Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke scheint sich als Terrortat eines bekannten und mehrfach verurteilten Rechtsextremisten zu entpuppen. Der mutmaßliche Täter Stephan E., der in Untersuchungshaft sitzt, soll den CDU-Politiker mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe getötet haben. Zunächst wollten die hessischen Sicherheitsbehörden keine Kenntnis von einem rechtsextremen Netzwerk im Hintergrund haben. Dann zog die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe den Fall an sich, und alsbald zeigte sich, dass es Verbindungen zum Terror des NSU zu geben seint, dass E. vermutlich kein Einzeltäter ist und dass er gut in der rechten Szene vernetzt ist. Seine letzte Verurteilung liegt zehn Jahre zurück. Seitdem soll es ruhig um ihn geworden sein, hieß es zunächst, doch nach Medienrecherchen wurde er im Jahr 2019 bei einem Treffen von „Combat 18“ gesehen und fotografiert, einer Gruppe von gewaltbereiten Rechtsradikalen. 18 ist in der rechten Szene die Chiffre für den Namen Adolf Hitler (nach der Position der Initialen A und H im Alphabet). Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Hatte E. Helfer? Warum wird so etwas wie „Combat 18“ nicht verboten? Glaubt der hessische Verfassungsschutz, die Szene durch V-Leute unter Kontrolle gebracht zu haben? Der Mord an Lübcke scheint das Gegenteil zu beweisen. Die Szene ist zunehmend gewaltbereit. Offenbar fühlt sie sich getragen von einem gesellschaftlichen Klima, in dem Hass-Postings und -Kommentare niemanden mehr aufregen, obwohl sie das sollten. NSU-Watch rechnet mit einer Terrorwelle. Derweil wollen politisch Agierende wie Erika Steinbach, die mitgeholfen hat, Lübcke in die Schusslinie der Rechtsextremen zu rücken, von einer Mitschuld nichts wissen.
Die folgenden Leserbriefe wurden im Print-Leserforum der FR am 24. Juni und an folgenden Tagen veröffentlicht.
Man sieht den Wald vor lauter Einzelfällen nicht
Am 2. Juni 2019 wird Walter Lübcke von einem polizeibekannten Rechtradikalen erschossen. Joachim Gauck schwadroniert von einer „erweiterten Toleranz gegen rechts“. Einige CDU-Politiker im Osten wollen mit der AfD koalieren. Man möge doch das Nationale mit den Sozialen vereinen. Alles ist denkbar, aber wer denkt?
Im Kontext des rechten Terrors wird reflexartig von „Einzeltätern“ gesprochen. Nur sieht man den Wald vor lauter Einzelfällen nicht mehr. Die Verbindungen der Rechten reichen bis weit in den deutschen Verfassungsschutz, die deutsche Polizei oder Bundeswehr hinein. Der Soldat Franco A. will als angeblicher syrischer Flüchtling einen Terroranschlag verüben. Hannibal und Juniter (auch hier viele Polizisten und Soldaten) stehen für Wehrsportgruppen der professionelleren Art, die am „Tag X“ mit Waffengewalt die Kontrolle übernehmen und zuvor gelistete politische Gegner eliminieren wollen. Polizisten geben die Privatadresse einer Frankfurter Anwältin an Rechte weiter, die daraufhin Drohbriefe der übelsten Sorte verschicken. Und es geht laufend so weiter…
Polizisten und Soldaten sind aber keine einfachen Bürger, sondern Repräsentanten der Exekutive. Sie verfügen über Waffen und Zugang zu sensiblen Daten. Wen beunruhigt das eigentlich? Bürgermeister, die sich gegen rechts positionieren, werden bedroht, verletzt und viral mit Hass- und Tötungsbotschaften traktiert.
Weite Teile der Rechten eint die Vorstellung vom Tag X, an dem die öffentliche Ordnung zusammenbrechen werde und kernige Kerle mit Knarren selbige nach ihren eigenen kruden Vorstellungen neu erschaffen. Eine Fantasie, die bei vielen emotional verfängt. Weltuntergangsszenarien sind verführerisch, keiner muss über die Fehler von gestern nachdenken, da doch die blau-braune Morgenröte lockt. Es gibt aber keinen Tag X, es gibt viele X-Tage. Für betende Muslime in Christchurch ebenso wie für die Menschen in Charlottesville, die von einem Nazi umgefahren wurden. Auch die Opfer von A. Breivik erlebten ihren Tag X im November 2011. Und viele andere mehr.
Am 2. Juni diesem Jahres wurde nun der verdiente CDU-Mann Walter Lübke ermordet. Er war nicht rechts. Im Netz brodelt es vor Häme.
„Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“ – Theodor W. Adorno
Susanne Alpers, Frankfurt
Gleicher als der einfache Mensch
Warum ist in den Augen des Bundesinnenministers Seehofer, der ja auch als Verfassungsminister firmiert, erst die Ermordung eines „hohe(n) Repräsentant(en) des Staates“ durch einen gewaltorientierten Rechtsextremen eine Tat, die sich „gegen unser freiheitliches System“ richtet? (zitiert nach „Der Schock sitzt tief“, FR vom 19.06.2019). Warum gilt dasselbe nicht für die Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte und Moscheen, für Körperverletzungen, Tötungen, Morde an jedem x-beliebigen Menschen durch gewaltorientierte Rechtsextreme bzw. durch als solche bekannte Personen?
