Gerade dieser Tage hatte ich eine Diskussion per Mail mit einem Leser, der unsere Schlagzeile „Deutsche in Streiklaune“ nicht mochte; er sah darin eine Abwertung des einzigen schlagkräftigen Mittels im Arbeitskampf, das Arbeitnehmern geblieben ist. Ich habe ihm geantwortet, dass die Bereitschaft zu Streiks meiner Meinung nach durchaus etwas mit Laune bzw. Stimmung zu tun hat. Jahrelang haben die deutschen Arbeitnehmer die Mahnungen zur Lohnzurückhaltung geschluckt und Einschränkungen hingenommen, wie auch der Leser berichtet, den ich gleich zitieren werde. Jetzt aber scheint das Pendel wieder in die andere Richtung auszuschlagen. Die GDL hat vorgemacht, wie es geht. Jetzt geht es im öffentlichen Dienst weiter. Acht Prozent fordert Verdi – oder mindestens 200 Euro.
Die Gewerkschaften begründen ihre Forderung mit mehrjährigen Nullrunden, Reallohnverlusten durch die Inflationsrate und dem Anspruch, am wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben. Die Arbeitgeber von Bund und Kommunen lehnten die Forderung als „völlig überzogen“ ab, legten aber kein eigenes Angebot vor. Währenddessen springt der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, den Arbeitgebern schon mal bei, denn er fürchtet Sekundäreffekte: Die Lohn-Preis-Spirale könnte zu mehr Inflation führen. Gewiss, gewiss. Aber auch die Tendenz zu Niedriglöhnen hat massive Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, Energie und Treibstoff nicht verhindert. Und im Fall einer Rezession der Weltwirtschaft, wie sie ausgehend von der US-Immobilienkrise droht, scheint eine Stärkung der Binnennachfrage als probates Mittel, dem Wirtschaftswachstum in Deutschland Impulse zu geben.
So argumentieren wiederum die Gewerkschaften. Auch FR-Autor Markus Sievers sieht diese Argumente, wenn er schreibt: „Selten zuvor haben die Arbeitnehmer so viel gute Argumente anführen können, um einen Nachholbedarf geltend zu machen. Jahrelang hat sich die Finanzlage von Bund und Kommunen entspannt – und die ihrer Beschäftigten verschärft.“ Doch der öffentliche Dienst ist in seinen Augen nicht mit der Wirtschaft vergleichbar: „Die Konzerne, mit denen IG Metall oder die IG Chemie um die Verteilung der Pfründe ringen, fahren Milliardengewinne ein. (…) Und doch können Bund und Kommunen nicht ohne weiteres klein beigeben. Noch immer sitzen Städte, Gemeinden und Landkreise, Hauptbetroffene der Tarifverhandlungen, auf einem Schuldenberg von über 80 Milliarden Euro.“
Dazu FR-Leser Walter Marhenke aus Partenheim:
„Sie informieren in sehr sachlicher Weise über Arbeitszeiten, Gehälter usw. des öffentlichen Diensts und weisen auch darauf hin, dass dieser bei uns im internationalen Vergleich extrem wenig Beschäftigte hat. Ebenso haben Sie attestiert, dass die Tariflöhne im Bereich der IG Metall seit 1993 um 47 Prozent gestiegen sind und im öffentlichen Dienst nur um 27 Prozent! Ihr Kommentator meint jedoch einige Seiten vorher, dass die öffentliche Hand wegen ihrer Schulden in den anlaufenden Tarifverhandlungen nicht sofort klein beigeben könne. Ich sage: Diese Schulden werden noch in 20 Jahren vorhanden sein. Also sollte diese immerwährende Argumentation endlich einmal beiseite geschoben werden. Es nervt!
Wer seit vier Jahren keine Gehaltserhöhung mehr erhalten hat, wer vor einigen Jahren die Verkürzung der Arbeitszeit auf 38,5 Stunden Woche mit Gehaltsverzicht „erkaufen“ musste, die Erhöhung auf 41 Stunden aber nicht abgegolten bekam, sondern mit weniger Gehalt nun 2,5 Stunden länger arbeiten durfte, wer auf Urlaubsgeld verzichtet und nur noch ein Drittel des Weihnachtsgeldes erhält, hat jetzt auch Anspruch auf eine ordentliche Gehaltserhöhung.
