zwar eine Mehrheit – natürlich auch bei Wahlen – aber ihnen fehlen die Netzwerke, Wissenschaftler, Stiftungen, Multiplikatoren, Medien und der durch nahezu unbegrenzte Geldmittel mögliche Einfluss, um bei den politischen Entscheidern zu Steuern und dergleichen wirklich gehört zu werden. Wie nah Milliardäre der Politik sind und sie für ihre Zwecke instrumentalisieren, gestand vor einiger Zeit ganz offen Jewtuschenkow, ein russischer Oligarch, als er darauf hinwies, innerhalb von 15 Minuten beim luxemburgischen Premier einen Termin zu bekommen (zitiert nach H. J. Krys-manzki, 2012, S. 152 f). Ich bin mir sicher, für unsere Milliardäre und Superreiche gilt das genauso. Natürlich auch für Zuckerberg oder Bezos. Und das Gemeinwohl wird dabei in den seltensten Fällen Thema sein.

    Es sei denn, es geht um Mäzenatentum, um steueroptimierten Einfluss auf Kultur, Sport und Gemeinwesen nach eigenem Gusto. Da ist der „Who is Who“ der Wirtschaft durchaus breit aufgestellt. Der Nachteil: Es ist ein nicht demokratisch kontrollierter Teil persönlicher Zuwendungen und er liegt immer unter den Grenzsteuersätzen der im Normalfall zu zahlenden Kapitalertrags-, Körperschafts-, Gewerbe- und Einkommenssteuer. Philanthropie erscheint somit eher die „private Steuerung (eigentlich Verf.) öffentlicher Mittel“ wie Krysmanski feststellt.

    Für Herrn Flessner: Es gibt auch unter deutschen Oligarchen Ausnahmen von der Regel. Dazu gehören der Versandhändler Michael Otto, der Immobilienverwalter Josef Rick oder der Hörgerätehersteller Martin Kind. Allerdings sind es nur sehr wenige, die sich für mehr Steuern auf Vermögen und Einkommen aussprechen. Aufgrund ihrer geringen Zahl sind sie leider für die Geldelite in Deutschland definitiv nicht stilbildend, sondern bestenfalls wohlwollende Ausnahmen.

  13. In der Diskussion hier im Blog der Frankfurter Rundschau sollte tunlichst vermieden werden, „das dem Einzelnen widerfahrene Unrecht, welches im gesamtgesellschaftlichen Verhältnis wurzelt, … nicht dort auf(zu)such(en), sondern bei den nächst greifbaren Personen“, wie Michael Schumann anlässlich der XV. ordentlichen Delegiertenkonferenz des SDS am 1./2. Oktober 1960 in Frankfurt am Main längst kritisierte. Ansonsten wandelt sich die Auseinandersetzung zur Frage, welche Bedeutung das Gemeinwohl künftig noch hat, unter der Hand in eine Auslassung Ewiggestriger, die sich schon immer in einer Personalisierung des Bestehenden gefielen und die Grundstruktur einer modernen Gesellschaft dadurch um des eigenen Vorteils willen ausklammern.

  14. @ Herrn Rath: die nächst greifbaren Personen sind erschreckender Weise ja oft die nächst Schwächeren, die vermeintlich die direkte Konkurrenz um die knappen Ressourcen darstellen.
    Zum Thema Gemeinwohl hat gerade Uwe Jean Heuser ein Buch geschrieben: Kapitalismus inklusive. Untertitel: Wie das Gemeinwohl stärken? Bin sehr gespannt. Ich habe dazu einInterview mit ihm bei Deutschlandradio Kultur gehört

  15. @ Barbara Eilers
    Auch in dem von Ihnen angeführten Fall entledigen sich Dritte des Zentralbegriffs der Soziologie als dem „logos von der societas“ (Adorno) gewaltsam. Realiter ist das zwar nicht möglich, weil der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen ist und daher von Geburt an unveräußerlich im Besitz aller Soziologie bleibt. Aber die dadurch erzeugte Fiktion relativiert diese Erkenntnis und dient insofern vor allem dazu, die Gesellschaft zu zerstören, um an ihre Stelle eine andere zu setzen, deren Gesetzgeber und Machthaber sie selbst sind.

