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Balken 4
Leserforum 2 20190916Forum vom 9. Juni 2022

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Der Aggressor wittert seine Chance

Putins Hoffnung auf Apathie 3.6.22

Die Unterüberschrift zum genannten Aufmacher teilt mit, dass „Ukraine-Müdigkeit“ der NATO zunehmend Sorgen bereitet. Ich bin als friedliebender Mensch erschüttert und verängstigt über diese Feststellung. Gleichwohl ist es eine nachvollziehbare Kennzeichnung für die Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung. Ich und viele andere werden von vielen Politikern und Politikerinnen (außer von unserem Kanzler!) sowie von den sog. Leitmedien in Dauerschleife mit Hilfe der Berichterstattung über verschiedne Aspekte des Krieges zwischen der Ukraine und Russland auf einen Kriegseintritt Deutschlands bzw. der NATO vorbereitet. Anders kann ich die Permanenz und Penetranz der Aussage „alles tun um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen“, der Bild – und Wortberichterstattung vom Kriegsgeschehen, von zerstörten Häusern, weinenden Menschen und dergleichen emotionaler Befeuerzung nicht verstehen.
Es handelt sich um einen Krieg zwischen zwei souveränen Staaten. Deutschland und die NATO haben keine Verpflichtung Partei zu ergreifen. Der Grund, den u.a. die deutsche Außenministerin für die Unterstützung des Kampfes angibt, ist Verteidigung des liberal-demokratischen Wertesystems. Das allerdings ist durch den Überfall Russlands auf die Ukraine gar nicht gefährdet.
Wir sollen/müssenderzeit mit Einschränkungen aller Art leben; wir sollen z.B. die Wohnungen weniger heizen, wir müssen spekulativ hohe Spritpreise wie auch inflationäre Preissteigerungen in anderen Bereichen hinnehmen, wir erholen uns kurzfristig – spätestens – bis zum Herbst von der Pandemie usw. – nicht zu vergessen alltägliche „kleine“ Sorgen des Alltags.
Wenn angesichts dieser Probleme die Unterstützung der Ukraine nicht plausibel ist, stattdessen aber die Vorbereitung auf die Ausweitung des Krieges phantasiert werden kann,
ist verständlich, warum sich „Ukraine – Müdigkeit“ breit macht.
Eine rationale Bearbeitung der Kriegssituation und der damit verbunden politischen Aktionen und weniger Emotionalität und Masse der ständigen Befeuerung des Publikoms könnte auch schon helfen von Ermüdung zur sachlich distanzierten – weniger belastenden – Haltung zu kommen.

Jürgen Wunder, Hamburg

Unsere Schwäche skrupellos ausgenutzt

„Der Reflex zur Bewaffnung und Aufrüstung als Antwort auf den Angriffskrieg in der Ukraine ist nicht hilfreich“ so Herr Urban. Und dazu die Überschrift „Schafft Aufrüstung Frieden?“
Es geht mit der Aufrüstung nicht darum Frieden zu schaffen, sondern zu verhindern, dass der Krieg zu uns kommt.
Auch wir sind bedroht und es war nicht hilfreich, die Abwehrbereitschaft zu vernachlässigen. Auch ich fand, dass man das Geld für bessere Dinge ausgeben kann. Das ist aber nur solange zutreffend, wie es keinen Agressor gibt, der die eigene Schwäche ausnützen würde.
Der Weg der letzten Jahrzehnte war ein gut gemeinter (naiver?) Versuch, der aber krachend gescheitert ist. Wir müssen alles daransetzen, dass die selbst verschuldete Schwäche bei uns nicht zu unserem Verhängnis wird, weil ein skrupeloser Agressor seine Chane wittert.

Thomas Nestinger, Bad Honnef

Westliche Werte auf dem Rückzug

Sukzessive verschiebt sich die politische Haltung in der FR. Da hilft auch Ihr Feigenblatt „Friedensfragen“ nicht. Auch in die Berichterstattung im Politikteil ( nicht nur im Meinungsteil) zieht sich durchgängig ein polemischer, sehr einseitiger Ton, in dem jeder, der es wagt, von der Aufrüstungs-befürwortung bis zur Siegesverpflichtung der Ukraine abzuweichen, massiv diskriminiert – ja: , beschimpft wird. Bzw lassen Sie auch gerne andere schimpfen. Das zeigt sich exemplarisch an Ihrer Freitagsausgabe. 4 Artikel hintereinander mit polemischiem Unterton und zusätzlich ein triumphierender Andrij Melnyk: „Endlich haben wir die lahmarschige Ampel auf Trab gebracht! Aber wir wollen MEHR“!!
Kriegsmüdigkeit? Ja, vielleicht, angesichts des einseitigen verbalen Bombardements aus allen Rohren! Sie beteiligen sich mit der FR daran, die Bevölkerung einzunorden auf diese einseitige Kriegs- und Aufrüstungspolitik sowie der hemmungslosen Dämonisierung Putins als personifizierte teuflischer Unmensch. Die Ukraine scheint ein Spielball westlicher (Werte- ) Ziele zu werden. Alle wollen mitbestimmen, was die Ukraine zu erreichen hat. Es gibt die Aussage, die Engländer und Amerikaner hätten die Ukrainer gehindert daran, bereits kurz nach Kriegsbeginn zu einer Einigung mit Russland zu kommen auf der Basis von Neutralität und Sicherheitsgarantien. Jetzt werden statt dessen unfassbare Mengen an Waffen in das Land gepumpt. Am Ende ist es vollständig zerstört und der Wertewesten zieht achselzuckend ab wie in Afghanistan. Schuld sind aber die „zögernden und zaudernden Putinversteher“ – an dieser Version wird ja schon die ganze Zeit gestrickt. Wir aber haben ein unfassbar aufgerüstetes Land bis an die Zähne bewaffnet von unseren aufgestachelten sog. Volksvertretern ins Grundgesetz geschrieben bekommen.

