„Beim Radverkehr hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel bewegt“, sagt die Verkehrsplanerin Hélène Pretsch im FR-Interview. „Fußverkehr müssen wir noch sexy hinbekommen.“ Zum Beispiel mit Gehwegnasen und kürzeren Rotphasen bei Ampelschaltungen. Sie hat da eine ganze Menge Vorschläge, die in Städten wie Frankfurt durchaus sinnvoll sind oder wären, zumal sie, wie Pretsch betont, meist auch kostengünstig hinzubekommen wären. Fernziel: Die Menschen sollen sich mehr zu Fuß bewegen. Aber es gibt ein Problem, das Pretsch nur tangiert: Es ist nicht besonders weit her mit dem Miteinander im Stadtverkehr. Die Verkehrsplanung leidet unter den Sünden der Sechziger- bis Achtzigerjahre, als dem Automobil noch der absolute Vorrang eingeräumt wurde. Auch wenn seitdem viel getan wurde, um aus naheliegenden Gründen vor allem das Radfahren aufzuwerten. Gerade in Frankfurt lässt sich täglich beobachten, dass es mit der gegenseitigen Rücksichtnahme häufig nicht besonders weit her ist. Das ist natürlich kein Wunder, denn wir leben in einer Ellenbogengesellschaft, in der jede und jeder permanent unter Zeitdruck steht. Also heißt es überall: Ich zuerst! Solche Zeitgenossinnen und -genossen erlebe ich persönlich jeden Tag, egal ob ich mit dem Auto, mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs bin. Das schwächste Glied in der Frankfurter Verkehrshackordnung sind dabei zweifellos die FußgängerInnen. Ich bin daher nicht ganz sicher, ob es ausreicht, Fußverkehr sexy zu machen, um einen Bewusstseinswandel hinzubekommen. Dazu hier ein Gastbeitrag von Christiane von Keutz aus Frankfurt, den ich im Print-Leserforum gekürzt veröffentlicht habe.
Hüpfen in Handtuchbreite
von Christiane von Keutz
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Liebe Frau Pretsch, als leidenschaftliche Fußgängerin auf Frankfurts Bürgersteigen bin ich begeistert. Endlich mal eine gute Verkehrs-Idee! Da liegt aber eine Menge Arbeit vor Ihnen.
Ich bin besonders gespannt, wie Sie z. B. Frankfurts Fahrradfahrer, die seit einer gefühlten Ewigkeit gewohnheitsrechtlich die Gehwege befahren (überhaupt nicht sexy!), von diesen wieder runter kriegen wollen. Sie befahren mittlerweile alle Verkehrsflächen im öffentlichen Raum: am liebsten die Bürgersteige – die Absenkungen sind da hervorragend geeignet, um von einem Bürgersteig auf den anderen zu kommen – Fußgängerüberwege, U-Bahnsteige, an diesen die Rampen für Behinderte; es gibt keine Verkehrsfläche, wo sie nicht anzutreffen sind! Da ist die Rücksichtslosigkeit auf der Zeil fast eine Marginalie. Rote Ampeln sind für Fahrradfahrer selten ein Hindernis.
Das heißt, ich muss als Fußgängerin außerordentlich wachsam sein, besonders auf den Verkehrsflächen, die nach der Straßenverkehrsordnung für mich vorgesehen sind! Auf den Bürgersteigen muss ich immer damit rechnen, dass von hinten ein Fahrradfahrer rechts oder links an mir vorbei schießt. Es empfiehlt sich daher, möglichst keine Ausweichbewegung nach der einen oder anderen Seite zu machen und nahe an der Hauswand zu bleiben. Wenn ich mich trotzdem seitwärts bewege, mache ich erst mal den Schulterblick!
Dann gibt es noch die halbierten Bürgersteige, oder einen Radweg mitten auf dem Bürgersteig (ja, das gibt es wirklich!), oder die Markierungen für Radfahrer zum Beispiel an der Bockenheimer Warte oder an der Friedens/ Neuen Mainzer/Willy-Brandt-Platz, die nicht selbst erklärend sind (na ja, vielleicht am Schreibtisch). Da fährt dann jeder irgendwie. Ein einziges Chaos! Völlig absurd an dieser Stelle ist, dass man, um das „Kästchen“ zu betätigen, den Radweg überqueren muss, um dann schnell wieder zurück zu hüpfen auf den handtuchbreiten Gehweg!
Sind die durch Halbierung der Bürgersteige entstanden Radwege diesen an einer Fußgängerampel vorgelagert, wird es richtig gefährlich (Beispiel Schaumainkai), da die Fahrradfahrer roten Verkehrsampeln grundsätzlich keine Beachtung schenken. Das individuelle, möglichst schnelle Vorankommen, ohne anhalten oder absteigen zu müssen, hat Vorrang! Die Rücksichtslosigkeit, mit der das geschieht, ist oft atemberaubend!
Ich könnte meinen Erfahrungsbericht beliebig fortsetzen! Ein Beispiel noch: Auf dem Fahrrad mit dem Handy zu telefonieren oder bei Dunkelheit ohne Licht zu fahren, ist auf dem Gehweg natürlich viel weniger gefährlich als auf der Straße!
Warum ist das so? Ganz einfach, weil es möglich ist! Es gibt keine Kontrollen, keine Sanktionen. Die Polizei guckt weg. Darauf angesprochen: „Die kriegen wir doch sowieso nicht.“
Sie werden mir sicher zustimmen, dass bei einer vorhanden Fläche der Größe x und der darauf immer größer werdenden Anzahl der Verkehrsteilnehmer, die Einhaltung der Regeln zunehmend an Bedeutung gewinnt. Leider ist festzustellen, dass die Frankfurter Fahrradfahrer sich mehrheitlich von der Straßenverkehrsordnung verabschiedet haben. Das durch mangelnde Kontrolle und Sanktionen entstandene Gewohnheitsrecht wird, wenn (freundlich!) angesprochen, vehement und zum Teil auf hohem Aggressionsniveau verteidigt.
Als ich kürzlich einen jungen Mann – natürlich mit coolem Sicherheitshelm – darüber aufklärte (immer höflich und freundlich!), dass die Rampe an der U-Bahnhaltestelle nicht für ihn, sondern für Rollstuhlfahrer da ist, antwortete er: „Das interessiert mich nicht“. Diese Art von Kaltschnäuzigkeit hat mich erschreckt, mehr als die z. T. dämlichen Ausreden und unflätigen Beschimpfungen, die mir entgegen geschleudert werden.
Ich frage mich, ob sich die Verantwortlichen darüber im Klaren sind, dass sie mit der Tolerierung der ständigen Regelverletzungen ein Klima der Rücksichtslosigkeit, Verrohung und Asozialität im öffentlichen Raum fördern.
Bei aller persönlichen Zustimmung, dass Fahrradfahren gesund und ökologisch sinnvoll ist (zu Fuß gehen übrigens auch!), beobachte ich hier einen ziemlich gnadenlosen Verdrängungsprozess zu Lasten der Fußgänger. Das sind in diesem Fall die sprichwörtlich Letzten, die die Hunde beißen! In anderen Städten (Freiburg, Münster) gibt es eine Fahrradpolizei, die den ganzen Tag auf Rädern unterwegs ist, ermahnt und sanktioniert. Das könnte doch ein Modell für Frankfurt sein.
Liebe Frau Pretsch, ich bin sehr gespannt, wie sich ihre Arbeit auf mich als Fußgängerin auswirken wird und schreibe auch gern wieder einen Leserbrief, wenn sich etwas zum Positiven verändert hat!
Ich kann Christiane von Kreutz nur zustimmen, allerdings befürchte ich, dass wir Fußgänger ohne massiven Druck weiterhin die Stiefkinder der Verkehrsplanung bleiben werden. Deshalb werde ich dem Verein „Fuß e.V.“ beitreten, denn Leserbriefe reichen hier nicht mehr aus, um das Leben der Fußgänger wieder erträglich zu machen.
Also, Ärmel (eher Hosenbeine) aufkrempeln und den Verantwortlichen in der Politik, bei Verkehrsplanung und Polizei gehörig auf die Füße treten!
Hallo Frau von Keutz,
Sie haben so recht. Im Prinzip. Aber die Wahrheit hat mehrere Seiten. Fußgänger (neutral, ich will nicht verallgemeinern) wandeln traumtänzerisch, autistisch mit Knopf im Ohr oder zu siebt nebeneinander über Flächen, die für sie nicht vorgesehen sind, Radwege, und auch Straßen. Radfahrer, ja, fahren ohne Licht und rücksichtslos über rote Ampeln oder nutzen gnadenlos den Bürgersteig. Autofahrer parken Fahrradwege und Bürgersteige zu, ignorieren Einbahnstraßen, Geschwindigkeitsvorgaben, Durchfahrtsver- und Richtungsgebote, sie missachten die Vorfahrtsregeln und fühlen sich überhaupt als die Kings der Straße. Jeder macht, was er will, Verkehr ist wie Wasser: er bahnt sich den schnellsten und hemmungslosesten Weg. Auf den Straßen herrscht schiere Anarchie, und jedes Fortbewegungsmittel bzw. dessen Nutzer hat seinen Anteil dran. Die Verkehrsplaner blicken auch nicht durch (gerade bei neueren Verkehrsbauwerken in Frankfurt kann man nur den Kopf schütteln) und lieben am ehesten doch das Auto. Gerade im Sommer, wenn viele mit dem Fahrrad unterwegs sind, zeigt sich das Dilemma. Dort, wo alles zusammentrifft, muss einfach die Menge der langsamen Verkehrsteilnehmer das Tempo des Verkehrs bestimmen. Es ist eine Erziehungsfrage – ich sehe keine administrative oder polizeiliche Lösung. Es sei denn, man macht den Autos in Frankfurt das Leben schwer (z.B. über Reduzierung der Stellplätze am Straßenrand, die allgemein als ein Menschenrecht angesehen werden), dann ist mehr Platz für alle.
