Die Menschen in Baden-Württemberg haben dem Bahnprojekt Stuttgart 21 ihr Placet erteilt. Das beinhaltet eine gute Nachricht und zwei schlechte. Die gute ist: Die Volksabstimmung war eine Übung in direkter Demokratie, die funktioniert hat. Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten gab die Stimme ab – ein für Volksentscheide ziemlich hoher Wert. Die erste schlechte Nachricht ist: Die Kritiker des Projekts konnten sich nicht durchsetzen, obwohl sie meines Erachtens die besseren Argumente auf ihrer Seite hatten. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann, selbst S 21-Gegner, will den Volksentscheid achten, und das heißt: Es wird nun gebaut. Bis zur Schmerzgrenze von 4,5 Milliarden Euro an Kosten. Sollte der Bahnhof teurer werden – und nach allen Erfahrungen mit solchen Projekten sowie nach allen im Vorfeld durchgesickerten Informationen wird er teurer werden -, will das Land Baden-Württemberg trotzdem nichts drauflegen. Der Zoff um S 21 geht also in die nächste Runde, er wird wieder eskalieren, wenn wir dort in Stuttgart einen Bahnhofstorso haben. Wenn sich dann herausstellt, dass die S 21-Gegner Recht hatten, werden bereits Milliarden ausgegeben worden sein.
Die zweite schlechte Nachricht steckt in der guten: Die Wahlbeteiligung von 48,8 Prozent ist zwar hoch – aber was haben denn die anderen 51,2 Prozent der Baden-Württemberger/-innen am vergangenen Sonntag gemacht? Wahlenthaltung ist natürlich auch ein Votum, aber ging es hier nicht erstmals seit langem darum, Politik direkt mitzugestalten? Mitzubestimmen, wofür Steuergelder eingesetzt werden? Alle reden von Politikverdrossenheit, die meist an unserer Parteiokratur festgemacht wird: Die Leute seien die Intrigen leid, das Geschachere – „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“. Hier gab es eine Möglichkeit, „denen da oben“ den Weg zu weisen – in einem zugegeben überschaubaren Ausmaß, doch Stuttgart 21 hat weit über die Landesgrenzen hinaus Symbolcharakter. Hier haben Bürgerinnen und Bürger einen Volksentscheid erkämpft, den andere Bürgerinnen und Bürger offensichtlich nicht wollten. Dieses Nicht-Wollen – darf man das mit Zustimmung für Stuttgart 21 gleichsetzen? Dann hätten diese Menschen trotzdem abstimmen können.
Meine ungute Vermutung ist: Es ist diesen Menschen einfach egal, was da passiert. Sie zahlen zwar ihre Steuern, aber es ist ihnen gleichgültig, was damit gemacht wird. Politik ist ihnen gleichgültig. Ich spinne den Faden mal weiter: Diese Menschen sind apolitisch. Sie wollen an den Entscheidungsprozessen nicht teilnehmen. Da scheint sich eine Grundhaltung der Gleichgültigkeit breitgemacht zu haben, die mir Sorgen macht, denn das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die verbreitete Politikverdrossenheit eben nicht den Parteien allein anzulasten ist. Ist das die eigentliche Botschaft von Stuttgart 21: Gleichgültigkeit? LmaA?
Zu den Leserbriefen. Werner Geiss aus Neu-Isenburg meint:
„Seit Jahren werden meine Bahnreisen regelmäßig von „Stellwerks-, Signal-, Weichen-, Oberleitungs- oder Triebfahrzeugstörungen“ ausgebremst. Trotzdem hatte ich bislang die naive Vorstellung, meine sündhaft teuren Jahresnetzkarten würden zur Sanierung der maroden Bahninfrastruktur beitragen. Letzten Sonntag haben nun schwäbische Autofahrer entschieden, dass meine Ticketausgaben nicht einem zuverlässigen Bahnbetrieb, sondern einer schienenfreien Landeshauptstadt dienen sollen, einem Prestigeprojekt, das zugleich Platz schafft für noch mehr Straßen und Parkplätze.