Barbara Erben-Wunder, Hamburg

 

Russische Befindlichkeiten

Zu: „Putin im Datschen-Modus“, FR-Politik vom 25. Mai, und „Der lange Schatten von Leningrad“, FR-Feuilleton vom 1. Juni

Ich bin von dem Artikel respektive der Analyse enttäuscht. Wo ist die Analyse? Es wird ausgeführt, dass die Automobilproduktion Russlands geschrumpft sei. Auch die Baubranche habe große Probleme. Die Front sei in vielen Bereichen erstarrt oder die ukrainischen Soldaten sogar im Vormarsch. Gleichwohl sei Putin im „Datschen-Modus“, wolle von den wirtschaftlichen Problemen nicht wissen. Scherze über die Wirtschaftsprobleme des Westens, man habe Gas, öl, Holz und Kohle als Waffen. Nun, wir erinnern uns an einen Mann, der mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitet oder einen Lachs auf den Armen trägt. Ist es überinterpretiert, wenn man davon ausgeht, dass man es mit einem Narzissten zu tun hat? Nein. Putin scheint m. E. mehr von psychologischer Kriegsführung zu verstehen als seine Gegenspieler im Westen. Ein Narzisst braucht die Anerkennung, sucht die Bühne, auf der er glänzen kann. Und der Westen liefert ihm diese: Oftmals 4 oder 5 Seiten der Zeitungen über sein „Werk“, Titelseiten oder Sondersendungen. Was wünscht sich das narzisstische Herz mehr? Natürlich geht er in den Datschen-Modus, was man wohl als paradoxe Intervention interpretieren muss vor dem Hintergrund der o. a. Informationen. Der Gegenüber ist perplex, genau das wollte er. Putin treibt den Westen vor sich her. Merkt das keiner? Wie könnte eine Reaktion aussehen, die Putin irritieren könnte? Zum Beispiel darin, „ihm“ nicht so viel Raum in der Berichterstattung zu geben. Wie wäre es mit dem Vorschlag eines Friedensvertrages? Man muss etwas tun, womit er nicht rechnet, das könnte ihn aus seinem Datschen-Modus herausholen.

Rüdiger Erdmann, Pattensen

Der Kremlherrscher auf der Couch

Der Artikel enthält dankenswerterweise eine Reihe von interessanten Details, die mein Bild vom Menschen Putin bereichert haben. Irritierend fand ich die Fülle moralisierender und abwertender Charakterisierungen seiner Person („gnadenlos, berechnend und unberechenbar“, seine „Gnadenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit“). Das machen wir doch in der Psychoanalyse mit traumatisierten Tätern auch nicht, warum denn bei Putin? Wenn Leuschner schlussfolgert, dass aus den von ihm herausgearbeiten „traumatisch-pathologischen“ Quellen Putins gesamte „Ukraine- und Russlandpolitik hervorgegangen“ sei, erscheint das politische Handeln des russischen Präsidenten allein durch eine von gesellschaftlichen Bedingungen und politischen Kontexten der vergangenen 20 Jahre unabhängige, weit in der Vergangenheit verankerte psychische Verfasstheit verursacht. Die Psychoanalyse hat hier aber doch mehr zu bieten als reine Individualpsychologie! Wir kennen die vielen Arbeiten zu Gruppen- und Großgruppenprozessen, zur Interaktionsdynamik und zum szenischen Verstehen in Konfliktsituationen, den Ansatz (etwa bei Mentzos), gewaltsame Auseinandersetzungen als psychosoziales Arrangement im Kontext ökonomischer und historisch-politischer Rahmenbedingung zu betrachten. Auch wenn Leuschners These von der Traumatisierung Putins zutreffen könnte, halte ich die von ihm vorgenommene Vernachlässigung und Entwertung aller anderen Gründe für Putins Handeln („Es ist irrelevant, was Putin sagt“) für bedauerlich und problematisch. Über die Ursachen dieser Vernachlässigung kann freilich nur eine (im Zusammenhang psychoanalytischen Arbeitens ja stets mit zu vollziehende) Selbstreflexion Herrn Leuschners Aufschluss geben.

Jörg Gogol, Marburg

fr-debatteGanz bescheiden

Urteil: „Ist das Haus zu groß?“, FR-Wirtschaft vom 3. Juni

Make love not Children! Wie gut, dass ich mich an diesen alten Hippie-Spruch gehalten habe. Während andere Leute so doof waren sechs Kinder in die Welt zu setzen, sich mit vollgeschissenen Windeln plagten, über den ganzen Erziehungsstress bestimmt auch so manche Karrierechance verpassten und in einem für acht Personen doch sehr kleinen Haus lebten, habe ich relativ stressfrei studiert, dabei mein leben genossenen und bin Lehrer geworden. Jetzt lebe ich als Pensionär ganz bescheiden in meiner 120 Quadratmeterwohnung und genieße weiterhin mein Leben, während die Leute, die die Kinder großgezogen haben das Häuschen in dem diese Kinder groß wurden nun verlassen müssen. So urteilt das BVG. Das ist die Gerechtigkeit der schönen neuen liberalen Wirtschaftswelt.
P.S.: Dieses Urteil sollte man auf jeden Fall im Politikunterricht in der Schule einsetzen. Lernziel: Erst die Karriere, dann die Kinder!

Heinrich Mesch, Attendorn

fr-debatteSchlechte Werbung

Zu: „Viel Betrieb an Frankfurts Gleisen“, FR-Region vom 7. Juni

Am 1. Mai fuhren meine Freundin und ich mit dem 9€ -Ticket von Frankfurt nach Eltville. Am Hauptbahnhof Frankfurt stiegen wir in den Rheingau Express mit 5 Waggons um 11:53 Uhr ein. In Wiesbaden begann das Chaos. Nur ein Waggon fuhr weiter. Die Reisenden der abgehängten Waggons stürmten unseren Waggon. Bei dem überfüllten Zug ließen sich die Türen kaum schließen, Panik kam auf.
Auf der Rückfahrt von Erbach sollte der Zug um 17:07 Uhr fahren, er fiel aus, der nächste Zug fiel aus. Um 17:57 Uhr kam endlich der Zug, eine Tür ließ sich nicht öffnen, man musste zur nächsten Tür sprinten.
Das war eine schlechte Werbung für das 9€-Ticket. Die Bahn hat sich keinen Gefallen getan. Viele Reisende meinten, zukünftig besser mit dem Auto zu fahren.

