Der Publizist und Politiker Thomas Ebermann hat mit FR-Autorin Katja Thorwarth über den Begriff „Heimat“ gesprochen, der mit dem Erstarken der neuen deutschen Rechten in den Diskurs zurückgekehrt ist. Kann man „Heimat“ den Rechten entwinden? Den Begriff quasi kapern, um ihn umzudeuten? Doch es handelt sich um einen Begriff, der an Schwammigkeit nichts zu wünschen übrig lässt und der daher kaum zu fassen ist. Jeder versteht etwas anderes darunter, und offenbar geht er keineswegs für jeden und jede mit Deutschtümelei einher. Ich verlinke hier das Interview und eröffne die Diskussion.
Agitation wird zu Ideologie
Thomas Ebermann sollte es eigentlich wissen, dass der Begriff Heimat keinesfalls nur bei der Rechten kursiert und allein dort seine bekannte Bedeutung hat. Natürlich kann man Idyll, Vertrautheit, Harmonie, Verwurzelung, wie sie Ebermann aufzählt, nicht links umdeuten. Dass aber Heimat kein Begriff ist, bei allem Missbrauch, der allein einer deutschtümelnden Ideologie angehört und von vorneherein faschismusverdächtig ist, hätte man auch schon beim Kommunistischen Bund wissen müssen. Alle von den Nazis verjagten und Geflohenen, angefangen bei Johannes R. Becher, von dem man vielleicht heute nicht mehr sprechen mag, bis zu Adorno und Ernst Bloch, war Heimat ein absolut positiv besetzter Begriff. Wer kennt nicht den letzten Satz aus Blochs Prinzip Hoffnung: Habe der Mensch „sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“. Und ein Blick in Adornos Miniaturen zum idealisierten Amorbach liesse aehnliches erkennen. So lobenswert die Agitation gegen den ideologisierten Gebrauch des Begriffs Heimat auch ist, er sollte nicht selbst zu Ideologie werden.
Michael Dallapiazza, Prato/Bologna
Wo ich ohne Zwang leben kann
Das Interview eröffnet keinen Weg, auch andere Gedanken über Heimat zu äußern als abwehrende. Mit Heimat habe ich noch nie ein „Idyll“ verbunden, auch nicht mit „Verwurzelung“ und auf keinen Fall mit „Volksgemeinschaft“, um nur einige der Verknüpfungen des Interviews herauszugreifen, die damit den Begriff in der nationalistischen Ecke verorten.
Ich finde heimatliche Gefühle bei Menschen, mit denen ich offen und auch heftig diskutieren kann – gerne auch in meiner Muttersprache –, wo ich als Frau ohne Zwang leben kann, wo ich respektiert werde. Meine heimatlichen Gefühle sind nicht auf eine Region in der Welt beschränkt, obwohl es einfacher ist, Kinder in einer den Eltern und ihnen vertraut werdenden Umgebung aufwachsen zu lassen.
Gudrun Nositschka, Mechernich
Die Evolution fährt sich selbst an die Wand
Herr Ebermann beschreibt sehr schön,wie der Heimatbegriff für viele unschöne Dinge missbraucht wird. Nun, da hat er natürlich recht, nur, er geht nicht weit genug in seiner Analyse, denn das ganze Leben des Menschen läuft auf dieser emotionalen Schiene. Es ist das, was den Menschen ticken lässt und man macht es sich zu einfach, alles auf dem Heimatbegriff abzuladen. Es ist nur ein Aspekt von fast allem was Mensch tut. Nehmen sie die Liebe, eine Verwirrung des menschlichen Denkens mit dem evolutionären Hintergrund der Vermehrung. Sobald man dies auf die reine Faktenlage reduziert, bleibt von der Schlagerindustrie und der Poesie, der hoch gefeierten , nichts übrig als hohles Getön. Nehmen sie die Politik, genau dasselbe. Beispiel: Gestern Abend, im TV. Frau Kramp-Karrenbauer kann gar nicht verstehen, dass SPD und Grüne Abgeordnete eine deutsche Frau (Frau von der Leyen) nicht unterstützen. Was ist das ? Nationalismus, Patriotismus und Populismus weil sie vermutet (weiß), dass die Menschen in diesem Land das so empfinden. Die Frage ist, weiß sie wirklich um die Hintergründe oder empfindet sie das tatsächlich ? Sicher sehen das nicht alle so, aber bei der überwiegenden Mehrheit wird es wohl stimmen. Unser kapitalistisches (evolutionäres) System beruht darauf.
Der Mensch lebt auf einer Scheibe, nicht auf einem Planeten, weil er immer so gedacht hat, es geschieht völlig unbewusst, das heliozentrische System wird in der Praxis nicht wahr genommen. Die Sonne geht auf, nicht die Erde dreht sich, das ist das Problem, und der Heimatbegriff wird von vielen nur bemüht um lauter genau so archaische Dinge mit Sinn zu erfüllen. Das gilt für Migration genau so. Man sollte nicht von Volk sprechen, sondern von Mitbewohnern. Viele andere Dinge, wie der Umgang mit latenten Krisen, sei es Klima, Vergiftung der Umwelt, Plastik, Trinkwasser etc. laufen alle auf diesem nicht faktengesteuerten Tun ab, es hängt alles an unserem Steinzeit Hirn, das ist das Problem, unsere Denke die eben nicht gedacht wird sondern gefühlt. Die Evolution fährt sich hier selbst an die Wand.
