Volksbildung und Aufklärung als Auftrag

In Deutschland ist es fast ein Volkssport, auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzudreschen. Daher konnte sich Horst Seehofer (CSU) vor einer Weile auch vielfachen Applauses sicher sein, als er die Zusammenlegung von ARD und ZDF forderte. Es war eine populistische Forderung. Das soll nicht heißen, dass es am öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts zu kritisieren gäbe. Aber wie das so ist, wenn viel kritisiert wird, verliert man darüber allzu leicht die positiven Seiten aus dem Blick. FR-Autor Christian Bommarius hat dazu kürzlich einen Leitartikel geschrieben.

Der Rundfunkbeitrag hat den Charakter einer Zwangsabgabe. Das macht ihn unbeliebt, aber das hat er mit den Steuern gemein, die wir zahlen. Steuern sind nötig, um ein funktionierendes Gemeinwesen aufrecht zu erhalten. Manchmal knirschen auch meine Zähne sehr laut, wenn ich sehe, wofür die Steuern eingesetzt werden. Wenn man das selbst steuern könnte, würde man natürlich so einiges anders machen. Und so ist es auch mit dem Rundfunkbeitrag, der früheren GEZ-Gebühr. Sie ist letztlich ein Beitrag jedes einzelnen Haushalts zu unserem Gemeinwohl.

Jeder weiß: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat die Aufgabe, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Nun gibt es immer wieder Stimmen, die kritisieren, was denn dieser Haufen mehr oder weniger seichter Unterhaltung mit Meinungsbildung zu tun haben soll. Oder gar was die vielen Sportsendungen, die einen Haufen Geld kosten, dazu beitrügen. Diese Stimmen vergessen meistens, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur – abseits vom Radio – aus ARD und ZDF besteht, sondern auch aus 3sat, arte, Phoenix und weiteren eher anspruchsvollen Programmen, die jeder TV-Zuschauer ansteuern kann, wenn er das will. Das Angebot ist also da, es wird bereitgestellt, und dafür zahlen wir.

Wir zahlen für Polit-Formate wie Panorama oder Fakt, für Wissenschaftsformate wie Scobel oder Quarks & Co, aber auch für aufklärende, interessante Unterhaltung wie „Hirschhausens Quiz des Menschen“ oder die „Show der Naturwunder“ ebenso wie Übertragungen aus dem Bayreuther Festspielhaus, das literarische Quartett, Kulturmagazine, Talkshows und Satire. Wir zahlen aber auch für Comedy, Boulevard-Magazine wie „Brisant“, für Volksmusikshows und Sportübertragungen. Keiner von uns kann mit allem, was die öffentlich-rechtlichen Sender bringen, etwas anfangen. Normalerweise treffen wir eine Auswahl und sehen uns die Dinge an, die uns interessieren, und wir sollten uns nicht darüber beschweren, dass eine große Zahl von Menschen eher Richtung leichte Unterhaltung tendiert. Wer abends nach einem harten Arbeitstag erschöpft nach Hause kommt, will eben möglicherweise keine Politik, will nicht aufgeklärt und gebildet werden. Niemand kann ihn dazu zwingen, sich zu bilden, aber es ist ja auch nicht die Aufgabe der Sender, ihre Zuschauer zu zwingen, sondern es ist ihre Aufgabe, ein möglichst breites Angebot bereit zu halten, aus dem die Menschen wählen können.

Schauen wir mal auf die Quoten

Ein Kritikpunkt an den Sendern ist das „Schielen auf die Quote“. Sollte das stimmen, dann muss man sagen: So schlecht machen die das offensichtlich nicht. Schauen wir uns die Einschaltquoten vom 10. Oktober an. Unter den ersten zwanzig Plätzen befinden sich fünf Nachrichtenformate, vier davon unter den ersten zehn. Davon stammt einer aus dem Privatfernsehen: „RTL-aktuell“ (Platz sieben). Die Info-Formate „Wiso“ und „Der Geld-Check“ belegen Platz acht und 17. Es finden sich also sieben Informationssendungen unter den ersten 20 Plätzen, davon sechs aus öffentlich-rechtlicher Produktion.

