Er taucht in allen Diskussionen zum Flüchtlingsthema auf: der Hinweis auf die ernst zu nehmenden Unterschiede zwischen den Flüchtlingen und der Aufnahmegesellschaft. Meistens werden diese Unterschiede als Integrationshindernis gesehen und in die Diskussion eingeführt, um darzustellen, dass die Integration der Flüchtlinge schwierig bis unmöglich sei. Immerhin kommen viele jener Flüchtlinge, die Anspruch auf Asyl bei uns haben dürften, aus Ländern, die sich kulturell stark von Deutschland und anderen europäischen Ländern unterscheiden, und sie bringen Auffassungen mit, die mit unserer freiheitlichen Grundordnung in Konflikt geraten. Das ist unbestritten.

Das Problem dabei ist, dass damit eine Aussage über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen wird — eine Aussage zudem, welche Wandelbarkeit und Lernfähigkeit dieser Menschen negiert oder zumindest infrage stellt. Sie unterstellt, dass diese Leute zu uns kommen, um hier ihr bisheriges Leben mit seinen kulturellen Eigenheiten in größerer Sicherheit weiterführen zu können: Sie kommen trotz unserer freiheitlichen Grundordnung und nicht wegen ihr. Damit wird diese Betonung der ernst zu nehmenden Unterschiede zum Problem, zum Integrationshindernis. Was, wenn die Flüchtlinge eben doch wegen unserer freiheitlichen Grundordnung zu uns kommen? Mit der Bereitschaft zu lernen und sich einzugliedern? Bis zu welchem Punkt ist die Skepsis, mit der manche Menschen (auch FR-Leser) der Flüchtlingsthematik begegnen, noch vernünftig, und von welchem Punkt an wird sie zur „selffulfilling prophecy“, weil sie die Integration, deren Möglichkeit sie bezweifelt, erst unmöglich macht?

FR-Leser Yousif S. Toma ist mit seinen Leserbriefen schon seit längerem im Leserforum der FR und im FR-Blog präsent. Ich hatte anlässlich des 70. Geburtstages der FR Gelegenheit, ihn zu sprechen. Leider wurde daraus kein ausführlicher Austausch; dafür war das Fest nicht der richtige Ort. Yousif S. Toma ist irakischer Abstammung, lebt seit knapp 30 Jahren in Deutschland und engagiert sich als Flüchtlingshelfer. Mit seinem Leserbrief, den ich unten als Gastbeitrag anfüge, reagiert er auf den Leserbrief von Werner Arning aus Mörfelden-Walldorf, den ich unter der Überschrift „Ernst zu nehmende Unterschiede“ am 12.12. im FR-Leserforum veröffentlicht habe. Um die Reaktion nachzuvollziehen, bringe ich zuerst den Leserbrief von Werner Arning:

Angesichts des demographischen Wandels, so heißt es derzeit häufig, müsse die derzeitige Zuwanderung von Flüchtlingen als ein Glücksfall für das geburtenarme Deutschland angesehen werden. Theoretisch ja. Kämen die Menschen aus Sozialstrukturen mit einem in etwa mit deutschen Gegebenheiten vergleichbaren Bildungsniveau, und, das sollte nicht immer verschwiegen werden, hätten sie einen in etwa vergleichbaren psychosozialen Hintergrund, wie es zum Beispiel bei Flüchtlingen in der Nachkriegszeit oder nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes der Fall war, wäre dieses auch der Fall. Doch im vorliegenden Fall gibt es ernstzunehmende Mentalitätsunterschiede, die sich auch mit noch so viel, die Existenz von Unterschieden ignorierender Ideologie, nicht wegdiskutieren lassen. Fürsprecher der unbegrenzten Flüchtlingsaufnahme argumentiren nicht selten damit, dass Flüchtlinge, die die großen Strapazen einer Flucht auf sich nehmen, auch alles daran setzen würden, sich zu integrieren, doch Fluchtstrapazen nimmt auch jemand auf sich, der einer Misere entkommen will, es sagt nichts über seine Integrationsbereitschaft aus.

Nun der Gastbeitrag:

Mein Appell: Engagiert Euch!

Von Yousif S. Toma

.

Viele Menschen in Deutschland, auch prominente Politiker, äußern wie FR-Leser Werner Arning große Bedenken, ob es wegen der „ernst zu nehmenden Unterschiede“ gelingen kann, die Integration der Flüchtlinge zu meistern. Vorweg zugegeben: Sie ist eine gigantische, langwierige und kostspielige – aber lohnenswerte – Anstrengung, die den Einsatz aller dafür mobilisierbaren Kräfte und Kompetenzen erfordert. Als ein „integrierter alter Migrant“, der als freiwilliger Helfer intensiv mit den Geflüchteten insbesondere aus dem Nahen Osten arbeitet und – im Unterschied zu den vielen Tausenden jeden Respekt verdienenden Helfern – mit den Flüchtlingen in ihrer Muttersprache sprechen kann, möchte ich mich äußern:

1. Schauen sie sich die Millionen integrierten Menschen an, die in vielen Branchen und auf verschiedenen Ebenen (Handwerkern, VerkäuferInnen, KellnerInnenn, ÄrztInnen, PflegerInnen, ProfessorInnenen, usw. usw.) in unserem Land arbeiten, Steuern entrichten und zu den Sozialkassen beitragen sowie die große Zahl von SchülerInnen, StudentInnen und Azubis mit Migrationshintergrund, die künftig mit zur Sicherung unseres Wohlstands beitragen werden.

2. Die immer wieder unterstrichenen „ernst zu nehmenden Unterschiede“ existieren tatsächlich. Sie bereiten nicht nur vielen deutschen Kopfschmerzen, sorgen, ja sogar Angst, ob und wie sie überwunden werden können. Auch die Flüchtlinge erkennen die „ernst zu nehmenden Unterschiede“ und haben auch sehr große Bedenken, Unsicherheit, ja auch Angst, ob es ihnen gelingen kann / wird, sie zu überwinden. Für sie ist es noch schlimmer: Sie wissen kaum etwas über die Deutschen und das Leben in Deutschland. Was sie glauben zu wissen, ist größtenteils unzutreffend, ähnlich wie das „Wissen“ der meisten Deutschen über die Flüchtlinge.