  16. Habe jetzt erst den Blog aus gegebenem Anlass (s. Titel) gelesen, da ich mich normalerweise in Printmedien, aber nicht im Blog bewege. Ich stelle fest, dass fast alle Kommentare und Argumente von meiner Sicht nicht sehr abweichen und ich mich großenteils darin wiederfinde. Ich störe mich ebenfalls daran, dass das Wort Elite angewendet wird auf die Mächtigen in Politik und Wirtschaft, also Menschen, die überwiegend zum eigenen Vorteil und im Interesse ihrer eigenen Kaste agieren. Es geht um den Skandal, dass so viele aus dieser Schicht das Gemeinwohl missachten und dadurch die soziale Schere immer weiter aufgeht. Man sollte das Wort immer nur „Elite“ (in Anführungszeichen) schreiben.

    Wenig hilfreich finde ich die Diskussion, wie genau (auf möglicherweise hohem philosophischem Niveau – Stichwort Adorno) ein Begriff wie Gemeinwohl zu definieren wäre, sondern es geht doch darum, diesen Skandal immer wieder anzuprangern, besonders in den konkreten Fällen, wie beispielsweise dem Verhalten von Dobrindt. Es geht doch darum, Wege zu suchen, wieder dahin zu kommen, wo wir früher schon einmal waren: In einer (einigermaßen) sozialen Marktwirtschaft. Ich stimme dem zu, dass wir da früher viel weiter waren. Es müsste bei jedem aufgedeckten Fehlverhalten oder neuen Skandal ein Aufschrei durchs Land gehen! Passiert aber nicht – warum, frage ich mich?

  17. @ Winfried Kallabis

    Sie haben es mir leicht gemacht, Ja zu Ihren Ausführungen zu sagen: Sowohl zum Wort „Elite“ als auch zu: „… geht es doch darum, diesen Skandal immer wieder anzuprangern …“
    Vielleicht ist es nicht nur Skandal + Aufschrei, sondern eine Haltung des kontinuierlichen Widerstandes und der Einmischung.

  18. @ Winfried Kallabis

    Mir liegt es überaus fern, wie auch immer zu definieren, wie Sie schreiben, was das Gemeinwohl sein könnte. Stattdessen plädiere ich lediglich dafür, eine moderne Gesellschaft in ihrer empirisch stets vollständigen Wirklichkeit wenigstens zur Kenntnis zu nehmen und dabei zu bedenken, dass das weitaus meiste davon nicht von Menschenhand gemacht, sondern längst von Natur aus gegeben ist und bloß darauf wartet, endlich entschlüsselt zu werden. Ich bitte deshalb darum, mir den dementsprechend notwendigen Zugang nicht zu versperren.

  19. Wir müssen uns die Frage stellen, wie konnte es dazu kommen, dass eine Mehrheit der Geldelite sich heute offenbar teilweise anders verhält, als in früheren Zeiten. Während Ende des 19. Jahrhunderts große Unternehmen in Deutschland, Krupp in Essen, Haniel in Oberhausen und Duisburg, Zechenbarone im Ruhrgebiet, die Gerresheimer Glashüttenwerke in Düsseldorf oder Siemens in Berlin und viele andere Wohnungen für ihre Arbeiter bauen ließen, erleben wir heute ein wachsendes Desinteresse bei sehr vielen Unternehmern, sich für die Infrastruktur eines Landes finanziell zu engagieren. Nicht, dass für Beschäftigte früher das Paradies auf Erden gewesen wäre. Löhne mussten mit Streiks – oft blutig – erkämpft werden. Die Arbeit war hart, es gab kaum Arbeits- und Gesundheitsschutz, einen 12 Stunden-Tag, nur Hungerrenten und es fehlte lange eine Arbeitslosenversicherung.

