Wem hat das Zeitalter der Globalisierung eigentlich Vorteile verschafft? Ich habe gerade einen kritischen Artikel über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in Deutschland aus dem Jahr 2007 entdeckt! „Unternehmen Leben“ heißt der Beitrag und gibt einen Hinweis darauf, dass es darum geht, dass die Arbeitgeber sich sukzessive der Fürsorgepflicht (was für ein altmodisches Wort!) für ihre Arbeiter und Angestellten abgeben. Skandale wie etwa die Rana-Plaza-Tragödie in Bangladesch, wo ein ganzes Hochhaus mit Textilfabriken am 24. April 2013 kollabierte und Hunderte von Arbeiter und Arbeiterinnen verstümmelte und tötete, sprechen dafür, dass es auch außerhalb unseres Lebensbereiches um die Arbeitsbedingungen nicht rosig bestellt ist.
Der US-Ökonom und Berater der Bundesregierung in Wirtschaftsfragen, Jeremy Rifkin, ist einer der sich einen ökonomischen Wandel herbeisehnt. Im FR-Interview „Kein Profit? Das wäre perfekt!“ in der ersten Gerechtigkeitsbeilage der Frankfurter Rundschau vom 6. September kritisiert er die Sturheit von Energie-Konzernen EnBW, Vattenfall und Eon, sich dem Wandel auf dem Energiesektor nicht anzupassen:
„Die Unternehmen sind heute in einer ähnlichen Lage, wie vor zehn Jahren die behäbigen, vertikal organisierten Musikkonzerne. Damals haben ein paar Kids mit ihrer Sharing-Software die Musikriesen ins Wanken gebracht. Nur noch sieben Prozent der erneuerbaren Energien werden heute von diesen vier Großkonzernen zur Verfügung gestellt. Der Rest wird durch Kooperativen verwaltet.“
In seinem jüngst im Deutschen erschienenen Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ vertritt Rifkin nämlich die These, dass sich angesichts nahezu kostenfrei möglicher weltweiter Vernetzung, Kommunikation sowie Datenerfassung und -austauschs die Zusatzkosten für Produkte (so genannte Grenzkosten) gegen Null entwickeln würden. Er ist der Meinungg, dass durch die Entwicklung hin zu einer neuen Wirtschaftsordnung namens collaborative commons („Kollaborative Güter“, sinngemäß etwa Gemeinsames Wirtschaften) die Voraussetzungen für eine „dritte industrielle Revolution“ geschaffen seien.
Die alten Energie-Riesen jedoch könnten mit den neuen Energien gar nicht umgehen, sie könnten nur von Millionen kleiner Teilnehmer gemanagt werden, die im Energieinternet zusammen kommen, um die Energie, die sie selbst produzieren, miteinander zu teilen.“ Der Wirtschaftsexperte prophezeit: „Die einzige Chance der Konzerne, zu überleben, wird es sein, das Energie-Internet zu betreiben, anstatt das Geld mit der Energieerzeugung zu verdienen.“ Sie würden die Rolle von Energie-Managern übernehmen müssen, nicht die der Erzeuger.
Sehr kritisch sieht Rifkin den Wandel in den USA. Der US-Präsident Barack Obama versage bei den Reformen und der Umstellung der Ökonomie auf neue Bedürfnisse: „Es gibt Regionen, wo wir großen Fortschritt sehen – der Nordwesten, Kalifornien, Zentraltexas rund um Austin und San Antonio. Der Rest des Landes lebt hinter dem Mond“, sagt Rifkin, dessen Rat auch in Peking und bei den Vereinten Nationen oft gefragt ist.
Über seine Heimat sagt er weiter:
„Ich sehe ehrlich gesagt in den USA ein Land, das müde ist und das beginnt zu verstehen, dass seine großen Zeiten vorbei sind. Man kann es riechen, wenn man hier durch die Straßen geht. Es stinkt nach Verfall. Unser Schulsystem bricht zusammen, unsere Infrastruktur bröckelt, die Mitte des Landes und große Teile des Westens sind Trümmerhaufen. Ich weiß nicht, ob dieses Land sich erholen kann.“
FR-Leser Klaus Philipp Mertens sieht dagegen die Möglichkeit einer weiteren industriellen Revolution, jedenfalls einer, von der eine Mehrheit der Menschen etwas hätte, deutlich kritischer.
