Kürzlich wurde den Nichtregierungsorganisation Attac, Campact und VVN-BdA die Gemeinnützigkeit aberkannt. In ihrem Leserinbrief, der hier als erster folgt, fragt Frederike Frei: „Und jetzt? Was kann man machen?“ Und sie schlägt vor: Es wäre gut, „ein regelmäßiges Fenster optisch einzurichten: Was kann man tun?“ Dazu möchte ich anmerken, dass die FR genau dies durchaus getan hat, indem ich das Thema hier im FR-Blog regelmäßig zur Diskussion angeboten habe – auch in eigenen Diskussionen wie Demokratie braucht das Engagement von NGOs vom 5. März 2019 oder Attac: Pfui, Finanzamt! vom 21. Oktober 2014. Es ist Ihnen, liebe Userinnen und User, selbstverständlich erlaubt, miteinander die Fragen von Frederike Frei zu erörtern und sich darüber auszutauschen, was man tun kann.
Es müsste viel mehr Protest kommen, findet Winfried Kallabis im zweiten unten folgenden Leserbrief. Davon abgesehen, dass es nun natürlich in erster Linie Sache der betroffenen Organisationen ist, gegen die Bescheide und Urteile von Finanzämtern und Gerichten vorzugehen, könnte Rückhalt selbstverständlich nicht schaden. Allerdings scheint dies kein Aufregerthema zu sein, jedenfalls nicht von der Sorte, wo schnell ganz viele Leserbriefe hereinkommen, ehe die Sache fast ebenso schnell wieder verebbt. Stattdessen kamen die Leserbriefe tröpfchenweise, aber dafür recht kontinuierlich. Ich habe nachgesehen und werde sie alle in diesem neuen Thread über die Gemeinnützigkeit zusammentragen und damit bündeln (das mache ich am Sonntag).
Die beiden angesprochenen Leserbriefe kamen als Reaktion auf den Gastbeitrag Die Zivilgesellschaft muss geschützt werden von Pauline Weller von der Gesellschaft für Freiheitsrechte herein. Ich bringe sie hier als erstes. Dann folgen die älteren Leserbriefe bis zurück zum 27. November 2019, Reaktionen auf die Nachricht, das der antifaschistischen NGO VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen worden ist. Je weiter Sie nach unten scrollen, desto weiter liegt das Veröffentlichungsdatum der Leserbriefe zurück.
Notwendiges Gegengewicht zum Einfluss der Wirtschaft
Pauline Weller hat einen wunderbaren Artikel zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit mit finanziellen Rückforderungen geschrieben. Alles und besonders folgende Passage kann ich aus vollem Herzen unterstreichen: „Zudem sollten wir nicht vergessen, dass große Unternehmen weit mehr politischen Einfluss nehmen können als zivilgesellschaftliche Akteure. Verglichen mit den Summen, die viele große Unternehmen in ihre Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit investieren, ist die Höhe der Spenden im Gemeinnützigkeitssektor gering. Die politisch engagierte Zivilgesellschaft stellt ein notwendiges Gegengewicht zu dem Einfluss von Konzerninteressen auf die Politik dar.“
Dazu sage ich: Wenn Initiativen dermaßen heimgesucht werden vom Fiskus, dann sollten wir mal damit anfangen, die Firmen wegen ihrer aggressiven innenweltverschmutzenden Öffentlichkeitsarbeit anzuzeigen. Ich wär dabei.
In „pubik“ Nr. 8, der Mitgliederzeitung von Verdi, lese ich einen ähnlichen Artikel: „Ein unfassbarer Vorgang“. Beide Artikel hab ich mir ausgeschnitten. Und jetzt? Was kann man machen? Wohin schreiben? Welchen Abgeordneten anschreiben? Wie erreicht man den Gesetzgeber in dieser Angelegenheit? Sollen wir spenden? Gibt es ein Papier, das man unterschreiben kann?