    Und heute? Ein Rückblick lohnt. Standortfragen werden seit einiger Zeit mit harten Forderungen an Kommunen, Ländern und nationale Regierungen verknüpft, um das beste Angebot herauszuschlagen, Steuersenkungen, Landschenkungen, günstige Kreditlinien oder Kostenbeteiligungen des Gemeinwesens inklusive, wenn große Unternehmern irgendwo Niederlassungen planen. Dass im reichen Deutschland ein Niedriglohnsektor und in manchen Branchen Arbeitsverhältnisse des 19. Jahrhunderts erneut durchgesetzt wurden, gehört auch dazu.

    Die Deutschland-AG verhielt sich bis in die 70er Jahre kaum anders als die großen Industriekapitäne vor und nach dem ersten Weltkrieg. Die augenfälligste Veränderung begann mit der Liberalisierung der Kapitalmärkte in den 80er und 90er Jahren. Mit hohem Tempo nahmen dabei die internationalen Kapitalströme zu, begleitet in Deutschland von der Übernahme US-amerikanischer Standards im Aktienrecht. So entfiel das Mehrfachstimmrecht von Aktien, die Übernahmen erschwerten oder die Möglichkeit, „Stille Reserven“ längere Zeit zu halten. Damit wurden auch Dax-Unternehmen zunehmend attraktiv für ausländische Investoren. Gesetzliche Regelungen des Investmentförderungsgesetzes und die Freistellung von Veräußerungsgewinnen beflügelte dazu Hedgefonds und Private Equity Fonds, deutsche Unternehmen aufzukaufen und weiter zu veräußern. So kamen die Heuschrecken ab 2004 ins Land…

    Von nun an hatte der internationale Investor Vorrang, Renditeziele wurden oberste Priorität, Druck auf die Löhne und den Standort waren die Folge, internationale Konkurrenz, Konzentration auf das „Kerngeschäft“ und „Vergütungsvariabilität“ der Manager durch neue Anreizsysteme halfen, die Führungskräfte der Wirtschaft ausschließlich auf Renditeziele einzuschwören (Sponsoring und „Giving Pledge-Strategien“ werden natürlich als Kommunikationsinstrumente genutzt, um das Image aufzuhübschen). Transnationale Unternehmen und internationale Investoren wurden noch dazu in den letzten Jahrzehnten so groß (u. a. Blackrock), dass sie sogar einzelne Staaten herausfordern können. Mit den gesetzlichen Regelungen in Deutschland wurde die Politik zum Erfüllungsgehilfen des internationalen Finanzmarktes. Das Gemeinwesen und natürlich auch das Gemeinwohl, gebunden an staatliche Grenzen, leiden darunter. Eine der zentralen Fragen unserer Zeit wird sein, die Handlungsfähigkeit der Gemeinwesen zurückzugewinnen, es wird nicht leicht sein….

  20. Ein Nachtrag:
    Während die frühere Geldelite sich nationalstaatlich orientierte und dem Gemeinwesen auch zur Durchsetzung eigener Interessen verpflichtet sah, ist mit dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und der Internationalisierung von Unternehmen und Investoren dieser Blickwinkel schlicht veraltet. Was schert große Versicherer, BMW-Hauptaktionäre, Manager von Pensionsfonds oder den „Karstadt-Retter“ Berggruen unser Gemeinwohl? Sie alle sind international aufgestellt, wie es heute so schön heißt. Deutschland ist eine Luxusimmobilie, ein „Hotel mit Höchstpreisen“, Grund und Boden, also teuer. Arbeitskräfte und Infrastruktur gibt es nebenan bereits zum halben Preis. Notfalls lässt man Arbeitsmigranten sogar hierher karren und zahlt trotzdem die Löhne der östlichen EU-Staaten, solange keine vernünftige Entsenderichtlinie der EU existiert.

