Carsten Linnemann von der CDU, der für Sie im Bndestag sitzt, ist sonst eigentlich eher auf leisen Sohlen unterwegs. Er ist das, was man einen Netzwerker nennt. Wenn man ihn also mit jenen Politikern kontrastieren wollte, die sich jederzeit ans Mikrofon drängen, sobald sie eines gewahren, dann hieße das womöglich, dass er einer von der angenehmeren Sorte ist.
Nun hat er allerdings im medialen Sommerloch im Zusammenhang mit Integration und Bildung ein Fass aufgemacht, indem er für nicht Deutsch sprechende Grundschulkinder ein Schulverbot forderte. In einem Land, in dem Schulpflicht gilt und das mit dieser Schulpflicht im Großen und Ganzen gute Erfahrungen gemacht hat. Was mag den sonst so besonnenen Linnemann geritten haben, damit er diesen Ausflug in den Sumpf des Populismus unternahm? Wundert er sich wirklich über die Reflexe, die er damit zur Reaktion reizt?
Hans-Peter Meidinger, Präsident des Lehrerverbandes, springt Linnemann im FR-Interview bei: „Es geht nicht um Stigmatisierung, es geht um Förderung„. Ob Meidinger schon einmal von Inklusion gehört hat? Dabei handelt es sich um ein progressives Konzept gemeinschaftlichen Lernens, das die Schwächeren mitnehmen will. Wenn man das Fehlen sprachlicher Grundkenntnisse bemängelt – welcher Ort in Deutschland wäre besser geeignet, diesen Mangel zu beheben, als die Schule? Sie müsste natürlich entsprechend ausgestattet werden, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können. Und hier kommen wir zum Kern des Problems, das nämlich nicht die Kinder sind, sondern eine Politik, die ausgrenzt und Bildung daran bemisst, was sie kostet. Eine Politik, für die Linnemanns CDU steht, wie FR-Kommentator Viktor Funk klar herausstellt, wenn er schreibt: „Sie schaffen das, Herr Linnemann!“ Wollen wir mal mit dem Kollegen Funk annehmen, dass Linnemann lediglich etwas unglücklich auf etwas Wichtiges hinweisen wollte. Inzwischen hat er Fehler eingeräumt.
Unser Schulsystem ist bereits besonders selektiv
Ich widerspreche dem CDU-Politiker Linnemann, wenn er vorschlägt, Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen nicht einzuschulen. Ich widerspreche auch dem Vorsitzenden des deutschen Philologenverbandes, wenn er am Schluss des Interviews in der FR vorschlägt, ein Kind, das nicht Deutsch spricht, nicht einzuschulen; stattdessen solle es eine Sprachförderung außerhalb der Schule besuchen.
Es ist Aufgabe der Grundschule, alle Kinder bestmöglich zu fördern! Kinder wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht einzuschulen, widerspricht jeder Erkenntnis zum Spracherwerb und hat negative gesellschaftliche Folgen. Kinder lernen die Sprache in der Kommunikation mit Gleichaltrigen und Erwachsenen; die Bildungssprache lernen sie in der Schule. Sie benötigen das „Sprachbad“, das Eintauchen (Immersion) in das sprachliche Umfeld, in dem sie – beiläufig oder intendiert – die fremde Sprache erwerben. In vielen mehrsprachigen Kulturen wie z.B. in Kanada ist der Spracherwerb durch Immersion eine Selbstverständlichkeit. Immersion gilt als die weltweit erfolgreichste Sprachlernmethode – soweit die Ergebnisse von Sprachwissenschaft und Pädagogik. Gesellschaftlich gesehen, wäre es verheerend, wenn unser ohnehin selektives Schulsystem Kinder mit schlechten Sprachkenntnissen bereits in der Grundschule aussortieren würde. In Sonderklassen werden Kinder nämlich nicht gefördert, sondern verlieren ihre sprachlichen Vorbilder und ihre Ambitionen, sprachlich und leistungsmäßig mitzuhalten. Das beweist die Realität in unseren Hauptschulen, das beweisen empirische Leistungsvergleiche zwischen Kindern in Förderschulen im Vergleich zur inklusiven Beschulung. Nicht zuletzt tadeln alle PISA -Studien das das im besonders selektiven deutschen Schulsystem die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der Herkunft besonders hoch ist. Solche Untersuchungen sollten sich Herr Linnemann und alle Vertreter von noch mehr Selektion zu Gemüte führen!
