Über Wachstum und dessen Grenzen ist in den gut 40 Jahren seit dem Erscheinen des Klassikers „Die Grenzen des Wachstums“ viel geschrieben worden. Geschehen ist – nichts. Hin und wieder mahnende Stimmen, die vor diesem Irrwitz in der Kapitalismus-„Logik“ warnen und die bei mir regelmäßig das ambivalente Gefühl hervorriefen: Gut, dass das Thema mal wieder angesprochen wurde. / Schlecht, dass der Einzelne so hilflos ist. Die Weltbevölkerung hat die die Sieben-Milliarden-Marke im Jahr 2011 überschritten. Auch wenn Teile dieser neuen Menschen vor allem in Afrika von globalen Entwicklungen abgeschnitten sind, bleiben genug neue Menschen übrig, um den Energiehunger weiter in die Höhe zu treiben. Dies zusammen mit der Tatsache, dass weitere Gesellschaften den „Entwicklungsrückstand“ zum Westen in atemberaubend kurzer Zeit aufzuholen versuchen, zieht ein weiteres Problem nach sich: Der Kohlendioxid-Ausstoß steigt rasant an. Die Chancen, das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen, schwinden damit.
So erweist sich, dass der Kapitalismus in seiner derzeit grassierenden Reinform nicht in der Lage ist, drängende Probleme zu lösen. Um dies zu schaffen, müsste von Seiten der Politik eingepreist werden, was nur schwer zu prognostizieren ist: Die künftig durch den Klimawandel anfallenden Kosten etwa. Der Handel mit den Kohlendioxid-Emmissionsrechten, der das eigentlich bewerkstelligen sollte, scheint zu versagen. Vom Wuchern des Finanzsektors, der sich längst von der Realwirtschaft entkoppelt hat, brauche ich an dieser Stelle wohl nicht mehr anzufangen.
Es gibt also viele Probleme. Und es gab eine Degrowth-Konferenz, die von der FR zum Anlass genommen wurde, eine Serie von Gastbeiträgen namhafter Autorinnen und Autoren zum Wachstumsfetischmus zu bringen. Den Auftakt machte FR-Autor Stephan Kaufmann mit seinem Artikel „Immer mehr„. Die Linken-Politikerin Sakine Leidig schrieb „Abkehr vom Wachstumsmantra„. Der Vorsitzende des Instituts für Wachstumsstudien (IWS), Kay Boucarde steuerte „Wachstum – der exponentielle Irrtum“ bei, von Felix Rauschmayer vom Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung kam der Artikel „Wachstums-Abhängige“. Die Philosophin Christine Ax schrieb über „Genießen statt Schuften„, die Wirtschaftswissenschaftlerin, Historikerin und Politikwissenschaftlerin Friederike Habermann über „Ohne Wachstum kein Kapitalismus“ und der Ökonom Alberto Acosta über „Die Quelle der Ungerechtigkeit„.
Das ist eine Menge Stoff, der unter anderem eine Botschaft transportiert: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Doch wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir künftig leben wollen? Mit unserem Gerechtigkeits-Schwerpunkt, den wir am 6. September begonnen haben und der die FR drei Monate lang deutlich erkennbar prägen wird, wollen wir diese Debatte weiterführen und eine Zukunfts-Debatte daraus machen. Sie alle sind eingeladen, auf einer eigenen neuen Webseite Gerechtigkeits-Ideen und Recherche-Vorschläge an die FR-Redaktion zu formulieren. Machen Sie mit. Beteiligen Sie sich an einer lebenswichtigen Debatte!
Nun zu den Leserbriefen, die mich auf die oben verlinkten Artikel erreichten. H. Dieter van Holst aus Frankfurt meint:
„‚Wir‘ verhalten uns wie Süchtige? Wen meint Herr Rauschmayer eigentlich mit ‚wir‘? Haben denn wir Normalverbraucher den geringsten Einfluss auf die Funktionsweise des Wirtschaftssystems? Die Ausführungen von F. R. vernebeln das wirkliche Problem.
Es geht keineswegs um Suchtverhalten, sondern um die sehr reale Frage, wie der jährliche Abbau von rund zwei Prozent der Arbeitsplätze infolge des technischen Fortschritts kompensiert werden soll, wenn nicht durch Wachstum.