Bald wäre wieder eine neue Netzkarte fällig. Soll ich fast 4000 Euro für eine volkswirtschaftliche Fehlentscheidung vergeuden?“
Paul Woods aus Neumagen-Dhron:
„Statt weiter gegen Stuttgart 21 zu protestieren, sollte ganz legal darauf gedrängt werden, dass der Finanzbedarf, wie derzeit von der Bahn angegeben, festgeschrieben wird. Wird mehr ausgegeben, wird dennoch nicht weiter gezahlt. Und das ganze Geld, das jetzt in Stuttgart verbaut wird, fehlt für die Lärmbekämpfung im mittleren Rheintal. Die Menschen zwischen Bingen und Koblenz dürfen sich bei den Menschen in Karlsruhe und Stuttgart, die von beidem nicht betroffen sind, für das S21-Votum bedanken.“
Peter Boettel aus Göppingen:
„In den Meldungen zum Ergebnis der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wurde vielfach dargelegt, „das Volk habe gesprochen“. Hat das Volk wirklich gesprochen, wenn 28,3 Prozent der Abstimmungsberechtigten gegen den Ausstieg des Landes aus dem Projekt S21 votiert haben? Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass die Abstimmung für die Befürworter des Ausstiegs aus dem Millionengrab schlecht ausgegangen ist, jedoch muss ausdrücklich auf die extrem unterschiedliche Ausgangslage für die beiden Lager und auf das Zustandekommen dieses Ergebnisses hingewiesen werden:
Während die Stuttgart 21-Anhänger stets massive Unterstützung von den Medien und finanzkräftigen Unternehmerverbänden, aber auch Körperschaften wie IHK, Verband Region Stuttgart und andere, also durch Steuergelder und Zwangsmitgliedsbeiträge finanzierte Institutionen, mit teuren Anzeigenkampagnen das Wahlvolk mit Versprechen über angeblich bessere Verkehrsanbindungen und Falschaussagen über die Kosten des Projekts wie auch über eventuelle Ausstiegskosten erfahren haben, mussten die Gegner des Projekts ihre Werbemittel aus Eigenmitteln bestreiten. Allein der Verband Region Stuttgart hat über mehrere Tage sämtliche Zeitungen, Anzeigenblätter, Amts- und Mitteilungsblätter der Region mit Großanzeigen übersät, bezahlt durch die Umlagen der Mitglieder und damit durch deren Steuereinnahmen.
Wenn mit millionenschwerer Propaganda und Drohungen dem Volk das Votum eingeredet wird, ohne dass auf die unwiderlegten Argumente eingegangen wird, muss ernsthaft gefragt werden, wie es um unsere Demokratie bestellt ist.“
Karl-Heinz Bollmann aus Offenbach:
Egal ob es um Stuttgart 21, Fraport oder um politische Wahlen im Grundsätzlichen geht – der jeweils sich aktiv beteiligende Teil der Bevölkerung repräsentiert bei omnipräsenten Abstimmungsbeteiligungsraten von 50 Prozent (und oft weit weniger) nicht die Meinung des gesamten Volkes. Die Frage stellt sich da irgendwie immer, ob es Sinn macht, als Bürger an der politischen und/oder infrastrukturellen Gestaltung eines Landes mitzuwirken, wenn der Volksmasse scheinbar irgendwie doch alles sch…egal ist.“
betr. Leserbrief von Paul Woods, Neumagen-Dhron
zur Rehabilitation der Badener: die Stuttgarter mögen sich gegen das Gesetz zum Ausstieg entschieden haben; Karlsruhe (Stadt)war jedoch mit 53,6% dafür (Mannheim mit 57,2 und Freiburg mit 66,5%)
Manfred Lipprandt, Stutensee
Aus demokratischer Sicht finde ich die Abstimmungsbeteiligung von 50% bei Stuttgart 21 bewundernswert hoch und die Ablehnung eines eigentlich nur für Verkehrsinfrastruktur-Fachleute interessanten und verständlichen Projekts durch 40% der Stimmen hoch erfreulich. Es zeigt allerdings auch, dass die Eisenbahn Planung in Stuttgart nicht an mangelnder Transparenz und zu wenig demokratischer Beteiligung im Vorfeld krankte, wie immer wieder zu hören war. Sondern was uns heute teuer zur stehen kommt und für eine künftige Verkehrs- und Energiewende noch teurer kommen wird, ist das Fehlen von Institutionen, welche die Güter des Gemeinwohls verwalten. „Die Bahn“, deren Aufgabe es wäre, Grundversorgung im Bereich Verkehr zu sichern, diese Bahn gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch ihre Kinder, DB Schenker mit LWKs auf Autobahnen unterwegs, DB Immobilien zur Vermarktung innerstädtischer Immobilien und die DB Projektbau als Tunnelbaufirma. Von ihrem Auftrag, den öffentlichen Verkehr in Deutschland sicherzustellen, hat sich die Bahn flächendeckend in ganz Deutschland verabschiedet, zu meinem Leidwesen hier in München auf der berühmten Magistrale Paris — Budapest; andere Leserbriefschreiber beklagen das für ihre Regionen. Weggebrochen ist damit auch das ganze fachliche Know how. „Die Bahn“ ist uns in den letzten zwei Jahrzehnten unbemerkt abhanden gekommen und wurde ersetzt durch mafiöse Strukturen zwischen Politik und Kapital. Merke: Der Balkan beginnt nicht hinter Wien, der Balkan beginnt unter der Perücke von Otto Wiesheu.
