Willkommen zum Postfach
vom 26. April 2018
Thema: Lethargie, Betäubung
Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“ hier im FR-Blog. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.) Diesmal zum Thema „Betäubung“ – im weitesten Sinne. Hier zuerst ein kleiner Überblick.
- Die neue Groko laufe auf nichts anderes hinaus als auf die „Verteilung von Anästhetika“, meint Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt. Dabei sei klar, „was auf der politischen Prioritätenliste dieses Landes an erster Stelle stehen müsste: Die Überführung von Großunternehmen in Gemeineigentum ohne Zahlung von Entschädigungen.“
- „Das ‚große‘ an dieser Koalition ist sehr relativ, denn sie wird erkennbar immer kleiner“, meint Alfred Kastner aus Weiden und fordert „gesetzliche Vorkehrungen dafür, dass niemand länger als zwei Wahlperioden in politischen Ämtern verbringt. Damit wäre die Gefahr der gesellschaftlichen Lethargie, die von der nahezu lebenslangen Vernetzung von Politikern ausgeht, weit weniger akut.“
- Martin Luther King wäre „heute nicht glücklich über den Lauf der Dinge“, glaubt Manfred Kirsch aus Neuwied sicher nicht nur in Bezug auf die Bürgerrechtsverhältnisse in den USA. „Die Aussage Martin Luther Kings im Jahr 1963, wonach Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden sollten, ist unter der Trump-Administration leider wieder aktueller denn je.“ Und wen kümmert’s?
- „Die zentrale Gefahr für die deutsche Gesellschaft liegt im falsch verstandenen Toleranzverständnis, das die Ausbildung einer muslimischen Parallelgesellschaft zulässt, deren Rechtsverständnis aber Unrecht darstellt“, glaubt Jürg Walter aus Leimen. „Ansätze sind schon existent und werden unter dem Schlagwort ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ das ganze Land überziehen.“ Gewiss nur dann, wenn man das zulässt, oder? Aber stimmen Herrn Walters Behauptungen überhaupt?
- Wie verpflichtend sind die Rechtsnormen des Grundgesetzes für Deutsche? „Wenn die Politik den Familiennachzug eigentlich gar nicht will, obwohl das Grundgesetz ein gegenteiliges Verhalten zur Pflicht macht, dann soll sie es mit einem Zusatz versehen: ‚Das Grundgesetz gilt nur für Deutsche'“, meint Otfried Schrot aus Ronnenberg.
- Wo wir gerade bei Ungerechtigkeiten sind: Robert Maxeiner aus Frankfurt hat Kritik an den Positionen des KiK-Managers Zahn. Er stellt fest: „Das Textilbündnis arbeitet offenbar auch nach diesem Prinzip: Was also legitimiert ist, bedarf nicht mehr einer ethisch-moralischen Haltung.“
Und was meinen Sie?
Achtung, vorsorglicher Hinweis: Dieser Thread wird am 9. Mai beendet, weil das FR-Blog dann wegen Bronskis Urlaub ruht. Nach dessen Ende kann es im Juni weitergehen.
Die Groko ist ein Betäubungsmittel fürs Wahlvolk
Kommunen: „Über Nacht schuldenfrei?“, FR-Wirtschaft vom 20. März
„Die Schulden des Staats (überwiegend Investitionen in Soziales, Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Infrastruktur) entsprechen jenen Steuern, auf deren Eintreibung er bei Reichen, Spekulanten und Unternehmen verzichtet. Denn politische Rücksichtnahmen gegenüber dem Großkapital rangieren seit über 60 Jahren vor dem Gemeinwohl. Das wissen auch die Arbeitgeberverbände und sie befürchten, dass selbst in Zeiten einer politisch ruhiggestellten Bevölkerungsmehrheit die Diskussion über Steuergerechtigkeit nicht völlig unterdrückt werden kann (die Neuauflage der Groko läuft bekanntlich auf nichts anderes als auf die Verteilung von Anästhetika hinaus).
