Nun ist es endgültig. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit entzogen und damit erstmals in dieser Frage geurteilt. Gemeinnützigkeit sei an 25 gesetzlich genau festgelegte Zwecke wie Sport, Umwelt- oder Tierschutz gebunden, erläuterte Richter Bernd Heuermann. Denen lasse sich Attac in seiner allgemeinpolitischen Ausrichtung nicht zuordnen. Dieses Urteil sei „politisch neutral“. Gleichwohl ist es ein verheerendes Signal an die Zivilgesellschaft und an all jene Menschen, die sich politisch und kritisch engagieren, um der Politik auf die Sprünge zu verhelfen. Spenden an Attac können damit nicht mehr bei der Einkommenssteuererklärung in Abzug gebracht werden. Das Urteil dürfte auch die Deutsche Umwelthilfe betreffen, deren Gemeinnützigkeit vor allem aus dem konservativen Lager angezweifelt wird.
Für einen Abgesang auf Attac ist es indes viel zu früh. Es wird schwieriger für die Nichtregierungsorganisation, sich zu finanzieren, aber es wird nicht unmöglich. Gleichwohl gefährdet das Urteil tausende von Vereinen und Stiftungen in Deutschland, meint Stefan Diefenbach-Trommer im FR-Interview. Trommer ist Vorsitzender der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, in der sich seit 2014 unter dem Eindruck des Falles von Attac mehr als 80 Stiftungen und Vereine zusammengeschlossen haben. Damals, 2014, haben wir auch hier im FR-Blog bereits einmal über das Vorgehen gegen Attac diskutiert.
Kann das Urteil des BFH als ein weiteres Symptom für einen Rechtsruck der Bundesrepublik gewertet werden? So sieht es die Amadeu-Antonio-Stiftung in einer ersten Reaktion. Attac Deutschland, gegründet im Jahr 2000 als „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“ engagiert sich für fairen Handel statt für Freihandel und ist maßgeblich an der Organisation der Proteste gegen Freihandelsabkommen wie TTIP beteiligt. Blockupy, Seebrücke – die Zahl der Projekte und Initiativen ist groß. Dieses Engagement verdient Unterstützung. Es ist zwar nachvollziehbar, dass gerade Konservative und Wirtschaftsliberale sich daran stören, dass es Attac immer wieder gelingt, die kritische Öffentlichkeit zu mobilisieren, aber gerade diese Kräfte sind es auch, die sich stets der Debatte verweigern, etwa wenn es darum geht zu klären, ob diese oder jene Initiative tatsächlich im Sinne des Gemeinwohls ist. Kritisches Nachhaken ist nicht nur erlaubt, sondern in einer Gesellschaft wie der deutschen sogar zwingend notwendig, um einen Diskurs über diese Ziele in Gang zu bringen. Um diesen Diskurs hat sich Attac zweifellos verdient gemacht. Jenseits der engen Auslegung des Gesetzes durch den BFH ist Attac daher zweifellos gemeinnützig.
Leserbriefe
Karl Ludwig Biggel aus Friedrichshafen meint:
„Die Mitglieder von Attac setzen sich durch ehrenamtliche Bildungsarbeit und friedliche Aktionen ein z.B. für die Einhaltung der Menschenrechte, für fairen Handel, für gerechte Steuern und für eine ausgeglichenere Verteilung des Vermögens. Der BFH (Bundesfinanzhof) hat Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen, weil eine Körperschaft, die eine allgemeinpolitische Tätigkeit ausübt, nach § 52 AO (Abgabenordnung), Bundesrecht, keine gemeinnützigen Zwecke verfolgt.