Herr Seehofer sollte sich vorher überlegen, was er sagt, sonst könnte ich auf den Gedanken kommen, dass er „hohe Repräsentanten des Staates“ als bedeutender – und damit „gleicher“ – einstuft als jedes andere Opfer solcher Taten, frei nach dem Song von Milva (falls sich noch jemand daran erinnert), die ja schon vor ca. 40 Jahren sang, dass „eine (warum auch immer bedeutende – RR) Minderheit“ vor dem Gesetz „gleicher“ sei als jeder „einfache“ Mensch oder jede einfache Staatsbürgerin oder ihr männliches Pendant.
Roswitha Ristau, Braunschweig
Und wenn es brenzlig wird, werden Akten geschreddert
Der Angeklagte im Mordfall Lübcke war als gefährlicher Gewalttäter bekannt: Nach seinem Sprengstoff-Anchlag auf eine Flüchtlingsunterkunft erhielt er eine Minimalstrafe, so dass er knapp zwei Jahre später einen Mann am Wiesbadener Hauptbahnhof lebensgefährlich verletzen konnte, weil er ihn für einen Ausländer hielt.
Vor 10 Jahren wurde er zu einer Bewährungsstrafe wegen eines massiven Angriffs auf die DGB-Kundgebung in Dortmud verurteilt.
Beim NSU-Prozess verzichtete man auf seine Anhörung , um einem so „militanten Neonazi“ nicht auch noch eine öffentliche Bühne zu bieten – die Beifallsbekundungen der Nazis im Gerichtssaal waren ja bekannt.
Trotz einer weiteren schweren Körperverletzung wurde er im Nachrichteninformationssystem des Verfassungsschutzes (Nadis) nicht geführt, wie die FAZ recherchierte (18.6.); es gab keine Observation oder Beobachtung, ungeachtet seines Bekanntheitsgrades in der rechten Szene. Hier lohnt sich ein Vergleich mit der Kasseler Bürgerin Sylvia Gingold, die seit über 40 Jahren in den Akten des Verfassungsschutzes ist: Ihr Eintrag wird nicht gelöscht – mit der Begründung, sie habe aus dem Buch ihres Vaters vorgetragen. Peter Gingold war ein international hochgeachteter Widerstandskämpfer!
Denken wir an den Fall Amri, dessen Beobachter abgezogen wurden, um sich angeblichen Hausbesetzern der Rigaer Straße zu widmen. Wenn es dann wirklich mal brenzlig wird für diesen „Inlandsgeheimdienst“ werden Akten geschreddert oder 120 Jahre gesperrt. Alle vollmundigen Sprüche, dass nach dem furchtbaren Mord an Dr.Lübcke endlich „durchgegriffen“ wird, bleiben folgenlos, wenn nicht endlich der fortlaufende Skandal des Verfassungsschutzes beendet wird. Diese Behörde erfüllt nicht ihre Aufgabe, die Verfassung zu schützen und damit auch die Bürger, die lebenslang für sie eintraten wie der großartige Dr.Lübcke.
Geert Platner, Ahnatal
Nicht vom hohen Gut der Meinungsfreiheit gedeckt
Angesichts des Mordes an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke wird immer wieder festgestellt, dass aus Hasskommentaren auch schnell mal Gewalttaten werden können. Wie man den Hasskommentaren und verbalen Bedrohungen in den Sozialen Medien beikommen kann, dazu werden von den meisten Kommentatoren keine konkreten Lösungswege genannt, außer dass die Betreiber der sozialen Medien aufgefordert werden, solche Äußerungen umgehend zu löschen.
Hass, Beleidigung und der direkte oder indirekte Aufruf zu Straftaten ist aber durch unser hohes Gut der Meinungsfreiheit zu Recht nicht gedeckt. Bevor die Sozialen Medien aufkamen, war die massenhafte und schnelle Verbreitung solcher Äußerungen nicht möglich, da man z.B. in Leserbriefen seinen Namen und Wohnort nennen musste. Da es aber in den Sozialen Medien eine solche Regel bisher nicht gibt, wird die Meinungsfreiheit massenhaft missbraucht. Eine einfache Regel könnte dem einen Riegel vorschieben: Absenderangaben müssen den Vor- und Nachnamen enthalten. Die Betreiber von facebook, twitter und Co müssten dazu die Adresse abspeichern, so dass Hassprediger im Internet schnell identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden können.
Ullrich Horstmann, Gudensberg
Der Verfassungsschutz hat sich als Hindernis erwiesen
Ein Mord aus politischen Beweggründen mit rechtsextremistischen Hintergrund am Regionspräsidenten Herrn Lübcke muss mittlerweile als wahrscheinlich angenommen werden.
Auch wenn jetzt alle eine vollständige Aufklärung des Vorgangs auch hinsichtlich des Umfeldes fordern, bleiben Zweifel an der Nachhaltigkeit, soweit sie die über den Täter hinausgehenden Aspekte betrifft. Die Aufarbeitung der Anschläge des NSU, der Anschlag von Anis Amri auf dem Weihnachtsmarkt u. a. wurden ebenfalls mit absolutem Aufklärungswillen begleitet. Bisher liegen jedoch in diesen Fällen keine Ergebnisse vor, die strukturelle Zusammenhänge ausreichend erhellen, Verantwortlichkeiten für Versäumnisse benennen und notwendige nachhaltige Veränderungen einleiten.
