Der Krach ist da. Man hat ihn kommen sehen, schon vor der Echo-Verleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang. Es gab genug Warnungen davor, Gangsta-Rapper wie diese beiden auszuzeichnen, etwa auf FR.de, wo unser Redakteur Daniel Dillmann die Dinge in seinem Artikel „Antisemitismus als ästhetischer Code“ einordnet. Da gibt es Textzeilen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“, die vor Menschenfeindlichkeit und Zynismus nur so triefen, von Antisemitismus erst recht. Die Echo-Verantwortlichen haben es dennoch getan und die beiden Rapper ausgezeichnet – und stürzten den Echo auf diese Weise in die Krise: „Dieser Echo ist nicht mehr zu retten„. Zahlreiche namhafte Künstler haben ihre Echos inzwischen zurückgegeben oder angekündigt, dies zu tun. Ein Preis, den keiner mehr haben will?
Die Echo-Verantwortlichen beriefen sich auf die Freiheit der Kunst. Dazu hätte auch ich eine Menge zu sagen. Ich sage es mal mit den Worten von FR-Leitartikler Stephan Hebel aus seinem Kommentar „Grenzen des Sagbaren“ (Print-Überschrift)
„Was soll das heißen: Grenzen des Sagbaren? Soll hier etwa für „Sprechverbote“ geworben werden, gegen die sich vor allem rechte Kreise so hingebungsvoll wehren? Nein, die Rede von Verboten ist eine Erfindung derjenigen, die ständig das angeblich Verbotene reden, wenn sie nicht gerade von Verboten reden. Die ‚Grenzen des Sagbaren‘ ergeben sich aus einer Art Vereinbarung der Gesellschaft darüber, welchen (sprachlichen) Umgang miteinander, speziell mit Minderheiten, Verfolgten und Opfern, sie sich und besonders denjenigen zumuten will, die sich gegen Beleidigungen und Schmähungen am wenigsten wehren können.“
Hier stößt die Freiheit der Kunst an ihre Grenze.
Leserbriefe
Alfred Kastner aus Weiden meint:
„Musiker können sich auf die Kunstfreiheit berufen, um ihre diskriminierenden und gewaltverherrlichenden Texte zu verbreiten. Sie wirken mit ihren Texten wie Brandbeschleuniger des Hasses. Dafür werden sie in Deutschland mit einem hohen Musikpreis ausgezeichnet.
Die Kritik an dieser Auszeichnung ist grundsätzlich berechtigt. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass diese Rapper insbesondere unter Jugendlichen eine große Fangemeinde besitzen. Rapmusik ist auch ein Ausdrucksmittel gesellschaftlicher Entwicklungen. Sexismus, Geldgier und eine zunehmende Gewaltbereitschaft ist eine gesellschaftliche Realität, die beim Rap bewusst plakativ und provozierend zum Ausdruck kommt. Was war zuerst da: Das Huhn oder das Ei?
Rap entstand ursprünglich in der Protestbewegung der Schwarzen in den USA. Sie wollten gegen Rassismus protestieren und da sie keine andere Bühne hatten, trafen sie sich auf der Straße. Sie haben mit ihrer Musik auf soziale Missstände aufmerksam gemacht. Das ist die eigentliche Botschaft von Rap und so sollte es auch bleiben.
Pornos und gewaltverherrlichende Videos gehören heute beinahe zum Standardreportoire vieler Jugendlicher und teilweise sogar Kinder. Das Internet machts möglich. Wissen die Eltern, was sich ihre Kinder übers Internet reinziehen? Dabei sind die Jugendlichen von heute keineswegs besser oder schlechter als die früherer Generationen. Nur anders. Hätten wir in den 1970er-Jahren die heutigen technischen Möglichkeiten besessen, hätten wir uns wahrscheinlich nicht grundsätzlich von ihnen unterschieden.
Damals war Punkmusik das Ausdrucksmittel der „No-future-Protestgeneration“. Die Texte waren ebenfalls vielfach alles andere als jugendfrei. Im Unterschied zu manchen Erscheinungen heutzutage haben die Punker damals ihre Wut allerdings nicht bei nächst bester Gelegenheit an Schwächeren oder Minderheiten ausgelassen.