3. Bundeskanzlerin Merkel hat gesagt: „Die Chancen sind größer als die Risiken“, und „Wir schaffen das“. Diese Aussagen sind m.E. nur richtig, wenn hinzugefügt wird: „unter der Voraussetzung, dass die INTEGRATION gelingt“. „Dann haben alle was davon“ (Volker Bouffier). Damit Integration gelingt, müssen alle, Bund, Länder Kommunalverwaltungen, die Zivilgesellschaft (Deutsche, Migranten – egal mit oder ohne deutschen Pass – und die Flüchtlinge selbst) die Bereitschaft und den Willen besitzen und ihren Beitrag dazu leisten.

4. Wir alle müssen die Deutschen und die Flüchtlinge, die Bedenken und sogar Angst von den leider häufig übertriebenen und auf Vorurteilen und Unkenntnis basierenden „ernst zu nehmenden Unterschieden“ haben, aufklären und ihnen diese „Unterschiede“ erklären und zeigen, dass sie nicht nur überbrückbar sind, sondern sogar – nicht nur ökonomisch (Arbeitskräftemangel, die demographische Entwicklung etc. – bereichernd sein können, wie das Beispiel der Millionen von erfolgreich „Integrierten“ zeigt.

5. Die „Aufklärung“ der Flüchtlinge über die verschiedenen Aspekte des Lebens, über die „Spielregeln“ in Deutschland (Menschenwürde, Gleichstellung der Geschlechter, Freiheit, Religionsfreiheit, Trennung von Staat und Religion, Gewalt, Dialog, Toleranz, Konsens, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am politischen Leben, Rechte der Kinder, Rechte der Lehrer (schlagen?), richtige Erziehung und Ausbildung etc. etc.) muss so schnell wie möglich – also schon während der verwaltungsbedingten „Warteschleife“, vor den Deutsch- und Integrationskursen, bevor negative Einstellungen entstehen oder die „Rattenfänger“ sie erreichen, starten. D.h.: Die Aufklärung muss in der Muttersprache der Flüchtlinge erfolgen und darauf gerichtet sein, die Geflüchteten auf unsere Werte und „Spielregeln“ einzustimmen und bei ihnen die Angst vor der Integration (vor den „Unterschieden“) zu nehmen und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Integration zu stärken. Bei dieser zentralen Aufgabe müssen wir (schon lange in Deutschland lebende Migranten, hier geborene Menschen mit Migrationshintergrund etc.), die die Muttersprache der Flüchtlinge beherrschen, eine wichtige Rolle spielen. Dazu sind wir gegenüber der deutschen Gesellschaft, den leidtragenden Menschen aus unserer frühen Region und unserer humanistischen Haltung verpflichtet. Das ist mein Appell an die Migranten und alle, die die Muttersprachen der Flüchtlinge beherrschen und zu einem friedlichen Zusammenleben in Deutschland beitragen können und wollen: Engagiert Euch! Tragt zur Integration der Flüchtlinge bei. Übersetzungsdienste sind sehr wertvoll und wichtig. Wir können aber viel mehr tun.

6. Die „Aufklärung der Deutschen – wie Herrn Werner Arning aus Mörfelden-Walldorf -, die wegen der „ernst zu nehmenden Unterschiede“ Bedenken haben, ob die Integration gelingen wird / kann, erfolgt bereits durch die Arbeit einiger politischer Parteien, der Medien, der zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Volkshochschulen usw. usw.. Diese Arbeit muss allerdings stärker fokussiert und mit mehr Ressourcen ausgestattet werden, damit der weiteren Erstarkung von AFD, PEGIDA und Co. Einhalt geboten wird.

 

 

Verwandte Themen

24 Kommentare zu “Mein Appell: Engagiert Euch!

  1. dank an yousif s. thoma fuer diese klaren worte!!!
    wir machen hier in unserer kleinstadt in einer uebergangsbehausung, einer kleinen turnhalle, bei der betreuung von etwa 40 „frischen“ fluechtlingen aus afganistan, syrien, irak etc. mit, von denen die allermeisten nicht englisch ( als einstiegsbehelfmittel) sprechen. da sind natuerlich solche anregungen sehr willkommen.
    fuer helfer hier ein weiterer brauchbarer link:

    Refugeeguid.de

    wir haben selbst etliche jahre in laendern gelebt, die zu den armen bis aermsten der welt gehoeren..was wir aus diesen jahren trotz aller widersprueche mitgenommen und bewahrt haben, ist ein so wichtiger schatz, dass es fast ein geschenk ist, jetzt nach langer zeit die chance zu haben, ein bisschen „zurueckzugeben“ an gastfreundschaft, toleranz, menschenwaerme…und es spielt keine rolle, ob unsere „gestrandeten“ freunde arme kurdische bauern, einstige hochschullehrer aus damaskus, eritreer oder junge polizisten aus afghanistan sind… wir fuehlen uns ein bisschen verantwortlich und freuen uns noch imstande zu sein, den herausforderungen zu begegnen.und es ist schoen zu erleben, dass man auch menschen „anstecken“ kann, denen man die betroffenheit nicht zugetraut haette.

  2. Alles ganz Super. Meine Frau engagiert sich seit Monaten sowohl bei der Hausaufgabenhilfe als auch bei der Sprachförderung, und ich mische mit beim Cafe Contact, einem losen Treff von Migranten – auch denen, die schon länger bei uns sind, mit Deutschen, um einfach sich auszutauschen.

    Das Problem, welches ich sehe, ist, das diese ganze Arbeit z.T. für den Ofen ist, wenn nicht die behördliche Infrastruktur mit den entsprechenden Geldern zur Verfügung gestellt wird und da ist. Mit „Good Will“ allein sind die Ehrenamtlichen irgendwann ausgebrannt, und schmeißen den Bettel hin. Wenn hier die politische Verantwortlichen nicht ganz schnell „Butter bei die Fische“ machen, dann gibt es sehr schnell Randale, weil dann sich die Vorwürfe der Migranten mit den Vorurteilen der Abwehrenden und Überfremdung befürchtenden treffen.

