Die klassische Hauptschule ist auf dem Rückzug. Die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen – interessanterweise von völlig unterschiedlichen politischen Konstellationen regiert – exerzieren vor, wie es gehen könnte. In Berlin werden Sekundarschulen etabliert, die die Hauptschule überflüssig machen. Nach der Grundschule wird dort nach dem Willen von Rot-Rot – vorher hat Schwarz-Grün in Hamburg etwas Ähnliches beschlossen – für den ganzen Rest des Schülerlebens gemeinsam gelernt. Diese Schulen ermöglichen das Abitur – mit der 13. Jahrgangsstufe. Auf dem Gymnasium, das daneben weiter besucht werden kann, kann das Abi mit der zwölften Jahrgangsstufe erreicht werden. Dazu meint Wilfried Jannack aus Hannover:
„Jeanette Goddar stellt in ihrem Artikel (FR 21.10.09) den Wechsel zum zweigliedrigen Schulsystem in den drei Stadtstaaten heraus. Neben dem Gymnasium gibt es in Berlin demnächst die Sekundarschule, in Bremen gibt es neben dem Gymnasium die Oberschule und in Hamburg gibt es die Stadtteilschule. Alle drei Schulen sind Zweitschulen, denn die Erstschule Gymnasium soll nicht angefochten werden. Die Hauptstadt erhalte damit – so resümiert Goddar – „ein Schulsystem, das dem gemeinsamen Lernen aller – jedenfalls für deutsche Verhältnisse – erstaunlich nahe kommt“. Die Parenthese „für deutsche Verhältnisse“ hält den Finger in die Wunde, denn auch dieses System ist ein exklusives, auch dieses System sortiert, schließt aus und weist zu.
Zur Zeit gibt es in Deutschland drei Trends: (1) die Gemeinschaftsschule, ein verwirrender Namen, unter dem jeder etwas anderes versteht, wobei der Verdacht aufkommt, das eigentliche Ziel sei, die Gesamtschule wegzukriegen, (2) die von Goddar geschilderte Zweigliedrigkeit (Gymnasium + Zweitschule) und (3) der Ausbau der Gesamtschule. Über die Gesamtschule findet sich in dem Text nichts. Das ist aber die tatsächliche Schule für alle.
Zur Leistungsfähigkeit der deutschen Gesamtschulen: Wie viel die Gesamtschule zur Bildungsgerechtigkeit beiträgt, macht eine Untersuchung vom August 2009 deutlich. Man hat die Schullaufbahnempfehlung nordrhein-westfälischer Abiturienten von Gesamtschulen erfragt. Demnach waren die Abiturienten in folgender Weise empfohlen:
17,8 % Hauptschule
52,7 % Realschule
29,5 % Gymnasium
Das heißt 70 % hatten ursprünglich keine Gymnasialempfehlung. 34,7 % der Abiturienten von Gesamtschulen in NRW haben einen Migrationshintergrund. Zzt. machen in Deutschland ca. 30 % eines Jahrgangs Abitur, in der OECD liegt der Schnitt bei 45 %, in den nordischen Ländern sind es ca. 70 %. Es gilt also noch viele brachliegende Potenzen zu nutzen.
Zurück zur Zweigliedrigkeit: Der „Spaß“ an der Sache ist ja auch, dass Bremen rot-grün, dass Hamburg schwarz-grün und dass Berlin rot-rot regiert wird. Der deutschen Linken (wenn wir die Grünen noch als links sehen wollen) – unter Führung der Sozialdemokratie – fällt nichts ein. Die Leistungsfähigkeit der real-existierenden Gesamtschulen ignoriert sie einfach.
In Niedersachsen, in NRW, in Hessen und im Saarland gibt es trotz CDU/FDP-Regierungen einen großen Aufschwung der Gesamtschulen (G8-Wirkung). Den gibt es gegen diese Landesregierungen und trotz dieser Landesregierungen.
Wegweisend – im Sinne eines Kompromisses – könnte Rheinland-Pfalz sein: das Land hat neben dem Gymnasium zwar die Zweitschule Realschule plus installiert. Daneben gibt es jedoch weiterhin die Gesamtschule.
Keine Zweigliedrigkeit – kein Turbo-Abitur.“
Ich glaube das hier angesprochene Problem der Schulform ist zwar nicht egal aber zweitrangig. Das Hauptproblem ist die Klassengröße und die Qualität der Lehrer.Es ist einfach so das es Lehrer gibt, wie in anderen Berufen auch, die aus irgend einem Grund den falschen Beruf ergriffen haben. Bei dem Beruf Lehrer werden diese Leute aber nicht aussortiert.
Ob man ein dreigliedriges aber durchlässiges Schulsystem oder eine Gesammtschule hat ist nicht so entscheidend.
Kann der Leserbriefautor wirklich ausschließen, daß man die Gymnasialstandards (das „Durchgenommene“) nicht doch soweit abgesenkt hat, daß die ohne Gymnasialempfehlung doch auch irgendwie „durchkommen“? Zugespitzt gefragt… warum behält man nicht einfach die Hauptschulen und nennt dann einfach nur deren Abschluß um in „Abitur“?
Ich verstehe ja davon nicht sonderlich viel, ich kenne nur die Fragen aus einer anderen Zeit: Von welcher Schule kommst du? Da war es egal, in welcher Kategorie diese Schule anzusiedeln war. Ich meine mich auch zu erinnern, daß Hessen nie sonderlich gut stand, egal welche Schule man besuchte. Hessen als Standort hat schon gereicht für eine Absage.
Jetzt müßte ich ins Archiv gehen, um eine Rechenaufgabe für Haupt-, Realschule und Gymnasium zu servieren, aus der FR vor drei Jahren oder so. Dann der Spruch der Ministerin dazu, die Freude über die Besserung… die Ernüchterung für wiesbaden und Frankfurt… ich habe seinerzeit bei mir mal geschaut: Mit so ebbes hätte ich nirgens antanzen brauchen. Von wegen aussuchen zw. Messer Griesheim und dann kam eh alles anders 😀
Ich finde das einfach nur unverantwortlich gegenüber der Jugend. Kommst von der Schule und hast verloren.
