Macron, der Mann mit dem neoliberalen Etikett

Die Wahl in Frankreich ist geschafft. Viele französische Wählerinnen und Wähler haben sich für das aus ihrer Sicht geringere Übel entschieden und den ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Erstmals hat es ein unabhängiger Kandidat, der nicht fest im herkömmlichen Parteienspektrum zu verorten, nach ganz oben geschafft. Dabei dürften weniger Inhalte eine Rolle gespielt haben, wichtiger dürften seine jugendliche Strahlkraft, sein schwungvolles Auftreten und seine klaren pro-europäischen Statements gewesen sein — und natürlich die Gegenkandidatin. Marine Le Pen vom Front National fuhr erschreckende 34 Prozent der Stimmen ein. Beim nächsten Anlauf in fünf Jahren dürfte ihr die Präsidentinnenschaft kaum noch zu nehmen sein, wenn Macron nun zu viele Fehler macht.

Macron 2Der neue Präsident ist also ein weitgehend unbeschriebendes Blatt. Umso sonderbarer kommt es mir da vor, dass manche FR-Leserinnen und -Leser ihn längst klar verortet haben: Er ist ein knallharter Neoliberaler. Es muss offenbar einer nur ein paar wirtschaftsfreundliche Positionen vertreten, um in dieser Weise in die Schublade gesteckt zu werden. Dabei zeigt Macrons Programmatik eher sozialliberale und sogar linke Züge. So fordert er beispielsweise ein universelles Rentensystem für Rentner und Beamte gleichermaßen.

En marche:
Emmanuel Macron am Abend
nach der Wahl.

Ebenso die Beibehaltung des Renteneintrittsalters bei 62 Lebensjahren und 42 Beitragsjahren. Dass er außerdem Abbau von Regulierungen für Unternehmen fordert, steht dazu nicht im Widerspruch, denn in Frankreich werden Unternehmen scharf reguliert. Das mag hierzulande linke Seelen begeistern, aber man kann dies als eine von mehreren Ursachen dafür sehen, dass die Arbeitslosigkeit in Frankreich hoch ist: Sie ist im März auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen und liegt bei zehn Prozent. Fast jeder vierte junge Franzose hat keinen Job. Es ist offensichtlich, dass hier etwas geschehen muss.

Und zwar insbesondere auf dem Land. Dort leben Le Pens Wähler, und sie haben allen Grund, sich abgehängt zu fühlen. Ich bin häufiger in Frankreich unterwegs, und im Lauf der Jahre haben mich meine Radtouren mit diesem Land vertraut gemacht, denn mit dem Fahrrad meidet man die Ballungsräume. Der Verfall ist nicht zu übersehen. Geschlossene Geschäfte, offensichtlicher Investitionsstau – je weiter weg von den Metropolen oder auch den mittelgroßen Agglomerationen, desto offensichtlicher ist der Niedergang zu besichtigen. Es ist kein Wunder, dass die Menschen, die dort leben, sich von der Pariser Staatsführung alleingelassen fühlen. Aber Macron scheint dieses Problem erkannt zu haben. Er hat nun fünf Jahre Zeit, eine Politik zu machen, die das Land in der Fläche belebt und Le Pen auf diese Weise die Wählerbasis entzieht. Und: Er muss sich um die Banlieues kümmern, die großen Vororte nicht nur von Paris, in denen der Extremismus wuchert. Das hat die Politik bisher versäumt.

Großer Reformstau

Es liegt Vieles im Argen bei unserem Nachbarn im Westen. Der Reformstau ist nicht eingebildet, sondern groß. Allerdings muss der neue Präsident sich zunächst auf das Nahziel konzentrieren, sich eine demokratische Basis in der 15. Nationalversammlung zu verschaffen, die am 11. und 18. Juni gewählt wird. Sonst kann Macron seine großen Reformen vergessen. Erst diese Wahl wird zeigen, wie tiefgreifend der politische Wandel in Frankreich sein wird. Macron hat seine Bewegung „En Marche“ mit Hochdruck zu einer Partei ausgebaut, um bei der Wahl in allen Wahlbezirken Kandidaten aufstellen zu können. Das scheint gelungen zu sein, auch wenn es sich dabei wohl um ein buntes Sammelsurium von VertreterInnen der Zivilgesellschaft und übergelaufenen PolitikerInnen handelt. Eine erste Umfrage, die von der FAZ zitiert wird, sieht „En Marche“ bei 249 bis 286 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Das heißt, es ist sogar eine Mehrheit in Reichweite. Ein solches Ergebnis würde das gesamte bisherige Politiksystem in die Opposition schicken.

Von Macron wird gesagt, er sei ein Pragmatiker. Links oder rechts – es interessiert ihn nicht, aus welchem Lager eine Idee kommt, sondern ihn interessiert, ob es eine gute Idee ist, die er aufnehmen kann. Ein derart unideologischer Politikansatz ist mir sehr sympathisch. Macron weiß jedoch, dass man ihn nicht an seinen Sprüchen, sondern an seinen Taten messen wird. Man sollte ihm daher die Chance lassen, seine Vorstellungen von Politik umzusetzen. Er sollte nicht vorher abgestempelt werden, wie viele es jetzt schon auch in den folgenden Leserbriefen tun, sondern er sollte auf der Basis dessen beurteilt werden, was er tatsächlich tut.

Und Europa?

In diesem Zusammenhang fällt schon mal auf, dass er seine Stimme sehr selbstbewusst für Frankreich erhebt. Seine Vorstellungen von einem weiterentwickelten Europa besitzen Charme. Für die Eurozone stellt er sich einen gemeinsamen Haushalt und einen gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftsminister vor. So einen hat die Eurozone zwar schon, aber er heißt Schäuble, ist nicht (für die Eurozone) demokratisch legitimiert, hat ihr aber mit seiner „Sparpolitik“ seinen Kurs aufgezwungen. Macron argumentiert gegen diese strikte Anti-Schulden-Politik. „Er will reformieren und mehr Geld ausgeben. Merkel und Schäuble wollen, dass die Euro-Länder reformieren und gleichzeitig sparen“ – auf diese knappe Formel bringt FR-Autor Markus Sievers den Grund-Dissens, der sich zwischen Paris und Berlin bereits jetzt mehr als nur andeutet. Macron tritt auch für Eurobonds ein. Und noch ein Punkt: Macron drängt Deutschland, selbst mehr auszugeben.

Dies gilt als Königsweg bei der Eindämmung des Handelsbilanzüberschusses. Der deutsche Export brummt, vermehrt in anderen Ländern die Schulden und verschärft das Ungleichgewicht in der Eurozone, aber zugleich „spart“ Deutschland, wo es nur kann, weil die schwarze Null im Bundeshaushalt zum Dogma erhoben wurde. So kann es nicht mehr lange weitergehen. Deswegen ist es gut, dass in Frankreich jemand gewählt wurde, der geeignet scheint, im Ringen um die Zukunft der Europäische Union entscheidende Impulse zu geben, und zwar unabhängig von Berlin.

fr-balken

Leserbriefe

Jochen Dohn aus Hanau-Mittelbuchen:

„Der Dax geht ab, weil Macron neuer Präsident Frankreichs ist. Keine Überraschung. Die rechtsradikale Le Pen erhält 34,2 Prozent und in einigen Presseartikel wird das Wort „nur“ davor gesetzt. Da gehört das Wort „erschreckende“ davor. Ja, meine Zeilen sind eine massive Medienkritik und hinter Veröffentlichungen könne ganz profane politische Ziele stehen. Denn was wirklich nervt ist, dass Macron von Seiten vieler deutscher Medien die Titulierung sozial- oder sogar links-liberal bekommt. Geht’s noch? Die Seitenwahl seines Scheitels kann es jedenfalls nicht sein, den trägt er rechts. Ein Mann, der in Frankreich eine Agenda 2010 durchführen will, also Reiche reicher und Arme ärmer machen will, als sozial oder sogar links zu bezeichnen, ist ein politischer Schachzug, hat aber nichts mit der Realität zu tun. Am Anfang wurde er noch als wirtschaftsfreundlich, reformfreudig oder eben als Pro-Europäer bezeichnet. Was aber eine absolute Frechheit der medialen Zunft ist, ist die politische Beschreibung des linken Kandidaten Mélenchon (immerhin mit 19,6% Platz 4 im ersten Wahlgang). Je besser seine Umfragewerte wurden, desto abfälliger wurde er in fast allen deutschen Medien tituliert. Vom linken Außenseiter und Linkspopulisten wurde er schnell zum Linksradikalen und Linksextremisten sowie Europagegner, je mehr die Gefahr bestand, dass er in die Stichwahl kommen könnte. Verschiedene Redaktionen haben mal wieder das Spiel gespielt: Rinks gleich Lechts, Mélenchon und Le Pen ist doch das Gleiche. Solch eine Berichterstattung hat nämlich auch zum Ziel, die derzeitige Politik nicht zu hinterfragen. Dabei könnte nämlich herauskommen, dass die neoliberale Politik des Sozialabbaus bei gleichzeitigem Anhäufen von Privatvermögen zum Erstarken des Nationalismus und Fremdenhass geführt hat. Aber die Strategie der Meinungsmache ist ja nichts Neues und wird zur Bundestagswahl noch öfters kommen: Die Linke und die AfD sind ja bekanntlich auch das Gleiche …“

