Grundrente, gründliche EU-Revision, rechte Umtriebe bei der Polizei und anderes mehr – mit diesen Themen befassen sich die Leserbriefe des Leserforums vom 21. Juni 2019. Unter folgenden Links sind pdf-Dokumente der Zeitungsseiten zu finden: Seite 1 und Seite 2. Hier nun die vollständigen Zuschriften in ihren ungekürzten Versionen. Alle in diesen Leserbriefen angesprochenen Themen können in diesem Thread diskutiert werden.
Unglaubwürdiger Verteidiger der Armen
Grundrente: „Ich will keinen faulen Kompromiss“, FR-Politik vom 15. Juni
Im Januar 2005 lobt sich Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos selbst dafür, den Arbeitsmarkt liberalisiert und damit einen der besten Niedriglohnsektoren in Europa aufgebaut zu haben.
Der Niedriglohn-Sektor in Deutschland veränderte die Lohnstruktur enorm. 1996 betrug der Niedriglohn-Anteil in Deutschland 16,4 Prozent. Heute sind schon fast 25 Prozent der Beschäftigten Geringverdiener. Dass diese Arbeitnehmer auch eine geringe Rente erhalten werden, hätte man sich denken können.
Herr Heil wurde 2005 zum Generalsekretär der SPD gewählt und im Oktober 2007 wieder gewählt. In dieser Position ist er mitverantwortlich für die Altersarmut.
Wann immer auch die SPD sich mit dem Thema Rente beschäftigt, geht es vielen Menschen an den Kragen.
2001 beschloss die rot-grüne Koalition die Rentenkürzung. Da von dieser Rente nun viele nicht mehr leben konnten, empfahl die SPD, eine private Rentenversicherung abzuschließen. 2004 setzte Ulla Schmidt durch, dass die Menschen, die eine private Rentenversicherung abgeschlossen hatten, zukünftig den vollen Krankenkassenbeitrag darauf errichten müssen. Natürlich gab es keinen Vertrauensschutz. Wäre das vorher bekannt gewesen, hätten sonst wohl viele eher in Fonds investiert.
2014 führte Nahles die Mütterrente ein. Dazu griff sie in die Rentenversicherungskasse. Vermutlich ist ihr die Definition Versicherung unbekannt. Dadurch bekommen alle Mütter (Beamtinnen ausgenommen) Mütterrente aus der Sozialversicherung, auch wenn sie niemals in die Versicherung eingezahlt hat. Somit hat Frau Nahles Kinder zu einer Aufgabe der Arbeitnehmer festgelegt und keine gesamtgesellschaftliche.
Pech haben die Mütter, die zwar lebenslänglich in die Rentenversicherung eingezahlt haben, aber leider mit einen Niedriglohn auskommen mussten und nun eine Aufstockung zum Lebensunterhalt beantragen müssen. Diese bekommen zwar die Mütterrente, leider wird dieser Betrag aber von der Aufstockung abgezogen. Denjenigen, die dieses Geld am nötigsten brauchen, wird es also wieder abgezogen.
Nun kommt Herr Heil und möchte die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung einführen. Am Ende könnte es dann so aussehen, dass Menschen, die entweder durch Ihren Partner, eigene Wohnungen oder Erbschaften so abgesichert sind, dass sie keineswegs in Armut landen, von Menschen finanziert werden, die vielleicht 34 Jahre für einen Mindestlohn gearbeitet haben. Leider haben sie ein Jahr oder auch nur einen Monat zu wenig gearbeitet. Das ist soziale Gerechtigkeit im Sinne der SPD.
Wenn Heil jetzt den Verteidiger der Armen und Schwachen mimt, ist er in meinen Augen einfach unglaubwürdig.