Der BFH betont zwar ausdrücklich, dass sich dieses Urteil nicht gegen die politischen Inhalte von Attac richtet. Überraschend ist dennoch, wie eng der BFH die Grenzen allgemeinpolitischer Tätigkeit auslegt. Dieses Urteil erschwert die Arbeit von Attac erheblich und bedroht auch andere Nichtregierungsorganisationen (NGO’s)
Steht unsere Gesellschaft durch Organisationen wie Attac nicht besser da als ohne? Unsere Demokratie braucht doch das Engagement von Bürger/innen und leidet darunter, dass dieses zu wenig vorhanden ist! Diese NGO’s sind wichtige Gegenspieler zum Wirtschaftslobbyismus. Allgemeine Interessen wie Umweltschutz, Menschenrechte und Ähnliches haben es in unserer Gesellschaft und bei unseren Volksvertretern schwer, sich Gehör zu verschaffen. Attac & Co übernehmen teilweise diese wichtige Aufgabe. Dieses Wirken dient dem Gemeinwohlbelang und ist als gemeinnützig anzuerkennen. Dazu müsste allerdings der Gesetzgeber aktiv werden. Zumindest müsste der Paragraph 52 AO durch unsere Gerichte offener und gemeinnütziger interpretiert werden.“
Thomas Ewald-Wehner aus Nidderau:
„Das höchste Steuergericht – der Bundesfinanzhof (BFH) – entscheidet, dass attac die Allgemeinheit nicht selbstlos fördert. – In der Aufzählung der Abgabenordnung (AO) sehe ich unter den dort aufgeführten 25 Ziffern des § 52 (2) AO zahlreiche (gemeinnützige) Zwecke, die attac erfüllt. – Es kann also nicht an den abgabenordnungsrechtlichen Regelungen liegen … Attac muss einflußreichen (Wirtschafts-)Kreisen stark auf die Füße getreten sein. Sind es Parteien, die ihrem grundgesetzlichen Auftrag, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, nicht in geeigneter Weise nachkommen? Oder sind es Vertreter der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (PWC, KPMG, EY, Deloitte), die die ARD am Montag, den 25.02.2019, zu fast mitternächtlicher Stunde gemeingefährliche Bestrebungen (Steuerhinterziehung in staatsgefährdender Art) in der sehr empfehlenswerten Dokumentation „Die unheimliche Macht der Berater“ nachweist? – Ist es der Phantomschmerz der Finanzverwaltung, die vor allem nicht die großbetrieblichen Einheiten zu einer ihrer Leistungsfähigkeit – wie es für jeden Normalbürger gilt – entsprechenden Steuerzahlung bewegen kann? Wie anders ist zu erklären, dass über viele Jahre der Anteil der (großen) Kapitalgesellschaften am Steueraufkommen (Körperschaftsteuer) nur zwischen 3 – 4% des Gesamtsteueraufkommens liegt? – Gerade auf diesen Feldern ist die Expertise, das Engagement und die selbstlose Volksaufklärung von attac aber zu mehr als 100% steuerlich förderungswürdig und die BFH-Entscheidung ein handfest politischer Skandal!“
Otto Gebhardt aus Frankfurt:
„Vom Guten im Schlechten: Wieder einmal zeigt sich, die konservativ-(spieß)bürgerlichen Parteien haben ein rein taktisches Verhältnis zur Demokratie! Und so langsam wächst zusammen, was zusammen gehört: Schwarz-Blau-Gelb! Unliebsamen Organisationen, Verbänden, Gruppierungen etc. wird, da sie nicht in das enge Welt- und Wertebild des BürgerInnentums passen, mit Sanktionen gedroht bzw. werden diese verhängt. Anstatt sich mit den Argumenten, wie es in einer funktionierenden Demokratie üblich sein sollte, auseinanderzusetzen, wird der einzige Wert, den die bürgerlichen Parteien kennen, eingesetzt, um den o. g. zu zusetzen: Geld! Wo das nicht möglich ist, wird auf Befehl und Gehorsam, Pflichterfüllung gepocht – oder gleich gepöbelt: Siehe die „Fridays-for-Future“-Jugendbewegung. Oder als „Spiel mit dem Regelbruch“ verharmlost; sprich, als pupertäres Verhalten abgetan. Auf das Anliegen der jungen Menschen wird erst gar nicht eingegangen. Die Zivilgesellschaft ist jetzt gefordert, sich dem entgegen zu stellen und die Organisationen etc. mit noch mehr ehrenamtlichem Engagement sowie mit finanziellen Mitteln zu unterstützen – Absetzbarkeit von Steuern hin oder her. Die reaktionären Forderungen auf Überprüfung der Gemeinnützigkeit von z. B. der Deutschen Umwelthilfe (DUH) durch die CDU, der Tierrechtsorganisation Peta durch die FDP machen jedoch auch deutlich: Die Kritik von sozialen Bewegungen, Umwelt-, Tierschutzverbänden usw. zeigen nach und nach Wirkung. Das Fracksausen nimmt mehr und mehr zu. Die Pfründe müssen abgesichert werden, deshalb werden die Knüppel hervor geholt.