Die Jugendlichen von heute sind nicht zu beneiden. Ihnen wird ein Berg von nicht gelösten Probleme hinterlassen. Die Folgen des jahrelangen phlegmatischen, plan- und ideenlosen Politikstils von Kanzlerin Merkel wird die Nachfolgegeneration ausbaden müssen. Merkel selbst ist offensichtlich ernsthaft davon überzeugt, dass ihre Regierungspolitik äußerst erfolgreich ist. Sie wüsste schließlich nicht, „was sie anders machen sollte“. Von der allgemeinen Stimmung im Land scheint sie wenig mit zu bekommen.
Einen Hauch von Bürgernähe zeigt sie höchstens alle 4 Jahre, wenn sie zu diversen Wahlkampfveranstaltungen mit dem Hubschrauber eingeflogen wird. Trotzdem liegt sie, für mich nur schwer verständlich, in den inflationären Meinungsumfragen in der Gunst der Bevölkerung ganz weit oben. Merkel surft seit Jahren auf der wirtschaftlichen Erfolgswelle.
Der derzeitige wirtschaftliche Erfolg ist jedoch allen voran den Unternehmen und Arbeitnehmern zu verdanken. Was aber passiert, wenn der unausweichliche konjunkturelle Zyklus dem aktuellen wirtschaftlichen Hoch ein Tief folgen lässt?“
Barbara Behnen aus Gießen:
„Es ist erfreulich, wenn es Kritik an den zynischen Einlassungen diverser „Gangsta- Rapper“ gibt. Allerdings erreicht die Kritik an ihnen bei den Fans möglicherweise gerade das Gegenteil, da ja Provokation ihr Anliegen ist. Die Kritik äußert sich meiner Wahrnehmung nach in etwa in folgender Fassung: „Es gibt ein Kontinuum an Provokation, und irgendwo ist der Punkt überschritten, ab dem es geschmacklos wird.“ Natürlich müssen die jungen Leute darauf rufen: „Und gerade diesen Punkt müssen wir überschreiten!“
Meiner Auffassung nach ist das Problem nicht die Schwere der Provokation, sondern die Richtung! Kunst hat, schon im Mittelalter in Form der „Narrenfreiheit“, die Möglichkeit, ungestraft „nach oben“ zu treten. Man kann Regierungen, Unternehmensleitungen, Vertreter der Mehrheitsgesellschaft kritisieren – auch hart kritisieren – ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Im Gegenteil erreicht man damit sogar häufig ein Nachdenken, etwa wenn Commedians mit Migrationshintergrund die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf die Schippe nehmen. Das ist der Sinn der „Freiheit der Kunst“.
Für den Zweck, einfach einmal mehr „nach unten“ zu treten, gegen geschlechtlich, religiös, rassisch, körperlich oder wie immer ohnehin schon diskriminierte Gruppen, dafür braucht es keine Kunst. Das ist einfach nur mehr vom Gleichen, was diese Gruppen ohnehin im Alltag erleben, und diejenigen, die sich auf Kosten Schwächerer amüsieren, stoßen sich emotional (und wirtschaftlich) daran gesund. Provokation ist moralisch nicht verwerflich, selbst, wenn sie gelegentlich ein wenig zu hart gerät (dann ist sie vielleicht schlechte Kunst). Nach unten zu treten ist immer verwerflich, selbst, wenn es gar nicht mal sehr hart ist. Und dass ausgerechnet Menschen, die eigentlich Grund hätten, sich gegen Diskriminierungserfahrungen zu wehren, weil sie vielleicht Migranten sind oder aus einer wirtschaftlich abgehängten Weltregion stammen, sich stattdessen damit bereichern, auf Juden, Schwule oder Frauen zu spucken, zeigt, dass sie entweder diese Struktur nicht begreifen, oder dass sie einfach, ganz wie etwa diverse sehr rechte Politiker*innen, sich eigennützig daran (emotional, wirtschaftlich, machtpolitisch) bereichern, dass es so vielen Menschen eine große Freude bereitet, sich auf Kosten Schwächerer stark zu fühlen.“
Ilona Horn aus Marburg:
Wie billig von der FR zu erwähnen, dass Campino seinen Echo angenommen hat! Er war doch der Einzige, der den Mut gehabt hat, als erster öffentlich auf der Bühne (wo sonst?) darauf aufmerksam zu machen, was da so läuft in dem Dunstkreis von Kollegah und Co. Die Echoverleihung wäre sonst wieder sang- und klanglos über die Bühne gegangen, ohne dass jemand aufgewacht wäre..