Ich störe mich an der einseitigen Schuldzuweisung an die Fahrradfahrer in dem Text von Frau von Keutz. Herr Bomba hat schon einige Beispiele von Fußgängern aufgezählt, die sich als Verkehrshindernis für Radfahrer betätigen, aber auch für andere Fußgänger. Sobald das Handy sich meldet, ist die Aufmerksamkeit mancher Leute für ihre Umgebung plötzlich wie abgeschnitten. Sie bleiben stehen, wo sie sich gerade befinden, und schauen völlig versunken nach, was gerade für eine weltwichtige Neuigkeit hereingekommen ist. Ich hätte schon mehrfach Personen, die abrupt mitten im Fluss der Fußgänger vor mir stehen blieben, einfach umrennen können, weil das oft sehr überraschend kommt. Kopfhörer sollten übrigens im Stadtverkehr verboten sein, für alle. Wenn man auf die Straße geht, braucht man doch seine Sinne für den Verkehr. Da ist es völlig egal, ob man Fußgänger, Radler oder Autofahrer ist. Wenn es tatsächlich eine Erziehungsfrage sein sollte, haben die Eltern schwerst versagt. Auch bei vielen Fußgängern.
@ Andreas Bomba und Stefan Briem
Sie haben völlig recht, dass sich Rowdys und Behinderer in allen Gruppen von Verkehrsteilnehmern finden. Dennoch muss ich von mir persönlich sagen, dass ich mich als Fußgängerin – und um die ging es ja in dem von Christina von Kreutz angesprochenen Artikel – von Radfahrern mehr bedroht fühle als von Autofahrern, vor allem auf den Bürgersteigen und den Flächen, die von Radfahrern und Fußgängern gemeinsam genutzt werden, denn dort sind es nun mal seltener die Autos, die mich verunsichern, bedrohen und meine unbeschwerte Fortbewegung einschränken, sondern vor allem rücksichtslos herumrasende Fahrradfahrer. Spaß macht das nicht, und sexy ist es schon gar nicht!
Ursprünglich gab es einmal eine klare Aufteilung der Bereiche. Dass man als Fußgänger wachsam sein muss, sobald man die Fahrbahn betritt, die von den Autos dominiert wird, war immer klar, und für das gefahrlose Überqueren der Fahrbahnen hat man deshalb Zebrastreifen und Ampeln erfunden, die auch heute von den meisten Autofahrern – im Gegensatz zu den Radlern – respektiert werden. Auf der anderen Seite war aber ebenso klar, dass die Bürgersteige, Parks und Waldwege den Fußgängern vorbehalten waren. Seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden dann noch die Fußgängerzonen eingeführt, in denen man in Ruhe und unbehelligt mit Kleinkindern und Hunden lustwandeln konnte. Damit ist es leider vobei, seit das Radfahren modern geworden ist und dessen Ausdehnung auf Kosten der Fußgänger ständig fortschreitet. Ich bestreite nicht die Unweltfreundlichkeit dieses Verkehrsmittels, ich wünsche mir nur, dass die ürsprünglichste Fortbewegungsart des Menschen, nämlich das Gehen, auch wieder zu seinem Recht kommt. Sexy braucht es dafür nicht zu sein, aber entspannt und ungefährdet.
Und hier muss ich Andreas Bomba widersprechen. Ich bin nicht bereit, mich resigniert mit der Benachteiligung und Gefährdung von Fußgängern abzufinden. In allen Bereichen des Lebens wird – zum Glück – seitens der staatlichen Organe dafür gesorgt, dass Gesetze und Bestimmungen eingehalten werden. Warum sollte das ausgerechnet zum Schutz von Fußgängern nicht nötig und möglich sein? Tausende von Polizisten werden deutschlandweit jedes Wochenende aufgeboten, um zu verhindern, dass sich irgendwelche Dummbeutel auf den Fußballplätzen und auf dem Weg zu und von denselben gegenseitig die Köppe einschlagen oder das Eigentum anderer zerdeppern. Ist ein anständiges Verhalten auf diesem Gebiet keine Erziehungsfrage? Ist es nicht die Aufgabe der Ordnungskräfte, gerade dort einzugreifen, wo die Erziehung versagt, auf dem Fußballplatz genauso wie auf den öffentlich genutzten Flächen? Christiane von Kreutz führt doch die Beispiele aus anderen Städten an, wo wenigstens der Versuch unternommen wird, das Chaos in den Fußgängerbereichen in den Griff zu bekommen. In Frankfurt wartet man leider auf solche Initiativen bisher vergeblich.
Wer schützt mich Radfahrer vor Fussgängern, die ohne zu schauen, den Radweg überqueren?
Vor Autofahrern, die die Tür öffnen, ohne zu schauen? Vor abbiegenden Autos? Vor Fussgängern, die ihre Hunde nicht unter Kontrolle haben? Vor Motorradfahrern, die die Kurve schneiden? Vor Kindern, die versuchen, mir Stöcke zwischen die Speichen zu werfen?
Ich schütze mich selber, indem ich immer mit dem Schlimmsten rechne!
„Wenn es tatsächlich eine Erziehungsfrage sein sollte, haben die Eltern schwerst versagt.“ (Stefan Briem)
Natürlich sind das alles Erziehungsfragen. Nur was nützt diese Feststellung? Letztlich kann ich alles auf Erziehungsfragen reduzieren: Bis auf die natürlichen könnte ich alle Übel dieser Welt vermeiden, wenn ich nur die Übeltäter besser erzöge – wenn die Eltern unserer Politiker diese besser erzogen hätten, gäbe es auch keine so große Schere zwischen Arm und Reich usw.. Aber man merkt schon, dass das nicht wirklich weiterhilft – es sei denn, es gelänge, rückwirkend auch die toten Eltern besser zu erziehen, und das in einer unendlichen Rekursion.
Man kann zwar feststellen, dass eine Erziehungsaufgabe, die von den Eltern nicht mehr wahrgenommen wird, von der Gesellschaft übernommen werden muss, wenn sie denn wichtig ist – aber das wirkt, wenn es denn anschlägt, erst in der nächsten Generation. Das wäre kein Grund, es zu unterlassen, aber man braucht trotzdem noch etwas für den Moment. Eine Repression der Übeltäter kann da hilfreich sein, und ich weiß aus Münster, dass die Radfahrer dort relativ gesittet sind. Dafür ist diese Stadt ein Alptraum für Autofahrer.
Und da kommen wir zum eigentlichen Problem: Unsere Autofahrer hat man über einen gewaltigen Einfluss der Automobillobby in der Politik nämlich dahingehend erzogen, dass sie als Leistungsträger der Nation überall Vorrang zu haben haben, weshalb unsere Städte nicht mehr wirklich bewohnbar sind, und die Autofahrer diesen Erfolg mit langen Anfahrten bezahlen, um noch einmal so lange, wie sie angefahren sind, nach einem Parkplatz suchen zu dürfen.
Das Rezept zur Lösung dieser Probleme ist aber schon lange bekannt und existiert auch nicht nur in der Theorie. Und es fängt an mit einer Verdrängung des Autos durch eine Vernichtung des Parkraumes und eine Förderung des ÖPNVs. Dann haben die Fahrräder auch Platz auf der Straße und sorgen dort für eine zusätzliche Verkehrsberuhigung und schaffen auf der anderen Seite mehr Platz – und mehr Sicherheit – für Fußgänger.
Dass das im Effekt nicht wirtschaftsfeindlich sondern wirtschaftsfreundlich ist, das kann man sich in einem launigen Vortrag Hermann Knoflachers anhören, wenn man sich die 30 Min Zeit dazu nimmt.
mp3-download.swr.de/swr2/aula/swr2aula-20130602-wie-sich-staedte-entschleunigen-lassen.6444m.mp3
Knoflacher ist kein Theoretiker, er spricht aus der Praxis. Ich schätze seine Kommentare zur Raumplanung seit den 80ern, als ich beruflich mit dem Fahrrad zwischen Hamburg Zentrum und Umland pendelte, pro Monat bis zu 1000 Km (immer rechtswidrig im Verkehr mitschwimmend auf der Straße, nie auf Fußwegen). Inzwischen hat er lange zeigen können, dass das funktioniert, was er vorschlägt.
Man könnte ja mal mit einer Regelung anfangen, die ich in der Schweiz kennengelernt habe.
Man hatte man nur Anrecht auf einen Parkplatz auf dem Firmengelände, wenn man nachweisen konnte, dass man mehr als 1 ¼ Stunden mit dem ÖPNV braucht (für einen Weg).
Wer so weit entfernt wohnte und den Parkplatz trotzdem nicht benutzte, erhielt eine Belohnung.
Meistens Fahrradfahrer aber eben auch Fussgänger verstehe ich den Leserbrief von Christiane von Kreutz gut, denn ohne gegenseitige Rücksicht geht es gar nicht. Auch ich radle bei Rot über bestimmte Ampeln, bei denen ich genau die Verkehrsströme kenne und die Ampelschaltung unsinnig oder gefährdend ist, aber das passiert nicht zu Lasten anderer. Was die Erziehung betrifft, frage ich mich allerdings, warum vom Straßenverkehrsamt an der Konrad-Adenauer-Straße ein Radweg angelegt wurde, der dann an der Kreuzung mit Bleichstraße/Seilerstraße auf den viel zu schmalen Gehweg führt und dazu, dass die Fahrradfahrer dann weiterhin auf der Friedberger Landdstraße nicht die Straße sondern weiter den Gehweg benutzen. Dabei ist der Gehweg schmal, in der Mitte stehen Lampenmasten und der Bethmannpark-Ausgang führt auf den Gehweg. Diese gefährliche und unmöglich Verkehrsführung habe ich bereits zweimal beim Radfahrerbüro gemeldet – die interessiert das nicht. Ich lasse mich also weiter von Autofahrern beschimpfen, wenn ich auf der Friedberger die Straße mit meinem Rad befahre und von den Radfahrern wegklingeln und zum Hüpfen zwingen, wenn ich zu Fuß dort entlange gehe.