Es kann doch nicht sein, und das ist keine Polemik, dass ein Berufsanfänger im gehobenen Dienst, der vor seiner Verbeamtung nach TVÖD bezahlt wird, mit ca. 1.300 Euro netto beginnt. Und das mit einer Fachhochschulausbildung! Das Schöne an dieser Sache ist, dass sich ein Teil der Berufsanfänger zwei Jahre lang die Qualifikation in der Verwaltung erwirbt und dann, jedenfalls bei der Behörde, bei der ich tätig bin, locker für das Doppelte an Gehalt von den Banken abgeworben wird.“
Briefe austragen lohnt sich mehr als Polizeiarbeit
Die Tariflöhne im öffentlichen Dienst sind seit April 2004 um lediglich 4 Prozent gestiegen (3 Prozent Tabellenentgelt, 1 Prozent Leistungsentgelt), die Verbraucherpreise haben seitdem jedoch um 7,8 Prozent zugelegt. Folge: Die Reallöhne im öffentlichen Dienst sinken, weil die Tariferhöhungen die Preisentwicklung nicht mehr ausgleichen. Gerade Arbeitnehmer der unteren und mittleren Einkommensbereiche geraten hierdurch in die Bredouille und müssen sich drastisch einschränken. Wie drastisch, schildert der Artikel des Mannheimer Morgen über Margit S., die beim Polizeipräsidium Mannheim beschäftigt ist.
Die Bevölkerung erwartet einerseits – zu Recht – eine funktionierende Polizei, ist sich andererseits aber nicht bewusst, unter welch miesen Bedingungen Polizeibeschäftigte oftmals arbeiten müssen. Wenn jemand mit einem Vollzeitjob gezwungen ist, sich den notwendigen Zahnersatz buchstäblich vom Munde abzusparen, ist das nur noch als skandalös zu bezeichnen. Wegen Geldmangel einseitig kauen – das kann doch nicht wahr sein. Ob der Bürger von derartigen Arbeitsbedingungen profitiert, darf bezweifelt werden. Wenn Polizeibeschäftigte, um überhaupt einigermaßen über die Runden zu kommen, auf Zweitjobs angewiesen sind (Margit S. ist leider kein Einzelfall), spiegelt das eine Fehlentwicklung wider, die sich auf die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes mit Sicherheit negativ auswirken wird.
Wie tief mittlerweile das Gehaltsniveau beim Staat gesunken ist, zeigt folgender Vergleich: Bei den Postdienstleistern wurde gerade ein Mindestlohn von 9,80 Euro beschlossen, das sind bei einer 40-Stunden-Woche rund 1.700 Euro. Brutto wohlgemerkt. In der aktuell (seit 1.1.2008) gültigen Entgelttabelle liegt das Grundentgelt für neu eingestellte Beschäftigte in den Entgeltgruppen 1 bis 4 unter (!) diesem Postmindestlohn, in der Entgeltgruppe 5 nur knapp darüber. Man kann interessierten Bewerbern eigentlich nur sagen: Geht Briefe austragen, das lohnt sich mehr als die Arbeit bei der Polizei.
