Alexander Gauland bezeichnete den industriell organisierten Massenmord an den Juden als „Vogelschiss“ – in Summe mit jenen zwölf Jahren deutscher Geschichte, über die er nicht so gern spricht. Für diese (gewiss kalkulierte) Provokation hat er einhellige Empörung geerntet. Jetzt hat der Germanist Heinrich Detering, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Uni Göttingen, Gaulands Sprache einmal gründlicher untersucht. Statt sich nur an einzelnen Wörtern wie eben jenem „Vogelschiss“ aufzuhängen, hat er sich Gaulands „Syntax, Pragmatik und Performanz“ angesehen, wie er schreibt. Das Ergebnis präsentierte er in einer Rede vor dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken am 23. November. Die FR brachte einen Auszug, den ich als sehr lesenswert empfehle und titelte auf Seite 1: „Gaulands Sprache ist der Jargon von Gangstern“. Der vollständige Text findet sich auf der Seite des ZdK.
Zu diesem Text gab es
Leserbriefe
Matthias Kromer aus Frankfurt meint:
„Zum Titelblatt vom 28. November 2018 muss und möchte ich Ihnen meinen Respekt und Dank ausprechen. Das Zitat aus der Rede von Herrn Prof. Detering: „Gaulands Sprache ist der Jargon von Gangstern“ könnt zutreffender nicht sein. Ohne unangebrachte Zurückhaltung oder „political correctness“ beschreibt das Zitat die wahren Absichten und Motivationen der „Macher“ der AFD. Auch die Nazis waren zunächst „nur“ Diebe und Räuber bevor sie zu Massenmördern wurden. Viele hunderttausende von ihnen haben sich an den Vermögen derjenigen, die in die Konzentrations- und Vernichtungslager geschickt wurden, durch Raub bereichert. Und nicht vergessen: Vor der physischen Gewalt kommt meist zunächst die verbale Gewalt.
Eindringlicher und aussagekräftiger hätte die Gestaltung eines Titelblattes kaum sein können: Plakativ das Zitat selbst, mit einer nur in Kleinschrift gehaltenen Erläuterung. Danke auch für den Abdruck (eines Teils) der Rede von Heinrich Detering. Insbesondere der Abschnitt über das Wesen einer „nationalen Kultur“ ist sehr lehrreich und vor allem zutreffend. So viel auch zu einer Debatte über eine „Deutschen Leitkultur“. Auch hierbei handelt es sich meiner Ansicht nach bereits um eine solche verbale Gewaltausübung. Es geht dabei ja immer um die Ausgrenzung Anderer. Machen sie weiter so.“
Matthias Rabbe aus Köln:
„Prof. Deterings Beitrag unterstreicht und belegt eindeutig, dass es den Parteifunktionären der AfD nicht um Kultur, oder gar deutscher Kultur geht. Ihre Alternative für Deutschland ist keine Alternative, sondern vielmehr die vorsätzliche Zerstörung von Gesellschaft, Gemeinsinn und Gemeinwohl, der Denunziation christlicher und religiöser Werte sowie der Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das Ziel ist, im Nazi-Jargon Angst zu verbreiten und durch die Angst politisch zu profitieren. Es wird Zeit, den Damen und Herren Gauland, Höcke und Co nicht das Feld der Sprache zu überlassen. Wenn demokratische Öffentlichkeit und Meinungsfreiheit den Wettstreit konkurrierender Sprachdeutung gewährleistet soll, dann müssen wir gemeinsam Worte, Begriffe und Sprache mit unseren Werten und einer menschenwürdigen Semantik füllen. Derzeit versuchen zwei CDU-Politiker in Regionalkonferenzen Begriffe wie Asyl, Flucht und Migration mit eher holprigen Definitionen zu besetzen, um zum Parteivorsitzenden gewählt zu werden. Deshalb sei der Kanzlerin Dank, dass sie den Begriff Patriotismus mit einer realistischen Definition endlich den Marktschreiern entrissen hat.“
Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:
Dem Beitrag von Heinrich Detering über Semantik und Syntax der Sprache von Alexander Gauland und Bernd Höcke, also der sichtbaren Spitze jener faschistischen Verschwörung, die sich AfD nennt, ist wenig hinzuzufügen. Ich frage mich aber, warum Politiker, die das Attribut demokratisch für sich in Anspruch nehmen, und auch Teile der Medien, die zurecht auf die Pressefreiheit pochen, Gauland nicht bereits viel früher in die Schranken gewiesen haben. Damit meine ich die so genannte „Gauland-Affäre“ von 1988 bis 1991/2.