Jetzt mal ehrlich. Diese Eigenbackerei der einzelnen Länder, das ist doch echt scheußlich. Da wird alle paar Jahre das geändert, dort jenes. Damit schafft man doch keine Vergleichbarkeit der Abschlüsse mehr. Wir brauchen allgemeine Standards und das fängt bei einem einheitlichen Schulsystem an…
Ein Absenken des Standards gibt es an Gesamtschulen nicht. In NRW wurde die gesamte Population untersucht: diejenigen die ein Stipendium des Stiftungsrates erhalten genauso wie die, die es mit 3,4 schaffen. Die gesamte Breite gibt es am Gymnasium auch. Ein Absenken gibt es schon einmal wegen des Zentralabiturs nicht.
Darüberhinaus: Wer bekommt denn fast jedes Mal den Deutschen Schulpreis?
Zur Frage des Vorredners: Wer bekommt denn fast jedes Mal den Deutschen Schulpreis?
Die Gesamtschule Bonn-Beuel. Und nicht nur hinter vorgehaltener Hand wird berichtet, dass dort der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund niedriger ist als an vielen Gymnasien, während zugleich der Anteil der SChüler mit Hauptschulempfehlung nicht, wie vom Gesamtschulkonzept vorgesehen, bei einem Drittel liegt, sondern im einstelligen Prozentbereich.
Und wenn es im Artikel heißt, 17,8 % von Gesamtschulabiturienten hätten zunächst eine Hauptschulempfehlung gehabt, so ist nicht zu vergessen, dass es ebenso möglich ist, mit einem qualifizierten Abschluss von der Hauptschule aufs Gymnasium in die Oberstufe zu wechseln und ebenfalls Abitur zu machen. Also: Wieviel Prozent der Gymnasialabiturienten stammen von der Hauptschule? Oder Realschule?
Und noch etwas: Es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass Lichtjahre liegen zwischen dem Niveau einer Gesamtschuloberstufe und dem einer Gymnasialoberstufe. Zentralabitur hin oder her. Man schaue sich die ERgebnisse an.
Letztlich geht es um eine politische Entscheidung: Wie hoch soll die Studierendenquote in Deutschland sein? Welches Qualifikationsniveau streben wir an? Wollen wir alle Potenziale ausschöpfen oder nicht? Geht das besser gegliedert oder besser integriert?
Für mich steht die Antwort fest. Ich bin seit Jahrzehnten Gesamtschulbefürworter. Deshalb werde ich die Leistungen des Gymnasiums nicht runterreden. Aber selbstverständlich gibt es auch schwache Gymnasiasten. Und haben diese schwachen Gymnasiasten einen minimalen Vorsprung vor dem guten Gesamtschüler? Den haben sie nicht.
Viele k(l)eine Geheimnisse spricht der Vorredner an: Die IGS Bonn-Beuel erweist sich als besseres Gymnasium. Warum nennen sie sich dann noch Gesamtschule? Es gibt also entweder Gesamtschulen in Brennpunkten, die kriegen es nicht hin. Dann ist man zufrieden. Kriegen sie es hin, dann haben sie nicht die richtige Klientel – zu wenig Hauptschüler, zu wenig Migrantenkkinder. In Niedersachsen kommt man ausschließlich mit dem Erweiterten Sekundarabschluss I in die gymnasiale Oberstufe – sowohl an der Gesamtschule wie am Gymnasium. Da dieser Regelung eine KMK-Vereinbarung zugrunde liegt, gehe ich mal davon aus, dass man in NRW nicht mit dem qualifizierten Hauptschulabschluss in die gymnasiale Oberstufe kommt (vielleicht wäre das zu wünschen, zzt. ist es wohl noch ein Traum). Auch in NRW wird ein Hauptschüler diese höhere Hürde (Sek.I-Abschluss) überwinden müssen. Diese Hürde ist in allen Bundesländern sehr hoch. Hier kann man vielleicht wirklich mal von Lichtjahren reden. Aber trotzdem gibt es Schüler, die das schaffen. Spricht das für Gliedrigkeit? Meines Erachtens nicht.
Der Diffamierung von Schulpreisschulen werde ich mich nicht anschließen. Meine empirische Basis sind die Schulpreisträgerschule von 2006, die IGS Franzsches Feld Braunschweig, die Hauptpreisschule von 2007, die Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim, sowie die 2008 nominierte IGS List Hannover. Und da schaue ich nur auf die Ergebnisse. Für diese Schulen kann ich Darstellungen, die in NRW zu den „nicht nur hinter vorgehaltener Hand“ verbreiteten Geheimnissen gehören, ausschließen.
Ich sehe mit Staunen und Freuden, daß es doch so was wie Bewegung in der jahrzehntelang starren Gliedrgkeit des Schulsystems gibt – allerdings allerorten mit Zähnen und Klauen wird das Gymnasium verteidigt!Nirgendwo wird gewagt daran zu rütteln. Und in Hamburg gibt es gut finanzierten Widerstand sogar gegen das nur 6jährige gemeinsame Lernen!
Ich selber bin Anhängerin von einer Schule für alle mit guter Binnendifferenzierung und individueller Förderung. Mit ca. 16 hat dann auch der Spätentwickler oder die Spätentwicklerin noch eine gute Chance auf das Abitur. Und ich hoffe, daß es dann deutlich weniger Schulfrust und kaputtgemachtes Selbstbewußtsein gibt beim nachwuchs – insbesondere bei dem Nachwuchs, dem nicht schon alles in die Wiege gelegt wird! Was das bedeutet habe ich hautnah miterlebt. Schule soll auch Spaß und Mut machen!