Folglich mobilisierten die Arbeitgeber ihre eigene Desinformations- und Propagandaabteilung, das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dieses unterbreitete nun einen Vorschlag, der auf die vollständige Beseitigung staatlicher Regulierung, vor allem bei der Daseinsvorsorge, hinausläuft. Der IW-Immobilienexperte rät den Kommunen, ihre Wohnungsbestände zu verkaufen. Dadurch würden sie ihre Schulden entweder vollständig oder doch zu großen Teilen loswerden. Auf die sozialen Folgekosten geht die Studie nicht mit derselben Gründlichkeit ein. Vielmehr nimmt sie an, dass sich die Mietbelastungen für die Bewohner nicht wesentlich verändern würden – so als ob die neuen Eigentümer Milliarden Euro investierten, die sich bei bezahlbaren Mieten erst in ca. 500 Jahren amortisiert hätten. Dabei ächzen Städte wie Frankfurt am Main seit langem unter den Profiterwartungen des Immobiliensektors. Und längst sind selbst besserverdienende Normalbürger wegen dieser Preise tendenziell von Armut bedroht.
Die Rechenkünste wirtschaftsnaher Institute haben dem Land bereits bei der staatlichen Rentenversicherung ein wachsendes Armutsrisiko unter den Normalverdienern beschert. Die Professoren Bernd Raffelhüschen und Bert Rürup scheuten sich im Zuge der Deregulierung öffentlicher Daseinsvorsorge und speziell von Schröders Agenda-Politik nicht, die Arbeitnehmerschaft auf betriebswirtschaftliche Kennziffern zu reduzieren und deren Lebensplanung zu wesentlichen Teilen an kommerzielle Renditeaussichten (kapitalgedeckte Rente) zu knüpfen, um dem Staat Ausgaben zu ersparen und die Unternehmen von Kosten und Steuern zu entlasten. Das Risiko verteilten sie dabei einseitig, nämlich zu Lasten der Arbeitnehmer.
Die Initiative des Instituts der Deutschen Wirtschaft macht deutlich, was auf der politischen Prioritätenliste dieses Landes an erster Stelle stehen müsste: Die Überführung von Großunternehmen in Gemeineigentum ohne Zahlung von Entschädigungen. Letzteres, weil die Monopole die Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg finanziell ausgebeutet haben.“
Klaus Philipp Mertens, Frankfurt
Gesellschaftliche Lethargie
Die große Koalition hat ihre Arbeit aufgenommen.
„Wäre die große Koalition eine Aktie, dann hieße es an der Börse zu Recht, ihr Kurs stürzt dramatisch ab. Zu Beginn ihres Bündnisses im Jahr 2005 kamen Union und SPD zusammen auf knapp 70 Prozent. Heute, zwei Großkoalitionen später, bringen sie es gerade noch auf 53 Prozent. Das „große“ an dieser Koalition ist sehr relativ, denn sie wird erkennbar immer kleiner.
Nicht wenige der Großkoalitionäre scheinen es sich gemütlich gemacht zu haben in einem System, das sie kaum für verbesserbar halten, weil sie selbst es in den zurückliegenden Jahren gewesen sind, die alles so eingerichtet haben. Es ist jedoch bei Weitem nicht alles gut in diesem Land. Die Unzufriedenheit der Bürger, insbesondere mit dem Parteiensystem, wächst. Man mag sich gar nicht vorstellen, auf welche Weise sich Union und SPD in den kommenden vier Jahren zusammenquälen, obwohl sie sich seit langem nichts mehr zu sagen haben und schon in den vergangenen vier Jahren nicht wussten, was sie eigentlich wollten. Hingegen kann man sicher sein, dass vorwiegend an die eigenen Posten gedacht wird, die es zu verteilen gilt und weniger an grundlegende politische Neuerungen.
Eine neue Agenda, die sich parteiübergreifend dafür einsetzt, grundlegende institutionelle Reformen umzusetzen, die einer lebendigen Demokratie und nicht nur den Parteien selbst eine wirkliche Überlebenschance ermöglicht, wäre dringend erforderlich. Die wichtigste Neuerung, die man anstreben sollte, sind gesetzliche Vorkehrungen dafür, dass niemand länger als zwei Wahlperioden in politischen Ämtern verbringt. Damit wäre die Gefahr der gesellschaftlichen Lethargie, die von der nahezu lebenslangen Vernetzung von Politikern ausgeht, weit weniger akut. Niemand sollte ohne ausreichende Lebenserfahrung in anderen Bereichen Abgeordneter oder Minister werden können. Wer unmittelbar nach Abschluss seines Studiums bereits im Bundestag sitzt, hat sein ganzes Leben lang kaum eine Chance mehr, in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis wechseln zu können. Er ist damit Gefangener des Parteiensystems und kann niemals mehr eine eigene, von der Parteiraison abweichende Meinung äußern, ohne seine Existenzgrundlage zu gefährden.
