Pseudokompromiss Mindestlohn

Ich gebe zu, auch ich habe mal daran geglaubt, dass eine große Koalition gut für dieses Land sein könnte. Stichwort Reformstau. Oh je, was ist daraus geworden! Oh je, welche Chancen hat Rot-Grün verpasst! Mut zur Idee – oder abtreten! Dieser Forderung von Richard Meng schließe ich mich vorbehaltlos an. Ebenso der Meinung von Charlotte Ullmann aus Frankfurt:

„Meine Güte! In welchem Land leben wir eigentlich? In einem der rückständigsten von ganz Europa? Deutschland ist nicht nur europäisches Schlusslicht in Bildung, beim Schutz der Passivraucher, bei der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen (hier sogar weltweit), sondern auch beim Mindestlohn, der eigentlich selbstverständlich sein müsste. Wir, die Meisterdenker aus vergessenen Zeiten, ehemals weltweit hochgeschätzt, sind nun vollends der Büttel kapitalistischer Zurichtung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen geworden. Kreativität und Motivation am Arbeitsplatz und auf der Schulbank? Fehlanzeige! Querdenker? Undenkbar!

Wie soll ein Arbeitnehmer, der so wenig Geld bekommt, dass er nicht weiß, was er morgen essen soll, der sich in seiner Freizeit für noch schlechtere Jobs verdingt, um seine Miete wenigstens bezahlen zu können, oder der sich aufgibt und ins entwürdigende Räderwerk von Hartz IV gerät, wie soll der noch motiviert und kreativ sein? Sich anpassen an sklavenähnliche Verhältnisse, sich ducken vor den (neoliberalen) Einpeitschern, sich ausspielen lassen gegen die unfreiwillige Konkurrenz der Mitleidenden im selben Boot, das ist die Devise auf dem heutigen Arbeitsmarkt! Wer das psychisch nicht aushalten kann, verhungert im Extremfall (wie kürzlich geschehen) oder sucht Hilfe beim Psychotherapeuten, der auch schon längst der Profitlogik unterworfen ist.
Und die Politik? Bereits seit mehr als 20 Jahren hat sie sich vor den Karren dieser immer unmenschlicher werdenden Wirtschaft spannen lassen. Wenn nun die SPD sich wenigstens in Punkto Mindestlohn endlich einmal bewegt, so ist dies dem Druck von links und dem immer lauter werdenden Murren von unten, von den Geschundenen, geschuldet. Eine Umkehr in Wirtschaft und Politik tut not. Sonst ist der Exodus vor allen Dingen von jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften garantiert. Denn immer mehr unzufriedene Leute kehren Deutschland den Rücken zu.“

Arbeitgeber wollen keine auskömmlichen Löhne, stellt Rainer Rehwald aus Hanau fest:

„Die Mindestlohn-„Regelung“ krankt natürlich daran, dass es viele Branchen gibt (zum Beispiel Friseurhandwerk, Fleischzerlegung), die – wenn überhaupt – keine Arbeitgeberverbände haben, die ein Interesse daran haben, auskömmliche Mindestlöhne festzulegen. Wie war das noch: Wenn man den Lohndumpingsumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen.
Beim Pflegebeitrag sind mal wieder die Rentner die Gelackmeierten: Sie haben von der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags nichts, werden aber mit dem höheren Pflegebeitrag belastet. Ob das mit den Rentenerhöhungen wirklich ausgeglichen wird?“

Und Karsten Neumann aus Nürnberg berichtet aus der Perspektive des Betroffenen:

„‚Platzt die Koalition, war es die SPD‘: Als arbeitsloser Hartz IV -Empfänger, dem während seines Ein-Euro-Jobs eine ABM-Maßnahme angeboten wurde, bei ich weniger verdient hätte als ein Ein-Euro-Jobber, möchte man sagen. Na und! Was hilft mir denn der Pseudokompromiss mit dem Entsendegesetz? Es sind ja nur noch ca. 45 Prozent derJobs unbefristet und sozialversicherungspflichtig. Ein Großteil unterliegt gar nicht mehr irgendeinem Tarifvertrag!
Wenn die SPD dem Mindestlohnantrag der Linken im Bundestag zugestimmt hätte, wäre Millionen Menschen in diesem Land geholfen gewesen. Ganz nebenbei hätte man vielleicht dann auch zu den SPDlern wieder Genosse sagen können.“

Was wird jetzt in werden – angesichts solcher Umfragewerte werden die Koalitionspartner wohl schon jetzt Wahlkampf zu führen beginnen.