Zur Erinnerung: Im November 1988 kündigte der damalige Leiter der Hessischen Staatskanzlei, Staatssekretär Alexander Gauland (CDU), dem Leitenden Ministerialrat Rudolf Wirtz (SPD) an, dass er ihn als Leiter der Verbindungsstelle der Landesregierung zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften absetzen und durch Wolfgang Egerter (einen wissenschaftlicher Mitarbeiter der CDU-Fraktion und Mitglied im völkischen Witikobund) ersetzen würde. Nach 18 Jahren ununterbrochener Tätigkeit sei es an der Zeit für einen Wechsel. Zudem würde das Referat zur Abteilung aufgewertet, wodurch sich die Frage der Leitung neu stellte. Da diese Position jedoch nicht ausgeschrieben worden war, klagte Wirtz in einem Eilverfahren erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden und beanstandete auch die geplante Änderung der bisherigen Organisation. Gauland hielt trotzdem an der Versetzung von Wirtz fest. Und seine neue Begründung war noch hinterhältiger als die erste. Denn angeblich hätte es Beschwerden aus dem Bereich der Kirchen an Wirtz‘ Amtsführung gegeben, sodass dieser nicht länger tragbar sei. Um angeblich das Vertrauensverhältnis zu den Kirchen nicht zu gefährden, sah sich Gauland nicht dazu in der Lage, Zeugen aus diesem Kreis zu benennen. Stattdessen versicherte er an Eides statt, dass „Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften Vorbehalte hinsichtlich der Persönlichkeit und des Verhaltens“ von Wirtz geäußert hätten. Dessen Prozessvertreter wurde aus formalrechtlichen Gründen Akteneinsicht verweigert. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel entschied darum in zweiter Instanz 1992 zu Gunsten Gaulands. Bis heute ist es nicht nachvollziehbar, warum das Gericht nicht auf Zeugenaussagen bestanden hat. Die Hessische Verwaltungsjustiz muss sich seither den Vorwurf gefallen lassen, nicht korrekt gearbeitet zu haben, ja, sogar möglicherweise beeinflussbar gewesen zu sein. Denn sowohl das Bistum Limburg als auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hatten erkennen lassen, dass sie sich einer Vernehmung nicht entziehen würden. Die Jüdische Gemeinde in Frankfurt und Ignaz Bubis hatten dafür gesorgt, dass Egerter wegen seiner offenkundigen Nähe zu Rechtsradikalen nach Thüringen abgeschoben wurde und dort bald unter Ministerpräsident Vogel zum Staatssekretär avancierte.
Rudolf Wirtz erstattete nach dem Verwaltungsgerichtsverfahren Strafantrag gegen Gauland wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung. Nach einer mehrmonatigen Ermittlung stellte die Wiesbadener Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Acht Jahre danach belegte ein interner Briefverkehr der 5. Kammer des Hessischen Verwaltungsgerichts, dass Gaulands Eid ein Meineid gewesen war.
Wirtz hatte sich mit der neuen rot-grünen Landesregierung 1991 auf die Rückkehr in seine frühere Position geeinigt und wurde auch finanziell entschädigt. Man einigte sich in sozialdemokratischer Manier auf ein Stillschweigen. Allerdings übergab Wirtz seine gesamten Akten dem Schriftsteller Martin Walser. Der verfasste auf dieser Grundlage den Roman „Finks Krieg“, der 1996 erschien (© Suhrkamp Verlag).
