In einer Woche ist Landtagswahl in Hessen. Zeitgleich können die Wählerinnen und Wähler über eine Reform der Landesverfassung abstimmen. Sie soll in 15 Punkten geändert werden. Es geht unter anderem um die Abschaffung der Todesstrafe, die – ein unsäglicher Anachronismus – noch immer in der Landesverfassung vorgesehen ist, aber nie verhängt wurde, da Bundesrecht Landesrecht bricht (vereinfacht gesagt). Es geht aber auch um die Erleichterung von Volksabstimmungen und einige weitere Punkte. Einen Überblick gibt es hier, Details hier.
Vor allem die Senkung des Quorums für die Einleitung von Volksabstimmungen ist eine weitreichende Änderung. Die Forderung nach mehr Möglichkeiten für die Wählerinnen und Wähler, an politischen Entscheidungen mitzuwirken, ist schon alt und hat die Politik seit langem beschäftigt. Volksabstimmungen gelten als ein Mittel gegen Politikverdrossenheit. Bisher mussten 20 Prozent der Wahlberechtigten eine solche Abstimmung einfordern, damit sie überhaupt eingeleitet werden konnte; künftig reichen dafür fünf Prozent. Die Einleitung einer Volksabstimmung wird also deutlich vereinfacht. Zur Annahme eines Vorschlags muss nicht nur eine Mehrheit der Abstimmenden ja sagen. Es muss auch mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten zustimmen. Es sind also Sicherungen eingebaut, die dafür sorgen sollen, dass der Souverän keinen Mist entscheidet
Es ist wohl kaum zu erwarten, dass diese Verfassungsänderung abgelehnt wird. Aber ob sie wirklich segensreich ist? Auf jeden Fall bietet sie neue Möglichlichkeiten, sich mit Themen auseinanderzusetzen, aber die Zuschriften, die mich zu diesem Thema bisher erreicht haben, sehen die Reform eher kritisch. Werden die Wählerinnen und Wähler verantwortungsbewusst mit den neuen Möglichkeiten umgehen? Wie sicher werden wir vor manipulativen Eingriffen sein, die mit unlauteren Mitteln arbeiten so wie beispielsweise die Brexit-Verfechter in Großbritannien vor zwei Jahren?
Leserbriefe
Jörg Löllmann aus Frankfurt meint:
„Am 28. Oktober 2018 sind alle Wahlberechtigten in Hessen dazu aufgerufen einen neuen Landtag zu wählen. Daneben sollen wir auch noch unser Votum für/gegen 15 Änderungen in der hessischen Landesverfassung abgeben. Grundsätzlich mag man von der einen oder anderen vorgesehenen Änderung halten was man mag, ob sinnvoll oder nicht. Jedoch führt die geplante Absenkung des Quorums zur Herbeiführung von Volksentscheiden von 20 auf fünf Prozent dazu, dass es potenziell häufiger zu Volksentscheiden kommt, was mit einer personellen und finanziellen Belastung der Verwaltung einhergeht. Ob jedoch die Absenkung des Quorums auf fünf Prozent zu mehr Demokratie und damit zu ggf. besseren Entscheidungen führt, darf zumindest bezweifelt werden.
Insbesondere vor dem Hintergrund und den Erfahrungen der Volksabstimmung in Großbritannien zum Brexit, die uns ein mahnendes Beispiel sein sollte, sehen wir, dass Volksabstimmungen zu einer Spaltung der Gesellschaft führen können. Von den Brexit-Befürwortern wurde eine massive Desinformationskampagne geführt, bei der falsche Informationen verbreitet und Wesentliches nicht genannt bzw. wissentlich weggelassen wurde. Aufgrund dieser Tatsache und zum Teil auch aus Politikverdrossenheit haben viele junge Menschen nicht an der Abstimmung teilgenommen, obwohl es im Wesentlichen um ihre Zukunft ging. Insofern besteht die berechtigte Sorge, dass Menschen Entscheidungen treffen, die ggf. auf falschen bzw. unvollständigen Informationen beruhen. Dieses Gefahrenpotential erhöht sich erheblich im Zeiten fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung. Hier spielen u.a. auch politische Einmischungen aus dem Ausland eine immer größere Rolle, wie sich bereits bei den US-Präsidentenwahlen gezeigt hat.
