Der „clash of civilizations“ hat die nächste Eskalationsstufe erreicht. Im neuseeländischen Christchurch hat ein Rechtsradikaler ein Massaker angerichtet, als er in zwei Moscheen um sich schoss und dabei 50 Menschen tötete, die sich zum Gebet versammelt hatten. Was zunächst wie ein Amoklauf aussah, war sorgfältig geplant und ideologisch unterfüttert mit einem „Manifest“ namens „Der große Austausch“, in dem sich Ideen und Vokabular findet, das ich gut aus meinen täglichen schriftlichen Begegnungen mit AfD-Anhängern, Identitären und anderen Rechtsradikalen kenne. In Deutschland hat sich sogar schon mal eine CDU-Bundestagsabgeordnete mit dem Begriff „Umvolkung“ geschmückt (Bettina Kudla aus Leipzig) und damit zu erkennen gegeben, in welcher ideologischen Welt sie unterwegs ist. Die CDU stellte sie daraufhin nicht mehr zur Wahl auf, so dass sie 2017 aus dem Bundestag ausschied.
Wer geglaubt hat, dass dieses Problem damit erledigt sei, wird jetzt enttäuscht: Die Vorstellung von einem großen Austausch, der sich angeblich in vollem Gang befindet, ist inzwischen weit verbreitet und verbindet Rechtsradikale von Schweden bis Australien, von den USA bis nach Südafrika. Diese Fanatiker sind keine schlicht gestrickten Nationalisten wie frühere Rechtsradikale, sondern verbünden sich über alle Landesgrenzen hinweg. Ihr Hauptgegner, der Islam, die Muslime, kennen ebenfalls keine Landesgrenzen. Was die Rechtsradikalen verbindet, ist ihre Hautfarbe. Hinzu kommt offenbar eine wachsende Bereitschaft zur Gewalttätigkeit. „Zielgerichtete Gewalt“, schrieb der Attentäter von Christchurch in seinem Manifest, sei das richtige Mittel, um ein „weißes Heimatland“ herzustellen. Der Mann ist Australier und hat sich sein Ziel in Neuseeland bewusst ausgesucht, um den Terror dorthin zu tragen. Doch Sprüche wie diese hört man auch in Deutschland. Sehr laut zuletzt in Chemnitz, wo des Gründers eines rechtsextremen Netzwerks namens „HooNaRa“ mit einer Schweigeminute im Fußballstadion und mit einem „Trauermarsch“ gedacht wurde. Bekennende Rassisten und Nazis werden salonfähig, und wenn sie Muslime erschießen, applaudiert man ihnen.
Der Attentäter von Christchurch, ein 28-Jähriger, ist ebenfalls Teil eines Netzwerks. Er nennt Vorbilder wie Anders Breivik, der 2011 77 junge Menschen umgebracht hatte, lobt jenen Briten, der im Juni 2017 in London mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge raste und zehn Menschen verletzte, und applaudiert dem Amerikaner, der 2015 in eine Kirche in Charleston stürmte und neun dunkelhäutige Amerikaner erschoss. Es ist eine düstere Welt voll von Gewalt, die sich hier vor unseren Augen auftut, und es ist gewiss kein Zufall, dass der Mörder den US-Präsidenten Donald Trump als „Symbol erneuerter weißer Identität“ preist, auch wenn er mit Trumps konkreter Politik nicht zufrieden ist.
„Weiße Identität“ – diesen Kampfbegriff werden wir uns merken müssen. Jedem Menschen, der für westliche Werte für Humanität, Toleranz, Frieden und Freiheit eintritt, müssen sich die Haare sträuben: Identität hat jetzt eine Farbe. Nein, falsch – Weiß ist keine Farbe im engeren Sinn, es ist nicht – im buchstäblichen Sinn – eintönig, sondern es ist eine unbunte Farbe, eine Mischung aus vielen Farben, die zusammen Weiß ergibt. Eigentlich ist Weiß multikulti. Schon lange ist Weiß dennoch die Farbe der Herrenmenschen. Die Weißen kamen als Kolonisatoren und Arier daher, sind als WASPs (white anglo saxon protestants) in den USA immer noch tonangebend und werden immer lauter. Und schon immer waren Weiße gewaltbereit, wenn es darum ging, ihre Interessen durchzusetzen. Auch Terror ist keineswegs neu in ihrem ideologischen Arsenal.
