Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag Thüringens, ist beurlaubter Beamter. Er hat als Oberstudienrat Sport und Geschichte im nordhessischen Bad Sooden-Allendorf unterrichtet. „Ich war ein bei Kollegen und Eltern geschätzter und bei Schülern beliebter Lehrer“, schrieb er über sich selbst auf seiner Facebook-Seite. Er habe dem Land Hessen 15 Jahre lang treu gedient. Sein Politikstil sei „volkstümlich-kämpferisch“, mehr nicht. Ob er das auch über den Stil sagen würde, in dem er seine Reden hält? Das WDR-Politmagazin „Monitor“ hat sich vor einer Weile die Mühe gemacht, Reden von Höcke mit Reden aus einer Zeit zu vergleichen, von der wir alle gehofft haben, dass sie für immer hinter uns liegen möge: mit Reden von Josef Goebbels. Ich verlinke hier das betreffende „Monitor“-Video.
Die Rechtsextremen sind unter uns, und sie schwingen wieder große Reden, so wie einst. Und noch immer kennen sie sich gut in der Rassenlehre aus. Jenem geschätzten Oberstudienrat muss man immerhin zugute halten, dass er kein Biologielehrer ist. Was er im November auf einem Kongress über den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ sagte, der in der Reproduktion nach der „r-Strategie“ verfahre wie etwa Blattläuse oder Mäuse, ist nicht weniger hanebüchen wie der Arier-Humbug der Nazis. Und zwar nicht nur deswegen, weil Mäuse keineswegs nach der r-Strategie verfahren, denn sie betreiben Brutpflege. Kurz gesagt: Es gibt in der Natur Fortpflanzungsstrategien, die auf die Produktion vieler Nachkommen angelegt sind, damit wenigstens einige überleben (r-Strategie), während Lebewesen, die nach der K-Strategie verfahren (Höcke nennt dies „Platzhalterstrategie“) nur wenige Nachkommen haben, deren Überlebenschancen unter anderem deswegen höher sind, weil sich die Elterntiere um ihre Nachkommen kümmern. Das lebensbejahende „Schnackseln“ — man denke an Gloria von Thurn und Taxis — jener, die zum „afrikanischen Ausbreitungstyp“ gehören, führt also zu einer Situation der zahlenmäßigen Erdrückung. Da kann der unterlegene Deutsche nicht mithalten. Mit anderen Worten: Es droht Gefahr! So wie einst durch das internationale Judentum.
Nun darf Björn Höcke einen solchen Unsinn natürlich glauben. Er darf so was sogar laut sagen. Aber darf er trotz dieser offensichtlichen Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut jemals wieder vor einer Klasse stehen und junge Leute unterrichten, ausbilden, erziehen? Denn auch wenn es derzeit nicht so aussieht, könnte es ja sein, dass die AfD nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Björn Höcke hätte wohl Anspruch darauf, in seinen alten Job zurückzukehren. Oder soll auf ihn ein Strafmuster angewendet werden, das vor vierzig Jahren gang und gäbe war — ein neuer Radikalenerlass?
Wandzeitung der CDU aus den
Siebzigerjahren.
Quelle:
Konrad-Adenauer-Stiftung
Der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) will das nicht. „Sollte Herr Höcke nach seiner Tätigkeit im Thüringer Landtag wieder in den hessischen Schuldienst zurückkehren wollen, werde ich unter Beachtung bzw. Einhaltung aller rechtlichen Voraussetzungen und im Rahmen meiner Möglichkeiten alles dafür tun, dass Herr Höcke nicht mehr Unterricht an einer unserer Schulen erteilt“, sagte Lorz der FR. Dagegen gibt es Einwände, aber auch Zustimmung — aber natürlich nicht von Björn Höcke, der gen Wiesbaden „wetterte“, wie die FR das bezeichnete.
Ein Radikalenerlass kann in einer Demokratie wohl kaum das Mittel der Wahl sein, auch nicht gegen Rechtsextreme. Was in den Siebzigerjahren falsch war, ist heute nicht richtiger. So etwas riecht nach Verdrängung. Aber andererseits ist es richtig, dass Deutschland traditionell auf dem rechten Auge blind ist. Das ist belegt durch die Kontinuität, mit der Nazis in der frühen Bundesrepublik zu Rang und Namen kamen. Derselbe Verdacht drängt sich in neuester Zeit am Beispiel des NSU auf, dem gegenüber der Verfassungsschutz mit geradezu atemberaubender Blindheit geschlagen war.
Es muss also etwas geschehen. Die Zivilgesellschaft wird gefordert sein, falls Höcke wirklich einmal in den Schuldienst zurückkehren sollte — was ein ganz und gar unerträglicher Gedanke ist. So bald allerdings, fürchte ich, wird sich dieses Problem nicht stellen, wenn ich mir den aktuellen Höhenflug der AfD in den Umfragen ansehe. Dazu kann man nur sagen: Leute — wehret den Anfängen!
