Wir sind immer noch bei der Nachbereitung der Bundestagswahl. Auffällig war, dass vor der Wahl plötzlich das Flüchtlingsthema wieder da war, das uns vor allem 2015 und auch 2016 noch beschäftigt hat. Im TV-Duell von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Hreausforderer Martin Schulz (SPD) nahm dieses Thema, um das es zuletzt doch recht ruhig geworden war, plötzlich eine gute halbe Stunde Zeit in Anspruch. Das war natürlich eine Frage der Gewichtung durch die Moderatoren der Sendung. Die Debatte darüber hat weder der Kanzlerin noch ihrem Herausforderer geholfen, wie wir seit dem Wahlabend wissen. Wohl aber hat es der „Alternative für Deutschland“ genützt, die ja de facto eine Ein-Themen-Partei ist, auch wenn sie inzwischen Positionen zu anderen Themen erarbeitet hat. Gewählt wurde sie als Protestpartei und wegen der Flüchtlingsthematik. Die europakritischen Wählerinnen und Wähler, die mal ihre nationalkonservative Stammwählerschaft gebildet haben, dürfte sie mit ihren rechtsextremen Ansichten verschreckt haben. Das ist auch die Einschätzung der ehemaligen Spitzenkandidatin Frauke Petry gewesen.

Das Flüchtlingsthema ist also wieder da. Und es sollte auch weiterhin die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bekommen, denn sonst wird die Integration der Flüchtlinge – jedenfalls jener, die bleiben dürfen – nicht gelingen. Hier kommt viel Arbeit auf die neue Regierung zu. Wie viel Arbeit, das zeigt vor allem der zweite der nun folgenden Leserbriefe, der eine Erwiderung auf den ersten ist.

fr-debatteDas wirklich Erschreckende an dieser Wahl

„Mich entsetzt weniger das Abschneiden der AfD – das war absehbar und hat seine tieferen Ursachen. Viel bedenklicher finde ich, dass Frau Merkel in der „Elefantenrunde“ die einzige war, die die vorübergehende Öffnung der Grenzen 2015 verteidigte (auch wenn ihre heutige Flüchtlingspolitik eine völlig andere ist, nämlich die der Abschottung).
Alle laufen der AfD hinterher, wollen die „rechte Flanke“ schließen (CSU) oder sehen grundlegende Fehler (Frau Wagenknecht und auch die SPD), die angeblich 2015 gemacht wurden. Inzwischen starben allein in diesem Jahr mehr als 2000 Menschen im Mittelmeer, und die Flüchtlingspolitik besteht darin, die Grenzen vor diesem (auch durch die Politik der sogenannten entwickelten Staaten verursachten) Elend zu schließen und Bündnisse mit den schlimmsten Diktaturen zu schließen, um „uns“ zu schützen. Sieht so die Bekämpfung der Fluchtursachen aus?
Und wen wollen sie noch reinlassen in unser gelobtes Land? Nur Menschen, die „unserer“ Wirtschaft nützlich sind – das nenne ich Schmarotzertum. Ist eines der reichsten Länder der Erde nicht in der Lage, seine Fachkräfte selbst auszubilden? Müssen dazu die Qualifizierten der Dritten Welt abgeworben werden, was die Fluchtursachen eher befördert?
Warum setzen wir nicht alles daran, die Geflüchteten z.B. durch eine gute Ausbildung zu integrieren und zudem eine faire Weltwirtschaft zu befördern, die nicht nur an den Rohstoffen der Dritten Welt interessiert ist oder diese mit „unseren“ Produkten überschwemmt, wodurch die regionale Wirtschaft mangels Wettbewerbsfähigkeit weiter zugrunde gerichtet wird? Die Klimakatastrophe, die in den kommenden Jahren weitere Millionen in die Flucht treiben wird, ist doch in erster Linie verursacht worden durch die „entwickelten“ Länder – auch das wäre ein Ansatzpunkt zur Ursachenbekämpfung. Doch dieses Thema spielte im Wahlkampf keine Rolle.
Wie zahlreiche andere Menschen arbeite ich seit über zweieinhalb Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Wenn jetzt als „Lehre“ aus dem Wahlergebnis die „offenen“ Grenzen von 2015 und damit ein humanitärer Ansatz als grundlegender Fehler erkannt werden, dann ist das für mich das wirklich Erschreckende an dieser Wahl und der wahre Sieg der rassistischen AfD.