Franziska Conrad, Mainz
Eine halbe Stunde Sprachunterricht täglich
Zur Debatte über Herrn Linnemanns Äußerungen über Deutschkenntnisse von Grundschulkinern möchte ich ein eigenes Erlebnis aus dem Ausland beisteuern: Als meine jüngste Tochter sieben Jahre alt war und in die zweite Klasse kam, ging ich mit meiner Familie aus beruflichen Gründen für knapp ein Jahr in die USA nach Princeton (New Jersey), ohne dass die Tochter Englisch konnte. Die dortige Grundschule kannte das Problem, da es in Princeton an Universität und Forschungsinstituten viele ausländische Gäste gibt.
Unsere Tochter erhielt zusammen mit ein paar anderen Kindern in ähnlicher Lage in der Anfangszeit jeden Tag etwa eine halbe Stunde Sprachunterricht von einer darauf spezialisierten Lehrerin und nahm ansonsten am regulären Unterricht teil. Unser Angebot, zusätzlich mit dem Kind zu Hause zu üben, lehnte die Schule dankend ab, damit hatten sie offenbar keine guten Erfahrungen gemacht. Nach etwa zwei Monaten hatte unsere Tochter keinerlei Probleme mehr damit, dem Unterricht zu folgen und fing an, das Englisch ihrer Eltern zu korrigieren.
Was wir daraus gelernt haben: Kinder lernen in diesem Alter so schnell Sprachen, dass man mit gezieltem Einsatz von relativ wenig Mitteln das Sprachproblem in kürzester Zeit lösen kann. Einen gewissen Einsatz von (finanziellen und personellen) Mitteln braucht es allerdings, und diese Mittel fehlen deutschen Schulen in aller Regel.
Rainer Schulze-Pillot-Ziemen, St. Ingbert
Kinder werden nicht Menschen, sie sind schon welche
Am Dienstag, den 6.8.19 machte die FR auf mit dem Bild und Satz des Mannes, der unter anderen meine Bildungsbiographie wesentlich geprägt hat: „Wer denkt, ist nicht wütend“ – ich bemühe mich darum: Adorno hat nach der deutschen Katastrophe des vorigen Jahrhunderts als Erziehung nach Auschwitz eine „Erziehung zur Mündigkeit“ gefordert und er beschrieb: „Mündig ist, wer für sich selbst gedacht hat und nicht boß nachredet“.
Diese geistige Anstrengung wünsche ich allen „Linnemännern“ : wann werden wir endlich begreifen, dass Kinder nicht an von Erwachsenen fixierte Lebenssituationen angepasst werden dürfen, sondern der Satz von Janusz Korczak gilt: „Kinder werden nicht erst Menschen, es sind schon welche!“ Menschliches Zusammenleben in einem sich demokratisch verfassten Gemeinwesen muss sich vielmehr immer wieder neu (wie wir sehen) bemühen, die Lebenssituationen den Menschen anzupassen. Unsere Verfassung formuliert nicht : „die deutsche Menschenwürde ist unverletzlich“, sondern „der Mensch ist Träger der Würde“; gleich welcher Herkunft, Hautfarbe, Muttersprache, Alter, Religion, Geschlecht… .