An solche Artikel, die den Leser mit Recht empören lassen wollen, wäre es gut, ein regelmäßiges Fenster optisch einzurichten: Was kann man tun? Die Artikel zu Hause sammeln ist zu wenig. Man braucht als Leser Aktionshilfe, denn die Emotionen sind ja gerade vorhanden. Jetzt sollten sie auch in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
Frederike Frei, Berlin
Demokratie braucht die kritische Zivilgesellschaft
Achtung, auch in Deutschland ist die Meinungsfreiheit zunehmend gefährdet! Die demokratische Meinungsbildung wird beschränkt, indem untergeordnete Finanzbehörden solchen Organisationen den Status der Gemeinnützigkeit entziehen, die sich kritisch mit Auswirkungen des herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Da müssen die Alarmglocken klingen! Denn neben dem Parlamentarismus braucht die Demokratie ebenbürtig die kritische und am Gemeinwohl orientierte Zivilgesellschaft! Das sagt schon Artikel 21 Grundgesetz. Der Beitrag solcher Vereine und Verbände besteht doch gerade darin, dass sie bestehende Verhältnisse kritisieren!
Das von der Autorin angeführte Demokratische Zentrum Ludwigsburg ist nur ein Beispiel, wie inzwischen linkskritische Vereine etc. mittels Finanzpolitik mundtot gemacht werden, indem ihnen die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Dabei beruft man sich meist auf das Attac-Urteil: Zur Erinnerung: Der Finanzmarkt-kritische Verein Attac machte vor wenigen Jahren den Anfang: Nachdem Attac gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit mit Erfolg geklagt hatte, wurde auf Veranlassung des Finanzministeriums Revision eingelegt. Anweisung dazu gab der notorische Linkenhasser und Steuerbetrug-duldende damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Maßgeblich daran beteiligt waren 2 hohe Beamte, die beide gleichzeitig als Vorstände im Dienste eines wirtschaftsnahen (förderungswürdigen!!) Lobbyvereins stehen!
Wie zu befürchten, war Attac nur der Anfang: Ebenso skandalös sind ähnliche Maßnahmen gegenüber der politikkritischen Plattform Campact und der antifaschistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA). Umso unglaubwürdiger sind solche Maßnahmen, wenn gleichzeitig Militarismus-fördernde Vereine und wirtschaftsabhängige Stiftungen weiterhin als gemeinnützig gelten. Doch es wird so weiter gehen: Aus CDU-Kreisen vernimmt man die Forderung, bspw. die Deutsche Umwelthilfe auf gleiche Weise mundtot zu machen. Dies ist eine gefährliche Entwicklung und spielt auch den Rechten in die Hände. Wer die kritische Zivilgesellschaft ausbremst, lähmt die Demokratie!
Fatal ist, dass offenbar nach geltender Rechtslage bei Aberkennung der Gemeinnützigkeit Steuern über mehrere Jahre nachgefordert werden können! Indem man Kritikern den Geldhahn zudreht, macht man so kritische demokratische Organisationen mundtot! Bei der Unterdrückung der Meinungsfreiheit nähert sich Deutschland bald schon einem Staat wie z.B. Ungarn an! Es ist höchste Zeit, dies zu ändern!
Was ist mit dem Bundesfinanzminister? Wieso bezieht der nicht öffentlich eine Gegenposition und verteidigt die demokratische Gesellschaft? Um Rechtssicherheit für die Zivilgesellschaft zu schaffen, muss die Abgabenordnung bei der Gemeinnützigkeit schnell geändert werden! Finanzminister und SPD-Mann Scholz, der bisher weder durch besonders soziale noch demokratische Einstellungen aufgefallen ist, hat zwar eine Reform angekündigt. Doch da ist wohl genauso wenig zu erwarten, wie die soeben verabschiedete ‚Transaktionssteuer‘ nur Etikettenschwindel ist!
Es bräuchte viel mehr Protest der Zivilgesellschaft! Wehret den Anfängen!