Werner Arning aus Mörfelden-Walldorf:

„In Frankreich findet ein Austausch von Personal statt, aber kein Politikwechsel. Unter Europa versteht Macron etwas anderes als viele deutsche Europa-Idealisten. Für ihn stehen die Interessen Frankreichs klar an erster Stelle und Europa wird dann interessant, wenn es beispielsweise um eine Vergemeinschaftung der Euro-Schulden geht. Da käme Hilfe aus Deutschland sehr gelegen. Man hat in Frankreich registriert, wie groß in Deutschland die Angst vor Nationalismus und Rechtspopulismus ist. Mit dem Verweis auf die „Gefahr Le Pen“ glaubt man die Deutschen schon weichklopfen zu können und sich im „Interesse Europas“ spendabel zu zeigen.“

Dietrich Brauer aus Oberhausen:

„Vor Wahlen wird immer ein großes Bohei gemacht, man solle unbedingt wählen gehen, das sei demokratische Pflicht. Und wie von ungefähr gibt es dann jeweils unabhängig davon, um welche Wahl es geht, ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“. Das ist die erste Stufe der Dramatisierung.
Dazu gibt es Menschelndes von den Kadidatinnen und Kandidaten, leisten sie sich einen Fehltritt oder kommt ihnen eine ungewünschte Veröffentlichung dazwischen, geraten sie „unter Druck“. Wir sind bei der zweiten Stufe. Äußern Kandidatinnen oder Kandidaten Unbotmäßiges oder gehören sie einer so eingestuften Partei an, wird alles daran gesetzt, links wie rechts in einen Topf zu werfen, um den einen mit dem andern knüppeln zu können, sie als außerhalb des Konsenses der Demokraten stehend brandmarken zu können. Die dritte Stufe.
Und wenn die Wahl dann das Wunschergebnis erbracht hat, wird anschließend weichgespült, aktuell zu beobachten in Frankreich, wo Emmanuel Macron unisono von allen Printmedien nur noch als sozialliberal bezeichnet wird, um ihn konsumerabler erscheinen zu lassen. Dass es in Frankreich nur die Alternative zwischen neoliberal und nationalistisch-rassistisch gegeben hat, fällt unter den Tisch. Und wer sich – als Wähler/-in auf diese Alternative nicht reduzieren lassen will, bekommt verbal eine Warmdusche nach dem Muster der dritten Stufe verabreicht.
Gegenfrage: Wer soll denn – so über die Jahre hinweg – eine solche Berichterstattung noch goutieren? Fazit: Etwas mehr Geist/-reiches wäre schon schön!“

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34 Kommentare zu “Macron, der Mann mit dem neoliberalen Etikett

  1. „Der neue Präsident ist also ein weitgehend unbeschriebendes Blatt. Umso sonderbarer kommt es mir da vor, dass manche FR-Leserinnen und -Leser ihn längst klar verortet haben: Er ist ein knallharter Neoliberaler.“

    Der kritischen Einschätzung Bronskis (Einführung) kann ich nur voll und ganz zustimmen.
    Nun bin ich beruflich wie persönlich mit Frankreich seit über 40 Jahren verbunden, wohne auch seit einigen Jahren hier, diskutiere gelegentlich mit französischen Verwandten und versuche auch, mich mit regelmäßiger Presselektüre auf dem Laufenden zu halten. Und bilde mir trotzdem nicht ein, die Programmatik des neuen französischen Präsidenten auch nur einigermaßen exakt einschätzen zu können. Viel zu komplex die Problematik, und allein um die Vielzahl der Abkürzungen zu begreifen, bedarf es fast eines Studiums.
    Ein Problem, das viele der deutschen Leserbriefschreiber und Kommentatoren nicht zu haben scheinen. Das ach so informative Wort „neoliberal“, als Schreckgespenst für „linke“ wie für „rechte“ Gemüter so schön geeignet, reicht allein schon aus für eine abschließende Bewertung. Und dass man anstandshalber wenigstens die Amtseinführung des neuen Präsidenten abwartet, bevor man auf ihn eindrischt, erscheint nicht nur für die ex-kommunistische CGT in Frankreich, sondern auch für CDU und FDP in Deutschland (die seine Wahl soeben noch bejubelt haben) sowieso ausgemacht. (In den Kommentaren bei FAZ liest sich das noch schlimmer.)
    Vorgänge, die mir nicht nur Schamröte ins Gesicht treiben, sondern schon auch die Galle hochkommen lassen.

    Zur Kostprobe ein Zitat aus der Gewerkschaftszeitung der CGT vom 18.8.2015 zur „loi Macron“ (von mir übersetzt:
    „Es ordnet sich perfekt in den Rahmen Brüsseler Anweisungen ein, die darauf zielen, Austerität und alles umfassenden Liberalismus zum einzigen Modell für den gesamten Kontinent zu erklären.“
    (http://www.cgt.fr/-Loi-Macron-la-caisse-a-outils-du)
    Zur Anregung: Vielleicht könnte mir einer der neunmalklugen Leserbriefschreiber einmal erklären, was in der „loi Macron“ eigentlich steht, wie es zu dieser Einschätzung kommt und was es mit den „Brüsseler Anweisungen“ eigentlich auf sich hat.
    Mich verwundert, nach einigen Eindrücken von diesen „Gewerkschaftern“ schon nicht mehr, dass es sich in Verlautbarungen des Front National so viel anders nicht liest (und nicht bei Mélenchon).
    Könnte es sein, dass die so lautstark gegen die Vertreter des „Systems“ anrennen, und Macron vorneweg, selbst weit mehr dieses „System“ repräsentieren, und zwar in seinen sklerosen, unreformierbaren Erscheinungen?

    Zu einigen Aspekten der oben genannten eigenen Erfahrungen:
    In unserer Kleinstadt, wegen des hohen Anteils an Bahnarbeitern einst Hochburg der kommunistischen Partei, lag der Anteil für Marine Le Pen im 2. Wahlgang bei ziemlich genau 50 %. Ist es so abwegig zu vermuten, dass daran auch die ach so klassenbewussten „kommunistischen“ Bahnarbeiter beteiligt sind? Die mit Vorliebe – und besonders in Bezug auf Macron – mit dem Wort „Verrat“ um sich werfen.
    Diese Bahnarbeiter benutzen übrigens nicht nur selbst gratis das französische Eisenbahnnetz, sondern auch ihre Familienangehörigen. Nicht anders eine meiner französischen Kusinen, früher Angestellte bei der Post. Und eine unserer Freundinnen, früher Lehrerin, ist wegen ihrer drei Kinder nach 15 Jahren aus dem Schuldienst ausgeschieden, mit fast voller Rente. Ebenso eine meiner Schwägerinnen nach noch weniger Dienstjahren bei der Banque de France.
    Privilegien, die mit Zähnen und Klauen gegen den Buhmann „Brüssel“ verteidigt werden – und nun eben gegen Macron – , über die man aber nicht so gerne redet.

    Der Soziologe und Politologe Alfred Grosser hat die tieferen Gründe für das Kesseltreiben gegen Macron in seiner ihm eigenen Ironie neulich auf den Punkt gebracht: „Der plant so schreckliche Dinge wie betriebliche Mitbestimmung.“
    Fürwahr, eine für Ideologen schreckliche Vorstellung, auf solche Weise eines beliebten Feindbilds beraubt zu werden und zudem noch Kompromissfähigkeit unter Beweis stellen zu müssen!