zu@8
Einverstanden, mit der einen Bemerkung das die Klassengröße und die Anzahl der Lehrer(Stundenausfall) mindestens genau so wichtig ist
Die Hauptaufgabe von Schulen wäre, die Kinder fähigkeiten- und potentialgerecht zu fördern. Kann man das denn überhaupt, wenn alle bis zur sechsten Klasse oder noch später gemeinsam in ein und derselben Klasse sitzen? Die Frage, ob sie gemeinsam auf eine Schule gehen oder nicht, halte ich für nebensächlich. Hier will ich einmal die in meinen Augen ideale Schule schildern: Sie hätte in JEDEM Jahrgang und in JEDEM Fach (ja, auch Sport) dieses Fach in möglichst vielen Varianten im Angebot… bei 3 Varianten z.B. Hauptschulen-Mathematik, Mittelschulen-Mathematik, Gymnasial-Mathematik… oder Förder-Sport, Normal-Sport, Leistungssport… usw. Jedes Kind würde in jedem Fach möglichst früh in eine Variante „einsortiert“. Wer nicht richtig Deutsch kann, aber Mathetalent hat, würde dann eben die Fächer Hauptschuldeutsch und Gymnasialmathematik besuchen, wieso nicht. Ein Wechsel zwischen den Leistungsstufen (oder Förderstufen, wem das Wort Leistung nicht gefällt) würde, je nach Lernfortschritt, jedes Jahr möglich sein (nach oben und auch nach unten). Der Abschluß, bzw. die Möglichkeit zur Gymnasialstufe errechnete sich dann aus der erreichten Position nach 10 Jahren, wobei es dann bestimmte Mindestkriterien geben müsste, wegen der Möglichkeit ganz unterschiedlicher Niveaus bei einem Kind, je nach Fach.
Eltern dürften grundsätzlich KEIN Mitspracherecht beim Wechsel der Leistungsstufen haben, in KEINEM Fach, da es unpraktikabel ist, erstmal in aufwendigen Verfahren herauszufinden, inwieweit die Eltern ihre Kinder bzgl. deren Fähigkeitsniveau in verschiedenen Bereichen überhaupt kennen, oder ob sie nicht nur einfach einen möglichst guten Abschluß haben wollen für ihr Kind, unabhängig, wie gerechtfertigt der dann wäre. Wieso überhaupt sollten da die Eltern mehr wissen können als der Lehrer? Dieser ganze Mitsprachequatsch der Eltern, wie auch jetzt in HH, gehört abgeschafft… na und, man muß auch mal Mut haben zu „bayrischen“ Verhältnissen, wenn es nämlich die besseren sind.
Achja, und diese Ideal-Schule sollte weitgehend eine Ganztagsschule sein (heutzutage wegen der stark zugenommenen häuslichen Vernachlässigung in allen Schichten leider notwendig), die den Schülern aber auch Platz lässt für die Entwicklung von besonderen Schwerpunkten (Hobbies usw.)
Das wäre in meinen Augen die ideale Schule. Wenn die Gesamtschule einen Schritt hin in diese Richtung gemacht hat, dann ist es schade, daß sie nach diesem Schritt stehengeblieben ist. Sie müsste die weiteren noch machen.
Alle Schulkonzepte aber, die Schwach und Stark möglichst lange im gleichen Klassenverbund lassen, halte ich für fast schon kriminell. Hier kann dann kaum jemand mehr so gefördert werden wie es adequat wäre, weder die Schwachen noch die Starken. Das Hamburger Modell, so wie ich es verstanden habe, wird die Lernmöglichkeiten ALLER Kinder behindern, bloß weil feige Politiker das Wort „sortieren“ scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
zu @10
Was ist denn Ihre ideale Schule anders als eine integrierte Gesamtschule? Wenn sie nach der 4. Klasse ein Kind in die Hauptschule in den Ort A schicken und das andere Kind in die Realschule im Ort B sind sie maximal weit von der von Ihnen beschriebenen Idealschule entfernt. Um diese realisieren zu können müssen die Kinder erst einmal lange zusammen ein einem Ort sein.Jeder Schritt in diese Richtung ist erst einmal gut.
Dann meine Erfahrung zum Thema Schulformempfelung nach der 4. Klasse. Als Vater von 3 Kindern von dehnen 2 die Schule schon verlassen haben kann ich Ihnen sagen das der Abschluß bei keinem der 3 mit den Aussagen der Grundschule übereinstimmt. Diese Beobachtung habe ich im Freundeskreis meiner Kinder des öfteren auch noch gemacht. Warum ist das so? Eine Grundschule hat ein relativ überschaubares Umfeld von dem die Lehrer beeinflußt werden. Das hat nicht immer etwas mit der Leistungsfähigkeit des einzelnen Kindes zu tun, sondern auch mit zwischen menschlichen Beziehungen. Ich schreibe hier mit Absicht nicht von absichtlichen Fehleinschätzungen.Außerdem ist die 4. Klasse viel zu früh um z.B. Spätzündern gerecht zu werden. Als Beispiel möchte ich anführen, eins meiner Kinder hat an einem wirklich anspruchsvollem Gymnasium ein top Abitur gemacht. Danach haben wir uns einmal zusammen gestzt und verglichen wieviele aus ihrer 5. Klasse am Schluß noch dabei waren. Es ist schon einige Jahre her aber ich habe in Erinnerung das es weniger als 50% waren.Was ich damit sagen will ist folgendes.Die von Ihnen beschriebene Idealschule ist ist eine integrierte Gesammtschule mit hoher Durchlässigkeit je nach Leistungsentwicklung eines Schülers im laufe seines Schullebens. Eine Einstufung nach der 4. Klasse ist Unsinn. Diese Art von Schule soll muß und darf nicht dazu benutzt werden die Leistung zu drücken.
Die Gesamtschulverhältnisse kritisiere ich vor allem deswegen, weil in ihnen eine ganz große sozialistische Scheu zutage tritt, die Schüler differenziert zu behandeln. Eine differenzierte Behandlung ist ja auch von der Grundidee der Gesamtschule her gar nicht gewollt („Gemeinsam lernen“). Eine differenzierte Behandlung von Schülern findet, wenn überhaupt, nur in Fächern wie Physik, Chemie, Mathematik, Sprachen statt, wo selbst die größten Gleichmacher wohl schnell merkten, daß es anders nicht geht, ohne daß man große Probleme bei der Bildungsqualität erzeugt. Außerdem wird sie bis nach der 6 Klasse verzögert. Und drittens wird die Differenzierung, wenn sie danach überhaupt stattfindet, auf 2 Stufen reduziert. Das sind alles Bewegungen in eine völlig falsche Richtung. Ich bin für maximale Mobilität des einzelnen Kindes im System, und zwar jederzeit, d.h. in jedem Alter, aber einfach ein Mobilitätsproblem dadurch abzuschaffen, daß man die Orte abschafft, an die man sich überhaupt bewegen könnte, sodaß es nur noch einen Ort überhaupt gibt, und der ist dann für alle da, das ist in meinen Augen grundfalsch.
