Primus inter pares oder Führungsperson – das ist hier die Frage: Was sind Schulleiter? Diese Debatte entzündete sich an dem Artikel „Manager statt Pädagogen“ von FR-Redakteur Peter Hanack, in dem es darum geht, wie Schulleiter qualifiziert werden sollen und dass Gewerkschaften, Personalrat und der Verband der Oberstudiendirektoren darüber nicht glücklich sind. Peter Hanack schrieb:
„Immer mehr Aufgaben sind es, die Schulleiter zu beherrschen haben. Budget verwalten, Personal entwickeln, Schule mit dem Umfeld vernetzen, den Unterricht verbessern. Längst sind sie nicht mehr primus inter pares, sondern Führungskraft.“
Diese Debatte, die in Gestalt von Leserinnenbriefen im Print-Leserforum geführt wurde, möchte ich hier im Fluss abbilden. Am 17. Oktober veröffentlichte ich diese Zuschrift von Barbara Krämer-van de Loo aus Frankfurt:
Gefährliche Entwicklung
„Warum SchulleiterInnen „längst nicht mehr primus inter pares, sondern Führungskraft“ seien, wie Peter Hanack es in der Einleitung seines Artikels schreibt, ist mir völlig unklar, und ich frage mich, welches Bild von Schule und Erziehungsauftrag er da transportiert? Lehrerkollegien sind selbstverständlich „Gleiche unter Gleichen“, alle haben einen akademischen Abschluss, das zweite Staatsexamen, es gibt keinerlei Hierarchie von der Qualifikation her. Damit unterscheidet sich Schule schon allein deutlich von z.B. Unternehmen.
Aber Schulen haben – abgesehen von diesem Unterschied- vor allem einen Bildungs- und Erziehungsauftrag (sehr gut im Hessischen Schulgesetz formuliert!). Und dieser Bildungs- und Erziehungsauftrag beinhaltet, dass auch die in Schulen Agierenden die partizipativen und demokratischen Zielsetzungen leben. Dazu gehört selbstverständlich, dass die Lehrkräfte Schule gemeinsam gestalten und nicht vor einem „Manager-Chef“ katzbuckeln. Welches Vorbild wären sie sonst für die SchülerInnen ?!
Ich halte den Trend, den „Führungsbegriff“ in der Schulleitungs-Qualifikation zu forcieren, für sehr gefährlich. Es gibt in diesen Schulleitungs-Schulungen inzwischen Seminare, die die Maxime „Führen und Folgen“ propagieren. Das erinnert ich mich an finsterste Zeiten der deutschen Geschichte. Und gerade von der FR hätte ich eigentlich erwartet, dass Zielsetzungen wie „Demokratie wagen“ oder „Nie wieder Auschwitz“ als oberste Priorität schulischer Bildung eingefordert würden.“
Das regte Annette Christoph aus Neu-Isenburg zu folgendem Widerspruch an, den ich am 19. Oktober veröffentlicht habe:
Leitungsaufgaben sind vielfältig
„Eine Qualifizierungsreihe für angehende Schulleiter ist nichts neues, die hat das HKM schon vor einigen Jahren durch die Führungsakademie entwickeln und seitdem durchführen lassen. Die seit Jahren hohe Nachfrage danach hat gezeigt, dass es ein neues Bewusstsein für die Übernahme einer Leitungsaufgabe gibt. Schulleiter sind in der Tat nicht mehr primus inter pares, wie Peter Hanack schreibt und die Aufgaben sind so vielfältig, dass sie nur von Menschen übernommen werden sollten, die bereit sind, sich über pädagogische Fragen hinaus mit der Gestaltung und Entwicklung einer Organisation zu beschäftigen. Ohne Kenntnisse in Personal- und Organisationsentwicklung lassen sich gute Schulen heutzutage nicht führen. Da dies weit über die Gestaltung des täglichen Unterrichts hinausgeht, muss sich nicht jede/r KollegIn damit auseinandersetzen. Sich von einer Schulleitung führen zu lassen, hat in meinen Augen nichts mit einem „vor dem Manager-Chef katzbuckeln“ zu tun, wie Frau Krämer-van de Loo es in ihrem Leserbrief schreibt, sondern mit einer Konzentration auf die wesentlichen Aufgaben. Der Gestaltung von gutem Unterricht liegt in den Händen der Lehrkräfte und die Gestaltung der Organisation, die dafür sorgt, dass guter Unterricht stattfinden kann, liegt in den Händen der Schulleitung. Diese muss letztendlich auch die Verantwortung dafür übernehmen, wenn etwas in der Schule nicht läuft. Und die Bereitschaft, die Gesamtverantwortung zu übernehmen, ist nicht jeder bereit zu tragen.“
Dazu wiederum meint Elke Boese-Grzeskowiak aus Weinheim, veröffentlicht im Print-Leserforum am 26. Oktober:
Schulgesetz zementiert hierarchische Strukturen
„Der Leserbrief von Frau Krämer- van de Loo mit der Überschrift „Gefährlicher Trend“ hat mir sehr aus der Seele gesprochen, denn wo, wenn nicht an Schulen, kann und muss demokratisches Miteinander, können und müssen demokratische Prinzipien vermittelt, eingeübt und auch praktiziert werden?