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22 Kommentare zu “Pseudokompromiss Mindestlohn

  1. @ Mindestlohn

    betrachten wir das doch ganz einfach mal mathematisch in einer Annahme;

    „Vereinfachtes Beispiel“

    Wenn 2 Millionen Arbeitnehmer nun statt 3,5 Euro die Stunde 7,5 Euro bekämen, dann wären das 4 Euro Differenz, das bei 200 Stunden im Monat, also 12 mal im Jahr = nun die Multiplikation:

    200 X 4 = 800 X 12 = 9.600 X 2 Millionen = 19,2 Milliarden Euro!

    davon kämen ca. 4 Milliarden wieder als Abgaben zum „Staat“ zurück!
    Es würden diese aber auch die Ausgaben bei den Sozial-, bzw. HARTZ-Kassen vermindern.

    Als Ergebnis würden nach Adam dem Riesen aber insgesamt gesellschaftlichen Mehrausgaben von ca. 12 Milliarden Euro entstehen.
    Das wäre meine ich jedoch eigentlich ein tolles Investitionsprogramm für Deutschland!
    Und alle die, die sich heute am meisten gegen „Mindestlöhne“ streuben, wollten dann ganz sicher die ersten sein, die an dem folgenden „Konsumrausch“, der sich zwangsläufig daraufhin entwickeln würde verdienen; sie würden investieren und investieren, und eventuell wird daraus ein WIRTSCHAFTSWUNDER, genau wie es BP Köhler bei seinem Antritt vor den Unternehmern seinerzeit mit seinem Erinnern an die Zeit des Käfers in den 50ern neu entstehen sah!

    Also, wie sagte ein „Öli“: Packen wirs an!
    mfg,hjs

  2. Der Frust, der sich mittlerweile in unserem ach so reichen (?) Land breit macht und sich u.a. in der Politikverdrossenheit des „Stimmviehs“ zeigt, hat m.E. auch seine Ursache in eben dieser grossen Koalition. Es rächt sich halt, wenn nur noch eine unbedeutend kleine (und auch dadurch) zahnlose Opposition vorhanden ist, und das auch noch in beiden Parlamenten (im Bundesrat ist es sogar noch ärger).

    Die (noch?) so genannte SPD hat ihr S vor der „Hochzeitsnacht“ abgegeben.

    Die Rechnung, die Herr Schulz oben angestellt hat, ist zwar nur überschlägig, aber vollkommen berechtigt, zusätzlich wäre lediglich zu schreiben, dass ein Teil der Mehr-Einnahmen der privaten Haushalte als „Investitionen“ (platt gesagt: die können halt mehr kaufen) in den Wirtschaftskreislauf zurück fliessen.

    Aber es ist wohl einfacher, eine chaotische Gesundheitspolitik durchzupeitschen als eine Wirtschaftspolitik, die ihren Namen auch verdient!

    Noch mal zu Herrn Schmidt: Es ist m.W. nicht dokumentiert, ob der von Ihnen angesprochene Adam wirklich so (körperlich) gross war, Tatsache jedoch ist, dass besagter Rechenmeister Adam Ries (* 1492 in Staffelstein, Oberfranken; † 30. März 1559 vermutlich in Annaberg, Erzgebirge) hiess und dass das „e“ aus Gründen der damals gültigen Grammatikregeln angefügt wurde (zu lesen z.B. unter wikipedia), aber das kratzt nicht an Ihrer Aussage!

    Gruss
    Hajo Gebhardt

  3. pardon Herr Schulz, im letzten Absatz bin ich etwas durcheinander gekommen!
    Es muss selbstverständlich heissen:
    „Noch mal zu Herrn Schulz:“

    mea culpa!!!

    Gruss
    Hajo Gebhardt

  4. @ Hallo Herr Gebhardt;

    danke für die Zustimmung und auch die Ergänzung zum Mathematiker Ries; ich meine der MDR hätte vor einiger Zeit(1,2 Jahr/en) eine sehr schön aufgemachte Geschichte über unseren Adam) gemacht.
    Nun noch eine Anmerkung zur SPD. Sicher ist sehr viel an den Schröder-Jahren und auch an der jetzigen Regierungsbeteiligung zu kritisieren; auch die Sozialpolitik; aber ganz so schlimm, dass das S abhanden kam ist es doch noch nicht. Jedenfalls ist immer noch eine starke Gruppe – die man mit „links“ bezeichnet, vorhanden; diese mussten leider zähneknirschend aus so genanntem Pragmatismus hinten anstehen.
    Aber Herr Gebhardt, ich versichere Ihnen, diese argumentieren immer lauter und auch selbstsicherer gegen das was in den letzten Jahren offensichtlich falsch lief.
    Jedoch wie so oft im Leben, bestimmen nun persönliche Animositäten die nächsten Jahre und werden vermutlich die von Willy Brandt gesehene linke Mehrheit als geschlossene Regierungs(t)gruppe verhindern.
    Nochmals Danke für Ihre Zustimmung; mfg,hjs