Gudrun Schütt, Frankfurt

fr-debatteAlte Kämpfe um die Krim

Friedensfragen: „Was folgt aus Deutschlands Verantwortung=“, FR v. 24.5

Als Kriegskind habe ich meinen Vater erst 1946 nach Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft kennengelernt. Er hat wenig vom Krieg erzählt. Ein Name hat sich mir wegen der damit verbundenen Tragik bereits als Kind eingeprägt. Er sagte: „Unsere Einheit lag in Kertsch auf der Krim. Die Rote Armee rückte vor und drängte uns zurück. Wir mussten die Stellung räumen sowie das große Lazarett; die nicht gehfähigen Verwundeten mussten wir zurücklassen. Sie flehten und weinten und gaben uns Briefe für die Daheimgebliebenen mit.“
Dann fiel mir „Kertsch auf der Krim“ 2014 wieder ein; dann wieder am 24.2.2022. Die traumatisierten Heimkehrer prägten mich in Familie und Schule.J

Jutta-Maria Roth, Königswinter

 

Balken 4
Leserforum 2 20190916Forum vom 11. Juni 2022

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Mit mehreren  Stimmen sprechen

Zu: „Ein Anti-Pfingsten“ und „Weiter so bedeutet den Untergang“, FR-,Meinung und -Wirtschaft zu Pfingsten 2022

Als Leser, der über 50 Jahre Sonntag für Sonntag versucht hat, die Botschaft des Geistes Jesu Menschen zu vermitteln, habe ich aufmerksam und mit Gewinn den Artikel gelesen. Viele Aussagen des Autors kann ich gut unterstreichen. Nur die Feststellung nicht, dass die christlichen Kirchen weit davon entfernt sind, mit einer Stimme zu sprechen. Sollen etwa alle Kirchen dasselbe erklären? Das Verhalten der russisch-orthodoxen Kirche will ich hier ausklammern.
Mir ist es wichtig, dass die verschiedenen christlichen Kirchen die Deeskalation und Schritte zu Friedensverhandlungen im Blick haben. Wenn dieses Bemühen sich auf verschiedenen Wegen zeigt, dann sprechen sie mit einer Stimme. Dann wird der Geist von Pfingsten, der Geist des Friedens spürbar

Franz Boegerhausen, Oldenburg

Kompassnadel mit Orientierungsproblemen

Wie aber, wenn unsere Zeit sich in einem entscheidenden Punkt unterschiedet von jenem „zu allen Zeiten“; darin nämlich, dass diese Kompassnadel nicht mehr als Orientierungsmaß ausreicht, vielmehr ein zwingendes „Muss“ markiert: „Jetzt oder nie mehr!“ Eben weil die Weltgesellschaft nur noch ein kleines Zeitfenster von vielleicht 10 oder 20 Jahren zur Verfügung hat, um radikal umzusteuern – und dabei der gesamte militärisch-industrielle Komplex dringend liquidiert werden müsste: Keine 2 Billionen plus für Kriegsgüter jährlich! Keine 100 Milliarden Sondervermögen Bundeswehr! Keinen einzigen Krieg mehr – ab sofort!
Wie, wenn diese – zugegeben irrwitzige, weil illusorische Forderung, eine absolut notwendige – wenn auch noch lange nicht hinreichende – Bedingung dafür wäre, jene sich längst anbahnenden „tödlichen Konsequenzen“ der Klimaentwicklung zu vermeiden?
Die FR zu Pfingsten titelt eine Analyse von Joachim Wille mit: „Weiter so bedeutet den Untergang“ – und skizziert genau die letzten Jahrzehnte als ein „Schlimmer nur“, weil „Weiter so“. Doch J. Wille vermag in seinem Schlusssatz „immerhin einen Lichtblick auf der einen Erde, die wir haben“ zu identifizieren – einen „grotesken“ Eindruck, nicht mehr! Der Ukraine-Krieg zwinge den Westen, etwas zu „begreifen“. Was? Nun: „Weiter so bedeutet den Untergang!“ Mein „Wort zum Pfingstfest“ aus meiner Jugend als CVJM.ler: „Mutig voran!“ Die so vollmundig angekündigte „Zeitenwende“ ist wohl eher ein „Weiter so“ – mit erhöhtem Tempo.

Thomas von Freyberg, Frankfurt

Ein Appell ohne  Nachdruck

Schön, dass Joachim Frank anlässlich von Pfingsten sich mit den Stimmen der Kirchen zum Ukraine-Krieg beschäftigt und fordert, dass die Kirchen die Friedenshaltung der Bibel vertreten soll. Es wäre noch schöner, wenn die FR auch entsprechende Äußerungen aus den Kirchen (und anderen Religionsgemeinschaften) veröffentlichen würden. Am 23.2.2022 richteten viele Kirchen und religiöse Organisationen der Ukraine einen Appell an Präsident Putin. Am 24.2. 2022 erhielt ich über pax christi diesen Appell. Ich habe versucht, in meinem Nahbereich diesen Appell zu verbreiten. Ich habe den Appell aber wede in kirchlichen noch in anderen Zeitungen abgedruckt gefunden. Auch keinen Hinweis dazu.