Es ist schon witzig: Eigentlich ging es hier um die Rechte und Gefährdungen der Fußgänger, und ehe man sich’s versieht, wird vor allem der Autoverkehr als Feind ins Visier genommen, dessen Eindämmung als Lösung jeglicher Probleme angepriesen wird. Dabei sind es eher die Radfahrer und nicht die Autofahrer, die den Fußgängern auf den ihnen zugewiesenen Flächen das Leben schwer machen.
Und dann folgt natürlich auch gleich die Klage über diese rücksichtslosen Fußgänger, die ständig über die Radwege laufen. Wie wäre es denn mal mit einer deutlicheren Kennzeichnung von Radwegen? Ein bisschen rote Farbe könnte da Wunder wirken, wäre nicht teuer und würde den Fußgängern optisch deutlicher machen, dass sie dort nicht entlangspazieren dürfen. In der Schweiz wird das vielerorts so gehandhabt.
Und so einladend und gemütlich Straßencafés auch sein mögen, es kann nicht angehen, dass sie so viel Raum einnehmen, dass zwei Mütter mit ihren Kinderwagen nicht mehr aneinander vorbeikommen, ohne auf die Radwege ausweichen zu müssen (in der Adalbertstraße in Bockenheim zu beobachten).
@ Frank Wohlgemuth
Dass Radfahrer sich von den Fußgängerbereichen fernhalten würden, wenn ihnen auf den Straßen mehr Platz eingeräumt würde, halte ich für einen frommen, aber naiven Wunsch. Man sieht es doch in vielen Einbahnstraßen in Frankfurt. Obwohl die Radfahrer hier in die Gegenrichtung fahren dürfen, bevorzugen sie die Bürgersteige (z.B. in der Beethovenstraße im Westend zu beobachten), offensichtlich weil sie dort schneller vorankommen. Dort muss man, bevor man es wagen kann, aus einem Haus auf den Bürgersteig zu treten, erst seinen Kopf aus der Tür strecken und genau nach rechts und links schauen, um nicht Gefahr zu laufen, von einem rasenden Radfahrer umgenietet zu werden.
An der Bockenheimer Warte ist Ähnliches zu beobachten. Da existieren neben der Fahrbahn auf beiden Seiten breite Radwege, aber die Radler schießen trotzdem kreuz und quer über den Platz. Sogar wenn Markt ist, halten es einige nicht für nötig, abzusteigen, sondern sie bahnen sich ihren Weg rücksichtslos mitten durch die Menschenmenge.
Allen Radfahrern, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten, die, wie z. B. Annette Müller, meinen, sie könnten selbst entscheiden, wann sie an einer roten Ampel anhalten und wann nicht, muss klar sein, dass sie mit dazu beitragen, dass unsere öffentlichen Räume unsicherer werden; dass sie Kindern, die mit 10 Jahren in einem Lehrgang zur Verkehrserziehung lernen, wie sie sich als Radfahrer zu verhalten haben, mit schlechtem Beispiel vorangehen und sie zu für sie gefahrlichen Manövern verleiten. Und alle Eltern, die mit der Familie auf dem Fahrrad unterwegs sind, möchte ich darum bitten, dass sie ihren Kindern beibringen, nicht nur ihr eigenes Recht, bis zum Alter von 10 Jahren auf dem Bürgersteig zu fahren, wahrzunehmen, sondern dass sie gleichzeitig auch die Pflicht haben, dort auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen.
Um solche elementaren Regeln wirklich durchzusetzen, wird man nicht umhin kommen, Polizisten auf Fahrrädern einzusetzen. Sie könnten der breiten Öffentlichkeit vielleicht zu der Erkenntnis verhelfen, dass Radfahrer nicht überall Narrenfreiheit haben. Und rücksichtslose Autofahrer könnten sie ebenfalls besser in ihre Schranken weisen, einfach weil sie wendiger sind und Übeltäter besser zur Rechenschaft ziehen können.
Witzige Diskussion.
Irgendwelche wollen irgendwie irgendwo ganz schnell hin.
Da fehlt es an Statistik. Die Schnellsten sind meist auch die Entbehrlichsten, weil sie eine Masse an Zeit und Geld verschwenden, um sich wichtig zu machen.
Manchmal ist es sehr viel zielführender, wenn diese Wichtigtuer später kommen, weil dann die meisten Probleme schon gelöst sind, bevor sie ihren hemmenden Einfluß geltend machen.
Sie sind dann nämlich so stressgehetzt, daß sie gar nichts begreifen und man ihnen das Problem dreimal erklären muß und die Lösung auch noch auf dem Silbertablett zureichen muß.
Die Devise ist: Locker bleiben!
Wenn einer keine Zeit für den Weg hat, fehlt ihm auch die Kompetenz zum Ziel. Er ist einfach zu spät in die Pötte gekommen….
Wer es eilig hat, ist halt ein Verpennter.
Braucht er nicht andere dafür in Haftung zu nehmen.
Es gibt keine Pflicht, der Gehetztheit anderer Menschen Raum zu geben. Die Überholspuren sind ein Zugeständnis der Gelassenen an die Gehetzten, mit denen man Mitleid haben sollte.
Wer nicht rechtzeitig zu Fuß sein Ziel erreichen kann, hat seinen Wohnort falsch gewählt oder ist zu spät losgezogen.
Diese selbstgewählte Behinderung anderen aufzuerlegen ist recht dumm.
Schrittgeschwindigkeit ist der Maßstab.
Wer schneller sein will, muß auch aufmerksamer und besser sein.
Kurzum: Wer nicht auf Unberechenbarkeiten reagieren kann, der ist auch ungeeignet, schneller zu sein. Der ist auch, meiner Meinung nach, ganz ungeeignet, wichtige Positionen zu bekleiden. Muß man sich halt realistischer einschätzen…
Gehetzte sind nicht gut im Job.
Wie rechtlos man als Fußgänger mittlerweile ist, darf mein Mann derzeit erfahren. Er geht am 11.06. friedlich auf dem Gehweg, als drei Mädchen, ca. 7, 8 und 11 Jahre, mit ihren Rädern mit hoher Geschwindigkeit aus einer Einfahrt um die Ecke auf den Bürgersteig gebrettert kommen. Die erste prallt gegen seinen Arm, gerät ins Schwanken, kippt gegen eine geparktes Auto, an dem sie eine Beule verursacht, und behauptet nun, mein Mann habe sie geschubst. Erst rückt uns die Mutter auf die Bude, dann kommt die Polizei und vernimmt meinen Mann (72 und schwer herzkrank), und jetzt kann er mit einer Anzeige wegen Körperverletzung rechnen. Man glaubt sich nach Absurdistan versetzt!
Wie es seitdem um unseren Nachtschlaf bestellt ist, kann man sich vorstellen.
So etwas wünscht man nicht mal seinem ärgsten Feind!
„Es ist schon witzig: Eigentlich ging es hier um die Rechte und Gefährdungen der Fußgänger, und ehe man sich’s versieht, wird vor allem der Autoverkehr als Feind ins Visier genommen, dessen Eindämmung als Lösung jeglicher Probleme angepriesen wird. ….
Dass Radfahrer sich von den Fußgängerbereichen fernhalten würden, wenn ihnen auf den Straßen mehr Platz eingeräumt würde, halte ich für einen frommen, aber naiven Wunsch. …“ (Brigitte Ernst am 9,6.)
Die Autofahrer sind dabei sekundär – primär ist es die für den Autoverkehr optimierte Stadt und die Atmosphäre, die sie schafft, die die Probleme macht. Und diese Optimierung können sie nicht zurückdrehen, ohne den Autoverkehr zu verringern.
Das müssen Sie mir nicht glauben. Was Sie aber zur Kenntnis nehmen sollten, ist der Erfolg, den derartige Projekte in der Realität haben. Von derartigen Projekten erzählt Knoflacher – und das nicht nur bei Kleinstädten. Deshalb habe ich ihn verlinkt. Ich kann Ihnen diesen Beitrag vom swr2 nur noch einmal empfehlen.
Ansonsten habe ich nichts dagegen, Radfahrern etwas mehr polizeiliche Aufsicht zukommen zu lassen, das habe ich oben auch schon am Beispiel Münster erwähnt – ich kenne Münster sowohl als Bahn-, Auto- und Radfahrer als auch als Fußgänger.
„Wie rechtlos man als Fußgänger mittlerweile ist, darf mein Mann derzeit erfahren. …“ (Brigitte Ernst am 15.6)
Ist das wirklich eine Geschichte zur Rechtlosigkeit der Fußgänger oder eine zu im eigentlichen Wortsinn unerzogenen Gören, deren Eltern es als ihre Pflicht betrachten, jeden Blödsinn zu decken, den ihre kleinen Unschuldsengel nach ihrer Meinung nieee machen könnten? (und wenn doch, dann möchte man wenigstens nicht dafür geradestehen müssen). Ich kenne diese Gören und diese Eltern auch, aber ich glaube, dass das mit dem Fußgängerthema nur wenig zu tun hat.
Ich glaube zumindest, dass das etwas mit dem Radfahrerthema zu tun hat. Denn das, was die Erwachsenen vorleben, kopieren die Kinder natürlich. Und wenn ich täglich sehe, wie wenig Rücksicht jugendliche und erwachsene Radler auf Fußgänger nehmen, wie schnell sie z. T. in Fußgängerzonen und (noch schlimmer) auf Gehwegen unterwegs sind, wie eng sie an Fußgängern vorbeifahren etc. etc., dann wundert es doch keinen, dass die Kleinen sich das Gleiche herausnehmen. Dazu kommt noch das geballte Unwissen in punkto Straßenverkehrsordnung bei Alt und Jung. Wer weiß denn schon, dass auch auf kombinierten Geh- und Radwegen nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist die Fußgänger immer Vorrecht haben?
