Diktatur oder Unrechtsstaat – im Vorfeld der Koalitionsbildung in Thüringen wurde das Verhältnis der jeweiligen Koalitionspartner zur DDR zum Knackpunkt. Während die Linke des Landes, die gern den ersten Ministerpräsidenten aus den Reihen der Linken stellen würde, ein sozusagen pragmatisches Verhältnis zu dieser Begrifflichkeit enwickelt hat und die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die DDR mitträgt, kam aus Berlin zunächst Widerspruch. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, hatte auf einer Pressekonferenz gesagt: „Es stimmt eben nicht, dass, wenn man kein Rechtsstaat ist, dass man dann automatisch ein Unrechtsstaat ist.“ Hmmm. Es wäre sicher spannend zu erleben, mit welchen rhetorischen Ziselierungen der begnadete Redner und Jurist Gysi diese These zu untermauern versuchen würde. Dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als nur Licht und Schatten, Gut und Böse, Äpfel und Birnen? Dass das Gegenteil vom Gegenteil nicht unbedingt das Gegenteil ist? Wie soll man denn etwas bezeichnen, was kein Rechtsstaat ist? Bananenrepublik? Gysi zielte mit seiner Bemerkung offensichtlich auf das Gemüt der Linken-Basis und deren Befindlichkeit, dass nicht alles damals schlecht war. Etwas Ähnliches hörte ich auch in den 80er und sogar noch in den 90er Jahren in dem Dorf in Schleswig-Holstein, in dem ich aufgewachsen bin: Es war nicht alles schlecht damals, unter Adolf. Der habe immerhin für Arbeit gesorgt und Autobahnen gebaut. Diesem dummen Geschwätz sei hinzugefügt: in einem Unrechtsstaat. Das Bewusstsein dafür war unter den Dorfeinwohnern nicht besonders ausgeprägt.
Selbstverständlich war die DDR ein Unrechtsstaat. Was denn sonst? Es ist gut, dass die Linke immer und immer wieder dazu gezwungen wird, in diesem Punkt Klartext zu reden. Vielleicht kommt diese Botschaft dann auch irgendwann einmal bei ihrer Basis an. Nebeneffekt: So wird der Weg frei zur Machtübernahme in Thüringen. Es sieht wohl ganz gut aus für eine erste rot-rot-grüne Koalition auf Landesebene – und für Bodo Ramelow als Ministerpräsident. Die Republik würde dadurch noch bunter. Und Gregor Gysi bekam natürlich eingeschenkt. Woraufhin, so gehört sich das in einer Debatte, auch FR-Leitartikler Christian Bommarius Widerspruch erfuhr.
Dieter Becker aus Frankfurt meint:
„Ja, die DDR war ein Unrechtsstaat. Aber was haben wir davon, wenn wir nun Vertreter der Linken zwingen wollen, das auch zu bekennen? Mephisto sagt: Wenn ich zu meinem Ziel gelange,/ erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust?/Staub soll er fressen, und mit Lust! Meine Generation (70 plus) hatte gerade eine Diktatur hinter sich, aber der größere Teil der deutschen Bevölkerung (zu dem auch ich zähle) blieb ohn‘ all‘ Verdienst und Würdigkeit von der lückenlos sich anschließenden sowietischen Diktatur verschont. Abfällig über die DDR (Adenauer nannte sie bis zu seinem Tode „Soffietzone“) zu reden, kommt einer Verhöhnung all derer gleich, die Opfer des Aufstandes am 17. Juni 1953 (inzwischen in der BRD vergessen) wurden. Die Panzer der sowietischen Besatzung walzten sie nieder. Ihnen folgten die Freiheitsbewegungen in Ungarn (1956) und der Tschechei (1967). Diese Menschen hatten keine Chance. Wäre nicht Gorbatschow gewesen, auch die Freiheitsbewegung 1989 wäre vermutlich im Keim erstickt worden.
Und wie sah es bei uns aus? Ein Ministerpräsident (CDU) sagte über seine Unrechtsurteile in den letzten Kriegstagen: Was damals rechtens war, kann heute kein Unrecht sein. Der Bundesgerichtshof exkulpierte seine Kollegen, die in der Nazizeit Unrechtsurteile gefällt hatten, mit der Begründung, sie hätten nach damaligem Recht gehandelt. Der Unrechtsstaat der DDR war ein Waisenknabe gegen den Terrorstaat Hitlers und seiner Getreuen. Nach dem Krieg waren sie wieder verwendbar. Herr Globke war Staatssekretär bei Adenauer. Wir hatten einen Bundeskanzler Kiesinger, der Parteimitglied war. Nicht zu reden von den zahlreichen Altnazis, die in den Ämtern saßen. Sie sehen , so sauber ist unsere westliche Weste auch nicht. Erst als die Achtundsechziger auf den Putz hauten, bequemte man sich, einmal über die Vergangeheit wenigstens zu reden. Von Nachdenken, will ich gar nicht sprechen. Bleiben wir dankbar und bescheiden, dass uns ein gnädiges Schicksal vor Zuständen wie in der DDR bewahrt hat.“
Wolfgang Heinemann aus Bochum:
„Herr Bommarius kritisiert Gisy, weil er den Begriff „Unrechtsstaat“ ablehnt und erinnert daran, dass die Linke Erbe der SED sei und dieses Erbe nicht ausgeschlagen habe. Das ist reichlich einseitig.
Ich habe keine Probleme, die DDR zu beschreiben als eine spätstalinistische Diktatur, also als Diktatur eines kleinen Zirkels von Parteifunktionären, mit totalitärem Anspruch, einem allmächtigen Geheimdienst und einer ideologischen Fassade voller Begriffe wie Sozialismus, Frieden, Völkerfreundschaft und der Illusion, man habe mit den Eliten der Nazizeit endgültig gebrochen. Natürlich war sie kein Rechtsstaat.
Es gab allerdings viele Arten, sich in diesem System einzurichten, dessen schnellen Zusammenbruch die wenigsten erwartet hatten. Da waren Denunzianten und verbiesterte Ideologen ebenso wie marxistische Wissenschaftler und Künstler, die an der Bürokratie verzweifelten, auch idealistische Jugendliche, die an die Fassade glaubten – so hat z.B. Wolf Biermann angefangen. DDR-Biografien sind eben individuell sehr verschieden. Wir sollten uns hüten, alle zu verurteilen die sich arrangierten und nicht kompromisslos in Opposition standen. Zur Erinnerung: CDU-Granden wie Frau Merkel, Herr Tillich, Frau Lieberknecht gehören ebenso dazu wie Herr Gauck.
Der Begriff „Unrechtsstaat“ ist kein Euphemismus für die SED-Diktatur. Er ist eine Bekenntnisformel, die nur gut und böse kennt, Recht gegen Unrecht. Man zeigt mit diesem Wort vor, dass man auf der richtigen Seite steht. Unrecht als Grundprinzip: Jeder Mensch, der in einem Unrechtsstaat nicht im aktiven Widerstand ist, steht definitionsgemäß auf der Seite des Unrechts. Damit werden aber die Unterschiede zwischen den DDR-Biografien per Pauschalurteil negiert. Solche Wortbekenntnisse sind auch nichts Neues. Ich erinnere mich zum Beispiel an die absurde Diskussion, ob man „Bader-Meinhoff-Gruppe“ sagen durfte, oder ob nicht „Bader-Meinhoff-Bande“ obligatorisch sei, wenn man nicht als „Sympathisant“ gelten wollte.
Wohl wahr, die Linke hat den SED-Nachlass nicht ausgeschlagen. Zu ergänzen ist, dass sie damit nicht allein steht. Die CDU hat sich seinerzeit mit der CDU-Ost und der DBD zusammengeschlossen, die FDP mit LDPD und NDPD. Und die waren Blockparteien und trugen in der Nationalen Front der DDR brav die SED-Linie mit. Allein die wegen ihrer Gespräche mit SED-Vertretern viel gescholtene SPD bestand zu ihrem Nachteil auf einem Neuanfang – und erwischte mit Herrn Böhme prompt einen IM als Vorsitzenden.