Winfried Kallabis, Dieburg
Sitzen die Lobbygruppen jetzt schon in den Finanzämtern?
Gemeinnützigkeit, VVN-BdA: „Attacke gegen Attac“, FR-Wirtschaft vom 7.12. Die beiden folgenden Leserbriefe wurden im FR-Leserforum am 18. Dezember veröffentlicht.
Zuerst wurde Attac die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt Frankfurt/Main entzogen. Dann entzog das Finanzamt Berlin Campact und der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit und beabsichtigt, sie ebenfalls der Petitions-Plattform Change.org. zu entziehen. Sitzen die Lobbygruppen jetzt schon direkt in den Finanzämtern und welcher Verein ist als nächster dran? Fridays for Future? Ach nein, das geht ja zum Glück nicht, die sind nicht als Verein organisiert.
Fritz Brehm, Frankfurt
Die Politik ist gefordert, das Unrecht zu beseitigen
Die AfD „wirkt“. Sie wirkt gegen „links“. Jetzt werden die „Folterinstrumente“, die die „Abgabenordnung“ vorhält, gegen die alte und im Kampf gegen Rechts versierte VVN/Bund der Antifaschisten eingesetzt. Welcher linke Verein wird der nächste sein? Es reicht die Erwähnung in einem Länderverfassungsschutzbericht als „extremistisch“ um der steuerlichen Gemeinnützigkeit verlustig zu gehen. Einmal mehr zeigt sich mir, wie demokratisch nicht legitimierte „Verfassungsschützer“ der „Verfassungsschutzämter“ operieren können. Es braucht dafür aber auch die Politik, die das – „wenn es gebraucht wird“ – aufgreift. – Eine Regelung, die gegen Nazis greifen sollte, trifft jetzt die Linke und ein Länderfinanzamt meint diese Regelung nutzen zu müssen. Und das in einer Situation, in der nicht unwesentliche Teile der CDU/CSU sich zur völkisch-nationalistischen „AfD“ hin orientiert und eine dramatische Rechtsentwicklung in Deutschland zu beobachten ist?
Dass viele gar nicht „selbstlosen“ unternehmernahen Lobbyisten-Vereine weiterhin ihre Gemeinnützigkeit behalten kann, stört dabei nicht. Die „Politik“ ist gefordert, dieses Unrecht zu beseitigen. Ich bin da nur nicht sehr opitimistisch. Der SPD-Bundesfinanzminister muss sich genau überlegen, was er will. Das Berliner Finanzamt für Körperschaften I arbeitet unter den Bedingungen einer zumindest linksliberalen Landesregierung, die die Partei die Linke miteinschließt … – Die unappettitliche AfD wird die Aberkennung der Gemeinnützigkeit eines erfahrenen politischen Gegners, der in die Ecke der Verfassungsfeinschaft gedrückt wird, erfreut zur Kenntnis nehmen und kann ungestört eine demnächst mit fetten Staatsgeldern gefütterte „rechtsnationale“ Parteistiftung weiter aufbauen.“
Thomas Ewald-Wehner, Nidderau
Die Verteidigung der demokratischen Gesellschaft
Gemeinnützigkeit, VVN-BdA: „Attacke gegen Attac“, FR-Wirtschaft vom 7. Dezember. Der folgende Leserinbrief wurde im FR-Leserforum am 14. Dezember veröffentlicht.
Ich kann es nicht fassen! Dem Verein der Verfolgten des Naziregimes wird vom Finanzgericht Berlin die Gemeinnützigkeit entzogen, es drohen Steuernachzahlungen in 5stelliger Höhe!