Diese Problematik sollte bekannt gemacht werden. Nur auf dem Heimatbegriff herumzureiten greift zu kurz.
Immerhin bleibt einem doch, im Alter, trotz des Wissens um die Hintergründe, das Erinnern an die Jugend, Naturerlebnisse aus vergangener Zeit, an die man mit Wehmut zurückdenkt. Emotion pur. Ist das Heimat?
Jürgen H. Winter, Schöneck
Was Bloch und Marx dazu zu sagen haben
„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ (Bloch Prinzip Hoffnung – Seite 1628)
Das Herr Ebermann, als „heimatloser Intellektueller“ nie in sowas, wie „Heimat“ war, hat er trefflich bewiesen. Bei seinem Interview kommt ein alter Spruch in Erinnerung: „Hätte er geschwiegen, wäre er Philosoph geblieben.“ Er schmückt sich wie viele andere, sich links gebende Schreibende mit ihrer Unabhängigkeit, ihrer „Aufklärung“. „Als freier Verkäufer von Arbeitskraft, der seine Ware überall hinträgt, wo sie einen Markt findet … Anderseits aber werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind.“ 1) und wohl auch beraubt von sowas wie eine „Heimat“. Heimat als Ideologie zu bezeichnen, fällt dabei voll auf ihn zurück. (1 Karl Marx MEW 23, S. 741)
„Eine Handvoll Heimaterde“ hieß ein Schlager, mit dem das Duo Tom & Tommy 1959 großen Erfolg hatte. Der Refrain lautete: „Eine Handvoll Heimaterde / nahm ich mit ins fremde Land, / und solang‘ ich leben werde, / weiß ich, wo ich Liebe fand.“ Darüber habe ich bereits als damals 12-Jähriger gelacht. Ich assoziierte mit dem Text die plakatierten Forderungen der Heimatvertriebenen und der CDU auf die Wiederherstellung der Grenzen von 1937 („Dreigeteilt- niemals!“). Für etwas weniger gefährlich, aber ebenfalls verlogen hielt ich Freddy Quinns Schlager „Heimatlos sind viele auf der Welt, / heimatlos und einsam wie ich“, der ein Jahr früher als Filmmusik erklang.
Insbesondere im Kontext mit dem Schicksal von Soldaten der französischen Fremdenlegion tauchte das Motiv der verlorenen oder leichtsinnig verlassenen Heimat auf. Freddys „Heimweh“ von 1956 ist dafür ein typisches Beispiel. Als weitaus realistischer, weil der merkantilen, auf Ausbeutung gerichteten Ideologie der „freien Welt“ näher, erschien mir das Klagelied eines todkranken Legionärs, der im Frauenhaus in Algier seine Angebetete beschwor: „Laila, heute Nacht will ich dich wiederseh’n, / Laila, deine schlanken braunen Glieder seh’n, / oh Laila, nur die eine Nacht erwähle mich, / küsse mich und quäle mich, / denn ich liebe nur dich, / oh Laila.“ Einige öffentlich-rechtliche Radiosender lehnten es übrigens ab, das Lied zu spielen.
Vor diesen und vergleichbaren Hintergründen ist mir seit seinem Erscheinen 1972 Hannes Waders Song „Heute hier, morgen dort“ viel sympathischer. Verdeutlicht er doch, was Heimat sein könnte bzw. garantiert nicht sein sollte: „So vergeht Jahr um Jahr / und es ist mir längst klar, / dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, / wie es war.“
Heimat ist für mich jener Teil des Planeten Erde, auf dem ich ohne persönliches Zutun auf die Welt kam. Aber auch die Plätze, die ich entweder bewusst oder nur der Not gehorchend aufsuchte, um die materiellen Grundlagen meines Lebens verdienen zu können. Auch, wo ich die Muße fand, um das allzu Selbstverständliche zu hinterfragen und zu tatsächlichen Positionen zu gelangen (Anschauungen über die Welt) – immer auf der Suche nach besseren Einsichten und geeigneteren Orten.
Sämtliche Heimatgefilde treten jedoch zurück hinter die Sprache, die mir als erste in Elternhaus und Schule vermittelt wurde. Denn sie befähigt mich dazu, die Verhältnisse im Kontext meiner Wahrnehmungen abstrahierend (allgemeingültig) zu beschreiben. Diese Sprache atmet die Geschichte der Welt, erzählt von katastrophalen Entwicklungen und von verheißungsvollen Errungenschaften und fordert dazu auf, sich zu entscheiden zwischen Böse und Gut. Dort, wo sie gesprochen, geschrieben und verstanden wird, bin ich zu Hause.