Spielfilme finden sich nur zwei (Platz eins und 18), die Talkshow „Hart aber fair“ belegt Platz 11. Zählen wir sie zu den seriösen Formaten und nehmen noch die Unterhaltung mit Anspruch hinzu („Bares für Rares“ auf Platz 17 und „The Big Bang Theory“ auf Platz 20), dann haben wir zwölf seriöse TV-Formate unter den ersten 20, davon zwei aus dem Privatfernsehen.

Bei der eher seichten Unterhaltung liegen die privaten Sender mit Serien-Formaten wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ vorn: vier von sechs finden sich unter den ersten 20. Die Serie „SOKO München“ habe ich hier eingereiht, obwohl der Fall vielleicht nicht ganz so klar ist, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben könnte. Auch „Bauer sucht Frau“ (Platz 2) zähle ich kurzerhand mal dazu. Die beiden letzten Platzierungen gehen an die Boulevard-Magazine „Extra – das RTL-Magazin“ (Platz 10) und „Leute heute“ vom ZDF (Platz 15).

Diese kleine Auswertung zeigt meines Erachtens zumindest für den beobachteten Montag, dass der Vorwurf, die Zuschauer wollten eher seichte Unterhaltung sehen, offensichtlich nicht stimmt. Die Zuschauer wählen offenbar sehr bewusst aus und nutzen das Fernsehen insgesamt vielfach informationsorientiert. Die jüngeren Zuschauer hingegen tendieren mehr zur Unterhaltung, die sie eher bei den Privaten finden. Übrigens: Es ist keine einzige Sendung der anspruchsvolleren Spartensender unter den ersten 20. Dass mit dem „Schielen auf die Quote scheint mir daher eher ein Vorurteil zu sein.

Eine Frage des Gemeinwohls

Es dürfte Konsens sein, dass Unterhaltung ein Grundbedürfnis des Menschen ist, und damit ist sie eine Frage des Gemeinwohls. Soll die Unterhaltung also den Privaten überlassen werden, weil sie nicht dem Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen entspricht? Sollte nicht eher versucht werden, der Tendenz zum Trash bei den Privaten spannende Unterhaltung mit einem gewissen Anspruch entgegen zu setzen? Ich glaube, dass die Öffentlich-Rechtlichen dies insgesamt recht gut machen, wofür ich den Anstieg von Trash-Shows im Privatfernsehen als Symptom ansehe. Das klingt nur im ersten Moment paradox. Doch wenn die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren Mitteln gute Unterhaltung machen, setzt dies die Privaten unter Druck; und da sie nicht über dieselben Mittel verfügen, lassen sie sich umso derbere Shows einfallen, die meist billig produziert werden, aber in der Regel nicht die Einschaltquoten erreichen, die sie anvisieren. Das ist nicht nur eine Frage des Geschmacks oder des Wettbewerbs, sondern könnte stilbildend für die gesamte Gesellschaft werden. Ich möchte kein Deutschland erleben, in dem es nur noch Unterhaltungsformate wie „Bauer sucht Frau“ gibt.

Zur Unterhaltung zählen auch Spielfilme, auch eigenproduzierte, auch Krimis. Da gibt es bei den Öffentlich-Rechtlichen gewaltige Unterschiede, die von Rosamunde Pilcher bis zu solchen grandiosen „Tatort“-Filmen wie „Zahltag“ vom vergangenen Sonntag oder solchen umwerfenden Filmen wie „Mein Sohn, der Klugscheißer“ reichen. In solchen Filmen werden auf den ersten Blick natürlich „nur“ Geschichten erzählt, aber diese Geschichten können wiederum Debatten auslösen („Contergan“). Eine großartige Familien-Soap wie „Weissensee“, die vor dem Hintergrund des Unterganges der DDR spielt und einen differenzierten Blick auf ihre Protagonisten hat, wäre keinem Privatsender eingefallen. Nebenbei sind solche Produktionen auch Film- und Kunstförderprogramme. Für mich gilt ganz klar: Auch solche Formate gehören ins Öffentlich-rechtliche Fernsehen, denn auch sie bilden.