In einer Zeit, da Nazis morden, Journalisten und Andersdenkende bedrohen, Amtsträger ihre Ämter niederlegen, um sich und ihre Familie zu schützen, Beleidigungen und wüste Hassmails auf Menschen, die in der Öffentlichkeit Demokratie und offene Gesellschaft verteidigen, niederprasseln, in Polizei und Bundeswehr rechtsradikale und rassistische Tendenzen aufgedeckt werden, wird der VVN die Gemeinnützigkeit entzogen. Und das mit fadenscheinigen Gründen, weil eine nachgeordnete Behörde (der bayrische Verfassungsschutz) den Verein als verfassungsfeindlich einschätzt, obwohl der bayrische Gerichtshof diese Meinung nicht teilt.
Die VVN hat in den letzten beiden Jahren „Stammtischkämpfer“ ausgebildet. Das sind Menschen, die über die rassistischen, fremdenfeindlichen, gewalttätigen Erscheinungen in unserer Gesellschaft erschrocken sind, insbesondere darüber, dass diese inzwischen so hoffähig geworden sind, dass sie auch im eigenen Bekanntenkreis ohne Scham geäußert werden. Und diese Menschen wollten lernen, wie man solchen Sprüchen am besten entgegentreten kann, und zwar wirksam. Was, bitte, ist daran verfassungsfeindlich? Was berechtigt das Finanzamt Berlin, eine solche Entscheidung zu treffen gegen die Nachkommen von Verfolgten des Naziregimes?
Was ist da los? Wieso bezieht Finanzminister Scholz, der SPD-Vorsitzender werden will, nicht in aller Öffentlichkeit eine Gegenposition und verteidigt diejenigen, die die demokratische Gesellschaft verteidigen?
Und dann plant er ja anscheinend auch noch über die Änderung der Abgabenordnung einen Maulkorb für alle, die, oft unter großer Anstrengung, jedenfalls aber mit hohem ehrenamtlichen Engagement sich um die Stabilisierung der aus den Fugen geratenden Gesellschaft bemühen und am Zusammenhalt anstatt an der Spaltung arbeiten.
Herr Scholz, unterstützen Sie die VVN und alle anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, auch diejenigen, die den wirtschaftsliberalen Mainstream zu kritisieren wagen oder klar Position gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und damit auch Menschenfeindlichkeit beziehen! Das heißt: Rücknahme der Entscheidung gegen die VVN! Änderung der Abgabenordnung durch Erweiterung des Rechts auf politische Stellungnahme und nicht dessen Einschränkung!
Marianne Friemelt, Frankfurt
Mangelhaftes Geschichtsbewusstsein
Zu „Finanzamt entzieht Antifaschisten Gemeinnützigkeit“ und Gastwirtschaft: „Attacke auf Attac“, FR-Wirtschaft vom 7.12. Die beiden folgenden Leserbriefe wurden im FR-Leserforum am 12. Dezember veröffentlicht.
Das Finanzamt des Landes Berlin entzieht dem linksdemokratischen Verein VVN-BdA, der seit Jahren Aufklärung über Rechtsextremismus in Vergangenheit und Gegenwart betreibt, die Gemeinnützigkeit. Bei der Erledigung ihrer Kernaufgaben hingegen ist diese Behörde bislang nicht besonders aufgefallen. Etwa mit Maßnahmen gegen national und international agierende Finanzverbrecher, die Cum-Ex-Geschäfte betreiben. Oder die mittels Briefkastenfirmen die Vermögen von Menschen-, Rauschgift- und Waffenhändlern „waschen“. Eigentlich müsste das Vorgehen gegen Kriminelle, welche der BRD Milliarden Steuern entziehen, zu den zentralen Arbeitsfeldern der Finanzverwaltung zählen. Aber hier scheint ein Paradigmenwechsel stattgefunden zu haben.
