Lebenslang für Beate Zschäpe wegen mehrfachen Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist der NSU-Prozess zu Ende, der die Bundesrepublik jahrelang in Atem hielt. In seinem Gefolge blieb so manche Unklarheit unklar, insbesondere was die Verwicklung der Sicherheitsbehörden in diesen braunen Sumpf betrifft. Die Angehörigen der Opfer können mit der Aufarbeitung der NSU-Mordserie kaum zufrieden sein. Die Öffentlichkeit eigentlich auch nicht. „Das NSU-Urteil darf kein Schlussstrich sein“, kommentiert FR-Redakteur Martin Steinhagen im Leitartikel. Inzwischen haben sowohl Zschäpes Anwälte als auch die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt. Die Anwälte, weil Beate Zschäpe bei den Morden und Sprengstoffanschlägen des NSU als Mittäterin verurteilt wurde, obwohl ihr keine eigenhändigen Tatbeiträge nachweisbar waren. Die Bundesanwaltschaft, weil ihr das Urteil gegen Andre E., einen der Mittäter, zu milde erscheint. Er war wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen worden, nicht aber wegen der Beihilfe zum versuchten Mord. FR-Leser Holger Voss aus Münster ist entsetzt. Sein Leserbrief erschien gekürzt im Print-Leserforum der FR und nun auch als ungekürzter Gastbeitrag hier im FR-Blog.
Sündenbock Beate Zschäpe
Von Holger Voss
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Frau Zschäpe war (und ist vermutlich noch immer) überzeugte Neonazi. Sie hat viel dazu beigetragen, dass ihre Partner Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos (und wahrscheinlich weitere Personen) eine Reihe rassistischer und mörderischer Terroranschläge durchführen konnten. Aber: Frau Zschäpe wurde im NSU-Prozess keine Beteiligung an einem Mord nachgewiesen. Ihr konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass sie von einem der mindestens zehn NSU-Morde vorab wusste. Ihr konnte im Wesentlichen nur nachgewiesen werden, dass sie für die beiden Uwes das Leben im Untergrund mit ermöglicht hat. Das mag eine Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung rechtfertigen. Aber es rechtfertigt keine Verurteilung wegen Mordes.
Es macht mir Angst, in einem Staat zu leben, in dem ein Mensch wegen Mordes verurteilt wird, auch wenn ihm keine Beteiligung nachgewiesen werden kann. Das Urteil ist in meinen Augen Ausdruck einer politischen Justiz: Die beiden Haupttäter kann man nicht mehr verurteilen, sie sind tot. Die Mittäter oder Unterstützer aus dem Umfeld von Verfassungsschutz (Thüringen) und Polizei (Jena) sollen unter den Tisch fallen.
Um den Anschein zu erzeugen, die rassistische Mordserie des NSU würde juristisch aufgearbeitet, wird Frau Zschäpe als Sündenbock präsentiert. Das ist absurd. Der thüringische Verfassungsschutz hat die örtliche Neonaziszene mit mehreren hunderttausend Mark unterstützt (über Tino Brandt). Der Verfassungsschutz-Beamte Andreas Temme („Klein-Adolf“) war bei einem der NSU-Morde persönlich anwesend und wusste wohl vorher Bescheid, hat das aber vor Gericht bestritten. Gegen die Polizei in Jena wurde schon 1998 ermittelt, weil der Verdacht besteht, sie hätte die Verhaftung der NSU-Terroristen verhindert. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat sich aktiv dafür eingesetzt, dass die Tatbeteiligung Andreas Temmes nicht weiter untersucht wird. Der interne Bericht des hessischen Verfassungsschutzes über diese Vorgänge ist für 120 Jahre (!) gesperrt.
Was kann man aus all dem lernen? Staatliche Behörden haben in den vergangenen 25 bis 30 Jahren wesentlich dazu beigetragen, die Neonazi-Szene in Deutschland aufzubauen. Staatliche Stellen versuchen mit großem Aufwand zu verhindern, dass ihr Umgang mit Neonazismus bekannt wird.
Man kann in Deutschland auch dann wegen Mordes verurteilt werden, wenn einem eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden kann. Wenn das öffentliche Interesse groß genug ist, greift eine Gesinnungsjustiz. Keine schönen Aussichten.“
Dass die hiesige Gerichtsbarkeit heillos überfordert ist, ist eine Kritik, die längst Legion ist (siehe etwa: Schumann/Detje, in: Meine et al. (Hrsg.), 2011: 68). Nicht erst seit dem Terror des NSU stellt sich deshalb die Frage, wodurch Richter in den Stand versetzt werden, die zunehmend massiver vorgetragenen Bestrebungen, sich von der natürlichen Gestalt des Menschen zu emanzipieren, überhaupt noch im Namen des Volkes ahnden zu können. Diese laut dem Philosophen Robert Spaemann „heimtückischste Form des Naturalismus“ findet sich inzwischen in allen Bevölkerungskreisen und nicht allein unter Neonazis. Immerhin verlangt das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), wenn nicht ein Bruch der Verfassung eintreten soll. Entscheidend wäre demnach, dass im Mindesten sowohl die Legislative als auch die Exekutive ihr Handeln eng an der fortgeschrittensten Erkenntnis orientiert, die ohnehin unabweisbar gleichsam auf dem Tisch liegt, und darin innehält, die Flucht vor solch einer Notwendigkeit anzutreten.