    Wir haben, und das habe ich heute abend aus der Sendung „Anne Will“ mitgenommen, aber auch eine berechtigte Forderung an alle Migranten: Integrationsbereitschaft. Einem Deutschen, der Rechte, Pflichten und jetzt auch Vorurteile hat, ist es schwer zu vermitteln, wenn Flüchtlinge zunächst auf ihren kulturellen Eigenständigkeiten berufen. Und der Weitergabe an deren Kinder. Ich hatte das konkrete Beispiel jetzt gestern beim Treff im Cafe Kontakt. Eine Iranerin, der ich spontan die Hand reichte, verweigerte mir die Handreichung. Ja, machte ich mit Islam und anderer Kultur ab. Und dann hatte ich ein langes Gespräche mit einer Frau aus Erithrea, mit sehr guten Deutsch-Kenntnissen, seit 18 Jahren hier bei uns, und sie drückte mich überraschend beim Abschied.

    Im Moment sehe ich nicht nur die Migranten, sondern auch unser deutsches Volk überfordert, und allein gelassen, mit diesem „Wir schaffen das.“

  3. @ 1; maiillimi

    Wenn man als Mitteleuropäer etliche Jahre in Ländern lebt, die zu den armen bis ärmsten in der Welt gehören und dort die Gastfreundschaft, die Toleranz und die Menschenwärme der Bevölkerung genießt, fühlt man da als Gast das Verlangen, sich zu integrieren? Oder spürt man vielleicht, daß die Einheimischen von einem erwarten, daß man sich integriert, daß man die „Leitkultur“ des Gastgebers übernimmt? Fände man als Deutscher es nicht eher befremdlich, wenn nicht gar als Zumutung, fremde Sitten und Gebräuche annehmen und Autoritäten respektieren zu müssen, die dem eigenen Selbstverständnis nicht entsprechen?

    Ich bin der Auffassung, die Integrationsbereitschaft der Migranten wird einer ungleich höheren Beanspruchung unterworfen als die Integrationsbereitschaft unserer Landsleute, mit der es allem Anschein nach ohnehin nicht weit her ist. Deshalb ist es zuerst einmal wichtig, die Neuankömmlinge menschenwürdig unterzubringen, mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen und ihnen die Spielregeln für ein gesetzeskonformes Verhalten nahezubringen. Dem Integrationsprozedere sollten nur die Asylanten und Einwanderer sich unterziehen müssen, die letztlich im Land bleiben dürfen und es dann noch wollen.

  4. Ich schließe mich dem Dank von maillimi (#1) an Yousif S. Toma an.
    Freilich wird es nicht mit Appellen getan sein, wenn man aus dem gegenwärtigen Chaos herauskommen will. Dass sich dieses in den Köpfen ebenso wiederfindet wie in der Politik, hat soeben Anne Will demonstriert. Da wurde zwischen Flüchtlingszahlen, Asylproblem, Einwanderungsproblem, Problemen der Kommunen, vergangenen Versäumnissen, Ängsten, Fremdenfeindlichkeit, Integrationsverweigerung und Islam hin- und hergesprungen, ohne dass die Möglichkeit bestanden hätte, auch nur ansatzweise Konzepte zu entwickeln.
    Wie immer, wenn aufgrund vergangener Versäumnisse viele Probleme anstehen, die alle zugleich gelöst werden müssten, kommt es zunächst darauf an, Prioritäten zu setzen. Da bietet Herr Toma mehr Ansatzmöglichkeiten.

    Zunächst nur Anmerkungen zu 2 Punkten:
    Punkt 3:
    „Bereitschaft“ vieler, „ihren Beitrag dazu zu leisten“ ist sicher notwendige Ergänzung zum Merkelschen „Wir schaffen das“. Ich möchte hinzufügen: Und die notwendige Koordination, damit aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird. Das dürfte wohl (neben entsprechender finanzieller Ausstattung an die Kommunen) gegenwärtig die Hauptforderung an die Politik sein.
    Punkt 5: „Aufklärung“ der Flüchtlinge über „Spielregeln“ in Deutschland.
    Das ist kein intellektuelles Problem, sondern ein Problem der Praxis. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, meint Brecht. Was Vorstellungen, Flüchtlingen bei der Aufnahme als erstes eine zu unterzeichnende Belehrung in die Hand zu drücken, ad absurdum führt.
    Natürlich sind zu allererst Grundbedürfnisse abzudecken, und im Zuge der praktischen Hilfeleistung kann auch auf grundlegende Bedingungen der gesellschaftlichen Organisation und dahinter stehender Grundwerte eingegangen werden. Das können engagierte Helfer (mit entsprechender Unterstüzung der Politik) sicher am besten leisten.
    Als erstes allen Frauen die Hand zu reichen, um ihre Integrationsfähigkeit zu testen, ist aber sicher keine gute Idee. Das kann Frau Klöckner von einem Imam erwarten, der schon viele Jahre hier lebt.
    „Aufklärung in der Muttersprache der Flüchtlinge“, wie Herr Toma sie vorschlägt, dürfte weder praktisch durchführbar noch notwendig sein. Ich würde hier z.B. in einem Integrationskurs grundlegende Einstellungen im Rollenspiel vermitteln, das weitgehend nonverbal abläuft.
    Wichtig erscheint mir dagegen sein Vorschlag, Migranten in diese Vermittlung einzubeziehen.
    Ich würde da noch weiter gehen und unter den Flüchtlingen selbst Menschen suchen, die zu solcher Vermittungstätigkeit bereit und fähig sind. Betreuer in Flüchtlingsheimen etwa, die ihre Aufgabe nicht nur in Verwaltung sehen, müssten dazu wohl in der Lage sein.

  5. Gelungene Integration hängt sicherlich auch viel von der Anzahl und der Zusammenstellung der Schutzsuchenden ab.

    Der einfache Zahlenvergleich 80 Millionen zu 1 Million sagt uns, das sind 80 Einheimische zu 1 der zu integrieren ist. Kein Problem !