Jochim Maack, Hamburg

fr-debatteGefahr für den sozialen Frieden

„Ich bin wie Herr Maack aus Hamburg seit zwei Jahren Flüchtlingshelfer. In meiner Einrichtung leben seit 2015 durchschnittlich 100 Flüchtlinge aus mehreren Ländern. Davon hat bis heute etwa ein Drittel durch Erlernen der deutschen Sprache und Erlangung eines Arbeits-/Ausbildungsplatzes annähernd die Voraussetzungen einer noch nicht genau definierten Integration geschafft. Ein weiteres Drittel müht sich kräftig, stößt aber an intellektuelle und persönliche Grenzen. Das letzte Drittel verweigert jegliche Bereitschaft für eine Integration und stört den Frieden der Einrichtung. Das ist die Realität, und nicht nur in dieser Einrichtung. Deshalb führt die Zulassung einer unkontrollierten Zuwanderung ungezählter Fremder, man kann es moralischen Kosmopolitismus nennen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Verdoppelung und mehr der vorgenannten Drittel und somit zu einer Überbelastung des Staatshaushalts und gleichzeitig zu einer nicht unerheblichen Gefährdung des sozialen Friedens. Wir brauchen sicher keine Seehofers oder Gaulands, aber Menschen als Politiker, die eine klare Sicht auf Entwicklungen und ihre Folgen haben. Sonst werden die Prozente für die AfD  ansteigen. Ihre Wähler sind dann keine Menschen mit rassistischem Hintergrund, sondern Karl und Lisa Müller von nebenan.“

Uwe Thoms, Frankfurt

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19 Kommentare zu “Das Erschreckende am Wahlergebnis

  1. Zunächst sei festgestellt, dass sowohl Herr Maak als auch Herr Thoms sich als Flüchtlingshelfer Verdienste erworben haben – unabhängig ihrer sehr unterschiedlichen Sicht. Da ich mit meiner Frau und einer Reihe sehr engagierter Helfer hier in Frankreich das Gleiche tue, meine ich einschätzen zu können, was das an Aufopferung, an Geduld und auch an Nervenkraft kostet.

    Ich habe u.a. ein Theaterprojekt gemeinsam mit Flüchtlingen aus mehreren Ländern ins Leben gerufen, war auch bisweilen daran, alles hinzuschmeißen. Notwendige Voraussetzungen wie Verlässlichkeit, Akzeptanz eines jeden u.a. erwiesen sich immer wieder als Problem. Bedingungen, die großes Verständnis bei gleichzeitig klaren Grenzziehungen und notfalls Konsequenzen erforderten. Und dennoch wurde das Projekt, das nächsten Monat mit einer Neuaufführung in einem großen Theater beendet wird, letzlich zu einem goßen Erfolg. (Material und Anleitung auf deutsch und französisch, Teile und Auswertung in Vorbereitung, für alle Flüchtlingshelfer zur freien Verfügung, unter https://www.fluechtlingstheater-kleiner-prinz.de/.
    Nach den Erfahrungen unserer Gruppe gab es insgesamt mehr Probleme mit der staatlichen Flüchtlingsorganisation (CADA) als mit den Flüchtlingen selbst. Die Bedingungen, vor allem der Unterbringung, sind dabei höchst unterschiedlich. Im Ganzen kann dennoch die Bemühung staatlicher Stellen festgestellt werden, möglichst bald (meist nach 2-3 Monaten, oft noch vor Abschluss des Anerkennungsverfahrens) die Flüchtlinge gruppenweise von Sammelunterkünften in freie Appartements (sozialer Wohnungsaufbau) zu verlegen, was Probleme des Zusammenlebens sehr entschärft.