So was gehört zum Informationsauftrag

Gilt das auch für die Sport-Übertragungen? Nun, hier ist regelmäßig das öffentliche Interesse so groß, dass sich diese Frage von allein beantwortet, auch wenn Manche das nicht gern hören: So was gehört zum Informationsauftrag. Ärgerlich sind aber die hohen Kosten, die dabei entstehen. Hier müssen die Ausrichter von Großveranstaltungen, vor allem im Fußball, aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannen. Ich möchte nicht erleben, dass die Fußball-Bundesliga komplett ins Bezahlfernsehen abwandert. Allerdings dürften die Verantwortlichen bei der DFL längst erkannt haben, dass dies nicht in ihrem Interesse ist. Sie haben schon Erfahrung damit, was passiert, wenn die Bundesliga im Privatfernsehen läuft, denn das hatten wir ja schon mal.

Ich fasse zusammen: Die Forderung nach einem reinen Bildungssender, die zum Beispiel Leitartikler Christian Bommarius erhebt, halte ich für nicht wünschenswert, denn dann werden die öffentlich-rechtlichen Sender selbst zu Spartensendern. Wünschenswert hingegen ist, dass die Sender die TV-Bedürfnisse so vieler Menschen wie möglich zu befriedigen suchen und dass sie dabei die gesellschaftliche Realität Deutschlands, deren Spiegel sie zugleich sind, so abbilden, wie sie ist: bunt.

fr-balkenLeserbriefe

H.-G. Becker aus Frankfurt meint:

„Vielen Dank für den ausgezeichneten Leitartikel von Christian Bommarius “ Der überversorgte Ewiggestrige° in der FR vom 04.10.2016! Endlich einmal werden die verkrusteten öffentlichrechtlichen Sender ARD und ZDF einer kritische Beurteilung unterzogen. Auch ich bin der Meinung, dass es sich dabei um aufgeblähte sehr teure Institutionen handelt, die im Prinzip von viel zu viel Steuergeldern („Beiträge“ oder „Gebühren“) finanziert werden und dennoch ihrem verfassungsgemäßen Auftrag, nämlich Volksbildung und Aufklärung zu bieten, in keiner Weise mehr gerecht werden. Stattdessen versuchen sie den kommerziell ausgerichteten privaten Sendern in ihrer Belanglosigkeit und zum großen Teil intellektuellen Primitivität nachzueifern oder diese sogar noch zu übertreffen. Mit ihren heutigen Programmen tragen die öffentlichrechtlichen Sender auf diese Weise sogar indirekt mit dazu bei, dass tumbe populistische Parolen aus der Politik, u.a. auch aus extremistischen Ecken, in der Bevölkerung Platz greifen können oder sie arbeiten zumindest nicht ausreichend dagegen an. Noch härter ausgedrückt: Die Programme mit ihrem Überangebot an seichter bzw. primitivster Unterhaltung sowie ausuferndem Sportangebot tragen mit zu einer Art Volksverdummung bei und richten somit nicht nur in finanzieller Hinsicht gesellschaflichen Schaden an. Im übrigen werden nicht zuletzt im Bereich des Sports durch die unmäßigen gebührenfinanzierten Lizenzzahlungen für Fußball- und andere Sport-Großereignisse dubiose Geschäftemacherei, eine irrsinnige Entwicklung von Gehältern und natürlich die Korruption gefördert. Es wäre daher höchste Zeit, dass die in den Aufsichtsgremien vertretenen Politiker endlich einmal ihren Auftrag erfüllten und eine Kurskorrektur einleiteten. Die Anregung, ARD und ZDF zu fusionieren, könnte ein guter Anfang sein.“