In diesem permanenten Bewusstseinsprozess treffe ich regelmäßig auf andere, die Ähnliches auf anderen Plätzen der Erde erfahren und ebenfalls daraus gelernt haben. Dann stelle ich fest, dass wir trotz verschiedener Sprachen in etwa dasselbe meinen und ähnliche Zukunftshoffnungen hegen, uns multikulturell im Sinn des Wortes verhalten. In solchen Situationen ist mir das Fremde näher als jenes Geläufige, das sich zwar formal meiner Sprache bedient, aber elementare Erfahrungen der Menschheit umdeutet und dadurch Verlogenheiten begründet und neue Katastrophen herausfordert.
Hallo Herr Mertens,
da greifen sie aber ganz tief in die Trickkiste der Vergangenheit. Es war die Zeit der Heimatfilme, Der Förster vom Silberwald, oder, Grün ist die Heide , das waren damals echte Filmtitel, man stelle sich das heute einmal vor. Und dieses gefühlige Getön versuchen die Rechten in Besitz zu nehmen ? Für mich ist das absolut erhellend, das ist der löcherige Boden , auf dem dieses Gedankengut gedeiht. Schmieriges, wehleidiges Zeug. Bei mir zu hause hieß das :Werd nicht gefühlsduselig !
Wo sie BHE erwähnen, die die CDU damals übernahm(einverleibte), das waren glaube ich die Dreigeteilt Leute, fällt mir eine Episode aus meinem Arbeitsleben ein. Auf einem Kreuzfahrtschiff, in den 80ern , Landgang in Swinemünde, seit vielen Jahren die erste Möglichkeit, alles alte Leute, die die Heimat wiedersehen wollten,die Tränen flossen, alles dahin …Man hatte schon Mitleid. Erst später fiel mir auf, dass dies eigentlich alle Menschen betrifft, die ihre frühes Zuhause irgendwann verlassen haben, denn wenn man später zurückkehrt ist das alte was einmal war nicht mehr da, auch wenn es die gleiche Stadt ist, die Straße, das Haus . Der zeitliche Abstand ist nicht mehr zu überwinden. Es wird also jeder aus seiner „Heimat“ vertrieben, wenn er nur lange genug weg war. Wohingegen der, der nie weg war den ganzen Gefühlskomplex so nicht mitkriegt. So ein Hirn ist schon ein merkwürdiges Ding.
Mal abgesehen von Freddys „Heimaterde“ und „Heimweh“ – diese Schlagerzeit ist mir überhaupt nicht fremd – so kann man durchaus von dem Vorhandensein eines Heimatgefühl sprechen, ohne es ins kitschige Pathos einzutauchen. Ich würde lügen, wenn mir eine Zugehörigkeit zu meinem Geburtsland fremd wäre. Es kommt darauf an, was man auch aus diesem Gefühl von „Heimat“ macht. Trägt man es vor sich her wie ein Markenzeichen oder sieht man es als ein Schicksalsmoment. Ich persönlich spreche nicht von Heimat (nur von Geburtsland als Flüchtlings- und Soldatenkind), aber eine Beziehung zu meinem Mutterland habe ich schon.
Es ist etwas komisch: Deutschland hatte für mich immer etwas Fremdes, obgleich ich hier Gott und die Welt kenne, das Wesentliche erlebt habe, und und und …
Die Bedeutung der „Heimat“ kann für jeden etwas anderes sein. Man sollte damit keine „Geschäfte machen“, keinen Popanz und in diesen Begriff für Zwecke kapern (analog Katja Thorwarth), die
politisch brandgefährlich werden. Das aber beherrschen die Rechten, die Agitatoren und die Einfältigen. Landsmannschaften waren mir immer unangenehm. Und im Grunde standen sie lange Zeit vor der Haustür.
@ Jürgen H. Winter
Hallo Herr Winter,
die quasi subkutane Vermittlung historischer und politischer Falschaussagen fand nicht nur im populären Schlager statt. Dessen Produzenten reagierten lediglich auf Stimmungen, die wirtschaftlich gut zu verwerten waren.
Im vierten Jahr der Grundschule (1957) erhielten wir eine Heimatkunde der besonderen Art. Sie war ausführlicher angelegt als alles, was wir über die Region erfuhren, in der wir aufgewachsen waren, das Ruhrgebiet. Grundlage war ein Lehrbuch mit dem bezeichnenden Titel „Deutscher Osten – deutsche Heimat“, verfasst von Hans Mann, erschienen im Dümmler Verlag, Bonn. Inhaltlich ging es um die „unter sowjetischer/polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete“ (Schlesien, Danzig, Ostpreußen). Es passte so wie die sprichwörtliche „Faust aufs Auge“ zu den Plakatierungen von „Gesamtdeutschem Block BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten)“ sowie der Aktion „Unteilbares Deutschland“ und zu Axel Springers Aktion „Macht das Tor auf“ (damals war das Brandenburger Tor noch gar nicht zu). Darin fand sich kein einziges Wort über den Angriffskrieg gegen Polen und die Sowjet Union samt aller Verbrechen.