  5. Ja, so ein Mindestlohn würde vielleicht auch hierbei helfen:

    Link

    Für 8 Euro Stundenlohn würden die Bauern sicherlich genug Erntehelfer finden. Als Student habe ich mir das auch mal überlegt, dann aber festgestellt, dass bei dem normal gezahlten Lohn von 5 Euro einfach zu wenig rausspringt. Rhein-Main ist ein teures Pflaster, da geht so etwas nicht. Und deshalb ziehen jetzt selbst die ausländischen Erntehelfer an Deutschland vorbei nach Holland, weil sie da mehr verdienen. Selbst dran schuld. Mehr Lohn, mehr Kaufkraft, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Gewinn, mehr Investitionen, mehr Lohn, mehr Kaufkraft…
    Ist gar nicht so schwer, das mal durchzudenken.

  6. Die vom DGB geforderten 7,50 €/ Stunde bedeuten nicht nur die von Herrn Schulz bereits durchgerechneten Mehrausgaben, sie bedeuten bei 160 Arbeitsstunden/ Monat zunächst einmal 1200 € Einkommen und damit ein Leben 300 € über der Armutsgrenze. Aber das nur als Randnotiz.
    Ich gebe außerdem zu bedenken, dass vor ein paar Jahren noch niemand von Mindestlohn geredet hat und man für eine solche Forderung wohl auch reichlich schräg angesehen worden wäre. Dann aber kamen die Hartz- Reformen, die direkt mit dem Thema „Mindestlohn“ in Verbindung zu setzen sind. Denn nur weil die Bedingungen am Arbeitsmarkt und vor allem der Druck auf die Arbeitnehmer sich auch durch Hartz IV erhöht hat und man den Menschen mit diesem Druck bis zu einem gewissen Grade die Löhne diktieren kann, kommt jetzt die Mindestlohn- Idee aus der Schublade.
    Diese Idee ist äußerst begrüßenswert und hat, so sollte man meinen, auch eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Stattdessen erlebt man im Bundestag ein Trauerspiel. Münte, der Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen die „Heuschrecken“ lässt sich mit einem solchen Kompromiss abspeisen. Traurig! pposition mag zwar Mist sein, aber eine große Koalition mit solchen Kompromissen…

  7. Warum setzen sich eigentlich die Unternehmerverbände nicht selbst in den Bundestag, sondern lassen sich durch sogenannte „unabhängige, einzig dem Wohl des Volkes verpflichtete“ Abgeordnete und Mandatsinhaber vertreten? Wäre doch viel einfacher, als immer den Umweg über CDU, FDP und Teile der SPD zu suchen? Auch Herr Meng fand ja den kleinen Schritt beim Mindestlohn noch irgendwie positiv. Ist ja auch toll, wenn weiterhin Hunderttausende von staatlichen Zuschüssen abhängig sind, weil sie sich und ihre Familien vom Arbeitseinkommen nicht ernähren können. Und der Weg der meisten Kinder aus diesen Familien ist damit auch schon vorgegeben: sich von einem prekären Arbeitsverhältnis zum nächsten hangeln, oder gleich Hartz IV beantragen. Aber schließlich sind ja alle an ihrer geringen Qualifizierung und dem damit verbundenen niedrigen Lohn selbst schuld, nicht wahr, Herr Hundt? Gebetsmühlenartig wird von den Wirtschaftsführern vorgetragen, daß ein Mindestlohn geradewegs zu Massenentlassungen führt. Was ist eigentlich dann mit all den
    s o z i a l „gering qualifizierten“ Managern und Politikern, die in den letzten Jahren durch Borniertheit und Großmannssucht gesunden Unternehmen Milliardenverluste beschert und die Sparvermögen von Kleinaktionären vernichtet haben? Was ist mit den Tausenden, die durch Massenentlassungen arbeitslos wurden und jetzt vielleicht nur noch bei Zeitarbeitsfirmen eine – schlecht bezahlte – Chance finden; sind die damit automatisch „gering qualifiziert“? Alle, die von ihrer Arbeit auskömmlich leben wollen, sollten endlich einmal aufstehn, oder bei den nächsten Wahlen mal was Anderes ausprobieren!!!