Gerade der Verfassungsschutz hat sich hier eher als Hindernis erwiesen und hat von der Politik offenbar kaum Kontrolle zu fürchten. Wie kann es auch anders sein, wenn z. Bsp. die Bundeskanzlerin eine vollständige Tataufklärung den Angehörigen der Ermordeten zusagt, aber gleichzeitig die politische Haltung eines Herrn Maaßen übersieht. Sog. Sicherheitsgesetzte, die auch immer Einschränkungen für die Allgemeinheit mit sich bringen und kaum verifiziert werden, sollen immer schnell nach solchen Tagen geändert werden, an den unzulänglichen Strukturen (personelle und technische Ausstattung der Polizei, Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg, Verfassungsschutz usw.) wird jedoch kaum etwas verändert.
Es kann gemutmaßt werden, dass hier Widerstände auftreten und Zuständigkeiten tangiert sind und somit es eines nachhaltigen politischen Veränderungswillens bedarf, der nicht letztlich vorhanden ist.
Friedrich Bredthauer, Wunstorf
Die Weimarer Republik (1918-33) war geprägt von Hass und Antisemitismus, einer ständigen Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten auf der Straße, von Inflation und Weltwirtschaftskrise und von Antidemokraten, die überall Volksverräter sahen, den verhassten Knebelvertrag von Versailles ablehnten und die sog. Dolchstoßlegende des Ersten Weltkrieges (1914-18) mit den Sozialdemokraten in Verbindung brachten. Während der Weimarer Republik gab es über 500 Menschen, die politischen Attentaten zum Opfer fielen. Die prominentesten Opfer waren Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner, Matthias Erzberger und Walter Rathenau. Sie waren Opfer der rechtsradikalen „Organisation Consul“.
Warum schreibe ich das? Geschichte wiederholt sich immer, obwohl Politiker ständig behaupten, sie hätten die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen. Die Berliner Republik in Deutschland (seit dem 3.10.1990) ähnelt dabei in gewisser Weise der Weimarer Repbublik. Denn, seit der Flüchtlingkrise von 2015 ist Deutschland tief gespalten und wird mit Hass, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit überschüttet. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern, die sich berechtigterweise abgehängt fühlen und wo es die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ nur vereinzelt gibt, zeigt sich massiver Widerstand, der von Pegida & Co. und der AfD (Alternative für Deutschland) befeuert wird. Es wird wie in Weimar immer schwieriger Deutschland zu regieren, da es mit CDU, CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, die Linke und der AfD mittlerweile sieben Parteien im Reichstag zu Berlin gibt. Die Neonazis sind wieder im Vormarsch. Bestes Beispiel dafür sind die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Und jetzt der politische Mord eines Neonazis an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Aber auch islamistischer Terror und Anschläge bzw. Verbrechen von muslimischen Flüchtlingen destabilisieren Deutschland.
Woran liegt das? Wir haben leider keine direkte Demokratie mit Volksabstimmungen, wo das Volk als oberster Souverän entscheiden darf. Nie durften wir in Deutschland über wichtige Fragen abstimmen, sondern nur Parteien und Politiker wählen, die den Volkswillen anschließend mitunter auch missachteten. Das rächt sich früher oder später. So gab es z. B. nie eine Volksabstimmung über das Grundgesetz, die deutsche Wiedervereinigung, die Einführung des Euro und die massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen. Der Mord an Walter Lübcke war feige, ein Anschlag auf unsere Berliner Republik und unsere offene Gesellschaft. Trotzdem war es nicht richtig und nicht sehr geschickt von RP Lübcke, deutsche Staatsbürger einfach aufzufordern, das Land zu verlassen, nur weil sie nicht mit der GroKo-Flüchtlingspolitik einverstanden sind. Provokationen erzeugen Hass. Ich muss nicht Öl ins Feuer gießen, wenn das Haus Deutschland angesteckt wird. Die Berliner Republik ist zwar nicht identisch mit der Weimarer Republik, aber sie droht – wenn wir nicht alle aufpassen und umgehend reagieren – auf dem schlechten Weg von Weimar nach Berlin unter die Räder zu kommen.
Roland Klose, Bad Fredeburg
Wir haben es hier mit Terror zu tun!
Der Verdacht verfestigt sich, dass der Täter aus dem rechtsradikalen Bereich kommt. Der Name ist im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss im Fall Halit Yozgat aufgetaucht. Er wurde nicht weiter verfolgt. Der mehrfach verurteilte Gewalttäter konnte jahrelang unauffällig eine weitere Gewalttat planen.
Ich wage die Behauptung: Hätte man für den NSU-Untersuchungsausschuss nicht fleißig Akten geschwärzt oder diese gänzlich vorenthalten, könnte Herr Lübcke vielleicht heute noch leben. Denn in dem Ausschuss wurde immer die Frage nach den Netzwerken und Hintermännern gestellt, die aber niemals beantwortet wurde. Stattdessen wurden Akten geschreddert und geschwärzt, um V-Leute zu schützen, die zwar, wie man hier sieht, nichts zur Verhütung weiterer Morde beitrugen, stattdessen mit dem Geld aber die rechte Szene weiter aufbauten.