    Wir sehen im TV und auch auf Printfotos überwiegend Flüchtlingszüge, vorneweg Familien mit kleinen Kindern, die erwartungsvoll und treuherzig zu uns schauen. Wer will da „nein“ sagen !? Kein Problem.

    Aus manchen Interviews kann man aber heraushören, dass in den angekommenen Bussen zu 80% junge Männer waren. Wenn das bei allen ankommenden Zügen so wäre, sähe die Gegenüberstellung nicht mehr ganz so freundlich aus. Da wären dann plötzlich 800 000 junge, fremde Männer aus einem völlig anderen Kulturkreis zu integrieren !! Großes Problem…

    Dann kommt es ja auch noch auf den Verteilschlüssel an. Eine Gemeinde mit 10 000 Einwohnern käme mit 2 000 Zuwanderern nicht so einfach klar.

    Warum geht man eigentlich davon aus, dass alle hier bleiben wollen ?
    Wenn ich flüchten müsste, würde ich so bald es nur irgend möglich wäre, wieder zurück in meine Heimat, meine gewohnte Umgebung.
    Wenn ich flüchten müsste, würde ich auch gewiss nicht in ein tausende Kilometer entferntes Land mit einer mir völlig fremden Kultur fliehen.

  6. zitat eines jungen eritreers aus unserem begegnungscafes „wenn der spuk bei uns vorbei ist, sitze ich morgen im flugzeug nach asmara“
    derweil besucht er saemtliche verfuegbaren deutschkurse.

  7. Ich stimme Manfred Petersmark (#3) im Prinzip zu, insbesondere, was die Notwendigkeit betrifft, „Spielregeln für ein gesetzeskonformes Verhalten“ zu vermitteln. Insofern spielt die Bleibeperspektive keine Rolle.
    Wie aber steht es mit denen, die eine Bleibeperspektive haben? Man wird da nicht umhin kommen, den Allerweltsbegriff „Integration“ näher zu definieren.

    Unbestritten dürfte sein, dass „Integration“ ein funktionierendes Zusammenleben in der Gesellschaft im Sinne der Respektierung der Gesetze sicherzustellen hat. Inzwischen gilt das wohl auch für die Beherrschung der Sprache.
    Als zu verhindernder Gegensatz gilt die Herausbildung von Parallelgesellschaften.
    Dennoch gelten schon die letzten beiden Kriterien nicht absolut. In der ersten Generation von „Gastarbeiter“-Familien waren viele (vor allem Mütter) nicht „integriert“, sprachen auch nur völlig unzureichend Deutsch. Dennoch stellten sie keine Gefahr der Gesellschaft dar.
    Dazu kommt es erst, wenn – vor aus allem kulturellen Differenzen – politische Forderungen abgeleitet werden, die im Widerspruch zur Verfassung stehen.
    Dies gilt es also vor allem zu verhindern, nicht die andersartige kulturelle Indentität zu beseitigen – was die Forderung nach „Asssimilation“ beinhaltet. Dass dies eine Diskussion um „Leitkultur“ leistet, erscheint mir fraglich.

    Nach meinem Eindruck steht bei den generalisierend geäußerten Zweifeln an „Integrationsbereitschaft“ von Flüchtlingen im Hinterkopf eher die Forderung nach Assimilation. Auch hier stimme ich Herrn Petersmark zu.
    Ein Beispiel:
    Bei „Anne Will“ am Donnerstag führte eine Filmemacherin als Beispiel für fehlende Integrationsbereitschaft Aussagen von Schülern (hier geboren, also nicht Flüchtlinge!) an, dass der ältere Bruder über die „Moral“ seiner jüngeren Schwester zu wachen habe, wobei diese auch zustimmte.
    Zweifellos kein Nachweis vollständig gelungener Integration. Vorausgesetzt, dass aus einer solchen Einstellung keine Straftat (wie „Ehrenmord“) erwächst: Wer gefährdet die Gesellschaft mehr – diese Geschwister oder die inzwischen über 1600 Übergriffe von Deutschen (davon über 600 Brandanschläge) auf Flüchtlingsheime und Helfer? – Ich vermisse hier die Forderung nach Integration.
    Zu fragen wäre, ob nicht auch Richter zu Herausbildung zur Herausbildung von Parallelgesellschaften beitragen, die milde Urteile gegen Verantwortliche von „Ehrenmorden“ mit „anderer kultuellen Vorstellungen“ begründen.
    Ziel von Integration kann nicht ein, unterschiedliche kulturelle Orientierungen aufzuheben. Diese sind zu ertragen bzw. auf Nachbarschaftsebene zu klären.
    Was die Respektierung von Gesetzen angeht, kann es freilich keinen kulturellen Bonus geben – aber auch keinen Malus.

  8. Es ist wohl die Sehnsucht eines jeden Emigranten oder Flüchtlings, eines Tages unter besseren Umständen in die Heimat zurückkehren zu können. Aber wie lange dauert es, bis die menschenunwürdigen Zustände beseitigt sind, oder die Fluchtgründe nicht mehr bestehen? Ich habe den Spruch meiner Mutter im Ohr, als wir endlich eine eigene Wohnung beziehen konnten, die uns drei Kindern damals sehr komfortabel erschien, mit Badezimmer, fließend warmen Wasser erhitzt aus dem Gasboiler, sogar ein Kühlschrank gehörte dazu. Ein Glücksgeschenk. Aber sie sagte: „Hier bleiben wir nicht lange.“ Das klingt immer noch in mir nach.

    Auch die türkischen Gastarbeiter wollten immer nur zwei Jahre bleiben und dann noch zwei weitere Jahre, und noch zwei weitere. Für Kinder ist das keine Perspektive, wenn die Eltern sich immer zurücksehnen. Die Kinder schließen Freundschaften, sie wollen ankommen, bleiben.

    Der heutige Mensch ist eigentlich wieder ein Nomade, der von Ort zu Ort zieht, überall seine „Zelte“ aufschlägt, wo er eine Arbeit und sein Auskommen findet. Irgendwie schafft er seine Anpassungsleistung an die neuen Gegebenheiten immer wieder, auch wenn es ihm schwer fällt. Er verändert durch seine mitgebrachte Kultur auch die Gesellschaft, die ihn aufgenommen hat, die das langsam auch akzeptiert, besonders im Kulinarischen. Liebe geht durch den Magen, sagt man. Da ist durchaus was dran.

    Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass die sozialen Nachbarschaften sich ändern. Schlimm finde ich das nicht. Wenn wir zusammen kochen und lachen können, dann haben wir schon viel gewonnen.

  9. @ 6; maiillimi

    Der junge Eritreer tut recht. Wenn er nicht schon anerkannt ist, liegt die Chance, daß seinem Asylantrag stattgegeben wird, wohl bei einhundert Prozent. Allerdings sollte er nur den Deutschkurs besuchen, von dem er sich am meisten verspricht. In den weiteren angebotenen Kursen würde er anderen Interessenten die Plätze wegnehmen. Leider ist es illusorisch, daß für eine Million Migranten, die in diesem Jahr zu uns kommen, Deutschkurse in ausreichender Zahl angeboten werden könnten, selbst wenn nur ein Bruchteil daran interessiert wäre. An erster Stelle muß die Sicherung der nackten physischen Existenz dieser Menschen stehen. Und das ist schon in unserem Land kompliziert genug. Und nahezu hoffnungslos erscheint es mir, wenn ich in die Richtung blicke, aus der die Flüchtlingsströme kommen.

  10. # 7, Werner Engelmann,

    „…Wer gefährdet die Gesellschaft mehr – diese Geschwister oder die inzwischen
    1600 Übergriffe von Deutschen…“

    Ich wundere mich immer wieder von neuem, dass Sie derartige Vergleiche heranziehen.
    Oder sollte dieser Satz als Leserbrief an die Zeitung mit den vier großen Buchstaben gehen ?
    Da wäre er passend.

  11. @10 werner.h
    Ich habe nicht verstanden, was Sie an dem Satz von W. Engelmann so stört. Könnten Sie es bitte erläutern.

  12. @ werner.h, #10

    Ich wundere mich – allerdings nicht „immer wieder von neuem“ -, wie man mit Singular und Plural so auf Kriegsfuß stehen kann, dass man sie nicht mehr zu unterscheiden vermag.
    Ist der Gedanke, dass sich die Frage nach Integrationsfähigkeit nicht nur bei Menschen mit fremdem Pass stellen könnte, so erschreckend, dasss er gleich Wiederholungszwänge auslöst?

  13. Zu Yousif Tomas Punkt 5:
    Zum Glück geschieht offenbar in einigen Orten genau das, was Yousif Toma anregt: Es bilden sich Gruppen von Helfern mit Migrationshintergrund, die mit den Flüchtlingen in deren Sprachen kommunizieren können. Bei Maybrit Illner wurde am 17.12. eine junge Architektin mit afghanischen Wurzeln vorgestellt, die eine solche Gruppe gegründet hat. Was spricht dann dagegen, dass auf diesem Wege auch schon Informationen über die „Spielregeln“ in unserem Land vermittelt werden? Das wird doch beim Austausch zwischen Helfer und Flüchtling von selbst geschehen. Allerdings wies die junge Frau darauf hin, dass die Ehrenamtlichen allein diese Aufgabe nicht stemmen können.

    Ein großes Problem wurde allerdings in der genannten Sendung von der Bezirksbürgermeisterin von Neukölln angesprochen: Von den registrierten v.a. jungen Männern verlassen aus Frust über die Massenunterkünfte und die nicht erfüllten Hoffnungen 20% und mehr die Erstaufnahmeeinrichtungen sofort wieder und versuchen auf eigene Faust, ihr Leben in bereits bestehenden arabischen Communities zu organisieren. In diesen Fällen sieht die Politikerin die Gefahr, dass diese Flüchtlinge zum finanziellen Überleben in halblegal operierenden Milieus landen und die Integrationsangebote an sich vorbeigehen lassen.
    Das Problem der Desillusionierung aufseiten der Neuankömmlinge scheint auch besonders groß zu sein, weil über die sozialen Netzwerke offenbar ein völlig unrealistisches Bild von dem verbreitet wird, was die Flüchtlinge in Deutschland erwartet.

  14. # 11, Henning Flessner,

    Meine 80-jährige Oma geht gern auf einsamen Wegen im Wald spazieren.
    Die zwei halbwüchsigen Nachbarskinder mit ihrem scharfen Schäferhund auch.
    Welchen möchten sie lieber begegnen ?

    Alles klar ?

    # 12, Werner Engelmann,

    Zur Sache : Null.

    Bitten Sie doch Bronski, einen Thread über Grammatik u.ä. auf zu machen – ich werde mich da bestimmt nicht einmischen.

  15. @ Werner Engelmann #7

    Nach meiner Information ist die deutsche Justiz mittlerweile längst davon abgerückt, Straftätern einen kulturellen Bonus zu geben. Was Sie ansprechen, geschah im Rahmen der politischen Phase in den 90er Jahren, die ich als „Multikulti-Traumtänzerei“ bezeichnen würde, die aber selbst die meisten Grünen inzwischen zum Glück hinter sich gelassen haben. Darüber, dass diese Form der Rechtsprechung für die Integration von Migranten schädlich war, sind wir uns einig.

    Ihren Einlassungen zum Thema Singular und Plural kann ich nicht ganz folgen: Die genannten Geschwister stehen im Plural, ebenso die 1600 Übergriffe von Deutschen. Preisfrage: Wo hat sich der Singular versteckt?