Andrea Zech, Offenbach
Eine gründliche Revision ist nötig
CO2: „Briten gehen voran“, FR-Wirtschaft vom 14. Juni
Leider reiht sich Ihr Beitrag bruchlos in die Reihe ähnlicher „Analysen“ ein, die wortreich darstellen, welche Länder beim Klimaschutz angeblich erfolgreicher sind und dass es in dieser Hinsicht in Deutschland „hapert“, weil die Bundesregierung wirksame Maßnahmen noch nicht beschlossen habe. Angesichts solcher gebetsmühlenartig vorgetragener Wiederholungen wäre es ratsam, einmal die tieferen Ursachen auszuleuchten, derentwegen Deutschland beim Klimaschutz im Hintertreffen ist.
Bekanntlich hatte das wiedervereinigte Deutschland im Jahre 1990 – dem Basisjahr für die im Pariser Klimaschutzabkommen definierten Reduktionsziele – 79,1 Millionen Einwohner. Im Jahre 2017 waren es bereits 82,7, also 3,6 Millionen mehr: All diese Menschen wollen wohnen, ihre Wohnungen beheizen und auch Auto fahren (allein der PKW-Bestand wuchs von 41,2 Millionen im Jahre 2007 – dem Jahr der letzten Beitrittswelle in die EU – auf 45,8 Millionen im Jahre 2017). All diese Entwicklungen sind CO2-intensiv, und es liegt auf der Hand, dass der beschriebene Anstieg der Bevölkerungszahl eine Erreichung der Klimaschutzziele in immer weitere Ferne verschiebt.
Nun ist auf politischer Ebene des Öfteren der Vorschlag zu hören, Deutschland könne im Notfall von EU-Ländern, die „erfolgreicher“ seien, Verschmutzungsrechte kaufen (so die Umweltministerin Svenja Schulze in Ihrem Bericht „Ministerin wirbt“ in der FR vom 14. Mai). In diesem Zusammenhang lohnt es sich allerdings, einen Blick auf die Zusammensetzung der Bevölkerung zu werfen: In den o.g. 82,7 Millionen Einwohnern sind nämlich 4,6 Millionen EU-Bürger enthalten – davon 2 Millionen aus den alten und 2,6 Millionen aus den „neuen“ Mitgliedstaaten. Dies bedeutet, dass der Zuzug aus der EU Deutschland klimatechnisch belastet, andere Mitgliedstaaten hingegen entlastet.
Und von solchen „erfolgreichen“ Mitgliedstaaten soll Deutschland dann die Verschmutzungsrechte kaufen – absurder geht es wohl nicht. Nach alledem wäre es dringend geboten, die demographischen Grundlagen der derzeit geltenden Klimaschutzziele sowie die entsprechenden Ausgleichsmechanismen innerhalb der EU einer gründlichen Revision zu unterziehen.
Harald Brecht, Hofheim a.Ts.
Rechte Umtriebe gedeihen prächtig
Zu: „Munitionsskandal wirft ein Licht auf rechte Umtriebe bei Polizei“, FR v. 14.6.
In einer Demokratie hat der Staat, in diesem Fall vertreten durch die Polizei, das Gewaltmonopol (Art 20 GG). Es handelt sich um einen sensiblen Kompromiss, eine besondere Ausnahmesituation, um den Rechtsstaat zu schützen. Daher genügt nicht nur eine positive Haltung aller beteiligten Organe – selbstverständlich und gerade auch der politischen – zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern eine kontinuierliche Reflexion bezüglich Entscheidungen und Einsätzen ist gefragt. Wie oft treffen Politiker Entscheidungen, die Zweifel aufkommen lassen, was Neutralität anbelangt, und wie werden Polizisten zu Einsätzen abgeordnet, die nicht den Rechtsstaat schützen, sondern Besitz- und Machtverhältnisse? Die Zahl der zu Gärtnern gemachten Böcken beim Verfassungsschutz lässt sich nur erahnen, da die Kontrolle von politischer Seite zu wünschen übrig lässt.