    An der Argumentation von Herrn Thoms stört mich einiges, insbesondere die Pauschalität seiner Aussagen und die ausschließliche Suche aller Probleme bei „den Flüchtlingen“, bei deren „Bereitschaft“. Natürlich auch der in dieser Weise nicht nachvollziehbare Schrei nach „Konsequenzen“ im Sinne populistischer Rhetorik. Weder die konkreten Lebensbedingungen noch die jeweiligen psychischen u.a. Umstände der Betroffenen werden dabei zur Betrachtung herangezogen.
    Wie aus den vagen Hinweisen zu entnehmen ist, handelt es sich bei den genannten Wohnbedingungen um eine sehr große Sammelunterkunft. Nach allen Erfahrungen sind das Bedingungen des Zusammenlebens, die selbst psychisch ausgeglichene Menschen mit hoher Frustrationstoleranz nur relativ kurzzeitig ertragen.
    Hier handelt es sich aber in der Regel um höchst traumatisierte Menschen, die unter einem gewaltigen Druck leben, getrennt von Familie und Heimat, Ängsten um die Angehörigen ausgesetzt, und vieles mehr.
    Selbst die Stabilsten der von uns Betreuten berichteten, regelmäßig von Alpträumen heimgesucht zu werden. Ein albanischer Familienvater, mit seiner Familie (2 kleine Mädchen) wegen Lebensbedrohung vor der Mafia geflohen, hat noch vor Erhalt des Ablehnungsbescheids einen Selbstmordversuch unternommen.

    Hier einige der Fragen, die sich für mich spontan ergeben, wenn ich mich einer solchen Aufgabe stellen möchte:
    – Welche Informationen über Herkunft, Sprache, Religion, Familienumstände liegen vor? Wie können diese bei der Belegung/ Aufteilung berücksichtigt werden?
    – Welche Möglichkeiten der Umverteilung in kleinere Wohneinheiten sind gegeben?
    – Inwieweit kann eine sprachliche Verständigung mit Deutschen/untereinander gewährleisten werden?
    – Welche einfachen und klaren Regelungen muss die Hausordnung enthalten? Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es bei deutlichen Verstößen? Wie können die Bewohner in Konfliktregelung mit einbezogen werden?
    – Welche Anlaufstellen für Beschwerden, für Hilfe und Abhilfe gibt es?
    – Welche Möglichkeiten der psychischen Betreuung durch staatliche Stellen sind gegeben?
    – Welche Aktivitäten, Anlässe für gemeinschaftliches Erleben können angeboten werden?
    – Und anderes mehr.

    Fragen, die zu prüfen und möglichst zu beantworten sind, bevor ich mich selbst einer so schwierigen Aufgabe stelle. Ob ich illusionslos an sie herangehe und dieser Aufgabe selbst gewachsen bin.
    Die ich auf jeden Fall an mich selbst stellen muss, bevor ich Urteile – und vor allem Pauschalurteile mit weitreichenden poilitischen Konsequenzen – meine aussprechen zu müssen.