„Wer weiß denn schon, dass auch auf kombinierten Geh- und Radwegen nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist die Fußgänger immer Vorrecht haben?“ (Brigitte Ernst)
Hoffentlich möglichst wenige, denn in dieser Form ist es falsch und vielleicht auch Ursache einiger Missverständnisse.
Was richtig ist, ist dass grundsätzlich bei gemischtem Verkehr auf den „schwächeren“ Teilnehmer Rüchsicht zu nehmen ist, so dass der juristisch in der Regel der stärkere ist. (Tipp für Radfahrer: Sehen Sie zu, dass Sie in einer Unfallsituation einen Fuß auf dem Boden haben – Sie gelten dann als Fußgänger 😉 )
Ansonsten gilt für unser Thema die Regel, dass Radfahrer nur in Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen (während ich als Fußgänger auch ziemlich schnell laufen darf, was ich (60+) vor Ampeln immer noch regelmäßig tue) nur für ausgewiesene Gehwege (Zeichen 239), die mit dem zusätzlichen Schild „Radfahrer frei“ ausgestattet sind.
Beim kombinierten Geh- und Radweg (Zeichen 240) gibt es prinzipiell keine Geschwindigkeitsbeschränkung für Radfahrer, da heißt es in der STVO nur „Erforderlichenfalls muss der Fahrverkehr die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen.“ Das bedeutet in der Praxis, dass ich mich als Radfahrer lange genug vor dem Überholen bemerkbar machen sollte, um den langsameren Verkehrsteilnehmern Zeit genug zu geben, auszuweichen. Dann darf ich aber auch erwarten, dass dieses Ausweichen stattfindet. Das Tempo, in dem der Überholvorgang dann stattfinden darf, hängt von der Breite des Weges ab, d.h. es wird nur noch durch §1 STVO geregelt, die Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer verbietet. Ich war früher auf solchen Wegen, die es ja nicht nur in Städten, sondern auf dem Land auch zwischen den Ortschaften gibt, regelmäßig mit einem Tempo von über 40kmh unterwegs, so dass ich auch lange genug vor dem Überholen von Radfahrern klingeln musste. In Ortschaften bin ich dann normalerweise auf die Straße ausgewichen.
Fall Sie diese Information noch einmal offiziell haben wollen:
http://www.vsz-bi.de/fileadmin/vsz/pdf/2013_04_01_StVO2.pdf (ein Polizei-Server)
Besser lesbar ist es hier zusammengefasst:
http://bernd.sluka.de/Radfahren/rechtlich.html
@ Frank Wohlgemuth
Wenn ich technisch dazu in der Lage wäre, würde ich ihnen jetzt einen Artikel über ein Gerichtsurteil des OLG Frankfurt vom 09. Oktober 2013 verlinken, mit dem (bereits in zweiter Instanz) die Klage eines Radfahrers abgewiesen wurde. Dieser war auf einem gemeinsamen Rad- und Fußgängerweg (Zeichen 240) unterwegs, als eine Fußgängerin überraschend aus ihrem Grundstück auf diesen Rad- und Gehweg trat. Der Radfahrer blieb in voller Fahrt an der Handtasche der Frau hängen, stürzte schwer und erlitt starke Kopfverletzungen. Daraufhin verklagte er die Fußgängerin auf Schadensersatz und Schmerzendgeld.
Beide Gerichte waren aber der Auffassung, dass die Frau keinerlei Schuld treffe. Vielmehr habe der Radfahrer grob fahrlässig gehandelt, als er keinen ausreichenden Abstand zum Grundstückseingang eingehalten habe. Auf solchen kombinierten Strecken hätten Radfahrer viel mehr Sorgfaltspflicht als Fußgänger. Sie müssten jede Gefährdung vermeiden, innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten können sowie damit rechnen, dass aus Eingängen oder Ausfahrten Personen oder Fahrzeuge auf den Weg gelangen können.
Fußgänger dagegen dürfen den Weg über die ganze Breite nutzen, plötzlich stehenbleiben und die Richtung wechseln, ohne sich nach Radfahrern umzuschauen. Das einzige, was sie tun muss, ist, den Radfahrer vorbeilassen, wenn dieser sich durch Klingelzeichen bemerkbar gemacht hat (wobei letzterer bei älteren Passanten durchaus nicht voraussetzen kann, dass diese ihn auch hören).
Sie haben also recht mit dem Hinweis, dass auf solchen Wegen nicht grundsätzlich Schrittgeschwindigkeit einzuhalten ist, sondern nur dann, wenn die Situation es erfordert (ich persönlich würde das Überholen und Passieren von Fußgängern für eine solche Situation halten).
Ob ein Radfahrer dazu berechtigt ist, außerhalb von Ortschaften mit einer Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h unterwegs zu sein, richtet sich nach der Gestaltung der Wegstrecke und der Breite des Weges. Ist der Weg kurvig, verhält sich der Radfahrer mit Sicherheit fahrlässig, denn er muss ja innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten können. Schließlich kann ja auch auf dem Land eine Familie mit kleinen Kindern hinter der nächsten Kurve auftauchen.
Wenn Sie von Ihrer Fahrgeschwindigkeit auf solchen Strecken berichten, gruselt es mich und ich bin froh, dass ich Ihnen nicht begegnet bin. Angesichts der durchschnittlichen Breite eines solchen Weges, die keinen für diese Geschwindigkeit ausreichenden Sicherheitsabstand ermöglicht, kann ich mir vorstellen, dass ich mich als Fußgängerin vor einem solchen rasenden Radler gefürchtet hätte.
@Frank Wohlgemuth
Radfahrern Schrittgeschwindigkeit vorzuschreiben, war keine gute Idee des Gesetzgebers, da Fahrräder bei dieser Geschwindigkeit nicht stabil laufen. Erst ab etwa 10 km/h läuft ein Fahrrad auch bei Nicht-Profis schön gerade aus.
Noch ein Nachtrag für Frank Wohlgemuth zum Beitrag vom 15.Juni, 13.41 Uhr:
Ich habe gar nichts gegen eine Einschränkung des Autoverkehrs. Dass man mittlerweile aber auch in Parks und Wäldern, ja sogar auf Bahnsteigen nicht mehr vor rasenden Radlern sicher ist, hat wohl kaum etwas mit Stadtplanung zu tun. Das liegt doch daran, dass viele Radfahrer die Bleifuß-Mentalität der Autofahrer übernommen haben, die nur einem Wert kennt, nämlich Schnelligkeit, koste es, was es wolle.
@ Henning Flessner
Man sollte bei dem Begriff „Schrittgeschwindigkeit“ keine Wortklauberei betreiben. Gemeinhin wird der Begriff so definiert, dass man damit eine Geschwindigkeit meint, bei der man jederszeit gefahrlos anhalten kann. Und zu einer solchen Fahrweise sollte jeder Radfahrer guten Willens fähig sein. Wenn er das nicht schafft, sollte er lieber vom Rad absteigen und zu Fuß gehen.
Noch einmal @ Frank Wohlgemuth:
Ich habe mir mittlerweile den Vortrag von Professor Knoflacher angehört. Er bringt da interessante und nachvollziehbare Ansätze, das Problem ist allerdings, dass er nur von der Alternative zwischen Autoverkehr auf der einen und öffenlichem Verkehr und Fußwegen auf der anderen Seite spricht. Auf das Problem, das zu viele und zu schnelle Radfahrer in den Innenstädten und Parks dem Fußverkehr, den er so vehement propagiert, bereiten, geht er mit keinem Wort ein. Das ist ein entscheidendes Manko seines Vortrags.
@ Brigitte Ernst sorry, das ist etwas länger geworden.
vorab:
„Wenn Sie von Ihrer Fahrgeschwindigkeit auf solchen Strecken berichten, gruselt es mich und ich bin froh, dass ich Ihnen nicht begegnet bin. Angesichts der durchschnittlichen Breite eines solchen Weges, die keinen für diese Geschwindigkeit ausreichenden Sicherheitsabstand ermöglicht, kann ich mir vorstellen, dass ich mich als Fußgängerin vor einem solchen rasenden Radler gefürchtet hätte.“ (Brigitte Ernst)
Ich lebe in Schleswig-Holstein, hier sind die Straßen gerader und die Radwege zwischen den Ortschaften breiter, auch, weil Radfahren hier keinen neue Modeerscheinung ist. Und in Ortschaften bin ich bei diesem Tempo grundsätzlich rechtswidrig auf die Straße ausgewichen, weil da meine Geschwindigkeitsdifferenz zum Autoverkehr sowohl absolut als auch relativ erheblich geringer war als zum Fußgängerverkehr. Sie hätten also keinen Grund gehabt, vor mir Angst zu haben. Ich hatte auch nie Ärger mit Fußgängern und die auch nicht mit mir.
Aber was ist überhaupt ein Fußgänger? Seit ich nicht mehr soviel radfahre, versuche ich mir einen Teil meiner damaligen Kondition durch zusätzlichen Sport zu erhalten, ich fahre u.a. regelmäßig eine 12-km-Strecke auf Inlinern, dazu brauch ich ca eine halbe Stunde, dam macht ein Tempo um die 25kmh. Nach einer der wenigen Entscheidungen aus Karlsruhe, die ich als ausgesprochen dämlich empfinde, bin ich damit Fußgänger. Natürlich bewege ich mich auf Rollen wieder rechtswidrig auf der Straße (ich habe nur ca 800m bis zum Ortsrand), und bin selbst auf dem größten Teil der Strecke, der über keinen Fußweg verfügt, noch rechtswidrig: Weil kein Autofahrer oder Radfahrer mit einem derart schnellen Fußgänger rechnet, fahre ich aus Selbstschutz rechts, was ich als Fußgänger nicht darf: Ich liebe diese Richter, deren Urteile den Eindruck hinterlassen, sie selbst hätten ihre Beine nur, um beim Kacken nicht ins Klo zu fallen. Und für Urteile, die zur Selbstgefährdung verpflichten, sollte man die Prügelstrafe einführen.