Man muss die Linke nicht mögen. Aber Bekenntnisformeln und konservative Geschichtsvergessenheit sind nicht der Weg, sich mit dem Erbe der DDR auseinanderzusetzen.“
Rainer Lost aus Berlin:
„Der schäbige und berechtigte Untergang des „Realsozialismus“ muss noch lange ein Aufarbeitungsthema für alle Linken und andere gesellschaftlich denkende Menschen bleiben. Dazu gehört selbstverständlich auch der Umgang mit Recht und Gesetz in der DDR. Es geht dabei nicht nur um Geschichte, sondern vor allem um die Zukunft für eine gerechte Gesellschaft. Doch was, verflixt noch mal, hat dieses Thema in einem Koalitionsvertrag für Wahlen in einem Bundesland zu suchen? Es steht doch nicht die DDR zur Wahl. Alles Unsinn! Wenn schon landesferne Themen einbezogen werden, dann sollten die drei Parteien mal etwas sagen über Rüstungsproduktion, Waffenexport und Einsatz von deutschen Soldaten in Krisengebieten. Da hätten sie genug zu diskutieren. Es wäre auch aktuell wichtig. Vor allem aber sollten sie sich um Thüringen kümmern! Die DDR gibt es seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr.“
Friedrich Gehring aus Backnang:
„Dank an Christian Bommarius, dass er die DDR-Diktatur bei Namen genannt hat. Leider will er aber mit der Linken „über den Rechtsstaat … nicht reden“. Ein Gespräch darüber mit den Linken würde aber helfen, nicht nur die einstige DDR-Diktatur aufzuarbeiten, sondern auch die gegenwärtige neoliberale Diktatur der Konzerne. Dieser Tage jährte sich zum vierten Mal der „Schwarze Donnerstag“ im Stuttgarter Schlossgarten, bei dem Wasserwerfer auch gegen Schulkinder eingesetzt wurden, Szenen, wie sie in Diktaturen üblich sind. Für wen wurden hier friedliche Demonstranten schwer verletzt? Für einen Bahnkonzern, der Aufträge vergibt an einen Tunnelbohrkonzern und Platz machen will für Baukonzerne. Die einzige Partei, die einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zu Stuttgart 21 fordert, ist die Linke.
Die friedlichen Christen, die sich im Stuttgarter Schlossgarten zum Parkgebet gegen das brandgefährliche Milliardengrab Stuttgart 21 treffen, werden vom Verfassungsschutz des Landes Baden-Württemberg beobachtet, weil sie der Gefährdungsstufe 5 zugeordnet werden. Das erinnert daran, dass auch die Besucher der Leipziger Friedensgebete von der Stasi bespitzelt wurden. Für welche Diktatoren muss der Verfassungsschutz die gefährlichen Parkgebete bespitzeln? Für die Manager eines Bahnkonzerns, der einem Tunnelbohrkonzern Aufträge verschafft und Platz machen will für Baukonzerne. Die Linke ist die einzige Bundestagspartei, die eine Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert, der in ungebrochener Tradition der NS-Diktatur ein trojanisches Pferd im Nachkriegsdeutschland darstellt, was in den NSU-Untersuchungsausschüssen nochmals deutlich zu Tage kam.
Wir brauchen offensichtlich nicht nur eine „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, sondern auch eine solche zur Überwindung der Überbleibsel aus der NS-Diktatur und der neuen Konzerndiktatur, die uns in den Feudalismus zurückwirft, weil unsere Politiker von Schröder über von Klaeden und Pofalla bis Bahr in vorlaufendem Gehorsam nach Pöstchen bei den neuen Feudalherren gieren und deshalb auch geheim verhandelte Abkommen wie TTIP oder Ceta befürworten, die uns den neuen Feudalherren tributpflichtig machen sollen. Über diese Bedrohungen unseres Rechtsstaats ist mit den Linken gut zu reden.“
zum Beitrag von Friedrich Gehring
Der Verfassungsschutz ist ebenso wenig ein Überbleibsel der NS-Diktatur wie CIA, MI6 oder Mossad. Nicht die Existenz des Dienstes an sich ist ein Problem, sondern nur Auftrag, Durchführung und Kontrolle desselben. Und die haben sich mit Gründung der BR Deutschland radikal gewandelt. Die Existenz eines Dienstes zum Schutz des Inneren läßt sich mit vielen guten Argumenten begründen. Kritik hat sich zu richten an an die Trias von Auftrag, Durchführung und demokratischer Kontrolle. Wenn die Linke jedoch seine Abschaffung fordert, dann aus dem noch nicht überwundenen Komplex heraus, im Verfassungsschutz seinen „natürlichen“ Feind zu sehen. Das ideologische Erbe der SED-Diktatur steckt nach wie vor in vielen Köpfen der Mitgliederschaft und harrt in unterschiedlichster Weise der endgültigen Überwindung. Das Unbehagen der Linken über den Verfassungsschutz ist daher psychologisch nachvollziehbar, zumal der Kampf um eine Anerkennung der demokratischen Zuverlässigkeit einzelner Parteimitglieder Kräfte gebunden und verschlissen hat. Gleichwohl muß die Linke die Existenz des Dienstes aber hinzunehmen.
Gysi´s Widerspruch zur DDR als Unrechtsstaat schreibe ich seinem überbordenden Hang zu, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Zumal Gysi so gut wie nichts ausläßt, was sich populistisch ausschlachten läßt. So bleibt er wenigstens als Humorist im Gespräch, auch wenn er in der Sache nichts zu sagen hat.
Wer von den hier Schreibenden hat denn in der DDR gelebt? Über Herrn Gysi müssen wir keine Worte mehr verlieren, das ist einfach indiskutabel.
Gerade habe ich die Feier im Gewandhaus zu Leipzig gesehen. Wieder sind viele salbungsvolle Worte über Freiheit, Brüderlichkeit (das ich nicht lache…), Demokratie gesprochen worden. Eine Frau oder einen Mann aus dem Volk habe ich nicht am Mikrofon gesehen/gehört. Die Damen und Herren feiern sich selbst, allen voran Herr Gauck.
Ich bin 1956 in Leipzig geboren und habe auch den 9.Oktober 1989 in Leipzig erlebt.
Diese sogenannte „friedliche Revolution“ ist vom ersten Tag an missbraucht und verraten worden. Und Revolution wäre sie nur zu nennen, wenn etwas Neues daraus entstanden wäre. Etwas, was man mit gesunden gesellschaftlichen Verhältnissen bezeichnen könnte. Kann man aber nicht.
Und so ist es nicht entscheidend, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, die ist längst vergangen, verraucht. Entscheidend ist doch, was daraus geworden ist? Und da erleben wir derzeit bzw. demnächst in Deutschland Zustände, die verdammt der DDR im Endstadium ähneln: Phrasen, Lügen, Niedergang der Wirtschaft usw. Die SED-Diktatur wurde von der Diktatur des Profites abgelöst. Und das nennen wir dann Rechtsstaat?
Na schönen Dank auch.
Ich habe nicht in, aber mit der DDR gelebt. Habe von der bewaldeten Höhe Wernigeröder Bank in Bad Harzburg nach Wernigerode geschaut, um das Haus meiner Großeltern zu erspähen. Ich habe mit der DDR gelebt, und das gibt mir das Recht, eine Meinung zur DDR zu haben und zu äußern.
Fü die DDR-Büger hat die Wende extreme Veränderungen gebracht. Alles war neu. Es IST also Neues entstanden, sodaß mich die Diagnose meines Vorredners doch sehr verwundert. Es gab einige, die Träume hatten, die sich eine Welt konstruieren wollten aus bloßem Wunschdenken heraus. Sie sind an der Realität des DDR-Menschen gescheitert, der ein anderer war, als die Träumer es sich erhofften. Der ohnehin nie anders gestrickt war als der BRD-Mensch. Illusionen sind dazu verurteilt, in der Luft zu zerstieben wie ein Nebelhauch.