Was aber echt schlimm ist, dass Kollegah etc. sich breiter Rückendeckung , sprich unzähliger Follower ,sicher sein können. Das zeigte ihre grobschlächtige, ignorante, schadenfrohe Pseudolässigkeit nur allzu deutlich.“
Vermutlich bin ich der falsche Kommentator zu diesem Thema. Denn Rap hat mich immer schon angewidert. Zumindest weiß ich jetzt, dass mein Instinkt nicht getrogen hat.
Nun erfahre ich bei Alfred Kastner über den „eigentlichen“ Ursprung des Rap als „Protestbewegung“. Und dass „die Jugendlichen von heute nicht zu beneiden“ seien. – Aha!
Deshalb also „muss“ man erbärmlichen Hass auf Schwächere ganz „cool“ finden, auf Menschen, die sich nicht wehren können, weil sie lange schon eben solcher Erbärmlichkeit zum Opfer gefallen sind? –
Und was soll das alles mit „Protest“ zu tun haben? Weil man gegen Holocaustopfer „protestieren“ muss, weil die ja – selbstverständlich – an allem schuld sind? Und natürlich auch Merkel und überhaupt die Konjunktur, nach der eben auf „ein Hoch ein Tief“ folgt.
Nur eine Seite kommt bei dem ganzen Geschwätz nicht vor: Eine skrupellose Musikmafia, für die all diese Perversitäten zum Geschäftsmodell gehören. Denn man müsste man ja nach Konsequenzen fragen.
So gern man Stephan Hebels Argument auch folgen möchte, dass hier „die Grenzen des Sagbaren“ überschritten sind – etwas genauer wollte man schon wissen, wie ein „ständiger Kampf um eine menschliche politische Kultur“ auszusehen hat und wie das zu erreichen wäre.
Was heißt das z.B. für Rundfunkanstalten, wenn Daniel Dillmann (in dem verlinkten Kommentar) feststellt, dass Rap nichts weiter als „institutionalisierter Normbruch“ sei und „Provokation als Programm“? Können sie überhaupt noch verantworten, über solche perverse Spektakel zu berichten, die von einer zynischen Musikmafia „Geehrten“ auf die Allgemeinheit loszulassen? Oder kommen da wieder „Einschaltquoten“ ins Spiel, die alles rechtfertigen, und eben auch das?
Ich halte es für billig, bei „der Jugend“ die Schuld zu suchen, wenn man nicht einmal mehr wagt, ihr anderes als den übelsten Schund anzubieten, um ja die eigenen Geschäfte nicht zu stören.
Hierzu ein Beispiel aus meiner pädagogischen Praxis – das im Vergleich dazu vielleicht harmlos erscheinen mag:
Eine Schülerin einer 8. Klasse hatte sich mir einmal nach dem Unterricht anvertraut. Sie war von einem „Onkel“ vergewaltigt worden. Dabei sprach sie auch den Song „Jenny“ von Falco an (auch der zu dieser Zeit „in“), in dem Vergewaltigung verharmlost wird. Ich kannte diesen Song nicht.
Wenig später auf unserer Klassenreise. Es war ein ausgelassener bunter Abend, mit „Müllmodenschau“ und ähnlichen Aktivitäten. Dann Disco-Musik. Jungen legten eine CD ein. Mein Blick fiel zufällig auf die Schülerin, ich sah ihr Entsetzen. Mir war sofort klar: Das war der Jenny-Song. Ich ging unverzüglich zur Musikanlage und beendete das Spektakel – wortlos. Einige Schüler schauten mich fragen an. Ich antwortete mit einem Blick zu den Mädchen.
Wortlos, offensichtlich beschämt, trotteten die Jungen zu ihren Bungalows. Sie hatten wohl begriffen.