Und da kommen wir zu Ihrem Urteil.
https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/allg-zivilrecht/fussgaenger-gehen-auf-dem-gemeinsamen-rad-und-gehweg-vor_208_171092.html
Im Prinzip kann ich gegen den speziellen Teil des Urteils wenig sagen, zum Einen, weil ich die Beteiligten (wird noch näher ausgeführt) und die Örtlichkeit nicht kenne, zum Anderen weil schon der Selbstschutz Radfahrer auf Radwegen zu einen entsprechenden Verhalten treiben sollte – ich weiß, warum ich lieber auf der Straße fahre und dafür auch die Möglichkeit juristischen Ärgers in Kauf nehme(hat es aber trotz vieler Begegnungen mit der Polizei nie gegeben, wahrscheinlich, weil die Polizei die Unsinnigkeiten der Rechtslage besonders für schnelle Radfahrer kennt). Was allerdings in der allgemeinen Folgerung dieses Urteils die Verteilung der Sorgfaltspflicht angeht, verletzt dieses Urteil einen Grundsatz des deutschen Rechtes, den Schutz des Schwächeren.
„Es erscheine als lebensfremde Überspannung allgemeiner Sorgfaltspflichten, einem Fußgänger aufzuerlegen, vor Verlassen eines Grundstücks und Betreten des öffentlichen Gehwegs zunächst gleichsam um die Ecke zu „lugen“, ob sich auf dem Gehweg etwas bewege.“ Das wiederum erscheint mir als lebensfremd: Auch Menschen auf einem kombinierten Rad- Und Gehweg oder sogar einem reinen Gehweg sind Verkehrsteilnehmer. Und nur den Radfahrern unter ihnen wird jetzt die Pflicht auferlegt, sich nicht nur um die anderen Verkehrsteilnehmer zu kümmern, sondern sondern auch um theoretische, die eventuell erscheinen könnten. Was aber ist, wenn es sich bei dem Radfahrer um den altersbedingt hilfsbedürftigeren handelt und der Fußgänger der jüngere, reaktionsfähigere ist? In einer Gegend, in der viel radgefahren wird, ist auch das eine normale Situation, und eine, die dieses Urteil überhaupt nicht im Blick hat: Es ist ein Urteil autofahrender Juristen ohne wirklichen Lebensbezug. Dazu kommt, dass gerade ältere Radfahrer bei echtem Schritttempo erhebliche Schwierigkeiten haben und sich deshalb lieber in Geschwindigkeiten zwischen 10 und 15kmh bewegen. Henning Flessner hat oben implizit den Grund dafür genannt: Fahrräder kippen nicht um, weil sie in Schlangenlinien gefahren werden: Man wechselt durch den fortlaufenden Richtungswechsel fortlaufend die Seite, nach der man gerade umfällt. Und das geht um so leichter, je höher das Tempo ist.
An der Stelle ist eine grundlegende Überlegung fällig: Am Lenker eines Autos, am besten ein SUV mit dicken Astabweisern, die den Schaden an der Karosse minimieren, ist auch ein hinfälliger, wegen grauen Stars halbblinder Greis, der schon lange den Führerschein hätte abgeben sollen, in der Lage, einen Mr. Universum mit einem sanften Druck auf das Gaspedal plattzumachen. Hier stimmt die Stärkeeinteilung nach dem Fahrzeug. Aber Fahrräder, Tretroller, Inliner, kurz: alles, was mit persönlicher Muskelkraft und Koordination bewegt wird, ist nur geeignet, für eine Bestimmung der Stärke benutzt zu werden, wenn die Beteiligten körperlich und gesundheitlich ungefähr vergleichbar sind. Aber es ist purer Schwachsinn, ein 10 bis 14 jähriges Kind auf dem Fahrrad gegenüber einem gesunden erwachsenen Fußgänger im mittleren Alter zum Stärkeren zu erklären. Oder, wenn ich in meine Nachbarschaft sehe, da kenne ich zwei rüstige Herren um die 90, die beide noch radfahren. Auch, wenn ich sie als rüstig bezeichne: Gegenüber denen bin ich als Fußgänger- egal ob auf Inlinern, Laufschuhen oder barfuß – als Verkehrsteilnehmer sowohl reaktionsschneller als auch reaktionssicherer. Denen die Fürsorgepflicht für mich aufzubürgen, weil sie auf dem Fahrrad sitzen, genau das tut dieses Urteil, wenn die Darstellung bei Haufe richtig ist, ist einfach nur dummes Zeug.
Um die Unfallsituation mal von einer anderen Seite zu beleuchten: Da ist ein Rad- und Gehweg, in den die besagte Frau sich ohne Absicherung (ist ja auch nicht zumutbar) einfach hineinbewegt, obwohl ihr klar sein muss, dass sie vorher nicht zu sehen war.
Und jetzt übersetzen wir diese Situation auf einen anderen Verkehrsweg mit unterschiedlichen Nutzern, die Straße. Jede Straße kann ab einer bestimmten Entfernung zur nächsten normalen Querungsstelle (Kreuzung, evtl. regelrechter Fußgängerüberweg) von Fußgängern gequert werden, Straßen sind also prinzipiell auch Verkehrswege für den gemischten Verkehr. Würde da ein Richter auf die Idee kommen, es für lebensfremd zu halten, um die Ecke zu „lugen“, bevor man einen Schritt auf diesen Verkehrsweg setzt? Niemand käme auf eine solche Idee, bis in die 50er konnte ein überfahrener Fußgänger sogar für die Schäden am Auto haftbar gemacht werden.
Bei http://www.verkehrslexikon.de/Module/FussGaenger.php findet sich dazu:
„Wer als Fußgänger Fahrbahnen ohne Beachtung des Straßenverkehrs überquert – egal in welche Richtung – (§ 25 III 1 StVO), handelt aber in erheblichem, nicht mehr nachvollziehbarem Umfang unsorgfältig (BGH NJW 2000, 3069: „besondere Vorsicht“; NJW 1984, 50), weil das Achten auf von rechts kommende Fahrzeuge eine elementare Grundregel des Straßenverkehrs darstellt, die jedem Fußgänger, der eine Straße überschreiten will, einleuchten muss (OLG Hamm NZV 1993, 314; NZV 2001, 41; OLG Koblenz NZV 2012, 177; KG VersR 1981, 332; NZV 2004 579; OLG Celle MDR 2004, 994; OLG Bremen, VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Dies gilt umso mehr, wenn nicht spätestens bei Erreichen der Fahrbahnmitte oder der Fahrbahnabgrenzung zur Gegenfahrspur erneut nach rechts geblickt, um sich zu vergewissern, dass ein gefahrloses Weitergehen möglich ist (OLG Saarbrücken NJW 2010, 2525; OLG Düsseldorf r+s 1987; BGH VersR 1967, 608).“ “
Was wäre eigentlich gewesen, wenn diese Frau durch drei Joggerinnen umgerannt worden wäre? Wäre da die Sorgfaltspflicht auch derart ungleich verteilt worden? Man kann den Widerspruch dieses Urteils zur Rechtsprechung bezüglich normaler Straßen in einer Frage zusammenfassen: Warum eigentlich haben die Verkehrsteilnehmer auf kombinierten Rad- und Gehwegen nicht das gleiche grundsätzliche Recht auf die Anerkennung ihres individuellen Verkehrszieles durch neu hinzukommende Teilnehmer wie Autofahrer auf der Straße?
Für mich ist dieses Urteil ein Dokument der Gedankenlosigkeit.
@ Brigitte Ernst
„Auf das Problem, das zu viele und zu schnelle Radfahrer in den Innenstädten und Parks dem Fußverkehr, den er (Knoflacher) so vehement propagiert, bereiten, geht er mit keinem Wort ein. Das ist ein entscheidendes Manko seines Vortrags.“ Brigitte Ernst
Dieser schnelle Radverkehr ist in Knoflachers Konzepten streng von den Fußgängern getrennt, der gehört auch eigentlich auf die Straße – das Problem existiert bei ihm also nicht. Es entsteht doch auch nur dadurch, dass Radfahrer auch in einer nur für den Automobilverkehr optimierten Stadt versuchen, das Fahrrad als effektives Verkehrsmittel zu nutzen. Sie können das nicht tun, ohne sich mit jemandem anzulegen. Da gibt es dann – je nach Persönlichkeit – genau zwei verschiedene Möglichkeiten:
Entweder sie schaffen sich seehr dicke Oberschenkel an und legen sich mit dem Recht und dem Autoverkehr an, das war mein Weg, und ca die Hälfte meiner Fahrradkilometer habe ich im Hamburger Straßenverkehr auch auf mehrspurigen Straßen zurückgelegt. Meine Rücksichtslosigkeit bestand dann darin, Autofahrer mit dem Verkehrshindernis Fahrrad zu konfrontieren, das allerdings in diesem Fall sehr dicht an der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fuhr (an bestimmten Kreuzungen wegen der Ampelphasen auch mal etwas darüber: Ich erinnere mich gerade daran, dass ich dabei mal ein Polizeifahrzeug überholt habe, aus dem heraus mich die Fahrerin amüsiert anlachte.)
Oder sie bedrängen und gefährden Fußgänger und langsamere Radfahrer, ein Verhalten, das mir auch zuwider ist. Nur zur Orientierung: Ich bin häufig Fußgänger, meine persönliche Schwelle, um auf das Fahrrad zu steigen, liegt bei ca zwei Km, darunter gehe ich normalerweise zu Fuß.
Diese radfahrenden Rowdies, über die Sie sich zu Recht beschweren, sind kein integraler Teil unserer Gesellschaft, sondern werden durch die Umstände gemacht. Knoflacher geht deshalb nicht speziell auf sie ein, weil das ganze Konzept seiner entschleunigten Stadt bereits eine Lösung auch dieses Problems ist. Er propagiert übrigens in Ortschaften eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 30kmh – auch für Radfahrer. Ich halte auch das für sinnvoll.