  16. Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Diskussion,
    ich danke Ihnen für Ihre Beiträge, auch und insbesondere für die kritischen Anmerkungen. Da ich die Diskussion angestoßen habe, möchte ich auf einige Aussagen kurz reagieren.
    1. Ich weiß, dass sich sehr viele Bürgerinnen und Bürger – auch Einwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund -, überall in Deutschland – auch in Sachsen und …- als Helfer engagieren und damit auch zur schnellen Integration der Neubürger beitragen. Das finde ich großartig, das überrascht mich aber nicht. Das entspricht genau dem Bild, das ich schon immer von meinen „neuen Landleuten“ hatte und habe.
    2. Leider habe ich aber den Eindruck, dass das Engagement der Migrantinnen und Migranten nicht dem Bevölkerungsanteil entspricht. Wenn ich nur die Namen der DiskutantInnen hier anschaue, so vermisse ich Hassan, Ahmad, Scherko …….. Das ist nicht ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ca. 50% ausmacht.
    3. Ich habe nicht beabsichtigt zu sagen, dass meine Idee (Migranten sollen Geflüchtete in ihrer Muttersprache über Deutschland – Werte, Prinzipien, Verhalten, Fakten…..- informieren und aufklären) DIE Lösung der Integrationsaufgabe ist. Natürlich müssen sehr viele andere Felder bearbeitet werden wie Unterbringung, Sprachunterricht, Verpflegung, Gesundheit, Erziehung, Bildung, Ausbildung, Eingliederung in den Arbeitsmarkt etc. etc.
    4. Aufgrund meiner intensiven Arbeit mit Geflüchteten: Integration ist ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess, der am ersten Tag nach der Ankunft beginnt (sollte beginnen). Aber wie kann sich der Fremde mental und emotional auf etwas einstimmen ohne eine Ahnung von der Gesellschaft zu haben, in die er sich und seine Familie (!) integrieren soll? Wo sind die Schlaglöcher? Welche Gefahren lauern auf dem weg der Integration, insbesondere für meine Familie? Wird meine Familie durch die hier herrschende FREIHEIT auseinander driften? Diese und viele andere Fragen sind nicht fiktiv. Die Geflüchteten stellen sie, wenn sie jemanden erwischen, der / die ihre Sprache spricht. Wenn sie nicht schnell und sachlich beantwortet werden, geht das Grübeln weiter und können – gepaart mit unbefriedigenden Unterbringungsverhältnissen und Unsicherheit über die nächsten Stationen und die Dauer bis zu einer stabilen Lebenssituation in einer eigenen Wohnung – Können zur Frustration und sogar zu einer negativen Haltung führen und somit die angestrebte Integration erschweren.

    Meine Frage an die Leser: Wie können wir gemeinsam diese Notwendigkeit möglichst vielen integrierten MigrantInnen vermitteln und sie gewinnen, sich wie geplant zu engagieren?. Ich hatte am letzten Freitag in einer Erstaufnahmeeinrichtung meine erste systematische Gesprächsrunde von 2 Stunden mit 15 Geflüchteten. Es war für alle ein wunderbarer Informations- und Gedankenaustausch. Die Themen wurden abgestimmt. Geplant: Jede Woche 2 Stunden. Sie fragten: „Können wir das nicht jeden Tag machen“?

  17. Eine kleine aber wichtige Ergänzung zu meinem letzten Beitrag:
    der Anteil von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund IN FRANKFZRT (!!!) beträgt ca. 50%.

  18. @ Yousif S. Toma, #17

    Lieber Herr Toma,
    ich habe schon in #4 ausgedrückt, dass ich Ihre Initiative für sehr begrüßenswert halte.
    Damit es nicht in bloßen Absichtserklärungen verpufft, scheinen mir einige Ergänzungen bzw. Konkretisierungen nötig zu sein.

    Zu 1/2:
    Die Motive, sich konkret für Flüchtlinge zu engagieren, können sehr unterschiedlich sein: etwa Bekanntschaft mit Schicksalen in eigener Familie oder im Bekanntenkreis, vergangene Begegnungen, religiös-moralische Überzeugungen oder „einfach“ staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein. Solche Motive zu beurteilen, steht mir nicht an.
    Ob Migranten für solches Engagement prädestiniert sind, ist keineswegs sicher. Die Kenntnis ähnlicher Situationen spricht eigentlich dafür.
    Es gibt aber auch gegenteilige Beispiele. Ich habe oft beobachtet, wie gerade Migranten sich besonders nationalistisch gebärden. In Frankreich sind viele Literaten und Kommentatoren, die in den Medien herumgereicht werden und Chauvinismus bis hin zu Rassismus predigen, algerischer oder marokkanischer Herkunft. Ein Nicolas Sarkozy, der permanent das Loblied auf Frankreich anstimmt und sich als Hardliner gebärdet, stammt aus Ungarn. Und ein Beispiel aus Deutschland: Sarrazin ist auch nicht gerade ein urdeutscher Name.
    Ein Grund dafür mag z.B. Unsicherheit der eigenen Identität und Erfahrung der Ablehung sein. (Die zu beobachtende Aggressivität beim Thema „doppelte Staatsangehörigkeit“ liefert hier viele Belege.) In Deutschland aufgewachsene „Gastarbeiter“-Kinder erfahren sich in Deutschland oft als Türken, in der Türkei als Deutsche. Keine gute Voraussetzung, um sich hier auch noch zu engagieren – was ja auch heißt: Flagge zu zeigen und Gegenreaktionen auszuhalten. (Sie können das auch an einigen Reaktionen hier im Blog beobachten.)
    Freilich kann und soll man solche Erfahrungen auch als Bereicherung sehen. Unsere Kinder sind Deutsche und Franzosen mit beiden Identitäten (besser: europäischer Identität). Ich habe an keinem von ihnen irgendwelche Kontaktprobleme, auch zu Menschen anderer Herkunft beobachtet. Das gilt es zu nutzen.

    Zu 3:
    Zweifellos können Menschen mit entsprechenden sprachlichen Voraussetzungen einen wertvollen Beitrag zur Integration anderer leisten. Wir können es hier an seit einigen Wochen angekommenen Asylbewerbern (Kurden aus Irak, Iraner, Erithreer) beobachten, wie Sprachbarrieren Fremdheit auch untereinander bedingen, dazu auch gegenseitige Vorurteile im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung.
    Entscheidend ist hier aber die Bereitschaft und die Fähigkeit, ohne Vorurteile und Berührungsängste auf andere zuzugehen, Bedürfnisse anderer überhaupt zu erkennen und Andersartigkeit zu respektieren. Die Möglichkeit sprachlicher Verständigung ist dabei zweifellos sehr wichtig, z.T. auch Voraussetzung. Ob man selbst Migrant ist oder nicht, erscheint demgegenüber zweitrangig.