    Und noch ein Nachsatz: Wer nicht von seinem Einkommen leben und seine Familie ernähren kann, verliert seinen Stolz. Aber unser neuer Ständestaat kann ja Menschen mit Stolz nicht gebrauchen, die wären ja nicht willfährig als Komsumenten oder Stimmvieh!

    Zum Kommentar 6) von Folke: Bitte zu berücksichtigen, wann die „Armutsgrenze“ festgelegt wurde. Das war weit vor der Euro-Einführung und berücksichtigt die seitdem stark gestiegenen Lebenshaltungskosten, z.B. die Wohnnebenkosten (Strom, Gas, Wasser, Müllabfuhr etc.) in keinster Weise.

  8. bei der überschlägigen rechnung von herrn schulz kam mir nur die idee, dass es mittlerweile evt. in den theoretischen kreisen der cdu/csu der fdp so gewollt ist, dass das volk finanziell ausblutet. es ist dann leichter manipulierbar.

    die unglückliche rolle der spd ist dabei die dass die meisten doch dermassen wohlhabend vor sich politiseren, dass sie von den konsequenzen ihrer politik für die bevölkerung keine ahnung mehr haben.

    ein mindestlohn von 7,50 schafft auch nur 1200.- eur brutto! liegt also also netto sagr noch unter der pfändungsfreigrenze. jemand der ca. 166 std pro moant (38,5 std-woche) arbeitet kann dann also nicht einmal den unterhalt für ein kind bezahlen!!

    müntefering ist kein kämpfer gegen die heuschrecken. er hat diese mit rot-grün in deutschland erst zugelassen und bei einem antrag von Die Linke diese in deutschland wieder abzuschaffen für deren beibehaltung gestimmt, ansatt darauf zu setzen diese in deutschland als finanzinstrument zu verbieten und dann international auf eine weitere einschränkung der ausländischen hedgefonds hinzuarbeiten.

  9. Es geht doch letztendlich darum:
    es muss sich (wieder) lohnen, eine bezahlte Arbeit aufzunehmen anstatt von der Allgemeinheit subventioniertes Geld zu erhalten (das hat auch seine Berechtigung, aber nur in bestimmten, eingegrenzten Fällen).

    Dazu müssen aber einige Voraussetzungen erfüllt sein:
    1. Das Einkommen aus dieser Arbeit muss – NETTO – über dem Arbeitslosengeld (man nenne es, wie man will, aber es ist doch ein solches) liegen.
    2. Es müssen von „der Wirtschaft“ genügend entsprechende Jobs bereit gestellt werden, die auch – zumindest mittelfristig – bestand haben.
    3. Seitens der Noch-Arbeitslosen ist eine gewisse Flexibilität zu erwarten.

    Alles Andere macht doch keinen Sinn und wir alle zahlen uns dumm und dämlich, vor Allem, weil 2. nicht erfüllt wird.

    Es ist blanker Hohn, wenn über die Erhöhung der Lebensarbeitszeit diskutiert wird, nicht aber über deren Realisierung.

    Unerträglich ist auch das permanente Ignorieren dessen, was in der Physik als Energieerhaltungssatz bekannt ist (das Gleiche gilt auch in der Wirtschaft!): platt ausgedrückt: „von nix kommt nix“. Wenn Einer seinen Besitz vermehrt, geschieht das auf Kosten eines (oder mehrerer) Anderen, so einfach ist das, oder?

  10. Wenn das so ist wie Hr. Schulz oben in seinem viel gelobten Kommentar sagt, wieso dann nicht gleich 15 €/h Mindestlohn? Die Rechnung würde dann so aussehen:

    200 X 11,5 = 2300 X 12 = 27.600 X 2 Millionen = 55,2 Milliarden Euro!

    analog gerechnet kämen dann mehr als sagenhafte 12 Milliarden wieder als Abgaben zum „Staat“ zurück! Welch ein Segen für uns Alle, der uns bisher nur wegen der Borniertheit einiger neoliberaler Wirrköpfe durch die Lappen geht?!

    Auch die 15 €/h Mindestlohn sind natürlich nur ein Anfang. Schritt für Schritt könnten wir „Wohlstand für Alle“ ins Gesetzbuch schreiben – Wenn das so ist wie Hr. Schulz sagt.