Trotz alledem und alledem: Wir lassen uns nicht mundtot machen! Lebendige Demokratie ist mehr als alle vier, fünf Jahre ein Kreuzchen machen, Kreuzchen auszählen, Kreuzchenauszählergebnisse akzeptieren. Genau damit, mit dem Leben, wollten die Konservativen noch nie etwas zu tun haben!“
Dieter Murmann aus Dietzenbach:
„Unser ehemaliger Finanzminister und ausgemachter Demokrat, Herr Schäuble, mit vielen Freunden in der Wirtschaft, hat es mit Hilfe des Bundesfinanzgerichtes geschafft, dass einer ungeliebten, kritischen Organisation (Attac), die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Während er seinen Freunden aus der Wirtschaft gestattete, dass sie sich mit Cum-Cum und Cum-Ex Geschäften die Taschen auf Kosten der Steuerzahler füllten, will er es nicht dulden, das eine Organisation, die Kritik an unserem Wirtschaftssystem übt, als gemeinnützig anerkannt ist. Ich frage mich, wer kann eigentlich gemeinnütziger sein, als eine Organisation, die gegen die Vermögenskonzentration und für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands eintritt? Die wirtschaftsfreundliche Organisation, „Atlantikbrücke“, wird wohl ihre Gemeinnützigkeit nicht verlieren. Deutschland ist auf dem besten Weg, Staaten wie z.B. Nord Korea, Türkei, Russland, China die Spitzenstellung in Meinungsunterdrückung den Rang abzulaufen. Natürlich ist es für unsere Politiker nicht angenehm, wenn es Bürger und Organisationen gibt, die Missstände aufdecken und auch Ross und Reiter beim Namen nennen. Aber ich dachte eigentlich, dass dies zu einer funktionierenden Demokratie dazugehört. Politik muss Kritik ertragen und sich mit den Themen auseinandersetzen. Die Kritiker einfach mundtot zu machen, oder ihnen den Geldhahn zuzudrehen, hat mit Demokratie nichts zu tun. Wenn solche Maßnahmen in anderen Ländern erfolgen, sind unsere Politiker immer schnell dabei, diese undemokratische Praxis zu verurteilen. Dass bei solchem Unterfangen ein deutsches Gericht in vorauseilendem Gehorsam mitspielt, und mit wirklich fadenscheiniger Argumentation dem Wunsch des ehemaligen Finanzministers nachgibt, ist erschreckend. Wohin dieser Richterspruch noch führt, werden wir wahrscheinlich alle noch schmerzlich spüren. Schon vor der Verkündung des Urteils hat die CDU darüber schwadroniert, dass sie der Umweltorganisation „Deutsche Umwelthilfe“ die Gemeinnützigkeit aberkennen will. Schließlich hat diese Organisation auf die Einhaltung geltenden Rechts geklagt. Welche Unverschämtheit! Warum eigentlich nicht gleich verbieten? Das wäre wahrscheinlich zu ehrlich, und Ehrlichkeit und Politik vertragen sich nun einmal nicht. Ich werde jedenfalls weiterhin spenden (jetzt erst recht) und hoffe, dass die SPD genügend „Eier in der Hose hat“, um die Gesetzeslage für die Gemeinnützigkeit so zu verändern, dass auch das Bundesfinanzgericht, wenn es nicht das Recht beugen will, Attac wieder die Gemeinnützigkeit zuerkennen muss.“
Robert Maxeiner aus Frankfurt:
„Attac wird die Gemeinnützigkeit mit der Begründung abgesprochen, sie betreibe keine Volksbildung, weil es dazu einer ,geistigen Offenheit‘ bedürfe. Dies läßt sich jedoch auch andersherum verstehen, indem gerade Attac zu geistiger Offenheit anregt, weil es ein einseitiges, vermeintlich alternativloses Wirtschafts- und Finanzsystem kritisch in Frage stellt, das nachweislich mitverantwortlich ist für Umweltzerstörung, Klimawandel und Ausbeutung. Üblicherweise wird heute in Think-Tanks gedacht, (früher wurden Panzer auch Tanks genannt) also in geschlossenen Räumen, welche das kreative, grenzüberschreitende, nach alternativen Lösungen aus diesem Dilemma suchende Denken ausschließt. So läßt sich auch verstehen, weshalb eine Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik als gemeinnützig anerkannt ist. Der Bundesfinanzhof (BFH) gibt vor, sich in seiner Definition eng an die 25 genau festgelegten Zwecke für Gemeinnützigkeit zu halten. Das mag formalrechtlich plausibel klingen, tatsächlich beinhaltet es aber eine Verwechslung von an Wachstum orientierter Ökonomiegläubigkeit mit demokratischen Verfahren. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Diskussionen in meiner Jugendzeit, bei denen man aufgefordert wurde, in die DDR zu gehen, wenn man aus dem Grundgesetz zitierte oder gefragt wurde, ob man Kommunist sei. Attac erweist dem Gemeinwohl einen Nutzen, indem es zum alternativen Denken auffordert, um demokratische Strukturen zu erhalten. Man könnte auch argumentieren: Demokratie und Sozialstaat gehören zusammen, ein ungezügelter Kapitalismus hingegen schadet Demokratie und Rechtsstaat, indem er ihn ausbeutet.“
Dass dieses Urteil „politisch neutral“ sei, kann Herr Heuermann seiner Großmutter erzählen. Wenn er sich schon mit diesem Ausdruck rechtfertigen muss, wird hieraus deutlich, dass es sehr wohl ein politisches Richtungsurteil gegen kritische Stimmen ist.