Eine spezifische Behandlung der Bedürfnisse des Kindes kann übrigens gar nicht früh genug anfangen, ganz im Gegenteil, gerade früh ist sie VIEL wichtiger als später. Defizite mit 6 Jahren besonders zu behandeln, aber auch Begabungen mit 6 Jahren besonders zu fördern, hat viel drastischere Auswirkungen, als damit zu warten, bis die Kinder 10 oder gar, wie in der Gesamtschule, 12 Jahre sind, wie es die herkömmlichen Systeme machen.
Die Gleichmacherei einer bestimmten sich gutmenschlich denkend wähnenden Kaste ist dabei, das sei der Fairniss halber gesagt, ein großes Haupthindernis, aber es gibt auch andere. Z.B. würde eine drastische Ausweitung der differenzierten Angebote ja auch eine Menge Geld kosten. Das Bildungssytem würde weit bessere Resultate bringen, aber die müssten eben auch bezahlt werden. Daß sich das am Ende weit mehr als rechnet, weiß aber ja wohl jeder.
zu@ 12
Was soll man aus diesem Beitrag für Schlüsse ziehen? Das Kinder schon im Kindergarten geteilt werden? Das ein Kind die erste Stunde Deutsch in der Realschule am Ort A hat und die zweite Stunde Geschichte in der Hauptschule am Ort B. Fahren dann Massen von Taxis die Kinder hin und her? Das heißt eine Durchlässigkeit die am Ende einer Schullaufbahn dazu führt das die dann!!!! Leistungsstärksten oben stehen muß ortsgebunden sein.
Anstatt von der idealen Schule zu träumen, wünsche ich mir bestenfalls Evolution statt Revolution. Das was uns Lehrern nämlich wirklich jeden Nerv raubt, sind reformsüchtige Politiker, die eine Schulstrukturreform nach der anderen durch die Schule peitschen. (Zur Erinnerung:G 8!) Das heißt im Klartext: Unmengen Zeit gehen für Fortbildungen, Präsentationen, Infoveranstaltungen und Konzeptschnickschnack drauf, in denen das neue System allen (Lehrern, Eltern, Schülern) vermittelt werden muss. Dann folgt die Umsetzungsphase mit Sonder-und Übergangsregelungen, parallel laufenden Bildungsplänen etc. Schließlich werden die ersten Proteste der Eltern laut (auf die Proteste der Lehrer hört leider selten jemand), weil ziemlich viel schief läuft und die Kinder leiden! Also folgt die Reform der Reform. Fazit: Stundelang wird gelabert, gelabert, geschrieben, gelabert und noch mal gelabert. (ich hab’s erlebt) Die jeweiligen Kultusminister verkaufen ihr Modell als Erfolg und Lehrer, Eltern, Schüler kotzen ab. Unterricht-soviel meine Erfahrung- wird durch Schulstrukturreformen jedenfalls nicht besser. Es dient lediglich der Selbstverwirklichung von Schreibtischpädagogen. Denn für die praktische kreative Umsetzung (will sagen: Unterrichtsvorbereitung) fehlt dann leider die Zeit.
@13,
ich habe von EINER idealen Schule geredet, und nicht von dreien. Das mit der Mobilität zwischen „Orten“ haben Sie falsch verstanden, das war eine Metapher, keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Taxifahrer. Es ist ohne weiteres möglich, an ein und derselben Schule die Fächer in dreifacher oder noch höherer Förderungs- bzw. Leistungsspreizung anzubieten, Vorraussetzung ist da nur eine bestimmte Mindestgröße der Schule. Und es gibt jetzt schon eine „Teilung“ der Kinder im Kindergarten, bzw. es wird ihre Notwendigkeit diskutiert, weil deutschsprachlich besonders schwache Kinder gesonderte Sprachförderung erhalten (sollen). Ist also gar nicht so was Aufregendes.
@maat #14
So isses! Nicht nur in der Schule, auch anderswo.
Wenn man nur nach einer 100 Watt, statt einer 60 Watt Birne fragt, kommt dabei ein völlig neues Lehrkonzept heraus, mit elektronischen Tafelbildern und einem Suuupernetzwerk.
Dann hat man zwar auch keinen Strom gespart, aber ist einen Riesenschritt vorwärts – gestolpert.
Das vorhandene System schlecht finden, aber es gleichzeitig auch nicht ändern wollen, das geht doch nicht. Da muß man sich für eins von beidem entscheiden.
Diese verbreitete Manie jedenfalls, das „sortieren“ zu vermeiden (siehe Titel: „Auch dieses System sortiert“, und das das irgendwie schlecht sei, braucht man ja gar nicht mehr zu erklären), hat m.E. nur ein Argument auf seiner Seite: Das Wechseln der Stufe (nach oben oder unten), in die einsortiert wurde, ist bei individueller Entwicklung schwierig. Da müsste dann doch das Rezept sein, dieses Wechseln zu vereinfachen, aber doch nicht, einfach alle Stufen abzuschaffen, weil man sich dann keine Gedanken mehr dazu machen muß, wann und wie man sortiert und wann und wie man wechselt.
#16
Ein recht seltsames Strickwerk an Komponenten, was da als Vergleich herhalten muß. Sie haben das Kerzenlicht als iPunkt vergessen.
@ 12 und andere Interessiert:
Behauptung: Es gibt in Deutschland keine andere Schulform, die mit Heterogenität und Vielfalt so durchdacht, professionell und erfolgreich umgeht wie die Gesamtschule. Wer immer noch die Parolen von der sozialistischen Gleichmacherei aus den Siebzigerjahren bemüht, weiß wenig über Lernen.
Man kann einen konstruktivistischen Lernansatz nur in kommunikativen und sozialen Zusammenhängen verfolgen (oder soll die behavioristische Paukschule der Sechzigerjahre das IDEAL sein?).
In kommunikativen Zusammenhängen können Schwächere von Stärkeren lernen, aber auch Stärkere von Schwächeren. Die schöne Dreiteilung in Arbeiter (Volksschule), Anleiter (Realschule) und Manager (Gymnasiasten)gehört auf den Misthaufen der Geschichte. Auch in der zweigliedrigen Form. Dass man trotzdem dann mal flexibel nach Leistungsständen differenziert, gehört mit zum Gedanken.