Als ich vor wenigen Jahre den AfD-Agitator Björn Höcke in Anne Wills Talkshow sah, als er eine kleine schwarz-rot-goldene Fahne aus der Tasche zog, sie behutsam glättete und über die Lehne seines Sessels legte, musste ich an die oben erwähnten Vorgänge denken.
Aber auch an Heinrich Heines Gedicht „Die Menge tut es…“: „Und es ist das Brandenburger Tor / Noch immer so groß und so weit wie zuvor, / Und man könnt euch auf einmal zum Tor hinausschmeißen, Euch alle, mitsamt dem Prinzen von Preußen“.
Nachtrag von mir: Zum Beispiel den Urenkel, der jetzt Entschädigung für die Kunstschätze seiner Familie einfordert, die den staatlichen und moralischen Bankrott von 1914 bis 1918 samt dessen Folgen mitverursachte.
Thomas Ebermann kann einem fast leid tun, so unbehaust und verbiestert, wie er durchs Leben geht. Vergangenheit schrecklich, Wohnumgebung hässlich, der einzige Trost ein paar Kneipen, in denen die Fußballzuschauer nicht mit der deutschen Mannschaft mitfiebern.
Es ist ihm nur zu wünschen, dass er in seiner Trostlosigkeit phasenweise irgendwo wenigstens eine geistige Heimat gefunden hat.
Bei der Betrachtung des Fotos, das der 68jährige Autor von sich veröffentlicht, muss ich dann doch ein bisschen schmunzeln. Es erinnert an die coolen – oder sagte man damals eher lässigen? – Jungs aus den Sechzigern mit der Kippe im Mundwinkel, meist Gaulloise ohne Filter, die alles verneinten, was nach Establishment roch. Und im Vordergrund stand die Ablehnung all dessen, was deutsch war, igitt! Eine etwas anachronistische Pose, wenn man mich fragt.
Nun sei ihm sein Mangel an Zugehörigkeitsgefühl zugestanden – solange er es anderen nicht madig macht.
Ob man es nun Heimat nennt oder in anderen Sprachen anders, es scheint doch das Bedürfnis von Menschen zu sein, sich einer größeren Gruppe zugehörig zu fühlen, vornehmlich der, in der sie aufgewachsen sind oder längere Zeit zugebracht haben, deren Verhalten ihnen bekannt ist und vor allem deren Sprache sie sprechen. Auch die räumliche Umgebung gehört dazu, nicht unbedingt, weil sie schön, sondern eher, weil sie vertraut ist.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass Menschen, wenn sie aufbrechen, um sich woanders niederzulassen, sich am Ankunftsort gern in ethnischen Gruppen zusammentun und lange Zeit an Ihrer Sprache, ihrer spezifischen Lebensweise, ihrer Küche festhalten? Sonst gäbe es doch kein Little Italy, kein Chinatown.
Und, wenn es die Entfernung zulässt, besuchen diese Migranten regelmäßig ihren Ursprungsort, um den Kontakt mit der Herkunftsgesellschaft aufrecht zu erhalten. Sollen wir ihnen dieses Bedürfnis abtrainieren?
Heimat ist für mich zuerst die Sprache mit der ich aufwuchs. Das Vehikel mit anderen in Kontakt zu kommen, sich mitteilen zu können, sich austauschen zu können. Es ist aber auch das Land bzw. die Natur, die ich nach drei Monaten Indien ersehnte. Ich hatte genug von der staubtrockenen Luft. Ich habe den Geruch der Erde nach einem Regenguss vermisst und den Duft der Tannen und Kiefern. Wieder hier vermisste ich das Essen, die Einfachheit des Lebens und manchmal glaube ich an einem warmen Tag einen Hauch der Gerüche Indiens wahr zu nehmen.
Ich fühle mich hier zu Hause. Aber Heimat ist für mich nicht Besitz. Dieses Land „gehört“ mir nicht. Ich bin hier Gast. Die Anwesenheit auf diesem Planeten, in diesem Land, in dass ich durch Zufall geboren wurde, ist gemessen am Alter der Erde noch nicht Mal ein Wimpernschlag.
Also mein ist hier gar nichts. Das Leben ist eine vorübergehende Angelegenheit und daraus eine Blut und Boden- Geschichte zu machen, ist absurd.
Ich bin davon überzeugt, dass wir hier sind um zu lernen. Nicht um zu sagen, das ist meine Heimat, mein Land, du kommst hier nicht rein, die Türen zuzumachen und den Schlüssel wegzuwerfen.
Hallo Frau Ernst, nach meinem Dafürhalten verwechseln sie da zwei Dinge, der Begriff Heimat ist das eine, der Begriff Gruppenzugehörigkeit etwas ganz anderes. Diese Gruppenzugehörigkeit zeigt, dass der Mensch im weitesten Sinne ein Herdentier ist, eine Eigenschaft, die in der Steinzeit überlebenswichtig war, heute in der Form nicht mehr zwingend wichtig ist. Dies vermutlich einer der Gründe für Einsamkeit bei vielen meist alten Menschen.Man ist auf den Nachbarn nicht mehr angewiesen. Andererseits gibt es auch heute Situationen, da kommt man um Gruppenbilding nicht herum, z.B.Demos, Vereine,Gewerkschaften, Parteien usw.