  2. Die Antwort auf die Frage, weshalb der Tod nicht zuletzt in Europa nach wie vor so überaus erfolgreich ist, kennt allein die Wissenschaft. Ausgehend von dem theoretisch angeleitet und empirisch kontrolliert vor allem von der deutschen Industriesoziologie erhobenen Befund, dass auf gesellschaftlich zentralem Gebiet die vielfältigen Beziehungen menschlicher Arbeitskraft jedwedem Versuch entzogen sind, sie zu determinieren, müsste hiesig insbesondere die Industriegewerkschaft Metall davon schleunigst den dadurch vom Souverän gebotenen Abstand nehmen, dessen ungeachtet von angeblich fremdbestimmter Arbeit zu reden. Dieser erste und unabweisbare Schritt könnte die Möglichkeit eröffnen, mit Herrn Macron als dem jüngst ins Amt gewählten Präsidenten der französischen Republik ins Gespräch zu kommen, um den politischen Diskurs zwischen Paris und Berlin endlich zu befruchten. Es sind insofern keine horrenden Summen öffentlicher Gelder für gleich welche Investitionen erforderlich, wie der Minister des Auswärtigen, Gabriel, unlängst behauptete, sondern bloß die Einsicht in die wahren Verhältnisse und der Wille, das eigene Handeln daran auszurichten und abweichendes Verhalten sich selbst zu ersparen. Zwar erkennen manche Zeitgenossen darin eine Nähe zu neoliberalen Verzichtsideologien. Es könnte jedoch sein, dass sich auf diese Weise die besagte Perversion lediglich mit aller Gewalt, aber von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg reproduzieren will.

  3. @Werner Engelmann
    Ich teile Ihre Einschätzungen.
    Vor 15 Jahren bin ich häufig mit dem Zug von Genf nach Lyon gefahren. Man war nie sicher, ob wirklich ein Zug kommt. Häufig fiel er wegen Streiks aus. Die Streikursache war dann z. B. eine Rangelei zwischen einem Fahrgast und einem Kontrolleur. Im Bahnhof von Genf konnte man keine Fahrkarten für die französische Bahn kaufen. Es gab ein Büro in der Stadt, aber das war am Wochenende geschlossen. Da man die Fahrkarte auch im Zug kaufen konnte, bin ich immer sofort zum Kontrolleur gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass ich eine Fahrkarte kaufen möchte. Die Antwort war immer, dass ich erst mal einsteigen solle, er komme dann. Er ist nie gekommen.
    Ich glaube, dass E. Macron sich eine Herkules-Aufgabe aufgeladen hat. Es wird sehr darauf ankommen, ob er eine Mehrheit organisieren kann. Wenn nicht, dann sehe ich schwarz.
    In einem Artikel in der FR, in dem die französische Verfassung mit der türkischen Verfassung verglichen wurde, wurde daraufhin gewiesen, dass das französische Parlament zwar schwach ist, dass es aber aus historischen Gründen immer noch die «Strasse» als Korrektiv gäbe. Dies wurde als positiv dargestellt. Ich halte es für ein grosses Problem, wenn Barrikaden auf den Autobahnen, brennende Autoreifen, selbstgebastelte Bomben, um die von Schliessung bedrohte Fabrik in die Luft zu jagen (letzte Woche im französischen Fernsehen zu sehen), als probates demokratisches Mittel betrachtet werden.
    Gegen das Parlament und gegen die Strasse hat E. Macron vermutlich keine Chance.

  4. @ Werner Engelmann schreibt:
    „Diese Bahnarbeiter benutzen übrigens nicht nur selbst gratis das französische Eisenbahnnetz, sondern auch ihre Familienangehörigen. Nicht anders eine meiner französischen Kusinen, früher Angestellte bei der Post. Und eine unserer Freundinnen, früher Lehrerin, ist wegen ihrer drei Kinder nach 15 Jahren aus dem Schuldienst ausgeschieden, mit fast voller Rente. Ebenso eine meiner Schwägerinnen nach noch weniger Dienstjahren bei der Banque de France.“

    Was ist da schlecht dran? – Inzwischen scheinen die PR-Abteilungen der Verfechter des Neoliberalismus schon so weit vorangekommen zu sein, dass die Gewerkschaften auf jeden Fall als die Schuldigen für die niedrigen Einkommen der Arbeitnehmer ausgemacht werden. Den selben Tenor liest man heute in der Frankfurter Rundschau: „Die Gewerkschaften zeigen sich resistent. Massiven Widerstand gegen die geplante Flexibilisierung des Arbeitsrechts haben sie angekündigt.“ Der Autor gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der neue Präsident die Gewerkschaften überzeugen könne, „dass auch sie und ihre Klientel von Strukturreformen profitieren werden.“

    Gerade in Deutschland wissen wir doch, was „Strukturreformen“ sind: die Lockerung des Kündigungsschutzes, Befristung von Arbeitsverhältnissen, Verringerung der Höchstbezugszeit des Arbeitslosengeldes, Revision des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen, Aufkündigung der Beitragsparität. Die Aufzählung könnte problemlos verlängert werden. Die deutschen Gewerkschaften haben sich in diese „Strukturreformen“ reinziehen lassen. Sie haben genau das gemacht, was heute von den französischen Gewerkschaften nicht nur von den Unternehmensvertretern, sondern beispielsweise vom FR-Korrespondenten gefordert wird. Wer jetzt behauptet, Deutschland geht’s besser, unterschlägt die zentrale Frage: Wem in Deutschland geht’s besser? Nicht mal die OECD bestreitet, dass die Spaltung der deutschen Gesellschaft seit den „Strukturreformen“ deutlich zugenommen hat. Inzwischen stehen als Folge der „Strukturreformen“ 40 Prozent in einem atypischen Arbeitsverhältnis. Deshalb müssten ersten Mindestforderungen sein: freie Bahn für alle Prekären, fast volle Rente für alle berufstätigen Frauen, nachdem sie drei Kinder geboren haben.

  5. @Rudi
    W. Engelmann sprach von Privilegien. D. h. einige haben diese (unberechtigten) Vergüngstigungen. Die meisten anderen haben das Vergnügen, diese für die ersteren zu erarbeiten.
    Wenn ich Ihre Mindestforderungen zugrunde lege, und ich eine junge Frau wäre, würde ich über das folgende, äusserst attraktive Lebensmodell nachdenken. Arbeitsbeginn und Heirat mit 18; 3 Kinder mit 22 Jahren und dann 60 Jahre Rente.

  6. Sehr gut, Herr Flessner!

    Abgehängte Menschen sollen am Leben teilnehmen können. Das ist in Deutschland beim derzeitigen Stand nicht gewährleistet. Da muss etwas passieren. Aber in dem Beispiel, dass Herr Engelmann gebracht hat, ging es um Privilegien. Diese „sozialen Wohltaten“ erinnern mich an Griechenland und die Art und Weise, wie dort über Jahrzehnte hinweg Posten und Pöstchen verschafft wurden, um Parteigänger zu belohnen. Wohin das den griechischen Staat geführt hat, konnte man in der Eurokrise sehen. Egal ob links oder rechts – Gewerkschaften wie die französische CGT haben nicht das Gemeinwohl im Blick, sondern nur das Wohl ihrer Mitglieder. So viel anders ist das in Deutschland nicht.

  7. @rudi: Bravo! In Deutschland gab es immer den Satz:“Wir müssen unseren Gürtel jetzt mal enger schnallen und dann geht es uns bald besser!“

    Leider gab und gibt es zwischen denen, die den Gürtel enger schnallen sollten/mussten und denen, denen es dann besser ging/geht keinerlei Personenidentität. Vielmehr mussten die einen den Gürtel enger schnallen (vulgo Reformen über sich ergehen lassen) und den anderen geht es besser (vulgo fließt ein immer größerer Anteil dessen was in diesem Land erwirtschaftet wird in ihre wenigen, dafür aber prall gefüllten Taschen).

    Dass sich solches in Frankreich nicht wiederholt, kann man nur hoffen.

    Übrigens: Dass eine solche Politik die Sozialdemokratie als ehemaligen Verbündeten der kleinen (und mittleren) Leute überall in Europa geschwächt hat, kann man entsprechend in England, den Niederlanden, Spanien, Griechenland, Deutschland und Frankreich besichtigen.

