Über die richtige Zahl von Krankenhäusern in Deutschland wird seit langem gestritten. Viele Kliniken schreiben rote Zahlen. Kürzlich meldete sich die Bertelsmann-Stiftung mit einem radikalen Vorschlag: Von den rund 1400 Kliniken in Deutschland könnten 800 geschlossen werden – unter anderem deswegen, weil bestimmte Operationen an vielen Kliniken nicht oft genug durchgeführt werden. Kleine Kliniken verfügten, heißt es da, häufig nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall angemessen behandeln zu können. Je häufiger das Fachpersonal eine Operation durchführt, desto mehr Kompetenz wird es darin aufbauen. Es wäre also im Interesse der Patienten, Kliniken zusammenzulegen. Allerdings gäbe es auch gravierende Nachteile: weite Wege etwa oder eine vom Massenbetrieb geprägte Pflege und Versorgung, um nur zwei Punkte zu nennen. Und dann gibt es da auch noch Vorbehalte gegen die Richtung, in die das alles geht. Kommt nach dem schlanken Staat, den wir inzwischen haben und der teilweise nicht mehr in der Lage ist, für ausreichend Sicherheit zu sorgen -, kommt nach diesem durchaus fühl- und fassbaren Ergebnis neoliberalen Einflusses nun auch das schlanke Gesundheitswesen? Wie wollen wir die Mittel der Krankenkassen und des Steuerzahlers einsetzen, um möglichst viel davon zu haben? Und: „Wie böse ist Bertelsmann?“
Keine Interessenskonflikte?
Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, ist auch Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG. Die Bertelsmannstiftung bestreitet zwar einen Interessenskonflikt, weil sie nicht die Schließung bestimmter Häuser vorschlage, dennoch ist die Rede davon, dass den „großen Häusern“ das durch Schließung kleinerer Kiniken frei gewordene Personal zur Verfügung stehen solle. Der private Klinikbetreiber Rhön-Klinikum AG ist mit 1,23 Mrd. Euro Umsatz in Deutschland ja wohl eher kein kleiner!
Karsten Neumann, Nürnberg/Bethang
Verschont uns mit allem, was Bertelsmann so einfällt
Eine im Auftrag der Friedhilde-Scholl-Foundation erstellte Studie hat ergeben, dass Softskills, wie wohnortnahe Krankenhausversorgung, persönliche Zugewandtheit des Pflegepersonals und ausreichend Zeit bei der ärztlichen Versorgung, von den Studienteilnehmern mehrheitlich als wichtig bis äußerst wichtig eingestuft werden. Die repräsentative Befragung ergab ebenfalls, dass nur ein nicht signifikanter Teil der Befragten für die Schließung von Krankenhäusern votiert. Die wissenschaftlich durchgeführte Untersuchung ergab weiter, die Teilnehmer lehnen mehrheitlich eine gewinnorientierte Konzentration auf kommerziell geführte Großkliniken ab.
Kritisch sehen die Studienleiter der Friedhilde-Scholl-Foundation den medienweiten Mega Hype um die Bertelsmann-Studie die mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser für verzichtbar hält. Dieser Hype ist nur möglich, da die Mehrheitsjournalisten den Subkontext, dass die Gründer der Bertelsmann-Stiftung rein wirtschaftliche Ziele verfolgen, offensichtlich ausblenden. Folglich findet eine dieser Studie angemessene Reflexion in den Medien nicht statt.
Die Friedhilde-Scholl-Foundation stellt ihre Tätigkeit ein, sobald ernstzunehmende Medien zukünftig die Öffentlichkeit mit Studien zur Gesundheit, Bildung und was Bertelsmann sonst noch einfällt, verschonen.
Friedhilde Scholl, Frankfurt
Verharmlosung einer marktradikalen Organisation
Die Bertelsmann-Stiftung ist nicht etwa „böse“, sondern eine knallharte neoliberale Denkfabrik. Hammerhart ist die aktuelle Forderung der Stiftung, von ca. 1.400 Krankenhäusern 800 zu schließen. Dann ist eine ortsnahe Versorgung von Kranken hinfällig.
Schon mit der Errichtung der Stiftung sparte die Unternehmer-Familie Mohn Erbschafts- und Schenkungsteuer in Milliardenhöhe. Die Zuwendungen an die Stiftung der Mohn-nahen Unternehmen mindern zudem laufend den steuerlichen Gewinn der spendenden Unternehmen. Damit wird bis auf den heutigen Tag die Stiftungsarbeit zu Lasten der steuerempfangenden staatlichen Gebietskörperschaften finanziert.