Wir müssen umdenken. Wir haben Terror in letzter Zeit in Begriffseinheit mit Islamismus gedacht: Terror war seit 9/11 islamistisch – als Folge des „war on terror“, den die USA gegen den islamischen Kulturkreis angezettelt haben. Und damit sind wir wieder bei Huntington. Der berühmte Politikwissenschaftler hat den Konservativen des Westens mit seinem Buch „The Clash of Civilizations“ (der deutsche Titel lautet unzureichend „Kampf der Kulturen“) das Rüstzeug gegeben, um die Welt in Freund und Feind einzuteilen. Die Gegnerschaft zwischen den Welten ist quasi naturgesetzlich fixiert. Ganz in diesem Sinn handelten George W. Bush und Richard Cheney, als sie den Irak angriffen, obwohl er mit 9/11 nichts zu tun hatte. Er gehörte jedoch dem islamischen Kulturkreis an. Das genügte. Ganz ähnlich verfahren nun jene, für die das Weiß ihrer Hautfarbe identitätsstiftend ist: Wer nicht weiß ist, kann nur ein Feind sein und darf abgeschlachtet werden.
Glaube niemand, dass dieser Terror weit weg ist, nur weil er in Neuseeland verübt wurde. Er ist auch hier, unter uns. Wir sind im in Gestalt des NSU bereits begegnet. Und nun ist es durchaus interessant zu sehen, wie die AfD das Attentat von Christchurch umzudeuten versucht.
Ich gedenke der Opfer dieses feigen, hinterhältigen Anschlags. 50 Menschen, die niemandem etwas getan haben, wurden aus dem Leben gerissen, darunter mehrere Kinder. Meine Trauer und mein Mitgefühl ist mit den Angehörigen und Verletzten. Mögen sie die Kraft finden, das Trauma zu bewältigen.
Leserbriefe
Heinz Markert aus Frankfurt meint:
„Blickt man auf das Massaker von Christchurch, kommt einem der Verdacht, dass es sich hier um Nihilismus handelt. Wir sollten Rechts nicht zu politisch sehen. Auch der politische Islamismus beruht auf einer nihilistischen Verirrung. Hat das gewalttätige Wüten nicht mit dem Zustand einer Psyche und einer Psychologie zerrütteter Geistes- und Gemütsverfassung zu tun? Sind Islamismus und Rechtsideologie nicht nur die jeweilige Kehrseite einer Medaille, um Gewalt auszuüben und Gewaltverherrlichung über die Welt zu verbreiten? Wären beide jemals zivilisations-, kultur- oder kunstfähig? Sind Antiislamismus, Antisemitismus und Kuffar nur eine Art Fake?
In der Frauenverachtung und im Männlichkeitswahn sind Islamisten und Rechte von gleichem Ungeist. Weiterhin wäre zu erwägen ob sich Begriffsbildungen wie: minderwertige Rasse, Darwinismus, National-Sozialismus, Antisemitismus, Die Ungläubigen sowie die verächtlich gemachte Humanität nicht auf der Ebene einer betrügerischen Reklame und Propaganda abspielen, um Gewalt zu legitimieren und zu normalisieren.