Die Klage über den Zustand der Republik teile ich. Alles, was auch nur irgendwie im Zusammenhang mit Infrastruktur steht, verkommt. Die Instandhaltung hält dem Verfall nicht stand. Nun ist sogar die Verteidigungsinfrastruktur in einem Ausmaß betroffen, daß man am Verstande von Ministerium und kontrollierendem Parlament zweifelt. Gleichzeitig hält der vereinigte BRD/DDR-Mensch die Hand auf, wenn es seinem persönlichen Vorteil dient. Auch Mütterrente und Rente ab 45 Beitragsjahren sind ein augenfälliger Ausdruck dieses aus 62 plus 18 Millionen Menschen vereinigten Bürgerbestrebens, den persönlichen Vorteil vor dem Vorteil zu stellen, den er oder sie mit den anderen Mitbürgern dann eben teilen müßte. Denn Infrastruktur kommt ja ausnahmslos allen zugute, auch den Rentnern ab 45 Beitragsjahren und auch den Müttern, die nun mit 28 EURO plus X pro Kind bedacht werden. Priorität hatte allemal die Infrastruktur, und das mit weitem Abstand vor allem sonstigen.
Den Rechtsstaat haben wir. Was wir nicht oder zuwenig haben ist ein GEMEINWESEN. Und wenn wir eine Diktatur haben, dann ist es die Diktatur des Egoismus, der in unser aller Köpfe sitzt. Den Diktator in unserem Kopf bekommen wir nicht weg, nur ein klein wenig reformiert vielleicht. Denn auch GEMEINSINN führt zu Vorteilen, die den Habgierigen in uns befriedigen können. Es mangelt daran, den Egoismus des Bundesbürgers umzupolen, auf neue Ziele hin zu konditionieren, egoistische Befriedigung in besser ausgebildeten Schülern, befahrbaren Straßen, belastbaren Brücken und fähigen Universitäten zu suchen. Um nur diese wenige Beispiele zu nennen.
Fehldiagnosen über die Republik, seien sie so larmoyant wie abwegig, machen die Probleme nur größer.
Zustimmung, # 2, Stefan. Aus einer „Diktatur des Proletariats“ (wohl eher eine Diktatur von Proleten im Gewande von Funktionären – für seinen Einsatz bekam man ja auch schöne Privilegien) ist eine Diktatur der Konzerne, deren Großaktionäre und Nutznießer geworden, die sich „marktkonforme Demokratie“ nennt, aber in Wirklichkeit eine Plutokratie ist.
Da haben Merkel & Co. und die anderen in der Täterä Großgewordenen eben eine gute Schulung erhalten. Geb‘ dem Kind einen anderen Namen, und schon läuft es – wie geschmiert – und die gemachten Nester gibt es im Dutzend billiger. Motto: man muß das Kind nicht baden, es reicht, ihm das Bad zu zeigen, und schon ist es sauber.
Der Umgang mit CETA und TTIP zeigt bis tief in eine „sozial-demokratische“ (?) Partei hinein, daß viele hoffen, beim richtigen Anbiedern mit dem Kapital auch ein paar Brotsamen zu erhaschen. Und egal, ob der Widerstand gegen TTIP oder Stuttgart 21; die Heucheleien rund um alle IS-Unterstützer und solvente Waffenaufkäufer (funktionieren diese Waffen auch nicht, oder gibt es hier erste und zweite Wahl?), die Türkei nicht zu vergessen, zeigt doch, wie die sogenannte „Herrschaft des Volkes“ zunächst manipuliert, dann mit Füßen getreten und dann zum Friedens-Nobelpreis-würdigen Event hochgejazzt wird.
Die DDR hatte Honecker, wir haben Merkel, beides wackere Demokraten. Und wenn es demnächst auch bei uns bergab geht, werden bestimmt wieder irgendwelche Juden, Homos oder Zigeuner gefunden, die an allem Schuld sind. Darum kümmert sich dann der künftige Koalitionspartner der CDU, die AfD. In der DDR waren ja vorwiegend Amateure am Werk, inzwischen wird unser Staat (auch dank Möglichkeiten im Mitlauschen und Manipulieren, von denen die Stasi nur träumen konnte), von Profis gewartet und ausgewertet.
Ja, wir haben noch einige einigermaßen unabhängige Medien und dazu Hofnarren bzw. Kabarettisten wie Barwasser und Pispers, die wettern und schimpfen und aufklären und Zusammenhänge aufzeigen dürfen. Aber auch all diese Reste von Demokratie werden nichts ändern können, weil sie sonst verboten oder zumindest gestört werden würden. Traue eben keiner „Demokratie“, die Du nicht selbst manipuliert hast.
Mir ist aufgefallen, dass niemand mehr von „Sozialer Marktwirtschaft“ redet, oder habe ich mich nur nicht richtig informiert? Jenen Begriff habe ich in den Titel meines Manuskriptes/Buches intergriert, dass da heißt „Soziale Marktwirtschaft ist auch nur eine Übergangsphase“. Mir ist es zu wenig, auf die Verhältnisse zu schimpfen (auch das eine parallele zur DDR), wir sollten langsam aktiv werden. Nichts ist „alternativlos“ (Merkel)! Das wird versucht, uns einzureden. Und psychologisch gesehen, wird etwas, wogegen man wettert, kämpft, immer stärker.
Wir haben nur die Wahl selbst etwas Neues zu beginnen.
In der DDR habe ich das auch versucht. Zusammen mit einem Arzt war es unser Wunsch, einen Bio-Modell-Hof aufzubauen. Der Arzt drang bis zur Regierung vor, aber er bekam kein „Ja“. Also kaufte der Arzt im Frühjahr 89 privat einen Hof und ich begann während der „Revolution“ im Herbst Grasnarbe abzustechen, umzugraben usw.
Bauer wurde ich nicht, dafür am 29.9.90 Chef eines Bioladens, den wir mittels Hausbesetzung gründeten. Und da alle Medien dabei waren, konnte auch die Polizei nichts machen. (Den Laden gab es bis 1998).
1978, ich kam von der Armee, wurde Wehrkunde an DDR-Schulen eingeführt.Ich bastelte sofort eine Wandzeitung dagegen, nur hing die nicht lange.
Während des Studiums wurde ich mal während einer Stunde zum Direktor gerufen. Der war nicht da, dafür 2 Stasi-Leute – weil wir Wolf Biermann gehört hatten.
Da ich gerne lese, war ich immer auf der Buchmesse. Aber ich konnte gar nicht soviele Bücher klauen, wie ich gern geklaut hätte. Also bin ich in die Deutsche Bücherei und hab mir die Adressen von Autoren aus den „Who`s who“ aufgeschrieben, hab ihnen geschrieben und sie um ihre Bücher gebeten. Die Postfrau hat manches Mal ganz schön gestöhnt, ich hatte mehr West- als Ost-Bücher – die alle kontrolliert, aber durchgelassen wurden.
Kinder kamen (ich hab 6) und Ernährung wurde wichtig. Wo gab es in der DDR Bio-Lebensmittel? Es gab einige wenige Demeter-Betriebe und da holten wir, was wir brauchten: Getreide, Gemüse…
Ab 1987 luden wir privat Referenten aus der BRD ein, die hielten dann Vorträge in unseren Wohnungen.
Am Kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg war ich Mitautor einer Broschüre zum biologischen Garten. Bei der Stasi hieß ich „Keim“, ich fand, das passte zu mir.
Wenn ich heute auch nicht feiere, so erinnere ich mich plötzlich an so Vieles, wieder einmal.
Ich will damit nur sagen, auch in der DDR ging Einiges. „Es“ geht immer Einiges, es gibt immer Alternativen! Man mußte nur wollen. In vielen Erinnerungen in den Medien hört man leider nichts davon. Aber das wäre ja auch zu positiv, und dafür sind Medien meistens nicht da.
Also Leute, nicht nur schimpfen, sondern auch mal in gesunde Richtung denken und tun.
