Sollen wir das Video von den beiden im Irak entführten Deutschen zeigen? In unserer Online-Ausgabe hätten wir durchaus die Möglichkeit dazu. Ist es nicht unsere Aufgabe, solche Zeit-Dokumente zu veröffentlichen, damit jeder sich selbst ein Bild machen kann? Oder machen wir uns damit zu Handlangern des Verbrechens, denen wir nur den Gefallen tun, ihre Schreckensbotschaft massenhaft zu verbreiten?
Eine Frage, die innerhalb der Redaktion, in diesem Fall namentlich der Online-Redaktion, kontrovers diskutiert wurde. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis dieser Diskussion ist ein Patt. Die einen meinen, unsere Pflicht zur Dokumentation überwiege. Ihre Unterlassung hätte etwas von Selbstzensur an sich. Die anderen halten diese Entscheidung vor allem für eine Frage der Seriösität. Und wer glaube, sich dieses Video wirklich antun zu müssen, der finde es ohnehin irgendwo im Internet. Schon das Foto des Ex-Diktators Saddam Hussein mit der Schlinge um den Hals, das die FR veröffentlicht hatte, habe diese Grenze überschritten, meinten seinerzeit einige in der FR-Redaktion.
Wir haben uns entschieden, das aktuelle Entführer-Video nicht bei FR online veröffentlichen. Eine Stellungnahme zu diesem Thema erfolgt hier gleich durch Stephan Hebel, unseren Textchef.
Ich gehöre zu denen, die es klar ablehnen, zur Verbreitung dieses Videos beizutragen. Ich kann – Entschuldigung, liebe andersdenkende Kollegen – das Argument von der „Pflicht zur Dokumentation“ schon bald nicht mehr hören. Selbstverständlich hat diese Pflicht da ihre Grenzen, wo die ethischen Grundsätze des Journalismus berührt sind. Ohne diese Grundsätze – sie sind im Kodex des Deutschen Presserats festgeschrieben – ist ein verantwortlicher Gebrauch der Pressefreiheit für mich nicht denkbar, wenn man sich dem Sensationalismus und Voyeurismus, der unter dem Deckmantel der „Dokumentationspflicht“ in manchen Medien praktiziert wird, nicht anschließen will.
Ich empfehle die Ziffer 11 des Kodex und die Richtlinien dazu. Da steht klar, dass wir uns nicht zum Werkzeug von Verbrechern zu machen haben und dass wir mit dem Leid von Opfern äußerst behutsam umgehen müssen.
Wir haben ein Standbild aus dem Video gezeigt, weil wir – auch ich – der Meinung waren, man könne auf diese Weise die Situation dokumentieren, ohne die Verzweiflung der Geiseln auszuweiden. Auch das hat bei manchen Kollegen Bauchschmerzen ausgelöst, die gern – wie die Deutsche Welle -ganz auf Bebilderung verzichtet hätten. Mit dem, was wir gemacht haben, standen wir dann in einer Reihe mit allen anderen seriösen Medien, vom ZDF bis Spiegel Online.
Noch einmal: Wer derartige Freiheiten wie die Presse hat – und durchaus einiges an Macht -, der muss sie verantwortlich nutzen, wenn er nicht diejenigen auf den Plan rufen will, die die Freiheit gern beschränken würden. „Anything goes“, das hat mit Information im aufklärenden Sinn nichts zu tun.
Für die Ein Euro Vierzig, die ich morgens dem Rundschau-Dealer meines Vertrauens gebe, möchte ich nicht für dumm verkauft, sondern so umfangreich wie möglich, aber auf jeden Fall wahrheitsgemäß, informiert werden.
Wenn ich den Autor eines Berichts als vertrauenswürdig einschätze, gehe ich davon aus, dass seine Schilderung eines Sachverhaltes vollständig ist und der Wahrheit entspricht. Dann benötige ich weder ein Foto, noch bewegte Bilder zur Überprüfung seiner Glaubwürdigkeit.
Leider haben jedoch in allen Medien verantwortungslose Pseudo-Journalisten den Berufsstand derart in Verruf gebracht, dass ein blindes Vertrauen in Wahrhaftigkeit und Vollständigkeit des gelesenen Wortes seltener als bisher angezeigt ist. Dann bedarf es schon der Untermauerung des Geschriebenen durch Fotos oder Video.