§ 2 der „Satzung der Bertelsmann Stiftung“ zählt umfassend alle gemeinnützigen Zwecke der „Abgabenordnung“ auf, für die eine Basis-Organisation wie „attac“ gemäß Entscheidung des Bundesfinanzhofes die Gemeinnützigkeit kostete. Über ein familien- und Mohn-unternehmensnahes Satzungsorgan „Kuratorium“ werden die „strategischen Grundsätze und Schwerpunkte der Stiftungsarbeit“ festgelegt. Neben Aufsichtsratsmitgliedern der „Bertelsmann SE & KGaA“ gehört dem „Kuratorium“ auch Liz Mohn an. Das der Unternehmensfamilie Mohn nahestehende „Kuratorium“ bestimmt den „Vorstand“ der Stiftung. Auch hat die „Fortentwicklung der Stiftungszwecke im Sinne des Stifterwillens“ zu erfolgen. Die Satzung garantiert zu 100 Prozent die interessengeleitete Einflussnahme der Unternehmerfamilie. Was das mit „Selbstlosigkeit“ und „Gemeinnützigkeit“ zu tun hat, erschließt sich mir nicht!?
Die Bertelsmann-Stiftung bestimmt die „Diskurse“ in ihrem Sinne. Die Gegner der Krankenhausschließungen können nicht mit gleichen Waffen agieren, weil schlicht dafür die finanzielle Ausstattung fehlt. Es mangelt also schon an Waffengleichheit. Die der Familie Mohn nahestehenden Medienhäuser befördern doch nicht die Kritik an den Bertelsmann-Stiftung-Konzepten, sondern eher das Gegenteil. Ich empfinde Ihren Artikel nicht als „Analyse“, sondern als Verharmlosung einer marktradikalen Organisation.
Dem Inhalt des Leserbriefes von Thomas Ewald-Wehner ist in vollem Umfang zuzustimmen. Dabei reicht der Platz für die Leserbriefe kaum aus, um die Macht dieses Konzerns, der sich zum Zwecke der Steuerhintergehung in eine „gemeinnützige“ Stiftung kleidet, zu beschreiben. Allein die Anzahl der Buchverlage und anderer Medienanstalten wie RTL verdeutlichen, dass dieser Konzern bereits eine deutliche Dominanz in der Verbreitung der öffentlichen Meinung inne hat und diese mit allen Mitteln ausnutzt.
Dabei spielt bei dem Kaffeekränzchen von Liz Mohn, Friede Springer und Kanzlerin Merkel der Einfluss des Konzerns eine von vielen Rollen, wesentlich ist auch die enge Zusammenarbeit mit der Arbeitgebervereinigung Initiative neue „soziale“ Marktwirtschaft, die Mitwirkung – vermutlich noch eher die Initiative – zur Einführung des Niedriglohnsektors sowie anderer Schikanen gegenüber der Bevölkerungsmehrheit.
Der jüngste in der Presselandschaft, vor allem der des eigenen Konzerns, verbreitete Erguss, einen Großteil der Krankenhäuser zu schließen, stellt somit auch keine Überraschung dar. Schließlich sitzt das Mitglied des Vorstandes der Bertelsmann-Stiftung sowie anderer Vorstände und Aufsichtsräte dieses Konzerns, Brigitte Mohn, auch im Aufsichtsrat des Rhön-Klinikums und ist Vorsitzende des Aufsichtsrates von Phineo. Bekanntlich umfasst das Rhön-Klinikum ein Konsortium zahlreicher Kliniken in Deutschland auf börsennotierter Basis, so dass mit der Forderung nach Schließung von Krankenhäusern eindeutig auch im Gesundheitswesen eine Konzentration in eine bestimmte Richtung der Großkliniken angestrebt wird.
Das Ziel von Phineo besteht u.a. darin , „dass Stiftungen, Unternehmen, Privatspender und die Öffentlichkeit, aber auch gemeinnützige Organisationen in die Lage versetzt werden, wirkungsorientierter zu handeln und mehr für die Gesellschaft zu bewirken.“ Was Phineo unter „wirkungsorientiert“ versteht, bedarf sicherlich keiner näheren Erläuterung. Denn bekanntlich ist dieses Unternehmen bereits mehrfach wegen seiner Nähe zu Wirtschafts- und Finanzinstitutionen auf Kritik gestoßen.
Die Kritik von Daniela Vates an den Krankenhäusern, die darauf verzichten, Fachpersonal auszubilden, teile ich, allerdings greift sie viel zu kurz, und zwar aus dem Grund, weil auch andere Unternehmen dies zunehmend vermeiden und die Regierung unter Druck setzen, Fachkräfte im Ausland anzuwerben, allen voran Bundesgesundheitsminister Spahn. Damit werden zumeist arme Länder, aus welchen das Fachpersonal abgeworben wird, zusätzlich geschädigt und um die Ausbildungskosten betrogen – und die Krankenhäuser sparen am falschen Ende, indem sie auf hiesige Anforderungen nicht vorbereitetes Personal einstellen. Das nur auf Konkurrenz und Profit ausgerichtete Wirtschaftssystem muss grundsätzlich reformiert werden, – ich verweise auf den Beitrag von Stephan Kaufmann auf Seite 3 dieser Ausgabe – vor allem soziale Einrichtungen sollten sofort aus dieser Profitschere-um-jeden-Preis heraus genommen werden.