Ich wohne seit 2011 in Hessen – und am liebsten würde ich wieder rüber in die „Zone“. 47 Jahre Leipzig haben mich geprägt und vielleicht auch stark gemacht, verbiegen lasse ich von niemandem mehr.
Ihr wißt selber, dass diese Demokratie keine ist. Und ihr wißt auch, dass noch große Probleme auf uns zukommen werden.
Warum stehen wir dann nicht gemeinsam auf?
Deutschland braucht eine neue Revolution!
In diesem Sinne, entschuldigt bitte meine Abschweifungen.
zu # Stefan
„Der Worte sind genug gewechselt..“
Neue Revolution? Wo bitte bleibt das Programm? Nur Worte absondern, ist zu wenig.
Wogegen sollen wir gemeinsam aufstehen? Da fehlt einiges. So einfach geht das nicht, das sollten Sie auch wissen und das Wissen hierüber uns nicht vorenthalten. Lassen Sie uns eine Teilhabe zukommen.
Zwei Herzeleid-Beiträge von @stefan, eine „der Kapitalismus ist so zählebig wie das Megnetfeld der Erde“-Artikel von @W. Fladung und eine rhetorisch gemeinte Aufforderung von @runeB an @stefan, doch bitte das Programm für die so dringend benötigte Revolution vorzulegen. Ich gebe @stefan Recht, wenn er sagt, daß wir auf Zustände hinzulaufen, die man früher als DDR-typisch bezeichnet hat. Zum Beispiel das Verdrängen der Realität, und davon spreche ich, wenn ich die Dickfelligkeit bis Ignoranz der Bürger angesichts des infrastrukturellen Verfalls des Landes beklage, mit dem wir uns nichts weniger als die Zukunft als Industriestandort abgraben. Mir reicht es völlig, eine „Revolution“ in Sachen Infrastruktur auszurufen. Sie wäre ein Programm, sie ist machbar, und sie kommt ohne Diktatur aus. Alles andere sind unausgegorene Träumereien.
Was @stefan sicher noch belegen wird.
zu # 7 V. Grebe
Eine zeitlich exakt befristete, streng zweckgebundene Zusatzsteuer, deren Notwendigkeit zur Verbesserung der Infrastruktur die Politik den Bürgern jedoch sorgfältig erklären und nahebringen müsste, könnte Ihre „Revolution“ realisieren.
Mal abwarten, was # Stefan noch zu sagen hat bzw. belegen wird.
Gysi nimmt da Rücksicht auf wohl eher ältere Ostalgiker , die aber nicht im Westen , sondern im Osten sitzen.
Ein Fehler , der spätestens dann zum Bumerang werden wird , wenn es darum geht , neue Wähler an die Partei zu binden.
Mag die DDR bei herkömmlicher Kriminalität weitgehend rechtsstaatlich vorgegangen sein – was ich nicht weiß – , selbst dann gäbe es noch die politische Justiz , und damit ist ein Staat ein Unrechtsstaat.
Ja, die Wessis sollten die Klappe halten , aber aus anderen Gründen , es wurde schon angesprochen , wer dermaßen versagt hat bei der Aufarbeitung der NS-Zeit , muß nicht ruhig bleiben , was Kritik an der DDR angeht , sollte aber im Hinterkopf behalten , daß er auch nur mit Wasser kocht und nicht ständig mit dem erhobenen Zeigefinger umherwedeln , scharfe Kritik an der DDR wird dann sehr viel glaubwürdiger.
So richtig es ist , auf die „Adolf“-Mentalität hinzuweisen , so unsauber ist es , damit eine Gleichheit von NS- und DDR-Diktatur in den Raum zu stellen.
Darüberhinaus sollte man nicht so naiv sein , die Diskussion über den Unrechtsstaat als an allen Stellen ehrlich motiviert zu betrachten , sie wird unübersehbar instrumentalisiert , um die politische Linke insgesamt zu verunglimpfen , ich persönlich kenne keinen einzigen West-Linken , der die DDR je als Alternative zum Bestehenden betrachtet hätte, wenn jemand ruft „Wolf heule!“ , muß man nicht gleich auf Konopfdruck mitheulen und brav in die Phalanx der unreflektierten Abgrenzeritis mit einschwenken.
Die Vertreter der These des Unrechtsstaats sollten sich ins Bewusstsein rufen, dass die DDR kein autonomes Staatsgebilde war, ebenso wenig wie die Bundesrepublik. Die DDR wurde nicht ohne Zutun des Westens zu diesem Staat, der sie schließlich war. Wir wissen inzwischen, dass kurz nach dem Krieg eine Wiedervereinigung möglich gewesen wäre, wenn Deutschland einen neutralen Status akzeptiert hätte. Adenauer hat das abgelehnt.
Die Gründung der Bundesrepublik liegt zeitlich vor der Gründung der DDR. Letztere war eine Reaktionshandlung. Schon am 04. April 1949 wurde der Nordatlantik-Pakt (Nato) geschlossen. Als diesem am 06. Mai 1955 die Bundesrepublik beigetreten ist, gründete sich als Reaktion darauf der Warschauer Pakt am 14. Mai 1955.
Es sind Äußerungen wie die der CDU-Politikerin Jana Schimke („Ein Vierteljahrhundert genügt nicht, um die Spuren von 40 Jahren Planwirtschaft abzubauen“ – die FR berichtete darüber am 11. Oktober), die meinen Argwohn hervorrufen, wenn im Zuge der Erinnerungen an den 9. Oktober 1989 in Leipzig die DDR allzu eindimensional bewertet wird. Denn eine euphorische Kapitalismus-Begeisterung á la Frau Schimke wird den tatsächlichen Vorgängen in der neuesten deutschen Geschichte nicht gerecht. Die nach der deutschen Vereinigung durchgeführten (weitgehenden) Privatisierungen von Staatsbetrieben wie der Deutschen Bundesbahn/Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Bundespost zeigen allmählich ihre verheerenden Folgen. Und die Deregulierung der Märkte hat einen Neo-Liberalismus hervorgebracht, der allmählich zur Schicksalsfrage der Nation wird.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Für Mauer und Stacheldraht gibt es keine Rechtfertigung, selbst wenn sie mittlerweile Modell stehen für Sperranlagen, die von Israel (im Westjordanland) und von den USA (an der texanisch-mexikanischen Grenze) errichtet wurden. Und auch „Stasi“ und politische Gefängnisse lassen sich nicht schönreden; so etwas war verwerflich und muss für alle Zeiten verwerflich bleiben.
Ähnliches gilt auch für den Raubbau an der Natur (Braunkohlereviere in der Lausitz) und die Umweltverschmutzung (Leuna Werke südlich von Halle). Allerdings sind kritische Stimmen zu den beiden letzten Punkten aus CDU und FDP selten zu hören. Und auch die SPD tut sich schwer, eine klare Position zu beziehen. Denn solche Kritik am DDR-System könnte auch die Schattenseiten westdeutscher Industriepolitik offenlegen. Und damit würde man gesellschaftliche Heiligtümer wie Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze infrage stellen. Und ignorieren, dass die Flucht aus der DDR zum überwiegenden Teil eine (absolut legitime) Wirtschaftsflucht war. Gegenüber den Wirtschaftsflüchtlingen, die heute aus Afrika in die Wohlstands-Oase Deutschland strömen, verhält man sich deutlich ablehnender.
Würde die BILD-Zeitung im Herbst 2014 eine Aktion wie 1958 ins Leben rufen, als sie Anstecknadeln mit dem Brandenburger Tor und dem Slogan „Macht das Tor auf“ verteilte? Immerhin war damals das Tor noch gar nicht zu (die Berliner Mauer datierte von 1961). Würde Springer heute eine Lanze für die Fremden brechen, die dem wirtschaftlichen Elend in ihren Heimatländern entkommen wollen? Etwa „Öffnet die Grenzen Europas!“.