  2. Ja, der soziale Frieden ist gefährdet bzw. schlicht nicht vorhanden. Allerdings liegen die Ursachen dafür m.E.
    nicht in den Geflüchteten die zu uns gekommen sind sondern diese werden in der politischen Debatte jetzt als
    billiges Ventil missbraucht um von den eigentlichen Ursachen abzulenken um nichts grundlegendes ändern zu müssen.
    Die FR hat in der letzten Woche berichtet das das Vermögen der neuerdings reichsten
    Familie Deutschlands im vergangenen Jahr um 4 Milliarden Euro (das sind viertausend Millionen) gestiegen ist.
    Zugleich sind die Einkommen der unteren 40% in der Zeit des lang anhaltenden Aufschwungs unverändert ge-
    blieben oder haben sich gar verringert . Ja, die Geflüchteten stehen z.B. bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum
    in Konkurrenz mit den Armes unseres Landes – Villenbesitzer brauchen sich da keine Sorgen zu machen. Eine befreundete
    Lehrerin in einem gut situiertem Hamburger Stadtteil berichtete mir das viele der Eltern sich ernsthafte Sorgen
    um die Zukunft ihrer Kinder machen weil dort neuerdings 1-2 Kinder mit Migrationshintergrund in den Klassen sind –
    in anderen Bezirken sind das bis zum 80%!! Und die Wahlergebnisse ? Auf der einen Seite haben wir in sogenannten
    prekären Gebieten 20 % und mehr Wählerstimmen für die AFD – und auf der anderen Seite in den Wohngebieten
    der gut Verdienenden 20 % und mehr Anteil der FDP. Die FDP-Wähler werden sich auf deren Klientelpolitik ver-
    lassen können – die AFD-Wähler werden mit rechten und rassistischen Parolen abgespeist. Jede Partei und jeder
    Politiker weiß das die soziale Schere zunehmend größer wird und das nicht nur im eigenen Land sondern auch zwischen
    den „armen“ und den „reichen“ Ländern wodurch zusätzliche Fluchtursachen erzeugt werden.
    Mir ist klar das eine humanitäre Geste wie die Öffnung der Grenzen daran nichts grundlegendes ändern wird, trotzdem
    sind sie wichtig oder wollen wir die Menschen einfach ihrem Schicksal überlassen bzw. gar ertrinken lassen?
    Wir brauchen eine Debatte um ernsthafte Lösungen der Ursachen da diese sich in Zukunft eher verstärken werden und
    sich nicht (wie frühere vorübergehende Dürrekatastrophen) von allein erledigen werden – siehe den Klimawandel.
    Wir brauchen eine Debatte um die Verteilung des Reichtums in unserem Land – und wir brauchen eine Debatte um die
    Verantwortlichkeit auch unseres Landes um den beklagenswerten sozialen und ökologischen Zustandes unseres Planeten.
    Ein positives Beispiel für eine solche Debatte war für mich der Themenschwerpunkt „was ist gerecht?“ den die FR im
    letzten Jahr geführt hat. Davon brauchen wir mehr.

  3. Ich habe in meiner Antwort auf Herrn Thoms bewußt nichts zu den Geflüchteten selbst und zu deren „Integrationseignung“ geschrieben, da ich dem im Rahmen eines Leserbriefes nicht gerecht werden kann. Ich arbeite ehrenamtlich in der größten Hamburger Erstaufnahme (in Hochzeiten 2015 kamen hier über 3.000 Menschen unter , derzeit ist die Maximalbelegung bei 900). Hinter diesen Zahlen stehen Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Ländern mit den unterschiedlichsten Schicksalen sowohl in ihrem Heimatland als auch während der Flucht die z.T. Jahre währte bis sie bei uns ankamen. Darunter sind Zahnärzte und Ingenieure aus Syrien oder Irak aber auch Menschen mit einer rudimentären Schulbildung. Menschen unterschiedlicher Religionen bzw. deren Auslegung, Menschen die nie in ihrem Leben von Frauenrechten gehört haben , Menschen die ihre Angehörigen verloren haben und nur das nackte Leben gerettet haben etc. etc. Das sind nicht durchweg pflegeleichte Neuankömmlinge die „wir“ uns wirtschaftlich zunutze machen können – es gibt auch in „unserer“ Einrichtung (in der inzwischen diejenigen ohne Perspektive konzentriert werden wie z.B. Afghanen wg. „sicherer“ Herkunft etc.) Missbrauch und Gewalttaten aber auch z.T. „erfolgreiche“ Suizidversuche. Das alles ist eine gewaltige Aufgabe wozu wir m.E. eine humanitäre Verpflichtung haben der wir uns stellen müssen. Wenn ich in eine der Folgeunterkünfte komme wo die Bewohner eine größere Sicherheit durch (zumindest vorläufiges) Bleiberecht und damit Recht auf Deutsch- und Integrationskurse sowie Arbeit haben, merke ich sofort am Klima den Unterschied zur Situation in Unterkünften wo noch vieles unklar ist oder gar nächtliche Abschiebungen vorkommen.
    Was ich eigentlich sagen will: Die Themenkomplexe „Geflüchtete und wie wir mit ihnen umgehen“ , „Fluchtursachen und die Rolle unseres Landes dabei“ sowie (soziale Spaltung und deren Ursachen in Deutschland“ überschneiden sich sicherlich vielfach , aber man muß sich jeden genau anschauen und analysieren – eine Vermengung mit dann scheinbar leichten Lösungen halte ich für fatal.