Dazu hat der Verfasser nur Platitüden anzubieten, wie die Forderung nach einem „gesamtgesellschaftlichen Umbau“, der „alle Ebenen“ umfassen müsse, oder leerformelhafte Floskeln wie: Wir müssten „mehr an unseren psychischen als mit den materiellen Ressourcen arbeiten“. Wenn er und andere Wachstumskritiker (wie etwa Robert und Edward Skidelsky) nicht nur den „Wachstumswahn“ kritisieren würden, sondern halbwegs konkrete Maßnahmen vorzuschlagen hätten, könnte darüber auch diskutiert werden. Leider beschränkt sich auch Herr Rauschmayer darauf, negative Auswirkungen des Wirtschaftswachstums zu dramatisieren.
Die Behauptung, dass alles Elend dieser Welt (Kriege, Umweltzerstörung, Burn-out, Existenzängste, Depressionen) durch Wirtschaftswachstum verursacht würde, zeugt von einer allzu schlichten Denkweise und leistet keinen Beitrag zur Bewältigung der angesprochenen Probleme.“
Gisela Hartwieg aus Braunschweig:
„Mit dankenswerter Klarheit behandelt Felix Rauschmayer die Notwendigkeit, die zunehmende „Ressourcenintensität der Wirtschaft“ zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte zu machen. Literaturhinweise zum Thema sind am Schluss des Gastbeitrags von Rauschmayer angegeben, es fehlt an dieser Stelle aber das Werk von Chandran Nair: „Der große Verbrauch. Warum das Überleben unseres Planeten von den Wirtschaftsmächten Asiens abhängt“. Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl. Deutsche Erstausgabe, Riemann Verlag, München 2011.
Chandran Nair dekliniert in seinem Buch in klar gegliederten Kapiteln seine These durch, warum China und Indien mit ihrer kapitalistischen Wende sich noch nicht völlig vom konsumorientierten Kapitalismus von USA und Europa haben vereinnahmen lassen: Die traditionellen Wirtschaftsformen der Landwirtschaft z.B. sind in den asiatischen Staaten noch stärker an den Konzepten von Gemeinwohl verankert und wegen der Bevölkerungsdichte besonders in den ländlichen Gegenden nicht so leicht durch den europäischen/amerikanischen Kapitalismus zu verändern, bezw. zu ersetzen. Sogar der boomende chinesische Kapitalismus lehnt sich nur oberflächlich an den konsumorientierten Kapitalismus des Westens an und hat unveränderbare Wurzeln in den Gemeinschaftsidealen unterhalb des Aufstiegs nach westlichem Muster.
Mein Wunsch wäre, dieses auf statistischen Grundlagen beruhende Werk ausführlich in der FR behandelt, bezw. rezensiert zu sehen; das würde die Diskussion zweifellos weiter bringen.“
Rita Betz-Taubel aus Frankfurt:
„Vielleicht sollten unsere amtierenden Politiker der Bundesregierung endlich handeln und zwar endgültig eine Reichensteuer einführen. Hört sich blöd an, ich denke aber an viele Menschen, die mittlerweile mehr verdienen, als sie jemals ausgeben können. Die hätten sicher nichts dagegen, hier ein paar Euro abzugeben, anstatt diese an der Börse weiter zu verzocken, zum Beispiel diese in einen Sozialfond einzubringen. Das würde dem Bund unter anderem die Möglichkeit eröffnen, in allen brachliegenden Bereichen Investitionen vornehmen zu können und hier für Wachstum und weitere Beschäftigung zu sorgen. Nicht immer nur nach Wachstum rufen, auch die Möglichkeiten erschließen, diesen zu erreichen – auch von staatlicher Seite.