In diesen Zeiten, in denen die Natur uns zeigt, dass wir Menschen nur ein Teil von ihr auf diesem Planeten sind –siehe Abholzung der Regenwälder als unser Aller Klimaregulator , die Verschmutzung der Weltmeere als globale Müllhalde, die irrationale Betonung des Nationalistischen (‚unsere Nation zuerst‘)…- ist der Blick auf die Schulgesetze hilfreich: „Kinder sind vom vollendeten sechsten Lebensjahr an schulpflichtig“ – Punkt! „Wer Kinder zum Problem erklärt, ist…selbt das Problem“ sagt Viktor Funk sehr richtig. Arbeiten wir also Alle weiter daran, in der drittreichsten Gesellschaft auf dieser Erde das Geld nicht in astronomische „Berater-Honorare“ der Regierung zu stecken, sondern endlich die Lebens- Bildungs- Situationen der nachwachsenden Generationen nachhaltig zu verbessern, indem z.B. eine Kita-Gruppe nicht 25, sondern 12 Kinder mit 2 sozialpädagogischen Fachkräften (eine Forderung des Deutschen Bildungsrates von 1969!); eine Grundschul-Klasse nicht 28, sondern 12 Kinder mit je nach Bedarf 2-3 gut ausgebildeten pädagogischen Fachkräften ausstattet, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, die Kinder neugierig auf Lernen zu machen mit den 3 Worten: „Du schaffst das“ nach der Devise von Janusz Korczak : „Ich habe viele interessante Bücher gelesen, jetzt lese ich interessante Kinder“.
Klaus-Peter Krahl, Erzhausen
Starker Tobak
Frage: „Würden Sie Kindern, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, tatsächlich die Einschulung verweigern?“ Meidinger: „Nehmen wir mal den Fall: Ein Kind spricht kein Deutsch, hat auch keine Frühförderung bekommen. Dann wäre eine Verpflichtung des Staates da, eine intensive Förderung anzubieten.“
So weit so gut. Doch dann geht es weiter, und das ist schon ziemlich starker Tobak: „Als Schulleiter würde ich dann mit den Eltern reden – und klarmachen, dass das Kind mit den Kompetenzen, die es jetzt hat, in der Grundschule nicht mitkommen kann. Dann würde ich vorschlagen, eine Sprachförderung außerhalb der Schule zu besuchen und das Kind ein Jahr später einzuschulen.“
Und wer bezahlt die Sprachförderung? Öffentliche Schulen sind kostenlos, und wenn eine staatliche Verpflichtung – wie von Herrn Meidinger festgestellt – besteht, dann müsste er solch kostenlose Sprachförderung im Rahmen öffentlicher Schulen anbieten.
Herr Meidinger argumentiert wie ein Gymnasiallehrer bzw. -schulleiter, der er ja auch (gewesen) ist. Die versuchen nämlich i.d.R., den Eltern „klar(zu) machen, dass das Kind mit den Kompetenzen, die es jetzt hat, … (im Gymnasium) nicht mitkommen kann“. Die Eltern sollten ihre Kinder doch besser an einer Haupt- oder Realschule unterbringen. Hintergrund ist dabei sicherlich auch, dass es eher an den beiden genannten Schulformen als an Gymnasien Sprachförderklassen gibt.
Bei der Einschulung in die Grundschule geht es aber um etwas anderes: Hier treffen sich alle Schüler, ganz gleich, welcher Herkunft und mit welchen Fähigkeiten oder Kompetenzen. Darüber hinaus besteht Schulpflicht, übrigens auch für die Schülerklientel, mit der Herr Meidinger es beruflich zu tun hat(te).
Wenn Herr Meidinger außerdem feststellt, dass es sowohl in den Kitas als auch in den Grundschulen selbst in den Bundesländern, die vorschulische Sprachstandstests durchführen, „Ressourcen, Mittel und dafür ausgebildete Lehrkräfte, um Kinder mit Sprachdefiziten so zu fördern, wie es notwendig wäre“, dann wird doch auch klar, dass außerhalb von Schule solche Ressourcen etc. mindestens ebenso fehlen, zudem würden sie etwas kosten.
Schuld an dieser Misere sind nicht die Kinder oder ihre Eltern, allerdings sind sie die Leidtragenden. Und Herr Meidinger möchte auch noch an den Geldbeutel der Eltern, ohne dass er das offen sagt.
