Deutschland muss ja immer Weltspitze sein. Geht irgendwie nicht anders. Irgendwer muss nur irgendwo irgendein Ranking erstellen, in dem Deutschland nur mittelmäßig oder vielleicht sogar schlecht abschneidet, und schon fühlt Michel sich an der Ehre gepackt und tut alles, um in dieser Rangfolge nach oben zu gelangen. Beispiel Pisa. Es geht um Vergleichbarkeit von Lernerfolgen europaweit. Es geht um Evaluation. Es geht nicht um junge Leute an sich, sondern um junge Leute als Arbeitskräfte für die Wirtschaft. Das heißt, das Bildungssystem wird so umgebaut, dass es der Wirtschaft die Arbeitskräfte liefert, die sie braucht – und zwar so, wie sie sie braucht. Sie braucht ehrgeizige Menschen, die Karriere machen wollen und im schulischen System schon von Anfang an auf Wettbewerb gepolt werden. Was die Wirtschaft nicht braucht, das sind Zwischenrufer, Querköpfe, Sonderlinge. Das ist im übelsten Fall einfach nur unverwertbarer Ausschuss. Ich frage mich daher: Sollten wir Pisa nicht einfach Pisa sein lassen?
Hermann Heiser aus Mainz-Kastel meint:
„Dass die FR sich dazu hinreißen lässt, den ganzen Pisa-Quatsch zum Aufmacher zu machen (4.12.), stimmt mich nachdenklich. Seite 3 wird dann immerhin die Katze aus dem Sack gelassen: Um zum Pisa-Erfolg der asiatischen Schwellenländer aufzuschließen, müssten auch in Deutschland zuerst einmal die Lern- und Unterrichtsformen radikal verändert werden: ausschließlich Frontalunterricht, auswendig Lernen, gnadenloses Pauken, außerschulischer Unterricht, Prüfungen ohne Ende, Aussieben – kurz: „Drill, Druck und Demut“, wie es in der Überschrift heißt. Realisierte Chancengleichheit im Bildungswesen wäre in den betreffenden Lädern gleichbedeutend mit Niveauverlust.
Glücklicherweise wurden der schwer nachvollziehbare Ranking-Wahn (Stichwort „Pisa-Schock“) und die Fragwürdigkeit der Studie überhaupt von Volker Ladenthin kompetent kommentiert (FR vom 2.12.). Dem ist nichts hinzuzufügen. Höchstens folgendes Schmankerl: Zur Durchführung des Pisa-Tests wurden schwache Schüler einer Schule von der Schulleitung kurzerhand nach Hause geschickt, um so das Ergebnis zu manipulieren. Nicht in Shanghai, Singapur, Hongkong oder Taipeh, sondern in einer deutschen Großstadt. Es hat leider nichts genützt.“
Robert Elbe aus Offenbach:
„Prinzipiell möchte ich dem Beitrag von Prof. Ladenthin Recht geben. Allerdings habe ich auch Kritik an seinem Artikel: So schreibt er, dass „Wirtschaftsverbände wie die … OECD eben nur wirtschaftlich (denken). Und das mag auch gut so sein“. Diese Ansicht greift meiner Meinung nach in vielfältiger Hinsicht zu kurz:
1. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die OECD kein Wirtschaftsverband, sondern eine quasi-staatliche Kontrollinstitution für Entwicklung und diesbezügliche Beratung! Wenn die OECD „Interessenverband der weltweiten Wirtschaft“ heißen müsste, würde sich kaum ein Mensch um PISA kümmern! Auf die „Mitwirkung der Medien“ bei diesem Täuschungsmanöver und deren wirtschaftlichen Interessen gehe ich an dieser Stelle lieber nicht ein.
2. Ein Interessenverband, der von kapitalistischen Weltmächten finanziert wird („zu 25 Prozent von den USA“), muss als solcher natürlich in seinen Nachrichten zwangsweise gekennzeichnet sein – nur das kommt der Pressefreiheit nahe!