Geht es also erstens im Kampf gegen den Islamismus nicht nur darum, wer die Oberhand und Oberherrschaft für sich entscheidet, also um Konkurrenz unter Verwandten? – In der Verachtung der Humanität und Hochkultur sind Rechts und Islamismus gleichermaßen exzessiv. – Und besteht zweitens der eigentliche Charakter von Islamismus und Rechtsideologie nicht in der Rechtfertigung von Mord, Raub und Totschlag? Der Raub läuft mit, ist eingebettet in das System des Mordens und der Entwürdigung und reicht bis in den Raub ‚Entarteter‘ Kunst hinein. Der Film: ‚Eine Blutspur durch Frankreich‘, arte (betrifft auch die Massaker von Tulle und Oradour-sur-Glane), beschreibt das Werk des Vernichtungswahns. Eine Blutspur wurde gegen Ende der NS-Herrschaft als Himmelfahrtskommando durch Frankreich gezogen. Dabei enthüllte sich auch die Todessehnsucht, die für die SS und den Nationalsozialismus bezeichnend waren. Alle wussten, dass sie sterben würden. Die Todessehnsucht gilt auch für den IS-Terrorismus.
Die Rechtspopulisten müssen entscheiden, ob sie es mit den Rechten treiben wollen. Tut sie es, dann sind sie nichts als die Schoßhunde der Neonazis.“
Jeffrey Myers aus Frankfurt:
„Der von Hass getriebene Massenmörder, der laut eigenen Angaben zeigen wollte, dass man nirgendwo in der Welt – selbst in „den entlegensten Ländern“ – sicher ist vor Menschen wie ihm, hat sich gewaltig geirrt.
Die überaus mitfühlenden und entschlossenen Reaktionen der Neuseeländer (und der globalen Gemeinschaft) nach dem Terroranschlag zeigen vielmehr, dass es selbst am ruhigen Ende der westlichen Welt und an den entlegensten Orten keinen festen Platz für Hass und Hetze gibt. Nach den tödlichen Angriffen machen nun die vielen ergreifenden Zeichen von Mitgefühl, Solidarität und Nächstenliebe dem Namen der Stadt – Christchurch – alle Ehre.
Ein beliebtes Sprichwort der Ureinwohner Neuseelands untermauert die Zuversicht, dass das Licht der Toleranz, der Menschlichkeit und der Liebe stärker als alle Dunkelheit ist: „He tini nga whetu e ngaro I te kapua iti“ (Viele Sterne lassen sich nicht durch eine kleine dunkle Wolke verdecken).“
Carolyne Agnew aus Frankfurt:
„Terror im Namen der Identität: Brauchen wir eine weltweite Diskussion über die große Zahl der globalen Waffen-Fabrikanten? diese Firmen verkaufen ihre Produkte angeblich als defensive Mechanismen. Wer sind ihre Kunden? Wie ist es möglich, dass diese tödlichen Produkte so leicht zu kaufen sind? Does this worry you? Haben wir weltweit so viele unverantwortlich Politiker, die nicht genügend strenge Kontrolle dieser tödlichen Artikel durchsetzen können? Diese Firmen brauchen ihre Kunden, um Geld zu verdienen. Wer sind ihre ‚Influencers‘?“
Otfried Schrot aus Ronnenberg:
„Die Welt fragt sich, woher der Mann das Selbstvertrauen nimmt, sich vor Gericht selbst verteidigen zu wollen. Ganz einfach. Weil auf dieser Welt zahlreiche Personen – auch in obersten Regierungsetagen – frei, angesehen und unbestraft herumlaufen, die noch viel mehr Menschenleben auf dem Gewissen haben.
Solange die Mächtigsten auf dieser Welt unter Anwendung des „Prinzips Gewalt“ nach der Erreichung ihrer politischen Ziele streben und ungestraft davonkommen, wird es passieren, dass kleine Geister ihrem „leuchtenden Beispiel“ folgen und ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit mit Gewalt – und zugleich mit gutem Gewissen – zu verwirklichen versuchen.