Die DDR hatte viele Gesichter. Sie bot ihren Bürgern eine vergleichsweise große soziale Sicherheit (Kinderbetreuung, umfassendes Bildungs- und Gesundheitssystem, berufliche und akademische Ausbildung mit hohen Standards, Arbeitsplatzgarantien), erkauft durch einen deutlich niedrigeren Lebensstandard als in der BRD. Sie maß der Kultur einen hohen Stellenwert bei und verhinderte andererseits regelmäßig, dass das System durch die Künstler in der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt wurde. Mit Hinweis auf die zwei Weltkriege beschwor sie Frieden und Völkerfreundschaft und versuchte dennoch, auch die zivilsten Bereiche zu militarisieren. Sie pries den internationalen Klassenkampf und die Solidarität der Werktätigen und ermöglichte auf der anderen Seite die Bildung einer neuen Klasse, nämlich die der privilegierten Funktionäre, die ihre persönliche Besitzstandswahrung mit den Interessen des Gesamtstaats gleichsetzten.
In den drei Verfassungen der DDR (1949, 1968 und 1974) waren die Bürgerrechte und eine demokratische Ordnung festgeschrieben, hingegen sah die Realität vielfach anders aus. Andererseits hat es staatsrechtlich sanktionierte Diskriminierungen wie die Nürnberger Gesetze des NS-Staats nie gegeben.
Nicht vergessen werden sollte, dass in den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die sowjetische Zone und spätere DDR ein Ort der Hoffnung war für viele Schriftsteller und Künstler, die aus der Emigration zurückgekehrt waren. Johannes R. Becher lässt sich vielleicht noch als Überzeugungstäter mit durchschnittlichem künstlerischem Talent abtun; Arnold Zweig, Stefan Heym, Hanns Eisler oder Bertolt Brecht hingegen genossen Weltgeltung. Jener Bertolt Brecht kommentierte die Einheitsbeteuerungen der Bundesrepublik mit einem satirischen Gedicht, das die Westausrichtung als Parteinahme für das Kapital entlarvte:
„Deutschland, Deutschland, über alles
Nur nicht über unser Geld!
Wenn es auch gegebenen Falles
Dadurch auseinanderfällt.“
Und Kurt Schumacher und Konrad Adenauer überzog er mit bitterem Spott:
„Hoch zu Bonn am Rheine sitzen zwei kleine
Böse alte Männer, die die Welt nicht mehr verstehn.
Zwei böse Greise, listig und leise
Möchten gern das Rad der Zeit nochmals nach rückwärts drehn.“
Aber auch namhafte SED-Politiker träumten von einem besseren, von einem gerechten und sozialistischen Deutschland. Anton Ackermann, Mitglied des Politbüros, fragte 1946 in einer damals stark beachteten Schrift: „Gibt es einen deutschen Weg zum Sozialismus?“ und er meinte damit einen Weg ohne eine „Diktatur des Proletariats“. Der Naturwissenschaftler Robert Havemann forderte 1964 eine „Dialektik ohne Dogma“. Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt versuchten nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 Walter Ulbricht zu stürzen und den Weg für Reformen in Partei und Staat freizumachen. Letzteres wurde durch die Regierung der Sowjet Union verhindert. 1989 ermöglichte die Sowjet-Führung unter Gorbatschow bei veränderten weltpolitischen Konstellationen (Entspannungspolitik) die Entmachtung der SED, ohne von vornherein die Zweistaatlichkeit Deutschlands in Frage zu stellen.
Die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat, eine Diktatur oder ein sowjetischer Satellitenstaat ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten war, ist vermutlich zu pauschal gestellt, weil sie die vielfältigen Ambivalenzen, die diesen Staat kennzeichneten, nicht mit einschließt. Folglich war ihr Untergang im Hegelschen Sinn vernünftig. Aber zumindest ihre Gründung war eine der möglichen Antworten auf die Fragen, die der Zweite Weltkrieg und die sozialen Verwerfungen in Deutschland und Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgeworfen hatten.
Sowohl eine vorläufige als auch eine endgültige Beurteilung ist aber nur möglich, wenn Kenntnisse über das, was während der 40 Jahre DDR tatsächlich der Fall war, vorhanden sind. Jana Schimke, die nassforsche CDU-Frau aus Brandenburg, bewegt sich hingegen auf allzu dünnem Eis. Vielleicht sollte sie einmal an ihren verstorbenen Parteifreund aus der Ost-CDU und stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Otto Nuschke denken, der sich als Protestant die Sache mit der/seiner DDR nie einfach gemacht hat.
Zu # 11 Klaus Philipp Mertens
„Würde die BILD-Zeitung im Herbst 2014 eine Aktion wie 1958 ins Leben rufen, als sie Anstecknadeln mit dem Brandenburger Tor und dem Slogan “Macht das Tor auf” verteilte? Immerhin war damals das Tor noch gar nicht zu (die Berliner Mauer datierte von 1961). Würde Springer heute eine Lanze für die Fremden brechen, die dem wirtschaftlichen Elend in ihren Heimatländern entkommen wollen? Etwa “Öffnet die Grenzen Europas!”.“
Bei allen Respekt für Ihre Ausführungen, aber hier setzen Sie Kirschen mit Riesenmelonen gleich. Das „Tor“ markierte eine innerdeutsche Grenze. Das Öffnen dieses Tores hätte letztlich Landsleute (mit gleicher Sprache und weitestgehend ähnlicher Kultur) zusammengeführt.
Eine Forderung Deutschlands nach Öffnung der Grenzen Europas würde alle Staaten Europas betreffen. Abgesehen davon, dass Deutschland diese Forderung gar nicht erheben darf .. ohne Zustimmung aller Staaten Europas. Auch sind die Probleme mit Flüchtlingen aus den unterschiedlichsten Regionen mit den unterschiedlichsten Wünschen und Erwartungen ungleich höher als die Zusammenführung durch das „Tor“.
Man darf gespannt sein, ob die Flüchtlinge innerhalb Europas gerechter verteilt werden.
„Die DDR hatte viele Gesichter. Sie bot ihren Bürgern eine vergleichsweise große soziale Sicherheit (Kinderbetreuung, umfassendes Bildungs- und Gesundheitssystem, berufliche und akademische Ausbildung mit hohen Standards, Arbeitsplatzgarantien), erkauft durch einen deutlich niedrigeren Lebensstandard als in der BRD.“
Hier sei der Hinweis gestattet, dass die DDR letztlich gar nicht mehr in der Lage war, sich finanziell all diese sozialen Wohltaten zu leisten. Was in letzter Konsequenz den Untergang der DDR verursacht hat.
Die „Deutsche Einheit“ wurde überhastet und wenig überlegt durchgeführt und war mit vielen Fehlern behaftet. Das ist unstreitig.
Dennoch hätte sich manch ein andrer Ostblockstaat gewünscht, so von einem Partner auf diese Weise aufgefangen zu werden.
Es besteht kein Anlass, die „Deutsche Einheit“, die auch den Wessis viel Geld und Geduld abverlangt hat, nur schlecht zu reden und in Grund und Boden zu verdammen. Das wird der Problematik nicht gerecht.
zu 10 # rudi
„Die Vertreter der These des Unrechtsstaats sollten sich ins Bewusstsein rufen, dass die DDR kein autonomes Staatsgebilde war, ebenso wenig wie die Bundesrepublik. Die DDR wurde nicht ohne Zutun des Westens zu diesem Staat, der sie schließlich war. Wir wissen inzwischen, dass kurz nach dem Krieg eine Wiedervereinigung möglich gewesen wäre, wenn Deutschland einen neutralen Status akzeptiert hätte. Adenauer hat das abgelehnt.“
Ihren Ausführungen zufolge ist die Bundesrepublik Deutschland (kurz BRD genannt) für das Entstehen des „Rechststaats“ DDR verantwortlich. Den „Unrechtsstaat“ verlagern Sie ganz elegant nach Moskau. Von dort kam anscheinend das Unrecht und nicht von Ostberlin (weil kein autonomes Staatsgebilde). Demzufolge war die DDR kein Unrechtsstaat. So einfach ist das!
Ich erlaube mir ein persönliches Geständnis:
Ich bin heilfroh, dass der alte Adenauer eine Neutralisierung Deutschlands zum Preis für eine „Deutsche Einheit“ abgelehnt hatte. Das war eine richtige Entscheidung.