3. Es sei auch gut, dass die Wirtschaftsverbände nur wirtschaftlich denken – so Professor Ladenthin weiter. Das ist selbst ökonomisch falsch: Ins wirtschaftliche Denken fließt nur ein, was aktuell als Kosten vom unternehmerischen Leistungsträger erfasst werden. Externe Effekte, die unsere Gesellschaft massiv tangieren, bleiben außen vor und müssen von der Gesellschaft bezahlt werden. Und warum sollen Wirtschaftsverbände / Unternehmen eigentlich nur wirtschaftlich denken? Was ist denn mit unserer Verfassung, derzufolge wir auch sozialem und ökologischem Denken verpflichtet sind?“
Ute Plass aus Worms:
„Es ist ein Unding, sich Bewertungskriterien einer Organisation wie der OECD zu unterwerfen, geben diese doch null Auskunft über Qualität von Unterricht und Lernprozessen. Wir brauchen keine tollen Testergebnisse, sondern tolle Lernbedingungen. Dass wir unsere Kinder in einen globalen Wettbewerb jagen, damit sie systemkonform funktionieren sollen, grenzt an Kindesmisshandlung durch ökonomische Gewalt.“
Prof. Franzjörg Baumgart aus Bochum:
„Der Bonner Erziehungswissenschaftler oder besser Bildungstheoretiker Ladenthin weiß, was Schule zu vermitteln hat, nämlich Bildung. Und Bildung heißt nichts weniger, als „die Welt neu denken lernen. Die Welt neu gestalten lernen.“ Das ist ein hehrer, quasi-religiöser, seit Humboldt immer wieder formulierter Maßstab, an dem jedes Bildungssystem, wie die historische Erfahrung zeigt, nur scheitern kann. Aber aus der Sicht Ladenthins lässt sich auch das nicht mit Sicherheit feststellen. Denn eine so verstandene Bildung kann man, wie er mit Recht sagt, nicht messen. Tendenziell werden deshalb empirische Bestandsaufnahmen der Effekte schulischer Bildungsprozesse überflüssig. Sie sind nach Ladenthin im Falle PISA sogar gefährlich, weil sie den Bildungsbegriff, wie er ihn versteht, funktionalistisch auf – angeblich – arbeitsmarktkonforme Kompetenzen verkürzen.
In gewisser Weise hat er in seiner daraus resultierenden Polemik gegen die international vergleichenden Schulforschungen PISA sogar Recht: PISA verzichtet mit guten Gründen im Forschungsdesign auf den nur für den deutschen Diskurs zentralen Bildungsbegriff und ersetzt ihn durch den international geläufigen Begriff der „Literacy“. PISA misst nicht „Bildung“, die man nicht messen kann, sondern die aus dem Literacy-Konzept abgeleiteten Basiskompetenzen. Einfach gesagt: PISA untersucht, ob und in welchem Maße es den Bildungssystemen unterschiedlicher Länder gelingt, den Schülerinnen und Schülern bis zum Ende der Sekundarstufe I elementare Fähigkeiten im Umgang mit Sprache, Mathematik und naturwissenschaftlicher Erschließung von Welt zu vermitteln. Für alle Heranwachsenden sind dies unverzichtbare, fundamentale Voraussetzungen für weitergehende Bildungsprozesse und die spätere aktive Teilhabe an Kultur, Gesellschaft und Politik. Diese Kompetenzen lassen sich keineswegs, wie Ladenthin polemisch unterstellt, ausschließlich als Vorbereitung auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts interpretieren. Als Bildungstheoretiker sollte er wissen, dass das, was PISA misst, ziemlich genau dem entspricht, was Humboldt als Grundbildung, als erste Stufe eines lebenslangen Bildungsprozesses für alle Heranwachsenden gefordert hat und was für demokratische Gesellschaften selbstverständlich sein müsste.
Es ist deshalb ein politisch-gesellschaftlicher Skandal, dass diese Forderung nach einer Grundbildung für alle 200 Jahre später noch immer nicht erfüllt ist, dass im deutschen Bildungssystem etwa 20% der Schülerinnen und Schüler nicht über die Kompetenzstufe 1 hinaus gelangen und damit um elementare Lebenschancen gebracht werden. Diesen Skandal öffentlich gemacht und dadurch eine Fülle von bildungspolitischen Reformmaßnahmen initiiert zu haben, ist das große Verdienst der PISA – Untersuchungen und nicht das der „kritischen“ Bildungstheoretiker vom Schlage Ladenthins, bei denen die kritische Attitüde die nüchterne Analyse des Zustands, der Möglichkeiten und Grenzen von Schule und Erziehung ersetzt.“
Arthur Sturm aus Saarburg:
„Leichter konnten Sie es Herrn Schleicher nicht machen, seine Weltanschauung zu erläutern.
Ja, die FR hängt mit Recht der sozialen Bildungsgerechtigkeit an, aber hier suchen Sie sich den falschen Verbündeten. Herr Schleicher ist die bildungspolitische Speerspitze des ideologischen Spitzenverbands des globalen Kapitalismus, der OECD. Für diese gilt nur eine ökonomische Maxime: Vorbereitung der späteren maximalen Verwertung des Humankapitals durch internationale Standardisierung der Bildungskriterien; den Begriff der sozialen Chancengerechtigkeit kennen diese Leute nicht.