@ Frank Wohlgemuth
Da Sie Ihren Beitrag gestern kurz nach mir gepostet haben, ist Ihnen die gängige Definition von „Schrittgeschwindigkeit“, die ich gegeben habe, entgangen. Also: Es kommt darauf an, jederzeit problemlos, ohne einen anderen zu gefährden oder selbst hinzufallen, anhalten zu können.
Was mir an Ihrem langen Beitrag auffällt, ist, dass Sie häufig Äpfel mit Birnen und diese wiederum mit Zwetschgen vergleichen. Es gibt nämlich gute Gründe, weshalb unterschiedliche Verkehrsteilnehmer, die unterschiedliche Fahrzeuge (oder gar keine) benutzen, vom Gesetzgeber und von der Justiz auch unterscheidlich behandelt werden.
Sicher ist Ihnen der Begriff „Gefährdungshaftung“ bekannt. Er beinhaltet, dass jeder Autofahrer, sobald er sich mit seinem Fahrzeug in den öffentlichen Straßenverkehr begibt, eine gewisse juristische Mitschuld für jeden Unfall zugewiesen bekommt, an dem er, egal ob schuldhaft oder nicht, beteiligt ist, einfach weil sein Auto als potenzielle Mordwaffe (das ist jetzt meine überspitzte Formulierung) bereits durch seine Anwesenheit auf der Straße eine Gefahr darstellt. Nur wenn sich sein „Unfallgegener“ grob fahrlässig verhält, kann der Autofahrer von dieser Mitschuld freigesprochen werden (z.B. wenn ihm beim vorsichtigen Vortasten aus einer Ausfahrt ein Radfahrer, der sich widerrechtlich auf dem Bürgersteig bewegt, ins Auto fährt).
Für Radfahrer gibt es keine Gefährdungshaftung, aber man geht trotzdem davon aus, dass sie generell stärker als Fußgänger sind, und zu Recht. Untersuchungen haben ergeben, dass man leicht die ungeheure physikalische Kraft unterschätzt, die bereits ein radfahrendes Kind entwickelt. Ein zehnjähriger Radler mit der entsprechenden Geschwindigkeit, vielleicht wenn er auch noch einen leichten Abhang hinunterfährt (was bei Ihnen in Schleswig-Holstein nicht vorkommt :)), kann einen ausgewachsenen Mann durchaus zu Fall bringen.
Probieren Sie’s doch einfach mal aus, Herr Wohlgemuth (oder besser doch nicht).
Bezüglich der Regelung für Inline-Skater muss ich Ihnen Recht geben, da sind die bestehenden Gesetze nicht hilfreich. Ich halte es aber auch für schwer, hier eine sinnvolle Regelung zu finden. Bei uns in Frankfurt wird seit Jahren im Sommer an jedem Dienstagabend eine jeweils andere Route durch die Stadt für Inline-Skater vom übrigen Verkehr freigehalten und diese können sich auf den breiten Straßen so richtig austoben. (Wäre auch eine Anregung für Schleswig-Holstein!?)
Ihr Beispiel mit den 90jährigen Radfahrern passt überhaupt nicht. Ob man sich in diesem Alter aufs Fahrrad setzen und sich der damit verbundenen Gefährdung aussetzen will, unterliegt der freien Entscheidung. Man hat ja die Alternative, zu Fuß zu gehen. Deshalb gibt es keinen Grund, hier besondere Rücksicht walten zu lassen. Ein Greis am Steuer eines Auto bekommt ja auch keinen Altersbonus. Ganz im Gegenteil, wenn man berechtigte Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit hat, wird ihm eine MPU aufgebrummt und er bekommt im ungünstigsten Fall den Führerschein entzogen.
Für einen Fußgänger gibt es auf der Gefährdungsskala aber keine Alternative nach unten. Und oft ist er gezwungen, sich mit stärkeren Verkehrsteilnehmern (s.o.) auf eine Fläche zu begeben. Wenn ich in Frankfurt in den Niddawiesen spazierengehen oder mich in das nächste Einkaufzentrum begeben will, MUSS ich die dortigen kombinierten Rad- und Gehwege benutzen und auch als alter, möglicherweise gebechlicher und schwerhöriger Mensch sicher ankommen können. Das sollte aus humanitären Gründen für unsere Gesellschaft selbstverständlich sein.
Ihr Vergleich zwischen Fußgängern, die die Fahrbahn betreten, und denen, die sich auf einem Weg befinden, den sie gezwungenermaßen mit Radfahrern teilen, hinkt ebenfalls gewaltig. Die Fahrbahn ist den Fahrzeugen vorbehalten und als Fußgänger bin ich sozusagen nur Gast auf dieser Fläche. Der kombinierte Rad- und Fußweg dagegen ist in vielen Fällen die einzige Fläche, die mir als Fußgänger bleibt. Dass diese unterschiedlichen Voraussetzungen unterschiedliche Regelungen erfordern, sollte klar sein.
Zu dem von Ihnen dankenswerterweise verlinkten Gerichtsurteil:
Dem Radfahrer wurde vorgeworfen, einen zu geringen Abstand zum Grundstückseingang eingehalten zu haben und nich vorausschauend, d.h. zu schnell gefahren zu sein (hier wäre in seinem eigenen Interesse die berühmte „Schrittgeschwindigkeit“ sicher angemessener gewesen).
Die Frage, was gewesen wäre, wenn die Frau von drei Joggerinnen umgerannt worden wäre, ist hier falsch gestellt. Nicht die Frau ist zu Fall gekommen, sondern der Radfahrer, weil er am Riemen ihrer Tasche hängenblieb. Wahrscheinlich konnte die Frau sich selbst noch vor dem Raserich in Sicherheit bringen und nur die Tasche stand etwas vor. Solche Beispiele versetzen mich immer wieder in Verwunderung ob des Leichtsinns, mit dem manche Radfahrer nicht nur andere, sondern ja auch sich selbst gefährden. Denn sie bleiben bei einem Zusammenstoß ja nicht wie ein Autofahrer sicher auf ihren vier Rädern stehen, sondern stürzen selbst, je schneller sie unterwegs sind, umso schwerer. Offenbar setzt im Geschwindigkeitsrausch das Hirn aus (was man ja auch bei Autofahrern beobachten kann).
Zu den Joggerinnen: Jogger sind selten so schnell unterwegs, dass sie nicht rechtzeitig anhalten können, wenn sich vor ihnen ein Hindernis auftut. Können sie dies nicht, waren sie zu schnell. Für Sprints wurden in diesem Land eigens Sportplätze gebaut.
@ Frank Wohlgemuth, 17.06., 13.04 Uhr
Jetzt haben sich unsere Beiträge überschnitten.
Zu Knoflacher:
Ich würde eine Stadt, in der 30 km/h Höchstgeschwindigkeit vorgeschrieben ist, sehr begrüßen. Aber ich glaube nicht, dass die meisten Radfahrer, selbst wenn der private Autoverkehr ganz aus den Innenstädten verbannt würde und die Straßen weitgehend ihnen zur Verfügung stünden, aufhören würden, durch die Parks und Fußgängerzonen zu brettern, wenn sie dadurch schneller ans Ziel kämen. Wie will Herr Knoflacher den Rad- und Fußverkehr denn so genau trennen? Dann müsste er die Radler ja ganz aus den Fußgängezonen verbannen (bzw. sie zum Schieben verdonnern), und das wäre hier in Frankfurt niemals durchsetzbar (der Versuch wurde ja bereits unternommen und ist gescheitert). Damals gab es ein Riesengeheule unter des Radfahrern, weil sie, wenn sie auf die völlig gefahrlosen Parallelgassen ausweichen müssten, nicht mehr schnell genug wären (ich habe Oskar Voigts Hinweis auf den „eiligen Radler“, der nun einen Umweg machen müsse, noch gut in Erinnerung.
Auch auf beliebten Freizeitwegen wie z.B. den Frankfurter Main- oder Nidda-Uferwegen, wird doch das Gerangel zwischen Fußgängern und Radfahrern nicht deswegen aufhören, weil die Stadt autofrei geworden ist.
Ich bin der Auffassung, dass Radfahrer, wenn man sie nicht wirklich streng kontrolliert, in jeder noch so autofrei konzipierten Stadt überall dort fahren – und häufig auch schnell – wo sie dies ungestraft können. Denn man sollte den Kick der Geschwindigkeit und des Risikos nicht unterschätzen, der Menschen, vor allem junge, von Natur aus reizt.
Also, Knoflacher soll ruhig sein Konzept durchsetzen, ob das allein die Radfahrer zähmt und entschleunigt, wage ich allerdings stark zu bezweifeln.
@Brigitte Ernst: Ein paar Anmerkungen
Zur Gefährdungshaftung: Maßstab müsste die kinetische Energie sein: 1/2 * m * v^2
Ich nehme jetzt einfach mal mich mit 85 Kg bei 5kmh als Bezugsgröße.
Im Spurt (kommt auch bei alten Knackern wie mir vor Ampeln auch auf Gehwegen tatsächlich vor und ist auch nicht verboten) oder auf Inlinern bin ich ca 6 mal so schnell, das macht also zu meiner „Standardenergie“ einen Faktor von 36. Da würde sich jetzt das Gewicht des Fahrrades nicht wesentlich bemerkbar machen (s.u.).
Ein zwölfjähriges Kind, das mit einem ca 10Kg schweren Fahrrad in diesen Bereich kommen will, muss ca 35kmh fahren, das schafft es normalerweise gar nicht.