Dann kann der Ruf nach Wachstum auch wieder in der Bevölkerung ankommen und vielleicht erfolgreich umgesetzt werden. Getan werden muss schon noch was, Wachstum kommt nicht von alleine.“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Der von Christine Ax und auch von vielen anderen zeitgenössischen Autoren gewählte Denkansatz, gedanklich mit makroökonomischen Grüßen ex ante im Sinne einer unmittelbaren Handlungsfähigkeit von zentraler Stelle aus zu operieren, geht an den betriebswirtschaftlich-unternehmerischen Realitäten, möglicherweise aber vor allem an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Es gibt keine großen Stellschrauben in der Volkswirtschaft, die, wie im Denken von Adam Smith, als eine „invisible hand“ fungieren könnten. Planwirtschaften und „planification“ haben doch versagt! Volkswirtschaftliche Wertschöpfung setzt sich aus Billionen einzelner Leistungsaktivitäten zusammen, die nicht in eine „weniger Arbeitszeit“-Konzeption eingebracht werden können. Ob Menschen generell mehr Muße anstreben oder nicht durchaus Arbeit als sinnerfüllend für ihre Existenz empfinden, ist auch nicht ausgemacht. Was Lebensqualität ist, entscheidet letztlich jedes Individuum für sich selbst!“
Werner Geiß aus Neu-Isenburg
„Schon lange versagt der durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) definierte Wachstumsbegriff als Wohlstandsindikator, weil er weder Verteilung noch Zufriedenheit messen kann. Im Gegenteil: Die Umsätze wachsen durch intensive Suggestivwerbung, die zugleich immer mehr Bedarf, damit immer mehr Unzufriedenheit erzeugt. Dies vor allem beim ärmeren, bildungsferneren und daher eher konsumfixierten Teil der Gesellschaft. Hingegen können gebildete, „mündige“ Bürger souverän auf Statuskonsum verzichten, wiewohl sie sich den leisten könnten. Dieser Effekt verschärft das soziale Gefälle und mindert den gesellschaftlichen Wohlstand. Auch die steigenden Kosten durch Klima- und Umweltschäden werden bei der Ermittlung des BIP und dessen Wachstum immer noch nicht berücksichtigt. Das Ideal des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts, dem Zustand optimalen Wohlstands, setzt aber rationales Konsumverhalten und die Verrechnung aller, auch bislang „externer“ Kosten voraus. Ein umfassendes Bildungsangebot für alle, die Unterbindung von Suggestivwerbung und korrekt ermittelte Ökosteuern lassen den Wohlstand wachsen, wenngleich das BIP durch sinkenden Statuskonsum vielleicht sogar schrumpft.
Schon vor über 40 Jahren wurde dies an Schweizer Hochschulen vermittelt, heute widerspricht es deutschen Wirtschaftinteressen.“
Bernd Bremen aus Aachen:
„Die Thematisierung einer Alternative zum Wachstumswahn – und damit zum, für viele vor allem im Trikont lebende Menschen, tödlichen Kapitalismus – ist sicher überfällig und sehr begrüßenswert! Doch was passiert nach dieser Woche? Verschwindet das Thema damit wieder bis zur nächsten Hervorholung? Die Umgangsweise der FR im Wirtschaftsteil der Freitagsausgabe lässt diese meine Befürchtung wachsen: Erst kommt der Gastbeitrag „Ohne Wachstum kein Kapitalismus“; rechts daneben in gewohnter Diktion der Artikel „Mit aller Macht gegen die Krise“, wo die aktuellen EZB-Maßnahmen zur Förderung von Wachstum beschrieben und übliche „Experten“ wie Sinn und Konsorten zitiert werden.
Fazit: Solange die FR nicht täglich die wirtschaftspolitischen Alltagsthemen mit alternativen Sichtweisen konfrontiert, bleibt das Wochenthema lediglich eine Spielwiese mit begrenzter Öffnungszeit und damit leider nur ein Feigenblatt.“
Viele Wachstumskritiker wollen weniger und beschränken sich dabei auf ein Weniger des Bisherigen und bleiben dabei selber der rein quantitativen Wachstumslogik verhaftet.
Man stelle sich vor , wir würden den heutigen Verbrauch in kürzester Zeit um ein Drittel senken – mal angenommen , das wäre machbar – wäre das genug ?
Wohl eher nicht , auch zwei Drittel des bisherigen Verbrauchs würde die Ressourcen ruinieren , nur langsamer, mal abgesehen von der ökonomischen Mega-Katastrophe , die daraus folgen würde.
Auch wenns so mancher nicht mehr hören mag , ohne die berühmte Nachhaltigkeit geht gar nichts , wir werden unsere gesamte Wirtschafts-und Lebensweise so umgestalten müssen , daß sie nachhaltig und ökologisch daherkommt – oder wie immer man das nennen mag.
Umso erstaunlicher , mit welchen Nebenkriegsschauplätzen sich gerade die grüne Partei seit einiger Zeit herumschlägt , als ob es nicht genügend echte Probleme gäbe.