Karl Johé aus Groß-Umstadt hingegen:

„Der sicher nicht polemische Kommentar mit seinem scheinbar sachlichen Lösungsansatz ist dennoch erschreckend kurzsichtig.
ARD und ZDF sind durch den uralten Rundfunkvertrag und nachfolgende Gerichtsurteile ohnehin eingeschränkt und können sich nicht auf der notwendigen zeitgemäßen medialen Breite entwickeln, was von konservativer Seite immer wieder unterstrichen wird. Dass andererseits Politiker eine Interesse an den Regionalsendern haben, ist bei den gegebenen Einflussmöglichkeiten (aus Hessen lässt hier Roland Koch grüßen) nicht verwunderlich. Und unbestritten ist die zuweilen peinliche Quotenangst der in Konkurrenz zu den Privaten agierenden Programmverantwortlichen. Auch auf der Kostenseite mögen Fachleute zu Recht erörtern, wo es Überversorgung und Verschlankungen bzw. Einsparmöglichkeiten gibt.
Aber der Autor fordert langfristige Strukturreformen, mit verschleiernden Argumenten und ohne deren Konsequenzen zu nennen.
1. Verzicht auf Werbung, was die ARD und ZDF unter erhöhten Kostendruck bringen würde und vor privatisierungsfreundlichen politischen Konstellationen zittern lassen muss.
2. Verklausulierten Ausstieg aus dem Vollprogramm, was die Sender tendenziell zu Spartenkanälen reduzieren könnte. Fernsehen ist nun einmal vorwiegend ein Unterhaltungsmedium. Auf der Informationsseite müssen die Sender in Konkurrenz mit den Verlagen schon jetzt um jeden Zipfel kämpfen, den sie besetzen können und m.E. müssen.
3. Reduzierung des Sports, was den sportinteressierten Zuschauern zum Sky-Abo zwingt, wo er zum Teil abenteuerlich schlechten Sportjournalismus erdulden darf und einem permanenten Trommelfeuer von Eigenwerbung ausgesetzt ist. Wie das weitergeht, zweit ein Blick nach England.
3. Wie der Wettbewerb um die „zukunftsfähigsten Medienprojekte“ ausgeht, muss der Autor aus den Erfahrungen des Auslands wissen, auch wenn er es verschweigt: Billigste Unterhaltung auf nivelliert auf niedrigstem Niveau. Plus gelegentliche Qualität für alle, die dafür bezahlen wollen und können.
4. Und auch in diesem Artikel wieder das Bashing der „Zwangsabgabe“, mit dem Brommarius leider im Gleichklang mit den schlichtesten Foristen im Internet ist. Ja, die monatliche 17,50 Euro sind eine Zwangsabgabe ( 2 Kinokarten, 2 Menüs bei McDonalds, 1,5 Champions-League Spiele bei Sky). Ohne (freiwillige!) Gebühren gibt es aber bei Privaten wenig zu sehen, und es wir auch bei den Werbefinanzierten nicht mehr werden. Ich bin, das mag man belächeln, heilfroh, dass es diese Abgabe gibt. Tag für Tag, Woche für Woche. Das liegt daran, dass ich nicht, wie anscheinend der Autor, lediglich ARD und ZDF schaue, sondern alle öffentlich-rechtlichen Kanäle nutze, wie z.B. Arte, 3sat, Phoenix, BR-Alpha, Tagesschau 24, Einsfestival, ZDF-Neo, ZDF-Info. Sie bieten zu praktisch allen Lebensbereichen und allen relevanten Fragen von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Geschichte äußerst umfangreiche und vielfältige Information und Meinung, meist auf sehr hohem fachlichem bzw. journalistischem Niveau. Und das zu allen Tages- und Nachtzeiten und mit (gottlob) vielen Wiederholungen aus ARD und ZDF und Möglichkeiten zum Aufzeichnen der Sendungen. Wer diese Kanäle nutzt, mag zu einer Minderheit gehören, aber er ist hochinformiert und – mit z.B. auch Satire – bestens unterhalten.
Kann es sein, dass dies alles Herrn Brommarius entgangen ist? (Nein!) Kann es sein, dass Herr Brommarius nicht weiß, wie Privatisierung im Fernsehen (und anderswo) läuft? (Nein!) Kann es sein, dass Herr Brommarius nicht weiß, wer übrigbleibt, wenn der Bürger für Qualitätsmedien (wie Tageszeitungen) auf dem Markt bezahlen soll? (Nein, und schon gar nicht als FR-Autor!)
Mit seiner verschleiernden und nur scheinbar zukunftsorientierten Argumentation ist der Autor eigentlich ein „Ewiggestriger“, der wissen müsste, was herauskommt, wenn seine Vorschläge umgesetzt werden und der wissen müsste, dass nur die über „Zwangsabgaben“ finanzierten ARD und ZDF auf ihren vielen Kanälen Qualität rund um die Uhr senden. Ob er persönlich auch „überversorgt“ ist, weiß ich nicht. Sollte er finanziell unterversorgt sein, übernehme ich – Qualität hat ihren Preis! – gerne für ihn die Zwangsabgaben für ein volles Jahr!“