Niemand sollte auch nach der politischen Karriere seine in der Politik aufgebauten Netzwerke für Lobbyarbeit nutzen dürfen. Ohne lange Karenzzeit aufgenommene Tätigkeiten in der Wirtschaft, die im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit stehen, müssen zu einem vollständigen Entfallen der Bezüge aus öffentlichen Kassen und des Beamtenstatus führen.
Es besteht die Gefahr, dass sich die neue große Koalition durch weitere vier Jahre quält. In diesem Fall müsste man ernsthaft um die Überlebensfähigkeit der Demokratie besorgt sein.“
Alfred Kastner, Weiden
Ungleichheit von Schwarz und Weiß
Zu: „Kings Erbe“, FR-Magazin vom 3. April
„Ich habe mit großem Interesse die Reportage über das Erbe von Martin Luther King jr. gelesen. Wenn man die heutige gesellschaftliche Situation in den Vereinigten Staaten betrachtet, so muss man Jackson Smith zweifellos zustimmen, wenn er davon spricht, dass Martin Luther King heute nicht glücklich über den Lauf der Dinge wäre. Ich gehörte zu denjenigen, die mit der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten einen Meilenstein gegen die nach wie vor vorhandene Rassendiskriminierung erreicht sahen. Doch nicht zuletzt die Wahl von Donald Trump zeigt, wie brüchig die von Martin Luther King und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung erzielten Errungenschaften sind. Nach wie vor existiert die soziale Ungleichheit von Schwarz und Weiß. In Donald Trump regiert ein Präsident, den man durchaus als Rassisten bezeichnen kann und dessen engste Berater sogar zum Ku-Klux-Klan gute Beziehungen haben und faschistischem Gedankengut verpflichtet sind. Seine Wahl ist daher durchaus ein historischer Rückschlag. Im Interesse der Menschlichkeit muss daher, vielleicht durch die Initiativen gegen die Waffenlobby in den USA, dringend wieder eine Bürgerrechtsbewegung entstehen, die an Martin Luther Kings Erbe der Gewaltlosigkeit anknüpft und zu einer gesellschaftsumspannenden Bewegung werden muss. Die Aussage Martin Luther Kings in dessen Rede „I have a dream“ im Jahr 1963, wonach Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden sollten, ist unter der Trump-Administration leider wieder aktueller denn je.“
Manfred Kirsch, Neuwied
Die Scharia gehört nicht zu Deutschland
Gehört der Islam zu Deutschland?
„Ausgangslage: Bundespräsident Christian Wulff am 28.02.2011: „Der Islam ist Teil von Deutschland“; Horst Seehofer: am 15.03.2018: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“; Bundeskanzlerin Angela Merkel am 16.03.2018: „Diese Muslime gehören auch zu Deutschland und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland, also auch der Islam“.
Fazit: Islamisches Recht ist mit dem westlichen Rechtsstaat grundsätzlich unvereinbar. Islamisches Recht ist mit dem Islam als Religion untrennbar fundamental verbunden, verknotet.
Begründung: Der Islam ist die letzte und endgültige von Gott gewollte Gestalt der Religion. (Absolutheitsanspruch des Islam). Der Gesetzgeber ist Gott selbst. Darauf gründet die unerschütterliche Autorität der Scharia – wörtlich: „Der vorgeschriebene Weg“. Sie ist für den gläubigen Muslim die allein maßgebliche Norm, die umfassende Ordnung, die an jedem Ort zu jeder Zeit allein gültig ist. Sie ist die Richtschnur für alle Lebensbereiche und regelt das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Umwelt und zu Gott: sie gilt als Leitfaden für das Verhalten im Dies- und Jenseits: kultisches und rituelles Recht, wie auch Familien(Ehe)-, Erb-, Schuld-, Straf- und Kriegsrecht. Die ‚Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam‘ von 1990 legt in den abschließenden Artikeln 24 und 25 die Scharia als einzige Grundlage zur Interpretation dieser Erklärung fest.
Der Islam legt so nicht nur den gesetzlichen Rahmen fest, in den sich das Leben der einzelnen Gläubigen einfügt, er erlässt damit auch die Ordnung, an der sich neben dem Familienleben, die Gesellschaft, die Struktur des Staates und die internationalen Beziehungen dieses Staates zu orientieren haben (Totalitätsanspruch des Islam): Der Islam ist Religion und Staat zugleich. Folglich kann es keinen säkularen, von der Religion getrennten Bereich im Leben eines gläubigen Muslims geben.