Wäre Deutschland damals neutral geworden, dann hätte die UdSSR an den Grenzen „Geasmtdeutschlands“ (z.B in Polen) permanent mit einem großen Truppenkontingent die „Einhaltung der Neutralität“ in ihrem Sinne überwacht. Von einer massiven Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung dieses „Gesamtdeutschlands“ ganz zu schweigen.
Putin führt dies gerade vor. Die Ukraine lässt grüßen.
Deutsche Einheit „überhastet und wenig überlegt“ ? Das Gegenteil dürfte richtig sein. Die Reaktionen der DDR-Bevölkerung mit massenhafter Abwanderung in den Westen und Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft haben die schnelle Wiedervereinigung geradezu erwzungen. Nur auf diese Weise konnte verhindert werden, daß der geschichtliche Umbruch in chaotische Verhältnisse einmündete. Auch die Einführung der DM gegen finanzpolitische Vernunft war letztlich eine Maßnahme gedacht dazu, Schlimmeres zu verhüten. Um nur diese Gründe zu nennen. Es scheint hier und da immer noch eine nahezu unausrottbare Ostalgie zu herrschen, die einer nüchternen Beurteilung der Fragen um die Wiedervereinigung entgegensteht. Vereinigt wurden nicht Systeme, sondern Bevölkerungen, die sich nur darin unterschieden, das die einen schon hatten, wonach die anderen nur strebten. Systemvereiniger, die sich Hoffnungen auf eine Synthese zweier so unterschiedlicher Systeme gemacht hatten, standen von vornherein auf verlorenem Boden. Träumer, Opfer ihrer Illusionen. Der eigenen nämlich.
zu 12 # runeB und 14 # V. Grebe:
„Hier sei der Hinweis gestattet, dass die DDR letztlich gar nicht mehr in der Lage war, sich finanziell all diese sozialen Wohltaten zu leisten. Was in letzter Konsequenz den Untergang der DDR verursacht hat.“ – „Es besteht kein Anlass, die “Deutsche Einheit”, die auch den Wessis viel Geld und Geduld abverlangt hat, nur schlecht zu …. Das wird der Problematik nicht gerecht.“
Ja, die DDR war nicht mehr in der Lage, ihre sozialen Wohltaten aufrecht zu erhalten. Das wiedervereinige Deutschland hingegen könnte es sich leisten, die sozialen Sicherungssysteme, die in der alten Bundesrepublik (nicht zuletzt als Antwort auf die Existenz der DDR) entstanden waren, ohne Abstriche bestehen zu lassen. Doch seit Schröders „Agenda 2010“ werden diese zur Disposition gestellt. Ich nenne als typische Beispiele nur die Benachteiligung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Absenkung des Rentenniveaus zu Gunsten der kommerziellen Versicherungswirtschaft.
Für mich verband sich mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung immer die Fortschreibung des Besten, was in beiden deutschen Staaten hinsichtlich Bürgerrechten, Demokratie, sozialer Sicherung, demokratisch regulierter Wirtschaftsordnung sowie Friedensicherung und internationaler Solidarität erkämpft und erreicht worden war – in der Regel gegen den Widerstand von Mächtigen.
Andere mögen von einem Land geträumt haben, dass im Sinne des legendären Wilden Westens frei ist und wo der Stärkere und Rücksichtslosere die Oberhand gewinnt. Von einem Land, das sich das, was es für Kultur hält, von Banken und Großunternehmen sponsern lässt, wo soziale Leistungen zu Almosen aus den Westentaschen der Vermögenden degenerieren und dem es gleichgültig ist, was mit den Menschen geschieht, die weit jenseits der Grenzen als Sklaven seiner Discount-Mentalität vegetieren. Dass letztere von anderer Kultur und Sprache sind, macht ihre Nichtbeachtung einfacher. Jedenfalls so lange, bis sie an unsere Tore klopfen. Aber da in diesem freien Land kaum einer ruft „Macht das Tor auf“, kann man das vernachlässigen.
Meine Position, hervorgegangen aus dem persönlichen Miterleben des Machtkampfs der Systeme, scheint gegenüber der anderen nicht mehrheits- und konsensfähig zu sein. Dennoch gebe ich zu bedenken, dass die Art und Weise, wie wir die deutschen Fragen beantworten, insbesondere die nach dem Charakter der DDR und dem Prozess und den Zielen der Wiedervereinigung, zu rechtzeitigen Einsichten angesichts neuer weltpolitischer Veränderungen verhelfen könnten. Immerhin sind wir mit einer weltweiten Übermacht von Elenden und Entrechteten konfrontiert. Dieser Auseinandersetzung sollten wir anders begegnen als mit jenen wohlfeilen politischen Verlogenheiten, wie wir sie aus der neuesten deutschen Geschichte kennen.
zu 14 # V. Grebe
Die Einführung der DM in das wirtschaftliche System der DDR bedeutete den abrupten Todesstoß. Wie sollten DDR-Waren auf DM-Basis abgerechnet noch konkurrenzfähig sein? Dieser Schritt hätte der letzte in einer Kette von Einzelschritten sein sollen und nicht der erste.
Man hätte einen monatlichen Betrag zum Umtausch DDR Mark in DM festsetzen können, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Auszahlung in der DDR am Wohnort der Betroffenen erfolgt.
Wohin hätten sich denn all die Menschenmassen begeben sollten? Hätten sie alle im Freien kampieren sollen? Die Gefahr einer derartigen sinnlosen Massenflucht war nicht gegeben. Die Leute wollten die DM und sonst nichts. Die hätten sie dann vor Ort bekommen.
Eine Systemvereinigung anzunehmen, war vermutlich recht unrealistisch. Ein System hatte sich als überlebensfähig erwiesen, das andere hatte hingegen bedingungslos kapituliert.
Der Umtauschkurs war unrealistisch günstig für die DDR-Bürger, ein Geschenk des Helmut Kohl an seine Neubürger.
Das sind schlechte Voraussetzungen für eine wie auch immer geartete Synthese der unterschiedlichen Systeme.
Das mag man bedauern, ist aber ein nicht weg zu diskutierender Sachverhalt.
Es bestand kurz nach der Wende einmal die, sagen wir, theoretische Chance, das Gute beider Systeme zu einem neuen Besseren zu vereinen. Doch das waren eben nur „Gutmenschen“ und nicht die alten Macht-Politiker. Die wußten, das jetzt ihre Chance gekommen war, frei von der Leber weg und mit der Priorität schöner Zahlen auf dem Bankkonte die neue BRD und damit das „neue Deutschland“ nach ihrem Wollen und Willen zu formen. Spätestens seit Fischer-Schröder wußte man, wohin der Hase zu laufen hatte, in die Arme des Großkapitals. Inzwischen spricht ein Gutteil der „Christlichen“ von einer Agenda 2020, und das Volk jubiliert oder resigniert. In Punkto Duldsamkeit gegenüber der Verarschung durch die Reichen und Mächtigen scheinen wir aus den bereits gespürten Schmerzen und Entbehrungen heraus nur eines abzuleiten, wie ein Masochist bei seiner Domina: „Gib‘ mir mehr davon“.