Auch der Rap dient dazu, ähnlich wie andere Bereiche der Unterhaltungsmusik, die herrschenden Verhältnisse schön zu reden und möglichst viel Geld mit dieser Art von Kultur zu verdienen. Der angebliche Protest, der sich in Texten und Rhythmen spiegelt, beinhaltet lediglich die das System stabilisierende Rache der Enterbten, vor allem das Draufschlagen auf noch Schwächere angesichts des je eigenen Scheiterns, aber nicht die Infragestellung des Systems, welches Unrecht und Elend erst ermöglicht.
Bereits in den deutschsprachigen Schlagern der 50er und 60er Jahre war dieses Konzept auffallend häufig zu finden. Wenn Peter Alexander und Leila Negra 1952 sangen „Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“ blieben sie bzw. der Texter des Lieds bewusst im Tierreich: „Frau Enterich weihte am grünen Rain / ihr Jüngstes in alle Geheimnisse ein.“ Diese Geheimnisse bestanden in der Erkenntnis, dass die Natur hohe Bäume mit hoch hängenden Früchten und große Tiere, die daran heranreichten, geschaffen hatte. Die kleinen Tiere hatten gemäß den Naturgesetzen das Nachsehen. Und selbst eine Klage vor dem tierischen Gericht nutzte nichts. Denn: „Die Welt ist rund und es scheint so gelenkt, / dass Entlein und Mäuslein das Leben nichts schenkt, / sie tragen ihr Schicksal nach altem und tierischem Brauch / wie andere auch.“ Ziel war das achselzuckende Hinnehmen als größtmögliche Form des sozialen Protests.
Die gesamte Restauration der Adenauer-Zeit spiegelte sich in diesem Musikgenre, das wie kaum ein anderes die Verdrängung des politisch widersprüchlichen Alltags betrieb. In dem vom Durchschnittsbürger erträumten Land „wo meine Sonne scheint“ (Catarina Valente) würden Armut, Unrecht und Profit vereint und alle glücklich miteinander sein. Das lief damals sprachlich noch vergleichsweise wohlgesetzt ab, obwohl die Bedeutung eindeutig reaktionär war.
Genauso reaktionär und menschenfeindlich wie die Botschaften der Rapper und die des Rechts-Rocks. Die Machos der Migranten-Szene und die Neo-Nazi-Bands weisen viele Gemeinsamkeiten auf, obwohl sie sich spinnefeind sind. Mit Protest als Aufstand gegen eine gewollte Zwei-, gar Dreiklassengesellschaft haben beide nichts im Sinn. Vielmehr hingegen mit dem Faustrecht der Stärkeren unter den Schwachen, ohne den wirklich Starken und Mächtigen dadurch gefährlich zu werden. Es ist auch nicht von ungefähr, dass der Rap ausgerechnet in den USA zur Bedeutung kam. In jenem Land, wo die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft besonders deutlich zu Tage traten und treten und wo der Rassenhass nach wie vor ein mehr oder weniger toleriertes Phänomen ist und wo eine fundamentale Systemkritik kaum stattfindet.
Der Rap als Genre ist mir soweit bekannt, aber gleichzeitig fremd geblieben.
Die deutschsprachigen Schlager der 50er und 60er Jahre waren wirklich Musik zum Träumen und zum Fröhlich sein. Richtig „leichte Kost“. Alltag und Politik abgeschaltet.
Allerdings auch häufig mit Witz und Klamauk: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ (Bill Ramsey) oder „Ich sing‘ den Badewannentango“ (Peter Alexander) oder „Der Mann im Mond“ (Gus Backus) und so weiter …
Ich meine, die Widersprüchlichkeit des politischen Alltags hatte noch nicht so Platz eingenommen im öffentlichen Bewusstsein.
Von „Brandbeschleunigung des Hasses“ konnte noch keine Rede sein.
Höre ich Rap-Musik heute, so kommt bei mir der hohe Grad an Aggressivität und Sendungsbewusstsein rüber, meist unangenehm verspürend. Ganz im Gegensatz zu den internationalen Protestsongs der 1960er/70er.