Eine solche Gemengelage bietet rechten Umtrieben ein hervorragendes Forum. In diesem Sumpf gedeihen sie prächtig. In meiner Arbeit als Supervisor erfahre ich immer wieder, wie sehr Menschen von Affekten geleitet sind.Gerade in Berufsgruppen wie der Polizei kann dies zum Problem werden, und es hilft wenig, diese unterdrücken oder verleugnen zu wollen. Kontinuierliche Reflexion eigener Haltungen und Handlungen und regelmäßige Diskurs, und Konfliktgespräche unterstützen die Bürger in Uniform gründlicher. Gerade Spezialeinheiten sollten dies in Anspruch nehmen, damit ihnen ihre besondere Berufssituation und _rolle nicht zu Kopfe steigt, denn die Gefahr, sich einzubilden, ein Staat im Staate zu sein, ist in dieser besonderen Position nur allzu verführerisch. Und indem ein Staat seine Bürger zunehmend benutzt und erwartet, sie oder er funktioniere, um politische Ziele einem fragwürdigen Wirtschaftssystem zu opfern, um so mehr wird die Forderung nach einem mündigen Bürger in Uniform zu reinen Worthülse.
Robert Maxeiner, Frankfurt
Schäfer-Gümbel ist nicht ehrenwert
Zu: „Wirbel um Attacke auf die Grünen“, FR-Politik vom 15. Juni
Wo kann ich meine Wut loswerden? Solange ich wählen kann, habe ich SPD gewählt – mit kleinen Abstechern zur FDP (als sie noch eine Partei war) oder auch zu den Grünen! Herrn Schäfer-Gümbel habe ich bisher für einen ehrenwerten Mann gehalten, Aber die Grünen im selben Atemzug mit der AfD zu nennen, damit hat er sich selbst disqualifiziert!
Es ist völlig unnötig, sich mit solchen Äußerungen hervorzutun: Die Prüfsteine für die „Grünen“ liegen doch schon bereit. Und wer mit einem Finger auf andere zeigt, verweist mit den verbliebenen vier Fingern auf sich selbst.
Si tacuisses, philosophus mansisses. Mit solchen Parteivorsitzenden braucht die SPD keine Totengräber mehr!“
Rotraut Lommel, Frankfurt
Ein langjährig ergebener Parteisoldat
Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Politbetrieb entdeckt der ewige Verlierer Thorsten Schäfer-Gümbel doch noch mal sein Kämpferherz und geht diejenigen an, die seine Partei inzwischen haushoch überflügeln. Warum zeigt er diese Attitüde erst jetzt? Liegt es vielleicht daran, dass er die Verantwortung für politisches Tun und Lassen hinter sich weiß? Aber als langjährig ergebener Parteisoldat kommt er auch jetzt aus seiner Rolle nicht heraus und geht lieber den politischen Gegner an, als die Vorzüge des eigenen Ladens herauszustellen. Auch das ist wieder nur eine vertane Chance.
Nikolaus Jöckel, Offenbach
Richtig punkten
Zu: „Meine Hoffnung heißt Rezo“, FR-Feuilleton vom 8. Juni
Leserbriefe schreibe ich höchst selten. Es gibt genug zu tun. Auf einen Artikel möchte ich eine eigene Anmerkung machen: Frau Dr. Merkel zitieren Sie mit Ihrem Ausspruch „Wir schaffen das“!! Hierzu hatte ich mir seinerzeit hämisch notiert: Frau Merkel fand den Satz von Obama so gut: „Yes we can““! Sie schrieb sich diese knappe, um die Welt gegangene Aussage auf, heftete diesen an ihren morgentlichen Schminkspiegel, in der Hoffnung, es käme mal eine Gelegenheit, wo sie auch mit so einen Satz richtig punkten kann. Dann kam der Moment und sie sprach den Satz so in den Raum, die Wirkung ist bekannt!
Dass es noch immer nicht geschafft ist, ändert nichts daran, dass die Geschichtsbücher diesen Spruch zitieren werden! So ging es auch mit Dr. Kohl und den „blühenden Landschaften“!