Wer in diesem Buch blättert, stößt auf Passagen wie diese: „Dass er mir nicht die Hand gab, nahm ich ihm nicht übel. Er spielte den Engländer. Und das nicht nur mit seinen Anzügen und Manieren.“ Oder: „Mich erinnerte er, trotz seiner feinen Londoner Aufmachung, an meine Fähnleinführer. Wahrscheinlich der Blick, das Kinn, der Mund. Nein, nicht nur der Blick, […] ich sah, spürte immer seine Entschlossenheit, seinen Siegeswillen.“ Oder: „Dieser Mann ist mein Feind. Ich bin ihm in den Weg geraten. Er wollte einfach seinen Weg gehen. Das war er gewohnt. Sich durchzusetzen. Da musste er mich, weil ich störte, zur Seite schieben. Ich wehrte mich. Das war ihm neu. Da schlug er zu. Er meinte es sicherlich nicht persönlich. Allenfalls systematisch.“ Oder: „In der Sonntags-Frankfurter behauptete Tronkenburg (Gauland) in einem Artikel, dass fast jeder Politiker irgendwann einmal mit Strafverfolgungsbehörden zu tun habe, das sei eine Folge parteipolitischer Einflüsse auf die Justiz. Dass er inzwischen selber Gegenstand eines Ermittlungsverfahren war, verschwieg er.“
Und dann geht Fink (Wirtz) mit der Presse ins Gericht: „Dass die Herrschaften einander das Gewissen narkotisieren können. Dazu gibt es die FAZ. Dass sie sich ihre Unschuld polieren lassen können. Legitimierungsganoven, alle, gar alle. […] Die für mich zuständige „Frankfurter Rundschau“ hatte sich bis dahin jeder Überlegung zu meinem Prozess enthalten. Ja, aktuell reagiert hatte man, aber nicht mehr. Der Journalist, der für dieses „mehr“ zuständig gewesen wäre, sei, hieß es, mit Tronkenburg befreundet.“
Angesichts des letzteren Vorwurfs erscheint es mir geradezu notwendig, dass die FR dieses Mal das ausspricht, was zu sagen dringend notwendig ist: „Gaulands Sprache ist der Jargon von Gangstern.“
Frank Ernst Müller aus Frankfurt:
„‚Jargon von Gangstern’ – Schlusssatz und Fazit der Rhetorikanalyse von Heinrich Detering scheinen mir wenig angemessen. Was soll das für eine Sprache sein, der Jargon von Gangstern? Wer kann sich darunter was vorstellen, ausser vielleicht in der Welt des Kinos oder des ‚gangsta rap‘? Ein solches Fazit passt auch nicht gut zur vorausgehenden Analyse, die ja zurecht Bezug nimmt auf die ‚kalkulierten Mehrdeutigkeiten‘ und die vielen Anspielungen der AfD-Redner, die für das einschlägig disponierte Publikum aber eine präferierte oder gar eindeutige Lesart haben. Die Redner/Protagonisten der AfD segeln häufig und gerne an der Grenzübschreitung entlang – die faschistoide Kulisse bleibt dabei jedoch als eine dunkel drohende und halb-verhüllte im Hintergrund. Formuliert als blanke und explizite Mitteilung und ohne ihren mystifikatorischen Hintergrund würde ihre Botschaft jedoch viel an rhetorischer Wirksamkeit verlieren.“
In der Sprache zu suchen, was den gesellschaftlichen Beziehungen angehört, läuft Gefahr, niemals fündig zu werden. Diese Kritik stammt von Pierre Bourdieu (Was heißt sprechen?). Heinrich Detering nimmt sie insofern auf, als er gleich eingangs sagt, dass ohne den Kontext die von der AfD verwendeten Ausdrücke hohle Phrasen bleiben. Zur Diskussion stehen deshalb vorrangig die von ihm als „außersprachliche Wirklichkeit“ bezeichneten Gegebenheiten einer menschlichen Gemeinschaft. Wie die Redner der AfD jene erfassen bzw. gemäß ihren Zwecken umdeuten, ist in der Tat verbrecherisch. Ist der einzelne Mensch in seiner Wirklichkeit stets ein Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse (Marx), wird ihm das Völkische von nicht wenigen in der AfD kurzerhand vor die Nase gesetzt und vorgelagert. Das geschieht, ohne sich zu rechtfertigen, völlig beliebig. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man über deren Versuche lachen, sich die Welt so zu machen, wie sie einem gefällt; anstatt sie notwendig so zu begreifen, wie sie naturwüchsig geworden ist.
Auch die sprachliche Kommunikation der Ganoven, Verbrecher, Gangster gestaltet sich durchaus unterschiedlich. Sie bildet – analog zur Gesamtbevölkerung – Herkunft, Bildung und gesellschaftliche Stellung ab. Zudem gestattet sie es, ihre tatsächlichen, während einer Anfangsphase häufig noch verschleierten, Ziele zu entlarven.