Manfred Kirsch aus Neuwied meint:
„Der alte Radikalenerlass, in dessen Folge es in der alten Bundesrepublik zu Berufsverboten für Briefträger, Lokomotivführer, Polizisten und Lehrer kam, war in der Tat in erster Linie gegen Linke gerichtet. Das ging damals so weit, dass auch Jusos, deren politische Positionierung in den Siebzigerjahren eindeutig links war, mit Berufsverbot belegt wurden. Wenn heute Rechte über die Tatsache lamentieren, dass der rechtsnationale geistige Brandstifter Björn Höcke aus dem Schuldienst ferngehalten werden soll, ist dem entgegenzuhalten, dass es dem antifaschistischen Charakter des Grundgesetzes entspricht, wenn Zeitgenossen wie Höcke nicht in die Lage versetzt werden, ihr übles braunes Gift an Schüler weiterzugeben. Es ist eine Gefahr für die Demokratie der zweiten Republik, wenn Höcke und auch andere (ein Fall ist auch aus Rheinland-Pfalz bekannt) junge Menschen erziehen würden. Daher ist es ein Akt des Selbstschutzes der Demokratie, wenn Höcke und seine Gesinnungsgenossen vom Schuldienst ferngehalten werden. Ja, ich bin für Berufsverbote für radikale Rechte.“
Michael W. Rimkus aus Bad Hersfeld:
„Och nö, das geht aber doch gar nicht: Jetzt will doch der böse, böse hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) dem lieben Bernd, pardon Björn Höcke, sein eventuelles Revival in den hessischen Schulunterricht verweigern. Ja, gibt’s denn das? Darf denn „ein bei Kollegen und Eltern geschätzter und bei Schülern beliebter Lehrer“ (hier ist gegebenenfalls der Wunsch Vater des Gedankens) und ein das 1000-jährige Deutsche Reich mit Verve verteidigender Streiter so für seinen Einsatz für das von bösen Mächten bedrängte Abendland behandelt werden? Ein mit profundem Wissen der Ethnologie ausgestatteter Aufklärer, der dem nach seiner Ansicht wohl halbdebilem Rest der Mitbürger mit dem kruden Sexualverhalten des permanent kopulierenden Negers ( wer hat Angst vorm schwarzen Mann, der ja den früher vor der Tür stehenden Russen mittlerweile abgelöst hat) droht und den in dieser Hinsicht eher verhaltenden, gutbürgerlichen Europäer (hier vor allem die deutschen Landsleute und blonden Frauen) davor schützen will?
Einen „Gutmensch“ also in reinster Form! Einem Anführer, der trotz ständigen medialen Gegenwin-des der „Lügenpresse“ selbst im Fernsehen per Deutschlandfahne regelrecht „Flagge zeigt“ (wobei der Jauch’sche TV- Auftritt wohl eher als Slapstick taugt). So einem verdienten „Pädagogen“ will man also allen Ernstes die Rückkehr in den Schuldienst verweigern?
Jetzt aber Spaß bei Seite: Ja, und hoffentlich auf Dauer! Wer wie Höcke, dem als Oberstudienrat eine gewisse Grundintelligenz unterstellt werden muss, auf perfide Art und Weise gegen alles, was seinem Deutschlandbild und seiner rückwärtsgewandten Ideologie entgegensteht auf erbärmlichste Art und Weise bekämpft, hat im Schuldienst nichts, aber auch gar nichts zu suchen! Das gilt im übrigen, um Missverständnissen vorzubeugen, für alle, die radikale Thesen und Weltanschauungen vertreten. Egal, ob nun von links oder rechts!
Wer gewählte Volksvertreter, ob diese Höcke nun passen oder nicht , als „Idioten, die Deutschland regieren“ und dessen Kanzlerin (der ich politisch nicht nahestehe) „mit der Zwangsjacke abzuholen sei“, disqualifiziert sich selbst. Man kann nur hoffen, dass nachkommende Schüler, egal an welcher Schule und in welchem Bundesland, von solchen Herrenmenschen als unterrichtendem Pädagogen verschont bleiben. Und auch wenn die Hürden für eine solche Maßnahme hoch sein sollten- unter-richtsferne Verwendungsmöglichkeiten bieten sich ja laut dem Vorsitzenden des Deutschen Philolo-genverband, Hans-Peter Meidinger, ja an. Man muss diese nur suchen und wollen- allein zum Schutz unserer Jugend.“
Helmar R. Knaust aus Kassel:
„In der Einleitung des Artikels steht die Frage: Kann das hessische Kultusministerium ihm, Höcke, die Rückkehr an eine Schule verbauen? H.-P. Meininger vom Philologenverband (!) hat Zweifel ob das rechtens sei, Höcke unterliege als Parlamentarier nicht dem Mäßigungsgebot, dem ein Beamter unterliege. Er habe Bauchschmerzen, bei entsprechender Praxis könne es auch ganz andere treffen.
Höcke, dem u. a. die KZ fehlen, unterrichtete in Hessen als Oberstudienrat auch Geschichte (!). Er sagt von sich: „Ich war ein bei Kollegen und Eltern geschätzter und bei den Schülern beliebter Lehrer.“ Und der Kultusminister habe eine besondere Fürsorgepflicht den Beamten, also auch ihm, gegenüber.
Geht’s noch? Wenn Fürsorgepflicht, dann den Kindern/Jugendlichen gegenüber. Welcher Sumpf von Eltern wohnt eigentlich dort und vor allem: Wer unterrichtet dort noch, ist Direx oder sitzt in der Schulaufsicht?
Der Beamtenstatus/ das Alimentationsprinzip (= lebenslange Versorgung in allen Lebenslagen) begründet nicht nur eine Fürsorgepflicht des Dienstherrn, damit verbunden ist auch die Tatsache, dass er, der Beamte, nicht in einem üblichen Arbeitsverhältnis steht, sondern in einem „besonderen Dienst- und Treueverhältnis“ zu seinem Versorger.
In Zeiten des sog. Radikalenerlasses Anfang der Siebzigerjahre bedeutete dies ein spürbares, deutlich erkennbares, unzweifelhaftes Bekenntnis zur „Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung“ (FDGO = Grundgesetztreue) als Voraussetzung für eine Übernahme in den öff. Dienst egal ob als Beamter oder in anderer Funktion.