Wenn es sich hier um Terror von Links oder aus dem islamistischen Spektrum handeln würde, gäbe es schon längst staatliche Intensivst-Aktivitäten nach dem Muster der Verfolgung der RAF-Straftäter im deutschen Herbst. So aber wurde zunächst einmal wieder von einem „Einzeltäter“ geschwafelt, was inzwischen zum Leidwesen der Abwiegler nicht mehr haltbar ist. Um eine Verflechtung mit den nordhessischen rechtsradikalen Netzwerken nachzuweisen, musste nun Monitor einsteigen, denn der Verfassungsschutz hatte ja zehn Jahre lang keine Erkenntnisse über den mutmaßlichen Täter.
Es nervt! Wir haben es hier mit Terror zu tun! Terror, der inzwischen offenbar von einem beachtlichen Prozentsatz der Bevölkerung nicht als solcher bemerkt wird, sondern achselzuckend ignoriert bzw. sogar begrüßt wird, die Hetze im Internet inbegriffen. Und was besonders beängstigt: Rechtsnationalismus und Gewaltbereitschaft in staatlichen Organen wie Polizei und Bundeswehr, die mehr als zögerlich verfolgt werden. Und der Verfassungsschutz weiß nichts von den Tätern.
Im deutschen Herbst konnte ein bekennender Kommunist nicht Briefträger werden. Zutiefst der Demokratie verpflichteten Menschen wie Peter und Ettie Gingold, die die Jugend über die Gefahren von Faschismus und Krieg aufklärten, wird in Frankfurt die Benennung eines Platzes verweigert.
Wo bleibt die Wehrhaftigkeit des Staates gegen die rechten Gewalttäter und Mörder? Die Brandstifter sind unter uns! Wann endlich bemerken das die Biedermänner?
Marianne Friemelt, Frankfurt
Eine Politik im Interesse der Bevölkerung
Zu: „Den Hass bremsen. Leitartikel“, FR-Meinung vom 21. Juni
Selbstverständlich ist es begrüßenswert und wichtig, gegen den leider vermehrt und gewalttätig auftretenden Rechtsextremismus aufzutreten und entgegenzuwirken, wobei die entsprechenden Aufrufe von Außenminister Maas und Innenminister Seehofer reichlich spät erfolgt sind. Ausgerechnet Seehofer war es doch, der sich mit seiner Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge und Ankerzentren sowie grundrechtswidrigen Überwachungsmethoden seit seinem Amtsantritt den Rechten angebiedert hat. Insofern ist es eher ein Zeichen von Traurigkeit, wenn nicht gar Versagen, dass unsere Spitzenpolitiker erst wieder die Zeichen erkannt haben, nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Leider scheinen diese Politiker jedoch immer noch nicht die Ursachen erkannt zu haben, warum die Rechten bei den Wahlen in den letzten Jahren und bei gewalttätigen Aktionen diesen Zulauf erhalten haben. Denn die Politikverdrossenheit vieler Wähler*innen ist vielfach darin begründet, dass diese sich von der Politik vernachlässigt fühlten. Nachdem viele im Jahre 1998 nach 16 Jahren Kohl-Regierung ihre Hoffnung auf eine andere, nämlich an den Bedürfnissen der Mehrheit des Volkes orientierte Politik gesetzt hatten, wurden sie bereits nach kurzer Zeit dadurch bitter enttäuscht, dass die Regierung Schröder – unter Mitwirkung der zurzeit in Hochstimmung befindlichen Grünen – u.a. die Hartz IV-Gesetze erlasssen, die bewährte gesetzliche Rentenversicherung verschlechtert und mit der Riesterrente die Versicherungen zu Lasten der Rentner gefördert, den Spitzensteuersatz gesenkt und die Besteuerung von Erlösen aus der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen abgeschafft hat.
Diese Politik der Umverteilung von unten nach oben wurde durch die nachfolgenden Regierungen unter der Kanzlerin Merkel mit der Beteiligung zunächst der FDP, dann der SPD fortgesetzt. All diese den christlichen wie auch den sozialdemokratischen Grundsätzen widersprechenden Maßnahmen haben in der Folgezeit zu den fortwährenden Wahldebakeln sowie schlimmerweise wie in der Weimarer Republik zu einer Stärkung des Rechtsextremismus geführt. Wenn auch das Flüchtlingsproblem zu dieser Entwicklung beigetragen hat, muss hierbei der Politik der Vorwurf gemacht werden, dass sie durch ihre Waffenexporte einerseits die Fluchtursachen gefördert hat, andererseits es bei uns versäumt hat, die Voraussetzungen zu einer besseren Versorgung der Bevölkerung, z.B. auf dem Wohnungssektor, zu schaffen, womit viele glaubten, benachteiligt zu werden.
Daher sollten die Politiker in Regierung und Parlament doch schließlich begreifen, dass das wirksamste Mittel bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus darin besteht, endlich eine Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung zu machen anstatt wie seither stets den Forderungen der Lobbyisten aus den Konzernen zu Steuersenkungen, weiterem Sozialabbau, Aufrüstung, Waffenexporten u.ä. nachzugeben!
Erst hört Mensch nichts vom „Bayerischen Heimatschutzminister“ Seehofer zum Mord an Herrn Lübcke. Und als er sich meldet, kann der Hinweis auf „islamistische Gewalttäter“ nicht fehlen.
