Haben Sie schon mal versucht, Karten für die Elbphilharmonie zu bekommen? Die gibt’s durchaus – aber zu erschwinglichen Preisen nur in kleinen Sälen (die „Elfi“ durchaus aufzuweisen hat). Karten für den großen Saal, den man zu gern erleben würde, sind für Normalsterbliche praktisch unbezahlbar, falls es überhaupt noch Karten gibt. Auf Monate im Voraus ausgebucht. Kulturelle Grundversorgung sieht anders aus, wird unten eine der Leserbriefautorinnen feststellen. Und sie hat recht. Allerdings war die Elbphilharmonie von Anfang an, seien wir ehrlich, als Leuchtturmprojekt der Hochkultur konzipiert. Die Hansestadt an der Elbe hat in ihr ein echtes (und teures) Wahrzeichen bekommen, das echt was hermacht. Und das ist ja auch schon mal was wert, nicht wahr?
Was die Hamburger können, das würden die Frankfurter irgendwie wohl auch ganz gern können. Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren diskutiert die Stadt über die Frage, was mit der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz geschehen soll, das auch auf den maroden Fundamenten des Vorgängerbaus aus dem Jahr 1902 steht, welcher 1944 schwer beschädigt wurde. In der 60er Jahren wurde der alte Bau größtenteils abgetragen und durch den jetzt bestehenden ersetzt, der heute vielen Menschen wegen seiner Transparenz und Lichtfülle gefällt, damals aber als „modernistisch“ kritisiert wurde. Der Bau beherbergt die vielfach preisgekrönte Oper Frankfurt und das Schauspielhaus, daher „Theaterdoppelanlage“.
Derzeit gibt es Tendenzen, die in die andere Richtung gehen, weg vom „Modernismus“. Soeben hat die Stadt Frankfurt Teile ihrer im Zweiten Weltkrieg zerstörten Altstadt wieder aufgebaut, bereits weithin bekannt als „neue Altstadt“. Entspräche ein Wiederaufbau des früheren Schauspielhauses also nicht dem Geist der Zeit? Und das auch noch im Jugendstil!
Zeitgenössische Postkarte vom
Schauspielhaus Frankfurt.
Quelle: Wikicommons, gemeinfrei
Bloß nicht! Wie sollte man darin eine Theaterdoppelanlage unterbringen, ohne den künstlerischen Rang und den Weltruf zu gefährden? Die jetzige Drehbühne im Opernhaus ist die größte Europas. Nein, Frankfurt braucht zweifellos eine Lösung, die zeitgemäß ist. Also vielleicht Aufsplittung der Häuser? Das Schauspielhaus dem Schauspiel, das Opernhaus der Oper? Aber was würde das kosten? Klar hätte man gern so etwas, was mit der Elbphilharmonie mithalten könnte, aber gerade dort hat man ja gesehen, wie die Kosten aus dem Ruder liefen. Außerdem braucht Frankfurt kein Wahrzeichen. Es hat schon eines, das zudem in ständiger Weiterentwicklung befindlich ist: die Skyline.
Was soll man also von den Plänen halten, ein neues Opernhaus am Mainufer zu errichten? Abgesehen von den Problemen mit der Anbindung an den Nahverkehr, die ein solcher Standort mit sich brächte? Am jetzigen Verkehrsstandort ist der kulturelle Standort hervorragend angebunden. Er wird von sechs U-Bahn-Linien angefahren, außerdem von Straßenbahnen und Bussen. Besser geht’s nicht.
Jetzt haben zwölf Repräsentanten der Stadtgesellschaft, an ihrer Spitze der frühere Planungsdezernent und heutige Projektentwickler Martin Wentz (SPD), der Kommune den Bau eines „öffentlichen Hauses“ angeboten, das neben einer Oper auch einen „attraktiven Treffpunkt“ umfassen soll. Zudem recht günstig: für nur 300 Millionen Euro. Eine Sanierung des jetzigen Hauses, die ebenfalls noch immer im Gespräch ist, käme wahrscheinlich deutlich teurer. Die Reaktionen der Frankfurter Politik auf den Wentz-Vorstoß sind durchwachsen. Das liegt unter anderem daran, dass die Stadt gerade erst eine Stabsstelle eingerichtet hat, die prüfen soll, was sinnvoller ist: Neubau oder Sanierung?