Ich kann mich nicht erinnern, dass damals, als Vielen wegen sogenannter „linker Gesinnung“ die Übernahme als Lehrer in ein Beschäftigungs- oder gar Beamtenverhältnis verweigert wurde z. B. der Philologenverband Bedenken gegen diese Vorgehensweise erhoben hätte.
Im Übrigen fand die Verbeamtung der Lehrer ihre Begründung darin, das sie eine Erziehung der Heranwachsenden ohne Gefährdung der regierenden Herrschaftlichkeiten garantieren sollten. Wenn heute die Interpretation des Beamtenverhältnisses einer Entsorgung von „Lehrern“ wie Höcke aus dem Dienstverhältnis entgegenstehen sollte, wäre dies in meinen Augen ein Grund mehr darüber nachzudenken, ob und wenn ja in welchen Bereichen noch eine Verbeamtung sinnvoll und notwendig ist.“
Edmund Dörrhöfer aus Flörsheim:
„Höcke unterrichtete in Bad Sooden-Allendorf Sport und Geschichte. Es wäre vielleicht einer Recherche wert zu ermitteln, wie viele der bekannten Rechtsradikalen in Bad Sooden-Allendorf und Umgebung einmal von Höcke unterrichtet wurden.“
Ist Björn Höcke ein Radikaler? Oder ist er Anhänger einer von Rassismus und Terror geprägten Weltanschauung, in deren Verantwortung die 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs fallen, insbesondere die 6 Millionen ermordeten Juden?
Rudi Dutschke, für wenige Jahre Vordenker des „Sozialistischen Deutschen Studentenbunds“ und der antidogmatischen Linken, war sicherlich ein Radikaler, der seine humanistischen Ideen ohne Wenn und Aber formulierte. Aber er war keiner, der Menschen entrechtet, verfolgt oder ermordet hat. Und solches auch niemals theoretisch in Erwägung zog.
Höcke hingegen teilt die Menschheit auf in erhaltenswerte und nichtschützenswerte Ethnien. Das ist radikal im Sinn von rücksichtslos. Rücksichtslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit sind typische Eigenschaften verbrecherischen Handelns. Und exakt entlang dieser Linie sollten die Maßstäbe verlaufen, wenn man sich mit ihm politisch auseinandersetzt oder nach denen ihn man behandeln sollte, falls er in den Schuldienst zurückkehren will.
Der Radikalenerlass von 1972 war der Versuch von CDU und SPD, politisch Unbequeme, und das waren fast ausnahmslos Linke, mundtot zu machen, indem man danach trachtete, sie ihrer materiellen Existenz zu berauben. Er hat beim kritischen Teil der Generation der heute 60- bis 75-jährigen das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat nachhaltig erschüttert. Allein deswegen wäre ein wie immer auch gearteter neuer Radikalenerlass eines demokratischen Staats unwürdig.
Bernd Höcke, der die schwarz-rot-goldene Fahne liebt (für Heinrich Heine zählte sie zum „altgermanischen Plunder“ und symbolisierte u.a. Antisemitismus!), aber kein Menschenfreund ist, sollte Faschist genannt werden dürfen. Ebenso wie Alexander Gauland, ehemals Leiter der Hessischen Staatskanzlei, den man der eidlichen Falschaussage bezichtigen darf (Affäre Wirtz 1989, literarisch verarbeitet von Martin Walser in dem Roman „Finks Krieg“). Oder wie Frauke Petry, deren Physiognomie jedesmal ins Satanische entgleitet, wenn man ihre Argumentation als Sammlung von Falsch- und Vorurteilen entlarvt. Sie alle sind Vertreter einer neuen Variante menschlicher Destruktivität, die mit jener des Hitler-Faschismus weitestgehend kongruent ist.
Dem Kommentar von Klaus Philipp Mertens ist uneingeschränkt zuzustimmen. Er hat mir aus der Seele gesprochen und das ausgedrückt, was zu diesem Thema zu sagen ist. Dem muss nichts hinzugefügt werden.
auch meinerseits volle zustimmung.
Dass ein Björn Höcke nach dem, was man von ihm weiß, nicht mehr auf Schüler losgelassen werden darf, darauf wird man sich wohl schnell einigen können. Das reicht aber nicht. Es bedarf auch einer Analyse der Situation damals und heute. Das vermisse ich auch bei Klaus Philipp Mertens. Und ich meine auch, lieber Bronski, dass Du mit der Fragestellung „Radikalenerlass für Björn Höcke?“ die falsche Richtung vorgibst. Denn schon der Begriff ist verschleiernd.
Zu den historischen Berufsverboten („Radikalenerlass“):
Der Begriff „Radikalenerlass“, ist selbst ein Kampfbegriff der politischen Rechten. Aufbauend auf der Totalitarismusthese, setzt er kommunistische Systeme mit faschistischen Regimen auf eine Ebene. Äquidistanz vortäuschend, hatte er ausschließlich antikommunistische Funktion. (Die wenigen Fälle von Berufsverboten gegen Rechtsradikale dienten lediglich als Feigenblatt.) Veranlassung war, dass der stramme Antikommunismus der 60er Jahre mit den 68ern zu schwinden drohte und zu Panikreaktionen staatlicher Funktionsträger führte. So absurde Fälle wie Berufsverbote für Postboten belegen, dass das mit Bekämpfung von „Radikalismus“ sehr wenig zu tun hatte. Es ging nicht nur darum, wie Herr Mertens schreibt, Linke „mundtot zu machen“, sondern darum, im kalten Krieg, der auf den Höhepunkt zustrebte, durch flächendeckendes Duckmäusertum Ausscheren aus der antikommunistischen Linie zu verhindern. Die Beamtengesetze dienten lediglich als Hebel, weil Beamte am leichtesten zu solcher Art von „Loyalität“ zu zwingen sind.