Mit dem Begriff der Almende sind wir gerade dabei, das Rad neu zu erfinden.
Ich bin ziemlich froh über das Ergebnis, da es eindeutig ist. Mir ist der Streit um Stuttgart 21 irgendwann so auf den Nerv gegangen, dass ich selbst überhaupt keine Lust mehr hatte zur Wahl zu gehen. Ich war immer eine Befürworterin direkter Demokratie bis ich diese Volksabstimmung miterlebt habe. Die Wahlkämpfe, die es bei normalen Wahlen gibt, reichen mir völlig. Ständig wurde man anlässlich der Volksabstimmung mit Wahlwerbung zugemüllt. Dafür wurde vermutlich ein halber Wald abgeholzt. Viele Menschen in Ba-Wü hatten einfach die Nase voll von dem Streit und dachten sich. Egal, was rauskommt-Hauptsache, der Zirkus hat ein Ende und das Gleisvotfeld ist bis dahin nicht von alleine eingestürzt, weil es so baufällig ist.
Als Befürworterin hätte man streng genommen gar nicht zur Wahl gehen müssen, da ja die Gegner das Quorum erreichen mussten- und das ist unabhängig von der Wahlbeteiligung. Warum aber dennoch so viele S21-Befürworter sich zum Wählen aufrafften, war folgender Punkt: Die Gegner spekulierten darauf, die einfache Mehrheit zu erreichen, insbesondere in Stuttgart. Denn dann hätten diese sich auch bei Nichtereichen des Quorums damit gebrüstet, den Mehrheitswillen zu verkörpern und das ganze Theater wäre wieder von vorne losgegangen. Was für ein Albtraum!. Wer das vermeiden wollte, ist zur Wahl gegangen.
Der ganze Streit war auch ein Beispiel dafür, wie Leute zahlenmäßig überschätzt werden, nur weil sie laut auftreten. Die Gegner waren zumindest seit der Schlichtung in der Minderheit, haben für sich aber in Anspruch genommen, den Mehrheitswillen zu verkörpern. Bevor man mit „Wir sind das Volk“-Rufen auftritt, sollte man in Zukunft vielleicht erst mal durchzählen (das gilt auch für die Journalisten)
Es ist nicht einfach für Gegner des Projektes einzusehen, dass es eben auch gute Gründe DAFÜR gibt. Es gibt hier keinen objektiv richtigen oder falschen Standpunkt, auch wenn das mache suggerieren. Es galt abzuwägen- das hat die Schlichtung gezeigt. Die Frage, was das Projekt kostet, war dabei ein Punkt unter vielen.
Zur Ergänzung: Jedem ist klar, dass der Bahnhof teuerer werden wird als veranschlagt. Das ist bei Großprojekten immer so. Die Frage ist, ob einem das die Sache wert ist. Ich sehe bei dem Bahnhof den absolut positiven Effekt für die Stadt Stuttgart- auf lange Sicht gesehen, weil einfach die hässlichen Gleise verschwinden. Es gibt dümmere Möglichkeiten Steuergelder einzusetzen. Hier steht am Ende wenigstens ein schöner Bahnhof. Das ist in meinen Augen mehr als bei der Bankenrettung oder dem Griechenland-Rettungsschirm.