  4. @ Jochim Maak

    „Die Themenkomplexe (…) überschneiden sich sicherlich vielfach , aber man muß sich jeden genau anschauen und analysieren – eine Vermengung mit dann scheinbar leichten Lösungen halte ich für fatal.“

    Danke für Ihre differenzierenden Hinweise!
    Mir erscheint es durchaus angebracht, noch mehr Erfahrungsberichte über tatsächliche Zustände in Erstaufnahmeeinrichtungen und deren Folgen zu bringen. Insbesondere angesichts der CSU-Vorstellungen – zum CDU/CSU-„Kompromiss“ mutiert – über die Schaffung von „Rückführungszentren“.
    In einem Kommentar dazu in der FR habe ich darauf verwiesen, dass sich diese zu „Terror-Rekrutierungszentren“ entwickeln könnten. In der Realität also statt „Einladung an Flüchtlinge“ Einladung an den IS.
    Es wäre interessant, ihre Einschätzung zu dieser Befürchtung zu hören.

  5. Herr Engelmann, ich halte Ihre Befürchtung nicht für abwegig. In „unserer“ Erstaufnahme gibt es Menschen die dort seit über 2 Jahren sind, z.T. zu dritt in einem Containerabteil. Einige wurden aus disziplinarischen Gründen in andere Erstaufnahmen verlegt und einige haben bereits eine Rundreise durch sämtliche Hamburger Erstaufnahmen hinter sich und kommen aufgrund von Schließungen jetzt wieder zu uns zurück um hier auf ihre (neudeutsch) Rückführung also Abschiebung zu warten. Und zumindest jede Erstaufnahme die ich kenne hat/hatte mit Suiziden bzw. Suizidversuchen zu tun – wahrscheinlich gibt es keine Statistik darüber , jedenfalls werden sie nach außen totgeschwiegen (falls es eine Statistik geben sollte wäre die CDU/CSU sicherlich bereit sie bei den 200.000 gegenzuzeichnen). Viele Geflüchtete in den Erstaufnahmen beklagen das es hier keine privaten Kochmöglichkeiten gibt – die Zubereitung von Speisen und deren Verzehr im Familien- bzw. Bekanntenkreis ist in vielen Herkunftsländern ein wichtiger Kulturbestandteil. Dies alles führt wie bereits beschrieben verständlicherweise zu Aggressionen und manchmal auch zu Gewalt. Auch nicht hatte bereits häufiger den Gedanken was wäre wenn diese an anderer Stelle stattfinden würde – der Albtraum (nicht nur) aller Flüchtlingshelfer. Da braucht es den IS gar nicht auch wenn der sich das Ergebnis sicherlich auf seine Fahnen schreiben würde. Das waren auch meine Gedanken als ich von den geplanten „Rückführzentren“ las – und die möglichen Schlagzeilen sowie politischen Diskussionen mag man sich gar nicht ausmalen.

  6. @ Jochim Maack

    Die Problematik ist eine vielschichtige, das ist auch mir überdeutlich. Etwas schwierig finde ich allerdings die Formulierung: „Dies alles führt wie bereits beschrieben verständlicherweise zu Aggressionen und manchmal auch zu Gewalt.“
    Haben Sie auch Verständnis für die Gewalt, die frustrierte Hartz-IV-Empfänger ausüben, weil sie, ihrer Würde und ihres Lebensmutes beraubt, am Existenzminimum dahinvegetieren und wütend sind, dass jahrelang an ihnen gespart wurde und nun auf einmal genügend Geld vorhanden zu sein scheint, um Hinzugezogene zu unterstützen? Messen Sie da nicht mit zweierlei Maß?
    Und welche Lösungen schlagen Sie vor? Gar keine Asylverfahren mehr und alle hier angekommenen dauerhaft aufnehmen? Und wenn Asylentscheide, wie umgehen mit den abgelehnten Bewerbern? Dass das Mantra von der Obergrenze nicht weiterführt, ist klar, aber hat irgendwer da eine wirklich praktikable Lösung parat?