(Auf eine Analyse der Mittel, die ggf. an meinem eigenen Fall darzustellen wären, verzichte ich an dieser Stelle. Hier nur so viel, dass mir persönlich Fälle von vorauseilender Selbstzensur von Menschen aufgrund von bloßen Ängsten bekannt sind.)
Fazit: Berufsverbote nach dem Muster des „Radikalenerlasses“ sind per se antidemokratisch (so auch in der Verurteilung der BRD durch den EuGH). Sie sind kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von „Radikalismus“ – ob links oder rechts – und generell nicht vertretbar.
Zu rechtsradikalen Strategien heute:
Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation ist, wenn auch aus anderen Gründen, von ähnlichen Ängsten und Überreaktionen bestimmt. Rechtspopulistische Strategien, sich selbst zum Opfer zu stilisieren, sind hier klar erkennbar – nicht zuletzt am Verhalten Björn Höckes selbst: „Er habe dem Land Hessen 15 Jahre lang treu gedient.“ Mir kommen die Tränen! – Was passt da wohl einer AfD besser ins Konzept, als wenn Herr Höcke sich als „Opfer“ von Machenschaften der „Linken“ darstellen könnte und diese zugleich der Heuchei bezichtigt werden könnten nach dem Motto: Erst schreien sie alle, aber wenn es gegen Rechte geht, sind sie dafür.
Manfred Kirsch tappt in seinem unpräzisen und moralisierenden Leserbrief („übles braunes Gift“) auch pompt in diese Falle, wenn er folgert: „Ja, ich bin für Berufsverbote für radikale Rechte.“ –
Nein, Herr Kirsch, diese Ehre sollten wir Herrn Höcke und Konsorten nicht erweisen! Und das ist auch nicht nötig. Es geht überhaupt nicht um „radikale Rechte“, sondern darum, dass ein Rechtsstaat keine Volksverhetzung, und schon gar nicht im Beamtenstatus, zulassen kann. Das ist nämlich ein objektiv definierter Tatbestand und keine schwammige Gesinnungs-Kategorie.
# 1
Ich kann Ihrer Logik nicht ganz folgen, Herr Mertens:
Sie sind gegen einen Radikalenerlass, befürworten aber dennoch ein entsprechendes Verbot – in diesem Fall nicht gegen Linke wie es in den 70er Jahren umgesetzt wurde, sondern gegen eine rechte Gesinnung. Also diesmal Blindheit gegen Links und Verbote gegen Rechts?
Ich prophezeihe Probleme bei der rechtlichen Durchsetzbarkeit eines Berufsverbots für Björn Höcke. Dümmliches Schwenken der Deutschlandfahne, Rücksichtslosigkeit, Kaltschnäuzigkeit und Mangel an Menschenliebe sind keine juristisch relevanten Vergehen, genauso wenig wie Frauke Petrys angeblich „ins Satanische“ abgleitende Physiognomie von rechtlicher Relevanz ist. Nebenbei: Wenn die schwarz-rot-göldene Fahne tatsächlich für Antisemitismus stünde, dann müsste auch Frau Merkel, die ihre Neujahrsansprache vor dieser Fahne zu halten pflegt, aus dem Dienst entlassen werden.
Das Einzige, was als Argument gegen Herrn Höckes Einsatz im Geschichtsunterricht angeführt werden kann, ist die Annahme, er werde den Schülern ein verfälschtes Geschichtsbild vermitteln. Ob diese Annahme stichhaltig begündet werden kann durch ein nationalistsches Schwadronieren von einem tausendjährigen Reich (das ja immerhin in Form des heilige romische Reichs deutscher Nation tatsächlich existiert hat), wage ich zu bezweifeln.
Ich glaube, es bedarf stichhaltigerer Gründe als derer, die Sie in Ihrer durchaus ehenwerten Empörung vorbringen, um die hessischen Schüler in Zukunft vor Björn Höcke zu bewahren.
Ich denke, dass man der AfD und Herrn Höcke den Gefallen eines Verbotes und der dann folgenden juristischen Auseinandersetzung nicht tun sollte.
Man sollte auch die Kritikfähigkeit der jungen Menschen nicht unterschätzen.
In meiner Schulzeit Ende der sechziger Jahre wussten wir schon wo unsere Lehrer politisch standen. Da gab es den CDU-Mann B. (später im Bundestag), dem wir sagten, dass SPD-Mann P. der Meinung sei, dass F.-J. Strauss gefährlich sei. Darauf «klärte» er uns über die Gefährlichkeit von H. Wehner auf.
Dann gab das Original A. B., der vom ZDF-Magazin schwärmte.
Politisch weit rechts gab es noch den Doktor der Volkskunde und Vertreter der Ostpreussischen Landsmannschaft, für den der Geschichtsunterricht regelmässig vor Stalingrad endete.
Ich glaube nicht, das dieser Herr unser Denken nur im Geringsten beeinflusst hat.
Wenn jemand unsere Art zu denken beeinflusst hat, dann war es der ungeliebte sozialliberale Dr. Sch.
oben: „Edmund Dörrhöfer aus Flörsheim:
„Höcke unterrichtete in Bad Sooden-Allendorf Sport und Geschichte. Es wäre vielleicht einer Recherche wert zu ermitteln, wie viele der bekannten Rechtsradikalen in Bad Sooden-Allendorf und Umgebung einmal von Höcke unterrichtet wurden.“
Warum sollte man diesen Vorschlag nicht aufgreifen und überhaupt „stichprobenweise“ herausfinden, wieweit sich die vermittelten Geschichtskenntnisse eines rechtslastigen Lehrers entsprechend niederschlagen. Ich fände dies konstruktiver als spekulieren.