Eine Kritik am Koran, dem Wort Gottes, das seinem Propheten Mohammed geoffenbart worden ist, eine Kritik an der Scharia – religiöse Wertung aller Lebensverhältnisse – ist gleichbedeutend mit Abfall vom Glauben, was mit dem Tode zu bestrafen ist. Somit gibt es in der islamischen Welt keine von offizieller Seite vorgetragene Religionskritik. Jedoch: Religionskritik muss einer Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse vorausgehen, damit sich überhaupt etwas ändern kann (Ludwig Feuerbach).
Die Muslime müssen sich dafür einzusetzen, dass der Islam die Universalreligion schlechthin wird – Universalanspruch des Islam. Daher werden in muslimisch regierten Ländern christliche Minderheiten blutig verfolgt und unterdrückt.
Die Beschränkung von Frauenrechten in der islamischen Welt wird nicht nur durch die Scharia begründet, sondern auch durch tief verwurzelte kulturelle Normen, die mit den religiösen Werten aufs engste verflochten sind und daher auch nicht beseitigt werden können.“
Konsequenz: Die Scharia ist absolut unvereinbar mit den universellen, unveräußerlichen und unteilbaren Menschenrechten, die auf dem Humanismus und der in der Aufklärung entwickelten Idee des Naturrechtes beruhen: „Les droits de l’homme et du citoyen“ – die Grundlage der französischen Revolution, die Richtschnur der amerikanischen Verfassung. Die zentrale Gefahr für die deutsche Gesellschaft liegt daher im falsch verstandenen Toleranzverständnis, das die Ausbildung einer muslimischen Parallelgesellschaft zulässt, deren Rechtsverständnis aber in weiten Teilen Unrecht darstellt. Ansätze sind deutschlandweit schon existent und werden unter dem Schlagwort ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ das ganze Land überziehen.“
Jürg Walter Meyer, Leimen
Das Grundgesetz gilt nicht nur für Deutsche
Thema Familiennachzug
„Das ganze Flüchtlingselend der Welt ist auf den Bruch des wichtigsten Versprechens der Regierungen der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg, das auch deutsche Politiker unterschrieben haben, zurückzuführen:„Wir, die Völker der Welt, sind fest entschlossen, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren!“ Hätten die Regierungen der Welt ihr Versprechen gehalten, hätte nicht kürzlich ein unbegleiteter jugendlicher afghanischer Flüchtling eine junge Deutsche erstochen! Wenn die Politik den Familiennachzug eigentlich gar nicht will, obwohl das Grundgesetz ein gegenteiliges Verhalten zur Pflicht macht, dann soll sie es mit einem Zusatz versehen: „Das Grundgesetz gilt nur für Deutsche“. Dann hört das ratlose Hin und Her endlich auf. Unsere Politiker sind leider nicht aufrichtig genug, um entschlossen bis zur Wurzel des Übels vorzustoßen, den Rüstungsexporten und den daraus sich ergebenden Kriegen als Ursachen des Flüchtlingsproblems. Eine gerechte Lösung wäre es, die ca. 60 Millionen Flüchtlinge auf die waffenexportierenden Staaten der Welt aufzuteilen, und zwar entsprechend ihren prozentualen Anteilen an den gesamten Rüstungsexporten der Welt. Dann kommt auf Deutschland, den drittgrößten Waffenexporteur der Welt (Zeit online, 13.6.2016), ein „ordentlicher Batzen“ zu. Einfallsreiche deutsche Politiker könnten ruhig auf die Idee kommen, der deutschen Rüstungsindustrie eine Zusatzsteuer für die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge „aufzubrummen“. Ebenso gewiss ist aber auch, dass die Rüstungsindustrie das durch saftige Parteispenden – an wen auch immer – verhindern wird. Opfer unsers Weltsystems sind die Kinder, die entweder als unbegleitete Flüchtlinge einem ungewissen Schicksal entgegen gehen oder als Opfer einer Mine lebenslänglich zu Invaliden werden, nachdem ein Aktionär der Rüstungsindustrie an Produktion und Verkauf einer Vielzahl dieser Minen gut verdient hat. Wir sollten das Elend dieser Kinder nicht noch durch „Familienverweigerung“ vergrößern.“