Ob nun die Aufnahmen von den Geiseln „Unbeschreibliches“ zeigen, weiß ich nicht, gehe aber davon aus, dass das, was zu sehen ist, von einem guten Journalisten auch genau so gut mit Worten geschildert werden kann.
Grundsätzlich sollten betroffene Personen doch wohl selbst entscheiden dürfen, ob ein von ihnen gefertigtes Video veröffentlicht wird. Wenn sie – wie die Geiseln hier – dazu nicht in der Lage sind, müsste die Entscheidungsbefugnis auf ihre Angehörigen bzw. Bevollmächtigen übergehen.
@2
Hinzuzufügen wäre lediglich, dass „das Leid“ ohnehin nicht in Bild und Ton dargestellt werden kann.
Liebe Journalisten der FR, bitte beschränkt Euch auf die eigentliche Aufgabe, die Ihr m.E. habt: die Darstellung über das WAS, WANN und WO, das WARUM könnt Ihr auch in Eurem Medium verarbeiten: die Rubriken „Kommentar“, da weiss ein Jeder, es einzuordnen.
Bitte verschont mich (für Andere kann ich nicht sprechen) von reisserischen Bildern und Videos, die man von der Zeitung mit den vier Buchstaben oder den meisten privaten TV-Sendern kennt.
Terrorgruppen sehen die Öffentlichkeit als wichtigen Aufmerksamkeitswert. Nur so können sie politischen Druck aufbauen.
In den Zeiten des „Handy-Journalismus“ finden „Sensationsmeldungen“ mehr Beachtung, die tägliche Medienflut stumpft die Menschen ab, da finden nur noch ungewöhnliche und brutale Bilder Beachtung. Die seriöse Berichterstattung sollte sich nicht an der Verbreitung von Videos und Bildern dieser Art beteiligen.
Nein, muss nicht sein. Eine genaue Beschreibung der Vorgänge genügt.
Aber die Beschreibung sollte wirklich eine Vorstellung des Geschehens vermitteln. Obwohl das jetzt nicht unbedingt hierher gehört, weiß ich noch immer nicht, welche “beleidigende Geste“ der Bayernspieler bei Real nach seinem Tor Richtung Zuschauer machte. TV-Bilder habe ich nicht gesehen und die FR hat mir das, außer obiger Formulierung, auch nicht gesagt.
Man darf also bei der Berichterstattung über visuelle Szenen nicht davon ausgehen, der Leser wird s schon irgendwo gesehen haben. Gruß. Walthor
@ Walthor #5
Das Merkmal des Sportteils ist ja leider ellenlanges Geschwafel ohne großen Informationswert. Wahrscheinlich betrachtet die Redaktion die eigenen Beiträge tatsächlich nur als Ergänzung zu dem Grundwissen, das der Leser bereits aus anderen Quellen gewonnen hat.
Ich stimme Ihnen, Herrn Hebel, vollkommen zu. Allerdings bin ich fassungslos darüber, dass die Veröffentlichung von Redaktionsmitgliedern der FR überhaupt in Erwägung gezogen wurde! Eine Zeitung, die dieses Video veröffentlichen würde, hätte mein Vertrauen verloren.
Yeti schreibt „Grundsätzlich sollten betroffene Personen doch wohl selbst entscheiden dürfen, ob ein von ihnen gefertigtes Video veröffentlicht wird.“
Dieser Äußerung kann ich nur eingeschränkt zustimmen. Was für alltägliche, private Filme gelten mag, lässt sich keinesfalls auf das hier besprochene Video beziehen, da es ethische Fragestellungen berührt.