Zu Werner Engelmann und Brigitte Ernst:
Radikal sein heißt zunächst, eine Sache von der Wurzel her, also von ihrer eigentlichen Bedeutung her, zu erörtern und gegebenenfalls zu propagieren. Höcke ist deswegen nicht radikal, sondern kaltschnäuzig und gewissenlos, weil er (mutmaßlich bewusst) auf eine politische Propaganda zurückgreift, die eindeutig faschistischen Ursprungs ist.
Wer Höckes Sprache anhand der Kriterien von Sternberger/Storz/Süskind „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (als Zeitschriftenaufsätze zwischen 1945 bis 1948 und als Buch 1957 erschienen) und Victors Klemperers „Lingua Tertii Imperii“ beurteilt, wird noch mehr rechtlich relevante Gründe finden, ihn der verfassungsfeindlichen Tätigkeit zu bezichtigen.
Der Radikalenerlass von 1972 bezog sich auf bewusst konstruierte Gefahren, insbesondere auf die angebliche Gefährdung der Verfassung der Bundesrepublik durch Mitglieder von SDAJ und DKP. Betroffen waren sogar einige Jungsozialisten und Parteilose, die zeitweilig im SDS aktiv waren. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle war jedoch nicht nachzuweisen, dass die Kernartikel des Grundgesetzes durch die von diesem Erlass Betroffenen in Frage gestellt worden waren. Das wurde spätestens in den Gerichtsverfahren deutlich, die von einigen, aber längst nicht von allen, angestrengt wurden. Die Gerichtsentscheidungen wurden von den juristischen Fachblättern zumeist ausführlich dokumentiert. So lassen sich die verfassungsrechtrechtlichen Aspekte des Radikalenerlasses in der Datenbank der „NJW Neue Juristische Wochenschrift“ (ursprünglich NJW-Leitsatzkartei) nachlesen.
Heinrich Heine hat in seinem Gedicht „Michel nach dem März“ die Verwendung der schwarz-rot-goldenen Fahne heftig kritisiert:
„Doch als die schwarzrotgoldne Fahn‘, / Der altgermanische Plunder, / Aufs neu‘ erschien, da schwand mein Wahn / Und die süßen Märchenwunder. / Ich kannte die Farben in diesem Panier / Und ihre Vorbedeutung: / Von deutscher Freiheit brachten sie mir / Die schlimmste Hiobszeitung.“
Ausführlich nimmt er in „Ludwig Börne. Eine Denkschrift“ zum antisemitischen Charakter der Burschenschaften und deren Schwarz-Rot-Gold Stellung.
Ich selbst bin erst Anfang der 70er Jahre durch die Lektüre von Golo Manns „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ (1958 in erster Auflage erschienen) darauf aufmerksam geworden.
I.- Wie man sich von Herrn Höcke distanzieren und zugleich Rechtspopulismus das Wort reden kann.
(Vgl. Bronskis Link oben „Björn Höcke, der gen Wiesbaden ‚wetterte“‚)
Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Hans-Peter Meidinger, ist „der Auffassung, dass man hier einen rechtsstaatlich sauberen Weg gehen muss.“ Der Meinung bin ich auch. Aus dem Schuldienst entfernen möchte er Herrn Höcke aber nicht. „Weil es – sollte sich eine derartige Praxis etablieren – ‚dann auch mal ganz andere treffen kann'“.
Oho! – Den Philologenverband gab es schon vor 45 Jahren. Besondere Besorgnis in seinen Reihen, dass nicht nur „Radikale“ getroffen werden könnten, ist mir damals nicht aufgefallen – obwohl doch Beispiele zu Tausenden zur Verfügung standen. Wenn sich nun so spät beim Vorsitzenden des Philologenverbands das „soziale Gewissen“ regt, ohne zu präzisieren, wen er mit „ganz anderen“ meint, dann ist genaueres Hinsehen angebracht.
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, beteuert, er würde als Schulleiter von Herrn Höcke „ein sehr ernsthaftes Gespräch mit ihm führen, in dem ich klarstellen würde, dass er sich an den Lehrplan und die Verfassung halten muss.“ (Vgl. Link: „…sagte Lorz der FR“) Sollte es Herrn Kraus entfallen sein, dass Herr Höcke auf diese Verfassung einen Eid geschworen hat? Oder geht es darum, dass ein Eid, der einer solchen Klarstellung bedarf, sowieso nichts wert ist?
Deutlicher noch Herr Meidinger selbst: „Denn man muss zwei Dinge sehen: Die AfD ist noch keine verbotene verfassungsfeindliche Partei. Außerdem unterliegt Herr Höcke als Parlamentarier nicht dem Mäßigungsgebot, dem ein Beamter im Dienst unterliegt.“
Wie sich da jemand, der es qua Beruf eigentlich wissen müsste, selbst elementare Sachverhalte und Begriffe durcheinander wirft, das ist schon hanebüchen. Anders lässt sich Propaganda für die AfD wohl nicht erreichen.
II. „Verfassungswidrig“ und „verfassungsfeindlich“ – zur Klarstellung.
Im Beschluss zum KPD-Verbotsverfahren 1956 bestimmt das Bundesverfassungsgericht den Nachweis der „Verfassungswidrigkeit“ als Voraussetzung für ein Parteienverbot und definiert diese wie folgt:
„Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung […] nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen.“ (Wikipedia, Parteienverbot)
An dieser hohen verfassungsmäßigen Hürde ist u.a. das erste Verbotsverfahren gegen die NPD gescheitert.