Auch der Verweis des Amtes auf Beobachtungen von VVN-BdA durch den Verfassungsschutz rechtfertigt nicht den Entzug der Gemeinnützigkeit. Eher zeigt er ein mangelhaftes Geschichtsbewusstsein. Denn der Verein wurde gegründet von Überlebenden der NS-Vernichtungs- und Konzentrationslager aus dem linken Spektrum. Neben den rassisch Verfolgten waren es Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, welche der Brutalität des Nazi-Staats besonders ausgesetzt waren. Dass die VVN in den 1950er und 1960er Jahren vor allem Beifall aus der DDR erhielt, lag an der planmäßig betriebenen Ausgrenzung linker Widerstandskämpfer in der Adenauerzeit. Während dieser Epoche wurden ehemals führende NSDAP-Mitglieder wie Hans Globke oder Theodor Oberländer hofiert. Der Verfassungsschutz muss sich nachsagen lassen, anfangs auch ehemalige Angehörige von Gestapo, SS und SD rekrutiert zu haben. Im Zuge des sich verschärfenden Kalten Kriegs sahen die Alliierten über diese Schönheitsfehler hinweg. Eher selten mussten Altnazis ihre Ämter aufgeben. So wie Hubertus Schrübbers, der von 1955 bis 1972 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war. Der Hass gegen Linke und die klammheimliche Zustimmung zu Faschisten scheint sich dort jedoch verfestigt zu haben. Ich denke beispielsweise an die undurchschaubare Rolle des hessischen Verfassungsschutzes in Sachen NSU.
Das Handeln des Berliner Finanzamts befindet sich offensichtlich in Übereinstimmung mit Plänen des Bundesfinanzministeriums, Vereinen, die sich politisch äußern, die Gemeinnützigkeit zu verweigern bzw. zu entziehen. Dass dies unter Verantwortung eines sozialdemokratischen Ministers geschieht, ist ein Armutszeugnis für den geistig-moralischen Zustand dieser Republik. Olaf Scholz, der sich um den SPD-Vorsitz bewirbt, betreibt das Geschäft der AfD.
Klaus Philipp Mertens, Frankfurt.
Es geht um den Abbau von Demokratie und Recht
An einem 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, darf auch mal hierzulande die Frage nach Gerechtigkeit, Finanzordnung, Steuern, Gemeinnützigkeit gestellt werden. Wagenknecht stellt den Zusammenhang fast bedrückend und alarmierend in der Gastwirtschaft der FR her. Die Gerechtigkeit ist immer Illusion, strittig und hat nicht nur eine Sichtweise bzw. vor allem Interessen und die Macht, sie durchzusetzen. Ohne den Gedanken bleibt alles moralisierendes Geschwafel über Gerechtigkeit und Menschenrechte.
Wie können Einkommen, Löhne, Armut und Reichtum, Profite usw. gerecht sein, wenn sie sich nicht annähernd mehr mit Leistung erklären? Wie kann ein Steuersystem gerecht sein, in der die ärmste Rentnerin auf ihr täglich Brot mehr Steuer zahlt als der Großaktionär auf seine Aktiengewinne? Wie kann gerecht empfunden werden, wenn Erbschaftssteuer ungerecht sein soll für Nachkommen von Milliardären, die nichts erarbeitet haben und deren Milliarden auch nicht mehr auf eigner Arbeit beruhen? Wie kann gerecht sein, jedem Normalrentner seine Rente in die Besteuerung zu bringen, während die reichsten der Reichen, die Spekulanten und Profiteure betrügen, verbergen, kriminelle Cum-Ex-Geschäfte fast legal betreiben können, und einer, der das aufdeckt, sogar weggesperrt wird, wie geschehen? Es geht nicht nur um Gerechtigkeit. Es geht um Abbau von Demokratie und Recht grundsätzlich, wenn kritische und aufklärende Organisationen die Gemeinnützigkeit aberkannt bekommen. Es ist schließlich der pure Zynismus, Hohn und Spott, wen sich die Eliten des Landes in Spendengalas bewundern lassen, ein Herz für Kinder haben wollen, die selbst zulassen, dass nicht nur Kinderarmut in diesem Lande ein bedrückendes Thema ist. Gerechtigkeit für wen?