Die Gründe dafür erklärt uns Julian Nida-Rümelin. In „Über die menschliche Freiheit“. schreibt er: „Demütigen heißt die Selbstachtung eines Menschen zu beschädigen. (…) Die enge Verkoppelung von Demütigung und Selbstachtung in einer normativen Theorie der Menschenwürde impliziert, dass es möglich ist, dass Menschen gedemütigt wurden, ohne sich gedemütigt zu fühlen und umgekehrt, dass Menschen sich gedemütigt fühlen, ohne gedemütigt worden zu sein. (…) Auch solchen Menschen gegenüber, denen ein verächtlicher, menschenunwürdiger Umgang nichts anhaben kann, sind wir zu einem menschenwürdigen Verhalten verpflichtet.(…) Ein menschenwürdiger Umgang demütigt nicht, er beschädigt die Selbstachtung anderer Personen nicht.“ (Nida-Rümelin 2005, 141 f)
Entführungsopfer werden von den Tätern für ihre Zwecke missbraucht, die Demütigung ist also charakteristisch für eine Entführung. Die Video-Aufnahme dokumentiert nicht nur die Demütigung der Opfer, sie demütigt die Entführten ein weiteres Mal durch die Videoaufnahme selbst, indem sie ihre Menschenwürde missachtet und ihnen grundlegende Menschenrechte verweigert. Durch eine Veröffentlichung werden die Medien zu Handlangern der Täter. Ich möchte sogar soweit gehen zu sagen, dass durch eine Veröffentlichung der Videos jeder Mensch gedemütigt werden würde(ohne sich womöglich darüber bewusst zu sein), der das Video betrachtet, da er sich in dem Moment von den Tätern für ihre Zwecke benutzen lässt.
Liebe Susanne,
nachdem ich deinen Beitrag gelesen, fand ich meine Äußerung, es sei alles zum Thema gesagt, doch etwas voreilig.
Man hat übrigens zwar das Recht, seine Meinung in Wort und Schrift ungehindert zu äußern, aber nicht das Recht, eine Veröffentlichung durch die FR zu verlangen, wie es ja penetrante Leserbriefschreiber offenbar meinen, lieber Yeti.
Du bedarfst, Susanne, im vorliegenden Fall nicht meiner philosophischen Anregung, ich habe im Gegenteil von deinen und Nida-Rümelins Überlegungen gelernt.
Könnten wir aber vielleicht folgendes noch schärfer zu fassen versuchen:
Bei den Vorfällen in Abu Ghraib ging es doch genauso auch um die Dokumentation der Demütigung der Opfer sowie um die zusätzliche Demütigung durch die dokumentation der Demütigung und die zusätzliche Demütigung durch die Veröffentlichung der Dokumentation. War auch hier die Veröffentlichung, die in diesem Fall die Missstände aufdeckte, ethisch bedenklich bzw. verwerflich?
Grüße
Heinrich
@ heinrich
Der Unterschied ist aber doch gewaltig:
Das Entführer-Video wurde von den Tätern selbst absichtlich in Umlauf gebracht, während die Dokumentation zu Abu Ghraib gegen den Willen der Täter seinen Weg in die Öffentlichkeit fand. Ohne die Veröffentlichung der Standbilder aus Abu Ghraib würde wohl noch heute dort gefoltert, und die Verantwortlichen könnten jede unmenschliche Behandlung der Gefangenen treuherzig bestreiten.
Deine Frage sollte im Idealfall von den Betroffenen selbst beantwortet werden. Weil die nicht zur Verfügung stehen, erlaube ich mir die Vermutung, dass sie -wenn schon die bisherige Folter nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte- einer Veröffentlichung der von ihnen gemachten Fotos zugestimmt hätten, um weitere Folter abzuwenden und bei einer Entlassung nicht als Lügner dazustehen.
In ihrer Lage war ihnen der „Kodex des deutschen Presserates“, selbst wenn er ihnen geläufig gewesen wäre, sowas von egal.
@ Yeti
Ich würde dir insoweit folgen, dass, sollten seriöse und verantwortungsbewusste Presseleute eine veröffentlichung für angebracht halten, das nicht ohne oder gar gegen den Willen von Betroffenen geschehen sollte. Umgekehrt steht den Journalisten mit der Verantwortung aber zugleich eine entscheidungsgewalt über die Veröffentlichung zu. Die kann nicht blindlings in der Hand von Betroffenen liegen.
Der Rest deiner Ausführungen trifft meine Frage nicht ganz. Die Unterschiede sind mir natürlich klar, gleichwohl werden die Opfer durch die weltweite Veröffentlichung der Abu-Ghraib-Bilder extrem in ihrer Würde verletzt und insofern nochmals gedfemütigt.
Das Problem scheint mir hier in der Unzuverlässigkeit von Strafverfolgungsbehörden und Justiz zu liegen, die die Medien in ihrer Korrektiv-Funktion herausfordert. Sonst könnte die Dokumentation solcher Vorgänge ohne allgemeine Veröffentlichung einfach der Justiz übergeben und auf eine Bestrafung der Täter und Abstellung der Missstände vertraut werden.