  7. Frau Ernst, „verständlicherweise“ soll heißen ich verstehe die Ursachen die zu Aggression und teilweise Gewalt führen aber keineswegs das ich diese rechtfertige oder billige – das trifft auch für die von Ihnen angeführten Harz-IV-Empfänger zu. Die CSU hat nach der Wahl verkündet „wir haben verstanden“ um als Konsequenz weiter nach rechts zu rücken – glauben Sie das das auch nur einem der frustrierten Harz-IV-Empfängern tatsächlich hilft? Ich gebe Herrn Engelmann recht wenn er in den von CDU/CSU geforderten „Rückführzentren“ mit verschärfter Kasernierung als Verschärfung der von mir geschilderten Situation und damit eine Gefahr sieht. Auch indem man Diktaturen per Abstimmung zu sicheren Herkunftsländern erklärt ist für mich 1. moralisch verwerflich und löst 2. keines der Probleme. Es wird keine einfachen Lösungen geben – selbst wenn wir heute mit den Waffenlieferungen in Krisengebiete aufhören (was wir unbedingt tun sollten), werden die Kriege vorerst weitergehen. Der heutige Klimawandel ist zurückzuführen auf Emissionen und Umweltsünden vorwiegend der Industriestaaten vor 20-30 Jahren (so lange dauert es bis die Umweltsünden ihre volle Wirkung zeigen), d.h. selbst wenn wir ab heute z.B. CO2 neutral leben wird der Klimawandel noch 20-30 Jahre weitergehen. Trotzdem muß gehandelt werden.
    Dazu bedarf es einer Diskussion um die Ursachen – nichts weiter ist mein Anliegen. „Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen“ – aber das heißt das? Mehr Rüstung? Sogenannte schnelle Eingreiftruppen? Eine europäische Armee die Gewalt mit noch größerer Gewalt bekämpft und eindämmt? Das alles wird m.E. nichts lösen sondern sind lediglich Maßnahmen um die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse auf der Welt zu erhalten – gelingen tut es weder in Afghanistan noch in anderen Krisenregionen.
    Asyl? Ja! Dafür gibt es Kriterien die aber z.B. mit der Erklärung diktatorischer Staaten zu sicheren Herkunftsländern konterkariert werden. Ich habe keine einfache Lösung und es gibt sie wohl auch nicht – es wird keine gute Fee kommen die uns diese Frage beantworten kann.
    Ich bin schon froh das z.B. hier einige Leute ernsthaft diskutieren. Und gäbe es nicht viele Tausende die in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich arbeiten – welche Probleme hätte wir dann – ich möchte es mir nicht ausmalen.

  8. @ Jochim Maack

    Darüber, dass in den Herkunftsländern der Flüchtlinge angesetzt werden und vor allem die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt durch Europa und Nordamerika beendet werden muss, sind sich denkende Menschen längst einig, die Durchsetzung dieses Ziels liegt leider in weiter Ferne.
    Ihre Äußerungen zum Hartz-IV-Empfänger allerdings sind mir zu ungenau. Ein Rechtsruck bei CDU/CSU (worin auch immer der besteht) hilft ihm sicher so generell nichts, aber wenn der Aufwand an Geld, Einsatz von Arbeitskräften im BAMF, in den Sozialämtern und Schulen etc., wie er jetzt den Flüchtlingen zugute kommt – einschließlich der Arbeit von freiwilligen Helfern – ihm und seiner Familie zukäme, wäre ihm mit Sicherheit besser geholfen. Dass da Neid und Unmut aufkommen, ist für mich nachvollziehbar. Und dass das zur Folge haben kann, dass Wähler rechten Rattenfängern auf den Leim gehen, ebenfalls.

