Der Widerstand lange vor Stauffenberg

Anlässlich des Attentats vom 20. Juli 1944 fand in der Frankfurter Paulskirche eine Gedenkveranstaltung statt, die von Elisabeth Abendroth aus Frankfurt wiederum zum Anlass genommen wurde, um an die vielfältigen Ausprägungen zu erinnern, die der Widerstand gegen das Nazi-Regime lange vor Stauffenberg bereits angenommen hatte. Elisabeth Abendroths Zuschrift war leider viel zu lang, um vollständig im Print-Leserforum veröffentlicht zu werden. Ich bringe sie daher hier prominent und ungekürzt als Gastbeitrag im FR-Blog.

Balken 4Der Widerstand lange vor Stauffenberg

Von Elisbeth Abendroth

Der diesjährige Redner zum 20. Juli 1944 in der Paulskirche, Thomas Karlauf ist Autor eines viel diskutierten, sorgfältig recherchierten, kritischen, den missglückten Staatsstreich vom 20. Juli durchaus aus der persönlichen Motivation und Begrenzung seines Hauptprotagonisten heraus interpretierenden, zugleich aber dessen exzeptionellen Mut ehrenden  Buches über Claus Schenk Graf von Stauffenberg. So bezog sich auch Karlaufs Rede am Samstag in der Paulskirche fast ausschließlich auf die in der Tat sehr wenigen militärischen Akteure des 20. Juli (wie übrigens die meisten Reden, die in den vergangenen Jahren dazu in der Paulskirche gehalten worden sind). Karlaufs Rede war – nicht nur nach meiner Meinung –  die sorgfältigste, realistischste, kritischste und zugleich auch die Rezeptionsgeschichte des 20. Juli im Nachkriegsdeutschland reflektierende, kurz: die  beste, die seit langem zu diesem Anlass in der Paulskirche gehalten wurde.

Als Tochter eines sehr frühen, marxistischen Widerständlers und griechischen Partisanen bin ich allerdings vor allem denen verpflichtet, die lange v o r  Stauffenberg den Nazis Widerstand entgegen gesetzt haben. Es ist gut, dass Georg Elser am vergangenen Samstag in der Paulskirche Erwähnung fand. Traurig ist aber in der Tat, dass von der Breite des Widerstands und der für die Bundesrepublik exzeptionellen  späten Rezeptionsgeschichte (Anfang der neunziger Jahre) in Frankfurt nicht die Rede war. Es gab ja nicht nur den  zivilen Unterstützerkreis des 20. Juli im Rhein-Main-Gebiet, der vor allem an Carlo Mierendorffs und Wilhelm Leuschners Netze anknüpfte (Axel Ulrich hat darüber Grundlegendes publiziert; die Frankfurter Rundschau hat in den letzten Tagen darüber berichtet) – es gab von der ersten Sekunde an den Widerstand der Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter. Viele von ihnen sind in Frankfurt schon 1933 verhaftet worden; viele haben nicht überlebt.  Es gab später auch in Frankfurt den Widerstand kirchlicher, in Frankfurt besonders  linkskatholischer Kreise- auch einige wenige Protagonist*innen aus der Bekennenden Kirche gehörten dazu -; es gab die Quäker, in Frankfurt eine aktive, kleine Gruppe, die Unterstützung und Ausreisen für jüdische Verfolgte organisierte; es gab die „Swing-Heinis“ , wie die Nazis sie nannten, in Frankfurt – zeitlich nacheinander –  drei voneinander unabhängige Freundeskreise; in einem von ihnen war auch der Saxophonist Emil Mangelsdorff, der mehrere Wochen in Gestapohaft gesessen hat. Es gab eine starke widerständige Gruppe im Frankfurter Wandervogel; es gab eine Gruppe in der katholischen Jungschar. Es gab schließlich auch in Frankfurt einige Menschen, die ganz einfach aus Menschlichkeit Juden und politisch Verfolgte geschützt, ihnen bei der Flucht geholfen, sie versteckt haben. Zwei Frankfurterinnen, die Sozialarbeiterin und Übersetzerin Rose Schlösinger, ermordet im August 1943, und die Künstlerin Elisabeth Schumacher, ermordet im Dezember 1942,  waren aktiv im Freundeskreis der „Roten Kapelle“. Sie waren längst hingerichtet, als die Stauffenberg-Brüder begannen, konkrete Schritte zu planen. An sie – und einige andere ermordete Widerständler*innen – erinnern Gedenktafeln an ihren Frankfurter Wohnhäusern, eine im Frankfurter Bahnhofsviertel z. B.  an Adam Leis, Kommunist aus Frankfurt, hingerichtet in Frankfurt-Preungesheim im September 1942.