Roland Winkler, Aue
Die Zerstörung demokratischer Infrastruktur
Zu: „Finanzamt entzieht Antifaschisten Gemeinnützigkeit“ und „Demokratie im Zangengriff“, FR-Politik und -Meinung vom 23. November. Die folgenden drei Leserbriefe wurden am 2. Dezember im FR-Leserforum veröffentlicht.
Das Thema Gemeinnützigkeit treibt bunte Blüten. Nun ist auch der „Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Ich kann kaum glauben, dass das im Interesse des damaligen Finanzministers Schäuble stand, als er sich an seinem Lieblingsfeind Attac abarbeitete und den Bundesfinanzhof dazu bewegte, ein Gerichtsurteil des hessischen Finanzgerichts überprüfen zu lassen. Das hessische Gericht hatte Attac bescheinigt, dass sein Wirken, entgegen der Auslegung des Finanzamtes, den Kriterien der Gemeinnützigkeit entspricht, und somit Spenden an Attac weiterhin steuermindernd zu berücksichtigen sind. Der Bundesfinanzhof hat die seit über 40 Jahre gültige Abgabenordnung (AO) dann enger ausgelegt, was seit Anfang diesen Jahres zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac, Campact und nun den Antifaschisten geführt hat.
Alle demokratischen Kräfte müssen doch eigentlich auf die Barrikaden gehen, wenn die Politik den kritischen, zivilgesellschaftlichen Organisationen den finanziellen Boden entziehen will. Während die Wirtschaftsverbände und die Industrie ihre Lobbyarbeit steuerbegünstigt durchführt, dürfen Privatpersonen, die sich politisch über zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren wollen, ihren finanziellen Aufwand nicht steuerlich geltend machen. Dieser Lobbyismus dient, nach der Aussage des Bundesfinanzhofs, keinen gemeinnützigen Zwecken, da er politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt. Ja was denn sonst? Natürlich wollen die Bürger gehört werden und Einfluss nehmen.
Was verfolgt den beispielsweise der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, wenn er den Lobbyverein „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ mit einer Anschubfinanzierung von 100 Mio. Euro steuerwirksam unterstützt? Er will die Verbreitung seiner politischen Ziele und will Einflussnahme auf politische Willensbildung nehmen. Und genau diese dürfen nach der gültigen AO und der umstrittenen engen Auslegung des Bundesfinanzhofs zivilgesellschaftliche Organisationen nicht, bzw. sie verlieren dann ihre Gemeinnützigkeit. Damit wird das ohnehin vorhandene finanzielle Ungleichgewicht noch weiter zugunsten der Wirtschaft verschoben.
Das, was unsere Politiker gerne in totalitären Staaten bemängeln, dass kritische Organisationen und Oppositionelle unterdrückt und finanziell ausgeblutet werden, wird auch bei uns zum Schaden der Demokratie und der demokratischen Willensbildung praktiziert. Der SPD Finanzminister Scholz muss die AO endlich so ausgestalten, dass die zivilgesellschaftliche Organisationen die gleichen Rechte, wie z.B. Wirtschaftsverbände haben und, genau wie diese, mit ihren Aktionen Einfluss auf die demokratische Willensbildung nehmen dürfen.
Dieter Murmann, Dietzenbach
Kaum diskutiert und unbeachtet durchgesetzt
Wenn die politische Basis sich auf gemütliche Weihnachtsfeiern vorbereitet, nutzt das politische Berlin die ruhige Zeit für das möglichst unbeachtete Durchsetzen kaum diskutierter Pläne. Das vorrangige Ziel 2019 scheint die Zerstörung demokratischer Infrastruktur zu sein. Scholz nimmt politisch kritischen Vereinen wie attac, Campact oder VVN-BdA die steuerbefreiende Gemeinnützigkeit und Scheuer peitscht sein Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) durch die Gremien, damit baldmöglichst Bürger und Bürgerinitiativen zugunsten besserer Durchsetzbarkeit von Projekten massiv bisherige Klagerechte verlieren.
Manfred Alberti, Wuppertal
Unterstützung für die VVN – jetzt erst recht!