Roswitha Ristau, Braunschweig
Lasst uns endlich diese Leistung würdigen
Als Lehrerin habe ich viele Jahrzehnte voller Respekt und Neid mitbekommen, dass meine Schüler*innen mit „Migrationshintergrund“ mit mir in Deutsch parlierten, sich im nächsten Moment gegenüber einer anderen Person in einer anderen Sprache ebenso gewandt äußerten. Nur leider, und für mich immer unbegreiflich, wurde Türkisch, obwohl es viele Kinder betraf, nie als Zweitsprache für das Abitur anerkannt. Diese Kinder mussten eine dritte Sprache abiturtauglich beherrschen. Und wenn in der syrischen Familie, die ich begleiten darf, der vierjährige Sohn mit mir in meiner Muttersprache spricht (dem Kindergarten sei Dank) und mit seinen Eltern in Arabisch, dann bewundere ich diese intellektuelle Fähigkeit. Lasst uns doch endlich diese Leistung würdigen, die so viele schaffen, und uns selber hinterfragen, ob wir selber dazu in der Lage wären.
Karin Bökel, Lahnau
Den Kindern muss geholfen werden
Herr Linnemann von der CDU spricht zu Recht das Problem an , dass es viel zu viele Kinder in Deutschland gibt, die mit Schuleintritt nicht über ausreichende Sprachfähigkeiten verfügen, um in der 1. Klasse erfolgreich lernen zu können. Diesen Kindern muss geholfen werden, aber nicht durch Ausschluss von der Einschulung, wie Linnemann vorschlägt, sondern durch Förderung bereits möglichst früh und vor Beginn der Schulpflicht.
Diese Möglichkeit gibt es seit Jahren in Hessen. Eltern werden hier eineinhalb Jahre vor der Schulanmeldung ihrer Kinder bei der zuständigen Grundschule zum Beratungsgespräch mit der Schulleitung eingeladen, um den Sprachstand ihres Kindes festzustellen. Bei nicht ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen wird der Besuch von Vorlaufkursen-Deutsch empfohlen. Der Haken dabei ist, dass der Besuch nicht immer verpflichtend ist und je nach Personal nicht immer die ausreichende Kompetenz zur Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache (DAZ) vorhanden ist. Da müsste seitens des Staates viel konsequenter und verbindlich im Sinne des „Bildungs-und Erziehungsplans für Kinder von 0 – 10 in Hessen“ gehandelt werden.
Viel nachhaltiger fände ich es allerdings an das Modell der Eingangsstufe anzuknüpfen, das bereits in der Zeit der Migrationsbewegung nach Deutschland in den 1970er Jahren erprobt wurde. Nach diesem Konzept werden Kinder vor Beginn der Schulpflicht mit 5 Jahren eingeschult. Der Lernstoff des 1. Schuljahres wird auf 2 Schuljahre verteilt.
Es müsste den veränderten heutigen Gegebenheiten angepasst werden.
In der abschließenden Beurteilung des Modellversuchs in Frankfurt bescheinigten Pädagogische Fachleute diesem Modell eine in die Zukunft weisende Bedeutung und verbanden es bereits zu diesem Zeitpunkt mit der Forderung nach Jahrgangsbreite und einer Ganztagsbetreuung. Die flächendeckende Einführung war damals, so hieß es, nicht finanzierbar. Und heute? Immerhin wird dieses Modell heute an 50 Schulen in Hessen praktiziert. Es verlängert sich die Grundschulzeit dabei von 4 auf 5 Jahre.
Eine verbindliche Eingangsstufe, in der alle Kinder eines Jahrgangs bereits mit 5 Jahren von kompetenten Lehrern mit einer speziellen Zusatzausbildung zur Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache und Sozialpädagogen unterrichtet und unterstützt werden, wäre optimal. Das böte die beste Voraussetzung für einen gelingenden Schulanfang für alle Kinder. Dabei sollte eine differenzierte Sprachförderung im Vordergrund stehen, d.h. da wo Probleme auftreten, muss die Hilfe unmittelbar ansetzen. Sprachlich weiter entwickelte Schüler könnten durch besondere Aufgaben, wie Erzählen von Erlebtem, Beschreiben von Tätigkeiten, Vorlesen, auswendigem Vortrag usw., gefordert werden.