Natürlich hängen sich Funktionäre in allen Ländern gern mit da rein, erhöht es doch Ihre Wichtigkeit. Sie sitzen ja im Naturschutzgebiet des Öffentlichen Dienstes und müssen sich nach der Schule nicht dem Druck des globalen Wettbewerbs auf dem Arbeitsmärkten aussetzen.
Warum haben Sie Herrn Schleichern nicht mit den Stichworten unter Druck gesetzt, die Sie unter „Drill, Druck und Demut“ auf der gleiche Seite abdrucken? Oder warum haben Sie nicht danach gefragt, ob nicht jedes Land gemäß seiner Kultur ein Recht auf seinen eigenen Bildungsweg hat ? Dann wäre Herr Schleicher allerdings nicht mehr so wichtig und müsste sich einen anderen Job suchen.“
Roland Lissowski aus Gelnhausen:
„Pisa-Koordinator Schleicher begründet das wieder nur mittelmäßige Ergebnis der deutschen Schüler u.a. so: „Noch immer wird zu viel Stoff frontal vermittelt und zu wenig richtig gelernt.“ Dem zweiten Teil der Aussage stimme ich zu. Zum allseits kritisierten Frontalunterricht: Ich gehöre einer Generation an, die nahezu ausschließlich frontal unterrichtet wurde (Schüler 1956 bis 1968, Student 1970 bis 1974). Nach Herrn Schleichers (und unzähliger anderer „Experten“) Argumentation dürfte aus mir eigentlich nichts geworden sein. Immerhin habe ich es zu fast 40 Jahren ununterbrochenem Schuldienst in Hessen gebracht.
Sehr merkwürdig auch, dass in den erfolgreichen asiatischen Ländern Frontalunterricht und Auswendiglernen und ständige Wiederholungen die Regel sind. Hat schon mal jemand etwas gelernt (z.B. Vokabeln, Rechtschreibung oder das Einmaleins) ohne ständig zu wiederholen. Ich habe diese Dinge auch mal „stur“ auswendig lernen müssen und kann sie trotzdem heute noch anwenden!
Oder hat die deutsche Bildungsmisere vielleicht gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gründe? Zum Beispiel: Es gibt heute die oft zitierten „bildungsfernen Schichten“. Wie soll man diese denn der Bildung näher bringen? Ich finde: Jeder Mensch hat auch eine eigene Verantwortung für sich (und seine Kinder). Wenn Menschen kein Interesse an Bildung haben und diese nicht für wichtig halten, müssen sie auch mit den Konsequenzen leben.
Ich habe unter Migranten sowohl gute bis sehr gute als auch schlechte bis sehr schlechte Schüler erlebt. Gute Schüler sind gut – ob Migranten oder nicht – wenn sie gut Deutsch können und sie bzw. ihre Eltern ein Interesse an Bildung haben. Und umgekehrt. Und Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen gibt es auch unter Deutschen immer mehr.
Die Bildung wurde in den letzten vier Jahrzehnten zugrunde gespart. Immer schwierigere gesellschaftliche Verhältnisse hat man nie mit einem finanziellen Mehraufwand zu korrigieren versucht. Für jeden Lehrer und vor allem Schulleiter ist es jeden Tag erlebbar, wie die Schulen um jede einzelne Lehrerstelle, jeden Sozialarbeiter, jede zusätzliche Betreuungstelle kämpfen müssen, und zwar oft vergeblich. Das vor dem Hintergrund von angeblich alternativlosen Bankenrettungen, die Milliarden verschlingen. Eine Schande! Einfacher ist es natürlich, mit dem Finger auf die Schulen und vor allem auf die Lehrkräfte zu zeigen und von den wahren Ursachen abzulenken.