  11. @ Hajo Gebhardt

    „platt ausgedrückt: „von nix kommt nix“. Wenn Einer seinen Besitz vermehrt, geschieht das auf Kosten eines (oder mehrerer) Anderen, so einfach ist das, oder?“

    Nee, lieber Hajo,
    so einfach ist das natürlich nicht. Es werden im Gegenteil Werte produziert, und zwar durch die gesellschaftliche Arbeit.
    Dies geschieht mittlerweile auf einem derart hohen Produktivitäts-Niveau, dass mit immer weniger Arbeitskräften ein immenser gesellschaftlicher Reichtum produziert wird.

    In einer Gesellschaft, in der sowohl die Arbeit als auch der produzierte Reichtum nach rationalen und sozialen Gesichtspunkten verteilt würde, könnte man tatsächlich Schritt für Schritt „Wohlstand für Alle“ ins Gesetzbuch schreiben, werter Herr Eisgruber.

    Jedoch geschieht bei uns eben weder die Verteilung der Arbeit, noch die Verteilung der geschaffenen Werte, noch die Entscheidung, was sinnvollerweise produziert und konsumiert wird, nach rationalen Gesichtspunkten, sondern dies alles geschieht nach den Prinzipien der optimalen Kapitalverwertung.

    Und wie die effektiviert wird, das wissen die Agenten des Kapitals am besten. Beispiel Telekom: Weniger Arbeitskräfte für weniger Lohn in längerer Arbeitszeit intensiver zu beschäftigen ist für das Kapital gewinnträchtiger als Arbeitszeit-Reduzierung mit vollem Lohnausgleich, Ausbildung aller Schulabgänger, Neueinstellungen und Rente mit 50.

    So einfach ist das, oder?

  12. Heinrich,

    „wer zweimal mit der Selben pennt, gehört schon zum Establishment“

    Eigentlich war ich der Meinung, wir gehören der selben – leidvollen – Generation an, die es gelernt hat, nicht nur die Ratio sondern auch den „gesunden Menschenverstand“ zu verwenden.

    Leider habe ich mich getäuscht.

    Gute Besserung!

    Hajo Gebhardt

  13. Lieber Hajo Gebhardt,

    Ich denke nicht, dass die Fähigkeit des Gebrauchs der Ratio und des „gesunden Menschenverstandes“ Generationen-abhängig ist.
    Mit beiden Instrumenten allein ist es aber schlechterdings unmöglich zu beurteilen, ob ihr Energie-Gesetz auf den volkswirtschaftlichen Prozess anwendbar ist. Dazu bedarf es nationalökonomischer Einsichten. Und die werden ihnen dazu sagen: Unsinn! Wenn ihnen meine – notwendig groben – rationalen Argumente dazu widerstreben, argumentieren sie gerne dagegen.

    Gerne aber hilfsweise für sie die entsprechende Überlegung des „gesunden“ Menschenverstandes: Das Stichwort heißt „Wirtschaftswachstum“. Wie sollte so etwas möglich sein nach einem „Wert-Erhaltungsgesetz“? Wieso ist unsere Gesellschaft nicht mehr auf dem Reichtums- oder besser Armutsniveau der Zeit des Dreißigjährigen Krieges?

    Treten sie gerne mit mir in eine nüchterne Diskussion darüber ein!

    Schöne Grüße
    Heinrich

  14. Ergänzend sollte man unbedingt den Beitrag von Professor Hickel in der FR vom 19. Juni, Seite 23 lesen: Die Studien zu den Wirkungen eines Mindestlohnes in Deutschland seien „auf zweifelhafte Annehmen und Prognosen angewiesen“. Hickel berichtet dann, von 86 internationalen Studien belegten 10, dass es zu keinen Beschäftigungsverlusten bei Einführung von Mindestlöhnen komme. Also kommen 76 zu anderen Ergbnissen. Das hindert den Professor aus Bremen aber nicht, am Schluss des Artikels auf der Grundlage einer einzigen „brandneuen“ Studie zu behaupten: „Die Ergebnisse zu den Beschäftigungswirkungen des Mindestlohnes sind positiv.“ Wenn man sich für Mindestlöhne ausspricht, dann aber bitte nicht auf der Basis solch windiger Argumente, die noch nicht einmal den Regeln der Grundrechenarten standhalten.

  15. @ Winfried Heidemann

    Ein exemplarischer Fall selektiven Lesens und Interpretierens!
    Die Fortsetzung des zitierten Satzes („…zweifelhafte Annahmen…“) lautet bei Hickel: „Umso wichtiger ist die Berücksichtigung der intensiven Erfahrungen im Ausland.“ Und da „weisen die Studien, die negative Beschäftigungswirkungen behaupten, Probleme bei der statistischen Signifikanz auf.“
    Die „brandneue“ Studie von David Metcalf wird als bedeutsam zugrunde gelegt, weil sie den umfassenden Zeitraum seit 1999 erfasst und weil die englischen Verhältnisse besondere Ähnlichkeit mit den deutschen aufweisen.