Udo Ladewig, Berlin
In der angelsächsischen Welt grassiert die Irrationalität
Zu: „Die EU braucht auf Trump eine Antwort“, Gastbeitrag von Marcel Fratzscher, FR-Meinung vom 18. Juni
Der Versuch, mit dem Oberbegriff „Populismus“ die tektonischen, politischen Verschiebungen in den USA und Großbritannien einerseits und Kontinentaleuropa andererseits auf einen Nenner zu bringen, wird den unterschiedlichen Gegebenheiten nicht gerecht.
In den USA und Großbritannien ist über die Universitäten eine Welle der Intoleranz hereingebrochen, die es so in Kontinentaleuropa nicht gibt. Es gibt in Europa keinen „rust belt“ , wie in den USA, und auch nicht weite Regionen völliger De-Industrialisierung wie im UK. Die USA leiden an einem Establishment wegen eines als zu administrativ empfundenen Staates, der mit der individuellen Freiheitsverheißung in der Verfassung der USA nicht mehr kompatibel erscheint. Im UK herrscht wiederum nach wie vor eine blasierte Oberschicht, die das Land in den Brexit hinein getrieben hat. Mit anderen Worten: Bei allen Problemen , die natürlich auch Kontinentaleuropa hat – also etwa das Stadt-Landgefälle, die zunehmende Klassenschichtung nach Bildungskriterien, das Immigrationsproblem und dem Klimaschutz –, herrscht doch in Kontinentaleuropa zurzeit nicht das Maß an Irrationalität, das ausgerechnet in der früher als so pragmatisch gelobten angelsächsischen Welt ausgebrochen ist.
Während das UK nostalgisch seiner früheren Weltgeltung nachtrauert, wird sich die USA langsam dessen bewusst, dass sie es jetzt mit einer ungeheuren Gegenmacht, nämlich China, zu tun hat. In den USA gibt es sogar nicht wenige konservative Denker, die allen Ernstes Donald Trump als mächtigen Gegner eines angeblich zu mächtig gewordenen administrativen Staates ausmachen, der den Kongress mehr und mehr in seine Schranken weist. Kontinentaleuropa hingegen versucht immer noch, einen kulturellen Liberalismus zu pflegen, der in wirtschaftlichen Fragen eine Partnerschaft zwischen Markt und Staat, also nennen wir es Soziale Marktwirtschaft, anstrebt. Man sollte aufhören, für einige Zeit mit der Worthuberei sogenannter gemeinsamer transatlantischer Werte zu jonglieren!
Sigurd Schmidt, Bad Homburg
Wo Europa noch nicht angekommen ist
Zu: „Gauck polarisiert mit Thesen zum rechten Rand“, FR-Politik vom 17. Juni
Lieber Herr Gauck, des verständnisvollen Gesäusels ist genug getan! Auch Sie fallen auf die Lüge der „Sozialdemokratisierung der CDU“ herein! Diese Lüge dient den Rechten in der CDU nur dazu, die CDU umzusteuern. Realität ist doch heute, dass sich die gesamte politische Linke von der CDU/CSU seit Jahren zerreiben lässt! Die SPD vegetiert in der Gefangenschaft der großen Koalitionen, statt ihre Politik zu formulieren. Leider wird verkannt, dass die AfD den Bürgern der neuen Bundesländer den Mief der DDR verspricht: ohne Fremde, gemütlich, muffig hinter den Mauern in den Gehirnen, wo Europa noch nicht angekommen ist! Immer wieder wird mit finanzieller und anderer Ungleichbehandlung argumentiert. Wenn man ablehnt, über den eigenen, beschränkten Tellerrand hinauszuschauen, dann übersieht man, dass auch in den anderen Bundesländern „Ungleichheiten“ existieren (z.B. regional verschiedene Tarife, regional verschiedene Effizienz der Arbeitsleistung!). Ein wenig mehr Selbstreflektion täte Not, wenn man dem ganzen „Rest“ Deutschlands erklären will, wie Demokratie zu funktionieren habe; wenn man mit „Wir sind das Volk“ verkennt, dass man in Gesamtdeutschland weniger als ein Viertel der Bevölkerung ausmacht!