Als ehemalige Leiterin einer großstädtischen beruflichen Schule habe ich Mitte der neunziger Jahre aus persönlicher Überzeugung und auch in Umsetzung meiner gewerkschaftlichen Positionen Mitbestimmungs-, Mitbeteiligungs- und basisdemokratische Elemente eingeführt und mich ihnen unterzogen, die im Schulgesetz (BW) nicht vorgesehen, aber auch nicht explizit verboten sind. Ich habe dieses Vorgehen „partizipativ“ genannt, in Abgrenzung zum „kollegialen Führungsstil“, der M.E. nicht weit genug geht.
Bei Lichte betrachtet atmet das Schulgesetz in entscheidenden Teilen den Geist des 19. Jahrhunderts und zementiert hierarchische Strukturen. Festzumachen ist dies zum Beispiel an der Stellung des Schulleiters, dem dank des Artikels 41 Schulgesetz eine fast unbeschränkte Machtbefugnis zusteht; oder: Stellenausschreibungen und Besetzungsverfahren erlauben der Schulkonferenz nur ein schlichtes Anhörungsrecht, keinerlei echte Mitbestimmung oder gar Mitentscheidung bzw. Partizipation. Leider hat sich die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs seit 2011 bei der Demokratisierung von Schulen nicht mit Ruhm bekleckert.
Der Führungsbegriff für Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen wurde Anfang der Zweitausenderjahre forciert und wird es bis heute, wie Frau Krämer -van de Loo völlig zutreffend schreibt. Der vormals „autoritäre „Schulbeamte, wie er mir im Referendariat zuweilen als Vorgesetzter begegnete (zuweilen auch sehr sympathisch), erlebte seine Wiederauferstehung als „dynamische Führungskraft“ bzw. „Manager mit Qualitätshandbuch“; er fühlt sich wie der Herr im Hause, Primus inter pares adieu! An Schulen mit und ohne Personalrat kann es da tatsächlich zum Duckmäusertum kommen, aber auch zur Apathie gegenüber schulischen Prozessen.
Ich persönlich habe mich übrigens eine Weile auf diesen scheinbar modernen und effizienten Weg begeben und als „Führerin“ agiert – bis mir die Augen aufgingen (und die Ohren zu) und ich auf einer Gesamtlehrerkonferenz vor der versammelten hochkarätigen und -gebildeten Lehrerschaft das Ruder herumriss und wieder zur gelebten Schuldemokratie zurückkehrte. Schade, dass es mit meiner Pensionierung damit ein Ende hatte – Führer sein zu dürfen hat eben einen eigenen Reiz… Es ist richtig und plausibel, wenn Frau Annette Christoph in Zustimmung zu Peter Hanack von den wesentlichen Organisations- und Personalaufgaben des Schulleiters im Sinne einer guten Schule schreibt; die bestehen ohne Zweifel. Schule demokratisch gestalten geht aber weit darüber hinaus und erfordert entsprechende rechtliche Weichenstellungen. Von guten Regierungen sind da Initiativen zu erwarten – Schule prägt das Leben der Einzelnen und der Gesellschaft und kann aktuellen bedrohlichen antidemokratischen Tendenzen entgegenwirken.“
Als Schulleiter a.D. ( diese meine ehemalige Funktion teile ich nur deshalb auf diesem Wege mit, damit ich meinen Sachbezug nachweisen kann) erinnere ich mich sehr gerne an die Zeit, an der der Interessenverband Hessischer Schulleiter (IHS) von Herrn Dr. Sigulla geführt wurde. Ein Verband, der unter seinem Vorsitz kritisch mit der vom HKM erwarteten Rolle und Aufgabenmaximierung bei Schulleitungen umging, und Probleme, ohne Wenn und Aber, beim Namen zu nennen wusste. Dieser Verband entwickelte sich besonders in den letzten Jahren meiner aktiven Zeit als ein williger Vertreter der Kultusbürokratie, was sich auch in diesem Artikel, wenn man ihn zwischen den Zeilen zu lesen versteht, widerspiegelt.
Zwar stimmt es, dass das Schulleiter/innen – Bild sich im Wandel befindet, aber zu behaupten, es verändere sich vom Primus inter Paris zur Führungskraft mit Gestaltungs- und Managementaufgaben, ist zur Erklärung der geschilderten Problematik unpassend.