    Natürlich gibt es in fast jedem System auch Auswüchse (nicht nur auf der Seite der Gewerkschaften übrigens) aber die Forderung von @Herrn Briem, dass die Gewerkschaften weniger das Wohl ihrer Mitglieder als das „Gemeinwohl“ im Blick haben sollten ist ja schon fast niedlich und ärgerlich zugleich.

    Warum sollten ausgerechnet die Arbeitnehmerorganisationen nicht die Interessen ihrer Mitglieder vertreten – sind sie doch so etwas wie die letzte Bastion für deren Interessen, weil diese Gruppierungen von allen sonstigen Verbündeten im Stich gelassen worden sind.

    Andere Interessen haben doch ebenfalls ihre Vertretungen und sogar Parteien, Unternehmerverbände fordern auch nur das, was den Interessen der Unternehmer und Unternehmen dient und die FDP (ob blau-gelb oder magenta-blau-gelb) exekutiert deren Forderungen politisch und wird darin von der INSM und dem Wirtschaftsflügel der Union unterstützt).

    Warum sollen also einzig die abhängig Beschäftigten da altruistischer sein und sich zum angeblichen Wohle der Sache (und in Wirklichkeit zum Wohle anderer Gruppierungen) über den Tisch ziehen lassen?

    Wie abstrus diese Forderung ist, kann man doch grade in Portugal besichtigen (wenn man denn angesichts der Misere in Griechenland überhaupt noch ein Gegenbeispiel zur Untüchtigkeit der sogenannten „Reformen“, die nun auch auf Frankreich einzustürzen drohen brauchte). Während Griechenland gezwungenermaßen das Musterland der Reformen geworden ist, macht Portugal aus Sicht der „Reformliga“ sicher nahezu alles falsch was man falsch machen kann – und siehe da, nur weil die Portugiesen eine Regierung gewählt haben, die die Interessen der Normalbürger und nicht die, wie von den Reformern allüberall gefordert und in Griechenland mustergültig exekutiert, einer kleinen Gruppe von Reichen und „Nochreicheren“, geht es in diesem Land aufwärts – na sowas.

    Es gibt also keinen Sachzwang, kein Gemeinwohl, das zu erreichen wäre, wenn sich nun auch die französischen Gewerkschaften der Unlogik des von bestimmten Interessengruppen, die sicher vieles im Sinn haben aber das Gemeinwohl sicher nicht, diktierten Reformwahns unterordnen sollen – das Gegenteil wäre richtig.

  8. Falls Herr Macron als seines Zeichens französischer Präsident wirklich an einer Erneuerung Europas interessiert sein sollte, führt kein Weg daran vorbei, den von mir zitierten und längst unabweisbar gleichsam auf dem Tisch liegenden Befund einer allem Handeln stets innewohnenden Unbestimmtheit als dem ausschließlichen Konstituens des Sozialen wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Zwar gibt es nicht zuletzt Angestellte beim Vorstand der Industriegewerkschaft Metall, die illegitim vereint mit der Forschungsförderung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung insofern verboten eigenmächtig denselben von demselben wischen. Bedenkt man aber, dass solch eine fortgeschrittenste Erkenntnis, um es in der Worten von Max Horkheimer zu sagen, im Zuge nicht wirksam erhobener Einsprüche auf demokratischem Wege allgemeine Gültigkeit erlangt, könnten die dortigen Umtriebe die Grenzen jeder freiheitlichen Grundordnung nicht massiver verletzen. Selbstredend verbietet es sich, von dieser Besonderheit eines kaum mehr sagbaren Sektierertums auf die weltweit organisierte Arbeiterbewegung zu schließen. Letztlich kommt es ohnehin darauf an, dass Herr Macron sich davon nicht irritieren lässt und in der Konsequenz möglichst kein Mangel an klarer sozialer Struktur eintritt, der nachweislich pathogenen Einfluss auf seine weitere Lebensgeschichte hat. Ansonsten blüht ihm unvermeidlich das Schicksal eines frühen Todes, solange das in Rede stehende Verhalten vor allem in den Reihen deutscher Gewerkschaften notwendig keine Änderung erfährt.

  9. @ Henning Flessner schreibt: „Sie antworten auf etwas, was niemand gefordert hat. Es ging hier um Privilegien.“

    Welche Privilegien? Ich sehe auf der Arbeitnehmerseite keine. Es kommt doch immer darauf an, aus welchem Blickwinkel ein Sachverhalt zum Privileg wird. Das Letzte ist doch, Lohnabhängige gegeneinander auszuspielen. Wer sich daran ergötzt, hat sich vom neoliberalen Denken schon ganz schön infizieren lassen. Für mich ist ein Privileg, dass etwa beim Aktienhandel keine Mehrwertsteuer (Börsenumsatzsteuer) anfällt. Wer mit Millionen spekuliert muss nix zahlen. Mit einem Steuersatz von 0,1 Prozent – als nur ein Bruchteil dessen, was für Lebensmittel zu entrichten ist – könnte die öffentliche Hand Milliarden einnehmen. Oder dass die Kapitalertragssteuer bei niedrigen 25 Prozent liegt, die Lohnsteuer für mittlere Einkommen jedoch deutlich darüber. Macron macht sich mit Hilfe der Mainstream-Presse auf den Weg, die vermeintlichen Privilegien der Arbeitnehmer abzubauen und die Unternehmen auf deren Kosten zu begünstigen. Neudeutsch nennt man das „Strukturreformen“ oder auch „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“.

  10. @Herr Flessner:

    Ich habe mich in meinem Beitrag auf den letzten Satz eines Beitrags von Herrn Briem bezogen, in dem dieser gefordert hat, dass die französischen Gewerkschaften (namentlich CGT) zukünftig mehr auf das Gemeinwohl als auf das Wohl ihrer Mitglieder konzentrieren sollten.

    Dies halte ich für grundfalsch und eine in sich absurde Forderung. In der besten aller Welten gibt es gar keine Interessenverbände mehr und alle handeln nur noch am Gemeinwohl interessiert. Diese beste aller Welten ist aber bei weitem noch nicht erreicht.

    Sie schreiben selber „W. Engelmann sprach von Privilegien. D. h. einige haben diese (unberechtigten) Vergüngstigungen. Die meisten anderen haben das Vergnügen, diese für die ersteren zu erarbeiten.“

    Interessanterweise kann man das auch auf das Wirtschaftsleben insgesamt anwenden. Arbeiter und Angestellte erarbeiten (vergnüglich oder nicht) einen nicht unwesentlichen Teil des Wohlstands, die Verteilung dieses Wohlstands führt dann aber zu (überproportionalen) „Vergünstigungen“ bestimmter, sehr kleiner Bevölkerungsgruppen (siehe Armuts- und Recíchtumsbericht der Bundesregierung). Wohlgemerkt – auch hier geht es mir nur um Exzesse nicht darum alle gleich zu entlohnen unabhängig davon, welche Verantwortung man hat.

    Und wenn man ganz ehrlich ist, geht es auch Herrn Macron nicht darum, die von Herrn Engelmann aufgezählten Privilegien einiger Arbeitnehmer zu beschneiden, es geht ihm darum insgesamt ein (wie man das heute nennt) „ivestitionsfreundliches Klima in Frankreich zu schaffen“ und dazu gehören eben üblicherweise Abbau von Arbeitnehmerrechten bei gleichzeitiger Entsolidarisierung der Unternehmen und Vermögenden über geringere Steuern. Wir werden ja sehen, was Macron als „Linksliberaler“ da so plant.

    In diesem Sinne wünsche ich den Gewerkschaften in Frankreich „gutes Gelingen“ bei ihrer Weigerung, Arbeitnehmerrechte abzubauen, denn damit wird Wirtschaft und Wirtschaftswachstum zum Selbstzweck bzw. Zweck einer kleinen Gruppe von Menschen – und das bewerte ich auch aus politischen Gründen nicht positiv, denn es führt dazu, dass die Rattenfänger von rechts beim nächsten Mal vielleicht (noch) leichteres Spiel haben.

  11. Sicher ist es zu früh, eine Einschätzung über die soeben von Macron erst ernannte Regierung und deren Chancen zu geben. Hilfreich aber könnte es sein, sich erst einmal ein Bild der gegebenen Situation in Frankreich zu machen. Dies besonders, wenn man meint, Positionen aus Deutschland einfach übertragen und sich bloß auf einer im Ansatz richtigen, aber abgehobenen („Neoliberalismus“) bewegen zu können.