Michael Strake, Hütschenhausen

fr-debatteAuge um Auge, Zahn um Zahn

Zu: „Altes Denken“, FR-Meinung vom 7. Juni

In der Friedenslogik zu denken heißt, vom Ziel des Friedens her zu denken und sich in Analyse und Praxis davon leiten zu lassen. Matthias Kochs Kommentar zum Vorschlag von Frankreichs Präsident Macron, für ein Ende des Krieges über gesichtswahrende Strategien für Wladimir Putin nachzudenken, mündet in seiner Forderung: „Dieser Mann muss vor Gericht“. Gleichzeitig bewertet Koch diese Bemühungen von Macron als „hartherzig“ und sie seien allein dem französischen Wahlkampf geschuldet, um sogenannte „Putin-Versteher“ zu „beeindrucken“.
Leider ist der Geist von Kochs Kommentar noch älterem Denken geschuldet und erinnert an das alttestamentliche „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Kreative Konfliktlösungen, die auch historisch belegt sind, scheinen unbekannt.
Seine Forderung nach einer Strafgerichtsbarkeit für Putins Kriegsverbrechen wirkt auf den ersten Blick angemessen. Bei näherer Betrachtung der Handlungsfähigkeit der internationalen Strafgerichtsbarkeit mit der bewussten Ignoranz durch die UN-Sicherheitsratsmitglieder USA, China und Russland erscheint dies jedoch als völlig unwirksam. Die genannten Staaten haben sich dem internationalen Strafrecht entzogen, um militärische Übergriffe ihrer Soldaten zu schützen. Zum Ende dieses grausamen Krieges trägt der Vorschlag von Matthias Koch konkret so wenig bei wie die ständige Erweiterung westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine.
Gefragt sind kreative Politiker, die ihr diplomatisches Handwerkszeug gelernt haben und diesem mehr vertrauen als der militärischen Logik des „Freund-Feind-Denkens“. Nur so wird das Ziel des Friedens im Blick behalten und alle Maßnahmen werden entsprechend geprüft.
Auch wenn die Mehrheit in Medien und Politik daran glaubt, dass dieser Krieg im 21. Jahrhundert mit den gewaltsamen Mitteln längst vergangener Jahrhunderte zu gewinnen sei, ändert das nichts daran, dass dies in eine Sackgasse mit Gewaltopfern und Verlierern auf allen Seiten führen wird! Jeder Vorschlag abseits der Kriegsrhetorik wird hingegen dringend benötigt und muss wohlwollend diskutiert werden!

Dirk Schneider, Helmenzen

Wer A sagt, muss auch B sagen

Matthias Koch entspricht dem Wunsch vieler Europäer, wenn er Putin wegen des verbrecherischen Angriffskriegs vor Gericht gestellt sehen möchte. Aber vor welches Gericht?
Die Antwort darauf übergeht Koch, denn sie wäre brisant. Zunächst fiele einem der Internationale Strafgerichtshof ein, der aber hier kaum zuständig ist: Russland hat wie die anderen Großmächte das Römische Statut nicht unterschrieben. Und wer hier die moralische Keule zücken möchte, der dürfte die Großmacht USA nicht außen vor lassen. Die haben nicht nur nicht ratifiziert, sondern 2002 ein Gesetz verabschiedet, das die Zusammenarbeit mit dem IStGH sanktioniert. Wäre Koch denn auch dafür, Kriegsverbrecher wie George W. Bush oder Donald Trump und deren Minister vor Gericht zu zitieren? Ich glaube, eher nicht! Zumindest hört man von ihm dazu nichts.
Und wie steht es mit den völkerrechtswidrigen Drohnenmorden unter Obama und auch Biden (noch nach dem Abzug 2021 wurden ein knappes Dutzend unschuldige Zivilisten in Afghanistan getötet – „aus Rache“); die Drohnen werden teilweise unter („wertebasierter“?!) deutscher Beteiligung (Ramstein) gesteuert. Oder wie wäre es mit dem Kashoggi-Mord-Auftraggeber Bin Salman, der nebenbei jahrelang die jemenitische Bevölkerung mit seinen Bombenangriffen „beglückt“ hat – mit Unterstützung der USA?
Vielleicht könnte man Putins habhaft werden, wenn er sich ins Ausland begibt. Dieser Fall wird sicher nicht eintreten, weil Putin nicht naiv ist. Bleibt für mich als einzige Möglichkeit ein russisches Gericht – er wird sicher nicht in ukrainische Hände fallen. Ein demokratisches Russland könnte Putin zur Rechenschaft ziehen; das ist aber weit und breit nicht in Sicht.

Bernd Knierim, Worms

fr-debatteIn vollen Zügen

Neun-Euro-Tockte: „Das Gute am Chaos“, FR-Meinung vom 7. Juni

Wer hat denn diese Billigfahrkarte in die Welt gesetzt? Die Politik oder die Anbieter des öffentlichen Verkehrs? Bei Letzteren waren und sind die verfügbaren Kapazitäten auch schon ohne Billigfahrschein bis an die Hutschnur ausgelastet. Und dann kommen die Berliner Dienstwagenfahrer auf die Schnapsidee, noch mehr Leute in Busse und Bahnen zu pressen. Alles nur zur Kompensation für die Tankstellensubvention der FDP – Tankrabatt genannt. Nachdem nun auf den Bahnhöfen und in den Zügen Zustände herrschen wie bei den Butterfahrten nach dem Krieg wird kein einziger Neukunde für den ÖPNV zu gewinnen sein, falls das mal die politische Absicht gewesen sein sollte.

Nikolaus Jökel, Offenbach

fr-debatte

Zu: „Langer Weg zur Barrierefreiheit“, FR-Region vom 7. Juni

Ich empfinde es als haarsträubend, dass man anscheinend immer noch den Plan verfolgt, die Haltestelle „Jüdischer Friedhof“ neu zu bauen. Bereits vor der Sanierung der Bahnstrecke sind dort kaum Fahrgäste ein- oder ausgestiegen; oftmals hat die Bahn an dieser Haltestelle „umsonst“ gehalten.
Der Einzugsbereich in Bezug auf die Wohnbevölkerung ist gering; gegebenfalls etwas weitere Wege sind zumutbar. Von Besuchern des jüdischen Friedhofs wird die Haltestelle sehr selten genutzt. Ich schätze die jüdische Religion sehr; jedoch kann man seinen Respekt gegenüber einer Religionsgemeinschaft anders ausdrücken als durch eine Haltestelle.
Die Haltestelle „Neuer Jüdischer Friedhof“ war ursprünglich die Haltestelle „Versorgungsamt“; sie gab es bereits als es noch die Straßenbahn nach Berkersheim gab. Spätestens seit 2016 soll aus der Linie doch eine moderne Stadtbahn geworden sein, die Menschen schnell und pünktlich transportiert. Leider ist hiervon immer noch nicht viel zu merken. Obwohl die Strecke mit neuen Schienen und moderner Signaltechnik ausgestattet wurde und mittlerweile zwei Haltestellen weniger vorhanden sind, ist die Fahrtdauer in den Kernzeiten gleich geblieben. Im Vergleich zu der Zeit vor 2016 „bummelt“ die U5 so vor sich hin, ein Ebbelwoi-Express mit modernen Wagons (und dies hat nichts mit Geschwindigkeitsbeschränkungen im unteren Bereich der Eckenheimer Landstraße zu tun). Die Wiedereinrichtung der Haltestelle „Neuer Jüdischer Friedhof“ würde zwangsläufig zu einer Verlängerung der Fahrtdauer führen.