Abhilfe – was die Welt nicht kapieren will: erst wenn wir uns eine geschützte und durchgesetzte Weltordnung geschaffen haben, in der alle unter demselben Recht stehen, die Mächtigsten und die Ohnmächtigsten, die Reichsten und die Ärmsten so wie die Lautesten und die Leisesten, in der wir die Gewalt per Weltgesetz aus den Umgangsformen der Menschheit ausgeschlossen haben, besteht eine Aussicht auf Besserung! Wollen wir das überhaupt?
Das Werk kann nur gelingen, wenn die Mächtigsten der Welt, die USA, Russland und China, vom hohen Ross ihrer waffenstarrenden, jederzeit zur Gewalt bereiten Arroganz herunterkommen und zu Umgangsformen übergehen, die ausschließlich friedlich sind und auf beschlossenem Weltrecht beruhen.
Das wird schwierig werden, weil sich vor allem die USA eine Welt ohne Krieg offenkundig überhaupt nicht vorstellen können. Ihre Rüstungsplanung reicht weit in die Zukunft hinein.
Der Druck der ganzen Menschheit wird notwendig sein, um „die drei Großen“ zur politischen Moral zu bekehren. Erst danach wird diese politische Moral eine dauerhafte Chance in den „unteren Etagen“ der Menschheit haben!“
Manfred Kirsch aus Neuwied:
„Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek, warnt vollkommen zu recht vor einem ähnlichen Terroranschlag wie in Christchurch auch auf Moscheen in Deutschland. Gerade hierzulande haben Rechtsradikale in diesen Tagen, wie die Droh-Emails gegen Juden, demokratische Politiker und Journalisten schonungslos aufzeigen, wieder Drohkulissen aufgebaut, auch und gerade gegen Muslime, was Schlimmstes befürchten lässt. Leider muss konstatiert werden, dass die deutschen Sicherheitsbehörden generell geradezu fahrlässig mit Drohungen aus der rechten Szene umgehen und sich sogar Rechtsradikale, vor allem AfD-Parteigänger etwa bei der Polizei hauptamtlich tummeln. Deshalb ist es auch richtig, wenn die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner fordert, dass Personen und Einrichtungen, die Drohungen aus rechtsextremen Kreisen erhalten haben, unter Polizeischutz gestellt werden. Viel zu oft werden Anzeigen gegen rechten Terrorismus, der sich auch in Drohbriefen gegen kritische Demokraten richtet, von der Polizei als Bagatelle betrachtet. Gerade eine Demokratie wie die Bundesrepublik braucht Menschen, die sich auch aktiv für Freiheit und Demokratie einsetzen. Denn Demokratie kann nur durch Demokraten existieren. Doch Islamophobie, Antisemitismus und Hass auf andere Minderheiten, die leider auch das Markenzeichen der Bundestagspartei AfD sind, erfordern als Reaktion Zivilcourage und Widerstand. Das, was seit vielen Jahren in Deutschland an der Tagesordnung ist, kann und darf nicht widerspruchslos hingenommen werden. Auch in der Bundesrepublik hat es schon mehrere hundert Tote durch rechte Gewalt gegeben. Als Spitze des Eisbergs seien schon die Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Hoyerswerda, Mölln und Solingen und in den heutigen Tagen etwa die Pogrome von Chemnitz genannt. Der rechte Hass und die Gewaltbereitschaft hierzulande sind unsäglich groß und die Bluttat von Christchurch zeigt auf drastische Weise auf, wie schnell auch in einer friedlich anmutenden Gesellschaft der Faschismus wieder seine hässliche Fratze zeigen kann. Wir alle und die Sicherheitsbehörden und Politiker sind aufgerufen, dem Hass und der Mordlust von Rechts entschlossen zu widersagen und die Aufmerksamkeit gegen die rechten Verbrecher nicht erlahmen zu lassen.“
Der Imam der Nuur-Moschee in Frankfurt twitterte ein Bild von einem Blumenstrauß, dass eine Familie vor der Tür des Gotteshauses aus Solidarität gelegt hatte. Auf der Karte stand: „Liebe Frankfurter Muslime, wir verabscheuen was dieser weiße Rassist in Neuseeland angerichtet hat. Wir sind in Gedanken bei euch.“ Ich fand die Geste ehrlich, mitfühlend und menschlich. Ein Terrorist hat in Neuseeland 50 Muslime während des Gebetes kaltblütig niedergemetzelt. Die neuseeländische Premierministerin ging demonstrativ auf die muslimischen Bürger ihres Landes zu und zeigte Solidarität und Mitgefühl: „Ihr gehört zu uns“. Die Neuseeländer bekunden demonstrativ den Zusammenhalt ihrer Gesellschaft und bekennen sich zur muslimischen Bevölkerung ihres Landes. Doch was hat sich bei uns getan? Außer anfänglicher Verurteilung der Anschläge scheint wieder der Alltag Einzug zu halten. Das stört mich.