Dieses Wirtschaftssystem ist nicht nur in sich unökonomisch, indem es Wenige auf Kosten der Anderen reich werden läßt, es produziert auch, gerade in der Krankenpflege kurzsichtige Konzepte und eine falsche Fachlichkeit. Der Mensch im kapitalistischen Pflegesystem wird nicht ganzheitlich gesehen, sondern aufgespalten in das durch Medizin oder Pflege zu Behandelnde, beziehungsweise die Leistung, für die er bezahlt hat. Dazu ein Beispiel: Das Organ, was im Krankenhaus operiert wurde, ist bestens verheilt, aber der ältere Patient – oft als Kunde bezeichnet und auch leider so behandelt – hat sich wegen schlechter Pflege (Lagerung) einen Dekubitus zugezogen. Dieser wird auf Grund falscher Effizienzvorstellungen und Personalnot erst entdeckt, wenn die Wunde schon nicht mehr zu übersehen ist: Um so schmerzhafter für den betroffenen Menschen, um so langwieriger die Heilung, auch um so teurer, und um so arbeitsintensiver für das Fachpersonal. Diejenigen, die durch falsche Fachlichkeit, falsches Sparen und verschulte Ausbildungen diese Krisen herbei führen, müssen nicht für ihren Unsinn einstehen, sie erkennen noch nicht einmal die Zusammenhänge, weil dem Fachpersonal an der Basis die Folgen falscher Politik und schlechter Fachlichkeit aufgebürdet werden, was heißt, die Überforderung nimmt ständig zu. Mehr, besser ausgebildetes, besser bezahltes Personal würde einiges verbessern, aber dies reicht bei weitem nicht, vor allem müssen wir unser Menschenbild ändern. Der Mensch ist kein Produkt.
Zum Kommentar ,Kleinliches Sparen‘ Frankfurter Rundschau v. Montag. 12. August 2019
Die Kritik von Daniela Vates an den Krankenhäusern, die darauf verzichten, Fachpersonal auszubilden, teile ich, allerdings greift sie viel zu kurz, und zwar aus dem Grund, weil auch andere Unternehmen dies zunehmend vermeiden und die Regierung unter Druck setzen, Fachkräfte im Ausland anzuwerben, allen voran Bundesgesundheitsminister Spahn. Damit werden zumeist arme Länder, aus welchen das Fachpersonal abgeworben wird, zusätzlich geschädigt und um die Ausbildungskosten betrogen – und die Krankenhäuser sparen am falschen Ende, indem sie auf hiesige Anforderungen nicht vorbereitetes Personal einstellen. Das nur auf Konkurrenz und Profit ausgerichtete Wirtschaftssystem muss grundsätzlich reformiert werden, – ich verweise auf den Beitrag von Stephan Kaufmann auf Seite 3 dieser Ausgabe – vor allem soziale Einrichtungen sollten sofort aus dieser Profitschere-um-jeden-Preis heraus genommen werden. Dieses Wirtschaftssystem ist nicht nur in sich unökonomisch, indem es Wenige auf Kosten der Anderen reich werden läßt, es produziert auch, gerade in der Krankenpflege kurzsichtige Konzepte und eine falsche Fachlichkeit. Der Mensch im kapitalistischen Pflegesystem wird nicht ganzheitlich gesehen, sondern aufgespalten in das durch Medizin oder Pflege zu Behandelnde, beziehungsweise die Leistung, für die er bezahlt hat. Dazu ein Beispiel: Das Organ, was im Krankenhaus operiert wurde, ist bestens verheilt, aber der ältere Patient – oft als Kunde bezeichnet und auch leider so behandelt – hat sich wegen schlechter Pflege (Lagerung) einen Dekubitus zugezogen. Dieser wird auf Grund falscher Effizienzvorstellungen und Personalnot erst entdeckt, wenn die Wunde schon nicht mehr zu übersehen ist: Um so schmerzhafter für den betroffenen Menschen, um so langwieriger die Heilung, auch um so teurer, und um so arbeitsintensiver für das Fachpersonal. Diejenigen, die durch falsche Fachlichkeit, falsches Sparen und verschulte Ausbildungen diese Krisen herbei führen, müssen nicht für ihren Unsinn einstehen, sie erkennen noch nicht einmal die Zusammenhänge, weil dem Fachpersonal an der Basis die Folgen falscher Politik und schlechter Fachlichkeit aufgebürdet werden, was heißt, die Überforderung nimmt ständig zu. Mehr, besser ausgebildetes, besser bezahltes Personal würde einiges verbessern, aber dies reicht bei weitem nicht, vor allem müssen wir unser Menschenbild ändern. Der Mensch ist kein Produkt.