    Der Kommentator des „Express“, Christophe Barbier, vergleicht (in der Ausgabe 17.-23.5.2017) die Situation des neuen Premierministers Philippe mit der eines Matadors, doch nicht in der Arena, sondern inmitten einer Herde von Stieren in freier Wildbahn . Ein Bild, das die Stimmungslage m.E. gut trifft und das man sich zu Gemüte führen sollte, bevor man sich (um beim Bild zu bleiben) wie ein wilder Stier gebärdet.

    Auf politischer Ebene stellt wohl den größten Unsicherheitsfaktor – neben Wut und Misstrauen gegenüber so ziemlich allen Politikern – der faktische Zusammenbruch des Parteienspektrums dar (mit Ausnahme der EU-feindlichen extremen Rechten und Linken), insbesondere der Sozialisten und der rechten Republikaner. Der Ausschluss der an der Regierung beteiligten Republikaner durch die Partei (ebenso bei den Sozialisten) zeigt, wie wenig diese von der wirklichen Lage begriffen haben.
    Wenig bekannt scheint auch zu sein, wie es mit der gewerkschaftlichen Zersplitterung aussieht, was es bedeutet, dass ein Dachverband wie der DGB gar nicht existiert: Dass von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung der zersplitterten Einzelgewerkschaften gar nicht die Rede sein kann, Ideologien und engstirnige Interessenvertretungen dominieren. (Lediglich hierum geht es bei meinem Hinweis auf „Privilegien“).
    Besonders in der (ehemals kommunistischen) CGT scheint man ausschließlich in Klassenkampfkategorien und entsprechenden Feindbildern denken zu können. Was an die alte KP unter Georges Marchais erinnert, die stramm an stalinistischen Verirrungen festhielt, während sich z.B. in Italien längst schon ein „Reformkommunismus“ herausgebildet hatte. Dies macht auch die Einschätzung von Alfrd Grosser verständlich, dass betriebliche Mitbestimmung in diesen Kreisen als Provokation empfunden wird, weil sie das Abgehen von liebgewonnenen Feindbildern abverlangt.
    Der Kommentator des „Express“, Nicolas Bouzou, dazu: „Man zieht Arbeitslosigkeit einer Bereitschaft zu Reformen vor.“ Man könnte, mit Blick auf die bereits im Vorfeld ausgesprochenen Drohungen mit dem „Druck der Straße“ auch schärfere Formulierungen finden: Lieber alles kaputtschlagen als eigene ideologische Voraussetzungen in Frage stellen. Junge FN-Anhänger haben solche Neigung zu Destruktion bereits expressis verbis kundgetan.
    Wohin das führt, hat sich am faktischen Schulterschluss besonders der CGT mit dem chauvinistischen Front National gezeigt – von Le Pen etwa vorgeführt bei ihrem provokatorischen Auftritt in Amiens, von mir auch in meinem Beitrag vom 15.5. an den Wahlergebnissen in unserer Region belegt.

    Ökonomisch, so Nicolas Bouzou, besteht das Hauptproblem in einer „strukturellen Arbeitslosigkeit“, zurückzuführen nicht nur auf fehlendes Wachstum, sondern auch auf einen verkrusteten, unflexiblen Arbeitsmarkt, der „wie eine gewaltige Maschine Individuen herausfiltert“, ausschließlich den Bestqualifizierten eine Chance gibt und so den Hass auf das „Establishment“ verstärkt. Alternative Qualifikationsmöglichkeiten wie in Deutschland, etwa im Zweiten Bildungsweg oder der dualen beruflichen Ausbildung, sind so gut wie nicht vorhanden. Verschärfend dazu ein überdimensionierter Verwaltungsapparat, der nicht nur der Flexibilität und Konkurrenzfähigkeit entgegensteht, sondern auch die Staatsausgaben enorm belastet.
    (Als Beispiel dazu: Meine Schwiegertochter, früher in Paris, erhält als Beamte, solange ihr kein adäquater Posten in ihrem neuen Wirkungskreis in Nantes angeboten werden kann, die Hälfte ihres Gehaltes weiter bezahlt, und das voraussichtlich über Jahre. Mit der Entlassung von Staatsbeamten ist das Problem also nicht gelöst, sondern nur verlagert.)

    Angesichts der umfassenden Probleme (von denen nur ein Auszug geschildert wurde) verlangt es einem schon Hochachtung ab, sich überhaupt zur Wahl des Präsidenten zur Verfügung zu stellen, insbesondere ohne mächtige Partei im Rücken und nur gestützt auf eine „Bewegung“. Dass Macron damit dennoch erfolgreich war, lässt sich vermutlich nur erklären aus dem Übermaß an Misstrauen und Wut auf das „System“ einerseits (wozu m.E. eben auch die CGT gehört), andererseits auf intellektuelle Traditionen, durch die einzelne sich ein Renommee verschaffen können, wie es in Deutschland undenkbar ist. Man denke nur an die Beschimpfung von Schriftstellern als „Pinscher“ durch F.J. Strauss oder von Lehrern als „faule Säcke“ durch Gerhard Schröder.
    Was Macron mit seiner Bewegung „En marche“ geschafft hat, hätte man noch vor einem Jahr kaum für möglich gehalten. Verständlich wird das nur für den, der hinter der Wut auch die Entschlossenheit zur Verteidigung dessen zu sehen vermag, was man als bedroht erkennt. (Vielleicht sollte, wer mit klugen, doch sehr abgehobenen Analysen aufwartet, auch in Rechnung stellen, dass hierzulande immer noch Ausnahmezustand herrscht.)
    Wer einmal an einer solchen Manifestation, etwa nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“, teilgenommen hat, hat zumindest eine leise Ahnung davon, welche Kraft hier entfaltet werden kann, welche die Analysen von Ideologen ziemlich alt aussehen lässt.
    General de Gaulle hat dies einmal „une certaine idée de la France“ (eine gewisse Idee von Frankreich) genannt, welche auch über Ideologien und Parteigrenzen hinweg Bindungskraft entfaltet. (So etwa scheint wenig bekannt zu sein, dass in seinem ersten Kabinett auch Kommunisten mitgearbeitet haben.)
    Auch wenn ein Vergleich mit de Gaulle sich nur bedingt anbietet (die Bedohung kam damals vor allem von außen): Gewisse Analogien sind unverkennbar. Die doch höher als erwartete Zustimmung für Macron im 2. Wahlgang lässt sich so, anders als von den Vertretern des „kleineren Übels“, auch positiv interpretieren: Dass, nach Brexit und Trump, diese Bedrohung doch überwiegend erkannt ist. Dass es gilt, dem eine gemeinsame Aktion entgegenzusetzen, die nicht schon desavouiert ist. Unter der Tradition und dem Banner republikanischer Gesinnung und Verantwortung, welche eigene Ideologien zu relativieren vermag. Macrons Marsch vor dem Louvre unter den Klängen der Europahymne mag hierfür ein wohl kalkulierter Ausdruck sein.

    Dass Macron auf solche Traditionen setzt, zeigt sich auch in dem „Kompetenz-Kabinett“ mit Ministern, die – ob eher „rechts“ oder „links“ orientiert, hohen Respekt genießen. Dies gilt insbesondere für den Umwelt-Aktivisten Nicolas Hulot, dessen Ernennung als kluger Schachzug gilt.
    Dieser Einschätzung kann man sich wohl anschließen. Sie trägt vor allem einer weiteren Krise neben den oben genannten Rechnung: einer tiefgehenden Identitätskrise, die zum großen Teil auch die Erfolge des Front National erklärt.
    Sich – im positiven Sinne – auf spezifisch französische Traditionen zu besinnen und so ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften suchen, ist wohl auch eine richtige Strategie und vielleicht die einzige Chance für Macron. Ein Angebot, das sich offen zeigt für verschiedene ideologische Lager – unter der Voraussetzung, auf Obstruktion zu verzichten. Freilich wird er gut daran tun, sich auch auf solche gefasst zu machen und seine ihm zukommenden Befugnisse dementsprechend auch zu nutzen.
    Dass er überdies auf eine enge Zusammenarbeit mit Deutschland setzt, zeigt die Liste der Minister und Ministerinnen, von denen mehrere Deutsch perfekt beherrschen, überdeutlich.
    Man kann nur hoffen, dass auch Frau Merkel (und andere in Deutschland) begreifen, was dies bedeutet: Dass dies eine – vielleicht letzte – Chance nicht nur für Frankreich, sondern auch Deutschland sowie die EU darstellt.