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Frankfurt eine Antwort finden. Entscheidungsprozesse in Demokratien können eben langwierig sein. Hier gilt es aber tatsächlich, eine große Zahl verschiedener Interessen auszutarieren, die auch ganz andere Bereiche des öffentlichen Lebens tangieren. Für Kitas ist beispielsweise nicht genug Geld da, und bezahlbarer Wohnraum wird in Frankfurt zur Mangelware – aber eine Milliarde Euro für die Hochkultur? Ja, auch dafür muss Geld da sein. Der Ruf der Oper ist gut für den Ruf Frankfurts in der ganzen Welt. Stadtregierungen müssen so was im Auge behalten, auch wenn sie sich im nächsten Moment mit der Frage konfrontiert sehen, wie sie die Toilettenrenovierung in der Grundschule in Frankfurt-Nied bezahlen sollen. Gerade wurde die Oper wieder ausgezeichnet. Es geht also. Sie ist bereits ein Frankfurter Leuchtturm, auch ohne ein repräsentatives Gebäude wie die Elbphilharmonie zu haben. Auf den Inhalt kommt es an.
Leserbriefe
Heinrich Adams aus Mörfelden:
„Tolles Bild gibt er ab, der Herr der Oper. Kleingeld für Bildung, Schulen, Kindergärten, und Geld, also richtig viel, für Oper. Toll. Wer soll denn für das Angebot von Oper und Schauspiel Interesse aufbringen ohne vernünftige Bildung?
Dieser Loebe scheint nicht von dieser Welt zu sein. Das Geld für seine Arbeit und deren Bühnen kommt übrigens nicht nur von ziemlich gebildeten oder nur mit geld gesegneten Leuten sondern auch von denen die- auch mangels Bildung- nicht zu den glücklichen zehntausend gehören. Ebbes Bescheidenheit wäre angebracht guter mann.“
Marius Füllmann aus Neu Isenburg
„Städtische Bühnen oder Stadttheater abzureißen und in einem Industriegebiet, was es ja noch lange ist, neu zu errichten, ist ein Anschlag auf die Kultur der Stadt Frankfurt am Main. Das Goethehaus steht ja auch nicht im Ostend. Der Dom ist übrigens auch sanierungsbedürftig und zu alt. Also abreißen und am Kaiserlei wiederaufbauen.Dann könnte endlich die dringende Erweiterung der Schirn in Richtung Osten Wirklichkeit werden. An Stelle der jetzigen Oper und Schauspiel Gebäude könnten dann so „architektonisch einfallsreiche“ Bauten wie nur als Beispiel das Main Tor errichtet werden und dort eventuell ein Amazon Super Shop einziehen. Dann wird die Innenstadt sicher weiter belebt.
Dieses Vorgehen könnte nach 25 Jahren den Ausdruck vom „Dynamit Rudi“ mit dem „Abrißbirnen Peter“ ergänzen. Das wollen wir doch wohl nicht?“
Beate Bender aus Bad Vilbel:
„Mit einen Neubau in dieser Größenordnung und Anlehnung an die Elbphilharmonie in Hamburg, würden falsche Signale gesetzt. Auch der geplante Standort direkt am Wasser, lässt geplante Parallelen zu Hamburg erahnen.
Auf der einen Seite eine enorme Zunahme von Kinderarmut, es sind fast 20 000 Kinder in Frankfurt betroffen, auf der anderen Seite errichtet sich der Teil der Gesellschaft, die längst den Bezug zu dem Leben des sog. Normalbürgers, verloren hat, einen Prachtbau, in dem sie mit Sicherheit unter sich bleibt, denn schon für einem Normalverdiener ist ein Besuch dieser kulturellen Einrichtung, zu teuer, geschweige denn ist sie einem Durchschnitts Rentner oder Geringverdiener möglich.
Für diese Bevölkerungsschicht gibt es im Sommer eine Veranstaltung unter freiem Himmel, kostenlos, verbunden mit einer Anreise von mindestens 5 Stunden vor Beginn, damit auch der Normalbürger einmal in den Genuss höchster Qualität von Kultur kommt. Man harrt aus in Klappstühlen und wenn es zu viele werden, werden die Zugänge geschlossen.
Leitbegriffen wie: „kulturelle Grundversorgung“ und „kulturelle Daseinsvorsorge“ würden mit der Errichtung eines Hauses in dieser Größenordnung jedenfalls nicht gefolgt.
Bei einer Hafenrundfahrt in HH, kurz vor der Fertigstellung der Elbphilharmonie, zählte der Fremdenführer Projekte auf, die wegen der Finanzierung des Prachtbaus gestoppt wurden, weil das Geld in die Finanzierung der Elbphilharmonie fliessen musste, aufgrund von immenser Überschreitung der veranschlagten Kosten.