Klaus Philip Mertens aus Frankfurt schreibt:
Jeremy Rifkin liefert für seine Thesen über einen sich zwangsläufig einstellenden Übergang vom Kapitalismus zu Formen einer durch das Internet vorangetriebenen und geprägten solidarischen Beteiligungswirtschaft keine validen Beweise. Er deutet die typischen Elemente des Kapitalismus (Akkumulation, Privateigentum an den Produktionsmitteln, Gewinnstreben) lediglich positiv um. Er prognostiziert Entwicklungen anhand geglaubter Indizien, die aus seiner Sicht wünschenswert sind, statt das, was tatsächlich der Fall ist, stringent zu Ende zu denken.
So ist der Rückgang der Produktionskosten in einer Gesellschaft, die wesentlich von Massenproduktion und Massenprodukten bestimmt wird, kein Anzeichen für eine bevorstehende Änderung der herrschenden Wachstumsideologie. Die Senkung der Grenzkosten im gesamten Produktionsprozess (Arbeit, Rohstoffe, Distribution) führt nicht zu einem Verzicht auf Preise, gar auf den Handel mit Gütern, sondern lediglich zur Angleichung der Preise an die Massenkaufkraft; die Erlöse für eine Ware werden auf unendlich viele (häufig durch Marketingstrategien beeinflusste) Nachfrager verteilt. Die Akkumulation des Kapitals erledigt sich dadurch nicht.
Zudem bleibt der gesellschaftliche Nutzen eines Produkts unberücksichtigt. Ein Beispiel dafür ist der derzeitige Trend zu Geländewagen für den normalen Straßenverkehr. Er erhöht zwar den Profit der Automobilindustrie und trägt zur Steigerung des Bruttosozialprodukts inklusive des Lohnvolumens bei, aber er verringert bereits auf mittlere Sicht die Lebensqualität der Menschen einschneidend, weil die vielfältigen Eingriffe in die Natur (Dezentralisierung, Individualverkehr, Straßenbau, Abgase etc.) nicht folgenlos bleiben. Der Luftverkehr hat hier bereits irreparable Schäden hervorgerufen.
Ebenso ist die inflationäre Nutzung der Mobiltelefone kein Beweis dafür, dass sich die Menschen mehr zu sagen hätten als früher und deswegen ihre Beziehungen eine neue Qualität erreicht hätten. Das permanente online sein per Smartphone zum Zweck des Informationsabrufs ist sogar ein Zeichen dafür, dass das Niveau des Allgemeinwissens abnimmt. Wissen, das Wissen schafft, ist bei Google und anderen nicht abrufbar, weil dort weder eine notwendige Wissensbasis noch Methoden zu ihrer Aneignung erworben werden können. Die überkommene Erziehung mit ihrem Anspruch auf Universalität kann so lange nicht geleistet werden, wie das Internet von kommerziellen Interessen bestimmt wird.
Dieses Internet, an dem Rifkins Zukunftshoffnungen hängen, hat neue Waren einschließlich der mobilen Kommunikation hervorgebracht und die industrielle Produktpalette deutlich vergrößert. Insbesondere die Informationen über den einzelnen Menschen, über seine Konsummöglichkeiten und sein Konsumverhalten, über seine gesellschaftlich-politische Orientierung und über seine Gesundheit, sind zu Waren im klassischen Sinn geworden. Eine ethische Neubewertung hat dabei nicht stattgefunden, im Gegenteil. Internetplattformen wie Google oder Facebook heizen die kommerzielle Verwertbarkeit des Menschen sogar noch in besonderer Weise an.