Die Stuttgart 21 Gegner müssen persöhnlich nicht ihre Meinung ändern , aber das Wahlergebnis akzeptieren. Ich sehe mit dem Abstand eines nicht dierekt betroffenen das Ganze als erstes für einen Sieg der dierekten Demokratie.Ähnlich übrigens wie die Abstimmung in Bayern über das Thema Rauchverbot. Diese Abstimmung hat befriedende Wirkung in ganz Deutschland gehabt. Solche Möglichkeiten sollte es auch auf Bundesebene geben.
David arbeitet ehrenamtlich in seiner Freizeit und mit seinem ehrlichen Verständnis von Demokratie überzeugt er seine Mitmenschen.
Goliath arbeitet beruflich gegen Geld und setzt alle Institutionen und Strukturen ein, um einzig und allein seinen Vorteil und seine Interessen durchzusetzen, und er sagt: „ Wenn ich das Volk nicht von mir überzeugen kann, dann muss ich es verwirren“ – (Zitat frei nach US Präsident S. Truman).
David und Goliath haben – wie wir klar sehen können – die gleichen Möglichkeiten ……. und so kommen wir zum Ergebnis der Volksabstimmung über die Finanzierungsbeteiligung des Landes am Milliardenprojekt Stuttgart 21.
Und die Moral: „ Ein vergoldetes Stück Blech bleibt immer ein Blech. Auch, wenn Scharlatane behaupten es handele sich um Gold und das Volk glaubt ihnen.“ Zitat nach W. Sittler. Oben bleiben – jetzt erst recht.
Ach, ich bitte Sie. Die Gegner haben jede nur erdenkliche Möglichkeit genutzt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Sie haben sich mit Buttons dekoriert, Schilder ins Fenster gehängt und ihre Autos beklebt, sie haben den Stuttgarter Schlossgarten besetzt, ständig demonstriert, waren im Web präsent und bei den Schlichtungsgesprächen sowie in Talk-Sendungen, sie haben Broschüren gedruckt und verteilt, Info-Stände aufgebaut, den Asphalt mit Parolen beschrieben. Einige prominente Stuttgarter haben die Protestbewegung stark unterstützt und sogar angeführt. In der Landeshauptstadt waren die Bahnhofsgegner im öffentlichen Erscheinungsbild wesentlich(!) präsenter. Und trotzdem haben sie dort verloren.
Ich bin es einfach leid. Jeder, der wollte hatte genügend Möglichkeiten, sich sachlich zu informieren. Es gab ausführliche Schlichtungsgespräche, die von Bürgern beider Seiten verfolgt wurden. Die These, dass die armen Gegner deshalb verloren haben, weil sie ja so benachteiligt waren, ist eine Verschwörungstheorie von Leuten, die nicht akzeptieren können, dass andere einen anderen Stanpunkt vertreten- und zwar aus freiem Willen.
Lügen und Betrug können nicht dadurch legitimiert werden, dass zu viele Menschen darauf hereinfallen. Eine sachliche Willensbildung des Volkes wurde gleichermaßen von Politik (Amtsblätter, OB-Briefe) und Medien, die Gegnern und Befürwortern von „S21“ ungleiche Chancen boten, verhindert. Dass jetzt viele in triumphaler Ignoranz zu den widerlegten Mythen und Lügen über das Projekt zurückkehren, offenbart genau dies.
Das Scheitern des Kündigungsgesetzes bedeutet nicht, dass von der inhaltlichen Kritik an Stuttgart 21 und dessen Zustandekommen irgendetwas zurückzunehmen wäre. Insbesondere die fehlende Legitimität dieses Projekts aufgrund der Überrumpelung und Ausschaltung der Bevölkerung als Souverän der politischen Entscheidung über S21 durch die Verwaltungs- und Bahnchefs seit 1994 ist sein bleibender wunder Punkt. Darüber hinaus wurde jedoch auch das Landesparlament von der Bahn über die wahren Kosten des Projekts getäuscht und somit als die Instanz ausgeschaltet, die es mit besserem Wissen hätte beerdigen müssen.
Es ist nun volle Kosten- und Faktentransparenz durch die Bahn zu fordern. Die Volksabstimmung wurde mit der Aussage gewonnen, dass das Land nicht mehr als den Landesanteil bezahlen wird. Klare Regeln bei zukünftigen Volksabstimmungen und veränderte Bedingungen der direkten Demokratie sind anzumahnen.