Damit relativiert Seehofer die faschistisch Gewalt, der schon über 190 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Ich habe nicht vergessen, wie vor 15 Jahren die Opfer des NSU-Attentats in der Kölner Keupstraße diffamiert wurden, wie Ermittlungen mehr dem Schutz der tatsächlichen Täter, als der Aufklärung des Verbrechens dienten.
FR-Leserin Susanne Alpers ist beizupflichten: Es gibt keinen Anlass, von Einzeltätern aus dem rechtsradikalen Milieu auszugehen. Nicht bei der Ermordung Walter Lübckes, nicht bei den 196 Verbrechen, die zwischen 1990 und 2018 begangen und von der Amadeu Antonio Stiftung erfasst wurden. Vielmehr deuten sämtliche Indizien auf eine Arbeitsteilung zwischen den geistigen Wegbereitern (einschließlich ihrer Publizistik), den engstirnigen Pseudodemonstranten wie Pegida, den Schlägertruppen wie „Combat 18“, „Freien Kameradschaften“ und NPD sowie dem parlamentarischen Arm, der AfD, hin. Ebenfalls hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf das Attentat eines Neo-Nazis auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 in Berlin, an dessen Spätfolgen der einstige Wortführer der Studentenproteste am 24.12.1979 starb.
In der ARD-Sendung „Anne Will“ am 23. Juni zeigte sich erneut die Hilflosigkeit von Politik (Annegret Kramp-Karrenbauer, Henriette Reker) und Justiz (Oberstaatsanwalt Markus Hartmann) bei Zuordnung und Analyse der Geschehnisse. Annette Ramelsberger von der „Süddeutschen Zeitung“ und Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, vermochten jedoch über den Tellerrand deutscher Selbstgefälligkeit hinauszublicken. Allerdings hätte ich mir von ihnen ein deutlicheres Nein gegen die Hypothese von einer „braunen RAF“ erwartet. Denn die Versuche, rechte Gewalt mit linker Gewalt zu erklären, führen nicht nur zu Fehl- und Trugschlüssen. Letztere sind sogar beabsichtigt.
Die Verklärer der politischen Verhältnisse definieren seit Jahrzehnten eine so genannte Mitte, die offenbar ohne schichtenspezifische (soziale) Konflikte auskommt und die zwangsläufig direkt an die Ränder grenzt. Nämlich an den linken und an den rechten Rand, wobei der linke als systembedrohend gilt (weil er angeblich die Demokratie infragestellt, tatsächlich aber den Kapitalismus anzweifelt), während der rechte lediglich durch gelegentliche Störfälle des gesunden Volksempfindens auffällt, die jedoch zumeist mit Gewaltanwendung, zumindest mit Bedrohung, einhergehen.
Solche Deutungsmuster verkennen die völlig unterschiedlichen ideengeschichtlichen Herkünfte und Inhalte von Links und Rechts. Ein typischer Apologet dieser gefährlichen geistigen Enge ist der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Das CDU-Mitglied schwadroniert bereits von einer schwarz-braunen Koalition.
Die wichtigsten, weil einflussreichsten Quellen und Bestandteile der Neuen Rechten sind die Wochenzeitung „Junge Freiheit“, der „Antaios-Verlag“ von Götz Kubitschek, das „Institut für Staatspolitik“, die Zeitschrift „Compact“, die „Identitäre Bewegung“ sowie der „Manuscriptum Verlag“ und das „Studienzentrum Weikersheim“. Die gemeinsame ideologische Basis ist jene antidemokratische, antimodernistische und überwiegend rassistische und betont antisemitische Strömung namens „Konservative Revolution“, die während der Weimarer Republik entstand und als wichtige Wegbereiterin des Nationalsozialismus gilt. Zu ihren geistigen Ahnherren werden der Dichter Stefan George, der Schriftsteller Ernst Jünger, der Dramatiker Hugo von Hofmannsthal, der Staatsrechtlicher Carl Schmitt, der Kultur- und Staatshistoriker Arthur Moeller van den Bruck oder der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler gezählt. Der wesentliche Unterschied zum Marxismus und Sozialismus war (und ist in ihrer aktuellen Form) die durchgehende Ablehnung des Internationalismus, der gesellschaftlichen Solidarität und des Fremden. Ebenso werden die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie im Wesentlichen abgelehnt.
Im Jahr 1993 warb die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ um Abonnenten mit dem Slogan „Jedes Abo eine konservative Revolution“.
Man kennt die Überzeugungen und Ziele der Rechten, ihre Protagonisten und deren Strategien. Also könnte man etwas dagegen tun.
Susanne Alpers tituliert ihren Leserbrief sehr zu Recht: „Man sieht den Wald vor lauter Einzelfällen nicht.“
Nun musste, damit selbst diese „Einzelfälle“ in den richtigen rechten Zusammenhang eingeordnet werden statt für Verschwörungstheorien über „Verfassungsfeinde in der SPD“ zu dienen, erst einmal ein AfD-Schutzherr Maaßen von der Position des Verfassungsschutzpräsidenten in die geistige Wüste geschickt werden, wo er seine rechten Verschwörungstheorien, nun als Privatmann, munter weiter betreibt.