Und jetzt noch ein Leserbrief von Richard Dussmann aus München, den ich wegen seiner Länge nicht im Print veröffentlichen konnte. Auch bei den beiden oben stehenden Leserbriefen musste ich kräftig kürzen.

„Sehr geehrter Herr Bommarius, Ihren Leitartikel und der darin zum Ausdruck gebrachten Kritik an unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem kann ich an manchen Stellen nachvollziehen, im Großen und Ganzen finde ich ihn jedoch unsachlich und Ihre Forderung nach einem Art Bildungskanal nicht erstrebenswert. Im Einzelnen:
Sicherlich ist es so, dass ARD und ZDF teilweise seichte Unterhaltung ausstrahlen, die die Frage aufwerfen, ob für so etwas Rundfunkbeitrag bezahlt werden muss. Hier stellt sich dann aber auch die Frage, inwieweit diese subjektive Einschätzung nicht auch eine feuilletonistische Arroganz in sich birgt. Die Einschaltquoten belegen ein Verlangen des Publikums und damit aller Beitragszahler auch für solche Sendungen. Selbst wenn ich meinen Geschmack durch so ein Programm auch nicht repräsentiert sehe, halte ich es für in Ordnung, wenn der Beitragszahler auch mit solchen Inhalten gefüttert wird und ich diese mitfinanziere.
Der Rundfunkbetrag ist mit 17,50 EUR in meinen Augen nicht übertrieben hoch. Wenn ich mir hier vergleichsweise mein Zeitungsabo mit rd. EUR 50,-/Monat ansehe, dann muss ich sagen, dass ich für den Rundfunkbeitrag im Verhältnis wesentlich mehr erhalte.
Hier sind wir dann auch schon bei einem Problem Ihres Artikels. Sie beziehen sich auf den Rundfunkbeitrag und ein öffentlich-rechtliches System, beziehen sich allerdings dann ausschließlich auf ARD und ZDF. Ich zahle den Rundfunkbeitrag hingegen auch für 3sat, Arte, Phönix, Dritte Programme, die ich über Satellit allesamt empfange, diverse Hörfunkprogramme, eine Kulturwelle wie Bayern 2 oder einen Infokanal wie B5aktuell. Obwohl ich selbst kein großer Nutzer von klassischer Musik bin, ist es in meinen Augen gerechtfertigt, dass aus dem Rundfunkbeitrag auch Orchester finanziert werden und ein öffentlich-rechtliches System auch als Kulturträger fungiert.
Dies gilt für mich in Zeiten wie diesen umso mehr: Das Internet mag eine Informationsvielfalt mit sich bringen, ich kann mit dieser Art von ungefiltertem Halbwissen und unrecherchierter Marktschreierei jedoch nur wenig anfangen. Ich bin froh, dass wir aus den Erkenntnissen des Dritten Reichs heraus und anders als andere EU-Staaten oder auch die USA ein Rundfunksystem unterhalten, das Politik stattfinden lässt, das Kultur zeigt, das Kultur fördert, das entsprechend unserer bundesrepublikanischen Organisation föderalistisch ausgeprägt ist, ein gutes Korrespondentennetz unterhält, Sendungen wie weltspiegel, Tagesschau, heute, auslandsjournal oder erst gestern in arte eine 4-stündige Doku über die Amtszeit Obamas zeigt. In Anbetracht dessen nehme ich auch gerne Sturm der Liebe oder Markus Lanz in Kauf, obwohl ich diese Sendungen weiß Gott nicht schätze. Da auch diese Sendungen ihr Publikum zu finden scheinen, sollte es sie jedoch geben, damit Leute davor oder danach auch mit Inhalten konfrontiert werden, die sie sich sonst vielleicht nicht ansehen würden.