Herr Sievers verkennt die Realität und stimmt ein neoliberales Dogma ein, wenn er behauptet Unternehmen würden Milliardengewinne einfahren und der Staat nur Verluste. Denn Ursache dafür ist die die sugerrierte Leistungsfähigkeit der Privaten Wirtschaft, sondern der Unterschied, dass die Unternehmen immer einen Preis verlangen der deutlich über den eigenkosten liegt und der Staat seit den 1980er Jahren kontinuierlich einen Preis (Steuern) verlangt, der unter den Eigenkosten der Bereitsstellung seiner Aufgaben liegt. Ergebnis ist, dass der Staat bei seinen Ausgaben permanent streicht, statt endlich angemessene Preise für gute Leistungen zu kassieren. Zu vorderst profitieren doch die Reichen von der Polizei, denn sie haben mehr Geld zu verlieren. Albern ist es natürlich jetzt 8 Prozent zu verlangen, da ein einmaliger Sprung um acht Prozent weniger Lohnerhöhung ist, als viermal um 2 Prozent anzuheben. Daher sollte sich ver.di vor allem darauf konzentrieren, permanente gerechtfertigte Lohnsteigerungen (Inflation plus Produktivität) also etwas zwischen drei und vier Prozent zu verlangen. Das hat zukunft und ist vernünftige Lohnpolitik.
Zweifellos ist ein Einstiegsgehalt von 1.300 Euro netto für einen Berufsanfänger im öffentlichen Dienst nicht sonderlich attraktiv.
Es liegt allerdings bereits auf dem Niveau dessen, was zum Abschluss eines vollen, erfolgreichen Arbeitslebens als Maximalrente für den Rest des Lebens gewährt wird.
Nach 45 lückenlosen Arbeits- und Beitragsjahren – der Grossteil davon zum Höchstbeitragssatz – wird mir (Rente mit 62 wegen Arbeitslosigkeit) eine Nettorente von 1.352,24 gewährt.
Allerdings nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze von 350 Euro nicht überschritten wird, sonst wird gekürzt oder sogar komplett gestrichen.
Die „Große Witwerrente“ aus dem Erwerbsleben meiner verstorbenen Frau ist in dieser Rente schon enthalten: Sie wurde gestrichen, da der gezahlte Rentenbetrag zu hoch ist.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt es für Rentner übrigens auch nicht.
Allerdings steht mit der geplanten Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge bereits die nächste Kürzung an.
1.300 Euro sind nicht nur der schlechte Anfang, sondern auch das trostlose Ende einer deutschen Arbeitskarriere.
nuja Herr Steinert,
ich denke zwischen Netto 1300 am Ende des Erwerbslebens und Netto 1300 am Anfang gibt es einige wesentliche Unterschiede:
1) Sollte sie tatsächlich größtenteils auf Höhe der BBG o.ä. verdient haben (diese liegt heute immehin bei etwa 5000 Euro), dann haben sie sicherlich auch einiges an Vermögen aufgebaut, Lebensversicherungen, Haus, Betriebsrente u.ä. und dann haben sie mehr als 1300 netto.
2) Wer am Anfang steht will vielleicht auch Kinder haben und muss damit mehr als nur sich selbst mit 1300 netto bezahlen.
ich will hier nicht die beiden Seiten aufrechnen, wie sie es getan haben, weil sonst kann ich auch mit der CDU sagen, die Grundsicherung darf nicht steigen, weil die Renten ja sonst auch stärker steigen müssten. ja wo kämen wir denn da hin, wenn plötzlich die Grundsicherung tatsächlich den Grundbedraf sichern würde…
Ja, Frau Wolf,
Sie haben mit den Punkten 1) und 2) aus faktischer Sicht vollkommen recht.
Als Argumente mögen diese Punkte bei Sozialhilfe und Grundeinkommen anwendbar sein, im Zusammenhang mit der Altersrente halte ich sie für verfehlt.
Eine Einkommens- und Vermögensanrechnung, wie Sie sie in 1) vornehmen, hat bei der Rente ebensowenig zu suchen wie bei der Ermittlung des Gehalts eines Berufseinsteigers. Oder wäre es richtig, darauf hinzuweisen, dass eine Familie, die bisher erwiesenermassen die Ausbildung finanzieren konnte, durchaus in der Lage sein wird, auch in den ersten Berufsjahren noch etwas zuzuschiessen?
Ich sehe meine Altersrente nicht als ein Almosen der Sozialgemeinschaft im Sinne eines Grundeinkommens sondern als ein beanspruchbares Einkommen, für das ich mein Leben lang persönlich mit dem Ziel der Altersvorsorge gearbeitet und ein Vermögen eingezahlt habe (Die Kürzungen der letzten Jahre waren in der Lebensplanung nicht vorgesehen).