@19,
Am Anfang steht die Frage des durchzunehmenden Stoffes. Glauben Sie wirklich, in einer Klasse, in der Schüler Probleme mit dem Einmaleins haben, könne man Differentialrechnung durchnehmen, weil ja die „Schwächeren“, die schon Probleme mit dem Einmaleins haben, von den Stärkeren, die aufnahmefähig für Differentialrechnung sind, schon irgendwie („in kommunikativen Zusammenhängen“) die Differentialrechnung lernen werden? Ich halte solche Behauptungen für grob unsinnig. Schon jetzt gibt es ja zumindest einen „Stärkeren“ auch in jeder Hauptschulklasse. Es ist der Lehrer. Leider ist es trotzdem so, daß man in einer Hauptschulklasse nicht beliebig Anspruchsvolles durchnehmen kann, weil „die Schwächeren“ alles schon irgendwie vom „Stärkeren“, dem Lehrer, lernen werden, sondern man muß den Lehrplan an die Möglichkeiten der „Schwächeren“ anpassen, und wird ihn nicht an die Möglichkeiten des „Stärkeren“, des Lehrers, ausrichten. Und in einer Klasse, in der sich Personen befinden, für die Goethe ein völlig undurchschaubares Konglomerat unverständlicher Wörter ist, dann Goethe einfach zu ignorieren, obwohl es andere gibt, die durchaus mit den Texten etwas anfangen können, halte ich für kriminell.
Warum überhaupt gibt es denn das Abitur als Vorraussetzung für ein Universitätsstudium? Sollten nicht ALLE studieren können, und die Schwächeren werden dann an der Uni schon irgendwie von den Stärkeren lernen können, in „kommunikativen Zusammenhängen“? Will man überhaupt eine Pauk-Uni? Das ist doch alles absurd.
P.S.
es gibt bei jedem Menschen nur einen schmalen Anforderungs-Korridor, in dem er sich mit Gebotenem motiviert auseinandersetzen kann. Liegt das Gebotene vom Anspruch darüber, entsteht Frustration durch Überforderung, liegt es darunter, entsteht Frustration durch Langeweile. Eine Klasse, in der alle Leistungsstufen sich versammeln, wird also bei einem mittleren Leistungsanspruch sich dritteln: ein Drittel wird sich langweilen (und dann stören), ein weiteres Drittel wird aus Überforderungsgünden abschalten (und dann stören), und das dritte Drittel wäre zwar prinzipiell auseinandersetzungsmotiviert, kann aber wegen der Ablenkungen durch die Motivationsgestörten sich nicht auf den Lernstoff konzentrieren. Aus so einer Klasse kommen dann Schüler, die nichts gelernt haben.
Absolut richtig, und zwar ist das in jeder Schulklasse so. Oder gibt es die Korridorfrage im gegliederten schulwesen etwa nicht? Also wird man wohl Binnendifferenzierung durchführen müssen,um den verschiedenen Lernertypen gerecht zu werden. Ich hoffe, dass das im gegliederten Schulwesen auch geschieht.
Goethe auf mehreren „Niveaus“. Eine Gruppe übt den Zauberlehrling spielerisch ein, eine Gruppe versucht eine Inhaltsangabe zu erstellen, eine Gruppe untersucht das Reimschema, eine Gruppe untersucht das Versmaß usw. usf. Bisher habe ich es noch nicht erlebt, dass aus meinem Unterricht jemand herausgegangen ist, ohne etwas zu lernen.
Es ist aber bei Kindern auch durchaus üblich, bei Präsentationen zu klatschen. D.h. Arbeitsergebnisse auch lernschwächerer Kinder werden akzeptiert.
Vielleicht meinen Sie doch die alte Trichterschule mit Ihren Aussagen?
Vom Abitur für alle rede ich genau so wenig wie von Gleichmacherei.
@ Wilfried Jannack
Sie haben mit Ihrem Beispiel „Goethe auf mehreren Niveaus“ sehr anschaulich dargestellt wie „Binnendifferenzierung“ in der Schule idealerweise aussehen kann/könnte.
Allerdings drängt sich mir die Frage auf, nach welchen Maßstäben hier überhaupt noch Noten vergeben werden können. Müsste konsequenterweise bei dieser Lernform denn nicht ganz auf Noten verzichtet werden? Wie sieht denn dazu die gängige Praxis aus?
@zu22
Nun ja, „Gruppenarbeit“ wird häufig gepriesen als sei sie des Rätsels Lösung insbesondere in der Lehrerausbildung. Bei den Schülern jedoch, v.a. in der Oberstufe ist „Gruppenarbeit“ eine ausgesprochen unbeliebte Methode, wie ich und meine Kollegen immer wieder durch Umfragen feststellen mussten. Auch pointierte Texte in Abizeitungen legen davon Zeugnis ab. Folgende Punkte sind dafür ursächlich: Ist die Gruppe in Bezug auf Anspruch, Motivation und Können sehr unterschiedlich, führt das häufig dazu, dass lediglich ein Teil intensiv arbeitet und die anderen irgendwie mitmachen. Selbst wenn man jedem Schüler eine Aufgabe zuteilt (oder sich die Schüler Aufgaben selbst aussuchen/stellen dürfen), führt das nicht unbedingt zu einer gesteigerten Aktivierung der Schlafmützen. Gerade hochmotivierte und interessierte Schüler regen sich über diesen Aspekt ziemlich auf und fühlen sich ausgebremst. Sind die Gruppen eher homogon, führt das zwar dazu, dass es innerhalb einer Gruppe weniger Konfliktstoff gibt, dafür muss aber der gesamte Kurs die miserablen Präsentationen der unmotivierten Gruppen über sich ergehen lassen. Das kann wirklich eine Qual sein und sollte nicht noch mit Applaus honoriert werden. Meine Begeisterung für die Gruppenarbeit hält sich daher mittlerweile in Grenzen.