Immerhin eine Chance, dass nun das unter dauerhafter Behandlung mit Beruhigungstropfen erblindete rechte Auge von Verantwortlichen allmählich wieder zum Leben erwacht.
Anlass genug, eine Bestandsaufnahme über den Anteil der AfD-Hetze an der Entwicklung des Rechtsterrorismus zu versuchen.
Dies sei im Folgenden an zwei Fallbeispielen unternommen.
Quelle: https://www.fr.de/politik/luebcke-mord-horst-seehofer-bestaetigt-gestaendnis-stephan-zr-12368892.html
Fall 1: Erika Steinbach
Der CDU-Politiker Peter Tauber hat das Noch-CDU-Mitglied Steinbach, u.a. in einem persönlichen Schreiben an sie, „Mitschuld“ am Tod von Walter Lübcke vorgeworfen.
Nun ist Peter Tauber zwar für Schnellschüsse bekannt. In diesem Fall hat er aber sicher Recht. Nicht, weil es – so Tauber an Steinbach – „bis heute (…) kein Wort der Trauer von Dir für ihn“ gibt. Auch wenn dies ein klarer Hinweis auf die Erbärmlichkeit dieser Person ist. (Update, 25.6.2019, 12.10 Uhr)
Entscheidend ist vielmehr, dass Erika Steinbach nach über 3 Jahren (!) einen hassgeprägten Artikel gegen ihren Parteigenossen veröffentlichte, in dem sie – ohne jede Not – die Passage von 2015 über die Befürwortung der Flüchtlingspolitik durch Walter Lübcke verlinkte, mit der Aussage, „Kritiker könnten das Land jederzeit verlassen, wenn sie mit der Asylpolitik nicht einverstanden seien“. (Update, 20.06.2019, 10.30 Uhr)
Nun kann man davon ausgehen, dass sich Frau Steinbach bei Gemütslage und eingeübten Reaktionen von Rechtsextremisten (wie nun auch durch die Ermittlungen bestätigt) bestens auskennt. Sie hat also – vermutlich aus politischem Kalkül – deren Aufmerksamkeit gezielt auf Herrn Lübcke als Inkarnation für deren Feindbild gelenkt und seine tödliche Gefährdung veranlasst und zumindest billigend in Kauf genommen.
Dieser Sachverhalt ist offenbar von strafrechtlicher Relevanz. Ihre Zurückweisung jeglicher Verantwortung für die von ihr ausgelöste Flut von Hasskommentaren rundet lediglich das Profil dieser jämmerlichen Person ab.
In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass das Landgericht Berlin im Fall eines tödlich endenden Rennens von Rasern zweimal auf „Mord“ erkannt hat. Mit folgender Begründung: „Wer so unterwegs sei, der suche „den besonderen Kick“, sagt der Richter, und blende alles andere aus.“ (https://www.sueddeutsche.de/panorama/raser-urteil-berlin-1.4384032).
Eine Feststellung, die auch in ähnlicher Weise auf Hasspropheten vom Stil einer Erika Steinbach zutrifft.
Fall 2: Martin Hohmann und die AfD
Der hessische AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann behauptete:
„Hätte es den von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verantwortenden ‚Massenzustrom an Migranten nicht gegeben, würde Walter Lübcke noch leben‘.“ (Update, 25.06.2019, 12.12 Uhr)
Nun vergießt Herr Hohmann freilich – anders als Frau Steinbach – Krokodilstränen über den Tod von Walter Lübcke:
In der von der AfD verbreiteten Erklärung (https://www.afdbundestag.de/hohmann-ein-missbrauchter-politischer-mord/) äußerte er sich „entsetzt“ über seinen Tod, da er ihn „als einen offenen, freundlichen und zugewandten Menschen schätzen gelernt“ habe.
Anders als Steinbach zitiert er auch den Schlusssatz Walter Lübckes auf der Veranstaltung aus dem Jahr 2015: „Wir leben in einer Demokratie mit Mehrheitsbeschlüssen.“
Das freilich alles nur, um ihn als „Kronzeugen“ gegen Angela Merkel zu benutzen und sie als die eigentlich Schuldige anzuklagen:
„Der Massenzustrom nach der illegalen Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen ist notwendiges Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte. (…) Abgeordnete (außer Erika Steinbach) des Bundestages haben sich in der vorigen Legislaturperiode von 2013 bis 2017 dem Diktat von Angela Merkel schweigend unterworfen.“ (ebd.)
Was Martin Hohmann betreibt, ist an Demagogie und Perfidie nicht zu übertreffen: Es ist die Schuldumkehr durch eine konstruierte “ Ursachenkette“, in deren Folge er – nicht anders als explizit auch Gauland (Update, 22.06.2019, 11.15 Uhr) die AfD gleichermaßen als „Opfer“ neben Walter Lübcke stellt.
Fazit:
Die neue Justizministerin Lambrecht hat es treffend formuliert:
„Die rechtsextreme Gewalt sei das Ergebnis eines schleichenden Prozesses. (…) Es kommt zu Grenzüberschreitungen. Intoleranz führt zu Hass, Hass führt zu Bedrohungen. Bedrohungen führen zu Gewalt. Diese Spirale müssen wir stoppen.“
Diese Spirale ist nicht allein mit Argumenten zu stoppen. Für die sind Schreibtischtäter vom Schlage einer Erika Steinbach oder eines Martin Hohmann nicht zugänglich.