Selbst das persönliche Eigentum wird im Internet zusehends abgeschafft, wie man an der aktuellen Urheberrechtsdiskussion ablesen kann. Denn bei diesem Rechtsgut, das neben seinem kommerziellen Aspekt auch Persönlichkeitsrechte (Selbstbestimmung) umfasst, findet eine mittlerweile galoppierende Enteignung des Einzelnen zu Gunsten von Monopolen statt. Und bei diesen Monopolen handelt es sich keinesfalls um gemeinnützige Einrichtungen, sondern um erzkapitalistische. Und dort wo Gemeinnützigkeit plakativ angesagt ist, handelt es sich um eine bewusste Verschiebung der gesellschaftlichen Verantwortung auf private Spender und Ehrenamtliche.
Die von Rifkin angeführten Veränderungen sind durchweg systemimmanent, sie beinhalten keinerlei systemüberwindende Ansätze. Auch eine umweltschonende und nicht Monopolinteressen dienende Energieproduktion wird von Rifkin nicht detailliert untersucht. Obwohl ohne Energie eine digital vernetzte Welt nicht funktioniert.
Zwar erwähnt Rifkin in einem Nebensatz die Macht der Monopole. Aber er analysiert diese aus wirtschaftlichen Vormachtstellungen resultierenden Strukturen mit ihrem immer größeren Einfluss auf die Politik leider nicht hinreichend.
Die Schaffung einer gerechteren Welt bedarf eines Paradigmenwechsels, der einer Revolution gleichkäme. Die Menschen müssen in einem demokratischen Prozess den gesellschaftlichen Auftrag ändern. Und irgendein Land muss anfangen. Am besten das, in dem die Grenzen des Kapitalismus am deutlichsten werden und von der Bevölkerung auch subjektiv wie objektiv wahrgenommen werden können: in Deutschland.
Könnte es sein, dass Herr Rifkin von Tuten und Blasen keine Ahnung hat und einfach herausgefunden hat, dass man mit den richtigen Schlüsselworten und viel Geschwafel Geld verdienen kann.
Von Energieversorgung hat er auf jeden Fall keine Ahnung. Energie-Internet? Was soll das sein? Unser heutiges Stromnetz?
Wenn die Energieversorger gross in erneuerbare Energien investiert hätten, hätten sie heuet noch mehr Probleme. Ihre Biogas-Anlagen würden von den Grünen wegen der Maismonokulturen angegriffen. Die Solaranlagen ständen unter Beschuss wegen der Schwermetalle. Windturbinen sind ein Zuschussgeschäft. RWE, Stadtwerke München und RheinEnergie sind froh nur knapp 100 Millionen Euro in die solar-thermischen Anlagen in Spanien investiert zu haben. Die Investition musste abgeschrieben werden.
Wenn die Erneuerbaren wirklich ein Geschäft wären, hätten die Energieversorger sie längst übernommen.
zu @ Henning Flessner
Ein bisschen tun mir die Leute schon leid die meinen Strom sollte auch in diesem Jahrtausend mit Wassserkochen produziert werden. Die Preise für PV Strom werden sicher bis auf weiteres drastisch fallen
http://www.photovoltaikforum.com/magazin/forschung/bekannte-verfahren-fuer-effizientere-solarzellen-2348/
Das Rifkin mit dem Thema Erneuerbare Energie ein unpassendes Beispiel aufgegriffen hat ist auch meine Meinung. Es gibt aus meiner Sicht kein einziges Argument dafür das es möglich ist das was in der Energiewirtschaft gerade geschieht auf andere Bereiche zu übertragen. PV oder Wind haben den Vorteil das sie zu fast 0 Grenzkosten Energie bereitstellen, nur dadurch, das Sonne und Wind nichts kosten. Das gibt es sonst nur bei Dienstleistungen und nie in der Produktion von Gütern. Nichts desto trotz wird es sehr spannend sein zu sehen was passiert wenn Energie auf Dauer sehr billig wird. Ich denke unsere Enkel werden in den Geschichtsbüchern lesen das es eine Zeit gegeben hat in der man meinte das Energie gespart werden muss. So wie wir heute über Pferdekutschen denken. Der Weg dahin wird ein spannender sein und ob es dazu führt die Probleme wie Hunger zu lösen wird man sehen. Möglich ist es.
