Man ist von Günter Grass ja gewohnt, dass er seine Rolle für die SPD recht hoch einschätzt. Kürzlich gab er der FR ein großes, sehr freies Interview. Der Nobelpreisträger macht keine Kopfstände mehr, wie wir erfahren, aber das ist wohl gut so, denn dieser Kopf ist schützenswert und soll, wenn es nach mir geht, noch lange rege und produktiv bleiben. Und auch die Erektionsfähigkeit, über die er ebenfalls frei spricht, möge ihm noch lange erhalten bleiben, auch wenn man sich das eigentlich nicht gern vorstellen möchte. Doch es fallen auch staatstragende Sätze, wie man sie von Günter Grass erwarten darf. Etwa diese: „Ich habe in meinem politischen Leben Siege erlebt und natürlich auch eine Menge Niederlagen, aber ich bleibe dabei, dass die Sozialdemokratie, diese älteste demokratische Partei, immer noch der verlässlichste Garant dafür ist, dass die sozialen Unterschiede, die immer gravierender werden, denn wir sind heute schon wieder mitten drin in einer Klassengesellschaft, zu mildern sind. (…) Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man sich als Schriftsteller nicht im Jüngerschen Sinne über alles erheben darf, sondern dass zu einer Demokratie, die sich ja in Parteien artikuliert, die Parteinahme dazugehört.
Gerhard Kern aus Hofheim hat dazu kritische Anmerkungen:
„Nach dem Interview müssen wir unsere Vermutung korrigieren: Es waren offensichtlich keine wahltaktischen Gründe, welche die Regierung Schröder/Fischer dazu bewogen hatte, sich nicht direkt am Irak-Krieg zu beteiligen. Nein, es war Günter Grass, der seinem Freund Schröder damals riet, sich aus diesem Krieg herauszuhalten. Bravo, Herr Grass! Zwar weiß man inzwischen, dass Deutschland doch indirekt mitgewirkt hat und dies noch immer tut, indem es die amerikanische Logistik entscheidend unterstützt, aber immerhin: Die Bundeswehr ist nicht in den Irak einmarschiert.
Es drängen sich jedoch zwei Fragen an den SPD-Wahlkämpfer Grass auf: Was haben Sie Ihrem Freund Gerhard Schröder, der ja Ihrer Darstellung nach ‚zuhören‘ konnte, bezüglich des Kriegseinsatzes in Afghanistan geraten: Mitmachen oder sich raushalten?
Für Sie ist ‚die Sozialdemokratie, diese älteste demokratische Partei, immer noch der verlässlichste Garant dafür (), dass die sozialen Unterschiede (…) zu mildern sind.‘ Wenn Sie dies glauben, dann drängt sich die Frage auf: Wie haben Sie reagiert, als Schröder seine Agenda 2010 vorstellte?
Ein großes Kompliment an den Interviewer André Müller, dass er sich nicht von der Selbstsicherheit (‚SelbstgewissheitÄ) des Günter Grass hat beeindrucken lassen.“
Darauf erwiderte Friedrich Grimm aus Weinsberg:
„Während Herr Gerhard Kern viele Fragen zu Verflossenem hat, vergisst er offenbar ganz, seine Aufmerksamkeit auf unsere derzeitige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu richten. Würde er diese nur annähernd scharf wie Gerhard Schröder betrachten, dann würde ihm eventuell auffallen, dass Frau Merkel, im Gegensatz zu Gerhard Schröder, außer Wahltaktik nichts betreibt; für eine Person in dieser Position etwas wenig. Oder?
Zur Erinnerung, Herr Kern: Nach den Anschlägen vom 11.09.2001 in New York sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder etwa sinngemäß (den genauen Wortlaut kann ich nicht wiedergeben): Deutschland steht an der Seite Amerikas und ist bereit, Amerika im Kampf gegen den Terror zu unterstützen. Wir sind aber nicht bereit für Abenteuer! Dieser ständige Versuch, Schröders Entscheidung der Wahltaktik zuzuschreiben, kommt einer Entwertung dieser für Deutschland so wichtigen Entscheidung gleich und blendet diese nachweisbare Aussage weitestgehend aus.
