Folgendes Gedicht eines 81jährigen FR-Lesers aus Osterburken erreichte mich heute:
Der Fußball-Fan und die WM
Der echte Fan zeigt meistens Flagge,
Fühlt sich identisch mit dem Team,
Damit die Mannschaft dann auch packe
Den Sieg für Deutschland und … für ihn!!
Ist dann der stolze Sieg errungen,
Schwelgt jeder Fan im „Wir“-Gefühl.
Wir haben diesen Sieg errungen,
Wir sind die Größten, sind am Ziel!
Jeder Stammtisch, jede Theke
Schmückt stolz sich mit des Titels Zier.
Überall und allerwege
Hört man nur das Wörtchen „wir“.
Drum frage ich im Namen Vieler:
Sind denn die Champions wirklich wir??
Letztlich ham doch nur die Spieler
Mitgekämpft bei dem Turnier.
War’n denn auch andere beteiligt,
Die nun laut tönen: „Wir, wir, wir?“
Hat denn der Sieg das „Wir“ geheiligt
Als Schlagzeile auf „Bild“-Papier?
Was aber bei ’ner Niederlage?
Wenn Sieg und Titel sind dahin?
Dann macht – das scheint ganz ohne Frage –
Das „Wir“ urplötzlich keinen Sinn.
Dann wechseln viele schnell das Lager,
Und aus ist’s mit dem „Wir“-Gefühl:
Aus „wir“ mach „ihr“, nämlich Versager
Und Flaschen in ’nem Trauerspiel.
Kaum jemand sagt: „Wir“ ham verloren,
Fast jeder tönt: „Ihr wart so schlecht!“
Als hätt‘ das Schicksal sich verschworen
Und sich am „Wir“-Gefühl gerächt!
Das „Wir“ gilt nur im Siegesfalle,
Bei Niederlagen sagt man „Ihr“.
So machen es vielleicht nicht alle,
Doch die am Stammtisch und beim Bier.
Erich Ott, Osterburken
Schön!
Drei ergänzende Kommentare fallen mir dazu ein:
1. Mein Vater erzählte mir als Jugendlichem, dass heimgekehrte Frontsoldaten sich darüber beschwert hätten, dass sie bei der Heimkehr von Landsleuten angespuckt worden wären, worauf er ihnen geantwortet habe: „Die haben euch leider nicht angespuckt, weil ihr den Krieg geführt habt, sondern weil ihr ihn verloren habt“.
2. Ein Anwalt pflegte seinem Mandanten nach einem erfolgreichen Prozess zu telegrafieren: „Ich habe den Prozess gewonnen“, im gegenteiligen Fall lautete der Telegrammtext: „Sie haben leider verloren“.
3. (auch ein Kommentar zu „Patriotismus“):
Börne, so berichtet Heine, trifft in Paris auf einen Deutschen, der sich brüstet: „Das deutsche Volk hat immerhin das Schießpulver erfunden.“ Worauf Börne antwortet: „Sie irren, mein Freund! Das deutsche Volk besteht aus dreißig Millionen Menschen. E i n e r davon hat das Pulver erfunden. Die übrigen neunundzwanzigmillionenneunhundertneunundneunzigtausend – neunhundertneunundneunzig haben das Pulver n i c h t erfunden.“
Vorab: Das Gedicht ist klasse !
Das Phänomen welches es beschreibt ist leider wohl gängig und die Aussage der letzten 4 Strophen, wird, um beim Fußball zu bleiben, spätestens bei der nächsten 2:0 Niederlage Deutschlands gegen eine Fußballweltmacht wie die Slowakei, im Boulevard wieder auftreten.
Dieses Phänomen ist aber so alt wie die Menschheit, wahrscheinlich tritt es deshalb ein, weil jeder Einzelne sich im Erfolg des Anderen respektive der Anderen sonnen möchte.
Man hätte ja selbst so gerne mitgespielt oder die Mannschaft persönlich motiviert, sie womöglich selbst aufgestellt. Man durfte nur leider nicht. Aber unbestritten ist, dass wenn man gedurft hätte, der Erfolg ebenso errungen worden wäre, wenn nicht gar noch größer gewesen wäre.
Im umgekehrten Falle des Misserfolgs haben dann diejenigen die mitspielen durften all das falsch gemacht was man selber richtig gemacht hätte und sind deshalb am Versagen schuld.
Man selbst natürlich nicht, da man ja zur passiven Teilnahme verdammt wurde.
Ein interessanter Gedanke, den ich beim Lesen des Gedichts angefangen habe zu spinnen, wirft die Frage auf, wie unser Alltag aussehen würde, sollte dieses Phänomen andersherum eintreten.
Wenn im Erfolg das „Ihr habt es geschafft“ zählen würde, und im Misserfolg das kollektive „Wir Gefühl“ eintreten würde.
Ich komme zum Ergebnis, dass dann das alltägliche Leben eines jeden von uns, welches, machen wir uns nichts vor, ohnehin arm an Glanzpunkten und heroischen Errungenschaften ist, wohl noch trister wäre, würde man Erfolge anderer nicht mehr absurderweise auf sich projezieren und müsste stattdessen zusätzlich den Schmerz des Misserfolgs Anderer tragen.
Das positive an diesem Phänomen aber ist, dass solche im „Wir-Rausch“ errungenen Erfolge auch lange immer wieder erfrischend ins Gedächtnis gerufen werden, während schmerzvolle oder gar peinliche Niederlagen schnell vergessen sind.
Oder erinnert sich hier noch jemand an die beiden Tore der Slowaken ? 🙂
Gedichte sind zum Kotzen
@wice: Kurze und knappe Aussage! Jedoch ohne großen Nährwert. Wäre schön, wenn Sie näher erläutern würden, was Ihnen nicht gefällt. Ich finde es super, wenn jemand so kreativ ist, wie unsere Gedichteschreiber 🙂
Weiter so!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
@ wice
Na, wohl eben eine Deutschklausur zurückbekommen ? 🙂
Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht an Gedichten mangelt die offensichtlich nach schwerem Absinthmißbrauch verfasst worden sein müssen.
Aber treten Sie doch bitte einem Herren im gehobenen Alter, der seine Gedanken hier verständlich für Jedermann zu „Papier“ bringt, nicht derart einen vor den Latz!
Habz erst garnet gelesen lol!!!
Heute schreibt mir Erich Ott aus Osterburken, Autor des Gedichts, um das es hier geht, und berichtet, wie er zum Dichten kam. Das könnte für wice und andere hier vielleicht interessant sein, denn für Herrn Ott ist Dichten Gehirnjogging und war ihm nach einem Schlaganfall vor vier Jahren ausgesprochen hilfreich dabei, die Folgen des Schlags zu verwinden. Er schrieb seine Gedichte mit der Hand auf, u. a. dieses:
Erkenntnis nach einem Schlaganfall
Zur Gesundheitsrückgewinnung
Dient am besten Blutverdünnung.
Dickes Blut und dicke Bäuche
Sind wie Gift für Wein und Schläuche.
Wo Lebenssaft nicht fließen kann,
Trifft der Schlag den stärksten Mann,
Der obendrein mit seinen Pfunden
Kaum als besonders schön empfunden.
Doch Schönheit ist nur eine Sache,
Die andre: der Gesundheit Rache!
Völlerei hat keinen Sinn,
Ich freu mich, wenn gesund ich bin.