Um diesem Gefahrenpotential und insbesondere populistischen Tendenzen vorzubeugen, wäre es notwendig, beim Einsatz von direkt demokratischen Verfahren, wie einem Volksentscheid, das Zustimmungserfordernis auf eine 3/4 Mehrheit zu erhöhen, wobei die Wahlbeteiligung bei mindestens 50 % liegen sollte. Insofern gäbe es ein doppeltes Mehrheitserfordernis. Insgesamt birgt jedoch die eine Absenkung des Quorums auf 5 % viele nicht kalkulierbare Risiken, dass diese aus meiner Sicht nicht sinnvoll ist.
Wir sollten, anstatt direktdemokratische Elemente zu fördern, besser unser parlamentarisches System sowie die demokratischen Parteien stärken und die Menschen in unserem Land dazu ermutigen, sich mehr in die notwendigen Diskussionen einzubringen. Mir ist durchaus bewusst, dass dies mit viel Arbeit verbunden ist, was aber zu Erhalt und zum Funktionieren unserer demokratischen Grundordnung und der damit einhergehenden Freiheiten und Errungenschaften, die wir heute als selbstverständlich betrachten, notwendig ist, denn Demokratie bedeutet Arbeit, und dies Tag für Tag.
Der Vollständigkeit halber möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die Anpassung des Zustimmungserfordernisses bei Volksentscheiden, die eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei mindestens 25 % Zustimmung der Wahlberechtigten vorsieht, zu einer leichten Verbesserung gegenüber der aktuellen Rechtslage führt, die nämlich nur eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen vorsieht, allerdings bei wesentlich niedriger Eingangshürde.
Deshalb überwiegen bei mir die Bedenken sowie die mit der Absenkung des Quorums verbundenen Risiken, so dass ich im Ergebnis dieser Änderung der hessischen Landesverfassung nicht zustimmen kann.“
Ernst Neubronner aus Bad Homburg:
„Ich bin seit vielen Jahrzehnten ehrenamtlich für die verschiedensten Vereine und auch öffentlichen Institutionen tätig. Dennoch oder gerade deswegen werde ich am 28. Oktober gegen die Aufnahme des ehrenamtlichen Einsatzes als Staatsziel in die Hessische Verfassung stimmen. Wofür, wie lange und in welchem Ausmaß ich mich ehrenamtlich engagiere ist meine rein private Angelegenheit, die ich von jedem öffentlichen Einfluss freihalten möchte. Im Übrigen besteht bei einer staatlichen Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes stets die Gefahr, dass damit Aufgaben von Freiwilligen übernommen werden sollen, die eigentlich zur Grundversorung des Staats gehören. Wenn Eltern durch Arbeitseinsätze die Schulräume ihrer Kinder renovieren, weil der Träger der Schule dafür kein Geld hat, so ist das ein Skandal und kein Grund für ein Lob durch die Politiker. Wenn bei Ganztagsschulen im Mensabetrieb bezahlte Kräfte durch Ehrenamtliche ersetzt werden, handelt sich der Schulträger ein eklatantes soziales Problem ein. Ich werde auch gegen die Aufnahme des Sports als Staatsziel stimmen: Die Fotos des deutschen Multifunktionärs Bach in enger Zuneigung zu Wladimir Putin zeigen mir, wie eng der deutsche Sport bereits mit der Politik verbandelt und dadurch erpressbar ist.“
Frank Obst aus Reichelsheim gehen die Vorschläge, die da zur Abstimmung gestellt werden, nicht weit genug. Er plädiert gleich für eine Abschaffung unseres Parteiensystems:
„Am 14. Oktober 2018 fanden in Bayern Landtagswahlen statt. Genau zwei Wochen später, also am 28. Oktober sollen die Bürgerinnen und Bürger Hessens ihre Kreuze an der richtigen Stelle setzen. Charakteristisch für diese preelectionale Zeit sind die vielen Wahlaufrufe, Wahlsendungen und -auftritte im Radio und Fernsehen. Das Land ist zuplakatiert, Politikbarometer zeigen uns erste Wahltrends, Wahl-O-Mate helfen uns, die „richtige“ Partei zu finden und der Flut der Interviews der sich zur Wahl stellenden Spitzenpolitiker kann man sich kaum noch erwehren.