  9. Da kommen wir doch zum Thema soziale Spaltung. Wer sagt das es begrenzte Mittel geben muß um die sich dann die Armen dieses Landes mit den zu uns kommenden Geflüchteten zu streiten haben. Ging es den Armen vor der Flüchtlingskrise etwa besser? Warum sind höhere Einkommen tabu? Warum gibt es keine anständige Erbschafts- und Vermögenssteuer? Ist der Dieselskandal der Gesundheit und Umwelt gefährdet ein Kavaliersdelikt? Wem kommen die enormen Handelsbilanzüberschüsse zugute die arme Länder ärmer werden läßt?
    Was will eine Familie mit einem Vermögen von 33 Milliarden Euro und womit hat sie dieses Geld verdient (im doppelten Sinne)? Worauf gründet sich die Bezeichnung Sozialstaat? Viele Fragen!!

  10. @ In diesen Punkten bin ich ja mit Ihnen einer Meinung. Für diejenigen, die einen Anspruch auf Asyl bzw. subsidiären Schutz haben, wären bei einer angemessenen Steuerpolitik ja auch Platz und genügend Mittel vorhanden, ohne die bereits hier ansässigen Armen zu vernachlässigen. Wenn wir letztere allerdings über ihr Schutzbedürfnis hinaus bei uns behalten und ein Einwanderungsgesetz erlassen, über das wir qualifizierte Arbeitskräfte aus bedürftigen Ländern abziehen, verschlechtern wir deren Zukunftsaussichten. Auf dieses Problem hat hans unlängst in einem anderen Thread hingewiesen.
    Außerdem halte ich es (wie er) für äußerst willkürlich, nur diejenigen bei uns aufzunehmen, die es aufgrund ihrer finanziellen Mittel und ihrer guten gesundheitlichen Verfassung bis zu uns geschafft haben. Denn die noch viel Ärmeren, die von Verfolgung und Krieg bedroht sind, fallen dabei hinter runter. Ich denke da z.B. auch an die vielen Frauen, die in Ländern wie Afghanistan Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sind. Wenn wir unsere humanitäre Verantwortung wirklich konsequent wahrnähmen, müssten wir sie alle auf Schiffe und in Flugzeuge packen und zu uns holen. Aber irgendwann würden wir doch an Grenzen stoßen.

  11. Ich überlege mir immer, was passiert, wenn alle es so wie ich/wir machen.
    Niemand lässt qualifizierte Arbeitskräfte einwandern, weil man dem Herkunftsland nicht schaden will.
    Wenn man qualifizierte Arbeitskraft ist. lebt man dann in einer Art DDR, egal wo man sich befindet. Man könnte zwar eigentlich auswandern, aber da man nicht einwandern kann, kann man auch nicht auswandern.
    Mir würde das umgekehrte Prinzip besser gefallen. Jeder muss für ein paar Jahre sein Heimatland verlassen, so wie früher die Wandergesellen.

  12. @ Henning Flessner

    „Jeder muss für ein paar Jahre sein Heimatland verlassen, so wie früher die Wandergesellen.“ –

    Interessantes Gedankenexperiment. Das im Sinne der Erfinder vielleicht mache Lernprozesse auslösen könnte. Der Haken an der Geschichte dürfte sein, dass von denen, die von Europa ausschwärmen – sagen wir mal: Richtung Afghanistan oder Syrien oder auch Somalia – nicht allzu viele zurückkämen.

  13. @Werner Engelmann
    Das Land dürfte man sich schon aussuchen.
    Es wäre eine Art Erasmus-Programm für jedermann. Bei dem kommt jede/jeder Vierte mit einem ausländischen Lebenspartner zurück bzw. bleibt bei dem. Wer unbedingt nicht weg will, zahlt dann eine Erasmus-Ersatz-Steuer.