Heimat dagegen ist etwas ganz anderes,ein Gefühl, eine Sehnsucht, etwas, was durch rechte Bestrebungen gern benutzt wird,um entsprechendes Gedankengut zu lancieren.
@ Jürgen H.Winter
Es tut mir leid, Ihre Unterscheidung kann ich nicht nachvollziehen.
Mehrere der Kommentierenden sprechen doch den Bund der Heimatvertriebenen an. Das sind/waren Leute, die von ihrem Ursprungsort vertrieben wurden und am Ankunftsort Gruppen bildeten, in denen sie gemeinsam über den Verlust trauerten, ihr Brauchtum pflegten, sich aneinander festhielten, weil sie sich fremd fühlten und auch als Fremde behandelt wurden. Darüber wurden doch hier im Blog unter der Überschrift „Ankunft nach Flucht“ Erfahrungen ausgetauscht.
In der Ankunftsgesellschaft wurde oft über diese Gruppen gespottet, was ich in der Rückschau für unfair halte. Erst als es mich selber gegen meinen Willen ins Ausland verschlug, konnte ich nachvollziehen, dass man in einer solchen Situation Verlustgefühle haben kann, weil in der neuen Umgebung vieles anders ist als gewohnt, eine andere Mentalität herrscht und man sich fremd fühlt.
Zu einem Problem wurden die organisierten Heimatvertriebenen doch erst, als sie auf Rückkehr beharrten und damit der Anerkennung der Nachkriegsgrenzen und einer Aussöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei im Weg standen. Spätestens für diejenigen, die in der Ankunftsgesellschaft angekommen waren und/oder sich gar nicht mehr an die sogenannte „Heimat“ erinnern konnten, wurde diese zum Popanz, der zu revanchistischen Zwecken politisch instrumentalisiert wurde.
Hallo Frau Ernst,
Ja, der Heimatbegriff ist eine vielschichtige Sache, da kommen wir wohl nicht überein. Richtig schlimm wird die Sache doch, wenn man ein Ministerium daraus macht, was bitte soll das den machen ? Staatliche Folklore ? Reklame für Äppelwoi ? Nur braune Kühe in Bayern ?
@ Jürgen H. Winter
Bestreiten Sie denn die Existenz menschlicher Bedürfnisse, wie ich sie beschrieben habe? Das Verbundenheitsgefühl mit der Region, in der man aufgewachsen ist, mit der Sprache und der ethnischen Gruppe, in der man prägende Jahre verbracht hat? Das muss ja nicht auf alle Menschen zutreffen, aber es scheint (in allen Ethnien) doch weit verbreitet zu sein. Man kann ja auch in verschiedenen Regionen heimatliche Gefühle entwickeln und sich dort zu Hause fühlen.
Kennen Sie das nicht?
Die Aufgaben des Heimatministeriums sind:
die Förderung strukturschwacher Regionen und damit die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse innerhalb Deutschlands. Warum das Ganze mit dem etwas schmalzigen und vorbelasteten Wort „Heimat“ benannt wird, weiß ich allerdings auch nicht. Es soll eine Idee Seehofers gewesen sein.
@ Anna Hartl, 24. Juli 2019 um 18:37
Hallo, Frau Hartl,
bevor ich mich einige Tage in Urlaub verabschiede, möchte ich doch noch diese Antwort losschicken.
Dreierlei finde ich bemerkenswert an Ihrem Beitrag.
(1) Die Bindung zu einer bestimmten Region und der persönliche Zugang .
Vielleicht die einzige Möglichkeit, um der ideologischen Aufgeladenheit des „Heimat“-Begriffs zu entkommen.
Im Französischen gibt es nicht einmal eine Entsprechung. „Patrie“ trifft den Inhalt überhaupt nicht. Das ist ein Begriff, der eng auf den Nationalstaat bezogen ist und diesen auf die Gefühlsebene transponiert. In dem Sinne auch – hoffentlich – überholt.
Freilich ist das für Franzosen nicht notwendig mit Nationalismus verbunden. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Vereinen, die regionale Traditionen und Kultur fördern, die sich aber auch sehr offen zeigen gegenüber Fremden. So etwa bei Städtepartnerschaften. Langres etwa mit Ellwangen (Baden-Württemberg), oder auch im regelmäßigen Austausch mit Montreal (Kanada), das im 17. Jh. von einer Nonne aus Langres (Jeanne Mance) gegründet wurde.
Aufgeschlossenheit und Liebe zu einer bestimmten Region sind keine Gegensätze, und es bedarf für die emotionalen Beziehungen offenbar auch keines Begriffs.
(2) „Heimat ist für mich zuerst die Sprache mit der ich aufwuchs.“
Auch für den deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani ist Deutsch, obwohl nicht seine Muttersprache, dennoch seine Heimat. Und bei Goethes Begriff von Deutschland als „Kulturnation“ spielt wohl eine ähnliche Vorstellung mit.