Eine den „Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern, die der Barbarei des Nationalsozialismus Widerstand entgegen setzten“ gewidmete Gedenktafel an der Paulskirche erinnert an die Anfang Juni 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtete Johanna Kirchner – Sozialdemokratin, nach Mierendorffs Verhaftung ins Saarland gegangen, dort aktiv in der Fluchthilfe für Verfolgte, dies auch nach der deutschen Okkupation weiter überall in Frankreich, verraten, verhaftet, aus Frankreich zurück nach Deutschland verschleppt, auf persönlichen Wunsch Hitlers mit dem Tode bestraft. Nach ihr hat die Stadt Frankfurt  eine Medaille benannt, mit der sie – nach meiner Kenntnis als einzige Stadt in Deutschland – 174 überlebende Widerständler*innen und Helfer*innen von Verfolgten für ihre Haltung im NS gedankt hat.(vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Johanna-Kirchner-Medaille)  Die Frankfurter Medien, auch die Frankfurter Rundschau, haben damals über jede Verleihung der Johanna Kirchner Medaille und über die Geehrten – wie auch über die Anbringung der Gedenktafeln –  ausführlich berichtet.  Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler hat 1991 die Johanna Kirchner Medaille, die  bis 1995 fünfmal in Feierstunden im Kaisersaal und in der Pauslkirche verliehen wurde,  ins Leben gerufen. Ich habe damals alle Vorbereitungen übernommen (auch noch, als ich schon in Wiesbaden in der Staatskanzlei gearbeitet habe, 1995 für die letzte Verleihung durch die nachfolgende Oberbürgermeisterin Petras Roth) und Interviews mit fast allen Geehrten geführt. (Eine wichtige Grundlage für einen Teil meiner Recherchen war damals das sorgfältig recherchierte und noch heute vom Forschungsstand her im wesentlichen aktuelle Buch von Barbara Bromberger „Arbeiterwiderstand in Frankfurt am Main gegen den Faschismus 1933– 1945“, Frankfurt am Main 1976, 2005 in überarbeiteter Neuauflage erschienen.). Zu den  – viel zu spät – Geehrten gehörten übrigens auch die beiden Töchter von Johanna Kirchner, Lieselotte Schmidt und Inge Leetz und ihr Schwiegersohn Emil Schmidt. Sie haben alle selbst wegen eigener Widerstandsaktionen im Gefängnis bzw. im Zuchthaus gesessen. Auch Anita Leis, der Witwe des ermordeten Adam Leis –  sie selbst war ebenfalls im NS inhaftiert –  wurde mit der Johanna Kirchner Medaille ausgezeichnet. Eine späte Genugtuung, hatte sie doch im Jahr 1958 vergeblich eine Strafanzeige gegen den einstigen Oberreichsanwalt Bruckhaus gestellt, der die Todesurteile gegen ihren Mann und seine Mitstreiter gefordert hatte.