Der Verdacht der „Verfassungsfeindlichkeit“ dagegen richtet sich nach BVG auch gegen Personen, „welche die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen, sie ablehnen oder ihr andere Prinzipien entgegenhalten.“
Bei der Verfolgung einzelner Personen wird hier nicht nur (1) die Schwelle für Sanktionierung erheblich gesenkt. Hinzu kommt (2), dass objektiv erfassbare Tatbestände („aktiv kämpferische, aggressive Haltung“) auf eine diffuse Gesinnungsebene verlegt werden („nicht anerkennen“). Dies soll nach dem Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ der Absicherung des Rechtsstaats gegen Unterwanderung durch einzelne dienen, ohne dass das hohe Niveau des Pateienverbots erreicht ist. In dieser Hinsicht erwies sich diese Definition im Zusammenhang der Berufsverbote als hoch problematisch.
III. Wie durch Hysterie aus Verteidigung des Rechtsstaats dessen Unterhöhlung wird.
Ausgelöst durch Fundamentalkritik der 68er Studentenbewegung, führte die zur Hysterie gesteigerte Kommunisten-Angst im Staatsapparat zur Instrumentalisierung der oben genannten Definition von „verfassungsfeindlich“ im Sinne flächendeckender Gesinnungschnüffelei und damit Aushebelung rechtsstaatlicher Pinzipien, die sie zu schützen vorgaben. Ermöglicht wurde dies dadurch, dass zusätzlich zur schwammigen Definition (3) die Bewertung der Indizien für „verfassungsfeindliche“ Haltung von der Ebene der Judikative auf (meist subalterne) Verwaltungsbeamte verlagert wurde. Selbst in Fällen der Übernahme des Falls durch Spitzenbeamte (wie in meinem Fall: Landesschulrat, Stellvertreter des Berliner Schulsenators) war ein rechtsstaatliches Verfahren keineswegs sicher gestellt. In den Auswirkungen nicht einmal durch zusätzliche juristische Überprüfung: Weder der Druck im Sinne von Selbstzensur noch weiterreichende berufliche Beeinträchtigungen wurden so verhindert.
Beispiele:
Mir wurde, auch nach positiv abgeschlossenem Verfahren, eine Schwangerschaftsvertretung mit Hinweis auf das Verfahren verwehrt. Darüberhinaus wurde (noch vor Verbeamtung) auf den mich einstellenden Bezirksstadtrat (Berlin-Kreuzberg) Druck in Hinblick auf meine Entlassung ausgeübt. In der Praxis hing das Schicksal des Betroffenen also nicht von rechtlichen Gegebenheiten, sondern im wesentlichen von politischen Einstellungen in der jeweiligen Behörde ab.
Besonders aberwitzig: Nach Aufgabe der Berufsverbotepolitik wurde in Berlin zu Unrecht Verdächtigten das „Recht“, auf vollständige Entfernung des Vorgangs aus der Personalakte zugestanden. Bedingung: Jede herausgenommene Seite sei durch eine leere Seite zu ersetzen. In meinem Fall (über 100 leere Seiten – ich hielt mich auch mit Gegendarstellungen nicht zurück) eine „Rechtsgarantie“, die Spekulationen Tür und Tor öffnete und Verdächtigungen verewigte. Empfehlung meines Stadtrats: „Lassen Sie alles drin, Sie werden noch stolz darauf sein!“ Ich bin dieser Empfehlung gefolgt.
IV. Beamtenrecht und Dienstpflichten: Zur Einschätzung des Falles Höcke.
Das Bundesbeamtengesetz bestimmt:
„Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei ihrer Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Sie müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Bei politischer Betätigung haben sie Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren.“ (§ 60 BBG)
Nach ausdrücklichem Hinweis während meines Verhörs ist unter „Bekenntnis zur FDGO“ der aktive Einsatz innerhalb und außerhalb des Dienstes zu verstehen. Eine „neutrale“ Haltung sei kein ausreichendes Indiz für Eignung. Diese Interpretation gilt unverändert bis heute.
Dem entspricht auch folgende Deutung:
„Der Beamte hat sich– auch außerhalb des Dienstes– jeder privaten Äußerung zu enthalten, die dem Ansehen des Amtes schaden oder den Verdacht der Parteinahme für eine gewisse Position aufkommen lassen könnten. Dazu gehört grundsätzlich auch, sich politisch zurückzuhalten.“ (Wikipedia, Dienstpflicht)
Gleiches findet sich in Bestimmungen zu Disziplinarmßnahmen:
„Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Außerhalb des Dienstes ist dieses nur dann ein Dienstvergehen, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.“ (§ 77,1 BBG)
Die Meinung von Herrn Meidinger, dass „Parlamentarier nicht dem Mäßigungsgebot“ unterlägen, kann in dieser Hinsicht wohl nur als Bekräftigung rechtspopulistischer Strategien verstanden werden, mit Hilfe des Hinweises auf „Meinungsfreiheit“ rechtsstaatliche Prinzipien zu unterlaufen und tendenziell zu beseitigen. Das soll ja schon einmal vorgekommen sein.
V. Fazit:
Nach den oben genannten Bestimmungen ist das Beamten- und Disziplinarrecht zur Beurteilung des Falles Höcke völlig hinreichend, um sein Verhalten nicht nur als verfassungsfeindlich, sondern auch als verfassungswidrig einzustufen. Insbesondere liegen wohl ausreichende Erkenntnisse in folgender Hinsicht vor:
– „Verdacht der Parteinahme für eine gewisse Position“
– Beinträchtigung des Vertrauens in das Beamtentum
– „eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung “ (vgl. Parteienverbot)
Demnach bedarf es keines dubiosen „Radikalenerlasses“ und noch weniger einer „Lex Höcke“.
In diesem Zusammenhang sei Bronski gedankt für die Verlinkung der sehr aufschlussreichen Synopsis von Höcke-Reden und der Totalen-Kriegs-Rede von Goebbels.