    Die neue stilbildende Attitüde heißt „allumfassender Wettbewerb“ – jedes Land gegen jedes andere, jeder Konzernteil gegen jeden anderen, Siemens Ost gegen Siemens West, VW Leipzig gegen irgendwo. Originellerweise nennt VW seine Zukunftsstrategie „Together“. Ein netter Euphemismus. Oder anders: Gute Camouflage war immer schon viel Wert.

    Wenn die ganz großen Vermögensbesitzer diesen Weg vorgeben, findet er sich auch in den stilbildenden Medien von RTL bis zu den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern. Der Wettbewerb bekommt überall Raum und Sendezeit; Big Brother, Talentshows, Deutschlands Next Top-Model. Sie sind der Spiegel, in denen sich die Glücklichen bewundern dürfen, emotional wunderbar orchestriert mit tränenreichen Abschieden der Verlierer und strengen Schiedsrichtern, die über allem thronen und über Sieg oder Niederlage entscheiden.

    Im Sport werden heute üble Fouls an Gegnern als cleverer Trick konnotiert. Michael Schumacher war nicht einmal der erste, der das Abschießen von Konkurrenten auf der Rennstrecke hoffähig machte, aber er tat es am häufigsten. „Miteinander“ ist mega-out, Erfolge sind durch nichts zu ersetzen. Ein Formel 1-Rennfahrer wie Mike Hailwood, der stoppte, um Clay Regazzoni 1973 in Südafrika aus dessen brennendem Wrack zu ziehen, erscheint heute dem distanzierten Betrachter wie aus einer anderen Welt.

    Das inzwischen allgemeingültige neoliberale Wettbewerbsmodells kennt auch einen Ersatz für den Sozialstaat: Der lautet nun „Eigenverantwortung“ und permanente Selbstoptimierung. Und der „fordernde Sozialstaat“ kürzt zwar Mittel für Infrastruktur und soziale Absicherung, bietet aber dank privater Initiative für die, die auf der Strecke bleiben, nun Tafeln und Ehrenamt, flankiert von Sonntagsreden zum sozialen Miteinander nicht nur von der Kanzel, sondern auch von parasitären Promis, die nach „harter Konkurrenz“ ihr Schäfchen ins steueroptimierte Trockene gebracht haben. Zugespitzt? Sicher. Aber leider auch war.