Thomas Gerlitzki, Frankfurt

fr-debatteTotales Versagen

„Zeitenwende“: „Verzögertes Bewusstsein“, FR-Meinung vom 3. Juni

Es ist völlig richtig, dass auch die neue Regierung, maßgeblich durch eine irrlichternde FDP blockiert, weiterhin viel zu wenig für die Energiewende und für den Klimaschutz tut. Aber dass ausgerechnet die kernkorrupte Union jetzt, wenige Wochen nach Regierungswechsel, eine Zeitenwende der Politik fordert, ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte.
Seit rund 40 Jahren ist die Wissenschaft sich einig, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel durch den Ausbau erneuerbarer Energie bekämpft werden muss.
In diesen 40 Jahren hat die Union über 32 Jahre die Regierungen geführt. Und hat in dieser Zeit vor allem eines getan: die Energiewende zu sabotieren, wo immer dies möglich war.
Erstens stellt sich die Frage, warum die Union dies getan hat und wer davon profitiert hat und zweitens müssen wir jetzt mit dem Erbe dieser Unions-Politik leben: einem Krieg, der zu nicht kleinen Teilen mit deutschem Geld für fossile Lieferung bezahlt ist und weiterhin bezahlt wird. Und mit den wirtschaftlichen Folgen dieser Abhängigkeit von fossilen Energien, die lange schon überwunden hätte werden können, wenn die kernkorrupte Union nicht konsequent die Wünsche der fossilen Industrie erfüllt hätte.
Wenn die Heißluftpumpe aus München und BlackRock Fritze meinen, jetzt mit der sogenannten „Kölner Erklärung“ die neue Regierung vor sich hertreiben zu müssen, dann ist das nicht einmal die Hälfte der Wahrheit. Denn es war die Union selbst, die die Ukraine, Deutschland und Europa in diese mehr als missliche Lage gebracht hat. Totales Versagen, einzig für den Nutzen sehr weniger. Gut, dass diese Union in der Opposition ist und hoffentlich auch lange bleibt

Stefan Bluemer, Essen

fr-debatte

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10 Kommentare zu “Fr-Forum vom 9. bis 11. Juni

  1. zu @ Gudrun Schütt
    Die Bahn hat das 9 Euro Ticket nicht eingeführt um sich einen Gefallen zu tun sondern weil die Politik die Bahn kurzfristig dazu gezwungen hat. Ich denke das jeder der es wissen wollte vor dem 1. Mai gewusst hat was an dem Tag los sein wird und dass das Ganze kaum problemlos funktionieren würde. Da ich oft ÖPNV fahre bin ich nicht auf die Idee gekommen das an dem Tag auch zu machen. Ich denke das an dem Tag nur Leute unterwegs waren die das sonst nicht sind.

  2. zu Barabara Erben – Wunder :

    Die Todesurteile die vor einem Tag gegen ausländische Kämpfer in der Ostukraine durch die prorussische Separatisten ergangen sind, reiht sich ein,
    in eine Reihe von Kriegsverbrechen der prorussischen Separatisten.

    Der völlig unnötige Abschuss der Linienmaschine MH – 17 über der Ostukraine ist nur ein Beispiel.
    Die geplanten Schauprozesse mit den verhängten und auch geforderten Todesurteilen, gegen Kämpfer aus Asow Stahl, oder gegen gefangene ausländische freiwillige Kämpfer, die in Kriegsgefangenschaft geraten sind, ist ein weiteres Beispiel für begangene Verbrechen der Separatisten.

    Kriegsgefangene genießen Rechte, Todesurteile gegen Kriegsgefangene zu erlassen, ist ein Verbrechen, wie der russische Überfall auf die Ukraine an sich bereits ein Verbrechen ist.

    Es ist auch keine Dämonisierung Wladimir Putins – wie des häufigeren beklagt wird, sondern es sind Kriegsverbrechen, die begangen werden.

    Dafür ist der Präsident der russischen Föderation nun einmal verantwortlich.

    Zum Tode verurteilte Kriegsgefangene sind nur ein Beispiel für die Verbrechen Russlands in der Ukraine.

    Das ist keine Dämonisierung Putins, sondern es ist die Konvention die seit vielen Jahren gilt.

    Auf diese Konvention zur Behandlung Kriegsgefangener beruft sich auch Russland immer wieder diplomatisch,

    aber es gilt in Russland und den besetzten Gebieten der Ostukraine scheinbar das Standrecht.

  3. Zeitenwende, Stefan Blümer
    Ich stimme dem vollkommen zu. FDP und CDU betreiben reine Macht- und Klientelpolitik. Der Tag wird kommen, an dem Lindner auf den Schoß von Merz hüpft. Leider hält die SPD immer zu wenig dagegen. Sie versäumt es immer wieder, Klartext zu reden.
    Die einzige Rettung gegen den Klassiker Schwarz-Gelb wird wohl Habeck sein, der es in begnadeter Weise versteht, reinen Wein einzuschenken, ohne gleichzeitig die Hoffnung auf Besserung zu rauben und ohne irrwitzig falsche Versprechungen zu machen, also Realpolitik im besten Sinne macht.

  4. Es wird ja dauernd über das Völkerrecht gesprochen und geschrieben. Ich finde ja auch gut das es so etwas gibt aber gab es schon einmal einen Krieg mit vielen Toten auf beiden Seiten bei dem die Regeln auch eingehalten worden sind?

  5. Gratulation zur Karikatur. von T.Plaßmann. in der heutigen Ausgabe, 11/12 Juni. Die Reste von Homo sapiens besucht von Ausserirdischen. Der Kommentar H sapiens habe Humor gehabt irrt natürlich, war das sapiens doch ernst gemeint… vom H. hohlkopf war nicht mehr zu erwarten.

  6. zu Thema des Tages – Peter Feldmann 11./12.06.22

    Wer ist eigentlich korrupt?

    Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung spricht mehrheitlich (Grüne, FDP, SPD, Volt, CDU und AfD) dem direkt gewählten Oberbürgermeister Peter Feldmann das Misstrauen aus. Und kündigt, da er darauf nicht eingeht, ein Amtsenthebungsverfahren an.

