Es ist doch recht interessant, was wir jetzt durch den Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre alles erfahren – und nebenbei bemerkt ist dies auch ein Zeichen dafür, dass die Demokratie noch funktioniert. Der Untersuchungsausschuss deckt ziemlich gnadenlos auf, wie schlecht die deutschen Dienste – Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Länder-Verfassungsschutzämter – zusammenarbeiten und wie blind sie auf dem rechten Auge sind. Zehn Morde konnten die NSU-Terroristen begehen, ohne dass jemand auf den Gedanken kam, dass es sich um Terror aus der rechten Ecke handelte.
Einer war besonders sperrig: Volker Bouffier. Der jetzige Ministerpräsident Hessens war 2006 Innenminister des Landes, und als solcher fertigte er einen Sperrvermerk aus, der verhinderte, dass die Ermittler einen Informanten des Verfassungsschutzes zum Mord an dem Betreiber eines Internet-Cafés in Kassel vernehmen konnten. Stattdessen mussten Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Fragen in schriftlicher Form an den Verfassungsschutz richten. Bouffier steht deswegen massiv in der Kritik.
Weit skandalöser ist aber, dass beim Bundesverfassungsschutz Akten geschreddert wurden – just in dem Moment, in dem Generalbundesanwalt Harald Range in Karlsruhe beschließt, die Ermittlungen über eine rechtsextremistische Terrorzelle aus Thüringen an sich zu ziehen. Kurz zuvor war in Chemnitz das Haus ausgebrannt, in dem sich, wie dann bekannt wurde, die Terroristen Mundlos, Beinhardt und Zschäpe verborgen gehalten hatten, die für die sogenannten „Döner-Morde“ verantwortlich gewesen sein sollen. Der für die Schredderaktion zuständige Referatsleiter wurde diszipliniert, Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm trat zurück, auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel ging. Als Konsequenz will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich beim Verfassungsschutz hart durchgreifen. Das scheint auch bitter nötig zu sein. Wir brauchen den Geheimdienst beim Kampf gegen den islamistischen Terrorismus.
FR-Leser Stefan Giebel aus Bad Emstal schreibt mir dazu:
„Mehr als zehn Jahre konnte diese rechtsextreme Zelle unbehelligt agieren und morden. Die Gefahr eines „braunen Terrors“ wollte oder konnte man bis dato nicht sehen? Stattdessen wurden die Familien der Opfer und die Opfer selbst teilweise verdächtigt. Entstanden ist dieses Trio in einer Zeit, als Sätze wie „Das Boot ist voll“ in der öffentlichen Debatte kursierten, das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt wurde, Gewalt gegen Ausländer unter Beifall Vieler einen traurigen Höhepunkt erreichte und die Rechtsextremen regen Zulauf erhielten. War da angesichts einer solchen Vernetzung eine gewaltbereite Gruppe so unwahrscheinlich? Von einem Einzelfall kann da wohl nicht mehr die Rede sein.
Der Fall zeigt, wie sehr die Behörden sich auf die Gefahr von äußerst links konzentrieren, wie wenig die Länder miteinander vernetzt sind und wie wenig gegen den „braunen Sumpf“ – und dies bereits in den Anfängen – wirklich getan wird. Die Frage, die sich mir stellt: Was außer Beileidsbekundungen bei den Familien der Opfer und allzu späte Entschuldigungen hat sich in Deutschland wirklich verändert? Welche Konsequenzen werden gezogen? Schlimm genug, dass es so weit leider bereits gekommen ist.“
Bernd Bremen aus Aachen:
Herr Fromm zeigt sich unsicher, „ob es jemals eine überzeugende Erklärung für dieses Fehlverhalten geben werde.“ Dagegen kann auch gefragt werden, ob der Staat und seine Institutionen (inklusive der staatstragenden Parteien) überhaupt ein Interesse an der Aufklärung haben? Was, wenn Behörden oder einzelne Vertreter ihre schützende Hand über die mordende Nazibande gehalten haben? Eine restlose Aufklärung müsste dann eine veritable Staatskrise zur Folge haben. Aber da seien doch die staatlichen „Aufklärer“ vor.