Für diesen mutigen und differenzierenden Lesenbrief bedanke ich mich bei Holger Voss. Er weist nicht nur auf die mangelnde Aufklärung des Falls und die massive Vertuschung der beteilgten Behörden hin, – die brauchten Monate, um all die Akten zu schreddern – er befaßt sich auch mit den Folgen für uns alle. Eine Gerichtsbarkeit, die sich so im Griff von Politik, Lobbyismus und dem Agieren von Affekten befindet, schadet dem von allen so gern für sich in Anspruch genommenen Rechtsstaat. Dieser erzeugt Anpassungsdruck, Lagerdenken und Ausgrenzung, und die Justiz verliert zunehmend ihren in einer Demokratie selbstverständlichen Kern, ihr Unabhängigkeit.
„Für diesen mutigen und differenzierenden Leserbrief…“
Der Leserbrief mag ja mutig sein, aber wo er differenziert (fein bis ins Einzelne abgestuft, nuanciert) sein soll, erschließt sich mir nicht.
Ich würde mich, ohne an dem Prozess teilgenommen haben, nicht trauen, mir Urteil über das Gericht zu erlauben. Ich halte das Thema auch nicht für ein Blog geeignet. Dazu ist der Fall viel zu diffizil.
Der Verfasser erhebt jedoch einen schweren Vorwurf „Man kann in Deutschland auch dann wegen Mordes verurteilt werden, wenn einem eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden kann. Wenn das öffentliche Interesse groß genug ist, greift eine Gesinnungsjustiz.“ Ich verstehe das als Vorwurf der Rechtsbeugung.
Wenn der Beitrag differenziert wäre, hätte ich zu mindestens einen Hinweis erwartet, was der Schreiber unter „nachgewiesen“ versteht und warum dieser Nachweis gemäß Strafprozessordnung notwendig gewesen wäre (z. B. Hinweis auf falsche Auslegung des § 261 StPO).
Eine Tatbeteiligung konnte deshalb nicht nachgewiesen werden, weil nicht bewiesen werden konnte, dass sich Zschäpe an einem der Tatorte aufgehalten hat. Dies bedeutet juristisch: Sie war nicht dort. Von daher teile ich den Vorwurf von Herrn Voss als solchen. Ob dieser juristisch haltbar wäre, ist eine andere Frage. Juristisch betrachtet stimme ich Ihnen zu, Herr Flessner, dass es um den Vorwurf der Rechtsbeugung geht, der wiederum auf juristischer Ebene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nachzuweisen ist. Das Problem besteht ja eben darin, dass formalrechtlich wohl alles ordnungsgemäß verlaufen ist und trotzdem so viele Fragen offen, so viele Vorwürfe begründet bestehen bleiben, indem mengenweise Sachverhalte vor allem im Umfeld der Mordserie nicht aufgeklärt wurden, dieses Urteil zukünftig benutzt werden kann, um Menschen zu verurteilen, denen nicht nachgewiesen werden kann, dass sie am Tatort waren. Auch wenn eine solche Befürchtung nicht nur rationale Gründe hat, nehme ich sie als solche ernst.
Für seine Monographie mit dem Titel „Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager“ erhielt der Soziologe Wolfgang Sofsky den Geschwister-Scholl-Preis verliehen. Seinem Dafürhalten nach wohnt der industriell betriebenen Ermordung von Millionen Menschen eine einfache Logik inne: Zunächst tritt der soziale Tod ein, dem der körperliche unausweichlich auf dem Fuß folgt (ebd., S. 38). Die neueste Rechtsprechung berücksichtigt inzwischen diese Erkenntnis und verurteilt auch frühere Angehörige der dortigen Wachmannschaften oder auch, wie jüngst, Buchhalter wegen Mordes. Es ist somit keineswegs Ausdruck einer „Gesinnungsjustiz“, wie Herr Voss behauptet, wenn analog dazu Frau Zschäpe nunmehr als mehrfache Mörderin gilt, sondern das Urteil des Münchner Gerichts gründet offenkundig auf besserem Wissen. Insofern wird die von Frau Zschäpe beantragte Revision vor dem Bundesgerichtshof nicht von Erfolg gekrönt sein.
@Robert Maxeiner
«Eine Tatbeteiligung konnte deshalb nicht nachgewiesen werden, weil nicht bewiesen werden konnte, dass sich Zschäpe an einem der Tatorte aufgehalten hat.“
Sie sind also der Meinung, dass man nur dann verurteilt werden sollte, wenn man sich am Tatort aufgehalten hat? Damit wären dann alle Helfer und Auftraggeber für Morde fein raus.
Dafür gibt es den §27 StGB. Wer Beihilfe leistet, wird wie der Täter bestraft und als Helfer muss man sich nicht am Tatort aufhalten.
Es ist also nicht zu sehen, dass das Urteil etwas an der Rechtsprechung geändert hat.
Das was mich am meisten interessiert hätte und auch am meisten Angst macht ist das Schreddern. Überall wurden rechtzeitig Unterlagen vernichtet. Das lässt auf eine große Organisation schließen. Der NSU war nur die Spitze vom Eisberg.
Nein, ich bin nicht der Meinung, dass man nur dann verurteilt werden kann, wenn man sich am Tatort aufhält. Aber ich finde, es macht in der Verurteilung einen Unterschied, oder es sollte einen machen, ob man am Tatort war oder eben nicht. Im übrigen fällt mir schwer, Herr Flessner, mit Ihnen zu diskutieren, wenn Sie nur durch Ihr Paragraphenwissen persönlich in Ihrem Standpunkt erkennbar werden.
Das Argument, dass nun auch Angehörige von Wachmannschaften und Buchhalter in Konzentrationslagern verurteilt werden, würde ich anerkennen, wenn dies schon in den Jahren oder auch Jahrzehnten unmittelbar nach den Massenmorden gehenen wäre, aber damals hat die offizielle Justiz Leuten Fritz Bauer Steine in den Weg gelegt, wo sie konnte. Und wenn Einer verurteilt wurde, kam er zumeist mit einer Kurzstrafe wegen Beihilfe davon. Haben Sie eine Meinung oder Vermutung dazu, warum der Bericht des hessischen Verfassungsschutzes für 120 Jahre gesperrt wurde? Das mag formaljuristisch so durchgehen, aber es stinkt nach Vertuschung auf allen Ebenen.