Auch die Förderung der gegebenen Mehrsprachigkeit gehört zur Aufgabe der Schule. Einsprachige deutsche Kinder werden durch mehrsprachig aufwachsende Kinder für kulturelle Vielfalt geöffnet und sensibilisiert. Die Vorbereitung auf den Umgang mit Vielfalt kann nicht früh genug beginnen. Das ist kein Widerspruch zu der Notwendigkeit Deutsch zu lernen. Denn im Austausch mit anderen gelingt es auf natürliche Weise und mit Freude. Gleichzeitig wird erfahren, dass alle gleich wichtig sind, wertgeschätzt werden und in unserer künftigen Gesellschaft gebraucht werden. Nur so kann Integration und der von Politikern oft beschworene Zusammenhalt der Gesellschaft gelingen.
Roswitha Seubert, Bad Vilbel
Die deutsche Sprache hat spezielle Hürden
Im Alter von sieben Jahren kam ich von Amsterdam/NL nach Balingen (Baden-Württemberg) zum ersten Mal in eine deutsche Schule. Die ersten Tage war es von der Schule erlaubt worden, dass meine Mutter mit in der Klasse saß und für mich übersetzte. Mit meinen Geschwistern und meinem Stiefvater habe ich immer nur Niederländisch gesprochen, mit meiner Mutter eine fallweise Mischung aus Niederländisch und Indonesisch. Ich habe, trotz Deutsch als Fremdsprache, dennoch ein Diplom der Universität Bonn erlangt.
Abgesehen von der Tatsache, dass ich kein Deutsch konnte und ganz gewiss kein Schwäbisch, diente ich in den ersten Wochen der spaßigen Unterhaltung der Mitschüler. Es muss für alle sehr komisch geklungen haben, wenn ich in meiner Muttersprache das erklärte, was ich schriftlich an der großen Tafel machte. Beispiel 8 x 7 = 56 oder „acht vermenigvuldigd met zeven is zesenvijftig“.
Dennoch wurde ich, inzwischen in Schramberg/Schwarzwald wohnend, drei Jahre später von der Klassenlehrerin zusammen mit vier weiteren Schülern für die Oberschule (= Gymnasium) vorgeschlagen und schaffte auch die damals noch erforderliche schriftliche Aufnahmeprüfung.
In der jüngsten Zeit habe ich an einer Realschule Nachhilfeunterricht für Flüchtlingskinder zum Erlernen der deutschen Sprache gegeben. Was mich dabei wiederholt verblüfte war, dass vielen Lehrern erstens nicht bekannt zu sein scheint, dass viele Sprachen (z.B. Arabisch, Russisch, Indonesisch) keine Artikel haben und zweitens nicht, dass es für viele der Kinder Deutsch die dritte oder gar vierte Sprache war. Zusammen mit einer neuen Schrift, sofern sie nicht schon Englisch gelernt hatten, wirkte die Ignoranz der Lehrer/innen für die Kinder deutlich erschwerend, zumal viele der Lehrer außer Deutsch keine andere Sprache im Gespräch wirklich anwenden konnten.
Es ist zu wünschen, dass Lehrer sich Grundkenntnisse über die Herkunftsländer, zumindest im Bildungsbereich zulegen und dass sie sich über die speziellen Hürden, die die deutsche Sprache beim Erlernen derselben aufweist, im Klaren sind.
Mithin kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hiesig immer noch in der Sprache das gesucht wird, was allein den sozialen Beziehungen angehört. Ein gediegenes Deutsch mit elegant formulierten Argumenten gilt nach wie vor als Voraussetzung für eine beglückende Teilhabe an der Gesellschaft und als Ausweis für Kultiviertheit. Kenntnisse auf dem Gebiet der inneren Logik eines gedeihlichen Zusammenlebens hingegen erfahren eine zunehmend größere Geringschätzung, obwohl sie für die Friedfertigkeit eines Gemeinwesens überlebensnotwenig sind. Den Zivilisationsbruch der Shoa hätte es vermutlich nicht gegeben, wenn dessen Destruktivität sich nicht in einer gehobenen Sprache geäußert hätte, sondern an die Unversalien des Sozialen gebunden geblieben wäre, anstatt mit Brachialgewalt deren Vorrang infrage zu stellen. Ohnehin ist die Lingua franca inzwischen Englisch und Deutsch angesichts dessen völlig unbedeutend. Dass sogar auf dem Rücken von Vorschulkindern solch eine bornierte Auseinandersetzung ausgetragen wird, spricht somit nicht für die Aufgeklärtheit der überwiegenden Mehrheit der Bürger.