Hinsichtlich der Praktibilität in weiteren ähnlichen Fällen wären vor allem zwei Aspekte zu berücksichtigen:
(1) Die oben genannte Argumentation (wie sie auch von der hessischen Schulbehörde anvisiert wird) beruht inhaltlich auf Bestimmungen des Beamtenrechts, das von einem überkommenen Verständnis von Dienst- und Treuepflicht gegenüber dem Staat ausgeht. Verbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern sind gegenwärtig aber eher die Ausnahme. Eine nahtlose Übertragung auf das Angestelltenrecht ist nicht selbstverständlich. Insofern besteht Handlungsbedarf in der Art, dass der Bezug auf die FDGO ausdrücklich im Sinne eines Verfassungspatriotismus zu deuten und auf die anvertrauten Personen zu beziehen wäre, etwa im Sinne der Eidesformel, „Gerechtigkeit gegen jedermann walten zu lassen“.
(2) In Zeiten zunehmender Fremdenfeindlichkeit mit Neigung zu Hysterie, die durchaus Ähnlichkeiten mit der Zeiten des Berufsverbotewahns zeigt, wäre klarzustellen, dass das „jedermann“ der Eidesformel wörtlich zu verstehen ist und nicht im nationalistischen Sinn durch „Deutsche“ zu ersetzen ist. Als Verpflichtung innerhalb wie außerhalb des Dienstes.
@ Klaus Philipp Mertens
Ihre negative Fixierung auf die Deuschlandfahne halte ich für etwas überzogen. Auch ich schätze den großen Dichter Heinrich Heine sehr, seine Ansicht zu den Farben Schwarz-Rot-Gold, die er vor ca.170 Jahren geäußert hat, ist jedoch bei der Beurteilung unserer heutigen Staatsflagge eher von untergeordneter Bedeutung. Zudem ist Ihnen wohl entgangen, dass sich Heine bezüglich seiner Ablehnung der Farben Schwarz-Rot-Gold in seiner Einleitung zu „Deutschland Ein Wintermärchen“ von 1844 mit Blick auf seine Kritiker ein wenig korrigiert hat:
„Beruhigt Euch. Ich werde Eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige und knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschentums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt Euch, ich liebe das Vaterland eben so sehr, wie ihr.“
Ich denke, die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben diese Flagge, die auf das Hambacher Fest, die Revolution von 1848/49 sowie die Weimarer Republik zurückgeht, mit Bedacht als Symbol der deutschen Demokratie ausgewählt, deshalb darf jeder, auch Herr Höcke, ungestraft so viel damit herumwedeln, wie er will, ohne deshalb aus dem Schuldienst entlassen zu werden. Dafür gibt es sicher bessere Argumente, die aber auf ihre Hieb- und Stichfestigkeit überprüft werden müssen.
Wenn Ihnen, Herr Mertens, unsere Nationalflagge ein solcher Dorn im Auge ist, empfehle ich eine Eingabe an den Bundestag. Mit Zweidrittelmehrheit kann der ja auch andere Farben einführen.
Zu Brigitte Ernst.
Ein historischer Nachtrag:
Die schwarz-rot-goldene Fahne ist mir kein „Dorn im Auge“, auch wenn ich mir eine eindeutig demokratischere Lösung vorstellen kann (ähnlich wie eine demokratischere Nationalhymne wie z.B. Brechts „Kinderhymne“).
Jedenfalls sind mir die Ursprünge von Schwarz-Rot-Gold und der ideologische Kontext ihrer Entstehungszeit hinreichend bekannt. Und ich sehe mit großer Sorge, dass die leider nicht zu leugnenden undemokratischen Traditionen, die auch mit diesen Farben verbunden sind, in der rechten Szene wieder ausdrücklich betont werden.
Zum einen gehen die Farben zurück auf das Lützowsche Freikorps, das in preußischen Diensten stand, im Krieg gegen Napoleon (1813 – 1815). Dessen Angehörige trugen schwarze (zumeist schwarz überfärbte) Uniformen mit rot gefärbten Kragen- und Manschettenaufschlägen und goldfarbenen Messingknöpfen. Die Jenaer Burschenschaften übernahmen nach den so genannten Befreiungskriegen diese Farbkombination für die Fahnen ihrer Verbindung.
Mit dem Sieg über Napoleon wurden sowohl Antisemitismus als auch Nationalismus in den deutschen Fürstentümern, die vorher von Frankreich direkt oder indirekt beherrscht wurden, wieder salonfähig. Zu dieser Entwicklung haben die Burschenschaften, die Kreise um den „Turnvater“ Jahn oder den Dichter Ernst-Moritz Arndt erheblich beigetragen. Auf diese Vorgänge geht Heinrich Heine in einigen seiner Gedichte und Schriften ein. Fünf Jahre nach „Deutschland. Ein Wintermärchen“ reimte er „Die Wahlesel“: „Das Komitee der Esel ward / Von Alt-Langohren regieret; / Sie hatten die Köpfe mit einer Kokard‘, / Die schwarz-rot-gold, verzieret.“ (Nachgelassene Gedichte, 1848-56).
Im Zuge der Einheitsbestrebungen (Hambacher Fest von 1832, Bundestag des Deutschen Bundes und Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche, beide 1848) wurden diese Bedeutungen von Schwarz-Rot-Gold entweder verdrängt (von den März-Revolutionären) oder nationalistisch bekräftigt (von den Fürstentümern). Die Wahl zur Fahne der (Weimarer) Republik war vor diesem historischen Hintergrund nicht unumstritten, auch wenn sich SPD und USPD schließlich darauf einigten, wie Alfred Döblin es in seinem vierbändigen Dokumentations-Roman „ November 1918“ anschaulich beschreibt. Übrigens war die Standarte des Reichspräsidenten bis 1935, also bis in die NS-Zeit hinein, eine Mischung aus Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold.