@Robert Maxeiner
„… warum der Bericht des hessischen @Robert Maxeiner
„… warum der Bericht des hessischen Verfassungsschutzes für 120 Jahre gesperrt wurde? Das mag formaljuristisch so durchgehen, aber es stinkt nach Vertuschung auf allen Ebenen.“ Stimmt das, und ist das juristisch wirklich möglich? Und wie kann man das ändern?
Das wäre ja ungeheuerlich.
@Robert Maxeiner, 28. Juli 2018 um 20:43 Uhr
Da ich selbst eine zeitlang vom Verfassungsschutz beobachtet wurde (Teilnahme an einem Lesekreis, der mit der „Dialektischen Phantasie“ von Martin Jay befasst war), sind mir die Wege dieser Behörde ohnehin unergründlich. Ich kann daher nicht sagen, warum der fragliche Bericht, den Sie erwähnen, für 120 Jahre unter Verschluss genommen wurde.
Was die Frage der Steine anbelangt, die Fritz Bauer gleichsam in den Weg gelegt wurden, lässt sich zumindest sagen, dass die hiesige Soziologie ein „Spätentwickler“ ist. Erst in den frühen 1980er Jahren konnte wenigstens in Göttingen die notwendige Spitzenforschung betrieben werden, wie Horst Kern als seines Zeichens einstiger Präsident der dortigen Universität in einem Vortrag am 13. Dezember 2017 ausführte. Offen ist angesichts dessen eher, warum es die Soziologie so enorm schwer hatte und es so elend lange dauerte, einschlägige Erkenntnisse zu gewinnen, die auch von der Rechtsprechung nicht mehr zu hintergehen sind.
@Robert Maxeiner
Bevor ich mir eine Meinung bilde, schaue ich mir zuerst die Tatsachen an. Da ich aber den Prozess nicht beobachtet und auch das Urteil nicht gelesen habe, erlaube ich mir kein Urteil.
Mein gesunder Menschenverstand ließ mich an der aufgestellten Behauptung zweifeln. Ich habe kein «Paragraphenwissen», aber nach 5 Minuten Suche im Internet habe ich die entsprechenden Paragraphen gefunden. Ich halte es nicht für zu viel verlangt, dass man diesen Aufwand treibt, bevor man einem Leserbrief schreibt.
@ Henning Flessner
I. Werner
Dass die den NSU betreffenden Verfassungsschutzakten der Justiz für die nächsten 120 Jahre nicht zugänglich sein werden, weil sie von wem auch immer – nicht von der Justiz – als geheim eingestuft wurden, ist eine Tatsache, die ich für himmelschreiend halte, zumal der Agent des hessischen Verfassungsschutzes Temme zur Tatzeit an einem der Tatorte anwesend war. Ein Großteil der Akten war ohnehin zu Beginn des Prozesses bereits geschreddert – ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Da stellt sich einem wirklich die Frage, ob wir hier in einem Rechtsstaat leben, wenn seitens der Exekutive wichtige Beweismittel weder dem zuständigen Untersuchungsausschuss noch der Justiz zur Verfügung gestellt werden. Wie soll da ein angemessenes Urteil gefällt werden?
Was soll das denn sein, Ihr gesunder Menschenverstand, Herr FLessner? Gestehen Sie den mir auch zu, obwohl ich nicht nur rational denke und argumentiere? Gibt es im Gegensatz dazu auch einen kranken- und wie definieren Sie den denn? Um sich eine Meinung zu bilden und einen Leserbrief so scharf zu kritisieren, müssten Sie meines Erachtens schon etwas mehr tun,als im Internet die entsprechenden Paragraphen zu finden. Zumindest brauchten Sie ein Einschätzung, bei welchen Gelegenheiten sie angewendet werden, in welcher Weise, und bei welchen nicht, und welche stattdessen zur Anwendung kommen, und warum dies gerade in diesem oder jenen Fall so gehandhabt wird. Sind Sie der Meinung, Leute die beim Prozess nicht anwesend waren, könnten sich keine fundierte Meinung bilden? Auch keine politische Einschätzung? Möglicherweise müssten Sie bei der Gelegenheit auch überdenken, was für Sie eine Tatsache ist, und was möglicherweise nicht, und welche Entscheidungskriterien Sie anwenden.
@Brigitte Ernst
In einem Rechtsstaat sind die Behörden und die Justiz an die Gesetze gebunden. Ich vermute, dass es für diese Frist eine gesetzliche Grundlage gibt.
Ob man eine 120jährige Frist für sinnvoll, angemessen, vernünftig hält (was ich nicht tue), ist eine andere Frage.
Woher wissen Sie welche Tatsachen dem Gericht nicht zur Verfügung gestellt wurden und woher wissen Sie das sie wichtig waren? Dem Gericht schienen sie zu mindestens nicht wichtig zu sein.
@ Henning Flessner
Es ist bekannt und wird auch von niemandem geleugnet, dass eine große Anzahl von Akten über die Verbindungen zwischen NSU und Verfassungsschutz vor Beginn des Prozesses bereits vernichtet waren. Angeblich sei dies routinemäßig geschehen, einem aufmerksamen, kritischen Betrachter drängt sich aber der Verdacht auf, dass diese Aktion der Vertuschung dienen sollte.