Und dennoch findet man nur noch in Nuancen Unterschiede zwischen den aktuell im Landtag in Hessen vertretenen Parteien. Alle wollen mehr Sicherheit, alle mehr Investition in Bildung, alle kein Dieselfahrverbot in Großstädten, alle erneuerbare Energien, alle eine vernünftige Integrationsarbeit, alle neuen bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Bedient man sich zur eigenen Meinungsfindung oder zur Rückversicherung der Korrektheit der potenziell zu wählenden Partei den Wahl-O-Mat wird man mit großer Sicherheit feststellen, dass man a) hoffentlich den Aussagen der favorisierten Partei am nächsten ist und b) die Aussagen der Parteien nicht zu einem differenzierten Ergebnis führen, weil sie selbst nicht mehr differenzieren. Ein Wahl-O-Mat der Vorgeneration hätte vermutlich zu einer über 90%igen Zustimmung der eigenen Partei geführt. Heute bewegen sich die Ergebnisse überwiegend im Zustimmungsbereich von 65% bis 45% für alle im Landtag vertretenen Parteien.
Diese mangelnde Trennschärfe in den Profilen der Parteien impliziert gleichzeitig die Frage nach deren Nutzen. Die Komplexität der heutigen politischen Themen lässt eine einheitliche Auffassung der Parteimitglieder in der Mehrheit der Fragen nicht mehr zu. Dennoch wird am Parteiensystem festgehalten und der Abstimmungszwang hochgehalten. Das ist für mündige Bürger nicht mehr nachzuvollziehen.
Ein Blick auf die Eigenschaften des Parteiensystems eines Staates untermauert diesen Eindruck. Eine Politik der Mitte, eine Abnahme der inhaltlichen Polarisierung, zunehmende Schwankungen in der Wählergunst, mangelnde Regierungsstabilität sowie eine Zunahme der Koalitionsfähigkeit führen zunehmend zu Problemen in Fragen der Legitimität des Parteiensystems, welches von den Wählern überwiegend als diffus gesehen wird.
Fazit: Unser Parteiensystem hat sich überholt. Die erforderlichen Eigenschaften, die ein solches System aufrechterhalten, haben sich verschoben und führen dies somit ad absurdum. Dies erfordert ein Umdenken der politisch Verantwortlichen und einen Aufbruch in neue Formen der parlamentarischen Zusammenarbeit.“
Das Thema Volksbegehren hat sich auf kommunaler Ebene
bewährt. Ich denke es ist ein folgerichtiger Schritt die Bedingungen so zu verändern das dieses Thema auch auf Landesebene beginnt zu wirken. Außer den von der Regierung angesetzten Abstimmungen kann ich mich bisher an keine erinnern. Als positives Beispiel auf Landesebene möchte ich die Abstimmung in Bayern über das Rauchverbot in Gaststätten anführen. Außer dem kann ich mich nicht erinnern das in Bayern mal ein Ergebnis raus gekommen wäre das man als völlig unakzeptabel bezeichnen musste.
Die Idee der Volksabstimmung gründet in dem gefährlichen Wort „Demokratie“, das „Volksherrschaft“ bedeutet.
Jeder weiß, dass er nicht herrscht und viele schließen daraus, dass die Demokratie ein Schwindel ist.
Man sollte schon in der Schule lernen, dass «Demokratie» der traditionelle Name für eine Verfassung ist, die eine Diktatur verhindern soll.
Schon Perikles wusste: «Obwohl nur einige wenige eine Politik entwerfen können, so sind wir doch alle fähig, über sie ein Urteil zu fällen.» (Frei nach Karl Popper).
Die Möglichkeit bei der Wahl eine Regierung abzuwählen, deren Politik uns nicht gefällt, reicht aus.
In der Schweiz hat dieses falsche Demokratieverständnis zu der unsinnigen Ansicht geführt, dass viele meinen, dass es nicht sein dürfe, dass Richter gegen den Willen des Volkes entschieden. Man verwechselt Demokratie mit einer Diktatur der Mehrheit.