Wenn meine Frau mich auf meiner Skaterrunde begleitet, das macht sie mit dem Fahrrad und empfindet dieses Tempo als für sie trainigsgerecht, dann haben wir beide ungefähr die selbe kinetische Energie, ich als Fußgänger und sie als Radfahrer (die Gewichtsdifferenz zwischen ihr und mir dürfte sogar etwas kleiner sein als das Gewicht ihres Fahrrades.) Und das Tempo ist bei dieser Fahrt ein gutes Stück über dem Durchschnitt eines normalen innerstädtischen Radfahrers, wir überholen auch regelmäßig andere Radfahrer.
Wenn ich mich in ein Auto setze und 50kmh fahre, dann kontrolliere ich eine kinetische Energie, die ca 1700 mal so groß ist, wie bei meinem Fußgängertempo.
Zusammengefasst: Radfahrer haben im Normalfall eine kinetische Energie, die höher ist als die eines Fußgängers, aber sie bewegt sich insgesamt noch größenordnungsmäßig in deren Bandbreite, die immerhin einen Faktor von über 30 umfasst.
Demgegenüber ist die kinetische Energie eines Autofahrers noch einmal und einen Faktor von über 40 höher.
Die allgemeine Gefährdung ergibt also ohne Einzelfallbetrachtung keine sinnvolle juristische Grenze zwischen Fußgängern und Radfahrern.
„Ihr Beispiel mit den 90jährigen Radfahrern passt überhaupt nicht. Ob man sich in diesem Alter aufs Fahrrad setzen und sich der damit verbundenen Gefährdung aussetzen will, unterliegt der freien Entscheidung. Man hat ja die Alternative, zu Fuß zu gehen. Deshalb gibt es keinen Grund, hier besondere Rücksicht walten zu lassen.“ (Brigitte Ernst)
Es geht mir nicht um eine besondere Rücksicht für radfahrende Greise, sondern um eine allgemeine Rücksicht der stärkeren auf die schwächeren, und das können genausogut radfahrende wie zu Fuß gehende Greise sein. Und es ging mir darum zu zeigen, dass das Stereotyp vom alten hilfsbedürftigen Fußgänger und dem jungen sportlichen Radfahrer, das eigentlich überall im Hintergrund dieser Diskussionen steht, nur einen kleinen Ausschnitt der Realität wiedergibt.
„Ihr Vergleich zwischen Fußgängern, die die Fahrbahn betreten, und denen, die sich auf einem Weg befinden, den sie gezwungenermaßen mit Radfahrern teilen, hinkt ebenfalls gewaltig.“ (Brigitte Ernst)
So würde er tatsächlich hinken, er ist aber von Ihnen falsch wiedergegeben. Zur Erinnerung: Es ging um eine Frau, die „überraschend aus ihrem Grundstück auf den Rad- und Gehweg getreten“ war, es ging also um die Sorgfalt vor dem Moment des Betretens eines Verkehrsweges. Und wenn Ihnen so jemand plötzlich in den Weg tritt, kann es sogar sein, dass Sie ihn als einfacher Fußgänger anrempeln, das hätte nur kaum Folgen. Ich habe die drei Joggerinnen als Beispiel genommen, weil die sich beim Ausweichen gegenseitig behindern und deshalb nicht so leicht ausweichen können. Da würde das Anrempeln des eben erwähnten Gehers wahrscheinlich zu einem Umrennen werden. Und das alles, weil es einem Fußgänger nicht zugemutet werden kann, einen Blick auf einen Verkehrsweg zu werfen, bevor er ihn betritt? Ich verkneife mir jetzt gerade eine weitere Wertung.
Zu Bewusstseinszuständen auf dem Fahrrad (Stichwort Geschwindigkeitsrausch): Die sind nicht anders als beim Laufen – das sind beides Leistungen, die mit dem eigenen Körper erbracht werden. Wenn wir nicht an der Erschöpfungsgrenze sind, ist es ein ganz normales tierisches Erbe, dabei eine erhöhte Aufmerksamkeit zu haben. Es gibt bei Menschen, die das sehr regelmäßig machen, dabei auch soetwas wie Trance-Zustände, aber stellen Sie sich da bitte keinen Dämmerschlaf darunter vor, es ist das Gegenteil. Es ist die pure Konzentration auf den Vorgang der Bewegung und den Raum, in dem die Bewegung stattfindet, es ist also höchste Aufmerksamkeit. Das kann gleichzeitig auch als Glück empfunden werden. Ich kenne auch das nicht nur aus der Literatur, sondern auch aus eigener Anschauung.
Einen Geschwindigkeitsrausch, in dem man von der Realität abhebt, gibt es auf dem Fahrrad nicht. Da bewegen Sie sich im Bereich der Phantasie. Die mit dem Fahrrad erreichbaren Geschwindigkeiten bewegen sich größenordnungsmäßig noch im Bereich dessen, woran wir evolutionär angepasst sind. An der Stelle widerspreche ich Knoflacher als Biologe: Evolution schafft in ihrer Anpassung keine so starren Grenzen in der Wahrnehmung, dass es da über 30kmh sofort zu Ausfällen käme. Er unterschätzt auch die individuelle Plastizität auch unserer geistigen Fähigkeiten durch Training. Das betrifft sowohl die Wahrnehmungs- als auch die Reaktionsfähigkeiten.
Punkto Phantasie: Wir wissen nicht, ob es sich bei dem Radfahrer und einen „Raserich“ handelte. Alles, was wir wissen, ist, dass er zu schnell war, um einer plötzlich aus einem Grundstück heraustretenden Frau noch auszuweichen, wobei wir den Abstand nicht genau kennen, in dem sie plötzlich vor ihm aufgetaucht ist. Allerdings kann dieser Abstand nicht sehr groß gewesen sein, denn nach der Zeugenvernehmung wurde Folgendes festgestellt: „Sie trat vielmehr lediglich einen Schritt auf den Gehweg, als es auch bereits zur Kollision mit dem Fahrrad des Klägers kam.“ Es war also keine Reaktionszeit da. Gegen ein hohes Tempo spricht dabei, dass der Riemen der Tasche, die sich in seinem Lenker verfangen hat, anscheinend nicht gerissen ist, zumindest wird nichts dergleichen erwähnt. Bei einem hohen Tempo bilden Fahrer und Rad über den hohen Muskeltonus eine derartige Einheit, dass dieses Unfallgeschehen nicht ohne eine Beschädigung mindestens der Tasche der Frau abgelaufen wäre, wenn sie nicht sogar selbst zu Schaden gekommen wäre. Bei dem Thema bin ich sachverständig. (Nicht, dass ich jemals jemanden umgefahren hätte, ich kenne dieses Hängenbleiben von Dickichtberührungen.)
Das Urteil begründet sich auch weniger aus dem Tempo des Klägers als aus seinem Abstand zur Wand, als die bis dahin unsichtbare Beklagte aus dem Torbogen trat. Deshalb heißt es da auch „Wie schnell das Fahrrad des Klägers war und wie nah er an der Hecke vorbeigefahren ist,kann im Ergebnis dahinstehen.“. Aus meiner Erfahrung und der Ablauf des Unfalles gehe ich nicht davon aus, dass der schneller als 15 – 20kmh gefahren ist, der saß also entspannt. Der „Raserich“ ist hier Produkt ihrer persönlichen Vorstellung des Unfallgeschehens, die aber nicht viel mit dem aus dem Urteil ersichtlichen Unfallgeschehen gemein hat.
Dass das Urteil das eigentliche Thema verfehlt, ist bereits am Anfang der Begründung zu sehen:
„Ein fahrlässiges Fehlverhalten beim Heraustreten auf den Bürgersteig kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Bei einem gemeinsamen Fuß- und Radweg gemäß Zeichen 240 zu § 41 StVO treffen den Radfahrer höhere Sorgfaltspflichten als den Fußgänger. Diese können ihn zur Herstellung von Blickkontakt, Verständigung und notfalls Schrittgeschwindigkeit zwingen.“
Der Unfallablauf zeigt, dass die Beklagte sich bis zum Unfall weder nicht auf dem Weg befunden hatte, noch überhaupt sichtbar war – in diesem Zusammenhang das Wort Blickkontakt nur zu erwähnen, ist oberlandesgerichtlich geäußerter Schwachsinn. Das eigentliche Thema, die Sorgfaltspflicht beim Betreten eines Verkehrsweges, wird ohne weitere Begründung einfach mit einer Bemerkung weggewischt: „Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es völlig realitätsfern wäre, von einem Fußgänger zu verlangen, dass er vor Betreten des Gehsteigs mit dem Kopf aus dem Eingang herausschauen und auf zu nah heranfahrende Fahrradfahrer achten müsste.“
Nicht nur, dass es sich nicht nur um eine Gehsteig handelte, sondern um einen kombinierten Rad- und Gehweg, auch ein Gehsteig ist ein Verkehrsweg, deshalb hatte ich in meinem Beispiel auch andere Fußgänger benutzt. Die hier behauptete Realitätsferne ergibt sich nur, wenn man Benutzern von Rad- und Gehwegen das Verfolgen eines eigenen Verkehrszieles und damit ein zielstrebiges Verhalten abspricht. Ein zielstrebiges Verhalten wird anscheinend nur bei Autofahrern vorausgesetzt, so dass eine Sorgfaltspflicht nur beim Betreten von automobil genutzten Verkehrswegen als realistisch erscheint.
Auch nachdem ich mir dieses Urteil nun im Wortlaut angesehen habe, finde ich nicht, dass es das Gehalt der beteiligten Richter wert ist.
@ Frank Wohlgemuth
Ihren Ausführungen zur kinetischen Energie kann ich nichts entgegensetzen, davon verstehe ich zu wenig. Ich vermute nur – kann das aber leider nicht so fachkundig belegen wie Sie – dass ich, wenn ich mich mit Schrittgeschwindigkeit zu Fuß vorwärtsbewege und mir ein zehnjähriger Radfahrer mit 15-20 km/h eingegenkommt und mir in den Bauch fährt, erhebliche Verletzungen davontragen würde, weil sich das harte Metallgestänge des Fahrrads in meinen Körper bohren würde. Wenn ich dagegen mit einem Jogger zusammenstoße, der vorwiegend aus weichem Gewebe besteht und biegsamer als ein Fahrrad ist, nehme ich an, dass ein Aufprall zu geringeren Verletzungen führen würde. Deshalb fürchte ich mich mehr vor Radfahrern als vor Joggern, zumal erstere sich erheblich schneller fortbewegen können.