    Hickel liefert also natürlich keinen letztgültigen Beweis, aber doch wesentlich stichhaltigere Argumente gegen die Arbeitsplatz-Vernichtungs-These, als Herr Heidemann glauben macht.

    Allerdings ist es in meiner Sicht nur ein, und nicht mal der wesentliche Aspekt, ob durch Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichtet würden oder nicht.

    Die Arbeitenden müssen samt Familien von ihren Löhnen leben können, und wenn ein Friseurbetrieb im Osten nur bestehen kann, wenn die Friseurin nur 4,60 EUR (brutto!) für ihre Arbeit erhält, dann muss er eben dicht machen (oder, wenn der gesetzliche Mindestlohn darüber liegt, dicht gemacht werden).

    Die Mindestlohn-Diskussion berührt ja nur ein Teilmoment einer umfassenderen Problematik. Altenpflege und die Reinigung von Schul- und Behörden-Bauten, um nur zwei Bereiche des Niedriglohn-Sektors zu nennen, sind gesellschaftliche Aufgaben, die die Gemeinden zu leisten haben, und es ist überhaupt nicht einzusehen, wieso daraus noch Profite erwirtschaftet werden müssen. Wenn die Zauberformel „Privatisierung“ immer weiterer Bereiche den propagierten Effekt hat angeblich größerer wirtschaftlicher Effizienz nur auf Kosten der Lebensgrundlage der Beschäftigten hat, muss man sie eben wieder „vergesellschaften“, also kommunalisieren.

    Die gegenteilige Tendenz ist derzeitige Realität. Die Putzfrauen waren die ersten, in Bremen werden jetzt zunehmend Lehrer im Niedriglohnsektor beschäftigt. So etwas macht man ganz einfach: Es wird ein (dem Staat gehörender) Privatbetrieb namens „Stadtteilschule“ gegründet, der Lehrer für Hungerlöhne einstellt und dann an die Schulen verleiht. Der nächste Schritt wird die Privatisierung der Schulen sein, und wenn für die Lehrer dort ein Mindestlohn gefordert wird, wird gedroht, die Schulen zu schließen. Eine absurde, aber leider realistische Perspektive, der durch gesetzliche Mindestlöhne ein Riegel vorgeschoben werden muss. (Das Beispiel lässt sich auf Altenpflege und andere Bereiche ausdehnen).

  16. An „Heinrich“ (VII, der Löwe, Mann oder wer?),

    in der Tat ein Beispiel für selektives Wahrnehmen und Mitteilen, dieser Professor aus Bremen: 10 plus 1 Studie zieht er als Beleg für seine Meinung heran, die anderen 76 tut er mit Hinweis auf „Probleme bei der statistischen Siginifikanz“ ab, ohne diesen Vorwurf zu belegen. Und zitiert dann den „renommierten Ökonomen“ Blinder, demzufolge „ein leichter Anstieg des Mindestlohns (k)einen erheblichen Verlust an Arbeitsplätzen bedeutet“. Doch in der Tat: Es gibt ja gute Gründe für Mindestlöhne auch in Deutschland und die – nicht immer übertragbaren – Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass man vor größeren (!) Arbeitsplatzverlusten keine Angst zu haben braucht, zumindest dann nicht, wenn die Anfangshöhe niedrig genug angesetzt wird und dann langsam ansteigt (wie in GB) oder genügend Ausnahmebestimmungen, Umgehungsmöglichkeiten oder Kompensationsleistungen bestehen (wie etwa in Frankreich). Die vielfältigen Wechselwirkungen, Substitutions- und Überwälzungsmöglichkeiten von Betrieben, Arbeitnehmerinnen und Verbrauchern können nicht alle vorweg prognostiziert werden, deshalb müssen trotzdem politische Entscheidungen möglich sein. Doch muss man sich darüber im Klaren sein, dass Mindestlöhne eine gravierende Veränderung des bisher auf freien Verhandlungen der Verbände beruhenden Tarifvertragssystems bedeuten: Wenn staatliche Regulierung am unteren Ende der tarifvertraglichen Lohnskala möglich ist (und aus Gründen des Sozialschutzes vielleicht möglich sein muss), dann kann sie auch an ihrem oberen Ende bei Lohnsteigerungen nicht verwehrt werden (abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik, an der Mindestlöhne ohnehin noch scheitern können, da die oft zitierten Niedriglöhne im Friseur- und Bewachungsgewerbe usw. doch auf Vereinbarungen der Verbände im Rahmen der Tarifautonomie beruhen).