Unter anderem wurden marode Brücken stillgelegt, statt sie zu renovieren, die für die Pendler elementar waren, Schulen wurden nicht renoviert und der Verfall von Sozialwohnungen wurde nicht gestoppt. Wollen wir, dass in ein paar Jahren Frankfurter Fremdenführer Ähnliches über Frankfurt berichten?
Jeder, der den Bau in einer solchen Größenordnung befürwortet, sollte nach Hamburg schauen und sich fragen: „ist das vertretbar, in einer Stadt mit fortschreitender Gentrifizierung, horrenden Mieten, Wohnraumknappheit für Normalverdiener, Rentner, Alleinerziehende (= auch Bürger Frankfurts).“
Diskussion: frblog.de/oper-ffm
Intelligenzler gingen ins Theater, der Erb- und Geldadel bevorzuge die Oper. Dieses (Vor-) Urteil stammt von meinem Urgroßvater, dem der Kulturbetrieb an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert nicht unbekannt war, schließlich hatte er am Mannheimer Nationaltheater eine Musikerkarriere machen können. Opernaufführungen seien, so mein Vorfahre, vor allem gesellschaftliche Ereignisse und böten stets Anlass zur Selbstdarstellung. Über die vielfach belanglosen Texte der Libretti lohne es sich ohnehin nicht zu reden, deswegen müsse niemand befürchten, als Banause erkannt zu werden. Über die filigrane Welt der Kompositionen hingegen erlaube sich kaum jemand ein Urteil, denn auf diesem Terrain könne man unversehens in diverse Fettnäpfchen treten. Wer das erste positive Stichwort in die Runde werfe, erhielte den pflichtschuldigen Beifall. Oper sei Blendwerk, sei vor allem eine Bühne für die Besucher.
Ganz anders das Theater, das der Gesellschaft häufig einen Spiegel vorhalte. Blicke in diesen Spiegel könnten explosive politische Auseinandersetzungen hervorrufen, die grundsätzlicher ausgetragen würden als die Debatten im Reichstag.
An die erwähnten hinterlassenen schriftlichen Äußerungen meines Urgroßvaters, den ich nie persönlich kennengelernt hatte, musste ich denken, als ich auf die Meldung stieß, dass sich eine „Bürgerstiftung Neue-Oper-Frankfurt“ konstituiert hat, die ein neues Opernhaus am Mainufer bauen und dafür eine Anschubfinanzierung von 50 Millionen Euro einsammeln möchte. Der übergroße Rest von ca. 200 Millionen müsste selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln beigesteuert werden. Zur Gegenfinanzierung empfahlen die Lobbyisten den Teilverkauf der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz. Und der sachkundige Beobachter ahnt, dass der Wind verräterisch mitten aus der Szene der Immobilienspekulanten weht. Es geht ums große Geld, die Kultur dient lediglich als Alibi.
Zu den Initiatoren zählen laut einer ausführlichen Berichterstattung von DEUTSCHLANDRADIO KULTUR „elf renommierte Frankfurter Bürgerinnen und Bürger aus der Industrie, dem Bankensektor, von Kultureinrichtungen sowie ehemalige Kultur- und Stadtplanungspolitiker von CDU und SPD.“ Unter diesen befindet sich auch der ehemalige Frankfurter Planungsdezernent Martin Wentz, an den sich manche seiner Parteifreunde in der SPD nur mit Grauen erinnern. Zu rasch und vor allem widersprüchlich sei bei ihm der Wechsel vom nicht sonderlich innovativen Stadtplaner zum geschäftstüchtigen Unternehmer in der Immobilienbranche erfolgt.
In dem bereits zitierten Radiobericht heißt es weiter: „Auf einen konkreten Standort für die neue »Mainoper« legt man sich noch nicht fest. Doch vieles spricht dafür, dass es ein attraktives städtisches Grundstück am Osthafen sein könnte. Nicht weit von der Europäischen Zentralbank am Wasser gelegen. In einer Gegend, die jetzt schon tagsüber beliebter Anziehungspunkt gerade für junge Frankfurterinnen und Frankfurter ist – mit Skaterpark, Liegewiesen am Mainufer und Außengastronomie mit Blick auf die Hochhauskulisse. Auf dem Operndach soll man flanieren oder in einer Bar sitzen und über die Stadt blicken können.“
Tatsächlich: Das ist die Kulisse für eine Kultur, die mit Kultur, also jener Kunst, in der sich menschliche Reflektion ausdrückt, kaum noch etwas gemeinsam hat. Die projektierte »Mainoper« wäre eine Bühne für die Wohlhabenden, auf der man sich zeigt und auf der man gesehen wird. Da wird Musik zweitrangig, allenfalls werden die typischen Gassenhauer der Opernwelt beim Blick auf der Hochhauskulisse nachgesungen.