Aber auch in Schulen hat es negative Veränderungen gegeben. Wenn Kinder aus der Grundschule in eine weiterführende Schule kommen und nicht einmal die Grundelemente des Lernens und Arbeitens beherrschen, dann ist da offensichtlich etwas schief gelaufen. Beim Elterngespräch beschrieb mir eine Mutter eine benachbarte Grundschule als „furchtbare Kuschelschule“. Fürs Kuscheln sollte das Elternhaus zuständig sein, fürs Lernen und Arbeiten die Schule.“
Regina Neumann aus Marburg:
„Na endlich! – Leider habe ich wieder keine Antwort auf meine alte Frage gefunden: Woher haben die PISA-Forscher die Angaben über die soziale Herkunft? Die Schulen erheben sie nicht mehr; auf einer Fortbildung sagte mir ein PISA-Forscher dazu: „Das wissen Sie als Lehrer doch!“ Mein Verdacht: Schlechten Schülern unterstellen Lehrer eher eine niedrige soziale Herkunft als guten. So kommen dann Urteile zustande. – Und eine Sorge: Hoffentlich lesen die Koalitions-Verhandler die Ergebnisse nicht zu genau: Wenn sie merken, dass Finnland trotz Ganztagsschule etc. abgesackt ist, können sie ja beruhigt Lehrerstellen streichen: An denen scheint’s nicht zu liegen!“
„PISA untersucht, ob und in welchem Maße es den Bildungssystemen unterschiedlicher Länder gelingt, den Schülerinnen und Schülern bis zum Ende der Sekundarstufe I elementare Fähigkeiten im Umgang mit Sprache, Mathematik und naturwissenschaftlicher Erschließung von Welt zu vermitteln. Für alle Heranwachsenden sind dies unverzichtbare, fundamentale Voraussetzungen für weitergehende Bildungsprozesse und die spätere aktive Teilhabe an Kultur, Gesellschaft und Politik.“ (Franzjörg Baumgart)
Mehr muss man eigentlich nicht sagen, aber ich möchte es trotzdem etwas weiter ausführen: Natürlich freut sich auch die Wirtschaft, wenn die, die aus der Schule kommen, wenigstens diese Basisfertigkeiten besitzen, was sollte sie auch sonst tun? Aber es ist Schwachsinn, diese Basisfertigkeiten geringer zu schätzen, weil auch die Wirtschaft sie braucht, es brauch sie nämlich jeder.
Und wir bekommen diese Basisfertigkeiten, wenn wir unsere Kinder nicht leiden können, natürlich auch über einen Drill, wie er in asiatischen Diktaturen bzw. konfuzianischen Traditionen üblich ist, oder ansatzweise auch in Bayern, und messbare gesundheitliche Risiken für die Kinder mit sich bringt. Da wird zwar mit der Gesundheit der Kinder geaast, aber dafür mit Lehrkräften gespart, was ja politisch anscheinend unser eigentliches Bildungsziel ist. Die Skandinavier erreichen ihre Ergebnisse mit weniger Druck, begeisterten Kindern – aber mehr Lehrern: Also ineffizient. So viel sind uns unsere Kinder anscheinend nicht wert.
Frontal hat doch früher auch gereicht und ohne Pauken geht es sowieso nicht? Was an dieser Haltung richtig ist, ist, dass das wiederholende Üben in der „neuen Pädagogik“ gerne unterschätzt und bei bestimmten Themen sogar sträflich vernachlässigt wird – die zunehmende Anzahl der LRS-Schüler gibt die Stärke des Chors, der das Lied hierzu singt. Auf der anderen Seite stimmt es einfach nicht, dass die Schule früher so gut war, denn das alte System brachte für die heutigen Verhältnisse am Arbeitsmarkt viel zu wenige Kinder zum Abitur und bei den wenigen zu viele nur mit externer Hilfe, d.h. mit zusätzlichem finanziellen Aufwand der Eltern. Unter einem sozialen Staat, der sich Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben hat, stelle ich mir etwas anderes vor.
Also doch wieder der Arbeitsmarkt, die Wirtschaft? Natürlich. Der Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft, für die das Kind durch die Schule tauglich gemacht werden soll. Und eine Bildung, die nicht auch dazu führt, dass die Menschen sich selbständig in der Gesellschaft bewegen und ihren Teil zu dieser Gesellschaft beitragen können, die sie bildet, ist nicht nur nicht im Sinn des Arbeitsmarktes und der ganzen Gesellschaft, sonder auch nicht im Sinn der so verbildeten Menschen. Sie führt nämlich in die Abhängigkeit und nicht in die Freiheit.
Ist man selbst nachweislich hochbegabt in der Beantwortung wesentlicher Fragen, sieht man sich rasch mit dem massiv unter der Bevölkerung vorherrschenden Desinteresse an der auf diese Weise herausgehoben erbrachten Arbeit konfrontiert. Angesichts dessen auch künftig den Mut zu haben, sich davon nicht beirren zu lassen, kann in der Tat nicht mit den von der OECD verwendeten Instrumenten gemessen werden. Obwohl also solches Tun unbedingt die Voraussetzungen eines jeden Bildungserfolgs erfüllt, zahlt es sich hiesig nicht aus. Insofern nimmt es nicht Wunder, wenn immer weniger darin ihre Arbeitskraft investieren und sich lieber in leerem, aber weitaus höher kursierendem Gerede gefallen.
zu 2 # Toter Handlungsreisender
Hä?
Was wollten Sie uns mitteilen?
Vielleicht erbarmen Sie sich und schreiben eine verständliche Antwort.
Wenn nicht, ist es auch gut. Weil nicht wichtig.