Heinrich Detering verweist in diesem Zusammenhang auf die zwischen 1945 und 1948 erschienene Artikelserie „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind, die sich mit der Sprache der Nationalsozialisten befasste (Buchausgabe 1957). Ebenso erwähnt er Victor Klemperers „LTI (Lingua Tertii Imperii) – Notizbuch eines Philologen“, das 1947 veröffentlicht wurde. Ein Vergleich der Phrasen von Josef Goebbels mit denen von Alexander Gauland, Björn Höcke und Alice Weidel zeigt, dass sich im Zuge einer vermeintlichen Siegesgewissheit die „Führer“ einer faschistischen Bewegung schon bald derselben Sprache bedienen wie ihre Schlägertrupps auf der Straße.
Ein Vergleich von Politikern des rechten bzw. rechtskonservativen Flügels mit Gangstern wurde auch noch nach den Anfangsjahren der Bonner Republik gelegentlich gezogen. So hatte im August 1979 der damalige Bremer Finanzsenator und spätere Bürgermeister Henning Scherf eine heftige Diskussion ausgelöst, als er öffentlich seinen persönlichen politischen Alptraum offenbarte: Eine Bundesrepublik mit Karl Carstens als Staatsoberhaupt, Richard Stücklen als Parlamentspräsident und Franz Josef Strauß als Kanzler erschiene ihm so, „als ob dieser Staat an eine Gang abgetreten“ worden wäre.
Wer das aktuelle politische Geschehen zum Anlass nimmt, um sich einen gesellschaftlichen Super-GAU auszumalen, könnte zu ähnlichen Alpträumen wie seinerzeit Henning Scherf gelangen: Eine endgültig neoliberale CDU (mit oder ohne Friedrich Merz), verbündet mit der neuen anti-intellektuellen Mittelstandsvereinigung (Grüne), denen im Bundestag vor allem die institutionalisierte Menschenverachtung (AfD) gegenübersteht. Währenddessen sich die zur Minderheitenvertretung geschrumpfte SPD und die gleichstarke LINKE um den richtigen Weg zum Sozialismus streiten. Einen solchen Staat wünschen sich sämtliche Gangster dieser Welt, weil er ihnen unbeschränkte Geschäftsfelder böte – eine Globalisierung, die mit Rücksichtnahme auf Demokraten nicht länger Kreide fressen müsste.
@ Klaus Philipp Mertens
Wer eine kritische Auseinandersetzung mit der Sprache im öffentlichen Disput fordert, sollte eine Verkürzung von komplexen politischen Positionen auf Schlagworte wie „neue anti-intellektuelle Mittelstandsvereinigung (Grüne)“ lieber unterlassen.
@ JaM
Bitte mal genau lesen: „Wer das aktuelle politische Geschehen zum Anlass nimmt, um sich einen gesellschaftlichen Super-GAU auszumalen, könnte zu ähnlichen Alpträumen wie seinerzeit Henning Scherf gelangen.“
Andere werden anders träumen – siehe die letzten Wahlergebnisse der Grünen.
Aber es gibt noch ein paar Randständige, die sich kein X für ein U vormachen lassen. Und die beispielsweise Annalena Baerbock zurufen möchten, in ihren Statements doch nicht ständig die logischen Ebenen zu verwechseln. Denn das Reduzieren von Komplexität bei existentiellen Fragen führt zum allmählichen Abgleiten in ein gefährliches intellektuelles Mittelmaß. Der Weg von dort zur sich selbst so verortenden „Mitte der Gesellschaft“, gar zum „Mittelstand“, ist kurz und zumeist schwarz oder grün markiert.
Das hängt mutmaßlich mit der Entwicklung der Grünen zusammen. Fünf Quellen und folglich fünf Bestandteile kann man ausmachen: Anti-Atomkraft-Bewegung, konservative Umweltschützer (Herbert Gruhl, Baldur Springmann), rechtsnationale „Aktion Unabhängiger Deutscher“, „Frankfurter Häuserkampf“ und „Bündnis 90“.
In einer solchen Konstellation trifft vieles aufeinander, was sich zum Teil gegenseitig ausschließt. Das erschwert echte programmatische Aussagen, beispielsweise eine konsequente linke Positionierung, wie sie Jürgen Trittin vielfach propagierte. Anton Hofreiter scheint eine solche auch zu favorisieren, vermag sich aber mit dieser Forderung nicht durchzusetzen. Andererseits erleichtert ein Programm ohne Prinzipien die Zusammenarbeit mit CDU und FDP, weil die Partei dann inhaltlich wenig aufgeben muss.