Ausgerechnet die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig begrüßte diese Initiative. Ebenfalls im Deutschlandfunk äußerte sie: „Die sanierungsbedürftige Nachkriegsmoderne steht zur Diskussion…Diskussion möchte ich gerne unterstreichen, denn es handelt sich um eine Bautradition, die verbunden ist mit einer sehr gelungenen Geschichtsschicht unserer Republik. Das war der Aufbruch in die sich demokratisierende Moderne. In den Städtischen Häusern hat die ästhetische Erziehung der Stadtgesellschaften stattgefunden… Wir haben eine Stabsstelle zur Zukunft der Städtischen Bühnen auf den Weg gebracht [Anmerkung: Deren Leiter ist der Architekt, dem das Frankfurter Disneyland „Neue Altstadt“ mit zu verdanken ist], die einen geordneten Prüfungsprozess durchführt. In diesen werden wir den Vorschlag der Bürgerstiftung einbringen.“
Aha: Jetzt wird der Ästhetizismus in die Debatte eingeführt. Allerdings verbirgt sich hinter einem solchen nicht selten ein Verständnis von Harmonie und Schönheit, das sich als „außen hui, innen pfui“ beschreiben lässt. Die äußerlich vergleichsweise schlichte Theaterdoppelanlage ist ein Zeitzeugnis, das die Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt (in diesem Punkt ist Ina Hartwig zuzustimmen). Aber ihre Architektur macht die Rangfolge deutlich: Inhalt geht vor Verpackung. Über letzteres wird konsequent hinweggesehen.
Dass dieser Gebäudekomplex so verfallen konnte, ist einer parteiübergreifenden Politikerkaste zu verdanken, der fast jede Investition in den Erhalt der Anlage zu teuer war und die plötzlich, von Spekulanten angetrieben, zu einer Protz-Lösung rät.
Liebe Leser*innen, liebe Blogger*innen,
ich möchte bzgl. des pauschalen Sozial-Bashings gegen die Städtischen Bühnen darauf hinweisen, dass dieses Haus Theater- und Opern Tickets ab 3,00 € für Kulturpassinhaber*innen, Tickets zum 1/2 Preis in allen Lagen für Frankfurt-Pass-Inhaber*innen anbietet. Damit ist große Oper ab 7,50€ auch ohne Kulturpass möglich. Schüler zahlen pauschal 8,00€ im Theater, in der Oper kann der Juniorpass für ein Jahr für 10,00 € erworben werden, bis zum Alter von 30 Jahren (!)kostet der Operneintritt auf Bestplätzen jeweils 15,00€ für max. zwei Personen. Kranke Menschen mit Schwerbehindertenausweis können im Abonnement ab 2,75€ pro Platz ins Theater , ab 6,00€ in die Oper. Schulklassen und Kindergruppen zahlen ebenfalls 6,00€ pro Platz in beiden Häusern.
Natürlich muss eine Stadtgesellschaft das Geld zusammenhalten und sinnlose Ausgaben vermeiden.
Genauso sollten die Steuern aber da vereinnahmt werden wo Sie anfallen. Ein wenig mehr Objektivität wäre angebracht.
Dass die Elbphilharmonie dauernd ausverkauft ist, ist natürlich ein unverzeihlicher Fehler. Für die jüngeren gibt es aber Hoffnung. Fast alle Experten klassischer Musik sind sich einig, dass das Publikum für klassische Musik ausstirbt (siehe hier). Meine Frau und ich haben im Sinfoniekonzert oft den Eindruck, dass wir als Mitsechziger wieder mal die jüngsten waren.
Wenn es also in 20-30 Jahren kein Publikum mehr gibt, warum sollte man denn jetzt noch ein neues Opernhaus bauen?
Als Hartz-IV-Empfänger oder Asylbewerber kommt man für 10 Euro in die Elbphilharmonie, sonst kostet es schon mal das Doppelte auf den billigen Plätzen.
Der Verweis wurde nicht übernommen:
https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/klassikkampf.html