Auch für mich ist das so, und ich habe deshalb auch angefangen zu schreiben. Und auch dieses Blog ist in gewissem Sinn ein Stück „Heimat“. Gedanklicher Austausch spielt zumindest für mich eine größere Rolle als die Beziehung zu einem Land oder einer Gegend.
Wobei Sprache durchaus auch zu Ausgrenzung führen kann.
Ich habe das zweimal erlebt. In Bayern aufgewachsen, verbot unsere Mutter uns, zu Hause bayrisch zu sprechen. Unter Kameraden war das aber eine Notwendigkeit, um nicht ausgegrenzt zu werden.
Das wiederholte sich mit dem Alemannischen, als wir (ich war da 10 Jahre alt) nach Freiburg umzogen. Zweisprachigkeit wurde damit in gewissem Sinn zu einer Überlebensstrategie, das Verhältnis zur Sprache war damit notwendiger Weise ambivalent.
(3) „Aber Heimat ist für mich nicht Besitz. Dieses Land „gehört“ mir nicht. Ich bin hier Gast.“
Ein, wie mir scheint, besonders wichtiger Aspekt.
Die Identifikation mit seinem Geburtsland als „Heimat“ ist sowieso ein Sonderfall und nicht die Norm. Spätestens mit den Fluchtbewegungen nach dem 2. Weltkrieg hat sich das grundlegend geändert. Ich habe etwa meine Geburtsstadt (Iglau/CSR) mit 45 Jahren das erste Mal gesehen.
Im Nachhinein betrachte ich die Existenz als Flüchtling auch als Chance: Bei aller Not auch Zwang zu Neuorientierung und in dem Sinne auch ein Stück Freiheit, wie ich sie vermutlich mit meinem Vater (den ich nicht kennengelernt habe) vermutlich nicht hätte erfahren können.
Die Frage also: Braucht man wirklich eine „Heimat“? – Ich meine, eher nein.
Als ich 1988 (also ein Jahr vor dem Mauerfall) meinen Dienst an der Europäischen Schule antrat, forderte man mich auf, mich für die Schülerzeitung selbst vorzustellen.
Ich kam der Bitte in Form eines Gedichts im Heine-Stil nach. Titel: „Wanderer zwischen zwei Welten“. Die letzten beiden Strophen lauteten:
„Die im ‚grünen Herzen Europas‘ ihr wohnt,
Was kann der Wand’rer euch bringen?
Kann er euch helfen beim großen Ziel,
Dass die Einigung möge gelingen?
Über Mauern einer geteilten Stadt
Euern Blick auch nach Osten lasst schweifen,
Mit Geduld und Beharrlichkeit, damit die Zeit
Für Europas Zukunft kann reifen!“
Ich habe den Mauerfall natürlich nicht vorhergesehen, habe mich aber dennoch später gefragt, ob ich ihn nach langen Berliner Erfahrungen nicht doch intuitiv irgendwie gefühlt habe.
Zumindest aber wurde dies zu einer Art Lebensmotto. Den „Blick nach Osten“ sollte ich in der Folgezeit selbst praktizieren, so im Unterricht an EU-Institutionen mit vielen jungen Menschen aus osteuropäischen Ländern.
Wie mir scheint, nicht die schlechteste Methode, um sich einer Verengung in Form von Reaktivierung einer Art „Blut- und Boden-Ideologie“, einer verordneten „Identität“ zu widersetzen.
„Heimat“ im Sinne des gefühlten Eins-Seins mit sich selbst kann nach meinem Dafürhalten nur im Verein mit prinzipieller Offenheit für anderes, Neues, auch Fremdartiges in fruchtbarer Weise erlebt und realisiert werden.
Dazu aber bedarf es keines Begriffs, und schon gar nicht eines solchen, der ideologisch missbraucht wurde und daher üble Assoziationen hervorruft.
In diesem Sinn für alle, denen es möglich ist, eine gute Erholung!
Das Wort „Heimat“ gehört eigentlich gar nicht zu meinem Sprachgebrauch, höchstens die Komposita „heimatlos“ oder „Heimweh“. Normalerweise umschreibe ich den Begriff, etwa mit „der Ort, an dem ich mich zu Hause oder auch zugehörig fühle, der mir vertraut und durchschaubar ist“.
Wie wichtig es dabei für mich ist, an den politischen Vorgänge um mich herum teilzuhaben, sie zu durchschauen, erfuhr ich erst, als ich drei Jahre in Italien lebte.
Die Sprache für den Hausgebrauch lernte ich mithilfe meiner Französisch- und Lateinkenntnisse schnell, aber bis man eine Zeitung oder die Fernsehnachrichten über lokale und nationale Zusammenhänge verstehen kann, braucht man erheblich länger.
Und die Einarbeitung in die komplizierte, sich ständig verändernde Parteienlandschaft Italiens mit seinen drei Gewerkschaftsdachverbänden, die ständig unabhängig voneinander an verschiedenen Tagen streikten, war ein langer Prozess, in drei Jahren kaum zu bewältigen.