Die rot-grüne Koalition in Hessen hätte nach ihrem Amtsantritt im April 1991 ein rechtsstaatliches Verfahren gegen Alexander Gauland wegen des Verdachts der eidlichen Falschaussage ermöglichen können. Nicht zuletzt vom vermeintlich antiautoritären Joschka Fischer hätte man das erwartet. Aber man traute sich an eine Grundsatzfrage nicht heran: Welchen Einfluss gesteht die Demokratie außerparlamentarischen Interessengruppen zu (Kirchen, Religionsgemeinschaften, Wirtschaftsverbänden etc.)? An deren Nichtbeantwortung scheitern seit 38 Jahren die Hoffnungen aller, die auf Grün setzen. Auch Hartz IV wurde von den Grünen ausdrücklich gebilligt.
In der Bundestagsdebatte vom 29.11.2018 , als Dr. Curio seine Rede hielt, war ein prominenter Zwischenrufer (Alexander Graf Lambsdorff) mit den Worten „Sie brauchen den Ariernachweis, Herr Curio! Sie brauchen den Ariernachweis!“.
Irgendwie sexy scheint das NS-Vokabular scheinbar für viele zu sein.
Auch Henning Scherf bedient sich einer beleidigenden Sprache, wenn er Politiker einer demokratischen Partei mit Mitgliedern einer Gang vergleicht. Wer etwas an anderen auszusetzen hat, sollte seine Kritik an konkreten Inhalten festmachen und seine Gegner nicht pauschal diffamieren.
Na, ein bisschen Pfeffer darf schon in den politischen Debatten sein, wenn man sich auseinandersetzt. Wir müssen nur zu unterscheiden lernen, welche Inhalte da transportiert werden. Im Parlament muss debattiert, d.h. gestritten werden, die höfliche Sprache der Diplomatie gehört woanders hin, im Parlament können auch mal kräftige Worte fallen.
I.Werner
Zwischen „ein bisschen Pfeffer“ und pauschaler persönlicher Diffamierung besteht immer noch ein beträchtlicher Unterschied. Immerhin stehen die Parlamentarier in der Öffentlichkeit und sind in ihrer Streitkultur ein Vorbild für die Jugend. Warum sollte das, was im Parlament gesagt wird, für die Presse und die „sozialen“ Netzwerke verboten sein?
Ich weiß nicht, wo Henning Scherf die oben zitierte Äußerung von sich gegeben hat. Wenn es im Parlament war, hätte der/die vorsitzende Parlamentspräsident(in) ihn verwarnen müssen.
Meinem Verständnis nach greift es zu kurz, beleidigende Äußerungen (Antragsdelikte wie üble Nachrede oder Verleumdung) hier im Blog zu kritisieren, wenn das Problem kein juristisches, sondern ein politisches ist. Bereits die Vorstellung von großen Teilen der AfD davon, was an Änderungen angeblich notwendig ist, hat mit den empirisch gewonnenen Befunden zur wirklichen Gestalt der hiesigen Gesellschaft nicht das Geringste zu tun. Deren Forderung, mit dem „System“ zu brechen, geht an der Sache völlig vorbei. Nicht die bestehende Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt, als vielmehr die existenziellen Gefährdungen gilt es zu bannen. Es ist einfach lächerlich, Migranten als die vielleicht höchste Gefahr zu betrachten, wenn die Menschen in Wahrheit darunter leiden, dass unmittelbar ans Leben gehende Bedürfnisse nach wie vor keine Befriedigung finden. So werden beispielsweise in der Arbeitswelt Abermillionen Beschäftigte vor allem in hochentwickelten Industrieländern immer noch auf Gedeih und Verderb zerschlissen. Von humaner Arbeit sind hiesig namhafte Konzerne wie die Siemens AG, die Daimler AG oder auch die SAP AG noch meilenweit entfernt. Anstatt sich darüber zu streiten, fabulieren bis heute interessierte Kreise von einem vermeintlichen „Kontrollverlust“ im Zusammenhang mit der Zuwanderung. Wesentliche Fragen wie die Bedingungen, zu denen in der Industrie oder in Dienstleistungsfirmen die Leistungen zu erbringen sind, geraten darüber völlig in Vergessenheit. Allein solch ein thematische Verschiebung der öffentlichen Aufmerksamkeit ist zweifelsohne ein Verbrechen; das aber nicht nach dem Staatsanwalt ruft, sondern aufgeklärten Bürgern intellektuell bloß ein gewisses Maß an Redlichkeit abverlangt.