  14. Und, lieber Herr Flessner, eine solche Wandergesellen-Vorschrift setzt voraus, dass alle auch vorher eine Ausbildung machen (können), was ja in vielen Ländern leider nicht gegeben ist.
    Also würde das eine recht ungleichgewichtige Angelegenheit.

  15. @ Henning Flessner

    „Das Land dürfte man sich schon aussuchen.“

    Also keine Lösung des Flüchtlingsproblems. Das tun die Flüchtlinge gegenwärtig – weitgehend – ja auch.

  16. @ Henning Flessner

    Interesssant an Ihrem Ansatz ist ja auch, dass das zu einer umgekehrten DDR führen würde: Nicht Ausreiseverbot, sondern Ausreisezwang; nicht Freizügigkeit, sondern zwangsweise vorgenommener Rausschmiss.

    Aber ganz am Rande: Da Sie, wie ich vermute, selbst keine Kinder und Enkelkinder haben, kommt Ihnen natürlich die Kehrseite der bereits jetzt unter Studierenden und jungen Akademikern verbreiteten Migrationsbewegungen nicht in den Sinn: auseinander gerissenen Familien bzw. der Aufwand und die ökologische Belastung, wenn man den Kontakt zu Kindern, Enkeln, Geschwistern etc. aufrechterhalten will.

  17. @Brigitte Ernst
    Sie und hans wollten doch (aus durchaus ehrenwerten Motiven) Ausreise durch ein Einreiseverbot verbieten. Wer in meinem Modell nicht gehen will, zahlt eine kleine Steuer (wie die Wehrpflichtersatzabgabe in der Schweiz).
    Sie haben Recht mit Ihrer Vermutung, dass ich keine Kinder habe, aber ich bin ein Kind und war 40 Jahre weit von meinen Eltern getrennt. Viele Eltern tun sich schwer ihre Kinder loszulassen, aber es gibt mindestens genauso viele Kinder, die froh sind, der elterlichen Kontrolle entronnen zu sein.
    Die zunehmende Mobilität junger Menschen ist für mich ein Zeichen der Hoffnung, das man unterstützen sollte.

  18. @ Henning Flessner

    Eine Wehrpflichtersatzabgabe haben wir in Deutschland nicht und brauchen wir auch nicht. Und Arbeitnehmerfreizügigkeit und den Austausch von Studierenden haben wir in Europa ja längst, darüber müssen wir nicht mehr diskutieren. Von jemandem, der heute akademisch vorwärtskommen will, wird auch mindestens ein Auslandspraktikum oder ein Semester im Ausland erwartet, dafür brauchen wir keine Zwänge.

    Was das Loslassen der Kinder anbetrifft, so brauchen Sie von mir nicht zu glauben, dass ich meine Söhnen je gebremst hätte, wenn sie von mir wegstrebten. Mein jüngerer Sohn hat bereits mit 16 ein Highschooljahr in Texas absolviert, er war zum Masterstudium zwei Jahre in England und ist seit Beginn seines Doktorandenstudiums (2005) in den USA, wo er nun auch eine Familie mit einer kleinen Tochter hat. Der Ältere, der nicht so reiselustig ist, war immerhin für ein Semester in den USA. Ich glaube nicht, dass die beiden sich von mir kontolliert gefühlt haben oder fühlen, ich habe ihnen nie im Weg gestanden. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass auch diese grundsätzlich positiven Möglichkeiten, die die Globalisierung bietet, auch ihre Schattenseiten haben. Ein neun Stunden langer Flug mit anschließender dreistündiger Shuttlebus- oder Autofahrt, um die Enkelin zu sehen, wird mit zunehmendem Alter immer beschwerlicher (von den Kosten mal ganz abgesehen), und für die junge Familie mit Kleinkind ist die entsprechende Reise in die umgekehrte Richtung auch eine große Belastung.
    Und dann schwadroniert mancher Ökologe davon, man solle im Interesse der Umwelt Flüge möglichst vermeiden. Da passt einiges nicht zusammen.

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