Neuseeland scheint weit weg von uns zu sein. Was sollten wir mit dem Anschlag dort zu tun haben? Und doch tun wir das. Der NSU war ideologisch nicht weit von den Überzeugungen des Terroristen von Christchurch entfernt, und der NSU 2.0 ist es auch nicht. Der Attentäter von München vertrat dieselben abstrusen Thesen. Die Rhetorik der Pegida gegen Muslime ist dieselbe wie die des Christchurch-Massenmörders. Eine Partei sitzt im deutschen Parlament, die der Hass auf Muslime mit dem Christchurch-Terroristen verbindet. Dieser antimuslimische Hass hat in Europa und anderen Ländern der Welt in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen und ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Einem Sarrazin wird zugejubelt, wenn er gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes poltert. Noch heute verteidigen bekannte Politiker die Worte „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, wenn es darum geht, sich populistisch zu profilieren. Die geistigen Brandstifter und Wegbereiter solcher Terroristen werden vom Großteil der Gesellschaft nicht angefochten. Es gibt keine Diskussion über die Ursachen dieses Terrorismus im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen? Wo bleibt die Distanzierung von diesem Hass? Und viel wichtiger: Wo bleibt die Solidarität mit den hiesigen Muslimen?
„Wir müssen umdenken. Wir haben Terror in letzter Zeit in Begriffseinheit mit Islamismus gedacht: Terror war seit 9/11 islamistisch – als Folge des „war on terror“, den die USA gegen den islamischen Kulturkreis angezettelt haben.“
Da habe ich eine etwas andere Chronologie im Kopf, lieber Bronski. Der Ursprung des Kampfes war doch genau der terroristische Massenmord von 9/11 mit fast 3000 Toten, bei dem durch die Zerstörung von Symbolen der (verdorbenen) westlichen Zivilisation diese und zugleich der „große Teufel“ USA, die Schutzmacht des „kleinen Teufels“ Israel, in ihren Grundfesten erschüttert werden sollten – was ja auch gelang. Dass der vielgestaltige „war on terror“ die Gewalt noch weiter anheizte und zur Entstehung und Ausbreitung des IS beitrug, ist nicht zu vernachlässigen, aber islamistischen Terror gab es schon vorher, nicht nur in Form der beiden Anschläge von Al Qaida 1998 auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi mit 226 Toten.
Und es gab und gibt ihn auch völlig unabhängig von den Aktionen der USA (Beispiel Algerien).
Es muss auch nicht umgedacht werden. Dass es in Deutschland und anderen Staaten rechtsradikalen Terror gab, war schon seit den ausländerfeindlichen Pogromen in Hoyerswerda und Lichtenhagen (1991/92) im Bewusstsein der Öffentlichkeit, zuerst auf Ostdeutschland beschränkt, dann auch im Westen in Form der Brandanschläge auf türkische Familien in Mölln (1992) mit drei Toten und Solingen (1993) mit fünf Toten.
Danach verursachte die Mordserie des NSU und das grobe Versagen samt Vertuschungen seitens der Ermittler in der deutschen Öffentlichkeit große Empörung, ebenfalls der fremdemfeindliche Terroranschlag des Norwegers Anders Breivik 2011 mit 77 Toten.