Einen weiteren Punkt möchte ich abschließend doch noch ansprechen. Ich kenne Kollegen, die kurzfristig an einer Gesamtschule in Berlin unterrichtet haben und davon sprachen, dass das Leistungsniveau und das Verhalten im Nebenfach (das nicht nach Leistungsstufen getrennt wurde wie die Hauptfächer) dem der Hauptschule gleichen würde. Die Zustände scheinen mir zumindest dort meilenweit weg von dem Idealbild, das hier gezeichnet wird. Dieses setzt hochmotivierte Schüler voraus, die einfach nur unterschiedlich begabt sind und nicht diejenigen, die sich kategorisch verweigern, und eine absolut niedrige Gewaltschwelle aufweisen und sofort dem Nebensitzer eine reinhauen, wenn dieser irgendeine Bemerkung macht.
@ 24:
Ich kann mir es nicht vorstellen, dass in meinem Untericht jemand „seinem Nebensitzer eine reinhaut“. Auch für andere Unterrichtsstunden bei anderen Lehrkräften kann ich mir das nicht vorstellen. Gemeint ist ja offensichtlich in dem Zusammenhang auch nicht, dass sich mal zwei Schüler in die Haare kriegen, sondern das dieses „Reinhauen“ (Rütli) an der der Tagesordnung ist.
Wo sind wir gelandet, wenn es so weit gekommen ist? Eine Diskussion über Gliedrigkeit ist dann überflüssig.
@Herr Janack, eine hohe Gewaltbereitschaft unter den Schülern während des Unterrichts ist leider an manchen Schulen an der Tagesordnung wie mir befreundete Kollegen glaubhaft versichert haben. Diese Probleme kann auch die Gesamtschule nicht lösen. Ich halte den Stellenwert der Schulstruktur (also Dreigliedrigkeit oder nicht) für überbewertet. Es sind die Vorzüge und Nachteile beider Formen bekannt, es geht darum die Nachteile möglichst gut auszugleichen. Es mag ja sein, dass es Gesamtschulen gibt, die seit Jahren hervorragend laufen. Das freut mich persönlich, ich leite daraus jedoch nicht ab, diese Schulform sei das beste Modell für alle Regionen. Es gibt Bundesländer wie Baden-Württemberg, in denen die Realschule ein hohes Ansehen genießt, die ein überzeugendes Profil entwickelt hat, gute Werkstätten besitzt usw. und für manche Berufe eine wesentlich bessere Voraussetzung bietet als das Gymnasium. Es ist hier außerdem weit verbreitet, das Abitur nach einem Realschulabschluss z.B. an einem Technischen Gymnasium zu erwerben. Häufig liest man, die Grundschulempfehlung entscheide darüber, welchen Schulabschluss ein Mensch in seinem Leben erwirbt. Das ist doch Quatsch. Ich habe einige Freunde, die keinen linearen Bildungsweg hinter sich haben und u.a. zwischenzeitlich die Hauptschule besucht haben. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten einen höheren Abschluss zu erlangen. Spätentwickler haben auch in der Dreigliedrigkeit eine gute Chance. Problematisch sind die Kinder aus Elternhäusern, in denen Bildung überhaupt keinen Stellenwert besitzt und die diese Haltung verinnerlicht haben. Um diese Kinder möglichst frühzeitig zu fördern, braucht es keine neue Schulstruktur, sondern positive Vorbilder im Lebensumfeld, also Bezugspersonen. Die Bedeutung der persönlichen Bindung wird leider viel zu sehr unterschätzt im Vergleich zur Bedeutung, die der Schulstruktur zugemessen wird.
Herr Janack, ihr Goethe-Beispiel hat mich leider überhaupt nicht beeindruckt, und wie man das für „ideale Binnendifferenzierung“ halten kann, kann ich mir nur durch die Anhängerschaft an dieser fixen „Gemeinsam lernen hat oberste Prio“-Idee erklären.
Sie sagen es ja selber, mit anderen Worten von mir mal flapsig ausgedrückt: Irgendetwas wird (bei solchem Unterricht) jeder schon irgendwie lernen. Damit haben Sie natürlich recht. Bloß welches „Wissen“ ist das?
Außerdem scheint mir das das typische 68er-Bild von der Pädagogik zu sein: das Wissen schwebt irgendwo im Raum, und kann von den Schülern weitgehend selbsttätig „erarbeitet“ werden, der Lehrer muß sie nur etwas anstupsen. Ein Strom des Wissens vom Lehrer zum Schüler in herkömmlichem Frontalunterricht hingegen wird als Ausdrucksform einer „Paukschule“ bezeichnet.
Ich pflichte Ihnen bei, daß Schüler soziale Fertigkeiten, den Umgang miteinander z.B., idealerweise im Umgang miteinander lernen sollten. Wenn es um andere als diese Lerninhalte geht, dann sehe ich keine Vorteile beim gemeinsamen Lernen mehr.
In welcher Gruppe der von Ihnen aufgezählten z.B. verbessern schwer sprachfertigkeitsunzulängliche Schüler ihr Deutsch und wodurch? Beim Auszählen von Versmaßen, oder gar der Erstellung einer Inhaltsangabe eines Textes, den sie gar nicht verstehen, sicher nicht. Beim Schauspielern etwa, das meinen Sie doch nicht ernsthaft? Diese Schüler brauchen spezifisches Sprachtraining und keinen Schauspielunterricht, und da wäre übrigens auch Goethe als Textmittel völlig unsinnig, etwa so, wie wenn man Englischanfängern die Sprache durch Shakespeare näherbringen wollte. Aber Goethe muß es ja leider sein, denn einige in der Klasse sind ausnahmefähig für Goethe und sollen mit Goethe konfrontiert werden, und man muß ja nun mal zusammen lernen, also „Goethe für keinen“ oder „Goethe für alle“. Auf welche Art dann diejenigen, die in der Lage sind, die Ideen HINTER den Texten vielfältig zu diskutieren (das geht ja über Versmaße und Inhaltsangaben weit hinaus), von den Ergebnissen jener Gruppen profitieren sollen, die schon sprachlich nicht mit den Texten umgehen können, erschließt sich mir auch nicht. Von dem Durcheinander ganz zu schweigen, wenn hier eine Diskussionsgruppe debattiert und dort ein kleines Theaterspiel einstudiert wird. Welche Größe müssen dann die Klassenräume überhaupt haben?