Ziemlich oft wird „der Souverän“ herbeizitiert, aber so recht trauen will man ihm dann doch nicht.
Es wäre schon angebracht, dem Volk mehr Abstimmung abzuverlangen, wobei es auch längst notwendig wäre, den Begriff „Volk“ durch „Bürger“ zu ersetzen.
Selbstverständlich wären nur verfassungsrechtlich einwandfreie Fragestellungen zur Wahl zu stellen, damit Bürgerabstimmungen sich von der „Vox populi“ vor dem Stimmbruch und nach der Hetze unterscheiden.
Auch wäre die Qualität der „Meinungsbildung“ von einem „Wahlkampf“ abzuheben.
Auch wenn grundsätzlich die Forderung nach mehr inhaltlicher Bürgerbeteiligung berechtigt ist, stimme ich den Bedenken von Jörg Löllmann zu.
Sicher hat auch Herr Flessner Recht, dass eine funktionierende Demokratie auch ein korrektes Verständnis voraussetzt. Und das bedeutet auch eine klare Abgrenzung von totalitären Tendenzen.
Rechte und vor allem rechtsextreme Populisten liebäugeln deshalb so sehr mit unbeschränkter „direkter Demokratie“, weil diese die Durchsetzung eigener totalitärer Vorstellungen von „Volk“ (im Sinne von „völkisch“) erheblich erleichtert.
Totalitär ist die in diesen Kreisen übliche Gleichsetzung der eigenen Position mit „dem Volk“ und „der Wahrheit“ schlechthin. Totalitär ist ebenso die unverblümt bekundete Abschaffung der Gewaltenteilung, insbesondere einer unabhängigen Justiz und Ersetzung durch eine Art Gerichtsbarkeit des „Volkes“, selbst ernannter Inkarnation des „gesunden Menschenverstands“.
Berücksichtigt man dabei, dass eine inflationäre Ausweitung von „Volksabstimmungen“ notwendigerweise zu Verdrossenheit führt, der Demagogie keinerlei Grenzen gesetzt sind, Tendenzen in beängstigender Weise zunehmen, in einer immer undurchschaubarer werdenden Welt sich unter die Fittiche eines „starken Mannes“ zu begeben, dann sind die Weichen für eine Diktatur einer Minderheit bzw. eines Einzelnen gestellt.
Konkret ist an dem Vorschlag zur Verfassungsänderung zunächst das Quorum zu bemängeln: Das extrem niedrige Quorum von 5 % für die Einleitung erleichtert es engagierten kleinen Minderheiten, dieses Mittel zur Durchsetzung populistischer Forderungen zu missbrauchen. Zudem ist die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten immer noch die einer Minderheit.
Darüber hinaus ist offenbar keinerlei inhaltliche Einschränkung vorgesehen, etwa was Themen betrifft, die Möglichkeit der Reduktion auf Ja-Nein-Entscheidungen ohne Kompromisscharakter oder einen zeitlichen Vorlauf.
Es sei auch daran erinnert, dass nach der „Ewigkeitsgarantie“ in Art. 79, Abs.3 GG eine Änderung der Art. 1-20 GG unzulässig ist. Entsprechend der in Art. 1 GG garantierten „Unantastbarkeit der Menschenwürde“ wäre z.B. eine Volksabstimmung über die Todesstrafe explizit auszuschließen.
Es sind demzufolge erhebliche Zweifel angebracht, ob dieser Entwurf überhaupt verfassungsgemäß ist.
Habe zu diesem Thema hier schon 2016 Stellung bezogen. Bleibe bei meiner Meinung: Im Prinzip sind Referenden sinnvoll. Doch wie immer bei Prinzipienfragen lohnt ein Blick auf die Details. Was, wenn – wie beim Brexit-Referendum – ein nationales Votum 27 andere Nationen betrifft, die zwar die Folgen tragen müssen, aber keine Stimme haben? Wer übernimmt dafür die Verantwortung? Was, wenn, wie geschehen, die eigentliche Frage überlagert wird von persönlichen Machtambitionen einzelner (Brexit)-Protagonisten? Dann geht es nicht mehr um das große Ganze, sondern um aufgeblasene Egos auf der Suche nach persönlichen Vorteilen. Mir kommen erste Zweifel.