Da ist – auch gegenüber den maßgebenden Gestalten der AfD – der wehrhafte Rechtsstaat mit seinen Institutionen einschließlich Strafverfolgungsgewalt gefragt.
Auch dies eine Lehre aus Weimar, nachdem der Mord an Walter Lübcke in frappierender Weise an die Ermordung von Matthias Erzberger 1921 erinnert, zur Demütigung zu den Diktatoren des Versailler Vertrags geschickt und von rechtsradikaler Hetzpropaganda dafür zum Sündenbock erklärt.
Wenn man bedenkt, wie viele Jahre unbescholtene linke Politiker, etwa Petra Pau oder Bodo Ramelow, vom Verfassungsschutz „beobachtet“ wurden, dann gehört es zu den Mindestforderungen, dass wenigstens alle die AfD-Politiker, die mit Hassparolen auffallen, die zu Taten werden, als die „Gefährder“ eingestuft werden, die sie sind. Die nicht nur zu „beobachten“ sind, sondern auf die – ob Abgeordnete oder nicht – auch das Strafrecht in seiner ganzen Klarheit Anwendung zu finden hat.
Ehrenwert, was Matthias Koch im Leitartikel sagt. Gerne würde ich seiner Überzeugung folgen, die Manager der globalen IT-Giganten könnten sich auf eine Debatte einstellen, die sie nicht gewinnen würden. Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Koch! Die Dimension der Hass- und Drohtiraden in den „sozialen Medien“ ist inzwischen so groß, dass aus diesem Instrumentarium jedenfalls keine frohe Botschaft mehr wird. Abgesehen davon, dass der Herrschaftsanspruch der Zuckerbergs nie nachgelassen hat. Diese Mediengiganten reißen weiter alles an sich – einschließlich das große Geld – und gaukeln uns ihre Bereitschaft zur Besserung vor.
Wir laufen einer Entwicklung hinterher, die irreversibel geworden ist, und versuchen dabei mit Appellen und einigen rechtlichen Maßnahmen, die Büchse der Pandora unter Verschluss zu halten. Im analogen Zeitalter war das irgendwie noch greifbar, vorstellbar. Im digitalen Zeitalter ist die Chance vorbei: The way of no return!
Allein, wie Bundespräsident Steinmeier, für den digitalen Wandel zu plädieren, ist genauso wirkungslos wie anzunehmen, man könne die Algorithmen nachprüfbar machen und eine „Ethik der Digitalisierung“ fordern.
Die Massengesellschaft hat längst den Wandel vom Analogen zum Digitalen angenommen, wie alles, was nach Bequemlichkeit, Fortschritt und Spiel der Kräfte daherkommt. Es ist natürlich nicht verkehrt nach einer „starken Zivilgesellschaft“ aufzurufen. Spannender aber wäre doch die Frage zu stellen, was der globale Fortschritt(sgedanke) mit dem Zivilisationsprozess halbwegs aufgeklärter Vorstellungen noch zu tun hat und inwieweit wir Menschen noch Herr im eigenen Haus sind. Stecken wir nicht schon längst in einer immer anonymer und unverbindlich strukturierten Gesellschaft und in einer endlosen Kette von Abhängigkeiten und Selbstzwängen fest? Endlos erscheinende Appelle an die Vernunft oder Aufrufe zur Ethik gegen den digitalen Mediensumpf und die menschliche Barbarei – reicht das? Es ist an der Zeit, die vielen schlechten Eigenschaften der Menschen deutlich zu machen, so wie bei der Büchse der Pandora. Sie, das Geschöpf der Götter, des von Prometheus überlisteten und zornigen Göttervaters Zeus.
Im antiken Mythos schließlich erleidet der Menschenfreund und Aufrührer Prometheus schreckliche Todesqualen. Es scheint wohl so, wie im Mythos, dass nur die das Recht bekommen, über sich selbst zu bestimmen, die die Grundlagen der Weltordnung nicht in Frage stellen. Das scheint zeitgemäß.
Und nochmal zum „Mordfall Lübcke“, zu gesellschaflichen Hintergründen und Konsequenzen.
Ein Versuch, der hoffentlich nicht ein Ende, sondern einen Anfang darstellt.
Denn, was es zu begreifen gilt: Das ist eben nicht „nur“ ein „Mordfall“, sondern, wenn man es politisch analysiert: die Wiedereinführung der Todesstrafe auf kaltem, außergerichtlichem und außerparlamentarischem Weg. Mit Konsequenzen für den demokratischen Rechtsstaat, die noch gar nicht absehbar sind.
Längst stehen Analogien zu Weimar, konkret: den Ermordungen von Reichsminister Matthias Erzberger 1921 und dem Abgeordenten Walther Rathenau 1922 durch die rechtsradikale „Organisation Consul“ im Raum. Nach dem Historiker Martin Sabrow „Teil einer terroristischen Eskalationsstrategie (…), um einen Bürgerkrieg zu entfesseln.“
(Martin Sabrow: Der Rathenaumord. S. 149–151; Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung. S.187f.)