Zu dem ganzen Komplex fällt mir auf, dass seinerzeit das Entführer-Video der RAF mit Hanns-Martin Schleyer allseits veröffentlicht wurde und heute noch in keiner Dokumentationssendung über die RAF fehlt, ohne dass ich je eine Kritik daran vernommen hätte.
Das Video ist doch im Netz längst zu sehen, während die FR darüber diese Geisterdiskussion führt. Obwohl es für jedermann verfügbar ist, schaue ich es mir nicht an. Das aber ist meine freie Entscheidung; die alten Medien als pädagogische „Gatekeeper“ für ein als unmündig erachtetes Publikum spielen in solchen Fragen keine Rolle mehr – und sie hinken zukünftig in Sachen Aktualität immer hinterher …
@ Geisterdiskussion
Wenn wir es nicht machen, machen es andere. Deshalb lasst uns alle anderen Prinzipien über Bord werfen, Hauptsache, wir sind unter den Schnellsten und Aktuellsten!
@12
Es hat doch keinen Sinn, die Augen vor der Realität zu verschliessen: es ist nun mal so! Das soll natürlich niemanden davon abhalten, die Möglichkeiten NICHT zu nutzen bzw. die Darstellungen anzuprangern.
@ heinrich: Darum geht es doch gar nicht. Aber als eine Monade im großen ‚Publikum‘ gebe ich mir faktisch meine ‚Presseethik‘ jetzt selber, ja, ich muss dies sogar tun, weil die Medienlage so ist, wie sie ist: Alles ist mir und allen anderen auch zugänglich. Für die Journalisten heißt dies, dass sie keine Gouvernanten für den Lesepöbel mehr sein können – ob zu unserem Wohl oder Wehe, das weiß ich auch noch nicht.
@14
Wenn es Sie so sehr frustriert, sich mit profanen Dingen zu beschäftigen, scheint mir, dass Sie das falsche Ressort gewählt haben (ist nur so mein persönliher Eindruck). Der Wettbewerb ist zugegebenermassen hart, z.Tl spielen auch nicht alle mit fairen Mitteln, aber alle Journalisten müssen damit leben und ich glaube, viele Leser wissen das zu erkennen und zu unterscheiden.
Was Sie jedoch mit dem Begriff „Lesepöbel“ gemeint haben, entzieht sich meinem Verständnis.
@ Chat Atkins 14.
Ich kann deinen Überlegungen durchaus etwas abgewinnen, sie sind mir aber zu allgemein. Es geht ja im konkreten fall nicht um das Vorenthalten von Informationen – eine solche der Zensur nahe kommende Funktion möchte ich den Journalisten keineswegs zubilligen – sondern um das Wie der Darbietung. Dabei finde ich die Sorge um eine „Beteiligung am Verbrechen“ auch überhöht.
Andererseits sind Zeitungen und öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten spezifische Medien und nicht einfach nur, wie das Internet, Plattformen für die Weitergabe aller beliebigen Informationen, und Journalisten sind verhinderte Schreiftsteller, die wie diese einem bestimmten Publikum etwas Bestimmtes sagen wollen, nach bestimmten ethischen und ästhetischen Kriterien, die sie dann ggf. durch den Presserat verallgemeinernd zusammenfassen.
Ich als Rezipient wiederum suche mir bestimmte Medien und deren Macher zu meiner Information und Unterhaltung aus. Ich hätte keine Lust, mich in ARD und ZDF durch den Wust von Trivialem und Geschmacklosem zu wühlen, wie es die Privaten darbieten, sondern bin dankbar für die Vor-Auswahl, an der ich dann ggf. Kritik habe. Diese Kritik geht aber eher in die Richtung einer zu weit gehenden Angleichung an die Privaten und das Internet.
Das sage ich, wohlgemerkt, nicht als Medienkritiker, sondern als Konsument mit Vorlieben und Interessen.