Wer wirklich mitbestimmen will, muss sich kümmern, sich informieren. Und bei komplexen Fragestellungen reicht ein schneller Blick in die Zeitung dann nicht mehr. Dann braucht man Zeit, um die Pros und Cons einer vorgelegten Entscheidung abzuwägen. Das macht Mühe. Ist aber zwingende Voraussetzung, denn für ein kleinliches Denkzettelvotum ist dieses demokratische Instrument zu wertvoll. Doch wer will das wirklich verhindern. Die Zweifel werden stärker.
Ich könnte mir Referenden dort vorstellen, wo die Folgen überschaubar sind, wo man sich auskennt, im Lokalen oder Regionalen, dort, wo man auch das Ende mit bedenken kann. Oder warum eigentlich nicht bei der Wahl des Bundespräsidenten. Fifty-Fifty: Bürger (per Los und nicht von den Parteien bestimmt) und die Abgeordneten! Oder – auch denkbar – bei der Wahl der Kandidaten, die die Parteien zur Wahl anbieten. Heute sind es nur wenige Delegierte, die hier eine Stimme haben. Wie wäre es mit „Primaries“ – Vorwahlen, an denen alle Wahlberechtigten teilnehmen und die Kandidaten wählen können. Da hätten dann möglicherweise auch Parteilose eine Chance. Das Votum der Bürger würde sicher die demokratische Entscheidungsfindung belebend ergänzen. Und – im besten Falle – die politischen Entscheider dem Bürger wieder näher bringen.
@Werner Engelmann
„Es sei auch daran erinnert, dass nach der „Ewigkeitsgarantie“ in Art. 79, Abs.3 GG eine Änderung der Art. 1-20 GG unzulässig ist.“
Die Ewigkeitsgarantie bezieht sich auf die Artikel 1 und(!) 20, nicht auf 2 bis 19.
Es ist für mich in dem Verfassungsentwurf nicht klar, ob man dann mit 25% der Wahlberechtigten künftig ein Gesetz zur Änderung der Verfassung beschließen kann. Damit wären Verfassungsänderungen sehr vereinfacht. Im Bundestag braucht man für Verfassungsänderungen eine 2/3 Mehrheit.
In der Schweiz, die gern als Vorbild genommen wird, kann man per Volksbegehren (Initiative genannt) keine Gesetze vorschlagen, sondern nur Änderungen der Verfassung. Die Verfassungsänderung muss dann wiederum durch Gesetze umgesetzt werden. Mit diesen Gesetzen ist die rechtspopulistische SVP dann nicht zufrieden und startet die nächste Initiative. Wird die Initiative abgelehnt, wird für die nächste Initiative geworben. Auf diese Art treibt die SVP die anderen Parteien vor sich her und bestimmt durch ihre Initiativen die Debatten.
Es wird spannend zu sehen, was in Hessen passiert. Vielleicht diskutieren wir hier dann auch ein Volksbegehren zum Minarett-Verbot oder zum Schutz der Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere.
Es gibt den schönen Spruch „Dusche mich mach mich aber nicht nass“ Eine Demokratie hat halt das Problem das der Wähler abstimmen soll. Ist es wirklich die Frage : Wie muss eine Demokratie aufgebaut sein das der Wähler möglichst nichts zu bewirken hat? Ist es dann wirklich so erstaunlich das immer mehr Wähler unzufrieden sind und nur noch Protest wählen? Ein großer Politiker machte mal Wahlkampf mit dem Satz: Mehr Demokratie wagen. Bei mehr direkter Demokratie auf Landesebene ist das Risiko begrenzt. Deshalb sollte man diesen Weg gehen und daraus lernen.
Der Leserbrief von Frank Obst aus Reichelsheim ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Er kommt in Gestalt einer sachlichen Analyse daher, zeichnet jedoch lediglich ein bizarres Zerrbild der Realität. Die Behauptung, das Land Hessen sei „zuplakatiert“, geht an der Wirklichkeit vorbei. Das gilt auch für die angebliche „Flut von Interviews der Spitzenpolitiker“, der man sich kaum noch erwehren könne.