    Die dafür genannten Gründe (bislang nicht rechtlich bestätigter Verdacht der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung in mehreren Fällen) entsprechen nicht den Normen des Rechtsstaats, weil sie die Unschuldsvermutung des Strafprozessrechts und damit das Gewaltmonopol des Staats infrage stellen. Die voyeurịstisch verbreiteten sexistische Sprüche, die Feldmann während eines Flugs von sich gab, fallen juristisch in die Kategorie Beleidigung; Strafanträge der betroffenen Frauen liegen nicht vor. Vielmehr erwecken sämtliche Anschuldigungen den Anschein, dass Peter Feldmann, dessen Sozialpolitik auch in der eigenen Partei auf Widerstand stößt (vor allem bei Funktionären und Mandatsträgern, die eng mit der Immobilien- und Finanzwirtschaft verflochten sind), aus dem Amt gedrängt werden soll.

    Vordergründig geht es um Feldmanns Ehefrau Zübeyde Temizel. Sie wurde 2015 als Leiterin einer deutsch-türkischen Kita eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch nicht mit Peter Feldmann verheiratet; die Ehe wurde im darauffolgenden Jahr geschlossen. Nach zwei Jahren, 2017, hatte sie bereits die Endstufe der Tarifgruppe erreicht und somit ein erhöhtes Gehalt erhalten. Ab 2016 verfügte sie zudem über einen Dienstwagen (untere Mittelklasse), der auch privat genutzt werden konnte. Allerdings enthalten auch Haustarife und der TVöD Öffnungsklauseln im Sinn der Vertragsfreiheit des BGB. Andernfalls könnten der öffentliche Dienst und gemeinnützige Organisationen keine Experten aus anderen Branchen und Laufbahnen einwerben.

    Peter Feldmann, seit 2012 Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, soll die berufliche Karriere seiner Frau durch Absprachen mit dem Arbeitgeber, dem Frankfurter Kreisverband der AWO, gefördert und dadurch sein Amt missbraucht haben. Er bestreitet diesen Vorwurf. Und verweist zusätzlich darauf, dass die Zeiten vorbei seien, als ein Ehemann die Verträge seiner Frau zu genehmigen, gar zu kontrollieren hatte.

    Als die Beweislage sich als unhaltbar herausstellte, wurde ein weiterer Verdacht nachgeschoben. Funktionäre der Frankfurter AWO sollen für den OB-Wahlkampf 2018 Spenden eingeworben haben. Das wäre absolut legal gewesen. Obwohl die AWO gar nicht beteiligt war (die Prüfung der Kasse belegt das), wurde öffentlichkeitswirksam kolportiert, der Oberbürgermeister hätte als Gegenleistung versprochen, die Interessen der AWO künftig wohlwollend zu berücksichtigen. Peter Feldmann wehrt sich auch gegen diese Unterstellung, zumal die Einlösung des angeblichen Versprechens, noch nicht einmal der Versuch, nachzuweisen sind.

    Trotz unzureichender Beweislage ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft auch über den sogenannten Anfangsverdacht hinaus. Whistleblower berichten von Einflussnahmen aus der Politik. Die unlängst entlassene Justizministerin soll die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Weisungsbefugnis aufgefordert haben, das Ermittlungsverfahren fortzusetzen und dem zuständigen Landgericht eine Anklageschrift zu übergeben. Das ist auch geschehen.

    Die tonangebenden Frankfurter Medien unterstützen die Rebellion von Stadtverordneten und Magistrat und verstoßen gegen Grundsätze journalistischer Ethik. Als Leserin der Frankfurter Rundschau (FR) fällt mir auf, dass in den Berichten und Kommentaren der Lokalredaktion permanent die vermeintlichen Fehltritte Feldmanns beleuchtet werden und Unverständnis darüber verbreitet wird, dass er sich den Rücktrittsforderungen nicht beugen will. Seine Leistungen werden entweder verschwiegen oder nur am Rande erwähnt. Beispielsweise kostenfreie Kitas, kostenloser Besuch für Kinder in Schwimmbädern und Museen, Forderungen nach bezahlbarem Wohnen, Deckelung der Mieten bei der ABG.

    Der Schriftsteller Eric Reger forderte vor 100 Jahren, dass Journalisten und Schriftsteller auf der Seite der Beherrschten und nicht auf der Seite der Herrscher stehen müssten. Auf wessen Seite steht die FR?

    Für den Hessischen Rundfunk scheint eine solche Frage eindeutig beantwortbar zu sein: Journalisten des Senders verschafften sich illegal Zugang zu Zübeyde Feldmanns AWO-Personalakte und machten sie öffentlich. Frau Feldmann hätte das Recht gehabt, gegen diese Verletzung ihres Anspruchs auf Datenschutz zu klagen und sogar Schmerzensgeld zu fordern.

  7. Die Karikatur von T. Plassmann (Wochenendausgabe) ist wirklich gelungen. Es gibt ja auch sowas wie den unfreiwilligen Humor (Jürgen H. Winter).
    Was hat sich eigentlich der Herrgott damals gedacht mit: Macht euch die Erde untertan!?
    Müssen also schon bei Adam und Eva anfangen.

  8. @ Juliane + Schätze

    Ich verfolge die Vorgänge um Feldmann nur aus der Ferne, aber ich habe zu Ihrem Kommentar doch ein paar Sachen zu sagen.

    1. Auch die Frankfurter Stadtverordneten dürften demokratisch gewählt sein, vertreten also ebenfalls den Volkswillen. Vielleicht sogar mit größerer Berechtigung als ein OB Feldmann, der 2018 von nur rund 20 Prozent der Wahlberechtigten in Frankfurt als OB gewünscht wurde. Ich wäre vorsichtig, von demokratischer Legitimation zu sprechen. 70 Prozent der Wahlberechtigten sind 2018 nicht zur OB-Wahl gegangen. Vielleicht war denen egal, was herauskommt, vielleicht fühlen sie sich von diesem System ganz einfach nicht vertreten. Als Zustimmung zu Feldmann kann man diese Enthaltungen jedenfalls nicht deuten.