Auffällig ist ja auch, dass alle im Prozess aussagenden Mitglieder des Verfassungsschutzes, vor allem Herr Temme, an entscheidenden Stellen, wenn es um ihre Kontakte zu V-Leuten des NSU ging, von so merkwürdigen Erinnerungslücken heimgesucht wurden. Wer den Prozess über die Medien einigermaßen verfolgt hat, sollte das mitbekommen haben.
Dass die Behörden an Gesetze gebunden sind, ist richtig. Wie aber kann überprüft werden, ob sie sich tatsächlich an diese gehalten haben, wenn das mangels Unterlagen gerichtlich nicht zu prüfen ist?
Wie es möglich war, Akten, die entscheidend zur Aufklärung beitragen können, inwieweit der (hier speziell der hessische) Verfassungsschutz in die NSU-Morde involviert oder zumindest näher über diese informiert war, zu vernichten oder vor dem Zugriff der Gerichte dauerhaft zu schützen, ist mir auch nicht wirklich klar. Ich gehe davon aus, dass das mit der merkwürdigen Zwitterstellung der Staatsanwaltschaften zu tun hat. Diese sollen in einem Rechtsstaat angeblich Entscheidungsfreiheit genießen, andererseits sind sie aber gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten, dem/der Justizminister(in) weisungsgebunden.
Wenn also eine Regierung (in diesem Fall die hessische Landesregierung) Fehler und dunkle Machenschaften vertuschen will, gibt sie der Staatsanwaltschaft die Weisung, an dieser Stelle nicht weiter nachzuhaken. Und die Richter, die froh sind, in einem solchen Mammutprozess überhaupt noch einigermaßen den Überblick zu behalten, verhandeln nur über die Anklagepunkte, die ihnen die Staatsanwaltschaft vorlegt.
Ob Beate Zschäpe zu Recht des Morden für schuldig befunden wurde, können wir noch nicht beurteilen, solange die Urteilsbegründung noch nicht vollständig vorliegt. Was wir schon jetzt wissen, ist die Tasache, dass wir über die Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die Affäre nie mehr etwas Genaueres erfahren werden. Es sei denn – was höchst unwahrscheinlich ist – einige Beamte dieser Behörde rücken doch noch mit der Sprache heraus.
@Brigitte Ernst
Mich interessiert dieser sehr komplizierte Fall nicht ausreichend, um mich damit weiter zu beschäftigen.
Ich musste nur im Lesebrief lesen, dass man nicht Mörder sein kann, wenn man nicht am Tatort war.
Da konnte ich es nicht unterlassen, dies richtig zu stellen.
@Robert Maxeiner
„Möglicherweise müssten Sie bei der Gelegenheit auch überdenken, was für Sie eine Tatsache ist, und was möglicherweise nicht, und welche Entscheidungskriterien Sie anwenden.“
Das haben Sie einen Volltreffer gelandet. Ich lese gerade Ludwik Fleck: Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache – Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv.
Hoch interessant, sehr zu empfehlen.
Genau dies meine ich, Herr Flessing, was Sie Frau Ernst zu deren Beitrag zurückmelden: Sie behaupten, etwas richtig zu stellen. Somit wäre der geäußte Zweifel, Jemanden nicht als Mörder verurteilen zu können, dem nicht nachgewiesen werden konnte, am Tatort gewesen zu sein, als falsch. Falls dies Ihre Meinung sein sollte, dass Jemand deshalb trotzdem Mörder sein kann, darüber diskutiere ich gerne mit Ihnen. Bisher haben Sie aber Ihre Meinung gar nicht geäußert, ausser in einem Klammersatz an Frau Ernst …“was ich nicht tue“.., sondern lediglich vermeintliche juristische Fakten benannt. Aber dies ist doch ein Forum nicht nur zum Informationsaustausch, sondern auch zur Meinungsäußerung.
@Robert Maxeiner
«Falls dies Ihre Meinung sein sollte, dass Jemand deshalb trotzdem Mörder sein kann, darüber diskutiere ich gerne mit Ihnen.“
Nehmen wir ein Beispiel: Jemand hat eine reiche Frau geheiratet, ist ihrer jetzt überdrüssig und möchte sie loswerden. Aus Habgier (das ist das Mordmotiv) lässt er sich nicht scheiden, sondern beauftragt einen Killer damit, seine Frau umzubringen, was dieser auch macht, während sich der Ehemann 2000 km entfernt aufhält.
Ich bin der Meinung, dass der Ehemann trotzdem wegen Mordes bestraft werden sollte, auch wenn er sich nicht am Tatort aufgehalten hat. Sind Sie anderer Meinung?
Bei dem von Ihnen genannten Beispiel stimme ich mit Ihnen überein, den Ehemann wegen Mordes zu verurteilen, Voraussetzung ist natürlich, der Sachverhalt kann so, wie Sie ihn geschildert haben, bewiesen werden. Nun kommen wir zurück zum Leserbrief von Herrn Voss: Beate Zschäpe gehört für die Verbrechen, die sie begangen, bestraft, da besteht nicht der geringste Zweifel. Ich vermute,sie hatte eine dominante Position in dem NSU-Trio, sie hat wohl nicht nur gekocht. Aber eine Beteiligung an den Morden konnte ihr nicht eindeutig nachgewiesen werden.Und ihre Rolle in dem Trio läßt viel Raum für Spekulationen, aber letzten Endes konnte sie nicht eindeutig belegt werden. Dies hängt unter anderem auch damit zusammen, dass Fakten im Umfeld des Trios nicht aufgeklärt, manipuliert, verheimlicht wurden, worau Frau Ernst in ihrem Blogbeitrag noch einmal ausführlich hinweist (auch auf die Rolle des Verfassungsschutzes und der V-Männer). Deshalb bin ich der Meinung, es sei beim Urteil Vorsicht geboten, denn auch für Zschäpe gilt: Im Zweifel für den Angeklagten! Sind Sie der Meinung, es ist rechtens, sie als Mörderin zu verurteilen? Und wenn ja, wie begründen sie das?