Es rächt sich jetzt auch die „Rote-Socken-Kampagne“ von einst, die die Wendehälse in den eigenen Reihen ignorierte – die jetzt schon darauf spekulieren, mit der AfD ins Bett zu steigen. Selbst bei den im Westen lebenden, in der DDR geprägten Bürgern muss ich leider die alten Scheuklappen wahrnehmen (z.B. in der Sendung „Tagesgespräch“ auf Bayern2 am 17. Juni.) Diese Bürger sollten es besser wissen! Auch sie erlebe ich als sehr ich-bezogene, jammernde „benachteiligte Bürger der neuen Bundesländer“.
Ich meine, jeder hat die Regierung verdient, die er gewählt hat. Oskar Lafontaine hat von Anfang an die politische Wahrheit gesagt, die wollte niemand glauben (Wahlverlust 1989/1990); und wie es aussieht, fallen die Bürger der neuen Bundesländer schon wieder herein, diesmal auf die Säuseleien der AfD.
Carsten Dietrich Brink, Gauting
Der ehemalige König Kunde ist entthront
Aldi-Parkplätze: „Von wegen kostenfrei“, FR-Wirtschaft vom 15.6.
Geldeintreiber als Berufswunsch oder als Schwiegersohn/Schwiegertochter löst bei Eltern Distanz und Gesprächsbedarf aus. Auch uns mit allen Regeln der Werbekunst umgarnte Kunden befremdet eine durch fehlende Parkscheibe aufgezwungene Korrespondenz mit der Inkassobranche. Der Kunde wird vom König zum Vertragsstraftäter entthront, wobei der Handelsmann sich diskret zurückzieht. Ist aber halb so schlimm. Denn die einseitig erfundene Vertragsstrafe muss immer verhältnismäßig zum angeblichen Vertragsverstoß sein, den sich unser Handelsmann für uns ausgedacht hat: Parkscheibenlosigkeit auf seinem Privatparkplatz. Die Unverhältnismäßigkeit der ausgeschilderten Strafe ist leicht aus dem jedermann zugänglichen Bußgeldkatalog abzulesen, wenn man mal auf der öffentlichen Straße die Parkscheibe vergessen hat. So sündhaft teuer wie auf dem Zeitungsfoto ist es im öffentlichen Raum nicht. Und für Zusatzkosten wegen des – nicht zwingenden, sondern beliebigen – Beitreibens einer überhöhten Vertragsstrafe werden Geldeintreibende keine Rechtsgrundlage finden können. Wer sich dann beweisbar gegen die Vereinigung von Beitreiber/Einzelhändler wehrt und nicht eingeschüchtert zahlt, steht auf der Sonnenseite.“
Eberhard Bartholomäi, Frankfurt
Die SPD ist schon sehr talentiert Unsinn von sich zu geben. Söder macht das heute besser Kohleausstieg 2030 und der Kohle keine 40 Milliarden hinterher schmeißen sondern das Geld in die Forschung der EE stecken. Recht hat er. Ob er das auch meint was er da sagt?
@ Robert Maxeiner, was Sie da ansprechen, beunruhigt mich schon seit langem sehr. Es häufen sich Nachrichten, dass sich einige unserer Ordnungskräfte als „Staat im Staat“ empfinden, sogar Waffen an Gruppen aus ihren Beständen entwenden, um sie bei obskuren Gruppen wie Reichsbürgern zu horten. Wie groß, schätzen Sie, ist dieses Netzwerk dieser – immerhin bewaffneten – Organe bei Polizei und Bundeswehr?
Zu „Gauck polarisiert mit Thesen zum rechten Rand“:
Joachim Gauck wies immer eine bedenkliche Nähe zu konservativen und im Kern rechten Ideologien auf. So empfand er als Bundespräsident es anstößig, dass der Begriff „neoliberal“ negativ besetzt sei (siehe seine Rede im Januar 2014 aus Anlass des 60. Gründungstags des ordoliberalen Walter-Eucken-Instituts in Freiburg).