    2. Die Unschuldsvermutung ist eine juristische Vorgabe, die auf die Politik nicht angewendet werden kann, weil dabei auch Werte zur Debatte stehen, die sich juristisch nicht erfassen lassen: Glaubwürdigkeit, Seriösität, Vertrauen, Anstand. Ein OB, der bei jeder Gelegenheit die Kamera sucht und der hofft, dass vom Erfolg der Eintracht was auf ihn abfärbt, wenn er nur lange genug den Pokal in die Kamera hält, und der sich bei Fans anbiedert, indem er sexistisches Zeug redet, der aber andererseits viele Tage braucht, bis er sich mal öffentlich zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit der AWO äußert, der kann wohl kaum als seriös und anständig gelten.

    3. Die Sache mit dem Ermittlungsverfahren ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich gilt da die Unschuldsvermutung, bis die Schuld erwiesen ist. Aber wie soll ein OB eine Stadt wie Frankfurt seriös repräsentieren, während ein solches Verfahren gegen ihn läuft? Das ist lächerlich. Früher sind Politiker aus wesentlich geringeren Gründen zurückgetreten. Selbst einer wie zu Guttenberg ist diesen Schritt letztlich gegangen, auch wenn er lange uneinsichtig war. Heute haben wir einen Schlag von Politikern, die sich durch nichts beeindrucken lassen. Damit geht die politische Kultur vor die Hunde. Wenn man das bei einem wie Andreas Scheuer beklagt, dann muss man das auch bei einem wie Peter Feldmann kritisieren, auch wenn er ein Linker ist.

    4. Es ist die Aufgabe kritischer Medien, ein solches Fehlverhalten angemessen zu kommentieren. Ich habe an der Kommentierung der FR nichts auszusetzen, zumal es nicht stimmt, was Sie schreiben: dass die FR Feldmanns Leistungen nicht gewürdigt hätte.

  9. @ Stefan Briem

    Eine demokratische Wahl bedeutet nicht, dass auch die Gewählten zwangsläufig Demokraten sind. Das beweist die Wahl der AfD in den Bundestag und in die Landtage. Aus der formal demokratischen Reichstagswahl im März 1933 ist die antidemokratische und verbrecherische NSDAP als stärkste Partei hervorgegangen. Daraus lässt sich schließen, dass sich die demokratische Qualität der Mandatsträger nicht aus der Teilnahme an einer Wahl ergibt. Sondern sich einerseits in ihrer programmatischen Position (z.B. zu den Grundrechten) und andererseits in ihrem Handeln manifestiert. Eine Wertigkeit des Wählerwillens anhand der Wahlbeteiligung vorzunehmen, wäre angesichts der Verfassungs- und Gesetzeslage eine populistische Eng- und Irreführung.

    Tatsache ist, dass eine Mehrheit in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung den gewählten Oberbürgermeisters zum Rücktritt aufgefordert und ein Abwahlverfahren beschlossen hat. Sie begründet das mit einem anstehenden Gerichtsverfahren, dessen Ausgang völlig offen ist. Und dass sich möglicherweise durch sämtliche Instanzen ziehen könnte, weil von der Staatsanwaltschaft viele Rechtsgüter infrage gestellt werden, etwa der Schutz von Ehe und Familie, der persönliche Datenschutz sowie der Schutz vor Beleidigung und Verleumdung. Die der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Details der Anklage erscheinen jedenfalls als nicht plausibel, gar als willkürlich konstruiert. Wo kämen wir denn hin, wenn die Instrumentalisierung von Rechtsgütern zu politischen Zwecken zur akzeptierten politischen Strategie würde? Zumal eine Gleichsetzung von Scheuer, Guttenberg und Feldmann zum typischen Verleumdungskatalog der Rechten zählen.

    Ich habe mir die Mühe gemacht, die Faktenlage zu ordnen. OB Peter Feldmann wird verdächtigt, eine Wohlfahrtsorganisation dazu gedrängt zu haben, mit seiner damaligen Lebenspartnerin (die er später heiratete und von der er mittlerweile getrennt lebt) einen Arbeitsvertrag abzuschließen, dessen Vergütung und Sonderleistungen die üblichen tariflichen Gepflogenheit deutlich überstiegen. Im Gegenzug soll er dem Sozialverband ein Entgegenkommen bei dessen Vereinbarungen mit der Stadt Frankfurt zugesichert und diese Zusicherung erfüllt haben. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt man das Korruption, die Juristen bezeichnen es als Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme.
    Sollte Feldmanns Partnerin jedoch lediglich außergewöhnliche gute Bedingungen für sich ausgehandelt haben, wäre das nicht strafbar. Denn gemäß BGB gilt hierzulande Vertragsfreiheit. Selbst in den Tarifverträgen öffentlicher Arbeitgeber und in denen ihnen gleichgestellten Körperschaften gibt es Ausstiegsklauseln (z.B. im TVöD). Einige nicht dementierte Äußerungen aus der Staatsanwaltschaft lassen allerdings die Interpretation zu, dass zumindest Amtsträger ihre Ehepartner zu Disziplin und Genügsamkeit anzuhalten hätten. Was man als Wiederbelebung längst überwundener Sekundärtugenden deuten kann.

    Doch zur Sache: Welche Vorteile hätte OB Feldmann der Arbeiterwohlfahrt realistischerweise verschaffen können? Infrage gekommen wäre zum Beispiel eine aus dem Rahmen fallende hohe Kostenerstattung für den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften. Ja, die gab es tatsächlich. Rechtlich verantwortlich dafür war die seinerzeitige Frankfurter Sozialdezernentin, die das allein entscheiden konnte. Gegen die Dame wurde nie ermittelt. Auch wenn die überhöhten Kosten zurückgefordert und von der AWO auch zurückgezahlt wurden, hätte im Kontext der Ermittlungen gegen Peter Feldmann mindestens einem Anfangsverdacht gegen die Dezernentin nachgegangen werden müssen. Doch das hätte nicht in die politische Arithmetik von Grünen, SPD, FDP und CDU gepasst. Und exakt eine solche ist mir, dem investigativen und parteiunabhängigen Staatsbürger, bei der Sicht auf die „Affäre Feldmann“ aufgefallen.