Also: Terror sowohl in der rechtsradikalen als auch in der islamistischen Szene ist ein allgemein bekanntes Phänomen, das immer wieder zu hilflosem Erschrecken führt.
Interessant finde ich die Parallelen, die der Leserbriefschreiber Heinz Markert aufzeigt.
Dabei gehen die Überschneidungen von Rechtsradikalismus und Islamismus noch viel weiter. Wie sind z.B. die türkischen Grauen Wölfe einzuordnen, deren hiesige Niederlassung interessanterweise als in Deutschland beheimatete rechtsradikale Organisation mit den meisten Mitgliedern gilt? Die scheinen eine Mischung aus radikalem Nationalismus und Islamismus zu sein.
Die Schreckensfantasien der rechten Europäer von der angeblich drohenden Machtübernahme durch „den Islam“, so übertrieben sie erscheinen, haben auch durchaus ihre Entsprechungen in den neo-osmanischen Ausbreitungsgelüsten eines Erdogan (Stichwort „Gebietserweiterungen“) und in dessen Einflussnahme auf die hier lebenden Türken durch die Ditib.
Die Muslimbruderschaft wehrt sich gegen die angebliche dekadente kulturelle Offensive des Westens und träumt von einer Rückeroberung der verlorenen Gebiete in Europa, nicht mit dem Schwert, sondern durch zunehmende Ausbreitung ihrer reaktionären Ideologie, finanziell unterstützt von Saudi-Arabien.
Dass der IS, ohnehin bereits in Europa aktiv, nach seiner Niederlage in Syrien und dem Irak seinen Kampf in Eurpoa verstärken will, ist zu erwarten.
Das heißt, die einen haben vor den anderen Angst und wollen zugleich ihre Macht erhalten bzw. stärken und ausbreiten. Zwei Seiten einer Medaille.
@ Mohammad Luqman Majoka
Ich finde Ihre Vorwürfe nicht ganz fair.
Vielleicht sind Sie zu jung, um sich zu erinnern. Ich habe oben von den rassistischen Anschlägen vorwiegend gegen Muslime in Deutschland seit 1991 gesprochen, bei denen die deutsche Öffentlichkeit von großem Entsetzen erschüttert wurde. Es gab deutschlandweite Solidaritätskundgebungen, Lichterketten und hier in Frankfurt Demonstartionen unter dem Motto „United Colours of Bembeltown“. In Solingen wurde ein Mahnmal für die Familie Genc errichtet, in Frankfurt ein Platz nach der ermordeten Hülya Genc benannt. Und sowohl die NSU-Morde selbst als auch das schuldhafte Versagen der Behörden rief große Empörung in der Bevölkerung hervor.
Auch die Rechten Aufmärsche in Chemnitz, als Hetzjagden zu werten oder nicht, führten zu landesweiten Protestdemos, die ein Vielfaches der Menschen auf die Straße brachten als die rechten Kundgebungen in Chemnitz.
Dass der Massenmord von Christchurch keine entsprechenden Solidaritätsaktionen hervorruft, liegt sicher an der räumlichen Entfernung und ein bisschen auch an der Abstumpfung durch das Ausmaß von Gewalt auf der Welt, von dem wir täglich über die Medien erfahren.
Ganz nebenbei: Ich kann mich nicht an Solidaritätsbekundungen seitens der deutschen Muslime erinnern, als in den letzten Jahren christliche Gemeinden in fernen Ländern von islamistischen Terroristen überfallen wurden:
zwei Anschläge auf koptische Kirchen am Palmsonntag 2017 mit 44 Toten, 2018 Schüsse auf einen Bus mit koptischen Pilgern, 7 Tote.
Mai 2018 in Surabaya Anschläge auf drei christliche Kirchen, 13 Tote,
Januar 2019 Anschlag auf eine katholische Kathedrale, 20 Tote.