Ich gehöre zu denjenigen, die im wesentlichen der vor-68er-Pädagogik ausgesetzt waren, aber es gab auch schon Referendare, die voll die 68er-Maxime: „Erarbeitet euch das mal selber“ auslebten. Die waren extrem unbeliebt (wir haben sie dann auch entsprechend schikaniert, bis teilweise die Tränen flossen). Heute ahne ich warum. Wir merkten damals ganz einfach… daß wir bei denen nichts lernten, und konnten sie deshalb nicht achten.
„Wo sind wir gelandet, wenn es so weit gekommen ist?“
Eine kleine Illustration, wie weit wir (stellenweise) gekommen sind, gibt eine ehemalige Rektorin der Rütli-Schule, Brigitte Pick (bekennende 68-erin), in ihrem Buch „Kopfschüsse“ zum Besten, indem sie ein Protokoll einer typischen Schulstunde bringt:
„Die Lehrerin: Wir haben uns in den vergangenen Stunden mit dem Zeitalter des Absolutismus beschäftigt. Der absolutistische Staat erreichte seinen Höhepunkt unter Ludwig XIV … Wie hieß der französische Finanzminister?
Gustav: Strauß, det war Franz Josef Strauß! (holt die Sonnenbrille aus der Jackentasche und setzt sie auf) Ick hab ’ne Ferrari-Brille, ’ne Ferrari-Brille hab ick. (ahmt auf heulenden Motor nach)
Emil: (schreit durchs Klassenzimmer) Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, ick hab ’nen langen Schwanz zwischen die Beene!
Lehrerin: Wie schön für dich. (Gustav schaltet einen Walkman ein, setzt die Kopfhörer auf, schaukelt im Takt der Musik)
Lehrerin: Schalt dein Ding aus. (Gustav weigert sich. Erregt tritt die Lehrerin vor Gustavs Tisch, nimmt ihm den Walkman ab) Nach Schulschluss kannst du ihn dir aus dem Sekretariat abholen …
Fatima: (liest laut) Zweiter Türkenkrieg. Großwesir Kara Mustafa stößt 1683 bis nach Wien vor und belagert es. Erst das polnische Entsatzheer unter Johann Sobi Sobiso Sobieski vermag Habsburg vor der türkischen Bedrohung zu befreien.
Horst: Total punktmäßig.
Lehrerin: Stop. Also, wer kam den Österreichern zu Hilfe?
Gustav: (gröhlend) Zigeuner… Zigeuner und Amerikaner!
Lehrerin: Du warst jetzt nicht gefragt. Melde dich gefälligst, wenn du etwas sagen willst.
Anton: Soll ich ihm eine runterhaun?
Lehrerin: Ruhe, verdammt noch mal – Was erbeuteten die Türken auf ihrem Feldzug?
Kralle: Nackte Weiber, geile, nackte Weiber!
Gustav: Die hatten Katapulte und Ferrari-Brillen, (schießt mit Schleuder auf Jeanette) Jeanette, geile Ratte!
Jeanette: Au… du, du homosexueller Zickzack-Ficker.“
Mir scheint, daß man entweder der Meinung ist, daß solche geschilderten Unterrichts-Zustände, wie sie ja wohl eher an der Hauptschule entstehen als am Gymnasium, durch Vermischung mit Mittel- und Oberschülern verbessern kann, oder gar durch das Lernen innerhalb des gesamten Fähigkeitenspektrum von vorneherein verhindern kann. Meine Befürchtung ist aber, daß diejenigen, die zur adäquaten Auseinandersetzung mit dem schulisch Gebotenen in der Lage wären, heruntergezogen werden auf dieses Niveau… welches Verhalten ist wohl in den Augen der Jugendlichen „cooler“ und wird dann die jeweils andere Gruppe zur Nachahmung animieren: das oben geschilderte oder die „systemkonforme“ Auseinandersetzung mit dem Gebotenen?
@ 26,
Maat, Ihrer Darstellung stimme ich zu: entscheidend ist die Beziehungsarbeit. Die geht voraus und darauf aufbauend kommen dann Fragen, wie die nach dem Wissen. Dass es viele Wege gibt und nicht nur den „linearen“, gilt es festzuhalten. Genauso gilt es festzuhalten, dass man kein schlechterer Mensch ist, wenn man nicht den höchsten – in der Lineararität vorgesehenen – Abschluss erzielt.
Zu: „Ich halte den Stellenwert der Schulstruktur (also Dreigliedrigkeit oder nicht) für überbewertet. Es sind die Vorzüge und Nachteile beider Formen bekannt, es geht darum die Nachteile möglichst gut auszugleichen.“
Die Struktur an sich ist es ja nicht, was zzt. die Gesamtschulbefürworter Alarm schlagen lässt. Wir haben die Angst, dass mit dem Hebel Zweigliedrigkeit – Thema – die Gesamtschule als Zweitschule etabliert werden sollen. So ist im Übrigen auch der Leserbrief angelegt.
Viel Zustimmung, weil durchdacht und kenntnisreich.
@ 27:
Um eines klarzumachen, einem verfehlten Alternativunterricht – von dem Sie auffällig viel berichten – kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Ich empfehle Referendaren, Studenten, Junglehrern an der Stelle Herbert Gudjons, Frontalunterricht – neu entdeckt, Bad Heilbrunn 2003. In diese 68er-Kiste lasse ich mich von Ihnen nicht packen.
Zu: „Ich pflichte Ihnen bei, daß Schüler soziale Fertigkeiten, den Umgang miteinander z.B., idealerweise im Umgang miteinander lernen sollten. Wenn es um andere als diese Lerninhalte geht, dann sehe ich keine Vorteile beim gemeinsamen Lernen mehr.“
Soziale Fertigkeiten sind kein Schulfach. Vermutlich kennen Sie den Begriff der Kompetenzorientierung (Fach-, Methoden-, Sozial-, Selbstkompetenz …) nicht.