  17. @ #15. Kommentar von heinrich

    Sehr geehrter Herr heinrich,

    chapeau für diesen Beitrag, wenn er auch Herrn Heidemann offensichtlich nicht überzeugen kann.

    Freundliche Grüße

    Uwe Theel

    P.S.: Ich ziehe meine These von CDU-Tendenz Ihnen gegenüber ehrlichen Herzens zurück.

  18. Lieber Winfried Heidemann,

    „Heinrich“: wenn schon deutscher Fürst, dann unentschieden zwischen dem Welfen-Löwen und dem deutschen König und römischen Kaiser Heinrich II., der just vor 1000 Jahren regierte und den unvergleichlichen Bamberger Dom gestiftet hat, Sympathie auch mit dem Sachsenkönig Heinrich IV., der abdankte mit dem Spruch: „Macht oiern Dröck alleene!“ – Wenn aber Dichter, dann natürlich mein ironischer Heimatgenosse Heinrich Heine.

    Unter meinem Nachnamen soll nicht mehr Hinz und Kunz geballt bei Google abrufen können, was ich je in Foren geschrieben habe.

    Ich denke, wir sind nicht so weit voneinander entfernt, weder was Hickels Argumentation, die für mich nur nicht auf ganz so wackeligen Füßen steht wie für sie, noch was den Mindestlohn betrifft.

    Die Tarifautonomie war wohl auch für Gewerkschaften und SPD lange Zeit ein Hemmfaktor für die staatliche Regulierung. Nur: Gibt es denn überhaupt Friseur-Tarif-Vereinbarungen, zumal im Osten? Da bin ich mir unsicher. Jedenfalls ist der Organisationsgrad marginal, ich habe zumindest keine Fernsehbilder im Kopf
    von den massenhaften Warnstreiks der Friseurinnen. Bevor der Staat dann deren einkommen substutuiert, ist es ja angebracht, erst einmal die Unternehmer in die Pflicht zu nehmen.

    Gegen gesetzliche Höchstlöhne werden sich ja die organisierte Arbeitnehmerschaft und ihre politischen Repräsentanten wohl zur Wehr setzen können.

    Grüße
    heinrich

  19. an „Heinrich“:
    ja, viele der in den Medien genannten Niedriglöhne stehen so in den geltenden Tarifverträgen (z.B. Friseure, Bewachungsgewerbe, Hotels, Landwirtschaft…). Das eignet sich aber nicht dafür, den tarifabschließenden Gewerkschaften oder der SPD moralische Vorhaltungen zu machen oder auf Hartz IV zu schimpfen – das hat damit nichts zu tun. Sondern niedriger Organisationsgrad der Arbeitnehmer, sinkende Zahl tarifgebundener Unternehmen, Freizügigkeit in der EU – da kommt manches zusammen, was die klassische deutsche Lösung, ausreichende Mindestlöhne durch Tarifverträge sicherzustellen, nach und nach unterminiert hat. In einer solchen Situation staatlich verordnete Mindestlöhne einzuführen verlangt Umsicht, da höhere Löhne natürlich betriebswirtschaftlich erwirtschaftet werden müssen. Da hilft es wenig, darauf zu hoffen, dass sich das makroökonomisch schon irgendwie „rechnet“ (wie es der Professor aus Bremen tut). Frag Dich doch mal, wieviel DU bereit bist, etwa für einen Friseurbesuch zu bezahlen und welcher Tariflohn dem entspricht. Auch ich bin für ausreichende Löhne, nur machst Du es Dir wirklich zu einfach, wenn Du oben schreibst, dass der Friseurbetrieb dann „eben dicht machen muss“. Und der Professor aus Bremen – das war mein Ausgangspunkt – macht es sich mit seinen simplen Annahmen auch zu einfach.
    Doch nun wende ich mich anderen Themen zu, schönen Abend noch!

  20. @ Heidemann
    Ich frage mich, was ein Mindestlohn bringen soll, der, wie in GB, niedrig eingeführt wird, nur langsam ansteigt und alles in allem weit unter dem liegt, was der Arbeitsmarkt sowieso hergibt. Andererseits ist ein hoher Mindestlohn, der mit vielen Schlupflöchern aufgeweicht ist wie in Frankreich, alles andere als sozial. Ausserdem: Wollen wir auch große Vororte deren frustrierte Jugend es nie in den regulären Arbeitsmarkt schafft?