An die Träger*innen der Johanna Kirchner Medaille Lieselotte Schmidt, Lore Wolf (Kommunistin, enge Mitstreiterin und Freundin Johanna Kirchners) und Albert Simmedinger sowie andere Widerstänndler*innen der ersten Stunde aus Hessen erinnerte eine informative Ausstellung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die am 20. Juli 2019 im Foyer der Paulskirche parallel zu Veranstaltung zu sehen war.  Es wäre m. E. gut gewesen, die Zuhörenden im Plenarsaal der Paulskirche in einem Redebeitrag auf diese Ausstellung und auf die Gedenktafel außen an der Paulskirche mit dem Portrait Johanna Kirchners hinzuweisen. – Übrigens bekam die Johanna Kirchner Medaille 1991 auch der frühere Süßwaren- und Zuckerindustrielle Walter Jentzsch-Schilla, der zum weiteren,  industriellen Unterstützerkreis um den 20. Juli gehört hatte und dem noch im April 1945 die Flucht aus dem Berliner Gefängnis gelungen war.  Auch Emil Mangelsdorff ist – meines Wissens der letzte lebende – Träger der Johanna Kirchner Medaille. Schade, dass Oberbürgermeister Peter Feldmann ihm an diesem Tag nicht explizit für seine widerständige Haltung im NS,  für seine Zeitzeugenauftritte in Schulen, Universitäten und Konzertsälen gedankt und nicht an Johanna Kirchner, die Johanna Kirchner Medaille, an alle ihre Träger*innen und an die mutigen Frankfurter*innen, die hingerichtet worden sind oder 1991 bereits verstorben waren, erinnert hat. Ich denke, auch die Rezeptionsgeschichte in den neunziger Jahren ist etwas, auf das Frankfurt stolz sein kann. In fast allen anderen (west)deutschen Städten wurden die Widerstandskämpfer*innen“von unten“  nicht geehrt, sondern beschwiegen, verfemt  und als „Vaterlandsverräter“  verleumdet. Auch in Frankfurt war die Johanna Kirchner Medaille Anfang der neunziger Jahre durchaus nicht unumstritten. Der Widerstand „ganz normaler“ Kolleg*innen und  Nachbar*innen ließ und lässt sich eben nicht so leicht zur eigenen Exkulpation missbrauchen – zeigt er doch: Es stimmt ja gar nicht, dass „man nichts tun konnte“. Man konnte etwas dagegen tun. Hätten früh genug mehr Menschen etwas dagegen getan, hätten die Widerständler*innen nicht Leib und Leben riskieren müssen;  der Holocaust und der Zweite Weltkrieg wären der Welt erspart geblieben. „Sagt früh und laut genug Nein!“ sagte die Frankfurter Ehrenbürgerin Trude Simonsohn meist am Schluss ihrer Zeitzeugenberichte in Schulen und Universitäten. Und sie fügte fast immer hinzu: „Eins verstehe ich nicht. Alle europäischen Länder ehren ihre Widerstandskämpfer, nur Deutschland nicht. Dabei gehörte in Deutschland ganz besonderer Mut dazu.“

Zurück zum 20. Juli 2019 in der Paulskirche: Nicht Thomas Karlaufs, Oberbürgermeister Peter Feldmanns Part wäre es gewesen, die Frankfurter Widerständler*innen zu ehren. Das ist leider nicht  geschehen. Alles in allem war es trotzdem eine inhaltlich hoch interessante,  würdige Gedenkfeier.  Mit einigen Hinweisen auf die Vielfalt des Widerstandes und einigen konkreten Frankfurter Erinnerungen wäre sie noch angemessener  gewesen.

 

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4 Kommentare zu “Der Widerstand lange vor Stauffenberg

  1. Das von der Arbeiterschaft getragene Netzwerk der Widerständler im Rhein-Main-Gebiet wird sehr gut in Anna Seghers‘ Roman „Das siebte Kreuz“ beschrieben.

    ‚Es stimmt ja gar nicht, dass „man nichts tun konnte“.‘
    Das ist richtig. Nur gehörte zu diesem „Tun“ eine gehörige Portion Mut, denn man riskierte sein Leben oder lief zumindest Gefahr, im Zuchthaus oder KZ zu landen.

  2. Elisabeth Abendroth macht in ihrem Leserbrief zu Recht die Bandbreite des Widerstands deutlich. Gleichzeitig jedoch den Vortrag Thomas Karlauf als sorgfältig zu bezeichnen, erschließt sich mir nicht. Ich kann auch nicht zustimmen, dass es Peter Feldmanns Part gewesen wäre, die Frankfurter Widerständler*innen zu ehren. Der Oberbürgermeister hat für die Stadt nur ein Grußwort gehalten und kann nicht für die Fixierung des Hauptredners auf den 20. Juli als militärische Widerstandsaktion verantwortlich gemacht werden. Wenngleich Karlauf richtigerweise darauf hinweist, dass die Motive von Stauffenberg & Co. militärischer und politischer Vernunft entsprachen, so erstaunt mich doch die Vehemenz, mit der dem Attentäter jegliche moralische Intention abgesprochen wird. Wirklich ärgerlich ist jedoch Karlaufs Behauptung, es habe sich beim „20. Juli“ um einen reinen Militärputsch gehandelt. Stauffenberg und seine Mitverschwörer hätten niemals gehandelt ohne Unterstützung eines reichsweiten zivilen Widerstandsnetzwerks um Wilhelm Leuschner und andere. Das kann man u.a. bei Autoren wie dem Wiesbadener Widerstandsforscher Axel Ulrich oder jüngst bei Linda von Keyserling-Rehbein sowie Ludger Fittkau und Marie-Christine Werner nachlesen. Den „20. Juli“ in seiner Differenziertheit darzustellen, passte ganz offensichtlich nicht ins Konzept Karlaufs, der in seiner Rede eher auf plakative Vereinfachung setzte. Schade!
    Andreas Dickerboom, Gegen Vergessen