Das wird von der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, auch nicht von den Muslimen.
So richtig die Bezeichnung „Verwandte“ für Islamismus und Rechtsextremismus ist, die Begründungen dafür erscheinen doch sehr unbefriedigend.
Bronskis Hinweis auf „Weiße Identität“ als Kampfbegriff von Rechtsextremisten sagt zwar etwas über deren Denkweisen aus. Eine „Verwandtschaft“ mit Islamisten, deren Handeln sich auf einer Interpretation von Religion als politischem Programm aufbaut, geht daraus aber nicht hervor.
Noch weniger hilfreich erscheint der Versuch von Heinz Markert, im „Nihilismus“ einen gemeinsamen Bezugspunkt zu finden.
„Nihilismus“ resultiert nach Nietzsche aus „der Überzeugung, dass es keine absoluten Wahrheiten und Werte gibt“ (Wikipedia).
Für Islamisten ist ihre „Wahrheit“ aber ganz im Gegenteil die einzig richtige, wie auch für Rechtsextremisten ihre Ideologie.
Statt mit theoretischen Bestimmungen zu operieren, erscheint es sinnvoller, Gemeinsamkeiten pragmatisch aus dem jeweiligen Handeln abzuleiten.
Entscheidende Gemeinsamkeiten sind mit Sicherheit Intoleranz und Gewaltbereitschaft, „legitimiert“ durch Verabsolutierung des eigenen Standpunkts, der eigenen „Identität“, die nicht auf Verdiensten, sondern aus bloßem eingebildetem Sein beruht.
Die Scheinhaftigkeit dieses „Seins“ bedingt, dass aus sich heraus keine Begründung für eigenen Überlegenheitsdünkel ableitbar ist. Beide Strömungen bedürfen demnach zur Legitimierung der eigenen Existenz sowohl eines äußeren „Feindes“ als auch einer Masse, aus der sie ihre geliehene „Stärke“ beziehen. Ohne diese Masse, ohne den äußeren Feind sind sie ein Nichts.
Beide erweisen sich in ihrem politischen Selbstverständnis demnach als – wenn auch ideologisch sehr unterschiedliche – Repräsentanten des Untertanentyps par excellence, wie ihn ein Heinrich Mann im „Untertan“ meisterhaft beschrieben hat. Beide beziehen auch ihre vermeintliche „Stärke“ aus dem Treten nach unten, im Extremfall – wie bei den genannten Attentätern – aus Gewaltorgien.
Für die politische Praxis, die Abwehr beider Strömungen ist eine solche Erkenntnis von entscheidender Bedeutung:
Eine Auseinandersetzung mit den ideologischen Prämissen und Implikationen beider Seiten erscheint wenig hilfreich, birgt sogar die Gefahr in sich, der ideologischen Kritik am jeweiligen „Feind“ auf den Leim zu gehen. So die von mehreren angedeutete Gefahr, bei der Auseinandersetzung mit der einen Seite – meist dem Islamismus – die gleichermaßen gefährliche andere Seite zu „vergessen“.
Die Auseinandersetzung hat in erster Linie an den konkreten Aktionen, an der immanenten Gewaltbereitschaft wie der Missachtung bzw. die weitgehende Reduktion von Menschenrechten (wie in der Flüchtlingsfrage) anzusetzen: Beide Strömungen sind in ein demokratisches, an Menschenrechten und Grundwerten orientiertes gesellschaftliches System nicht integrierbar.
Was insbesondere auch für Rechtsradikalismus gilt, einschließlich Bewegungen und Parteien wie „Pegida“ und AfD, bei denen keine klare Abgrenzung erkennbar ist.
Eine Erkenntnis, die z.B. von einer CDU Sachsen mit einem Prof. Patzelt als Spiritus rector – der eine Koalition von CDU und AfD durchaus ins Auge fasst – völlig negiert wird.
Vgl. dazu: https://www.fr.de/politik/rechter-narrensaum-12052865.html