  12. @ A.H.
    Wie schafft man denn nun Arbeitsplätze, ohne Arbeitnehmerrechte abzubauen? Haben Sie das Patentrezept? Gerhard Schröder ist es nicht gelungen. Vielleicht gelingt Macron dieses (Zauber-)Kunststück.

  13. zu @ Brigitte Ernst
    Arbeitsplätze entstehen ,zumindest in der Industrie,wenn man ein Produkt mit der auf dieses Produkt bezogen notwendigen Produktivität herstellen kann. Ihre Frage lässt den Rückschluss zu das die Arbeitsplätze die in D, die letzten Jahre entstanden sind deshalb gekommen sind weil D. Arbeitnehmerrechte abgebaut hat. Das kann man, wenn überhaupt, so pauschal nicht sagen. Im Gegenteil, es wird ja derzeit geklagt das die Produktivität die letzten Jahre nicht mehr in dem Maße steigt wie früher. Ist das vielleicht so weil man Arbeitnehmerrechte abgebaut hat? Sie reden oft von der Stimmung und Atmosphäre die es in einer guten Schule braucht um Leistungen zu erbringen. Meinen sie das wäre in einem Unternehmen anders? Darin liegt die Chance die Frankreich hat. Das Ziel muss sein die Produktivität zu erhöhen. Das man dazu Arbeitnehmerrechte abbauen muss kann man sicher bezweifeln wie man in D. sieht. Wenn das nicht so wäre hätte Schröder ja alles richtig gemacht. Das ist aber sicher nicht so. Was es auf Dauer bedeutet kaum noch Produktivitätssteigerungen hin zu bekommen werden wir die nächsten Jahre schon noch merken.

  14. Ich möchte dass was ich gerade geschrieben habe mit einem Link belegen. Ich denke man wird kaum Produktivitätswachstum bekommen wenn in einem Unternehmen 30% Leiharbeiter sind aber das ist ja nur ein langfistiges Problem.
    https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=7&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiD9cHW5f3TAhVEUhQKHaYIB7sQFghHMAY&url=https%3A%2F%2Fwww.welt.de%2Fwirtschaft%2Farticle158699607%2FDie-raetselhafte-Stagnation-der-deutschen-Wirtschaft.html&usg=AFQjCNHpx0D0Sswq3dRHkwFCUkLYvWpXwg

  15. Obwohl spätestens mit den Studien von Popitz/Bahrdt am Beispiel der Hüttenindustrie ein Bild von nicht-entfremdeter Arbeit mit einer bis heute nicht mehr erreichten Tiefenschärfe vorliegt, debattieren auch hier im Blog welche unverdrossen immer noch den Begriff der entfremdeten Arbeit und tun dabei so, als ob es auf gesellschaftlich zentralem Gebiet seit Marx und dessen nicht-technischen, eher vorindustriellen und romantisch-ästhetischen Reminiszenzen keinerlei Erkenntnisfortschritte in der Frage gegeben hat, welche neue Lebensform sich durch diese Möglichkeit eröffnet. Fällt Herr Macron als französischer Präsident ebenfalls hinter den geltenden Wissensstand zurück, kann zumindest jetzt schon von einem Scheitern einer gemeinsam zwischen Paris und Berlin betriebenen Politik gesprochen werden. Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Europa könnte insofern gegenwärtig aus völlig nichtigem Anlass heraus gefährdeter nicht sein.

  16. @ hans

    Was Sie sagen, leuchtet mir völlig ein. Bezogen auf Deutschland frage ich mich andererseits, ob es überhaupt im Interesse unseres Planeten sein kann, die Produktion ständig zu steigern. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
    Worum es in Frankreich geht, ist doch die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Das kann seitens des Staates in staatlichen Unternehmen geschehen oder durch Privatunternehmer. In letzterem Fall besteht das Problem doch darin, dass die Unternehmer davon zu überzeugt werden müssen, dass sich ihre Investitionen für sie lohnen. Sie sind es, die von der Notwendigkeit gesicherter Arbeitsplätze und eines guten Betriebsklimas im Interesse ihres eigenen Profits überzeugt werden müssen, nicht ich.

  17. zu @ Ralf Rath
    Ich kenne diese Studie nicht und glaube auch nicht das sie entscheident zu meiner Meinungsbildung beitragen kann. Diese Meinung hat eher als Hintergrund das ich seit 46 Jahren in der deutschen Exportindustrie arbeite, dabei 6 total verschiedene Firmen gesehen habe und 6 Jahre Betriebsrat war inklusive einer insolvenzbedingten Betriebsschließung. Da könnte eine Studie vom Papst unterschrieben sein sie würde wohl kaum meine Meinung ändern. Aber vielleicht teilen sie uns ja mit was da zum Thema Leiharbeit steht und befristete Beschäftigung.Klar für mich ist das Frankreich nicht einfach den deutschen Weg nachbauen sollte.

  18. @Brigitte Ernst
    Man könnte mit dem Abbau folgender «Arbeitnehmerrechte» beginnen: wilde und politische Streiks, verbarrikadieren der Autobahn mit brennenden Reifen, Zerstörung der Fabrikanlagen, Anbringen von selbstgebauten Bomben, Entführung von Firmenchefs.

  19. zu @ Brigitte Ernst
    Die Unternehmer sind schwer zu überzeugen oder vielleiht auch nicht. In Frankreich kenne ich mich nicht wie Henning Flessner aus, aber in D. war das wohl in einer gewissen Art immer eine Mode. Wer da auch immer meinungsbildend wirkt. Es war immer übertrieben mit der Mode Arbeit nach Osteuropa zu verlagern. Diese Mode ist jetzt vorbei. Vorher gab es die Frühverrentungsmode. Na ja die hatte ja noch einen positiven Effekt auf die Produktivität und war desshalb nicht annähernd so falsch wie heute immer dargestellt. Im Moment hängen alle der Mode Leiharbeit oder befristete Beschäftigung an. In dem Link den ich oben eingestellt habe fragt man sich völlig überrascht warum die Produktivität fällt. Warum nur können Leiharbeiter und Befristete weniger motiviert sein? Da kommt dann wieder demnächst was anderes. Speziell die Unternehmensberater sind gut darin immer für Neues zu sorgen. Also ganz einfach, das geht alles über Versuch und Irrtum. Das Ganze ist aber auch die Chance des neuen Präsidenten von Frankreich. Er muss die Meinungshoheit bekommen und wirklich klare Vorstellungen haben. Ob das dort möglich ist weiß ich nicht.

  20. Weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen für nicht-entfremdete Arbeit längst existieren, noch bevor gehandelt wird, wie Hans Paul Bahrdt in seiner Einführung in die Schlüsselbegriffe der Soziologie schreibt, erstreckt sie sich in ihrer dadurch unabweisbar gegebenen Universalität auch auf die Formen der Arbeitnehmerüberlassung (vulgo: Leiharbeit) und selbst noch auf sachgrundlos befristete Arbeitsverträge. Es entbehrt daher jeglichen Sinns, beides als vermeintlich schlagende Beweise dafür anzuführen, dass angeblich entfremdete Arbeit vorherrschend ist und meine Einlassung sich somit bloß in schierem Geschwätz verliert, wozu sich „hans“ nach der Aufzählung seiner betrieblichen Erfahrungen hier im Blog beinahe verstiegen hätte. Das Problem ist ein anderes: Sich an dem von mir zitierten Befund zu orientieren, bedeutet in der Konsequenz, zu den momentanen Bedingungen immens hohe Risiken für Leib und Leben eingehen zu müssen, die in vergleichsweise jungen Jahren schwere Erkrankungen und einen quälend langsamen Tod nach sich ziehen. Soziale Auseinandersetzungen und der mit ihnen einhergehende Kampf um Arbeitsbedingungen sichern angesichts dessen bloß das nackte Überleben. Trüge Herr Macron als französischer Prädident im Dialog mit der deutschen Bundesregierung dazu bei, dass die dabei auszufechtenden Konflikte ihre Schärfe einbüßen, wäre zum Wohl aller zumindest in Europa bereits enorm viel gewonnen.