Markus Decker spricht in seinem Kommentar „Ins Herz des Staates gezielt“ den Vergleich mit der der RAF an:
„Tatsächlich ist die RAF aber eine analytisch nützliche Referenzgröße. (…) Seit dem 2. Juni müssen sich alle Repräsentanten dieses Staates fürchten, (…) dass organisierte Rechtsextremisten planmäßig eine Pistole herausholen und schießen. Diese Erkenntnis setzt sich seit der Mordnacht in den Köpfen Tausender Bürgermeister und Stadträte fest. Sie trifft die Substanz der Demokratie – so wie die Taten der RAF die Substanz der Demokratie trafen.“
Ein zunächst überzeugend wirkender, aber dennoch etwas oberflächlicher Vergleich.
Er verkennt die völlig unterschiedliche Qualität des Terrorismus: Im Fall der RAF basierte er auf einem abgehobenen, überspitzten Gesellschaftsverständnis, das (besonders bei Ulrike Meinhof) den ursprünglichen moralischen Impetus völlig aus den Augen verlor und ins Gegenteil pervertierte.
Davon kann bei den dumpfbackenen rechtsradikalen „Bauch-Terroristen“ nicht einmal in Ansätzen die Rede sein.
Ähnlich sieht es bei dem – möglichen – Unterstützerfeld aus:
Beim Fall der RAF rekrutierte sich die – von einem „Mescalero“ thematisierte – „klammheimliche Freude“ vorwiegend aus einem intellektuellen, von moralischem Impetus geprägten Milieu, das diese Pervertierung nicht sehen wollte oder aus ideologischer Verblendung heraus nicht sehen konnte. Die „Austrocknung“ dieses Unterstützerfelds vollzog sich in dem Maß, in dem diese Erkenntnis sich ausbreitete und zur fast völligen Isolierung der RAF-Terroristen führte. Sie erfolgte im Wesentlichen auf dem Weg kritischer Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Irrtümern und ihren Folgen.
Gegenüber rechtsradikalen Dumpfbacken, deren Gesellschaftsbild nahezu ausschließlich auf ihrem sorgsam gepflegten Hass aufbaut und seiner Befriedigung dient, ein von vornherein völlig aussichtsloses Unterfangen. Hass, der fehlende eigene Identität in der Identifikation mit pseudo“revolutionären“ Aktionisten („die Identitären“) zu verkleistern sucht und immer neuer – möglichst prominenter – Opfer zu seiner Befriedigung bedarf.
Gegenüber solchen menschlichen wie intellektuellen Defiziten- psychologisch als Regression in frühkindliche Trotzphase zu charakterisieren – greift jegliche auf rationale Argumentation aufbauende Gegenstrategie zu kurz. Ein Sachverhalt, den etwa ein Joachim Gauck bei seinem Versuch eines „Spagats“ mit der Parole „Toleranz gegen rechts“ ignoriert. (https://www.fr.de/meinung/toleranz-gegenueber-rechts-gauck-versucht-spagat-12516790.html)
Alle Argumente gegen die pseudopatriotische Vereinnahmung von „rechts“ liegen längst auf dem Tisch, ebenso die moralischen Vorbehalte. Wer das noch nicht „begriffen“ hat und sich weiter hinter dem Selbstbetrug des „Protests“ verschanzt, wer Mördern und Brandschatzern (wie in Rostock-Lichtenhagen und an vielen anderen Orten) applaudiert, der will und wird es nicht „begreifen“.
Sollte es immer noch (besonders hartnäckige) „Protestler“ geben, so könnte ein Modell dienlich sein, das erfahrene Pädagogen bei verfahrenden Situationen in besonders problematischen Klassen anwenden, in denen der „Aufstand“ geprobt wird. Die in der Zwickmühle zwischen der Notwendigkeit strenger Konsequenz einerseits und des Verständnisses andererseits stehen.
Die Erfahrung zeigt, dass in solchen Situationen zunächst die strenge Konsequenz zum Zug kommen muss, da Verständnis so lange als „Schwäche“ ausgelegt wird, als die Identifikation mit der (angeblichen) „Gegengewalt“ anhält.
Der erfolgreiche Weg der Bekämpfung der verheerenden Identifikation mit gewalttätigen, pseudorevolutionären Hassparolen führt nicht über moralische „Empörung“ (und wenig über Argumentation), sondern hauptsächlich über die Zerstörung des Nimbus des Gewaltverbrechens als „politischer Botschaft“.
So auch Brecht, wenn er fordert, dass „die ‚großen‘ politischen Verbrecher durchaus preisgegeben werden müssen, und vorrangig der Lächerlichkeit“ (Nachwort zu „Arturo Ui“).
Wer Probleme mit der eigenen Identität hat, wer die Identifikation mit der Masse und vermeintlich „starken“ Figuren sucht, der wird es tunlichst vermeiden, öffentlich mit Gestalten in Verbindung gebracht zu werden, deren Lächerlichkeit offen zutage getreten ist und im breiten gesellschaftlichen Bewusstsein Platz gefunden hat.
Dass dies noch lange nicht der Fall ist, liegt offenbar an noch fehlenden „breiten gesellschaftlichen Bewusstsein“. Dieses zu schärfen bietet der Mord an Walter Lübcke – so schrecklich er ist – auch eine Chance.
Dass solche Strategien gegen ein hassorientertes Unterstützerfeld auch konsequente strafrechtliche Maßnahmen gegen Täter und Hasspropagandisten voraussetzen, versteht sich von selbst und bedarf hoffentlich keiner Erörterung mehr.