    Ein Mindestohn von 7,5 €/h würde vorallem im Osten viele Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt drängen, die jetzt noch einen spürbaren Beitrag zum Familieneinkommen leisten können.

    Wenn wir den Ärmeren unter uns helfen wollen, dann bitte mit einer negativen Einkommensteuer. Diese wurde schon in den 60er Jahren von M. Friedman vorgeschlagen und sauber begründet. Wieso weiten wir nicht unser Kindergeld zu einer negativen Steuer für alle aus? Analog zum Kindergeld sollte die negative Steuer nur alternativ zum persönlichen Freibetrag ausgezahlt und bei Harz IV Beziehern bei der Stütze angerechnet werden. Das käme dann die Staatskasse gar nicht so teuer. Gutverdiener würden sowieso – wie bisher – den Freibetrag nehmen. Die Volkswirtschaft käme es allemal günstiger als ein Mindestlohn. Schließlich bliebe uns die Arbeitskraft vieler Geringverdiener erhalten.

  21. @Heidemann

    schon mal darüber nach gedacht, das der Arbeitsmarkt gar kein markt (im wirtschaftssinne ist?):

    1) Die Freiwilligkeit ist auf dem Arbeitsmarkt kaum gegeben (außer vielleicht bei Existenz eines BGE)

    2) Es gibt dort (selbst ohne Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) ein Oligopol. Immerhin stehen einigen Unternehmern sehr viel mehr Arbeitnehmer gegenüber

    3) Da die Unternehmer den Verkaufspreis ihres Produkts sowie die tatsächlichen Produktionskosten kennen, die Arbeitnehmer aber üblicherweise nicht, gibt es ein extremes Informationsungleichgewicht

    4) Arbeitnehmer sind nicht wirklich flexibel (nicht räumlich sondern inhaltlich), da sie darauf angewiesen sind, eine Stelle passend zu Ihrer Qualifikation zu suchen. Finden sie keine Arbeit, müssen sie die Umschulung mit ungewissem Ausgang selbst finanzieren.

    Dies nur mal so spontan. Da aber nun kein Markt im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne gibt, kann ein staatlicher Einggriff selbst nach neoklassischen Verständnis per se keinen Schaden anrichten, da ein Eingriff sogar empfohlen ist, da ein Informationsungleichgewicht, aber auch ein tendenzielles natürliches Monopol vorliegt.

    Ich würde daher schon jeden theoretischen Versuch, Mindestlöhnen Arbeitsplatzvernichtung zu unterstellen, als lächerlichen Versuch hinstellen, dass die Unternehmer ceteris paribus gerne mehr Gewinn machen würden. Denn darum geht es doch bei Mindestlöhnen. Der Gewinn der Unternehmer sinkt, aber das Unternehmen wird nicht kaputt gehen. Schlechter wird die Lage, wenn überhaupt nur für die gut und best verdienenden, da diese von einem Mindestlohn nicht profitieren, aber die eventuele steigenden Preise finanzieren müssen. Eine Friseurin in Ostdeutschland, die statt 3,29 Euro nun 8 Euro bekäme, würde tatsächlich selbst wenn sie regelmäßig zum Friseur geht sich nur noch dann besser stellen, wenn der Haarschnitt doppelt so teuer wäre. Aber selbst wenn der Haarschnitt doppelt so teuer wird, kann sie sich diesen nun sehr viel leichter leisten las zuvor. Von daher, ist nicht einsichtig, was gegen einen MIndestlohn von 10 Euro spricht.

  22. p.s.

    habe ich gan vergessen:

    die Produktionskosten des Faktors arbeit liegen mindestens beim Existenzminimum. Neoklassiker (und auch neoliberale) gehen jedoch davon aus, dass ein Anbieter, der dauerhaft unter den Herstellungskosten verkauft, pleite geht, daher ist es in deutschland verboten (für Unternehmen) unter Einkaufspreis zu verkaufen. Für Arbeitnehmer aber fehlt dieser Schutz, diese dürfen sich tatsächlich zu Tode arbeiten, wenn sie dauerhaft ihre Arbeitskraft unterhalb des Existenzminimus verkaufen. EIn MIndestlohn entspricht somit genau den Regeln der Unternehmer, die ihre PRodukt ebenfalls nicht unter EInkaufswert verkaufen dürfen. Bei den Unternehmen wird dies aber akzeptiert, bei den Arbeitnehmer soll es plötzlich katastrophal sein??? Ja welches Dogma haben wir denn gefressen???

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