Als Bernd Höcke in Jauchs Talkshow eine Miniaturausgabe der schwarz-rot-goldenen Fahne zückte, hatte er mutmaßlich nicht deutsche Demokraten wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht oder Ernst Toller im Sinn. Sondern er folgte, wie man berechtigt annehmen kann, dem rechtsradikalen Trend, die vermeintlich deutschen Farben wieder „national“ zu interpretieren – und nicht demokratisch. Von daher ist es auch kein Widerspruch, dass beispielsweise PEGIDA schwarz-rot-gold illuminiert ist. Wobei vielfach auch die „Wirmer“-Flagge verwendet wird (liegendes schwarzes Kreuz mit gelbem/goldenen Rand auf rotem Grund).
@ Klaus Philipp Mertens: 26. Januar 2016 um 14:31
Ich finde Ihren „historischen Nachtrag“ durchaus aufschlussreich und interessant. Allerdings vernachlässigen Sie bez. der Interpretation der Bedeutung der deutschen Fahne etwas, weshalb ich eher der Auffassung von Frau Ernst zuneige. Sie neigen m.E. zu einer Interpretation „ex posteriori“, was der historischen resp. aktuellen Bedeutung nicht gerecht wird.
Am deutlichsten wird dies bei der Beurteilung der Burschenschaften. So richtig es ist, dass diese heute zu den rektionärsten Erscheinungen der Gegenwart gehören, so klar ist auch, dass sie in ihrer Genese zwar als „nationale“ (im Sinne von Einheitsbestrebungen), aber auch als demokratische Bewegungen gegen feudalistische Fürstentümer einzuordnen sind. Nationalismus und demokratische Bestrebungen waren zu dieser Zeit eben noch keine Gegensätze. Ähnliches gilt übrigens auch für die urprünglichen Turnerschaften, die unter den Bedingungen der politischen Zensur als getarnte demokratische Bewegungen fungierten. Heute sind deren Nachfolgeorganisationen zu feudalen Inseln in einer demokratischen Gesellschaft zur Absicherung von Pfründen und Karriereförderung verkommen. Wann dieser Umschlag erfolgte, wäre Gegenstand einer gesonderten historischen Untersuchung.
In diesem Zusammenhang ist aber nur von Bedeutung, dass die Wahl von Schwarz-rot-Gold als im Gegensatz zu Schwarz-weiß-rot bewusst an den demokratischen Traditionen des Ursprungs anknüpft. Nach diesem Selbstverständnis ist diese Wahl auch zu bewerten, ungeachtet von Umdeutungsversuchen, die sicher auch festzustellen sind.
Immerhin wurde zur NS-Zeit dieses demokratische Symbol so gut wie vollständig durch das Hakenkreuz ersetzt, und nach dem Hakenkreuz-Verbot dient heute die Reichkriegsflagge (die ursprünglich nichts mit NS-Ideologie zu tun hatte) als Symbol der Selbstverständigung für Rechtsextreme und Neonazis.
Was die bisweilen symbolhaften Überspitzungen Heines angeht, so sind diese auch im Zusammenhang mit seiner Situation als Asylant zu sehen wie auch damit, dass er als einer von wenigen Gefahren und Perversionen von Nationalismus voraus sah.
Über den Missbrauch der schwarz-rot-goldenen Flagge am Arsch von Herrn Höcke werden wir uns sicher schnell verständigen. (Verzeihen Sie den Ausdruck, ich halte ihn in diesem Fall für symbolträchtig und damit auch für legitim.)
Selbstverständlich geht es hier um Umdeutung im chauvinistischen Sinn und darüberhinaus um Einvernahme eines Symbols, das zum eigenen widerlichen Denken in deutlichem Widerspruch steht. Gerade in dieser illegitimen Okkupation liegt auch eine Aussage über die Hohlheit in den – heute auch nicht mehr kahl geschorenen – Köpfen, die es zu ummänteln gilt. Gerade deshalb darf dieses demokratische Symbol auch nicht zur Disposition gestellt werden.
Die Franzosen können hiervon übrigens ein Lied singen, nachdem nicht nur die Trikolore, sondern auch andere nationale Symbole wie Jeanne d’Arc längst vom Front National okkupiert sind und andere Parteien im Wettlauf um die nationalste Gesinnung hinterher rennen, um nicht als „Vaterlandsverräter“ angesehen zu werden. Für effektive Abwehrmaßnahmen gegen den Missbrauch nationaler Symbole ist es da schon zu spät.
Lieber Herr Mertens,
leider reicht es bei einer rechtsstaatlichen Untersuchung nicht, mit Begriffen wie „mutmaßlich“ und „wie man berechtigt annehmen kann“ zu operieren (ich beziehe mich hier auf Ihre im letzten Absatz geäußerten Vermutungen zu Höckes Motivation). Solange Schwarz-Rot-Gold die Fahne der Bundesrepublik Deutschland ist, wird ihm kein Jurist einen Strick daraus drehen, dass er ab und an diese Flagge schwenkt. Ich persönlich empfand seinen Auftritt bei Günther Jauch als reichlich peinlich und seiner Absicht, die Zuschauer zu mehr Patriotismus zu bewegen, eher abträglich, weil sich jeder denkende Mensch die Frage stellt, was das Vorzeigen einer Fahne in einer Talkshow, in der ja Meinungen und Argumente ausgetauscht werden sollen, zu suchen habe. Um Höcke aus dem Schuldienst zu entfernen, muss man es aber schon schaffen, in seinen Reden ganz konkret Rassismus und Volksverhetzung nachzuweisen.