Soll dem Leser an diesen Beispielen suggeriert werden, das Parteiensystem sei außer Kontrolle geraten und befinde sich im freien Fall in Richtung Chaos? Das realitätsferne Konstrukt eines krisengeschüttelten, am Boden liegenden, desaströsen Parteiensystems überzeugt in keiner Weise. Diese Farce ist allein durch die Bayern-Wahl eindeutig widerlegt.
Festzuhalten bleibt in einem kurzen Rückblick auf die Landtagswahl am 14. Oktober: Die Wahlbeteiligung war mit 72,4 Prozent deutlich höher als bei der letzten Wahl vor fünf Jahren (63,9 %) und erreichte den höchsten Wert seit 1982. Die Wähler zeigten nicht nur ein größeres Interesse an der Zusammensetzung des Parlaments. Sie reagierten auch sensibel auf Defizite von Parteien in den Bereichen Entscheidungsfähigkeit, Authentizität und Glaubwürdigkeit; sie zeigten auch Neulingen im Parteienspektrum ihre Grenzen auf und demonstrierten, dass Bäumchen nicht in den Himmel wachsen. Die etablierten Parteien mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Versuche, sich auf Lorbeeren auszuruhen, erhebliche Risiken bergen.
Es bedarf keines Übermaßes an Phantasie für die Prognose, dass auch die Wahlen in Hessen zeigen werden: Das Parteiensystem in Deutschland ist keinesfalls „überholt“.
@ Henning Flessner, 23. Oktober 2018 um 17:42
„Die Ewigkeitsgarantie bezieht sich auf die Artikel 1 und(!) 20, nicht auf 2 bis 19.“
Ihr Einwand ist richtig und ich bitte das Versehen zu entschuldigen.
Allerdings kommt es ziemlich auf das Gleiche hinaus. Denn in das Grundgesetz sind die Menschenrechte (entsprechend dem Völkerrecht) integriert, und das geschieht in Art. 2-19, in denen die Grundrechte explizit aufgeführt werden.
Dazu heißt es im Kommentar zu Art.1, Abs. 3:
„Eingriffe in die Grundrechte, die Grundrechte nicht selbst vorsehen und die sich nicht aus anderen Verfassungswerten ergeben, sind daher unzulässig.“
Von Bedeutung dürfte angesichts der von „Populisten“ propagierten Forderung nach „direkter Demokratie“ sein, inwiefern die damit beabsichtigte Abschaffung der Gewaltenteilung, insbesondere der unabhängigen Justiz, (so wie in Polen) ausdrücklich ausgeschlossen ist.
Nach meiner Interpretation ist Art.1, Abs.3 GG eben so zu verstehen:
„Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“
@Gerhard Schuler, 24. Oktober 2018 um 12:38
Ich habe den von Ihnen zitierten Leserbrief von Frank Obst überhaupt nicht ernst genommen.
Abgesehen davon, dass die höchst subjektiven und extrem verallgemeinerten Eindrücke von Herrn Obst die Forderung nach Abschaffung des Parteiensystems in keiner Weise begründen. Es ist auch nicht einmal in Ansätzen eine mögliche Alternative angedacht.
Dass dies eine völlig chaotische Denkweise erkennen lässt, ist wohl noch das Positivste, was sich dazu sagen lässt.
Schlimmer ist wohl, dass solche Versuche, so ziemlich alles in einem Abwasch abzuservieren, ein gefundenes Fressen für demagogische „Populisten“ und die großen Vereinfacher darstellen.
Deswegen sollte man so etwas wohl gar nicht erst durch Kommentierung aufwerten.
Zum Glück, zumindest nach meiner Meinung, werden sich die Bedenkenträger hier in der Abstimmung heute wohl nicht durchsetzen. Das bedeutet das wir in Hessen in kürze mehr direkte Demokratie haben werden. Wir werden ganz praktisch sehen was daraus folgen wird.
Brexit.
Mir ist immer noch völlig unverständlich, wie kluge Köpfe eine derart weitreichende Abstimmung wie den Brexit- „so aus dem Handgelenk heraus“- überhaupt zulassen konnten. Ohne jegliche einschränkenden Hürden !!