@Robert Maxeiner
«Sind Sie der Meinung, es ist rechtens, sie als Mörderin zu verurteilen?
Wie soll ich dazu eine Meinung haben? Ich bin kein Jurist.
Ich finde, jetzt drücken Sie sich aber, einen eigenen Standpunkt zu beziehen, Herr Flessner. Und in Ihrer harschen Kritik gegen den Leserbrief von Herrn Voss, den sie noch nicht einmal als differnzierte Stellungsnahme gelten lassen wollen, argumentieren Sie ausschließlich juristisch. In einem weiteren Beitrag rühmen Sie sich Ihres gesunden Menschenverstands. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber wenn nun als einziges Argument übrig bleibt, sie seien kein Jurist, finde ich dies, gelinde gesagt, etwas dürftig.
@Henning Flessner:
Sie schreiben: „Ich musste nur im Lesebrief lesen, dass man nicht Mörder sein kann, wenn man nicht am Tatort war.“
Das habe ich in meinem Leserbrief an keiner Stelle behauptet. Es ist mir unbegreiflich, wo Sie diese Behauptung gelesen haben wollen.
Ich habe geschrieben: „Frau Zschäpe wurde im NSU-Prozess keine Beteiligung an einem Mord nachgewiesen. Ihr konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass sie von einem der mindestens zehn NSU-Morde vorab wusste.“
Und: „Man kann in Deutschland auch dann wegen Mordes verurteilt werden, wenn einem eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden kann.“
Die Frage, ob Frau Zschäpe an einem oder mehreren der Tatorte persönlich anwesend war, wird in meinem Leserbrief überhaupt nicht behandelt.
@Holger Voss
Sie haben Recht. Die Behauptung, dass der fehlende Nachweis der Tatbeteiligung nicht vorliege, weil Frau Zschäpe nicht am Tatort war, kam nicht von Ihnen, sondern von Herrn Maxeiner.
Sie schreiben nur pauschal, dass ihr keine Tatbeteiligung nachgewiesen wurde. Daraus folgern Sie das Vorliegen einer Rechtsbeugung («Gesinnungsjustiz»).
Für einen differenzierten Beitrag hätte ich schon erwartet, dass Sie nicht nur Behauptungen liefern, sondern sie auch begründen. Was hätte z.B. für eine Tatbeteiligung notwendig vorliegen müssen und lag hier nicht vor.
Herr Maxeiner hat immerhin versucht, ihre Behauptung zu begründen mit dem Hinweis auf die fehlende Anwesenheit am Tatort. Bei Ihnen finde ich nichts.
@ Holger Voss
„Frau Zschäpe wurde im NSU-Prozess keine Beteiligung an einem Mord nachgewiesen. Ihr konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass sie von einem der mindestens zehn NSU-Morde vorab wusste.“
So sieht das die Verteidigung. Der Richter ist offensichtlich anderer Auffassung.
Er orientiert sich offenbar am Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen die RAF-Terroristin Verena Becker aus dem Jahre 2012, das vom BGH bestätigt wurde. Hier wird folgende Definition für eine Mittäterschaft gegeben:
Wesentlich sei „der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Tatbeteiligten abhängen“.
Der Richter Götzl betonte bei der Urteilsverkündung die „Gesamtschau der Umstände“, die in seinen Augen den Beweis der Täterschaft Beate Zschäpes erbracht hat. Die Verteidigung sieht das anders. Es ist also eine Ermessensfrage, und wie der BGH bei der bevorstehenden Revision befinden wird, ist abzuwarten. (Quelle: stuttgarter-zeitung.de vom 11.07.2018)
Ich halte es für problematisch, wenn juristische Laien sich, noch bevor die schriftliche Urteilsbegündung vorliegt, anmaßen, dieses Urteil zu bewerten. Wer von uns kennt denn die abertausend Seiten von Gerichtsakten, die dem Richter zur Verfügung stehen?
Ein anderer Punkt, und das habe ich ja bereits deutlich gemacht, ist die Rolle, die der Verfassungsschutz im gesamten NSU-Komplex gespielt hat. Davon, dass die vernichteten und gesperrten Akten zu Zschäpes Entlastung beigetragen hätten, ist nicht auszugehen. Vielmehr hätte der Kreis der Täter, Mittäter und Mitwisser bei Vorlage der Akten und ehrlichen Aussagen der Verfassungsschützer wahrscheinlich noch erweitert werden können, ganz zu schweigen von den groben (schuldhaften?) Ermittlungsfehlern, die dabei zutage getreten wären.
Das ist es, was ich kritisiere.
Ich möchte mich nicht wiederholen: Mir geht es um die politische Bewertung des Falls. Selbstverständlich kann man formaljuristisch den Fall so handhaben und bewerten, wie dies geschehen ist. Aber gerade ihn auf das Formaljuristische einengen zu wollen – hier wiederholt sich im übertragenen Sinn etwas, das in der Verhandlung auch geschehen ist, nämlich bestimmte Fakten im Umfeld zur Beweisaufnahme zuzulassen, andere nicht – lenkt doch vom politischen Umfeld des Falls, der auch zur juristischen Haltung beigetragen hat, ab, da bin ich mir sicher. Möglicherweise kommt ein Richter in so einem brisanten Fall kaum aus irgendeiner Art von Befangenheit heraus, die ihm Politik und Geheimdienst eingebrockt haben. Ursprünglich hatte sich Zschäpe ja eingebildet, sie könnte als Kronzeugin auftreten. Zum großen Glück wurde anders entschieden. Ich befürchte, auch diese Entscheidung war schon politisch eingefärbt.