  3. Nachdem Thomas Karlaufs Rede zum 75. Jahrestag des Hitlerattentats als eine der kritischen Reflexion zusammenfassend widergegeben wird, endet der Bericht über die Gedenkstunde in der Paulskirche mit einer kommentierenden Bemerkung, die Karlauf nicht gerecht wird, aber das Publikum in sein bequemes Selbstverständnis gern zurückversetzt gesehen hätte: „viele zivile Widerstandskämpfer im Deutschen Reich“, seien von Karlauf unerwähnt geblieben.
    Nur leider hat es eben „die vielen“ nicht gegeben. Dass Karlauf Georg Elser nennt, hat mich erleichtert aufatmen lassen; denn wer kennt Georg Elser, „dessen Motive untadeliger gewesen“ sind?! Es stimmt – „Populärer wird Karlaufs Sicht auf den 20. Juli 1944 damit nicht.“ Aber richtiger und wahrer.
    Wenn Emil Mangelsdorf zwei Wochen im Gefängnis gesessen hat, dann hat er, wie Teutsch selbst sagt, wegen „seine(r) Liebe zum Jazz“ sich bei den NS-Kulturbanausen unbeliebt gemacht, was in der Tat zu schnellen Verurteilungen führen konnte. Aber zum Widerstand brauchts eben doch eine Bombe oder eine Höllenmaschine, wie sie Elser in wochenlanger Arbeit neben das Pult, an dem Hitler am 8. November 1939 seine Rede halten sollte, mit äußerster Präzision platziert hat. Der Zufall wollte es, dass Hitler früher den Saal im Münchner Bürgerbräu verließ als angesagt, und der sorfältig eingestellte Zeitzünder zu spät die Explosion auslöste. Hitler machte danach die „Vorsehung“ für sein Überleben verantwortlich. Elser, der beim Übergang in die Schweiz erwischt wurde, bewahrte Hitler sich noch lange im KZ auf, bis er ihn im April 1945 in Dachau ermorden ließ.
    Ziviler Widerstand sah anders aus. Hans Fallada hat in seinem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ ein Beispiel unter anderen gegeben. Helfer dagegen gab es viele. Michael Degen und Hans Rosental haben ihr Überleben als untergetauchte Juden in Berlin dokumentiert.

  4. Oliver Teutsch berichtet, dass in der Paulskirche anlässlich des Jahrestages des Attentats vom 20 Juli 1944 der Festredner Thomas Karlauf daran erinnerte, dass die Widerstandsideen gegen Hitler von Graf von Stauffenberg und seinen Mitverschwörern primär an der Folgenminderung des absehbar verlorenen Krieges interessiert waren. Und dass die Kenntnis der Massenmorde den hohen Offizieren nicht mal einen Gewissenskonflikt bereitet hat. Karlauf vergleicht mit dem Attentäter Georg Elser, dessen Motive für das Bombenattentat am 8. November 1939 „untadeliger“ gewesen seien. Diese Einschätzung liegt nahe, denn Elser war es schon früh darum gegangen, eine Diktatur zu Fall zu bringen und den absehbaren Weltenbrand zu verhindern. Dem deutschen Offizierskorps hingegen mangelte es an ähnlicher Weitsicht. Herr Teutsch vergreift sich im Ton, wenn er den Vergleich, den Herr Karlauf vornimmt, so kommentiert: „Als ob nur Bombenleger wahre Widerstandskämpfer seien.“ Diese Formulierung soll Elser delegitimieren. Ja, Elser war ein „Bombenleger“ (wie Stauffenberg im Übrigen auch), aber wäre er erfolgreich gewesen, wäre uns und der Welt die bislang größte historische Katastrophe wohl erspart geblieben. Sicher ist, dass Stauffenberg und seinen Freunden das Gewissen jedenfalls erst sehr spät – zu spät – schlug.

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