  21. Das demokratische System und der Politikbetrieb scheinen viele Menschen nicht mehr zu erreichen. Seit Merkel Kanzlerin ist, ist das Durchregieren zur Methode geworden. Unter ihrer Führung wird kein wirkliches Programm mehr verfolgt, sondern nur noch auf Krisen reagiert und die innerparteiliche Demokratie unterminiert.
    Der Demokratie droht von mehreren Seiten Gefahr. Dem Staat raubt die Globalisierung Freiheitsgrade. Den Unternehmen schenkt sie hingegen stetig neue. Im Wettbewerb der Standorte entscheiden die Konzerne sich bei der Steuererklärung für das Land mit den niedrigsten Steuern. Der Gerichtsstand wird im Land mit der höchsten Rechtssicherheit angesiedelt. Geliefert wird aus dem Land mit der perfekten Infrastruktur. Die Staaten müssen diese Grundlagen herstellen. Sonst werden sie abgewählt. Demokratisch ist daran nichts. Nur die Betriebswirtschaft zählt.
    Was sind die Hauptursachen der politischen Legitimationskrise, wie wir sie derzeit erleben? Ist es der Verdruss über eigenmächtige Entscheidungen, wie etwa bei der Flüchtlingsfrage oder der Energiewende? Oder ist es eher das Gefühl zunehmender Ungerechtigkeit und der Ohnmacht, daran etwas ändern zu können? In diesem Fall ginge es nicht nur um Probleme innerhalb des politischen Systems, sondern um die Verfassung der Gesellschaft insgesamt und die Beziehung zwischen Demokratie und Kapitalismus.
    Der Staat wird bis heute von oben gedacht und gemacht. Doch das Denken von oben ist überholt. Die Bürger wollen bei wichtigen Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen, frühzeitig mit einbezogen werden. Die Demokratie genießt weder einen politischen Bestandsschutz noch eine gesellschaftliche Akzeptanzgarantie, schon gar nicht in einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint. Nicht nur in Ländern wie der Türkei, sondern auch in Westeuropa steht es nicht mehr zum Besten mit der Demokratie. Zwar gibt es weiterhin freie Wahlen und demokratische Institutionen, doch die Partizipation der Bürger schwindet ebenso wie das Ansehen der Parteien, Parlamente und Regierungen.
    Demokratie erscheint häufig nur noch als bloße Fassade. Erfolgreiche populistische Bewegungen sind in der Regel auf eine Schwäche der aktuellen Regierungen zurückzuführen. Solche populistische Strömungen erinnern daran, dass die dominanten Eliten bestimmte Gruppen der Bevölkerung vernachlässigen und bestimmte Themen ignorieren. Im besten Fall könnten populistische Parteien als „Warnsignal“ verstanden werden sowie als Chance einer demokratischen „Selbstkorrektur“. Diese Botschaft ist bei den Adressaten bisher allerdings nicht angekommen.
    Wer seine Politik als „alternativlos“ darstellt, wer eine Machtstrategie verfolgt, die nicht auf Erklärung und Auseinandersetzung, sondern lediglich auf Verkündung teilweise sogar grundstürzender Beschlüsse setzt, der entzieht sich seiner demokratischen Verpflichtung, mit vernünftigen Gründen zu überzeugen. Demokratie ist kein machtpolitischer Selbstzweck handelnder Personen, sondern das Versprechen, dem (Mehrheits-) Willen der Bürger auf möglichst transparente Weise zum Ausdruck und zum Durchbruch zu verhelfen.
    Wenn vorwiegend die Besserverdiener und Gutsituierten an Wahlen teilnehmen, während die unteren Schichten sich auf Dauer der Stimme enthalten, kommt es zu einem Ursache-Wirkung-Prinzip zwischen Geld und Politik. Dann schwindet der Glaube an eine gute und gerechte Gesellschaft,
    Wirtschaftliches Wachstum und allgemeiner Wohlstand waren lange Zeit das Gütesiegel des demokratischen Gemeinwesens. Die defizitäre Politikvermittlung auf der einen sowie die Wahrnehmung vom abgehängten Bürger auf der anderen Seite setzen der Demokratie mittlerweile sichtbar zu. Von wesentlicher Bedeutung wird sein, den vorhandenen Wohlstand endlich gerechter zu verteilen. Das „Projekt Europa“ rein wirtschaftlich zu betrachten ist ein Fehler. Die soziale Dimension müsste dringend gestärkt werden. Ansonsten werden wir in Deutschland und Europa sowohl unseren Wohlstand als auch den Frieden verlieren.

  22. Wir sollten nicht immer alle Schuld auf die Regierenden und finanziell Mächtigen schieben. Die einfache Bevölkerung hat in einigen Bereichen sehr wohl großen Einfluss, z.B. könnte sie den CO2-Ausstoß erheblich senken, wenn sie kleinere Autos mit schwächeren Motoren fahren, weniger Fleisch essen, weniger Flugreisen und Kreuzfahrten unternehmen würde. Aber leider geht der Trend in die andere Richtung.
    Ebenso könnten wir Amazon, Facebook und Konsorten boykottieren, dann wäre es schnell vorbei mit deren Macht.
    Also, wir sollten nicht nur lamentieren, sondern wenigstens da, wo wir etwas bewirken können,unseren Lebensstil verändern.

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