Mit Fassungslosigkeit und Empörung lasen wir in der FR vom 23.11.2019, dass der VVN-BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, unter der Verantwortung eines SPD-Finanzministers Scholz. Die VVN ist die einzige überparteiliche Organisation von Opfern und aktiven Gegnern des Naziregimes, von befreiten KZ-Häftlingen 1947 in Frankfurt am Main gegründet. Sie betreibt aktiv Aufklärungsarbeit gegen faschistische Entwicklungen in Deutschland, tritt seit Jahrzehnten in Schulen mit ZeitzeugInnen und ReferentInnen auf – und das soll jetzt auf einmal nicht mehr gemeinnützig sein, während rechtspopulistische und Naziparteien im Vormarsch sind, Rüstungslobbyorganisationen und Bünde ehemaliger Wehrmachtsoldaten hingegen weiter als gemeinnützig anerkannt bleiben. Mit diesem Schritt sind regierungsoffizielle Verkündigungen, man solle und wolle Kriegshetzern, Rassisten und Neonazis mutig gegenübertreten, restlos unglaubwürdig. Man muss sich gegenüber ausländischen Freunden für diese Republik und ihre Minister schämen – und man sollte die VVN unterstützen, jetzt erst recht!
Annette Püntmann und Gebhard Hofner, Münster
Kämpferischer Markenkern
Zu:„Finanzamt entzieht Antifaschisten Gemeinnützigkeit“, FR-Politik; „Demokratie im Zangengriff“, FR-Meinung, 23.11. Die folgenden drei Leserbriefe wurden im FR-Leserforum vom 27. November veröffentlicht.
Ein globaler Rechtsruck ist anhand vieler Vorgänge festzumachen. Der „neoliberalisierte“ Kapitalismus – auch nett und wertfrei „Globalisierung“ genannt – gebiert immer neue Monster. In südamerikanischen Ländern – in der FR nachzulesen – kostet das gegenwärtig vielen Menschen das Leben. – Hierzulande hetzt eine völkisch-nationale AfD ausländerfeindlich mit bis zu 25% Wahlzustimmung und die sich dagegenstemmenden schwachen linken Strukturen werden mit Entzug der Gemeinnützigkeit ihrer finanziellen Basis beraubt. Jetzt ist nach „attac“ etc. der verdienstvollen VVN/Bund der Antifaschisten die Gemeinnützigkeit entzogen worden. Einer Organisation, die sich seit jeher im Schwerpunkt dem „Gedanken der Völkerverständigung“ in der Praxis und verbandlichen Arbeit verbunden fühlt. Daneben fördert dieser Antifa-Bund weitere explizit steuerlich anerkannte gemeinnützige Zwecke: „Förderung internationaler Gesinnung (…) und des Völkerverständigungsgedankens“; „Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge (…)“; „Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“ etc. (vgl. „Abgabenordnung“ – § 52)
Dass die Erwähnung als „extremistisch“ in einem Verfassungsschutzberichtes eines Bundeslandes (hier: Bayern) eine steuerlich so weitgehende Entscheidung eines Berliner Finanzamtes für „Körperschaften I“ möglich macht, kann ich ernsthaft nicht nachvollziehen. – Nachweislich hat gerade die VVN/Bund der Antifaschisten die Steuervergünstigungen, die die Abgabenordnung benennt, verdient. Die Ziele, die die VVN versucht zu erreichen, können gerade nicht „unpolitisch“ erreicht werden; es gibt keine „unpolitische“ Völkerverständigung und Demokratieförderung. Die tagtägliche Bekämpfung menschenverachtender Nazi-Ideologie und Nazi-Ideologen ist quasi der „Markenkern“ der VVN. Es müssen auch Heute die Gründe benannt werden, warum der „Schoß bis heute noch fruchtbar ist“. Und dazu gehört auch eine gehörige Portion „Antikapitalismus“, der den „Antifaschismus“ erst nachvollziehbar macht. Dieses Engagement als „extremistisch“ zu diffamieren, wie es die bayerischen Schlapphüte tun, begünstigt das Wachsen und die Zunahme von Rechtsextremismus, der zuletzt in Halle mörderisch unterwegs war. Die skandalöse Berliner Finanzverwaltungsentscheidung, die den bayerischen Verfassungsbericht bemüht, muss schleunigst kassiert werden damit sich die VVN voll ihrer eigentlichen antifaschistischen Arbeit widmen kann!“