Was mir gerade noch ein-, bzw. aufällt, Frau Ernst: Am 29. 07. (siehe oben) äußerten Sie noch Zweifel am Rechtsstaat. Und jetzt finden Sie meine Haltung amaßend, wenn ich genau aus den von Ihnen aufgeführten Gründen, Zweifel am Urteil habe (eine etwas kleinere Kategorie). Dies paßt meines Erachtens nicht zusammen, oder sie legen bei Ihrer eigenen Bewertung ein anderes Maß an.
@ Robert Maxeiner
Sie haben recht, in meiner Äußerung vom 29. Juli, 16:56, habe ich einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem Nicht-Vorliegen der Verfassungsschutzakten und dem Urteil über Beate Zschäpe. Das halte ich nach weiterer Beschäftigung mit dem Fall für voreilig.
Bereits am 30. Juli, 16:56, habe ich meine Aussage präzisiert: „Ob Beate Zschäpe zu Recht des Mordes für schuldig befunden wurde, können wir noch nicht beurteilen, solange die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt.“
Ich versuche hier zu differenzieren. Dass sich aus den Akten oder aus ehrlichen Aussagen der Leute vom Verfassungsschutz Entlastungsmomente für Zschäpe ergeben könnten, halte ich für unwahrscheinlich. Eher könnten sie noch mehr für die Angeklagte Belastendes zutage befördern. Deshalb würde ich, nachdem fünf Richter und ein Ergänzungsrichter des OLG München zum jetzt gefällten Urteil gefunden haben, nicht davon ausgehen, dass diese sechs Personen alle absichtlich ein politisch motiviertes Fehlurteil gesprochen haben. Fehler können natürlich auch Richtern unterlaufen, aber das kann ich als Laiin nur schwer beurteilen. Richtig ist sicher bei einem derart diffizilen Prozess, dass die Verteidiger in Revision gehen und das Verfahren an den BGH weitergereicht wird. Dem traue ich eher eine fachlich kompetente Beurteilung des Falles und des Urteils zu als Herrn Voss, Ihnen und meiner Wenigkeit.
Meine Kritik setzt an der Stelle ein, wo Behörden wichtige Akten voreilig schreddern oder für vier Genrationen unter Verschluss halten bzw. ihre Mitarbeiter mauern. Ich verurteile das nicht, weil Beate Zschäpe deshalb zu Unrecht verurteilt wurde, sondern weil, wie ich es ja bereits betont habe, auf diese Weise die Größe und Bedeutung der Untergrundorganisation NSU und ihre Verflechtung mit dem Verfassungsschutz und der Politik nie aufgedeckt werden und so eventuell weitere Mittäter oder Mitwisser ungeschoren davonkommen.
@Robert Maxeiner
«Mir geht es um die politische Bewertung des Falls.“
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was das ist: eine politische Bewertung eines Mordprozesses.
Ich sehe aber die Gefahr, dass man durch eine solche Sichtweise aus einem Mordprozess einen „politischen“ Prozess macht. Aus Frau Zschäpe wird dann am Ende eine politische Gefangene. Die Debatte hatten wir doch schon zur Genüge mit der RAF.
@Henning Flessner:
In der Tat: Ich schreibe, dass Frau Zschäpe keine Tatbeteiligung an einem Mord nachgewiesen wurde.
Wenn Sie diese Behauptung bestreiten wollen, sollten Sie schon schreiben, wie denn Ihrer Meinung nach die nachweisbare Tatbeteiligung der Frau Zschäpe an mindestens einem der Morde ausgesehen haben soll.
Mein Vorwurf ist ja gerade, dass es einen solchen Nachweis nicht gibt, Frau Zschäpe aber dennoch wegen Mordes verurteilt wurde.
Deshalb meine Frage: Welchen Mord hat Ihrer Einschätzung nach Frau Zschäpe (mit-)begangen, und worin genau lag ihre Tatbeteiligung? – Wenn Sie diese Frage nicht beantworten können, sollten Sie selbstverständlich (Unschuldsvermutung) davon auszugehen, dass Frau Zschäpe an keinem der Morde beteiligt war.
@Brigitte Ernst:
Ihren Hinweis auf frühere RAF-Prozesse finde ich sehr hilfreich: Die Strafverfahren gegen (mutmaßliche und tatsächliche) Mitglieder der RAF waren häufig weit entfernt von rechtsstaatlichen Prinzipien, und der Verurteilungswille war regelmäßig so stark, dass man auch hier von Gesinnungsjustiz sprechen muss. Mit Rechtsstaatlichkeit hatten die RAF-Verfahren oft wenig zu tun, das sollte inzwischen auch hinlänglich nachgewiesen sein.
Was Frau Zschäpe angeht: Man muss nicht juristische ExpertIn sein, um anhand der ausführlichen Medienberichte der vergangenen Jahre beurteilen zu können, dass ihr keine Beteiligung an einem Mord nachgewiesen werden konnte. Über jeden der Verhandlungstage wurde ausführlich berichtet.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich deutsche JuristInnen trotzdem Konstrukte einfallen lassen, mit denen sich begründen lässt, warum Frau Zschäpe wegen Mordes verurteilt werden muss. Obwohl sie sich nicht an den Morden beteiligt hat. Solche abstrakten Konstruktionen, nach denen eine Tat Menschen „zuzurechnen“ ist, die eine Tat nicht (mit-)begangen haben, sind ein sehr eindeutiger Hinweis auf Unrechtsstaatlichkeit. Das sind genau die weit hergeholten Begründungen, mit denen Oppositionelle in der Türkei oder in Russland verurteilt werden.