Ein politisches Sommerloch mit einer emotionalen Debatte zu füllen, ist ein kluger Schachzug des CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann gewesen. Mit der Debatte um vermeintlich zu hohe Sprachdefizite bei Kindern von Zuwanderern hat er einen Nerv bei vielen getroffen. Die Diskussion kommt jedoch zu einem falschen Zeitpunkt und sie sollte sich nicht am Populismus orientieren, den Herr Linnemann hier gerade offenbart.
Vielmehr sollte eine solche Debatte, bei der es um nichts weniger geht als die Zukunft und die Bildungschancen aller Kinder, weniger Emotionen beinhalten und mit mehr Sachlichkeit geführt werden. Denn jede Diskussion bringt, wenn sie denn zielorientiert geführt wird, auch eine große Chance mit sich.
Was wir garantiert nicht brauchen sind Vorschläge, Kinder von der Schule fernzuhalten! Wir benötigen vielmehr ein Zusammenspiel und den Schulterschluss der politischen Kräfte, um die frühkindliche Bildung weiter voranzubringen. Beispielsweise müssen die Länder und Kommunen sehr schnell die milliardenschweren Fördergelder des vom Bund beschlossenen Gute-Kita-Gesetz zur Stärkung der frühkindlichen Sprachförderung in den Kitas und Grundschulen erhalten.
Die Antwort auf die Debatte kann nur lauten: Mehr Geld für Personal und Infrastruktur statt weitere Selektion von Kindern – zumal Integration am besten gemeinsam funktioniert.
Von den Bundestagsfraktionen und vor allem von der CDU erwarte ich mehr Besonnenheit und Sachlichleit, wenn es ihnen denn wirklich um das Wohl der Schulen, Kitas und Kinder geht!
Sollen Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen später eingeschult werden? Dazu äußerte sich im Interview (FR Nr.181/07.08.19) der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Hans-Peter Meidinger u. a. wie folgt:
„Alle Studien zeigen, dass Sprachdefizite, die zum Zeitpunkt der Einschulung bestehen, nicht im Laufe der Schulzeit wieder aufgeholt werden können. Im Gegenteil: Die Schere öffnet sich immer weiter, die Leistungsunterschiede werden größer. . . . Wir erleben bereits jetzt einen Anstieg der Zahl von Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen – darunter ein hoher Prozentsatz von Kindern mit Migrationshintergrund. . . . Wir haben dazu Studien vorliegen: Je höher der An-teil von Kindern mit Migrationshintergrund, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, desto gerin-ger der Lernerfolg in der Gesamtklasse.“
Der jämmerliche Zustand an den Duisburger Schulen ist bekannt. Dort fehlen zurzeit 250 Lehrer, u. a. weil Bewerber vor Klassen mit hohen Anteilen an Ausländerkindern zurückschrecken. Über-trägt man die von H.-P. Meidinger aufgezeigten Erkenntnisse auf die Situation der mehr als 20 Duisburger Schulen mit 80 und mehr Prozent „Migrationshintergrund-Kindern“, dann folgt dar-aus:
(1) Vorhandene Sprachdefizite können nicht aufgeholt werden.
(2) Noch mehr Jugendliche werden ohne Abschluss die Schule verlassen.
(3) Je höher der Ausländeranteil, desto geringer ist der Lernerfolg in der Gesamtklasse.
(4) Ein sprachlich gestützter Lernerfolg und Integrationserfolg ist für viele der eingeschulten Kin-der an diesen „bunten Schulen“ eher unwahrscheinlich.
Wer integriert in diesen Klassen wen? Zudem fehlen überall die finanziellen und personellen Res-sourcen, um integrationsfördernd gegenzusteuern. Aber nicht nur die Duisburger Politiker reden diese Situation meist „schön“.