Die Kopfbahnhöfe gehören nicht in die Mottenkiste

Fast hat es den Anschein, als müssten Verkehrs-Infrastrukturprojekte immer größer, immer gigantischer werden. Und: unter die Erdoberfläche verlegt werden. Was zwar durchaus sinnvoll erscheint, denn oberirdische Neubauten stoßen auf umso größere Probleme, je dichter der Ballungsraum bereits ist, durch den die Strecken führen sollen. Andererseits lässt einen die Vorstellung erschrecken, dass Frankfurt ein ebensolches Desaster erleben könnte wie Stuttgart mit seinem Mega-Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, dessen Baukosten nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung steigen und steigen und steigen. Es könnten bis zu zehn Milliarden Euro werden, dreimal mehr als ursprünglich veranschlagt.

Fernbahntunnel3,56 Milliarden Euro veranschlagt die Bundesregierung und das Verkehrsministerium unter Andreas Scheuer (CSU) für den Bau des geplanten Fernbahntunnels unter Frankfurt hindurch, der dem Hauptbahnhof einen weiteren Tiefbahnhof hinzufügen soll. Einen hat der Hbf bereits, er wird von den S-Bahnen genutzt. Insgesamt sind bis 2030 5,5 Milliarden für den Ausbau des Bahnknotens Frankfurt im Verkehrswegeplan veranschlagt. Die Verkehrsplaner rechnen mit rasch steigenden Fahrgastzahlen. Bis zu acht Zugstrecken könnten dann unter Frankfurt hindurchgeleitet werden.

Es ist durchaus erwünscht, dass Reisende die Bahn benutzen statt das Flugzeug. Dazu muss die Bahn attraktive Reisezeiten anbieten. Es ist auch erwünscht, die Kapazitäten für den Güterverkehr auszubauen, wenn er von der Straße auf die Schiene verlagert wird. Das ist derzeit allerdings nicht erkennbar. Die Lkw-Schlangen auf den rechten Spuren unserer Autobahnen wachsen und wachsen, und die Zahl der Trucker, die ihre Wochenenden wegen Fahrverbots notgedrungen auf deutschen Autobahnraststätten verbringen, wächst ebenfalls. Die Lkws verstopfen zusehends die Raststätten. Insofern wären Lösungen wirklich dringend erwünscht. Wenn als also nicht anders geht, als so viele Milliarden in eine Tunnelröhre zu schieben, dann steht uns also ein weiteres Großprojekt dieser Art bevor. Trotz des abschreckenden Beispiels in Stuttgart.

Aber Deutschland ist nicht die Schweiz. Die Schweizer verstehen sich auf den Tunnelbau. FR-Redakteurin Jutta Rippegather war gerade dort und hat sich den Zürcher Tiefbahnhof angesehen, der in nur 15 Jahren Bauzeit entstanden ist. Bei der Schweiz denkt man natürlich auch sofort an das NEAT-Projekt, die neue Gotthard-Durchtunnelung, ein Meisterstück der Ingenieursbaukunst. Wir in Deutschland kriegen hingegen nicht einmal die Bahnanbindung an die neue Alpen-Transversale hin: Der vertraglich zugesagte Ausbau der Rheintal-Bahnstrecke verzögert sich, es fehlt immer noch etwa ein Fünftel, und natürlich wird auch dieser Ausbau teurer, als ursprünglich veranschlagt. Wir Deutschen scheinen schlechte Planer zu haben. Was soll man also zu solchen Plänen sagen?

Balken 4Leserbriefe

Karl-Heinz Peil aus Frankfurt meint:

„Trotz des ausführlichen Artikelbeitrags erscheint das wichtigste Detail nur in einem Nebensatz: „Und nun wolle der Bund bis 2030 den Verkehr sogar noch verdoppeln; auch sei angesichts sinkender Trassenpreise mehr Güterverkehr zu erwarten“.
Wohlgemerkt: Die Rede ist von einer Verdoppelung des gesamten Verkehrsaufkommens und weniger von dessen notwendiger Verlagerung auf die Schiene. Stellt man dieses der sich verstärkenden Debatte über die notwendige Verkehrswende gegenüber, so muss man daraus folgern: Der Fernbahntunnel ist notwendig, weil die Verkehrswende nicht stattfindet. Dabei haben wir in den letzten Jahrzehnten in Deutschland bei prinzipiell gleicher Bevölkerungszahl und gleicher Wirtschaftskraft bereits eine drastische Zunahme des Gesamtverkehrs, der insbesondere auch Hessen als Transitland betrifft.
Eine Verkehrswende muss aber in der Landes- und Bundespolitik als Umsetzung des Prinzips der kurzen Wege vom Wohnort zum Arbeitsplatz erfolgen, damit die Pendlerströme auf dem dichten Autobahnnetz im Rhein-Main-Gebiet und dem Frankfurter Hauptbahnhof signifikant reduziert werden können. Noch mehr haben wir mit der Inflation im Güterverkehr zu kämpfen, was auch der ungebrochene Neubau von Logistikzentren in ganz Hessen aufzeigt.
Anstatt Geld in die Hand zu nehmen für Machbarkeitsstudien darüber, mit welcher Variante hier und dort einige Minuten Fahrtzeit mit der Bahn eingespart werden können, sollte man dieses zunächst mal investieren für alternative Entwicklungspfade zur Verkehrsvermeidung und darauf basierenden Optionen zur Verlagerung des Restverkehrs auf die Schiene.“

Emil Jacob aus Poppenhausen:

„Der Kopfbahnhof ist für Umsteiger die bequemeste Art von einem Bahnsteig zum anderen zu kommen. Ohne Treppen ohne Rampen ohne Aufzüge. (Oft defekt )
Frau Rippegather, wechseln Sie einmal am Flughafen Fernbahnhof von 7 nach 4. Die Umsteigezeit beträgt fünf bis sieben Minuten. Vor dem Aufzug steht eine Traube Fahrgäste und Sie warten auf die nächste Tour. Die Rolltreppe ist jetzt weit entfernt. Also vielleicht dort hin. Alles mit Rollkoffer. Der Anschluss ist weg.
Noch katastrophaler ist der völlig fahrgastfeindliche Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Dort sind die Rampen was für Extremsportler und dort ist das Aufzugsproblem genauso. Von gehbehinderten oder hüftoperierten Fahrgästen ganz zu schweigen.
Zu diesen fahrgastfeindlichen Bahnhöfen gehören noch, so weit ich persönlich die kenne, Darmstadt, Hamburg Hbf, Berlin Hbf, Köln ,Fulda (ganz ohne Aufzüge ). Es gibt sicher noch einige. Durchgangsbahnhöfe wo das andere Gleis nur durch Treppenkraxeln und Langstreckenlauf erreichbar ist, sind unmöglich.“

Gerhard Schwartz aus Frankfurt:

„Anscheinend sitzen die Planer immer wieder dem – an sich logisch erscheinenden – Denkfehler auf, dass ein bestehender Hauptbahnhof unbedingt auch *der* zukünftige Fernbahnhof sein müsste. Die Folge sind dann unnötig hohe Bauaufwendungen mit entsprechenden Mehrkosten und suboptimale Ergebnisse, inklusive mangelndem Potential zur späteren Kapazitätserweiterung. Dies ist gut zu besichtigen am Beispiel Stuttgart 21 (welches den tollen Hauptstadtflughafen BER in Bezug auf Planungsfehler, Bauverzögerungen und Mehrkosten vermutlich noch in den Schatten stellen wird).
Zentralisierung führt zu zentralen Engpässen, besser ist es auch den Fernbahnverkehr zu dezentralisieren. Frankfurt hat mit dem zusätzlichen Fernbahnhof am Flughafen schon einen guten Anfang gemacht, nun sollte man weiter darangehen den zentralen Hauptbahnhof zu entlasten und dessen Funktion für den Fernverkehr zumindest teilweise auf einen Frankfurter Fernbahnring zu verlagern – dieser besteht übrigens schon zum größten Teil. Der Südbahnhof ist bereits ICE-Station, der Ostbahnhof kann leicht dazu gemacht werden. Von beiden Bahnhöfen gibt es eine direkte U-Bahn in die Stadtmitte und gute Umsteigemöglichkeiten in die S-Bahn.
Es fehlt noch eine weitere ICE-Station im Vorfeld des Hauptbahnhofes (Bereich Camberger Brücke) die einen großen Teil des Fernverkehrs vom alten Hauptbahnhof abziehen kann. Die bestehende S-Bahn bietet eine rasche Verbindung zum alten Hauptbahnhof, sofern man nicht eine eigene Shuttle-Bahn einrichten will. Auch die Stadtmitte und der Flughafen sind von dort gut per S-Bahn erreichbar. Oberhalb des bestehenden Gleisgeländes lässt sich dort genügend Infrastruktur (Bahnhofsgebäude, Parkhaus, Zufahrten etc.) errichten, so wird auch der Straßenverkehr im Bereich des alten Hauptbahnhofs entlastet. Übrigens: Die Fans zukünftiger autonomer Flugtaxis (so es diese jemals geben sollte) können sich dort auch gerne oberhalb des bestehenden Gleisareals einen entsprechenden Helioport vorstellen – vor dem alten Hauptbahnhof wird dies wohl nicht so gut darstellbar sein.
Die hier skizzierte Vorgehensweise ist wesentlich kostengünstiger als der derzeit angedachte neue und milliardenverschlingende Fernbahntunnel (der sich baulich auch recht schwierig gestalten dürfte, er soll ja in Längsrichtung unterhalb des Mains verlaufen und muss dabei wohl die bereits bestehenden Tunnel für U- und S-Bahn noch unterqueren). Man ist mit der vorgeschlagenen billigeren Lösung ohne Fernbahntunnel auch flexibler gegenüber zukünftigen Anforderungen und kann den Engpass Frankfurt Hbf schneller entlasten. In der Zukunft wird die Bahn wohl eine noch größere Rolle spielen als heute, ein Frankfurter Fernbahnring kann hierzu entscheidend beitragen – besonders wenn dieser Aspekt auch beim Bau der geplanten Regionaltangente Ost mit berücksichtigt wird.“

Verwandte Themen

Ein Kommentar zu “Die Kopfbahnhöfe gehören nicht in die Mottenkiste

  1. Der geplante Umbau des Frankfurter Hauptbahnhofs verspricht ein spannendes Projekt zu werden.
    Positiv finde ich, dass Verantwortliche sich in Zürich umgesehen haben. Hoffentlich hatten sie dort auch Gelegenheit mit den schweizerischen Planern zu sprechen.

    In den neunziger Jahren wurde der Zürcher Hauptbahnhof für 2 Mrd. Schweizer Franken umgebaut. Sowohl die Kosten, wie auch die Termine wurden komplett eingehalten.
    2017 wurde der längste europäische Eisenbahntunnel in der Schweiz pünktlich in Betrieb genommen. Natürlich ohne Kostensteigerungen.

    In den neunziger Jahren wurde die „Wiesental-Strecke“ von Zell im Wiesental nach Basel von der DB betrieben. Zugausfälle, Verspätungen, Züge mit kaputter Heizung waren an der Tagesordnung; so wie wir es bei uns gewöhnt sind.

    Anfang der zweitausender Jahre übernahm Schweizer Bundesbahn (SBB) den Betrieb. Die Strecke wurde ausgebaut, neue Haltestellen eingerichtet, moderne, helle und saubere Züge in Betrieb genommen. Auf einmal waren Verspätungen oder Zugausfälle eine absolute Ausnahme.

    Seit vierzig Jahren kommt der viergleisige Ausbau der Hochrheinstrecke zwischen Karlsruhe und Basel nicht voran.

    Stuttgart 21 war mal für 3 Mrd. € geplant. Inzwischen nähern sich die Kosten 10 Mrd. € an.

    Und der Tunneleinsturz 2017 bei Rastatt war sicher kein Beweis deutscher Ingenieurskunst.

    Wann die Inbetriebnahme des Berliner Flughafens erfolgt, steht in den Sternen, von den gigantisch gestiegenen Baukosten ganz zu schweigen; die Planer dieser Großbauprojekte stellen überzeugend ihre Inkompetenz unter Beweis.

    Darum sollte das Großbauprojekt Frankfurter Hauptbahnhof von den Leuten geplant und durchgeführt werden, die in der Schweiz ihre Kompetenz mehr als deutlich unter Beweis gestellt haben.

    Ansonsten dürfen wir uns auf eine Neuauflage des Stuttgart/Berlin Desasters freuen.

Kommentarfunktion geschlossen