    Zu den Ungereimtheiten gehört auch, dass sich zwei Journalisten des Hessischen Rundfunks Frau Feldmanns Personalakte widerrechtlich bei der AWO beschafft und in Teilen veröffentlicht haben. Das war nicht nur Diebstahl, sondern auch ein eindeutiger Verstoß gegen die europäische Datenschutzgrundverordnung, die damals (2019) bereits in deutsches Recht überführt worden war. Ein besonderes Geschmäckle bekam dieser Vorgang zusätzlich durch die Tatsache, dass einer der Journalisten für das rechtskonservativer Magazin CICERO tätig gewesen war, in dem man häufig Freundliches über die AfD lesen kann.

    Ich verstehe bis heute nicht, warum Frau Feldmann keine Anzeige erstattete und auf die Zahlung von Schmerzensgeld klagte. Waren es möglicherweise Rechtsberater der SPD, die dem Ehepaar davon abgeraten haben? Riet man ab, weil man zu diesem Zeitpunkt keinen unnötigen Wirbel verursachen wollte? Aber was außer der Wahrheit wäre denn zutage gekommen? Hätten einige SPD-Funktionäre, die ein auffällig gutes Verhältnis zur Immobilien- und Finanzwirtschaft pflegen, sich neue Freunde suchen müssen?

    Die vielen Menschen, die in Frankfurt Opfer der Mietervertreibung sind, deren Proteste gegen die Gentrifizierung durch Luxussanierung und Leerstände kein Gehör finden (außer bei Peter Feldmann!), deren Beharren auf einem Bürgerentscheid („Mietentscheid“) vom Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks und Planungsdezernenten nicht unterstützt wird, hätten sicherlich aufgeatmet.
    Der Planungsdezernent hatte bereits im Jahr 2016 für Irritationen gesorgt, als er dem Drängen von Finanzinvestoren nachzugeben bereit war, die das Hessen-Einkaufzentrum in Bergen-Enkheim überdimensional vergrößern wollten. Zu Lasten des gerade erst eröffneten Mitbewerbers in der Nachbarstadt Hanau. Und zu Lasten der Konsumenten an der östlichen Stadtperipherie, denen die Möglichkeit zu Preisvergleichen beschnitten worden wäre. Es war nicht zuletzt der Protest der Hanauer SPD, welcher die Frankfurter Genossen zum Rückzug zwang. Im Planungsamt widmet man sich seither der Konzeption einer Wohnstadt auf der „grünen Wiese“ nahe der Autobahn 5. Diese wäre ein ökologischer sowie klima- und verkehrspolitischer Wahnsinn. Und genauso irreal wie der unlängst veröffentlichte Frankfurter Mietspiegel.

    Die Vorwürfe gegen OB Peter Feldmann erscheinen mir angesichts der geschilderten Verwicklungen als eine gelenkte politische Kampagne, die sogar die Justiz zu instrumentalisieren versucht. In diesem Zusammenhang erweist es sich als Nachteil, dass das jeweilige Justizministerium der Staatsanwaltschaft gegenüber weisungsbefugt ist. Deswegen werden Stimmen von Insidern immer lauter, die politische Einflussnahmen vermuten. Genannt werden Uwe Becker, der ehemalige Frankfurter Bürgermeister, und Peter Beuth, der skandalumtobte hessische Innenminister. Die unlängst wegen Unfähigkeit entlassene Justizministerin Eva Kühne-Hörmann soll diese Begehrlichkeiten in Richtung Frankfurter Staatsanwaltschaft verstärkt haben.

    Ebenso merkwürdig wie das angebliche Komplott zwischen Zübeyde Temizel, AWO und Peter Feldmann ist die so genannte und mutmaßlich konstruierte Spendenaffäre. Die AWO hat weder offiziell noch inoffiziell Gelder für Feldmanns Wahlkampf 2018 eingesammelt und weitergeleitet. Die Finanzbuchhaltung, die wegen der Affäre des Geschäftsführerehepaars Richter mehrfach von Internen und Externen überprüft wurde, gibt in dieser Sache absolut nichts her. Zudem besitzt ein Oberbürgermeister keine Möglichkeiten, sein Wohlwollen gegenüber einer Wohlfahrtsorganisation in illegale Unterstützung einfließen zu lassen. Denn Ansprechpartner der AWO sind in Frankfurt das Sozial- und das Bildungsdezernat (Flüchtlingshilfe, Sozialhilfemaßnahmen, Kitas etc.).
    Es ist nicht auszuschließen, dass AWO-Funktionäre privat gesammelt haben, was völlig legal wäre. Aber auch ihnen gegenüber ist ein materieller Dank jenseits der Legalität nicht umzusetzen. Die FR-Lokalredaktion hat über diese Aspekte zum ersten Mal am 14. Juni berichtet, was angesichts der Schwere der Vorwürfe, der Rücktrittsaufforderung und des beschlossenen Abwahlverfahrens viel zu spät war. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass hier vor allem an der gesellschaftlichen Desinformation gearbeitet wurde und nicht an der gebotenen journalistischen Aufklärung. Der Preis für Propagandajournalismus gebührt in dieser Sache aber dem Hessischen Rundfunk, der nahezu täglich Vorurteile in die Welt setzt.

    Für mich ist Peter Feldmann keine Lichtgestalt. Er ist ein typisches Produkt der Frankfurter SPD, die sich Bildungsferne, Engstirnigkeit und mangelnde politische Innovationsfähigkeit nachsagen lassen muss. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Parteigenossen verfügt Feldmann über ein Gespür für die Sorgen der „kleinen Leute“. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er deswegen für Sozialdemokraten, aber auch für grüne Emporkömmlinge (für FDP und CDU ohnehin) zur unkalkulierbaren Gefahr geworden ist. Und deswegen geopfert werden soll.

  10. @ Klaus Philipp Mertens

    Eine respektable Argumentation, aber mit dem falschen Fokus. Sie argumentieren juristisch. Hier geht es aber um Politik. Die Unschuldsvermutung hat in diesem Fokus eine andere Dimension. Es geht nicht darum, was einem Politiker nachgewiesen wird, sondern darum, was man ihm zutraut. Oder eben auch nicht.
    Mit diesen schlichten Worten kontere ich ganz kurz Ihren ewig langen Kommentar und behaupte: Sie sind widerlegt.

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