Auch als Kirchentagsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche Mecklenburgs (1982 – 1990) und Mitorganisator des vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR veranstalteten Kirchentags 1988 in Rostock war er auf Seiten der ewig Gestrigen. Seine Haltung lässt sich an den folgenden Beispielen illustrieren:
Obwohl bei den regelmäßigen Konsultationen zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland und solchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR seit 1980 die Friedensfrage stets einen hohen Stellenwert einnahm (siehe die Dokumentation „Die Konsultationen“, hrsg. von Walter Hammer und Uwe-Peter Heidingsfeld, Frankfurt a.M. 1995), ist eine Reaktion des Kirchentagsbeauftragten Gauck auf diese in der DDR unterschwellig gärenden Spannungen nicht überliefert. In der Rückschau verwundert diese Inaktivität. Denn auf den West-Kirchentagen (1981 in Hamburg, 1983 in Hannover und 1985 in Düsseldorf) wurde insbesondere die ostdeutschen Aktionen „Schwerter zu Pflugscharen“ thematisiert und gerieten zum Vorbild sowohl für evangelische als auch für säkulare Jugendgruppen in der Bundesrepublik.
Ebenso fanden offensichtlich auch Initiativen für neue, an den politischen Realitäten orientierte Formen einer christlichen Jugendarbeit keinen Eingang in die Materialien für die Rostocker Großveranstaltung. Erinnert sei insbesondere an den Jugenddiakon Lothar Rochau, der solches in Halle-Neustadt (der Trabantenstadt eines industriellen Zentrums) während der Jahre 1981 bis 1983 versucht hatte und der nach mehreren Festnahmen und einer Anklage wegen staatsgefährdenden Verhaltens schließlich ausgebürgert wurde. Hätten sich nicht kirchenleitende Persönlichkeiten wie Bischof Krusche (u.a. in einem Brief an den Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi) für Rochau verwendet, wäre letzterer vermutlich zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Siehe hierzu die Dokumentation „Die Konflikte um den Jugenddiakon Lothar Rochau und seinen Dienst in Halle-Neustadt 1981 – 1983“, erarbeitet von Rudolf Schulze, Frankfurt a.M. 1996.
In der oppositionellen „Umwelt-Bibliothek“ der Ost-Berliner Zions-Kirchengemeinde zirkulierten bereits zwei Jahre vor dem Fall der Mauer Papiere, in denen unter dem Schlagwort „Pechblende“ (= Uraninit) über katastrophale Zustände im sächsischen Uranbergbau berichtet wurde. Seit 1946 betrieb dort die deutsch-sowjetischen Wismut AG den weltweit viertgrößten Uranabbau. Er forderte mindestens 700 tödliche Arbeitsunfälle; insgesamt dürften bis 1990 nahezu 25.000 Menschen an Silikose, Quarzstaublunge und Bronchialkrebs erkrankt sein.
Die Dokumente der „Umwelt-Bibliothek“ wurden der Evangelischen Nachrichtenagentur (ena) in Ost-Berlin übergeben, der sie an den Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt a.M. weitergab, von dem sie seit 1987 in der Bundesrepublik verbreitet wurden. Es ist nicht bekannt, ob Pastor Joachim Gauck die oppositionellen Kreise in der Zions-Gemeinde bzw. die um ihre Gesundheit betrogenen Wismut-Arbeiter unterstützt hat. Oder ob er schweigen musste oder schweigen wollte oder gar von diesem Problem, das in der DDR ein bekanntes, aber gehütetes Geheimnis war, gar nichts wusste.
Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Vorgänge spreche ich Joachim Gauck die ethische Legitimation und das politische Gespür ab, um als Ratgeber auftreten zu können. Seine Klassifikationen „rechtskonservativ“, „rechtsextremistisch“ und „rechtsradikal“ sind fachlich falsch und sie bedeuten die Verharmlosung einer Gefahr, von welcher die gesamte Gesellschaft bedroht wird.