Thomas Ewald-Wehner, Nidderau
Unerlässliche Arbeit gegen rechts
Diese Attacke ist ein Schlag in die Magengrube. Wird nicht gerade von der SPD fast täglich, und das mit Recht,
darauf hingewiesen wie wichtig,geradezu unerlässlich, die Gruppen und Vereinigungen sind, die sich mit ihrer Arbeit gegen Rassismus, Antisemitismus und andere rechtslastige Vereinigungen wenden. Es kann und darf nicht im Sinne der Demokraten sein, dass nun auch der „Vereinigung der Naziverfolgten“ die Gemeinnützigkeit abgesprochen wird. Besonders hinterhältig der Einzug sehr hoher Beträge für Rückzahlungen an die Steuer. Das Entsetzen über Finanzminister Olaf Scholz, der anscheinend das Geschichtsbuch nicht gelesen hat, wird hoffentlich riesengroß sein!Der Applaus kommt prompt von der AFD. Kann das gewollt sein?!
Heide Dorfmüller, Düsseldorf
Militärisch-strategische Neuausrichtung?
Es ist einfach skandalös, wenn die Finanzverwaltung nach Attac und Campact jetzt auch noch der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entziehen will. Eine Organisation, die sich seit vielen Jahrzehnten äußerst gemeinnützig für Frieden und gegen Faschismus einsetzt. Artikel und Kommentar in der FR klären dazu auf.
Wir sollten uns allerdings auch unbedingt anschauen, dass zum Beispiel die “Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik” (DWT) in Bonn als gemeinnütziger Verein anerkannt ist, es auch bleiben soll und dadurch bedeutende Steuervorteile erlangt. Spenden können steuerlich geltend gemacht werden. Die DWT ist ein von der Rüstungsindustrie dominierter Lobbyverband und fühlt sich der “sicherheitspolitischen ‘Community’ der BRD, der EU und der NATO” zugehörig (DWT). Auf ihrer Internetseite lobt sie ihr umfangreiches und vielfältiges Netzwerk aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung, Medien und Bundeswehr. Die DWT hat ca. 275 fördernde und ca. 840 persönliche Mitglieder. Ein kleiner Auszug aus der sehr langen Liste der fördernden Mitglieder: Krauss-Maffei Wegmann, Airbus Defence und Daimler AG, Heckler & Koch und SIG Sauer, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG und Ernst & Young, SAP, IBM, Panasonic, TÜV Rheinland usw. Der Vorsitzende ist Rainer Schuwirth, General a.D., im Präsidium sitzen Mitglieder des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU) ist Vizepräsident des Präsidiums und verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, Rainer Arnold (SPD) Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Sprecher seiner Fraktion. Das ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Absicht der Finanzverwaltung ist klar: Organisationen, die sich kritisch bis ablehnend zur Militarisierung der Gesellschaft verhalten, sollen kaltgestellt werden, im Gegensatz zu denen, die militärisch fördernd unterwegs sind. Das ist ganz im Sinne der deutschen Kapitalinteressen, speziell der Rüstungsindustrie und von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die bei der Bevölkerung für “die geplante militärisch-strategische Ausrichtung … eine gewisse Entwöhnung” feststellt, die wieder rückgängig gemacht werden müsse (FR vom 12.11.2019).
Wenn wir eines ganz sicher nicht brauchen, dann ist es die staatliche Förderung von Organisationen wie der “Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik”.