Ja, das ist die gute, alte Vorstellung von einem Journalismus, der dem Guten, Wahren, Schönen – kurz: der Aufklärung – verpflichtet ist, der aber nur noch in Rudimenten die Medienlandschaft ziert. Herrschend ist heute der „moderne Qualitätsjournalismus“ (Copyright Bund deutscher Zeitungsverleger) mit seinen Medialhappen für den kleinen Hunger zwischendurch, ganz ohne diätbrechende Perspektive wohin, wozu oder wieso …
Mit „Lesepöbel“ ziele ich selbstironisch auf die Verachtung eines Publikums, zu dem ich mich zähle, und die unter Journalisten Usus ist. Je „edelfedriger“ übrigens, je doller …
@17
.. aber wird irgend etwas besser, wenn man sich nur seinem Frust hingibt und in Selbstmitleid versinkt?
Übrigens: auch wenn Sie’s nicht glauben, Frust gibt es auch in anderen Berufszweigen.
Generell zur Präsentation von Videos in der Online-Ausgabe:
Anfang der 90er Jahre habe ich mich für Theodore Kaczynski interessiert, den so genannten Unabomber. Damals war ich noch in Compuserve-Foren unterwegs – und in denen suchte ich sein „Manifest„. Sein Elaborat zur Kritik an der modernen Industriegesellschaft war von Journalisten und Wissenschaftlern überwiegend als krudes Werk eines kranken Genies dargestellt worden. Das aber wollte ich selbst überprüfen. Ich fand den Text und konnte nun das, was mir Experten über Kaczynskis Ausführungen erklärten, mit einer eigenen Wahrnehmung abgleichen. Meinungsbildung par excellence.
Im Grunde ist diese Episode der Beginn meines – konsequenten – Weges in den Online-Journalismus. Mich faszinierte die Möglichkeit, die Hypertext und Hyperlinks bieten – auf eine Originalquelle zu verlinken und dem Leser/User zu sagen: „Sieh her, das-und-das ist unsere Darstellung und das-und-das ist die Originalseite dazu. Jetzt bilde dir deine Meinung.“ (Ich habe folglich nie die deutsche Rechtsprechung verstanden und akzeptiert, die in Links eine Empfehlung sieht. Für mich sind Links nur ein Hinweis ohne weitere Bewertung.) Daher sehe ich in der Video-Problematik eher eine Frage des journalistischen Selbstbewusstseins und des mündigen Bürgers.
Eine Originalquelle nicht zu verlinken (Youtube-Videos bspw. werden ja nur verlinkt) bzw. im eigenen Auftritt nicht zu präsentieren (wenn dies technisch geht), kommt mir eher wie eine Entmündigung des Lesers/Users vor. Gatekeeper-Funktion des Journalismus? Ja! Gewichtung, Auswahl und Präsentation von Nachrichten aus einer Fülle von Informationen? Aber gewiss! Aber warum weiter auf eine Deutungs- und Darstellungshoheit pochen, die sich angesichts des World Wide Webs und seiner Phänomene nicht länger halten lässt? Das, was ein Journalist präsentiert, ist letztlich durch dessen geistige Filter und Raster gegangen – was dem einen „unbeschreiblich“ gilt, ist es dem anderen längst nicht.
Eine journalistisch faire und seriöse Berichterstattung kann beispielsweise sehr wohl Nachricht, Hintergrund und Kommentar beinhalten, und – im Falle dieser oder jener Videos – auch erläuternde Begleittexte eines Medienforschers und/oder eines Terrorismusexperten, der Video und seine beabsichtigte Wirkung analysiert. Dann bleibt dem Leser/User die Möglichkeit, den dargebotenen Link zur Originalquelle oder die Originalquelle – in diesem Fall: das analysierte Video – anzuklicken (oder nicht!). Eine Grenze sehe ich nur in möglicherweise strafrechtlicher Relevanz des Contents.
Diese Haltung hat übrigens – sorry Bronski – nichts mit einer Argumentation pro „Pflicht zur Dokumentation“ zu tun. Sondern mit dem, was Online- bzw. Multimedia-Journalismus bedeuten könnte oder sollte, wenn man ihn als neu entstehende Spielart des Journalismus‘ ernst nimmt. Da dieser sich nach wie vor in den Kinderschuhen befindet, wird man mit dem einen oder anderen tastenden Schritt und manchem Stolpern leben müssen. Man wird auch das Terrain, auf dem sich der Sprößling entwickelt, erforschen müssen. Manche Gewissheit und manche Sicherheit der „old media“ und des real existierenden Journalismus‘ wird dabei verloren gehen.