Ich glaube auch nicht, dass es eine Alternative zu einem öffentlich-rechtlichen System gibt. Die Privatsender haben ausschließlich kommerzielle Interessen, hier hat Kultur, Politik oder Dokumentation (ich spreche von echter Doku, nicht Virtual Reality) nachvollziehbarer Weise keinen Platz, selbst eigenproduzierte deutsche Filme sind im Vergleich zu weltweiter Kaufware viel zu teuer und daher selten. Selbst wenn manche Programminseln verpflichtend vorgegeben werden, werden diese auch nur mit Infotainment und nicht für echte Informationen genutzt, da diese einfach zu teuer wären und der Rendite abträglich sind. Privatsender sind daher per se nicht Hort von Qualitätsjournalismus. Immer seltener wird diese Rolle leider auch von Zeitungen oder Zeitschriften ausgefüllt. Verlage legen Redaktionen zusammen, drucken die gleichen Artikel in mehreren Blättern ab, Redakteure werden entlassen, Korrespondentennetze aufgelöst bzw. stark gekürzt. Bis auf ein paar wenige Leuchttürme wie die Zeit oder ein paar wenige Tageszeitungsjournalisten findet immer mehr Agenturjournalismus statt. All dies bringt eine Verarmung für unser Land und unsere Bildung mit sich.
Ich mache hier keiner Zeitung einen Vorwurf, die Geschäftsmodelle haben sich verändert, das Anzeigengeschäft ist vom Internet beseitigt worden, die Abos sind zu teuer, die Bereitschaft des Bürgers, für Medien zu zahlen, schwindet bzw. zahlt man lieber 40 Euro an Sky, Netflix, Amazon Prime, o.ä. und gibt Unsummen für ständig neue TV-Apparate, ipads oder Smartphones aus. Aber so ist es nun mal und sich darüber zu beklagen, macht keinen Sinn.
Basierend auf diesen Entwicklungen möchte ich noch einmal zusammenfassen, dass ich ein öffentlich-rechtliches System wie unseres für durchaus wichtig halte, dass dieses auch populären und unpopulären „Content“ produzieren und ausstrahlen soll, um relevant zu bleiben, dass dieses auch föderal und in seinen Inhalten vielschichtig aufgestellt sein soll und nicht nur ein enges Bildungs- und Informationskorsett tragen sollte, sondern dass auch Unterhaltung, Sport, Kultur, Filme, Musik, Orchester, Korrespondenten, etc. hierzu zählen, dass gerne auch in gewissem Umfang Werbung als Abbild einer modernen Gesellschaft und zur Niedrighaltung des Rundfunkbeitrags enthalten sein kann, dass meinetwegen auch Dinge ausprobiert werden dürfen und sollen, die nicht meinen persönlichen Geschmack treffen und am Ende des Tages finanziere ich meinetwegen damit auch Sturm der Liebe oder einen Musikantenstadel, obwohl ich das Geld lieber an Joko & Klaas o.ä. überwiesen gesehen hätte.
Kurzum: Haut nicht immer auf unser Rundfunksystem ein, sondern vergleicht es mit der sonstigen weltweiten Presse, preist lieber mal die Bedeutung des Systems für unsere demokratische Gesellschaft, vergleicht 17,50 Euro mit anderen Medienangeboten und deren gesellschaftlichem Mehrwert, redet nicht immer von Zwangsabgabe, auch wenn es eine ist, sondern überlegt, wie die Alternative aussähe. Dass Preise steigen, ist normal, der Mercedes hat 1980 auch nur 30.000 Euro gekostet und nicht 70.000, hatte aber auch keine 200 PS, war eine Drecksschleuder, hatte 0 Sicherheit, hatte 0 Ausstattung, war im Vergleich lebensgefährlich, ist nach zehn Jahren verrostet gewesen und auseinandergefallen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk von heute muss auch mehr leisten, es gibt mehr als 3 Sender, es gibt neue Techniken, neue Ausspielwege, 24/7 Programm statt Sendeschluss um 22.30 Uhr und nächtliche Bahnfahrt, Filme sind teurer, Korrespondentennetze sind teurer, wir alle wollen mehr, öfter und schneller informiert werden, Löhne, Technik, Ausstattung, Studios und Mieten sind teurer als 1970 und insofern zahle ich EUR 17,50 im Vergleich gerne, obwohl es mir unentgeltlich auch lieber wäre…“