Wie sagte doch B. Brecht so schön: „Es wählen sich die dümmsten Kälber, ihre Metzger immer selber.“ Wir werden es bei den Wahlen 2017 erleben, und ich fürchte, ich habe dann weder genügend Ouzo noch Kotztabletten zu Hause, wenn das Wahlergebnis verkündet wird.
zu 15 # Klaus Philip Mertens
„Das wiedervereinige Deutschland hingegen könnte es sich leisten, die sozialen Sicherungssysteme, die in der alten Bundesrepublik (nicht zuletzt als Antwort auf die Existenz der DDR) entstanden waren, ohne Abstriche bestehen zu lassen.“
Da mögen Sie eventuell ein bisschen Recht haben, aber irgendeinen Einfluss der DDR auf die Entwicklung der Sozialsysteme in der Bundesrepublik Deutschland – durch ihre pure Existenz wohlgemerkt – hat es beim besten Willen nicht gegeben.
zu 15. Klaus Philip Mertens
„Für mich verband sich mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung immer die Fortschreibung des Besten, was in beiden deutschen Staaten hinsichtlich Bürgerrechten, Demokratie, sozialer Sicherung, demokratisch regulierter Wirtschaftsordnung sowie Friedensicherung und internationaler Solidarität erkämpft und erreicht worden war – in der Regel gegen den Widerstand von Mächtigen.“
Eine „Systemvereinigung“ hätte immer nur und ausschließlich mit dem Untergang des DDR-Systems enden können. Was bitte hat die DDR an Bürgerrechten gewährt ? An Absicherung in einem auf den unaufhaltsamen Kollaps angelegten und hinsteuernden Ausbeutungssystem ? An Kultur, die eine Wahrnehmungs-, Meinungsverbots- und Denunziationsunkultur war bis hin zum traurigen Abriß einer der Leipziger Kirchen, in der J.S. Bach als Kantor gewirkt hatte ? Und vieles andere mehr ? Nein, da war nichts dem DDR-„System“ entstammendes, was in den Rechtstaat BRD hätte integriert werden können. Wenn wir aber von Lösungen für Alltagsprobleme sprechen, so waren Lösungen dann zu übernehmen, wenn sie denn im Vergleich besser waren. Kinderbetreuung, Ganztagsschule, Polikliniken, grüner Punkt, um nur diese Beispiele zu nennen. Nur hatte das nichts mit dem DDR-„System“ zu tun, denn vergleichbare Methoden gab es auch in anderen Westländern. Geheimnissen wir nicht ein „System“ hinein, wo die Systemfrage überhaupt nicht berührt ist.
Fokussieren Sie Probleme, nicht Systeme. Und nur dann kommen sie auch zu Problemlösungen. Zu genau dem, was Sie sich mit der „Fortschreibung des Besten“ wünschen. Andernfalls werden Sie im ewigen Kampf der Systeme hoffnungslos versacken, und die Probleme bleiben ungelöst auf der Strecke.
Ich bin mit Ihnen, wenn Sie eine Ungleichbehandlung in der Krankenversicherung beklagen, die private Säule der Alterssicherung für eine Subvention der Versicherungswirtschaft halten. Dann wirbt man eben für eine Verstärkung des Umlageanteils, Umbau in Richtung Schweizer Modell oder ähnliches. Man kann es erfolgreich innerhalb der BRD tun, aber man muß für eine Mehrheit sorgen. Die BRD ist ein Garantiestaat nur innerhalb der Grenzen, den die Gesetze ziehen. Den Mangel an Vollkommenheit dürfen Sie gerne beklagen, aber ein Rat, deswegen „Systemflucht“ zu begehen, folgt daraus mitnichten.
„Meine Position, hervorgegangen aus dem persönlichen Miterleben des Machtkampfs der Systeme, scheint gegenüber der anderen nicht mehrheits- und konsensfähig zu sein. Dennoch gebe ich zu bedenken, dass die Art und Weise, wie wir die deutschen Fragen beantworten, insbesondere die nach dem Charakter der DDR und dem Prozess und den Zielen der Wiedervereinigung, zu rechtzeitigen Einsichten angesichts neuer weltpolitischer Veränderungen verhelfen könnten. Immerhin sind wir mit einer weltweiten Übermacht von Elenden und Entrechteten konfrontiert. Dieser Auseinandersetzung sollten wir anders begegnen als mit jenen wohlfeilen politischen Verlogenheiten, wie wir sie aus der neuesten deutschen Geschichte kennen.“
Seien Sie nicht so pessimistisch. Verändern Sie Perspektive, Zielbeschreibung und Erwartungshorizonte. Es wird sich auch dann nicht sicher zu Ihren Gunsten fügen, aber der Hebel wird vielleicht klarer, wo Sie, wo wir gemeinsam per Reform ansetzen müssen. Zeihen wir nicht andere der politischen Verlogenheit, die möglicherweise nur die eigene ist.
zu 18. runeB und 19. V. Grebe:
Die Diskussion wird interessant und nähert sich anscheinend dem Wesentlichen. Doch was gehört zu den unverzichtbaren Bürgerrechten? Sicherlich die Möglichkeit, an der demokratischen Meinungs- und Willensbildung ohne jegliche Beschränkungen teilhaben zu können und unveräußerliche Grundrechte (wie im Grundgesetz) zu besitzen. In diesem Punkt hatte die DDR kaum bis gar nichts zu bieten, allenfalls standen sie lediglich als Absichtserklärung auf dem Papier ihrer drei Verfassungen.
Doch jedes gesellschaftliche System, das Freiheit und Gerechtigkeit propagiert, bedarf einer umfassenden sozialen Grundlage. Denn wer ständig um sein tägliches Brot kämpfen muss, wird grausam und verliert Primärtugenden wie Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Solidarität aus den Augen. Gottfried Keller hat das in seiner Parabel „Spiegel, das Kätzchen“ bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesicht der großen sozialen Konflikte in den frühen Industrieländern sehr nachvollziehbar beschrieben. Und Stefan Heym, Bertolt Brecht, Franz Fühmann, Heiner Müller oder Arnold Zweig als typische Vertreter der DDR-Kultur haben diese Elemente in ihren Schriften und Stücken eindrücklich hervorgehoben, weil sie unverzichtbare Bestandteile einer freien und demokratischen Gesellschaft sein müssten.
Die DDR ist an ihren Widersprüchen gescheitert. Die sozialstaatlichen Bestandteile waren zwar erkennbar vorhanden, reichten aber im Vergleich zum goldenen Westen nicht aus und waren irgendwann nicht mehr finanzierbar, warum auch immer. Zudem wurden die ständig postulierten Schlagworte von Freiheit, Demokratie und Sozialismus nicht eingelöst. Die notwendige Einheit von Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit ist dadurch jedoch nicht bedeutungslos geworden. Sie hätte es verdient, in einem vereinten Deutschland verwirklicht zu werden. Das ist jedoch nicht konsequent geschehen, im Gegenteil; vorhandene Errungenschaften werden systematisch zurückgefahren. Stattdessen hält seit zwei Jahrzehnten ein Neo-Liberalismus Einzug, den es in den 40 Jahren, in denen die DDR existierte, nicht gab. Und das war nicht zufällig.
Ich habe in der ersten Hälfte der 1970er Jahre an der internen Managementausbildung eines großen Wirtschaftsunternehmen teilgenommen, in dem das so genannte Harzburger Führungsmodell (Delegation von Verantwortung an die mittlere und untere Ebene), ursprünglich kreiert von einem ehemaligen SS-Mann, Reinhard Höhn, dem Führungsnachwuchs nahegebracht wurde. Die Dozenten schworen ihre Hörer immer wieder darauf ein, die Mitarbeiter zwar zu Höchstleistungen anzuhalten, ohne jedoch dabei den Eindruck von Befehl und Gehorsam, geschweige denn von willkürlicher Ausnutzung ihrer Fähigkeiten, entstehen zu lassen. Man wolle doch „den Kommunisten in der DDR keinen Anlass geben, die deutsche Wirtschaft zu verunglimpfen“, so die üblichen Parolen. Heute scheut man eine solche üble Nachrede nicht mehr, schließlich gibt es keinen ernsthaften politischen Gegner mehr, den man als staatliche Macht fürchten müsste.
Die DDR vereinigte für die Außenstehenden sowohl Abschreckung als auch positive Beispiele. Das hat für die, die drinnen lebten und für demokratische Veränderungen kämpften, die Sache nicht einfacher gemacht. Aber diese Wahrnehmung darf nicht übersehen und vergessen werden, wenn man ein knappes Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung durch die im Frühjahr 1990 gewählte Volkskammer darüber streitet, ob sie ein Unrechtsstaat, eine Diktatur oder was sonst auch immer war.
zu 20. Klaus Philipp Mertens
Bertold Brecht ein Vertreter der DDR-Kultur ? Brecht war ein deutschsprachiger Autor von Weltrang. Er hat die DDR erduldet, weil seine Visionen ihn ertragen ließen, was die DDR-Realität dem Leben vorenthielt.