Ich mag ein juristischer Laie sein. Aber für mich wäre wichtig: Solange ich mich nicht an einem Mord beteilige (weder anstiftend noch in der Planung noch in der Durchführung), kann ich nicht wegen Mordes verurteilt werden. Wenn ich mich darauf nicht (mehr) verlassen kann, lebe ich nicht (mehr) in einem Rechtsstaat. – Genau das scheint der Fall zu sein, und genau das macht mir Bauchschmerzen.
Wenn Max Horkheimer namens der Frankfurter Schule die Sehnsucht danach einräumt, dass „der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge“, lässt sich bereits daran ablesen, wie überaus voraussetzungsvoll der Begriff ist. Will Herr Voss seine „Bauchschmerzen“ ergründen, müssten demnach die gegebenen Voraussetzungen geklärt werden. Daran besteht indes keinerlei Interesse. Schon im Herbst 2005 wies beispielsweise die Hans-Böckler-Stiftung einen Antrag auf materielle Förderung einer dementsprechenden Untersuchung kommentarlos ab. Auch andere Stiftungen bürgerlichen Rechts bedienten sich teils hanebüchenen Ausflüchten. Zumindest vonseiten der Zivilgesellschaft herrscht in der Sache insofern eine kaum mehr zu überbietende Gleichgültigkeit vor. Ob das Bundesforschungsministerium Gelder ausreicht, um Licht ins Dunkel zu bringen, ist eher unwahrscheinlich. Der momentane Digitalisierungs-Hype raubt anscheinend auch dort den Verstand bis zur völligen Besinnungslosigkeit.
@Holger Voss
Ihre Forderung an mich ist absurd. Lesen Sie das Urteil!
Ich glaube, dass Ihre eigentliche Absicht ist, aus Frau Zschäpe ein Justizopfer zu machen. Für derartige Bestrebungen stehe ich Ihnen nicht mal als Diskussionspartner zur Verfügung.
Ende der Debatte.
Auch wenn Sie vorgeben, nicht zu wissen, was dies ist, Herr Flessner, tun Sie mit Ihrer Aussage gerade das, sie bewerten den Fall nicht nur juristisch, sondern benennen auch Ihre Befürchtungen, ob der politisch brisanten Situation. Diese Befürchtung, dass Zschäpe von Rechtsaussen zur politischen Gefangenen erklärt werden soll, habe ich auch. Dies hätte meines Erachtens vermieden werden können, wenn auch die Machenschaften des Verfassungsschutzes und das ganze NSU-Umfeld mit in die Aufklärung bezügl der Morde einbezogen worden wären. So wird der Rechtsstaat von denen beschädigt, die ihn schützen sollten, jedoch vorgeben, dies zu tun, und den Rechtsaussen wird jede Menge Material geliefert. Gerade dies hätte vermieden werden müssen, denn so hatte die Basis der Prozessführung schon eine überfordernde und unangebrachte politische Last zu tragen, und der Richter konnte nur überfordert sein. Ich verspüre wenig Lust, meine Kritik zum Urteil zu unterlassen, weil ich sonst womöglich der falschen Seite Argumentationsmaterial liefere. (Die lesen wahrscheinlich ohnehin nicht, was ich schreibe.) Noch etwas zu Ihrer Argumentation: Ich finde sie etwas defensiv, um meinerseits möglichst offen mit Ihnen zu diskutieren. Sie bleiben sehr sparsam, was Ihr eigener Standpunkt angeht, in diesem Fall haben Sie ständig juristische Argumente in den Vordergrund gestellt, um die es, mir jedenfalls, gar nicht ging, fordern aber von Ihrem Gegenüber immerzu Belege für dessen Argumente. Eigentlich hätten Sie Belege bringen müssen, weil Sie Beiträge aus dem Leserbrief von Herrn Voss in Fragegestellt haben. Das können Sie natürlich tun, ist Ihre Angelegenheit, aber, wie gesagt, ich verspüre wenig Offenheit und will dann auch nicht mehr offen reden. Des Weiteren werde ich deshalb Ihre Beitrage einfach als Statements zur Sache betrachten, und wenn Sie mir persönlich etwas vorwerfen, zum Beispel, nicht differenziert zu argumentieren oder mir mit Ihrem ‚gesunden Menschenverstand’kommen,weise ich dies einfach zurück.
@ Holger Voss
Ich bleibe dabei: Solange ich nicht die gesamten Prozessakten und die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung durchgearbeitet habe – möglichst noch begleitet von einem Juristen, der mir Laiin die nötigen fachlichen Erklärungen dazu gibt – maße ich mir kein Urteil über die Gerichtsentscheidung im NSU-Prozess an. Auch die Berichterstattung in den Medien ist notgedrungen lückenhaft und je nach Sicht des berichtenden Journalisten gefärbt. Da kommen leicht Gerüchte und vorgefasste Meinungen zum Tragen, denen ich nicht aufsitzen möchte.
Ich bewundere die Selbstgewissheit von juristischen Laien, die glauben, aufgrund von Wissen aus zweiter Hand, also nach dem Hörensagen, zu derart felsenfesten Überzeugungen gelangen zu können und einer Vielzahl von Richtern und Richterinnen, die in den zahlreichen RAF-Prozessen und jetzt im NSU-Prozess entschieden haben, samt und sonders Gesinnungsjustiz vorwerfen zu können. Mich erinnert so etwas eher an Stammtischgeschwätz und hat mit einer sachlich und fachlich fundierten Beurteilung wenig zu tun.