Verwandte Themen

2 Kommentare zu “Volksbildung und Aufklärung als Auftrag

  1. Ich kann mich dem Leserbrief von Herrn Johé nur anschließen, würde allerdings noch einen Schritt weitergehen. Der Leitartikel von Herrn Bommarius ist sehr wohl polemisch. Was für ein Blödsinn da wieder vorgeschlagen wird, von der Abschaffung der Sportberichterstattung bis zum Ausstieg aus dem Vollprogramm!
    Der Aufhänger ist (wieder mal) die „Zwangsabgabe“ von umgerechnet 58 Cent am Tag – für ein Angebot von 23 Fernseh,- und 62 Hörfunkprogrammen. Nur mal zum Vergleich: ihre Zeitung allein kostet den Nutzer ca. das 4-fache des gesamten öffentlich rechtlichen Programms. Sie sagen auf der einen Seite, dass die Sender ein Familienprogramm bieten und ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen. Auf der anderen Seite werden Sender wie arte, 3Sat, Phoenix, BR Alpha, TS 24, ZDF Info, etc. überhaupt nicht erwähnt, oder als Minderheitenprogramm abgestuft, dass sie aber auf der anderen Seite ja mit dem Bildungsauftrag einfordern. Ja was denn nun. Dieses ewige Gemecker am öffentlich rechtlichen Rundfunk empfinde ich mittlerweile als absolute Stimmungsmache, die normalerweise aber eher von den Zeitungen des Springer Verlags und der Bertelsmann Medienkette lanciert wird, selbst stolze Besitzer der nicht eben gut laufenden Privatsender. Die Einschaltquoten sprechen für sich. ARD, ZDF und die Dritten Programme liegen immer vorne und ich hoffe, dass sie noch lange bestehen!

  2. Ich finde auch, daß das deutsche Fernsehen besser ist als oft behauptet , auch wenn es erhebliche Probleme in Teilen der politischen Berichterstattung gibt.
    Auch und gerade im Unterhaltungsbereich gab es in den 2000er-Jahren positive Entwicklungen , z.B. was Fernsehkrimis angeht, gekaufte (BBC,Skandinavien)wie eigenproduzierte (vor allem im ZDF).
    Eine versteckte Qualität ist das “ Musikfernsehen“ , es gibt auf verschiedenen Sendern immer wieder gute Konzertmitschnitte.

    @Sigrid Rienäcker

    Zustimmung, wer undifferenziert auf die öffentlichen eindrischt, sollte sich überlegen , wem er damit dient.

Kommentarfunktion geschlossen