    Zu 4:
    Hier sprechen Sie m.E. die entscheidenden Punkte an.
    Vorschläge, die in der öffentlichen Diskussion derzeit herumgeistern, zeigen m.E., mit wieviel Ahnungslosigkeit und fehlender Sensibilität hier z.T. hantiert wird. Etwa der in der CDU diskutierte Vorschlag, ankommenden Flüchtlingen als erstes ein persönlich zu unterzeichnendes Bekenntnis zu deutscher „Leitkultur“ abzuverlangen. Das sicherste Mittel, sie in die Arme von Salafisten und Scharlatenen zu treiben, Gefühle der Fremdheit, der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins postwendend in z.T. auch aggressive Abwehr zu verwandeln.
    Alle Ihre Fragen sind hier sehr berechtigt, insbesondere Ihr Hinweis auf die Notwendigkeit, „mental und emotional“ auf Anforderungen und Gefahren einzustimmen, die hier auf sie zukommen. Dass dies positiv nur möglich ist, wenn zugleich das Gefühl vermittelt wird, wenn nicht „willkommen“, so doch zmindest akzeptiert zu sein, liegt auf der Hand.

    Um zu einem produktiven Abschluss zu kommen:
    Ich habe bereits in #4 auf die Möglichkeit verwiesen, „in einem Integrationskurs grundlegende Einstellungen im Rollenspiel vermitteln, das weitgehend nonverbal abläuft“.
    Ich habe Ähnliches in anderem Zusammenhang bereits praktiziert, z.B. als „Anti-Gewalt-Training“ mit Schülern, die zu Aggressivität und Gewaltanwendung neigten.
    Ich bin bereit, entsprechende Vorschläge zu erarbeiten und über meine Website „fluechtlingstheater-kleiner-prinz.de“ öffentlich zugänglich zu machen.
    Da jedes Rollenspiel auf der Simulierung ganz konkreter Konfliktsituationen aufbaut, ist dazu aber die Kenntnis einer möglichst großen Zahl solcher Konfliktsituationen notwendig, am besten mit Beschreibung beobachteter Reaktionen. Auf dieser Basis ist es möglich, alternative, gewaltfreie Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Darüberhinaus können (sofern die sprachlichen Voraussetzungen gegeben sind), eine eingeschränkte Perspektive als Hauptgrund für unangemessene Reaktionen deutlich gemacht und langfristig neue Perspektiven eröffnet werden.

    Da Sie offenbar umfassende Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen besitzen, wäre es sehr hilfreich, wenn Sie hier solche konkrete Konfliktsituationen benennen und möglichst detailliert schildern könnten.

  19. zu 19 W. Engelmann

    „Und ein Beispiel aus Deutschland: Sarrazin ist auch nicht gerade ein urdeutscher Name.“

    Wenn´s gegen den Gegner geht, ist das wohl erlaubt.

    Wehe aber wenn es einen vermeintlichen Unterstützer Ihrer Position geht. Dann ist Kampfmodus angesagt.

  20. Zu einigen Widersprüchen bez. Vorstellungen von „Integration“ und bestehenden Integrationskonzepten:

    Zu den bestehenden Integrationskonzepten:
    Das bestehende Zuwanderungsgesetz schreibt für anerkannte Asylbewerber eine verpfichtende Teilnahme an einem Integrationskurs vor. So verfügt das Aufenthaltsgesetz in §44a u.a.:
    „Ein Ausländer ist zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet, (…) wenn er in besonderer Weise integrationsbedürftig ist.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__44a.html)
    Als Ziel der Integrationskurse wird in §43 ausgeführt:
    „Der Integrationskurs umfasst Angebote, die Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen.“
    Zur Ermittlung der Bedürfnisse wurde eine Recherche in Auftrag gegeben, wobei aber von den befragten Bewerbern nur 3 % über Arabischkenntnisse verfügten. (http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__44a.html)
    Vom Goetheinstitut wurde für diesen Integrationskurs ein Rahmencurriculum von insgesamt 645 Unterrichtsstunden erstellt. Bei einer maximalen Belastung von 2 x 3 Wochenstunden ist dieses Konzept auf eine verpflichtende Teilnahme für eine Dauer von 3 Jahren angesetzt. Dieses Curriculum legt vor allem sprachliche Ziele in Bezug auf den europäischen Referenzrahmen fest. Es ordnet die Lernziele nach relevanten Kommunikationssituationen und sprachlichem Niveau.
    So wird für die Fertigkeiten „Gefühle ausdrücken“, „Umgang mit Dissens und Konflikten“ und „Soziale Kontakte aufnehmen“ ein sprachlicher Kenntnisstand A2 nach Referenzrahmen vorausgesetzt. Die Zulassung zur Prüfung für dieses Niveau erfolgt in der Regel nach 240 Unterrichtsstunden (also frühestens nach 1 Jahr).

    Zur realen Situation:
    Es liegt auf der Hand, dass das beschriebene vorliegende Integrationskonzept in keiner Weise zur Bewältigung der gegenwärtigen Anforderungen geeignet ist. Das gilt sowohl für die betroffene Population als auch für die zu bewältigenden Situationen.
    Herr Toma hat dies in #17 richtig benannt:
    „Integration ist ein sehr schwieriger und langwieriger Prozess, der am ersten Tag nach der Ankunft beginnt.“
    So ist die Bewältigung von Situationen, die oben unter „Fertigkeiten“ genannt sind, für Flüchtlingen von Anfang an relevant. (Ohne auf die aberwitzige Vorstellung einer als erstes abzuverlangenden Bekenntnisses zu deutscher „Leitkultur“ einzugehen).

    Fazit:
    Die gegenwärtige Situation verlangt zur Bewältigung der Integrationsaufgabe völlig neue Konzepte. Dies betrifft nicht nur die (von Herrn Toma angesprochene) Heranziehung von sprachkompetenten Migranten. Es verlangt auch die Befähigung von Helfern, vom ersten Moment an in elementarer Weise Integrationsarbeit zu leisten, einschließlich etwa der Vermittlung in Konfliktsituationen.
    Auf die Entwicklung eben solcher neuer Konzepte zielen meine Hinweise in #19, Punkt 4 ab.