  21. zu @ Ralf Rath
    Trüge Herr Macron als französischer Prädident im Dialog mit der deutschen Bundesregierung dazu bei, dass die dabei auszufechtenden Konflikte ihre Schärfe einbüßen, wäre zum Wohl aller zumindest in Europa bereits enorm viel gewonnen.
    Das stimmt wohl, übersteigt aber fast mein Vorstellungsvermögen. Besonders wenn man die letzten Wahlergebnisse sieht. Außerdem bin ich mir noch nicht einmal sicher der der Französiche Präsident das überhaupt als Ziel hat.Ich denke der erste Schritt zu gemeinsamen Handeln wäre ein angleichen der sozialen Standardts. Das wird aber mit einer Kanzlerin Merkel wohl nie passieren.

  22. zu @ Ralf Rath
    Weil die gesellschaftlichen Voraussetzungen für nicht-entfremdete Arbeit längst existieren, noch bevor gehandelt wird, wie Hans Paul Bahrdt in seiner Einführung in die Schlüsselbegriffe der Soziologie schreibt, erstreckt sie sich in ihrer dadurch unabweisbar gegebenen Universalität auch auf die Formen der Arbeitnehmerüberlassung (vulgo: Leiharbeit) und selbst noch auf sachgrundlos befristete Arbeitsverträge.
    Über diese Aussage habe ich nachgedacht und teile sie nicht. Ich habe selbst auch schon auf Betriebsversammlungen gestanden und habe in dem betroffenem Unternehmen als Leiharbeiter gearbeitet. Ich habe mich da ganz klar nicht zugehörig gefühlt. Jetzt im Mai werde ich wieder auf einer Betriebsversammlung sein. Jetzt mit einem“Normal Arbeitsverhältniss“. Dort könnten ca 30% Leiharbeiter teilnehmen. Es werden ca die Hälft da sein und wenn ich mich mit diesen Leuten darüber unterhalte weiß ich das sie genau so denken wie ich vor einigen Jahren.

  23. @Frau Ernst:

    Zunächst einmal müsste man das „Narrativ“ von den vielen neuen Arbeitsplätzen in Deutschland ja einmal hinterfragen.

    Wenn man sich die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden anschaut, dann stellt man fest, dass sich diese in den letzten 25 Jahren nicht erhöht hat und das obwohl sich die Zahl der Erwerbstätigen in der gleichen Zeit um über 13 Mio und damit um 43% erhöht hat!

    Und selbst wenn man als Maßstab die letzten 17 Jahre nimmt (also von 2000 bis 2016) dann hat sich die Zahl der Arbeitsstunden lediglich um 2,8% erhöht, gleichzeitig ist die Zahl der Erwerbstätigen aber um etwa 4,3 Mio angestiegen, was einem Anstieg von gut 11% entspricht.

    Das deutsche „Jobwunder“ beruht also nahezu ausschließlich oder jedenfalls in wesentlichen Teilen auf „Umverteilung“.
    Letzendlich hat es also die berühmte und ursprünglich von den Gewerkschaften geforderte „Verkürzung der Arbeitszeit“ – allerdings ohne den früher geforderten „vollen Lohnausgleich“ gegeben.

    http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/tabIV46.pdf

    Diese Umverteilung der vorhandenen Arbeit wurde mMn dazu auch noch relativ teuer erkauft. Das BIP wächst zwar aber das Wachstum landet in den Händen von Wenigen.

    Die abhängig Beschäftigten haben dagegen eine deutliche Verschlechterung ihrer Rechtspositionen zu gewärtigen – prekäre Beschäftigung, Leiharbeit, befristete Beschäftigung und das alles noch bei für viele stagnierenden Löhnen, nicht hinreichende Renten, Teilprivatisierung der sozialen Risiken etc. sind schon ein recht ansehnlicher Preis, den aber wieder nur bestimmte Bevölkerungsgruppen zu zahlen hatten (wie gesagt, diejenigen, die den Gürtel enger schnallen mussten).

    Muss man das „deutsche Modell“ nun überallhin exportieren? Meiner Meinung nach nicht.

    Die deutsche Wirtschaft war auch schon vor den Hartz-„Reformen“ auf Export ausgerichtet. Nach der Schlechterstellung breiter Teile der Bevölkerung ist die Binnennachfrage in Deutschland klassisch vorhersehbar erst einmal für lange Zeit auf Tauchfahrt gegangen. Unser Glück war damals, dass diese einbrechende Binnennachfrage auf hohe Auslandsnachfrage getroffen ist.

    „Deficit spending“ in vielen europäischen Staaten und boomende Wirtschaften der sogenannten „BRIC-Staaten“ haben unser Wirtschaftswachstum befeuert und der Industrie geholfen, die schwache Binnennachfrage mehr als auszugleichen und sich in dieser Phase zu modernisieren, ohne dass es zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen gekommen ist (immerhin ist seinerzeit aber die Linkspartei entstanden, die der SPD bis heute das Leben schwer macht).

    Heute sind die BRIC Staaten selber Problemfälle und in Europa haben die deutsche Regierung und die EU Kommission eine ausgewiesene Austeriätspolitik auf den Schild gehoben.

    Umverteilung von Arbeit bei sinkenden/stagnierenden Löhnen und Aushöhlung des Sozialstaats und von Arbeitnehmerrechten würde heute daher mMn mangels hoher Auslandsnachfrage nicht für alle Staaten gleichzeitig funktionieren können. Die Binnennachfrage würde auch dort überall sinken (was für die teilweise auf den Binnenmarkt ausgerichteten Wirtschaften eh schon sehr viel dramatischer wäre als seinerzeit für die deutsche auf Export ausgerichtete Wirtschaft) und dazu würde der krisendämpfende Effekt einer hohen Auslandsnachfrage entfallen.

    Es können ja letztlich auch nicht lauter kleine Deutschlands sich gegenseitig ihre Waren verkaufen.

    Meiner Meinung nach müsste man also in den entsprechenden Staaten auf höher staatliche Investitionen und auf eine stabile bis wachsende Binnennachfrage setzen. Also letztendlich auf mehr Portugal statt Griechenland!

    Und dazu müsste auch die deutsche Regierung von ihrem Fetisch „schwarze Null“ herunter. Das halte ich aber nicht für wirklich wahrscheinlich.

  24. @ hans,

    bin mit Ihnen einig. Nur Vorsicht bei der Formulierung „Angleichen der Sozialen Standards“, denn diese können, wie von den Neoliberalen à la Merkel, Schäuble, auch Hollande praktiziert und vermutlich auch von Macron gewollt, nach unten angegleichen werden. Ich bin mir sicher, dass dies so nicht von Ihnen gemeint war.

    Wir sind sicherlich gemeinsam für eine Anhebung der Sozialen Standards auf internationaler Ebene, also gegen Ausbeutung jeglicher Art, egal ob durch Leiharbeit, sachgrundlose Befristungen, Werkverträge oder andere Arten von Lohndumping.

  25. Insofern die Wirklichkeit empirisch stets vollständig ist und wissenschaftlich nicht mehr widerlegbare Befunde zum Vorgefundenen ein Ausdruck dieser Ganzheitlichkeit sind, kann nicht entscheidend sein, ob deren Gültigkeit dem Einzelnen zu Bewusstsein gelangt ist oder nicht. Oder anders gesagt: Selbst wenn beispielsweise „hans“ der irrigen Auffassung wäre, dass die Erde eine Scheibe ist, bleibt die kopernikanische Wende davon unabhängig von Bestand. Die Ausgangshypothese der Studie von Popitz/Bahrdt, die darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen Arbeitserfahrungen und politischem Denken suchte, ist deshalb zwar hinfällig. Aber sie förderte wenigstens die Erkenntnis zutage, dass Untersuchungen der Arbeitssituation keine Rückschlüsse auf das Gesellschaftsbewusstsein der Arbeiter erlauben; was übrigens erklärt, warum Gewerkschaftsmitglieder hiesig überproportional oft anlässlich der zurückliegenden Wahlen von Abgeordneten zu den Landesparlamenten für die AfD votierten, wie der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hoffmann, inzwischen einräumen musste. Die deutsch-französische Verständigung kann daher allein dann gelingen, wenn die identifizierte Lage der Dinge in der sozialen Welt handlungsleitend ist und nicht beliebige Vorstellungen, die damit nicht in Einklang stehen.