Interessant finde ich auch, dass Sie die deutsche Gerichtsbarkeit auf eine Stufe stellen mit der russischen unter Putin und der türkischen unter Erdogan. Sollte man da die tunesischen Behörden nicht davor warnen, ihren abgeschobenen Staatsbürger Ali S. in einen derartigen Unrechtsstaat auszuliefern?
Orientiert man sich in seiner Argumentation an dem von mir heute um 9:17 Uhr zitierten Begriff von Horkheimer, gilt die Begehung eines Mordes als ein zutiefst einfältiges Handeln. Urteilt angesichts dessen ein ordentliches Gericht, dass Frau Zschäpe eine Mörderin ist, hat sie zweifelsfrei die Gelegenheit während des Prozesses verstreichen lassen, die Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen. Anstatt fortgesetzt zu schweigen, wäre es allemal klüger gewesen, sich zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft zu äußern. Die „Bauchschmerzen“, die Herrn Voss plagen, sind nach Lage der Dinge daher nicht nachvollziehbar. Wo die Rechtsstaatlichkeit verletzt sein soll, erschließt sich zumindest mir nicht.
Na,nun ist es ja endlich raus, das Vorurteil, Herr Flessner. Ihre unbegründete, diffarmierende Behauptung, ich wolle Frau Zschäpe zum Justizopfer machen, weise ich zurück. Ende der Debatte.
@ Robert Maxeiner
Ihr letzter Beitrag verwirrt mich. Wem hat Herr Flessner den Vorwurf gemacht, er wolle aus Beate Zschäpe ein Justizopfer machen, Ihnen oder Herrn Voss? Ich dachte, letzterem. Ihre Empörung läuft also ins Leere.
Zum Inhalt des Vorwurfs:
Herr Voss spricht im Zusammenhang mit den RAF-Prozessen von „Gesinnungsjustiz“ und entdeckt beim Zustandekommen der Verurteilung Beate Zschäpes „Unrechtsstaatlichkeit“.
Quizfrage: Wie nennt man eine Person, die aufgrund von Unrechtsstaatlichkeit zu einer höheren Strafe verurteilt wird als angemessen? Justizopfer, oder nicht?
Leider kann ich Ihnen aus ihrer Verwirrung nicht heraus helfen, Sie müssen schon die Beitrage lesen. Und Ihre Frage müssen Sie nicht mir stellen, versuchen Sie es doch mal in einer Quizsendung. Herr Flessing hat mir unterstellt, es sei meine Absicht, also mein Motiv, Zschäpe zum Justizopfer zu machen. Dies halte ich für eine pervide Unterstellung, da ich mich gegenteilig geäußert habe. Und ich werde es ja wohl wissen, was mein Motiv ist.
Bitte entschuldigen Sie, Frau Ernst. Ich habe tatsächlich übersehen, dass die Unterstellung von Herrn Flessner an Herr Voss ging. Aber ich habe mich inhaltlich angesprochen gefühlt, weil meine Argumentation in die selbe Richtung ging.
Ich habe die Diskussion hier interessiert verfolgt. Die Kontroversen sind ja nicht so widersprüchlich, wie sie manchmal scheinen.
Für mich bleiben bohrende Fragen in diesem Fall offen, die weniger den Prozess und das Urteil betreffen. Frau Ernst hat es ja erwähnt: die Rolle des Verfassungsschutzes ist völlig undurchsichtig. Der Verschluss der Akten für mehrere Generationen ein Skandal.
Für die betroffenen Familien ein lebenslanges Trauma, zu recht verlangen sie mehr Aufklärung. Und ich verlange sie für mich und unsere Gesellschaft auch.
Mit welcher Absicht wollte der NSU mit diesen Morden unsere Republik erschüttern? Das bleibt doch völlig unklar. Auch die (angebliche) Selbsttötung von Böhnhardt und Mundlos scheint mir nicht plausibel. Die Rolle von Beate Zschäpe , emotional abhängig von beiden? Möglich. Aber wenn sie sich von der extrem rechten Szene abgekehrt hat, warum redet sie nicht? Vielleicht hat sie gar keinen wirklichen Überblick über all das, was dort abgelaufen ist. Entschuldigt sich bei den Opfern, aber ansonsten schweigt sie. Ich fürchte, die Schlüssel für die Aufklärung liegt beim Verfassungsschutz, da müssen unsere Abgeordneten doch mal viel energischer mit dem eisernen Besen durchkehren und mal gründlich sauber machen.
Ich kann ja verstehen, dass in hochbrisanten Bereichen, etwa im Zusammenhang mit Atomwaffen, der Kreis der Informierten klein gehalten werden muss und es Verschlusssachen gibt, die nicht an die Öffentlichkeit dringen dürfen. Allerdings sehe ich nicht ein, dass bei Inhalten, die der Verfassungsschutz behandelt, nicht der Kreis der Eingeweihten um einige Abgeordnete, Staatsanwälte und Richter erweitert werden könnte, die dann unter Schweigepflicht stehen.
Man kann solche Verfahren ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführen, aber es geht nicht an, dass solche Ämter gar keiner Kontrolle seitens des Souveräns, des Volkes, unterstehen.
@Brigitte Ernst
Ich habe gelesen, dass es sich um einen Bericht handelt, den das Innenministerium angefordert hat.
Abgeordnete des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses konnten den Bericht lesen und bei geschwärzten Stellen nachfragen, hieß es in dem Bericht.
Wenn man die Unterlagen dem Gericht zugänglich macht, muss man sie auch der Verteidigung und den Angeklagten zugänglich machen. Damit würde die Todesliste, die man bei Rechtextremen gefunden hat, wohl um einige Namen verlängert.
Aber 120 Jahre ist wohl etwas übertrieben. Bis zum Tode der Beteiligten ist in solchen Fällen wohl nicht unüblich.