Mich weiter über die Vorgänge in Deutschland zu informieren, war ebenfalls schwierig. Das Internet gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht, die einzige deutsche Zeitung, die man am Nachmittag desselben Tages an einem weit entfernten Kiosk in der Innenstadt Roms erhalten konnte, war die FAZ, damals nicht unbedingt meine politische Heimat (ja, tatsächlich, hier verwende ich den Begriff). Und im Grunde ging mich das, was da tausend Kilometer entfernt in Deutschland passierte, auch gar nichts mehr an, das geschah in einer anderen Welt.
Das Ergebnis war, dass ich mich vom politischen Geschehen abgekoppelt, im luftleeren Raum, „heimatlos“ fühlte.
@Werner Engelmann
Hallo Herr Engelmann,
vielen Dank für Ihre Antwort.
„Heimat im Sinne des gefühlten Eins-Seins mit sich selbst kann nach meinem Dafürhalten nur im Verein mit prinzipieller Offenheit für anderes, Neues, auch Fremdartiges in fruchtbarer Weise erlebt und realisiert werden.“
Wunderbar gesagt.
Auch zu Menschen die in einer anderen Kultur aufgewachsen sind, ein anderes Land als „Heimat“ bezeichnen, deren Lebensweise mir völlig fremd war, habe ich eine Verbindung gefühlt.
Wir sind geprägt von dem, womit wir aufwachsen. Stehenbleiben in dieser Prägung habe ich immer als „ungut“ empfunden. Da hilft das Eins-Sein mit sich selbst sehr.
Ihnen eine gute Erholung.
Hallo Frau Ernst, ich musste eine Weile grübeln, um das Thema in den Griff zu bekommen. Meine Auffassung von Heimat ist, es geht um ein Gefühl. Ein Gefühl dessen, was weg ist, aus welchem Grund auch immer, eine Erinnerung an etwas was früher war, an das man aber nicht mehr rankommt.Insofern sind also alle Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, vorausgesetzt, sie leben an einem anderen Ort und es ist eine gewisse relativ lange Zeit vergangen. Deckt sich leider nicht mit ihrer Ansicht, aber wie gesagt, eine vielschichtige Sache.
Hallo Frau Ernst, noch ein Nachsatz, ich habe gerade meinen ursprünglichen Leserbrief noch einmal gelesen. Da steht eigentlich meine Auffassung von Heimat, mit Begründung, drin. Dass es da verschiedene Ansichten gibt , liegt in der Natur der Sache.
Zu Heimat gehört doch auch der Gegenbegriff, die Fremde, und wer in ihr lebt. Und dazu gibt es eine Schulstunde, die meiner Meinung nach jeder kennen sollte, auch wenn er kein Lehrer ist. Sie kann gehört oder auch gesehen werden, das ist sogar ein besonderer Genuss, aber auch gelesen:
[PDF]Antwort von Karl Valentin Karl Valentin, Die Fremden
Damit erspare ich Ihnen meine eigenen Erklärungen zur Heimat, denn diese Dialoge sind für mich ein unsterblicher Teil der Heimat.
„Wir sind geprägt von dem, womit wir aufwachsen. Stehenbleiben in dieser Prägung habe ich immer als „ungut“ empfunden. Da hilft das Eins-Sein mit sich selbst sehr.“
Dem möchte ich doch etwas die Macht des Unbewussten entgegenhalten, denn auch darin können Ketten stecken, die man selber nicht so einfach sprengen kann, zuerst aber mal erkennen müsste. Eine geistige Heimat kann doch z. b. darin gefunden werden, alle Bevormundungen abzulehnen, auch die aus den Religionen stammenden, die viele Menschen erfahren haben in ihrer eigenen Prägungsphase, oder denen sie sich auch noch – oder erst später – freiwillig unterwerfen und nicht mehr davon loskommen.
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, das wäre z.B. so eine geistige Heimat.
Die Erfahrung jedoch zeigte mir, ich lebe zwar mit allen Menschen auf dem gleichen Planeten, aber manchmal doch in verschiedenen Welten.
„Wir sind geprägt von dem, womit wir aufwachsen. Stehenbleiben in dieser Prägung habe ich immer als „ungut“ empfunden.“
Wie wäre es, auf dem Weg zur Mündigkeit die alten Prägungen nicht im Zorn von sich zu werfen, sondern sie in fruchtbarer Weise zu verarbeiten und in die reifere Persönlichkeit zu integrieren?
Denn das, was unverarbeitet bleibt, verdrängt wird, führt gerne weiterhin ein abgespaltenes, schädliches Dasein im Unbewussten.
Übrigens, es gibt meiner Meinung nach auch das Recht, eine ganz enge räumliche, selbst geistige Heimat nie zu verlassen.
Wer noch fest daran glaubt, er könne mit Trommeln in der Trockenheit den Regen herbeirufen, so wie es Generationen vor ihm auch glaubten, und damit im „Eins-Sein mit sich selbst“ steht, den werde ich nicht verdammen, wenn er dann nun immer weniger zum Leben auf seiner Scholle ernten könnte. Aber er sollte nicht auch noch seine Kinder darunter leiden lassen.
Da geht mir dann das „Eins-Sein mit sich selbst“ doch ganz entschieden zu weit.