@8 Uwe Bauer
Niemand zwingt Sie Ihre Kritik an S21 zurückzunehmen. Sie können den Bahnhof so lange kritisieren, wie es Ihnen beliebt- sofern Sie nicht dazu übergehen die Reifen der Baufahrzeuge abzustechen. Es zeugt aber schon von Arroganz zu meinen, Ihre Ansicht sei die einzig richtige und alle, die Ihren Standpunkt nicht teilen, seien verblendet und manipuliert. Eine Haltung, die ich leider zu oft bei den S21-Gegnern angetroffen habe. Viele Menschen haben die Schlichtungsgespräche über weite Strecken verfolgt und sind zu einem anderen Ergebnis gekommen als Sie. Respektieren Sie das bitte. Weiter werde ich nichts mehr dazu sagen. Ich bin des Themas überdrüssig.
Hallo Bronski:
Meines Erachtens hätte es in Ihrer Anmoderation heißen müssen:
Die Kritiker des Projekts konnten sich durchsetzen.
Weil sie aber meines Erachtens die besseren Argumente auf ihrer Seite hatten, ist das für mich eine schlechte Nachricht.
Auch das Lamentieren über die angeblich geringe Wahlbeteiligung finde ich überflüssig.
Ich nehme an, die Nichtwähler haben sich überwiegend in 2 Gruppen von Wahlberechtigten aufgeteilt:
– die tatsächlich nicht wussten, welche Entscheidung
richtig ist (manchmal ist da ein Nicht-Votum nicht
das schlechteste)
– denen es einfach wirklich egal war, ob nun S21 gebaut
wird oder nicht (dann ist da ein Nicht-Votum allemal
das beste).
Im Übrigen bin ich GANZ PERSÖNLICH der Ansicht, dass das Thema S21 über alle Maßen aufgebauscht wurde.
Das Projekt namens „Stuttgart 21“ durchlief in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach wiederholt die durch nicht erhobenen Einspruch eines jeden mündigen Baden-Württembergers hoheitlich vollzogenen gesellschaftlichen Prozesse der Zustimmung oder Abweisung (Pohlmann, J, Frankfurt/Main, 2007: 170, in: Europäische Hochschulschriften). Eine zwar redundante, aber makellos demokratisch vom Einzelnen ausgeübte Gewalt gibt es wohl sonst kaum in der Bundesrepublik. Es kann daher allein Ausdruck äußerster regierungsamtlicher Verstiegenheit sein, als die grün-rote Koalition dem Landtag das Kündigungsgesetz vorlegte, die Parlamentarier prompt dankend abwinkten und im Effekt die wahlberechtigten Bürger gezwungen waren, ihr bisher stets legitim und aus freien Stücken schweigend abgegebenes Votum in dieser Frage nunmehr ausdrücklich anhand des Ankreuzens eines Stimmzettels erklären mussten. Angesichts dessen von einer „Übung in direkter Demokratie“ zu schreiben, verkennt deshalb vorsätzlich blind die wahre Lage der Dinge.
Wie kann man sich denn einerseits darüber freuen über die Anfänge von direkter Demokratie in Deutschland und andererseits eine schlechte Nachricht sehen in dem Ergebnis der Volksabstimmung? Gut wäre es gewesen, wenn der Autor als Verfechter der unterlegenen Partei seinen Respekt der anderen Partei mehr betont hätte.
DAS ist m.E. Grundbaustein der direkten Demokratie: die eigene Meinung mit einem gesunden Mass an Selbstdistanz zu betrachten. Und daran mangelt es uns in Europa immer mehr. Ueber die ideologischen Gräben hinaus die Demokratie hochhalten!
Ich hätte mich auch über einen Sieg von S21 gefreut, zumindest in der Sache, schon aus einem grünen Herzen heraus. Andererseits aus der Sicht der „Balance of Power“ freue ich mich, dass die überwiegende Medienhoheit einmal geschlagen wurde. Wenn es um das Ausbalancieren von Macht geht, können wir viel von der Schweiz lernen. Grün ist gut. Solange auch noch Platz für die anderen bleibt.