@ 19:
Zu: „Glauben Sie wirklich, in einer Klasse, in der Schüler Probleme mit dem Einmaleins haben, könne man Differentialrechnung durchnehmen, weil ja die “Schwächeren”, die schon Probleme mit dem Einmaleins haben, von den Stärkeren, die aufnahmefähig für Differentialrechnung sind, schon irgendwie (”in kommunikativen Zusammenhängen”) die Differentialrechnung lernen werden? Ich halte solche Behauptungen für grob unsinnig.“
Lassen Sie sich bitte mal von einem Mathematiklehrer erklären, wie viele Schritte zwischen der 4. und der 11. Klasse liegen. Dann werden Sie sofort sehen, dass Ihr Beispiel der absolute rhetorische Unsinn . In den Veröffentlichungen zu PISA 2003 wird dargestellt, wie groß der Unterschied zwischen Gleichaltrigen ist, von sieben Jahren ist dort nirgends die Rede. Von Irgendwie kann sowieso nicht die Rede sein. Davon reden ausschließlich Sie, Herr Weddel.
@ 23
Ja, viele Gesamtschulen verzichten auf Notengebung. Stattdessen einer Note gibt es vielfach Lernentwicklungsberichte, in denen u.a. in Form von Sätzen die Lernleistungen und der Lernfortschritt beschrieben werden.
Danke Herr Jannack für Ihren Beitrag, den ich sehr überzeugend finde.
Schöne Grüße
Maat
Herr Wedell, auf die Theater-Arbeit lasse ich nichts kommen. Sie glauben gar nicht, was die Schüler alles beim Theaterspiel lernen und wie beliebt zudem das Theaterspiel unter den Schülern ist. Selbst intellektuell sehr anspruchsvolle Texte, die kein Jugendlicher (und nun ja, auch kaum ein Lehrer) freiwillig lesen würde, führen, entsprechend umgesetzt, zu begeistertem Zuspruch. Gerade über das Theaterspiel kann man Jugendliche aus sog. bildungsfernen Familien erreichen.
@29,
da gerade ich den Dualismus Fachkompetenz und Sozialkompetenz in die Diskussion eingebracht habe, wird mir wohl schon bekannt sein, daß es diese unterschiedlichen Kompetenzen gibt. Das Problem sehe ich darin, daß die Vermittlung von Fachkompetenz je öfter kapitulieren muß, je breiter die Aufnahmefähigkeit und das Leistungsspektrum der Schüler in einer Klasse gefächert ist, und daß diese Kapitulation dann so aussieht, daß es einen „Alternativunterricht“, wie sie es nennen, gibt, den man dann so rechtfertigt, daß wenigstens die sozialen Kompetenzen gefördert werden, und die wären dann ja überhaupt auch ganz wichtig. Ich will gar nicht abstreiten, daß in solchem Unterricht dann die sozialen Kompetenzen gefördert werden, aber es ist eben eine Flucht vor dem Eingehen auf den Einzelschüler mit der Möglichkeit der Maximierung der Förderung von Fachkompetenz. Als eine solche Flucht vor der Vermittlung deutschsprachlicher Fachkompetenz habe ich das Einüben von kleinen Theateraufführungen bezeichnet. (@maat, ich würde nie sagen, daß die Schüler durch Theaterspiel nichts lernen. Aber in dem Kontext Deutschunterricht, an dem Schüler teilnehmen, die sprachlich schwer beeinträchtigt sind, wie dies an Hauptschulen eigentlich heutzutage die Regel ist, ist Theaterspiel nicht die adäquate Lehrform.)
Was das Mathematikbeispiel angeht, so hätte ich von einem Mathematiklehrer eigentlich nicht das erwartet, was sie geschrieben haben. Wenn man nämlich die achte Klasse betrachten würde, gibt es einen Unterschied von 3-4 Jahren, jeweils nach unten bzw. nach oben, nicht von 7 Jahren. Zweitens gibt es diese Kompetenzunterschiede ja auch ganz klar laut PISA 2003. Bei der Mathematikkompetenz liegt der Gesamtdurchschnitt bei 500, der Durchschnitt(!) der Hauptschulen bei 400, der Durchschnitt(!) der Gymnasien bei 600 Punkten. Da 35-40 Punkte etwa ein Schuljahr sind, liegen also Hauptschüler im Durchschnitt(!) 2,5 bis 3 Jahre UNTER dem Durchschnittsniveau, Gymnasiasten 2,5 bis 3 Jahre drüber. Macht einen durchschnittlichen(!) Unterschied von 5 bis 6 Jahren. Und nun vergegenwärtigen sie sich einfach die Tatsache, daß es eben auch nennenswerte Anteile gibt, die an der Hauptschule unter dem Hauptschuldurchschnitt liegen, sowie am Gymnasium über dem Gymnasialdurchschnitt, und sie werden überhaupt kein Problem haben, größere Anzahlen von Schülern zu finden, die 7 Jahre in der Mathematikkompetenz auseinanderliegen. In PISA 2003, wo 15-Jährige untersucht wurden, beträgt die Kompetenzspreizung allein in der integrierten Gesamtschule 310 Punkte, d.h. etwa 8 Jahre. Mir ist völlig rätselhaft, wie man bei 8 Schuljahre auseinanderliegenden Schülerkompetenzen in EINER Klasse einen vernünftigen, d.h. den Möglichkeiten und Erfordernissen der Schüler angepassten Mathematikunterricht machen kann, Binnendifferenzierung hin oder her. EIN GROSSES RÄTSEL! (Und in den Lesekompetenzuntersuchungen ist die Spreizung übrigens genauso groß).
Es ist sehr schade, daß Sie als Mathematiklehrer nicht der Meinung sind, daß es unter den 14-Jährigen Schüler gibt, die man mit der Differentialrechnung so konfrontieren könnte, daß es für sie ein Kompetenzgewinn (und eine Förderung der Freude an der Mathematik) ist, und daß sie ebenfalls der Meinung zu sein scheinen, es gäbe keine 14-Jährigen, die mit dem kleinen Einmaleins große Schwierigkeiten haben, ist schon etwas merkwürdig.
Die Sonntagschule wurde Anno Dazumal eingeführt, weil es notwendig geworden ist, daß das gemeine Volk Buchstaben & Zahlen kennt sowie etwas Lesen, Schreiben & Rechnen kann… Was soll in unserer Zeit als Standard gelten?! Ich meine, man sollte die Jugend so oder so bis zur Abitur-Reife hochbauen, damit vergibt man bessere Chancen und berufliche Mobilität wird auch erleichtert. Leben & Laufbahn eines Menschen anhand von irgendwelchen Meßwerten schon im Kindergarten bestimmen zu wollen, soll doch nicht die höchste Weisheit sein 😉