„Doch jedes gesellschaftliche System, das Freiheit und Gerechtigkeit propagiert, bedarf einer umfassenden sozialen Grundlage. Denn wer ständig um sein tägliches Brot kämpfen muss, wird grausam und verliert Primärtugenden wie Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Solidarität aus den Augen.“
Dem stimme ich zu.
„Die DDR ist an ihren Widersprüchen gescheitert. Die sozialstaatlichen Bestandteile waren zwar erkennbar vorhanden, reichten aber im Vergleich zum goldenen Westen nicht aus und waren irgendwann nicht mehr finanzierbar, warum auch immer. Zudem wurden die ständig postulierten Schlagworte von Freiheit, Demokratie und Sozialismus nicht eingelöst. Die notwendige Einheit von Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit ist dadurch jedoch nicht bedeutungslos geworden. Sie hätte es verdient, in einem vereinten Deutschland verwirklicht zu werden. Das ist jedoch nicht konsequent geschehen, im Gegenteil; vorhandene Errungenschaften werden systematisch zurückgefahren. Stattdessen hält seit zwei Jahrzehnten ein Neo-Liberalismus Einzug, den es in den 40 Jahren, in denen die DDR existierte, nicht gab. Und das war nicht zufällig.“
Sowenig die DDR ein Garant für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit gewesen ist, sowenig war in ihrer Erbmasse auch davon vorhanden. Mangels Masse also konnte nichts in das wiedervereinigte Deutschland übernommen werden. Allerdings lebten hier und da noch Visionen, und sie leben anscheinend hier und da noch heute. Für die Visionäre und Träumer sollte nun die BRD richten, was die DDR schuldig geblieben war. Die BRD-Wirklichkeit wurde mit der Elle der Utopie ausgemessen, und sie wird es hier und da noch heute. Und fügt sich die Realität nicht der Utopie, darf die Realität des wiedervereinigten Landes schlecht geredet werden. Und zwar schlechtgeredet in Bezug auf das zugrundeliegende „System“, nicht nur in Bezug auf beklagenswerte Einzelumstände oder „Probleme“, die mit entsprechenden Mehrheiten behoben werden könnten. Soll ich polemisch sagen, die Anti-BRD-Propaganda des „Schwarzen Kanals“ wirke zum Teil immer noch ?
Für viele DDR-Bürger sind Freiheit, Demokratie und soziale Sicherheit (nicht soziale Gerechtigkeit) realisiert worden im wiedervereinigten Deutschland. Quasi übergangslos. Da mußte nichts mehr hinzuerfunden werden. Wer es „ungerecht“ fand, in der DDR geboren worden zu sein, dem allerdings konnte kein nie befriedigender Ausgleich geboten werden. Natürlich gibt ein Auf und Ab auch im Sozialstaat. Ob es sich nur um die Rücknahme von ungerechtfertigten Vorteilen handelt oder von „Errungenschaften“, die den Bestand des Sozialstaats erschüttern, kann man nur am Einzelfall diskutieren. Das Maß an sozialer Sicherheit jedenfalls kann sich im weltweiten Vergleich sehen lassen.
Daß die Existenz der DDR ein Aufblühen des Neo-Liberalismus verhinderte hätte, wie Sie indirekt schreiben, ist sicher nicht richtig. Die Genscher-Lambsdorff-FDP hatte sich längst der neo-liberalen Strömung verschrieben, als sie 1982 die Koalition mit Helmut Schmidt beendete. Kohl kam ans Ruder durch die neo-liberale FDP, und beide haben die DDR in den Westen geholt, als die UdSSR zu schwach war, um sie noch in ihrem Herrschaftsbereich zu halten. Wenn Sie so wollen, hat also der Neo-Liberalismus die DDR dem Ostblock entrissen, zumindest aber dabei mitgeholfen.
Lösungen für gesellschaftliche Alltagsprobleme, die nicht mit der Systemfrage verquickt waren, sind aus der DDR in das vereinigte Deutschland richtigerweise übernommen worden. Vielleicht war es mit das größte Drama der DDR überhaupt, ihren Bürgern jenen geistigen Raum genommen zu haben, in dem Kreativität initiativ und öffentlich gedeiht, anstatt sie in privaten Nischen zu erschöpfen.
Sehr vereinfacht ausgedrückt, würde ich sagen: Die BRD war einfach besser im Angebot von Brot & Spielen. Die in den Nischen gab es in beiden Systemen, hüben wie drüben die in sozialistischen Paradiesen Träumenden. Aber das Gros der Menschen wollte nicht träumen, sondern satt werden, reisen, kaufen und einigermaßen abgesichert sein. Und da hatte die BRD einfach das bessere, und den Einzelnen weniger fordernde, Angebot.
Natürlich gab es so etwas wie eine Wettbewerbs-Situation, welche auch, zumindest bis zum Ende der sozial-liberalen Regierung, die neo-liberale Expansion etwas bremste. Aber letztendlich war dies leicht und unbekümmert über Bord zu werfen, wie spätestens dann mit der Agenda 2010 unter rot (???)-grün zu sehen war.
Menschen, die noch von den Alternativen träumen, gibt es (nur) noch im Roman, oder bei den Linken, oder ein paar Rest-Grünen. Ansonsten finden 70% das prima, was ihnen von unserer glorreichen Regierung dargeboten wird, haben sich abgefunden weil es hin und wieder auch ein neoliberales Zuckerl gibt, und werden in den nächsten zwei Jahren zufrieden sein, den Gürtel nur um ein Loch enger schnallen zu müssen. Demokratie ist inzwischen auf das reduziert, was sich Kabarettisten im Fernsehen trauen zu sagen, wobei die Nuhr-Richtung immer mehr an Boden gewinnt. Den größten Zulauf hätte inzwischen eine Partei der Des-Interessierten.
zu 22. Wolfgang Fladung
Die BRD und weniger fordern vom Einzelnen ? Ganz im Gegenteil. Das inhaltslose Werkeln für´s Kollektiv im Scheinjob mit Scheinarbeit war ja nun nicht gerade das Kennzeichen der kapitalistischen BRD. Die DDR mußte untergehen, weil das System seinen Bürgern eben nichts anderes abgefordert hatte als Gehorsam zu theoretischem Überbau und faktischer Herrschaft einer oligarchischen Clique bei Verzicht auf Widerspruch. Kreativität wurde unterbunden, weil freies Denken als gegen den Sozialismus gerichtet definiert wurde. Theoriespiele wurden geboten en masse, aber das Brot wurde immer weniger. Und dann kam, wie es kommen mußte.
zu # 23, V. Grebe: Überlegen Sie einmal, was Sie mehr Kraft kosten würde, ein Einsetzen für Ihre eigene Zukunft, incl. einem Engagement in gesellschaftlichen oder politischen Organisationen, mit dem Aussicht auf Ergebnisse und Erfolg – oder der Einsatz für irgendwelche Funktionärs-Vorgaben, mit der Aussicht auf Nichterfolg und bestenfalls irgendwelche Medaillen im Sinne: „Held der Arbeiterklasse“? Was ich meine, ist: die Kräfte meines gesellschaftlichen Einsatzes spüre ich dann nicht, wenn ich merke, daß mein Einsatz sinnvoll ist und zu Ergebnissen führt.
Das schreibt Ihnen ein hier im Westen Aufgewachsener, der sich immer irgendwie und irgendwo engagiert hat, in BI’s, beim DRK, in Parteien etc. pp., und dies nie als belastend und anstrengend, sondern, im Gegenteil, als befördernd und kraftmäßig gewinnbringend und inspirierend empfunden hat.
Oder auch: das Vermeiden von sinnvollem Engagement kann kräftezehrender sein als der wirkliche Einsatz. Gerade der Widerspruch hat mir immer Kraft gegeben und Mut zum Weitermachen. Und das Bier und die Frikadelle danach haben auch besser geschmeckt.