Wie dem auch sei: Das ist meine persönliche Einstellung, und die hat sich in der internen Debatte der Online-Redaktion nicht durchgesetzt.
Oliver Bechmann, FR Online-Redaktion
„Sorry, Bronski“ – Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen. Ich hatte gehofft, dass sich einer von euch zu Wort meldet und den zweiten Standpunkt erläutert. So wie Stephan Hebel das mit seiner ablehnenden Haltung getan hat.
@Oliver Bechmann
Lieber Herr Bechmann, ich möchte zuerst mit einem positiven Beispiel beginnen. Bei der Debatte um die Großmarkthalle habe ich auf der FR- Seite dieses kleine Juwel von Film über die Baugeschichte angeklickt. Ohne Frage hat dies bei mir begeisternde Ausrufe ausgelöst und dafür dass Sie (so vermute ich) für die Platzierung verantwortlich waren, sende ich Ihnen von Herzen ein Lob. Ebenso freut sich die Leserin, wenn man einen Originaltext aus dem in der FR zitiert wurde in seiner Vollständigkeit zum Lesen bekommt. So weit so gut- in diesen Fällen ist die Online-Ausgabe für mich eine sinnvolle Ergänzung und hier können Sie sich meinetwegen „austoben“.
Im Hinblick auf das Entfüher-Video überzeugen mich ihre Argumente jedoch überhaupt nicht. Was mich sogar richtig erschüttert, Herr Bechmann, ist die Tatsache, dass sie jegliche ethische Überlegung völlig ignorieren. Meinen Sie etwa, dass sich Immanuel Kant und seine universalen Prinzipien wie eine Brausetablette in Ihrer technischen Begeisterung auflösen?
Vor lauter „Quelleneuphorie“ gehen Sie völlig darüber hinweg, dass es sich bei dem Entfüher-Video nicht einfach um irgendeine „Quelle“ handelt. Ich verweise hier auf meinen Kommentar Nr. 7 zum Aspekt Demütigung. Sie behaupten, dieses Video nicht zu veröffentlichen, käme einer Entmündigung der Bürger gleich. Ich frage Sie, woran wollen Sie denn einen mündigen Bürger erkennen, wenn nicht daran, dass sein Handeln von ethischen Prinzipien geleitet ist?
Von einer Zeitung, die ich lese, erwarte ich, dass sie diesen ethischen Prinzipien verpflichtet ist. Ich würde auf der Stelle meine Abonnement kündigen, wenn dieses Video auf der FR-Seite veröffentlicht werden würde.
Aber Susanne, der mündige Bürger kann sich doch von seinen ethischen Prinzipien leiten lassen, und das Video nicht anklicken bzw. ansehen?!
Aber für die, die sagen: „Ich will mir selbst ein Bild (sic!) von den Vorgängen machen“, könnte die Online-Ausgabe die Möglichkeit dazu bieten.
Lieber Herr Bechmann,
langsam verzweifle ich angesichts Ihrer Argumentation. Wieso sollte man denn ein Video verlinken, nur damit der Leser dieses betrachten KANN, (es eigentlich aber nicht SOLL wegen der unethischen Zusammenhänge)?
Worin besteht denn ihrer Meinung nach überhaupt der Erkenntnisgewinn, dieses Video anzuschauen gegenüber dem Nichtanschauen?
Ich dachte, man wird Journalist, um sich gesellschaftlich einzumischen, ethisches Fehlverhalten anzumahnen oder über wesentliche gesellschaftlich relevante Fragen nachzudenken, aber doch nicht um möglichst vollständige Linksammlungen anzulegen und die Verantwortung auf seine Leser abzuwälzen!
Wer bitte setzt sich denn überhaupt noch mit ethischen Fragestellungen auseinander, wenn nicht engagierte Tageszeitungen wie die FR?
Was denkt denn eigentlich Bronski über dieses Thema?
Hallo, susanne!
Du hast ja recht, muss mich aber kurz fassen, da auf anderer Baustelle beschäftigt („Neue Antworten…“).
Das Video ist auf YoTube zu sehen und jeder Mensch der eine Suchmaschine bedienen kann, wird es finden.
Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan ist ein schwerer Verstoß gegen deutsches Recht, aber das scheint offenbar niemand mehr zu kümmern. Wir sind auf dem Weg in eine neue DDR.