  21. „…immer wenn es konkret wird wird es auch still.“
    So ein Beitrag in einem anderen Thread. Der war freilich als Breitseite gegen Menschen gedacht, die nationale Herausforderungen auch als Verpflichtung für sich selbst ansehen. – Nun, wie es wirklich steht, sieht man ja.
    Doch auch, wenn es nicht sonderlich Spaß macht, als Alleinunterhalter aufzutreten – weiter geht es trotzdem.

    Faz.net hat ein verdienstvolles Projekt unter „Blogs“ online gestellt: „Hier. Und jetzt? – Als Flüchtling in Deutschland“ (http://blogs.faz.net/hierundjetzt/)
    8 Flüchtlingsschicksale wurden bislang vorgestellt. Gelegenheit, deren Probleme und Denkweisen kennenzulernen. Über 30 Themen habe ich darauszusammengestellt, die sich im Rahmen der „Integration“ diskutieren, z.T. auch ohne wenig Sprachkenntnisse spielerisch (als Rollenspiel) bearbeiten ließen. Die sich auch kaum in den vom Goethe-Institut empfohlenen Lehrwerken (vgl. #21) wiederfinden. Hinweise, die „Islamisierungs“-Ängste rechtfertigen würden, finden sich nicht darunter. Mit großem Abstand dagegen Hinweise auf Hoffnungen und Erwartungen.

    Hier ein kleiner Auszug der angesprochenen Themen:
    Fremde Welt:
    – Kulturschock in der Kneipe
    Flüchtlingsheim:
    – Und wie unter solchen Umständen Ordnung halten?
    Behörden:
    – Angst vor dem Behördengang
    – Die verweigerte Anerkennung des Dokuments (z.B. Heiratsurkunde)
    Umgang mit anderen Menschen:
    – Das Problem mit der Pünktlichkeit
    Erfahrung der Hilflosigkeit/ Ängste:
    – Ich fürchte keine Übergriffe, ich fürchte die Ungewissheit
    Hoffnungen und Erwartungen:
    – Ich will da leben, wo meine Tochter nicht verstümmelt wird
    – Wir möchten, dass unsere Familien in Sicherheit leben
    – Und wenn es für mich als IT-Experten nur ein Minijob wäre
    – Nur Ungewissheit – und ich habe so viel Hunger auf Schule
    – Sicherheit heißt, von Zukunft zu träumen, die man aus eigener Kraft erreichen kann
    – Ich möchte auf Deutsch sagen können, was ich hoffe und erreichen will
    Traumatisierende Vergangenheit holt mich ein:
    – Und wie nach all dem anderen vertrauen?
    – Lieber das Leben riskieren als an einen Mann verkauft zu werden
    – „Geld oder Fingerabdrücke!“ sagte der Polizist in Ungarn.

    Zu den Prinzipien des Rollenspiels:

    Ausgangspunkt:
    Unsicherheit und Aggressionen im Umgang mit Menschen anderer Kulturen resultieren weitgehend aus der Unfähigkeit, eine (oft seit früher Kindheit eingenommene) festgefahrene Perspektive (kulturell oder religiös bedingt) zu verlassen. Die Konfrontation mit Fremdem wird als Gefährdung der eigenen Identität erfahren.
    Ziele:
    – Der Konfrontation mit neuen Situationen durch spielerischen Umgang den bedrohlichen Charakter nehmen.
    – Die neue Situation aus der Perspektive einer anderen (gespielten) Person wahrnehmen.
    – Die ausgelösten Emotionen wahrnehmen und ohne Furcht vor Konsequenzen äußern dürfen.
    – Durch Sichtbarmachen der Emotionen eine rationale Auseinandersetzung mit ihnen ermöglichen.
    Prinzip:
    – Konfliktsituationen müssen aus mindestens 2 verschiedenen Perspektiven (z.B. Täter und Gewaltopfer) erfahren werden. Evt. ist eine weitere Perspektive als „Beobachter“ hifreich.
    – Eine explizite Verbalisierung der erfahrenen Emotionen ist (soweit die sprachlichen Voraussetzungen gegeben sind) im Sinne der Bewusstwerdung anzustreben. Evt. kann dies auch mit reduziertem Vokabular (gut-schlecht, stark-schwach usw.) geschehen.
    – Die Besprechung beschränkt sich auf Feststellungen von Gefühlen und enthält sich jeglicher moralischer Wertung.
    – Alternative Handlungsmöglichkeiten sollten aus dem Spiel selbst erwachsen. Schlussfolgerungen für Realsituationen sind aber von dem Betreffenden selbst zu ziehen.

    Der Themenkatalog sollte sich möglichst aus jeweils anstehenden Problemen ergeben und nur notfalls vorgegeben werden. Ggf. können belastende Situationen im Vorfeld bearbeitet werden (z.B. Angst vor Behördengang).

    Die Bearbeitung von Problemsituationen im oben genannten Sinn erfordert m.E. keine spezielle psychologische oder pädagogische Vorkenntnis und ist auch außerhalb von Integrationskursen oder Sprachkursen, z.B. mit einer Gruppe in Flüchtlingsheimen durch Helfer durchführbar.
    Nähere Hinweise werden demnächst auf meiner Website „fluechtlingstheater-kleine-prinz.de“ erfolgen.

    Ich wünsche allen Mitbloggern einen guten Rutsch!

  22. zu @ 23 Werner Engelmann
    immer wenn es konkret wird wird es auch still

    Diese Aussage stammt von mir, wie sie bestimmt wissen. Sie ist für mich keine Breitseite gegen irgend jemanden sondern eine Feststellung von jemanden der seit Jahrzehnten sozial aktiv ist. Im Beitrag 16 habe ich hier darauf hingewiesen das es schon seit langem gute Gründe gäbe das zu tun und ich es fast schon beschämend finde wenn jemand die Flüchtlinge braucht um so was festzustellen.

Kommentarfunktion geschlossen