Und während Frau Merkel (der Liebling der Nation) versuchte, Herrn Bush in Washington in den Arsch zu kriechen, wurden durch Schröder und seine Partei in Deutschland Schwerstarbeit geleistet. Die dabei gemachten Fehler und deren notwendige Berichtigung sagen nichts aus über die Richtigkeit dieser Arbeit bis hin zu den Hartz-Reformen.“
Wer diese (Brandt-vergessene)SPD noch für demokratie- und zukunftsfähig hält, muss im 20. Jh. verblieben sein!
Heuer werden nur noch Aktienkriege und Stiftungs-Feste und Talks im TV und in Parlamenten gefeiert; aber nur für die oberen Hunderttausend!
Der Rest soll mit HARTZ und gedopten Sport „skyen“; von Freitagmittag bis Sonntagabend.
Günter Grass, wenn er von den „sozialen Unterschieden“ spricht, die „immer größer werden“, kann ich deshalb nicht ernst nehmen, weil er bezüglich dieses Trends, wenn er denn so überhaupt existiert, Verfolgungswahn hat, einer Verschwörungstheorie anhängt… nämlich: hier und dort und da gibt es Personengruppen, die sich ins Zeug legen und ihr bestes tun, diese Unterschiede zu vergrößern, so seine Meinung, die auch die Zeitgeistmeinung ist.
Andere Erklärungen, wie die massive Unterschichtenimmigration ländlicher Bevölkerungen gering entwickelter Länder der letzten 20 Jahre, aber auch fehlende Anreize zum sozialen Aufstieg in einer Wohlstandsgesellschaft, die ein Auskommen auch ohne Anstrengung anbietet, kommen für ihn als „Erz-Sozi“ natürlich nicht in Frage.
Nein, da sind diese Bösewichte, die die andern nach unten drücken, um ihre Privilegien zu wahren… ein wenig armselig, aber vielleicht doch genau die richtige Theorie für einen ROMANAUTOR!
Hier schließe ich mich der Meinung von Friedrich Grimm voll an. Lediglich zu Frau Merkels Verhalten hätte ich mich nicht so kräftig ausgedrückt.
Die SPD steckt nun mal in diesem Dilemma :
Die klassische Wählerschicht, der Industriearbeiter, ist durch die gesellschaftliche Entwicklung stark zurückgegangen.
Die versuchte Öffnung, in der „Mitte“ neue Wählerschichten zu gewinnen, konnte nur teilweise umgesetzt werden.
Die „Grünen“ entwickelten sich zu einer ständigen Kraft – und „Die Linke“ vertritt den Rest der verbliebenen „sozial“ Denkenden.
Die Hoffnung wird nur noch aus den „Unentschlossenen“ geschöpft, die aber keine feste Gruppe darstellen.
Ich möchte Herrn Grimm darauf hinweisen, dass ich keineswegs ein Fan von Frau Merkel und ihrer CDU bin. Vermutlich wäre unter ihrer Regierungsverantwortung die Bundeswehr mit einmarschiert in den Irak.
Ferner rückt auch sie ebenso wenig wie die SPD-Leute Steinmeier und Müntefering und auch die Macher bei den GRÜNEN ab von den Hartz IV – Gesetzen.
Hier noch die Zeilen meines Leserbriefes, die nicht abgedruckt wurden:
„Der geneigte Leser vermutet, dass Grass’ Präsentation als SPD-Wahlkämpfer doch eher seinen eigenen Interessen dient, auf sich und sein neu geplantes Buch „Grimms Wörter“ aufmerksam zu machen als der Unterstützung einer Partei, die sich von sozialer Gerechtigkeit und pazifistischem Gedankengut seit langem schon verabschiedet hat.“
Ich nehme mal an, dass mit „Grimms Wörter“ keine Verbindung zu Ihnen, Herr Grimm, hergestellt werden kann.
Gerhard Kern, Hofheim
Die Sozialdemokratie in Ehren. Ich bin ihrer politischen Idee immer noch stärker verbunden als irgendeiner anderen. Trotzdem kann ich Grass´ Engagement nicht nachvollziehen. Insbesondere weil die zu ihr gehörende Partei sich von dieser weit entfernt hat.