Zunächst einmal: Die Dienstordnung regelt die Aufgaben von Schulleitung und Lehrkräften in dienstlichen Belangen, während die Konferenzordnungen den Gestaltungsrahmen den Schulen regeln. Wer sie kennt, weiß genau, dass unter diesen Aspekten der Schulleiter als Gleicher unter Gleichen neben den Lehrer/innen agiert. Dies ist gewollt und unterstreicht die besondere Fähigkeiten der Kolleginnen und Kollegen, die sie in meinen Augen mitbringen müssen, um eine Funktionsstelle erfolgreich zu besetzen. Sowohl in der Vergangenheit als auch im aktuellen „Tagesgeschäft“ gelingt es qualifizierten Schulleiter/innen, eben und gerade auch als Gleiche/r unter Gleichen Gestaltungs und „Management“- Aufgaben an Schulen zu erfüllen.
Vor allen Dingen vermisse ich einen entscheidenden Hinweis im Artikel: Schulleiter/innen sind meines Erachtens gerade nicht in erster Linie als Verwaltungskräfte einzuordnen, was unter dem „klangvollen (?)“ Begriff „Management“ oft zu verschleiern versucht wird. Schulleiter/innen müssen viel mehr Gelegenheit erfahren, die Basis für die pädagogische Arbeit an ihren Schulen, in einvernehmlicher Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen, zu legen und zu fördern.
Tatsächlich wird dies immer mehr durch die Zunahme der oft sehr bürokratisch zu handhabenden Verwaltungsarbeit erschwert. Daran gilt es anzusetzen. Andere Länder haben dieses Problem erkannt und die Verwaltung der Schule mit Fachkräften besetzt, die die Schulleitungen in diesen Aufgaben entlasten. Dies stünde auch unseren Schulen gut an. Darüber hinaus ist zwangsläufig auch eine Zunahme der Arbeit der Schulsekretär/innen ( ein ausgesprochen unpassender Begriff; besser: Verwaltungsleiter/innen ) zu verzeichnen, die Bezahlung dieser meist sehr qualifizierten Kräfte erfolgt bis heute aber weit unter deren Leistungsniveau, das, verglichen mit der Besoldung im Beamtenbereich des öffentlichen Dienstes, mit einer Bezahlung zu entlohnen wäre, die der Besoldungsgruppe A 9 oder A 10 entsprechen würde.
Die zunehmende Hierarchisierung im Schulbereich, von der Elke Boese-Grzeskowiak spricht, zeigt sich u.a. auch in der veränderten Gewichtung der Stimmen in Abiturprüfungen. Früher hatten die drei Stimmen (Prüfer/in, Protokollant/in und Vorsitzende/r) gleiches Gewicht, so dass es vorkommen konnte, dass die beiden Fachkolleg/innen den/die Prüfingsvorsitzende/n, lediglich qualifiziert als Schulleitungsmitglied, überstimmten. Heute hat der/die Prüfungsvorsitzende das letzte Wort, und so kommt es z.B. vor, dass eine Schulleiterin mit den Fächern Politik und Erdkunde entgegen der Einschätzung zweier Fachkolleg/innenen die Note in einer mündlichen Deutsch- oder Englischprüfung festlegt. So etwas nennt man Fachkompetenz qua Amt.
Ein konkretes Beispiel dafür, wie Verinnerlichung der Rolle als „Führungskraft“ aussehen kann – im Sinne des Untertitels „Lehrkräfte als Untergebene“ im Artikel von Peter Hanack. Es handelt sich um den Schulleiter meiner ersten Schule, einem Gymnasium in Berlin-Kreuzberg, Ende 70er/ Anfang 80er Jahre.
Anders als sonst üblich, lag das Rektorat zwischen Lehrerzimmer und Sekretariat, vom Lehrerzimmer nur durch eine Tür getrennt. Die Nähe zur Rektoratstür im Lehrerzimmer (entsprechend einer ziemlich fest eingeschliffenen Sitzordnung) spiegelte unmittelbar die hierarchische Ordnung in der Lehrerschaft wider. Es war empfehlenswert, sich nur in sehr gedämpftem Ton zu unterhalten. Für das Gerücht, dass der Rektor sich regelmäßig Aufzeichnungen über Kollegen mache, gab es mancherlei Hinweise. Einer davon häufiges, kurzzeitiges Hereinplatzen, offensichtlich zum Zweck der Identifikation einer Stimme.
Meine erste Auseinandersetzung mit dem Rektor erfolgte anlässlich meines Antrags auf Stundenreduktion aus Gründen der Erziehung meiner 3 Kinder. (Erziehungsgründe waren erst kurz zuvor vom Bundesverwaltungsgericht auch für Männer anerkannt worden.) Einwurf des Rektors: „Als ich Schulleiter wurde, musste meine Frau ihren Beruf aufgeben.“ Meine spontane Reaktion: „Eben das will ich nicht.“ Natürlich wurde mir sofort klar, dass dies von der anderen Seite als Kriegserklärung verstanden wurde, was ich im Folgenden auch zu spüren bekam.
Es bedurfte schon einer Versetzung (eher als Strafversetzung gedacht, für mich aber mit Wirkung einer Beförderung), um zu erfahren, dass Schulleitung auch auf ganz andere Weise ausgefüllt werden kann.