Wir leben von Pluralismus. Das droht in der deutschen „Wenn-schon-dann-schon“-Geschichte und -mentalität schnell vergessen zu gehen.
zu @ 11 Altwürtenberger
Ich habe es einen Sieg der dierekten Demokratie genannt. Ihre Argumentation veranlast mich nicht das anders zu sehen. Sie gehen davon aus das jemand der eine bestimmte Partei wählt mit allem einverstanden sit was sie tut. Ich gehe davon aus das immer mehr leute bevor sie gar nicht mehr zur Wahl gehen zuerst einmal das kleinere Übel wählen. Eigentlich hatte ich gedacht das dieses Denken das Parteien wenn sie eine Mehrheit organisiert haben einen Freibrief haben seit der letzten Wahl in Baden Würtenberg wiederlegt sein sollte. Beim Thema Atom haben schwarz/gelb auch gedacht sie hätten einen Freibrief durch das Wahlergebnis der Bundestagswahl. Wenn sich eine Möglichkeit ergibt für die Bürger konkret zu einem Thema abzustimmen ist das immer der pauschalen Ermächtigung durch Wahlen von Parteien vorzuziehen. Es ging in Deutschland sicher einiges besser wenn die Politiker immer mit dieser Möglichkeit rechnen müssten. Schon alleine diese Tatsache würde der Lobbyarbeit Grenzen setzten. Aber es gibt natürlich Leute die wollen das gar nicht.
Einige fordern jetzt in demokratievergessener Verkennung unserer pluralistischen, freiheitlichen Gesellschaft, dass Befürworter des Ausstiegs aus „Stuttgart 21“ auf einmal glauben, das Projekt sei besser als die Alternative „Kopfbahnhof 21“, oder dass alle in diesem Streit auf eine parteineutrale Linie einschwenken sollen. Andere fordern unter Berufung auf demokratische Tugenden „nur“, dass alle das Ergebnis der Volksabstimmung „als gültig zustande gekommen und verbindlich“ akzeptieren. Aber ist dies für den Abstimmungsgang vom 27.11. wirklich legitim? Die Landesregierung hat ihr Versprechen, bestimmte Rahmenbedingungen für das Referendum zu schaffen, doch auf ganzer Linie gebrochen (www.parkschuetzer.de/statements/111499). So gab es weder den vereinbarten objektiven Stresstest, vielmehr wurde er bewiesenermaßen durch unrealistische Prämissen unverantwortlich gefälscht. Noch wurde die beschworene Kostentransparenz geschaffen, vielmehr log man die Ausstiegskosten durch das Ansetzen nicht zulässiger Posten in aberwitzige Höhen und beschönigte die Projektkosten wider besseres Wissen.
Und dann liess die Landesregierung, statt die falschen Kosten und Leistungszahlen öffentlich richtigzustellen, es auch noch zu, daß öffentliche Körperschaften, Kommunen und Regionalverbände landesweit mit diesen falschen Zahlen die Entscheidungsfindung der Bürger manipulierten. Hierfür wurden in großem Umfang sogar Steuergelder mißbraucht! Solche Mißachtung des staatlichen Neutralitäts- und Objektivitätsgebots im Vorfeld der Abstimmung verletzt demokratische Mindeststandards, solche Indoktrination von oben verhöhnt den Verfassungsgrundsatz, daß alle Willensbildung vom Volk ausgeht.
Würde diese unseriöse staatliche Einmischung widerspruchslos hingenommen, könnte künftig jede öffentliche Meinungsbildung und jegliche Abstimmung zur Spielwiese ministerieller Demagogen und gelenkter staatlicher Meinungsmache verkommen, könnte jegliches Plebiszit ins genaue Gegenteil seiner Bestimmung pervertiert werden.
zu @ Bodo Bücher
Ich bin im Thema sicher nicht so drin wie Sie. Aber selbst wenn all das was Sie schreiben richtig ist, ist der alte Zustand so etwas in allgemeinen Wahlen zu genemigen sicher die noch schlechtere Alternative.Kein Mensch erwartet das die Stuttgart 21 Gegner, als jeweilige Einzelperson ,ihre Meinung ändert. Es wird aber nicht zu einer zweiten Abstimmung kommen. Außerdem ist es wohl leider normal das bestimmte Lobbygruppen auch mit Mitteln die nicht in Ordnung sind versuchen das Ergebnis zu beeinflussen. Das ist mir aber lieber bei so einer Abstimmung als in Hinterzimmern von Abgeordneten.