Es wäre auch zu kurz gegriffen, die Misere als Folge der Anschläge vom 11.9.2001 und der darauffolgenden Schwerpunktverlagerung der Geheimdiensttätigkeit weg von „rechtsextremen Umtrieben“ hin zum „islamischen Terrorismus“ anzusehen. Die Geschichte fängt viel früher an, nämlich bei dem vom Strafrechtler Ingo Müller verorteten „regelrechten Strafvereitelungskartell“, bestehend aus allen „drei Staatsgewalten“ des Nachkriegsdeutschlands, welches „bei der Strafverschonung der NS-Täter perfekt zusammengearbeitet“ habe. In diesen frühen braunen Wurzeln liegt ein Teil der Antwort auf die heutige Frage, warum es so weit kommen konnte!“
Jonas Fedders aus Neu-Isenburg:
„Nachdem Heinz Fromm am Montag seinen Rücktritt als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz bekannt gegeben hatte, tut es ihm nun sein Thüringer Kollege gleich. Die beiden ziehen damit die Konsequenzen aus den vielen skandalösen Vorgängen in Bezug auf die NSU, bei denen aufgrund der Häufigkeit ihrers Auftretens durchaus in Frage gestellt werden kann, ob das Gerede von „Ermittlungspannen“ die Realität noch adäquat beschreibt. Die Rücktritte sind zweifelsohne richtig und ein längst überfälliges Signal, doch reichen sie bei weitem nicht aus, um derartige Vorfälle in Zukunft zu unterbinden. Das Problem ist struktureller Natur: Solange der Verfassungsschutz in seiner derzeitigen Form bestehen bleibt und damit unter dem scheinbar legitimierenden Diktat der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ ständig und unter Aufsicht ihrer Präsidenten die basalsten demokratischen Grundreichte systematisch untergräbt, ist auch nicht damit zu rechnen, dass die Duldung und finanzielle Unterstützung rechtsradikaler Strukturen durch die Behörden eingestellt wird.“
Mal abgesehen von der, mehr als unglücklichen Urteilsvorwegnahme hinsichtlich der Mordserie, bewegt mich an der Reaktion auf den Tatkomplex angesichts der so oft wiederholten Behauptung, Behörden seien in toto auf dem rechten Auge blind, die Frage nach der Motivation für diese Äußerung!
Was genau begründet diese Vermutung, außer „wie wir alle wissen“ Behauptungen?
Es belustigt und irritiert zugleich, wenn sich Mensch, auch persönlich Bekannte, diese Feststellung bedienen und es dabei bewenden lassen, auch wenn es sich dabei m.E. eigentlich um eine „Killerphrase“ handelt, welche vom Kaliber „wenn das der Führer wüsste“ ist und bleibt.
Dient eine solche, verkürzte, Sicht der Selbstberuhigung?
Auch wenn es bisher keine entlastenden Hinweise, gar Beweise gegen eine tiefe Verstrickung in die Förderung, Finanzierung und möglicherweise aktive Gestaltung der rechtsextremen Szene gibt?
Untersuchungeng zum Konservatismus von Mitarbeitern in BOS und eigene Erfahrungen legen nah, das es dort eine gewisse Häufung konservativer Weltsichten gibt. Sicher, wie in alles solchen Strukturen auch Seilschaften und Interessengruppen aus Berufsverbänden, Parteien etc..; aber beim NSU-Tatkomplex steht ja mehr im Raum:
Wurden hier Straftaten gedeckt, gar mitgeplant und logistisch gestützt?
Wurden die LKA´s aktiv in der Ermittlungsarbeit behindert?
Aus Sicht der Ermittler darf noch angemerkt werden, dass auf wohlfeiles „ex-post“ Geschwätz (hätten sehen müssen usw.) gerne verzichtet werden darf, denn selbst wenn in einem EV eine Arbeitshypothese „Fremdenfeindlichkeit“ aufgestellt wird, so braucht es auch immer Sachbeweise im Gang der Ermittlung, schließlich achtet auch die StA auf schlüssige Angaben!
Ob schließlich der Untersuchungsauschuss tatsächlich Neues aufdeckt, oder nur Einzelsachverhalte zusammengefasst wiedergibt sollte gründlich abgewogen werden.
Die Rolle eines Aschusses ist immer sehr ambivalent, kann dieser doch auch nur mit den Daten arbeiten die zur Verfügung gestellt werden!
Mfg KM
Karl Müller
Es wäre nett, wenn Sie Ihre Kompetenz nicht durch die ständige Verwendung von Abkürzungen unterstreichen würden, die die weniger kompetenten Bloger nur mit Mühe entschlüssen können.
BOS = Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben
EV = Ermittlungsvorgang
LKA = Landeskriminalamt
StA = Staatsanwaltschaft
Sehr geehrter Abraham,
daran hatte ich auch beim Tippen gedacht, ging aber doch davon aus das diese Abkürzungen für jeden der sich mit der NSU-Problematik befasst, verständlich sind.
Und ich muß zugeben, manchmal fällt mir die Verwendung schlicht nicht mehr gleich auf. Daher vielen Dank für den Hinweis.
MfG KM
http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2012/0712/verfassung.php5
Vor ein paar Minuten wurde zum Thema ein Beitrag bei Monitor in der ARD gezeigt. Es gibt noch keinen Link dierekt zum Beitag aber unter dem eingestellten Link sollte man in einer Stunde den Beitrag sehen können. Ich denke er spricht für sich was da gesagt wird. Vor ein paar Monaten habe ich hier im Forum mal geschrieben die Landesverfassungsämter sollten nicht entrümpelt sondern entlassen werden.