Otfried Schrot, Ronnenberg
Zuerst das Geschäft, und dann …
Kik: „Wir sind nicht das Schmuddelkind“ FR v. Sa./So., 17./18.02.2018
„Zuerst war ich empört, dass KiK-Chef Zahn so viel Platz eingeräumt wird, um nicht nur Auskunft über die Produktionsbedingungen seines Unternehmens offen zu legen, was er, wenn überhaupt, dann nur auf Nachfrage tut, sondern auch für selbiges zu werben. Außerdem habe ich mich gefragt, ob eine Recherche vor Ort, die zwar teurer geworden, nicht einem Interview vorzuziehen gewesen wäre, um die konkrete Arbeitssituation der Beschäftigten zu erfassen, denn um diese sollte es doch eigentlich gehen. So erfahren wir stattdessen mehr darüber, wie die Konzernleitung die Situation bewertet, was in anderer Weise aufschlussreich ist. Typischerweise beginnt Herr Zahn mit einem Selbstlob, bevor er auch nur ein Faktum preis gegeben hat: Wir könnten guten Gewissens die Kleidung von Kik kaufen. Das ist dreist, uns ohne Sachbezug gleich mal ins Gewissen zu reden, für das wir doch höchstselbst verantwortlich sind. Indem er jedes verbale Mittel nutzt, seinen Konzern positiv darzustellen, nimmt er nicht nur dem Interviewer, und uns Leser*innen die Möglichkeit, uns ein differenziertes Bild zu machen, sondern auch sich selbst. Damit verliert er gleich zu Anfang den Realitätsbezug: Ihm geht es nicht um die Arbeitsbedingungen der Menschen, die für seinen Konzern schuften, sondern um dessen Bild in der Öffentlichkeit. Er fährt fort mit Vergleichen, um zu belegen, dass die Produktionsbedingungen von Kik nicht schlechter seien als bei anderen in der Branche. Selbst wenn dies stimmt, haben die Beschäftigten nichts davon, und man gewinnt eher den Eindruck, alle Schmuddelkinder der Branche lassen in Billiglohnländern unter unmenschlichen Bedingungen produzieren. Jegliche Verantwortung für Missstände und miserable Arbeitsbedingungen weist er von sich und schiebt sie auf Fabrikbesitzer, Regierungen und staatliche Behörden. Dass in Staaten wie Pakistan und Bangladesh die Korruption weit verbreitet, und von Arbeitnehmerrechten kaum die Rede sein kann, ist auch hierzulande hinlänglich bekannt. Da KiK nach deutschem Recht nicht haftbar gemacht werden kann, bedeutet es für den Konzern nicht die geringste Hürde, sein fragwürdiges unternehmerisches Handeln zu legitimieren. Das Textilbündnis arbeitet offenbar auch nach diesem Prinzip: Was also legitimiert ist, bedarf nicht mehr einer ethisch-moralischen Haltung. An anderer Stelle nimmt Herr Zahn die seriöse Maske kurz ab, indem er zugibt, die Mitgliedschaft aufzukündigen, wenn er einen Wettbewerbsnachteil wittert. Damit sind die Prioritäten gesetzt: Zuerst das Geschäft, dann die Arbeitsbedingungen. Auf dieses Angebot eines guten Gewissens kann ich verzichten.“
Wie bei jedem gewöhnlichen Angehörigen der hiesigen Bevölkerung hat auch die von der Großen Koalition im Bund noch zu erbringende Arbeitsleistung sich stets an der auf gesellschaftlichem Gebiet jeweils fortgeschrittensten Erkenntnis zu messen, wenn sie notwendig von einer richtigen Praxis zeugen will. Bewähren sich die Mitglieder des Berliner Kabinetts angesichts dessen nicht, kommt die Frau Bundeskanzler kraft ihres Amtes nicht umhin, sie entweder streng zur Ordnung zu rufen oder schleunigst den Bundespräsidenten um ihre eigene Entlassung zu bitten. Ansonsten steht zu befürchten, dass schiere Dilettanten die Richtlinien der Politik bestimmen; was nicht nur einen Bruch mit der Verfassung bedeutet, sondern in der Konsequenz ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen im Handumdrehen in eine Diktatur verwandelt, in der Einfalt exzessiv fröhliche Urständ feiert.