Da gebe ich ihnen vollkommen recht. Ich wollte auch keineswegs sagen, dass die Rente hinreichend sei, den Lebensstandard zu halten, geschweigen den aufgrund er rot-grün-gelb-schwarzen Reformen sein wird. Ich wollte lediglich darauf hinweise, dass eine Person die unter Umstände noch Kapitalvermögen hat und ein eigenheim besitzt mit 1300 netto weiter kommt, als eine Person die dies nicht hat. Dies sollte aber eher ein plädoyer für höhere LKöhne und höhere Renten sein. Denn bei renten muss wie sie richtig feststellen festgehalten werden, dass die Personen die bereits in rente sind dank der Reformen der letzten Jahre ihre Rente dauernd gekürzt bekommen, ohne eine möglichkeit diese Minderung zu kompensieren. Dies ist der größte betrug an den Menschen und läuft noch dazu unter dem zweckentfremdeden Begriff der Generationengerechtigkeit. nach dieser Logik ist es generationengerecht, den heutigen rentner ihre Rente zu kürzen und den morgigen Rentner eine auskömmliche Rente zu verweigern. Profitieren können von dieser Politik lediglich weit überdurchschnittlich verdienende. Und ihre Rente ist selbstverständlich kein Almosen, aber dies wird zunehmend von den großen Parteien so suggeriert.
Ich finde diese Diskussionen, wo es bei 1300 €uro beginnt, ja doch sehr befremdend. Wenn ich nun erzähle, wer am Mittwoch den Grazer Weg gekehrt hat – waren zwei Leutchen, diesmal mit einem Lastesel Kennzeichen „F“, dann werde ich wieder als ausländerfeindlich beschimpft. In Griesheim ist ein Hausmeister (Flüchtling aus den ehemaligen Gebieten) in Rente gegangen, nun dürft Ihr raten, wie die Stadt Frankfurt die Stelle besetzt hat. Nein, keine Ganztagsstelle mehr. Wie ist das nun mit den Buslinien? Es gibt so viele Geschichtem die unterhalb der 1300 €uro stattfinden, aber oberhalb wird weiter geprotzt.
Wenn wie Herr Steinert erzählt, er bekommt für 45 Jahre Arbeit, einschließlich beraubter Kindheit, gerade mal 1300 €uro, dann ist das schon ein Hohn, wenn man dann sieht, was sich so der Öffentliche Dienst in den oberen Stufen genehmigt. Nicht umsonst verweigern auch Abgeordnete die Überarbeitung ihrer Besoldungsstrukturen. Mal eben wieder anpassen, weil sie immer noch unter dem Niveau eines Richters an einem obersten Gerichtshof anzutreffen sind, ist angenehmer…
Fair geht das alles schon lange nicht mehr zu. Und je näher man dem einfachen Dienst kommt, desto lauter werden die Klagen, daß kein Geld da ist.
Arbeit ist Arbeit – ob ich nun 10 Stunden backe, 8 Std. Lok fahre, sie ist nicht weniger wert, eher das Gegenteil, als 8 Jahre Abgeordneter und dann Richtung R6 mit 24% rechnen. Sind wir in etwa bei dem was Herr Steinert für 45 Jahre bekommt.
PS: sollte mein Text durcheinander sein, bin heute bißchen neber der Kapp, tschuldigung. Ein blöder Tag heute…
man herr steinert, was jammern sie so rum.
haben sie nicht angespart in ihrem berufsleben?
wer 1300,- netto rente bezieht, der hat doch ordentlich vorher verdient. es kann auch sein das wie bei manchen erwerbslosen rentner der geldsack so dick ist, das sie angst bekommen der staat könnte noch mal zu schlagen! soll er!
ein anfangsgehalt von 1300,- netto im ÖD ich darf doch bitten… für 1300,- netto muss ich 43 stunden und das in drei schichten schufften und bin schon 27 jahre im geschäft. also lieber herr bitte halten sie sich da raus, ja… danke!