Darin, dass die Kategorie „Fußgänger“ auf einen Inlineskater eigentlich nicht anwendbar ist, waren wir uns, glaube ich, einig, deshalb finde ich es nicht hilfreich, wenn Sie dessen kinetische Energie mit der eines Radfahrers vergleichen. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, begegne ich etwas 50 mal so vielen Radfahrern wie Skatern, deshalb sind letztere für meine subjektive und objektive Sicherheit vernachlässigenswert. Ich begegne auch höchst selten Fußgängern, die vor Ampeln Sprints hinlegen, welche die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Radfahrers erreichen. Die meisten Fußgänger, die ich beobachte, gehen recht gemächlich vor sich hin und bilden deswegen keine Gefahr für meine körperliche Unversehrtheit. Sehr häufig dagegen begegne ich sowohl auf reinen Gehwegen als auch auf Gehwegen mit Radbenutzung sowie auf kombinierten Geh- und Radwegen Radfahrern, die erheblich schneller sind als ein durchschnittlicher Fußgänger. Und das ist es, was für meine Sicherheit, bzw. Gefähdung entscheidend ist, alles andere sind müßige Gedankenspiele.
Warum Sie sich des Längeren und Breiteren über die Bewusstseinszustände des Geschwindigkeitsrauschs auslassen, weiß ich nicht. Ich habe lediglich von einem „Kick“, also einem Nervenkitzel, gesprochen, den vor allem diejenigen erleben, die sich eben nicht ohne Hilfskonstruktion auf ihren zwei Beinen vorwärtsbewegen, sondern mit weniger Kraft eine höhere Geschwindigkeit erreichen als zu Fuß, etwa Skifahrer beim Abfahrtslauf, Rodler oder eben Radfahrer. Dass eine solche schnelle Fortbewegung besondere Lust bereitet und dazu verleitet, Gefahren zu unterschätzen, werden Sie sicher nicht bestreiten.
Nun noch einmal kurz zum von Ihnen kritisierten Gerichtsurteil:
Dass der Riemen der Tasche, an der der Radfahrer hängenblieb, nicht gerissen ist, kann auch daran liegen, dass der Frau die Tasche von der Schulter oder vom Arm gerutscht ist. Das würde auch erklären, dass sie nicht ebenfalls gestürzt ist. Und eine überhöhte Geschwindigkeit vermute ich deshalb, weil der Radler offensichtlich auch nach dem Verhaken in dem Taschenriemen immer noch nicht bremsen konnte, sondern so schwer gestürzt ist, dass er sich starke Kopfverletzungen zugezogen hat. Da muss er schon ein beachtliches Tempo draufgehabt haben.
Zum Abschluss noch eine Bemerkung: Abgesehen davon, dass Radfahrer aufgrund ihrer Geschwindigkeit Fußgänger verletzen können, bringen sie sich doch durch eine riskante Fahrweise vor allem selbst in Gefahr, weil sie sich sehr kippelig auf zwei Rädern bewegen und bei einer Kollision sowohl mit einem Fußgänger als auch mit einem anderen Verkehrsteilnehmer meistens selbst zu Fall kommen. Im Interesse der eigenen Sicherheit müssten sie deswegen höchst defensiv fahren, was viele von ihnen aber nicht tun. Das halte ich für Dummheit. Auch wenn die Frau in dem obigen Fall verurteilt worden wäre, hätte das die Verletzung, die der Radfahrer erlitten hat, nicht tilgen können. Mein Vater pflegte, wenn ich als Kind mit meinem Vorfahrtsrecht argumentierte, zu sagen: „Wenn du dir dann den Hals gebrochen hast, kannst du ja an der Himmelstür zu Petrus sagen: ‚Aber ich hatte doch Vorfahrt'“. Deswegen rate ich allen Radlern im eigenen Interesse zu vorsichtigem und defensivem Fahren.
@ Brigitte Ernst
Ich finde das ja immer spannend, wenn jemand zu einem Thema, dessen theoretische Grundlagen (Physik) er negieren kann, und von dessen Praxis er nicht weiter verbildet ist, mit einer derartigen Sicherheit seine Feststellungen trifft. Und es tut mir auch außerordentlich Leid, da mit so etwas langweiligem wie Erfahrung zu kommen, um Ihrer Hellsichtigkeit zu widersprechen:
„Und eine überhöhte Geschwindigkeit vermute ich deshalb, weil der Radler offensichtlich auch nach dem Verhaken in dem Taschenriemen immer noch nicht bremsen konnte, sondern so schwer gestürzt ist, ….“ (Brigitte Ernst)
Nein. Ich hatte ja schon mal angesprochen, dass das anders abläuft:
„Bei einem hohen Tempo bilden Fahrer und Rad über den hohen Muskeltonus eine derartige Einheit, dass dieses Unfallgeschehen nicht ohne eine Beschädigung mindestens der Tasche der Frau abgelaufen wäre, wenn sie nicht sogar selbst zu Schaden gekommen wäre.“ (Frank Wohlgemuth)
Diese Einheit hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür gesorgt, dass der Fahrer so ein kleines Hindernis einfach durchbrochen hätte. Dass er gestürzt ist, weil sich der Riemen im Lenker verfangen hatte, sagt mir als Praktiker, dass der Fahrer so entspannt auf seinem Drahtesel gesessen hat, dass es ihm den Lenker weggerissen hat. Das heißt, der Lenker wird ruckartig nach einer Seite gerissen, und das Fahrrad befindet sich im selben Moment im unaufhaltsamen freien Fall zur anderen Seite. Da gibt es dann keine andere Möglichkeit mehr, als noch vorne abzurollen – wenn man das kann – ein Sturz lässt sich durch keine Reaktion der Welt mehr aufhalten.
Gehen Sie ruhig davon aus, dass schon die Verteidiger der Beklagten erfolglos versucht haben, ein hohes Tempo zu begründen. Auch die beiden Zeugen haben nichts derartiges bestätigt.
Und wo wir gerade dabei sind, uns Unfallgeschehen vorzustellen: Ein Kind, dass Sie mit seinem Fahrrad rammt, hat vorne keine Rohre herausstehen, es ist kein Turnierritter mit Lanze im Anschlag. Es gibt zwar regelmäßig Verletzungen durch die Lenkstange, aber das mehr bei motorisierten Zweirädern und betroffen sind normalerweise die Fahrer, die auf das liegende Zweirad fallen. Das normale Unfallgeschehen auch auf Fuß- und Radwegen ist, dass Kinder von Autos angefahren werden, und nicht, dass Kinder jemanden anfahren. (Immer im Gedächtnis behalten: Es waren statistischen Untersuchungen zu realen Unfällen, die wiederholt zu der Aussage gekommen sind, dass Radler am sichersten auf der Straße aufgehoben sind.)
„Warum Sie sich des Längeren und Breiteren über die Bewusstseinszustände des Geschwindigkeitsrauschs auslassen, weiß ich nicht. Ich habe lediglich von einem „Kick“, also einem Nervenkitzel, gesprochen, den vor allem diejenigen erleben, die sich eben nicht ohne Hilfskonstruktion auf ihren zwei Beinen vorwärtsbewegen …“ (Brigitte Ernst)
Sie haben ein schlechtes Gedächtnis. Am 17. Juni schrieben Sie Folgendes und zwar im direkten Zusammenhang zu dem behandelten Unfall:
“ Offenbar setzt im Geschwindigkeitsrausch das Hirn aus (was man ja auch bei Autofahrern beobachten kann).“
Das war der Beitrag, in dem Sie den Fahrer auch als Raserich qualifizierten.
Um meine Haltung zu diesem Urteil noch einmal von der anderen Seite zu begründen: Wir sind uns darüber einig, dass die Fortbewegung aus eigener Kraft, ob nun auf Schlappen, Laufschuhen oder Skates oder mit Hilfsmitteln wie Rutscheauto, Dreirad, Fahrrad oder Rollator etwas ist, was wir fast vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens selbständig tun können, und was auch Hilfsbedürftigen möglich sein muss, die dabei einen besonderen Schutz brauchen. Deshalb können kombinierte Rad- und Gehwege in der Stadt, die direkt an Häusern vorbeiführen, und deren Zugänge deshalb nicht einsichtig sind, keine „Rennstrecken“ sein. Aber an diesem Soderstatus für diese Wege sollten alle beteiligt sien, die das noch können – und hier die Fußgänger, die das können, einfach aus der Pflicht zu nehmen, weil sie Fußgänger sind, kann nur jemandem logisch erscheinen, der der Meinung ist, dass Leute zwischen 18 und scheintot sowieso nur Auto fahren, wenn es sich nicht gerade um Fahrradideologen handelt.
Aber auch auf einem Fußweg bewegen sich Menschen mit einem Verkehrsziel, das zu respektieren ist. Und wer sich rückwärts aus seiner Tür bewegt, um sie dabei gleichzeitig abzuschließen – nach diesem Urteil absolut nicht zu beanstanden, der schafft es dabei ohne weiteres, jemanden, der sich mit einem Rollator „anschleicht“, mit dem Hintern umzuschubsen. Was in diesem Urteil fehlt, ist für die, die sie noch leisten können, die Sorgfaltspflicht, die beim Betreten eines Verkehrsweges grundsätzlich zu beachten ist. Auf diese Problematik geht das Urteil gar nicht ein, sondern wischt es einfach als „lebensfremd“ vom Tisch. Und das, ohne eine Revision zuzulassen. Das wäre wohl etwas für ein juristisches Seminar, zu untersuchen, ob da nicht bereits die Grenze zur Rechtsbeugung überschritten ist.