Völlig verblendete Ideologen handeln in der Regel auch im „Eins-Sein mit sich selbst“, ebenso mordlustige Massenmörder, die vielleicht auch alle frühen Prägungen mal über Bord geworfen hatten, oder sie nun hemmungslos ausleben.
An einigen Punkten widerspreche ich Herrn Kaltenbrunners Aussagen über Heimat oder möchte diese ergänzen: Indem in der Romantik häufig von Gefühlen die Rede ist, auch bezüglich Heimat, müssen diese nicht automatisch oder ausschließlich sentimentalen Charakters sein. Viel mehr kann die Wiederentdeckung des Gefühls oder die Sensibilisierung des selben dem Verständnis eigener Einstellungen und Anschauungen dienlich sein. In Faust 2 heißt es: „Wenn ihr’s nicht erfühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“ Es geht als durchaus darum, Heimat nicht nur mit der Ratio zu erfassen, sondern das Heimatgefühl zu reflektieren. Dabei stoßen wir unzweifelhaft auf Ambivalenzen. Heimat ist eben nicht das, was wir als solche erkennen wollen, sondern sondern vieles mehr, darunter, dahinter und dazwischen. Dies gilt es zu verstehen und anzuerkennen, womit sich viele Heimatliebende, gelinde gesagt, etwas schwer tun. Manches selbstverständlich Heimatliche war einmal fremd. Heimatlieder jeglicher Art lassen sich gut auf einer Gitarre begleiten, einem Instrument, das einen langen Weg aus arabischer, maurischer und spanischer Fremde genommen hat. Die Serie ,Heimat‘ von Edgar Reitz kann ich Jeder oder Jedem empfehlen, die/der sich mit den Mehrdeutigkeiten von Heimat und eigenen Heimatverständnissen auseinandersetzen möchte. Die neue Altstadt Frankfurts hat für mich als Frankfurter mit der „Wiederherstellung von Heimat“ mal gar nichts zu tun, auch wenn sie noch so sehr eine bestimmte Epoche nachbilden mag, denn Heimat ist auch das sich verändernde, mag Frau oder Mann es noch so sehr bedauern, das oft unwiederbringbar verlorene, das illusionäre oder phantasievolle. Diese neue Altstadt ist nichts als eine Nachbildung von etwas Totem. Lebendig ist sie nur als Nachbildung, in der etwas Neues entstehen mag, das wiederum Heimatgefühle weckt.
@ Robert Maxeiner
Danke für die Erinnerung an die Serie „Heimat“ von Edgar Reitz. Eines der beeindruckendsten Werke zu diesem Thema.
Vielleicht erinnert sich auch noch der/die eine oder andere an die Serie „Verkaufte Heimat“ von Felix Mitterer. Sie handelt vom Schicksal eines Südtiroler Dorfes nach dem Vertrag zwischen Hitler und Mussolini: von der Kampagne „Heim ins Reich“ mit der Umsiedelung deutschsprachiger Südtiroler Familien in besetzte osteuropäische Staaten und gleichzeitig der Ansiedlung landloser Sizilianer auf den frei gewordenen Höfen südlich des Brenner. (Dieser Vorgang wurde von den Nazis „Umvolkung“ genannt, die Absicht war die Minorisierung der ursprünglich dort angesiedelten Bevölkerung.)
Hoch interessant das Verbot der deutschen Sprache unter Mussolini, die Rückkehr der aus den besetzten Gebieten vertiebenen Südtiroler und der Hass auf die „eingeplackten“ Italiener.
Hoffnungsvoll dannam Ende der über Jahrzehnte gefundene Weg zum friedlichen Zusammenleben beider Sprachgruppen in einer funktionierenden bilingualen Gesellschaft.
Man vergisst es leicht angesichts von Berlusconi und jetzt Salvini: Auch das ist Italien
Mit seinem „konkret“-Buch über den Begriff „Heimat“ beteiligt sich Thomas Ebermann an der Diskussion eines Begriffes, den die (AfD)-Rechte für sich vereinnahmen möchte. – Hier nun meine Nachlese dazu:
Unsere linken Altvorderen äußerten sich vielfach dazu. Kurt Tucholsky übertitelt einen seiner Texte mit „Heimat“ und schreibt unter anderem: “ … Nein, Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem – niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land. (…) … Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von denen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es. …“ (vgl. rororo, 1952: „Kurt Tucholsky – Zwischen Gestern und Morgen“)
Das antifaschistische „Moorsoldatenlied“ enthält die Vorstellung “… Heimwärts, heimwärts! Jeder sehnt sich nach Eltern, Weib und Kind (…).“ – Die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht – als alternative „DDR-Hymne“ konzipiert – enthält als „linke“ Hoffnung, “ … daß ein gutes Deutschland blühe …“. Und weiter: “… und weil wir dies Land verbessern – lieben und beschirmen wir’s …“
Den Begriff „Heimat“ kampflos aufzugeben, halte ich für einen großen Fehler. Der „Heimat“-Text von K. Tucholsky endet so: “ … Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht (…) die stille Liebe zu unserer Heimat.