Dieses Urteil stellt einen Justizskandal dar, das nur vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden kann, weil es eklatant gegen sämtliches Gleichbehandlungsgebot verstößt.
Solange die Berteilsmann-Stiftung, die INSM, die Lidl-Stiftung, die Pseudosozialableger der Unionsparteien u.a., die erheblichen politischen Einfluss haben, als gemeinnützig anerkannt werden, kann dieses Urteil niemals als politisch neutral gelten.
Nächstes Opfer der Koch-, Bouffier-, Schäuble-Anschläge gegen die poltische Meinungsfreiheit werden wahrscheinscheinlich die Umwelthilfe, Mehr Demokratie, Lobbycontrol u.a. sein, an deren Gemeinnützigkeit die Unionsparteien, z.B. der im Verkehrsministerium des berüchtigten Scheuer als Staatssekretär tätigen Bilger, bereits beharrlich sägen.
Wenn dann in Sachsen oder Bayern die Union mit der AfD koaliert, wird diese Unterdrückung sich auf weitere Gebiete erstrecken und in Bücherverbrennungen u.ä. enden.
Die anderen Parteien (SPD, Grüne und Linke) sollten wachsam sein und frühzeitig diesem Treiben Einhalt gebieten, bevor sie selbst zu den Opfern gehören. Hier sind zunächst die Regierungsmitglieder und Bundestagsfraktion der SPD gefordert.
Nein, das ist kein Urteil, das wir hinnehmen können. Bei Campact (https://mail.aol.com/webmail-std/de-de/suite ) können Sie dagegen Ihre Stimme erheben.
Nach dieser Entscheidung sind die Richter am Finanzhof nicht länger ernst zu nehmen!
Kein Bürger versteht, dass die Information durch attac über das steuerliche Versagen der letzten Bundesregierungen, besonders des ehemaligen Finanzministers Schäuble, nicht den Tatbestand der Gemeinnützigkeit (= politische Bildung) erfüllt. Die Aufklärung der Bevölkerung über den Verzicht des Einforderns angemessener Steuern von z.B. Digitalkonzernen wie Amazon, Google und anderen ist notwendiger denn je. Es ist gut und richtig, dass attac hier ständig den Finger in die Wunde legt; daran ändert auch ein Gefälligkeitsurteil hochbezahlter Richter nichts.
Um den Sachverhalt richtig einordnen zu können, hilft der FR-Artikel vom gleichen Tag, in dem Sigmar Gabriel für den Vorsitz der Atlantikbrücke vorgesehen ist. Die Atlantikbrücke ist gemeinnützig, laut Frankfurter Rundschau. Auch die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik erfüllt die Anforderungen an Gemeinnützigkeit. Und die Daimler AG darf ihre Bestechungs- und Schmiergelder an die CDU, Verzeihung, Parteispenden, weiterhin von der Steuer absetzen. Das darf ich mit meinen Spenden an attac nicht. Und wisst ihr was, ihr Richter: Es ist mir egal!
Gerade die Amadeu-Antonio-Stiftung kann ich nicht als demokratisches Korrektiv sehen. Sie ist vielmehr der verlängerte Arm der Exekutive – nur, dass man gegen ihre Entscheidungen nicht den klassischen Rechtsweg einschlagen kann.