  26. zu @ Peter Boettel
    Ich gehe davon aus das z. B. eine Erhöhung des normalen Renteneintrittsalters auf 67 in Frankreich nicht durchsetzbar ist und deshalb D. sich ein Stück weit Frankreich anpassen müsste. Das ist aber bei den Machtverhältnissen hier reines Wunschdenken.
    zu @ Ralf Rath
    Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes gibt also zu das zu viele Mitglieder bereit sind AFD zu wählen. Sollte es auch da nicht besser sein diese Mitglieder zu fragen warum sie das tun?
    Wie sie sich wahrscheinlich unschwer vorstellen können habe ich das schon oft gemacht.In so einem Gespräch landet man immer bei der Agenda 2010. Ich habe vor ein paar Wochen ein Gespräch mit einem jungen Mann geführt zwischen 20 und 25 Jahren und ihn gefragt wer diesen Unsinn eingeführt hat. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen rot/grün. Das Lob das alle paar Wochen von Frau Merkel für die Regierung Schröder und die Agenda 2010 kommt ist vergiftet. Sehr viele Arbeitnehmer sind der Meinung das alleine rot/ grün das zu verantworten hatte.Das stimmt so natürlich nicht weil es damals eine klare schwarz/gelbe Mehrheit im Bundesrat gab ohne die da gar nichts ging.Schröder hätte dem nie zustimmen dürfen aber die Menschen die als Gewerkschaftsmitglieder AFD wählen sehen die SPD nicht als Alternative an und das hat sogar einen richtigen Hintergrund. Das zu ändern wäre Sache der SPD aber die will das ja gar nicht.

  27. zu @ Ralf Rath
    Ich weiß nicht wie sie sich das vorstellen. Wenn man als Beriebsrat auf Gerwerkschaftstreffen oder Weiterbildungen ist und als Arbeitsloser auf Schulungen. Als Leiharbeiter in zwei Unternehmen als techn. Angestellter tätig war was automatisch dazu führt das man mit vielen Menschen Kontakt hat. Ob in diesem Fall die Meinungsbildung von mir wirklich mit jemand zu vergleichen ist der sagt das die Erde eine Scheibe ist? Das waren keine Treffen von irgendwelchen Träumern sondern Leute , die wahrscheinlich fast alle ihre Studie nicht kennen, aber alle ähnliche Probleme haben. Gehen sie mal davon aus das es keine Person gibt die schon länger Leiharbeiter ist die sich ihrer Arbeit nicht entfremdet hat.Hat es als die Studie die sie als Bibel vor sich hertragen gemacht worden ist eigentlich schon Leiharbeit in der heutigen Form schon gegeben?

  28. Solange „hans“ nicht wirksam Einspruch erhebt angesichts der von mir angeführten Tatbestände und die Aberkennung meines Hochschulgrads vor dem dafür zuständigen Prüfungsamt verlangt, fehlt seiner unablässigen Vorhaltung mir gegenüber die Konsequenz. Dadurch offenkundig nicht satisfaktionsfähig, erübrigt sich jedwede Auseinandersetzung von vornherein. D. h.: Hier im Blog der FR werde zumindest ich mich nicht mehr äußern, weil mir meine Zeit zu wertvoll ist und ich sie nicht vergeuden will.

  29. @ Ralf Rath

    Ich dachte, hier finden Diskussionen statt, was meines Wissens bedeutet, dass man seine Meinung äußert und der anderer (sofern sie verständlich sind, was bei Ihren nicht immer der Fall ist) eigene Argumente entgegensetzt. Sie aber sprechen von „Vorhaltungen“. Was soll das?
    Und was soll der arrogante Hinweis auf Ihren Hochschulgrad?

  30. hans, 20. Mai 2017 um 18:43
    „Ich denke der erste Schritt zu gemeinsamen Handeln wäre ein angleichen der sozialen Standardts. Das wird aber mit einer Kanzlerin Merkel wohl nie passieren.“
    – Zum zweiten Satz weiß ich keine Antwort. Man soll ja nie „nie“ sagen. Zum ersten Satz volle Zustimmung. Es sollte aber auch klar sein, was das heißt: Dass der Schlüssel nämlich nicht in Frankreich, sondern in Deutschland liegt (auch in Bezug auf die Ausführungen von A.H.
    am 21. Mai 2017 ,9:07 )
    .Und auf die Gewerkschaften bezogen: Dass da wohl als erster der DGB gefordert ist, über die nationale Nasenspitze hinaus Strategien zu entwickeln. Auch aus dem Grund, weil erfahrungsgemäß gewerkschaftliche Forderungen nur in wirtschaftlich guten Zeiten durchsetzbar sind.
    Dazu kommt natürlich, dass ich von den ideologisch heillos zerstrittenen und m. E. chaotischen französischen Gewerkschaften überhaupt nichts erwarte – es sei denn bloße Obstruktion. (Deswegen verstehe ich die guten Wünsche von A.H. an diese Adresse nicht.) Da stimme ich auch Ralf Rath zu: „Trüge Herr Macron als französischer Präsident im Dialog mit der deutschen Bundesregierung dazu bei, dass die dabei auszufechtenden Konflikte ihre Schärfe einbüßen, wäre zum Wohl aller zumindest in Europa bereits enorm viel gewonnen.“

    Ralf Rath, 21. Mai 2017 um 10:05
    „Aber sie förderte wenigstens die Erkenntnis zutage, dass Untersuchungen der Arbeitssituation keine Rückschlüsse auf das Gesellschaftsbewusstsein der Arbeiter erlauben; was übrigens erklärt, warum Gewerkschaftsmitglieder hiesig überproportional oft anlässlich der zurückliegenden Wahlen von Abgeordneten zu den Landesparlamenten für die AfD votierten, wie der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hoffmann, inzwischen einräumen musste.“ –
    Endlich nimmt mal einer zu dem von mir mehrfach angesprochenen und für Frankreich besonders brisanten Problem Stellung.
    Der Hinweis auf die Agenda 2010 (Antwort Hans) ist mir da zu billig. Und was die Verantwortlichkeiten angeht (Schwarz/Gelb oder Rot/Grün) sollte man so viel Unterscheidungsvermögen von engagierten Gewerkschaftern wohl erwarten können. Ebenso das Aufzeigen von Alternativen im europäischen Rahmen. Das Eindreschen auf die SPD hat da wohl noch ganz andere und eher tiefenpsychologisch zu erforschende Gründe.
    Fazit: Eine Gewerkschaft, die sich extrem rechts-nationalistisch orientiert, kann kein Bündnispartner sein – mit Sicherheit weit weniger als eine SPD mit all ihren Schwächen und Fehlern. Sie sind m.E. Teil des „Systems“, das sie angeblich so bekämpfen. Deswegen kann ich auch nicht verstehen, dass sich gerade die, die nicht müde werden, so auf die SPD einzuhauen (ob berechtigt oder unberechtigt), sich so offensichtlich um dieses Problem herumdrücken.

  31. Ich habe 30 Jahre in einem internationalen Konzern gearbeitet und dabei folgende (sicherlich subjektive und vielleicht nicht repräsentative) Erfahrung gemacht. Einen Auftrag an einen Konkurrenten zu verlieren, war unschön. Am schlimmsten war jedoch, wenn gleichzeitig die Kollegen im Nachbarland einen Auftrag bekamen. Man solidarisiert sich eher mit dem Konkurrenten aus dem eigenen Land als mit den Kollegen aus einem anderen Land.
    Es änderte sich erst, wenn man die Kollegen persönlich kennenlernte.

  32. zu @ Ralf Rath
    Zwei Anmerkungen. Was halten sie denn davon wenn sie eine Zusammenfasung ihrer Studie hier als Link einstellen. Ich für mich denke das ich guten Argumenten zugänglich bin.
    Das sie ein Diplom haben und eine Studie kennen gehört für mich nicht zu den guten Argumenten.
    zu @ Werner Engelmann
    Ihrem Beitrag kann ich im Grunde nur zustimmen. Man soll nie nie sagen. Das stimmt wobei es ein kleines Wunder wäre wenn z.B. eine neue schwarz/ gelbe Regierung die derzeitigen Positionen räumen würde. Das natürlich die Gewerkschaften zuerst gefordert sind wenn es darum geht das sie von rechts unterwandert werden stimmt auch.

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