Die grundsätzliche „Systemkritik“, die Klaus Philip Mertens an Jeremy Rifkins Vorstellungen der „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ übt, ist sicher berechtigt. Doch auch der Verdacht von Henning Flessner, Rifkin habe in Bezug auf Energieversorgung „von Tuten und Blasen keine Ahnung“, ist nicht von der Hand zu weisen (auch wenn ich seine Einschätzung der erneuerbaren Energien so nicht teile).
Das fängt schon bei seinen Zahlenangaben an: Nur noch sieben Prozent der erneuerbaren Energien werden heute in Deutschland von den vier großen Stromkonzernen zur Verfügung gestellt, der Rest wird durch Kooperativen verwaltet, wird Rifkin von der FR zitiert. Beides trifft nicht zu: Die Konzerne RWE, Eon, Vattenfall und EnBW haben sicherlich den Einstieg in die Erneuerbaren verschlafen, nach den amtlichen Statistiken hatte aber allein RWE einen Anteil von rund 9 % an der erneuerbaren Stromerzeugung in Deutschland.
Die allermeisten Windkraftwerke oder Photovoltaik-Anlagen werden nicht von Kooperativen (deren Marktanteil mehr als überschaubar ist), sondern von privaten Investoren errichtet, die dank der auf 20 Jahre durch das EEG garantierten Einspeisevergütung für das eingesetzte Kapital eine attraktive Rendite erwirtschaften.
Wenn, wie es sich Rifkin vorstellt, die vielen Betreiber dezentraler Wind- und Solarkraftwerke den von ihnen erzeugten Strom zu Grenzkosten (die tatsächlich nahezu Null sind) mit den Verbrauchern per Internet teilen sollten, wer würde dann die Investitionen in die Anlagen finanzieren, die trotz des von hans beschworenen Fortschritts nie Null betragen werden? Wer würde die Stromnetze bauen und betreiben, wer würde für den Ausgleich der Schwankungen bei Windflaute und Wolkenhimmel durch Speicher und Reservekraftwerke sorgen?
Das gilt grundsätzlich für das „Internet der Dinge“: Zu Null-Grenzkosten lassen sich keine Kühlschränke, Waschmaschinen, Bügeleisen, Kochherde, Fernseher, Laptops, Tablets und Mobiltelefone produzieren, die nach Rifkins Vision in der Zukunft so wunderbar per Internet gesteuert oder gemeinschaftlich genutzt werden (abgesehen davon, dass ich daran stark zweifle, ob das Verschwinden des Privaten eine wünschenswerte Vision wäre). Und auch das Internet kann nicht ohne Datenleitungen, Rechenzentren und Energie existieren.
Bisher finanzieren wir Verbraucher den Internet-Unternehmen die für ihre Geschäftsmodelle benötigte Infrastruktur über unsere Rechnung der Telekom, Vodafone etc. Sollten wir das Privateigentum aufgeben und nur noch tauschen, werden wir auch nichts mehr verdienen. Wer zahlt dann?
Rifkin ist Utopist. Wenn er eine Zukunft von Null Grenzkosten prognostiziert und in anderem Zusammenhang unverblümt ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) fordert, so erscheint mir ersteres ein Gipfel an Scheinheiligkeit zu sein. Daß jedem immer alles zustehe und Motivation dazu da sei, das Nehmen zu fördern und das Geben zu lassen, wäre nur eine Variante des bereits ausgesprochenen Verdachts, daß der Mann „von Tuten und Blasen“ keine Ahnung habe. Wenn er denn nicht ein bewußt agierender Verführer und Propagandist genannt werden will. Alles also nur, um das BGE zu propagieren, das wir in Form der Hartz-Notlagenabsicherung längst haben ? Herrn Rifkin wäre nicht nur mit dem Notlagen-„BGE“ genannt Hartz zu antworten, sondern auch mit dem Hinweis, daß jeder existierende Job auch besetzt werden muß. Und dazu bedarf es des Anreizes, ein Einkommen oberhalb des Hartz-Niveaus zu erzielen. Andernfalls ginge die Gesellschaft den Bach hinunter.