Wann war eigentlich der genaue historische Moment, in dem der von Ludwig Erhardt gestiftete Konsens namens Soziale Marktwirtschaft aufgekündigt wurde? War es 1982, das Jahr, in dem Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) sein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ schrieb, auch bekannt als „Lambsdorff-Papier„? Es enthielt jenen neoliberalen Vierschritt, den zuvor Ronald Reagan in den USA und Margret Thatcher in Großbritannien in Angriff genommen hatten:
- „Konsolidierung des Haushalts“,
- „Schaffung von Anreizen zu arbeitsplatzfördernden Investitionen“,
- „Eindämmung der explodierenden Sozialstaatskosten“ und
- „Deregulierung im Inneren und nach Außen“.
An diesem Papier zerbrach letztlich die sozialliberale Koalition, die seit 1969 regiert hatte. Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) wurde Lambsdorff erneut Wirtschaftsminister, bis er 1984 infolge der Flick-Affäre zurücktreten musste, aber es dauerte noch bis 2005, bis diese Ziele weitgehend umgesetzt waren. Es war der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der dem Neoliberalismus in Deutschland endgültig zum Durchbruch verhalf. Seine Politik schuf den größten landesweiten Niedriglohnsektor Europas. Die Strategie: Möglichst hohen Druck auf die Löhne erzeugen, um die Produktion in Deutschland im globalen Vergleich wettbewerbsfähig zu machen; Angst verbreiten, um bei den Menschen die Bereitschaft zu erhöhen, auch solche Jobs anzunehmen, für die sie sich für überqualifiziert hielten; Abstiegsängste in der Mittelschicht schüren. Das gesellschaftliche Klima Deutschlands veränderte sich radikal. Dies alles kondensiert im Angstbegriff der letzten zehn Jahre: Hartz IV.
Stigma Hartz IV
Die „Grundsicherung“ ist ein Stigma – und war möglicherweise von Anfang an als solches gedacht. Ein Bürokratie- und Genehmigungsmonster namens „Bundesagentur für Arbeit“ ist berechtigt, Sanktionen auszusprechen, die an die Menschenwürde gehen. Um jeden Euro, jeden Bildungsgutschein müssen die „Leistungs“-Empfänger betteln. Vorschläge zur Erhöhung der „Grundsicherung“ um acht Euro lösen bundesweite Debatten aus. Zugleich ist im oberen Bereich des Systems jede Menge Geld vorhanden: Deutschland wird das Land der geldvernichtenden Protzbauten (Elbphilharmonie, Stuttgart 21, Flughafen Berlin). Die Unternehmenssteuern wurden kräftig gesenkt, und es ist genug Geld da, damit eine Vermögenssteuer nicht mehr erhoben werden muss. Steuerfahndungen werden erschwert und zurückgefahren, die Zahl der Betriebsprüfungen ist lächerlich gering: Im Jahr 2012 wurden von 8,5 Millionen potenziell zu prüfenden Betrieben nur 200.000 tatsächlich geprüft. Im Einsatz: 13300 Steuerprüfer; jeder von ihnen erwirtschaftet das 15-fache seines Jahreseinkommens. Ist aber nicht erwünscht, am wenigsten im wirtschaftsstarken Bayern.
Diese Politik hat also die Kontrolle über die Betriebe und Konzerne bis praktisch zur Nicht-Existenz dereguliert, während sie die Kontrolle über den Arbeitsmarkt fest im Griff behält, und das Lambsdorff-Papier ist so gut wie umgesetzt:
- Die Politik hat die „schwarze Null“ fest anvisiert und wird sie bald erreichen (Punkt 1);
- die niedrigen Arbeitskosten ziehen Investoren an, an den Finanzmärkten wird Deutschland das Geld nur so hinterhergeworfen, die Arbeitslosenstatistik verzeichnet historisch niedrige Werte, unter anderem mit Hilfe statistischer Tricks (Punkt 2);
- der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales lag 2013 bei 119 Mrd. Euro (2008: 124 Mrd.) und 2014 bei 121 Mrd. infolge von Renten- und Geldgeschenken, die überwiegend an die Mittelschicht gingen (Mütterrente seit 1. Juli 2014, Betreuungsgeld – vulgo Herdprämie – seit 1. August 2014), sonst wäre der Etat vermutlich weiter gesunken (Punkt 3);
- Deregulierung ist überall spürbar, bei Bahn und Post, Energie und Transport und vor allem im Gesundheitswesen (Punkt 4); und der derzeitige Bundeswirtschaftsminister hat inzwischen das Kürzel ÖPP zum Zauberwort erhoben: In dieser öffentlich-privatwirtschaftlichen Partnerschaft wird die Finanzierung von Projekten der öffentlichen Hand, etwa Infrastrukturmaßnahmen, in die Hände der Wirtschaft gelegt, völlig ungeachtet dessen, dass die Projekte schon mittelfristig deutlich teurer werden, als hätte der Staat es allein gemacht. Aber zurzeit kann der Staat diese Dinge eben nicht stemmen, weil er erklärtermaßen die „schwarze Null“ im Blick behalten und sparen muss und keine zusätzlichen Steuern erheben darf. So will es die Ideologie.
Der europäische Tiger
Das ist die Situation zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Diese Politik hat bewirkt, dass Deutschland vom „schwachen Mann“ Europas zum europäischen Tiger wurde. Doch der Preis dafür ist hoch und bisher höchstens ansatzweise zu ermessen – zum Beispiel in Gestalt der neuen Volkskrankheit Depression, aber auch der Tatsache, das die „Bio-Deutschen“ immer weniger Kinder zeugen. Und auch in Gestalt einer Krankheit namens „Pegida“. Bei alledem von vornherein eingepreist: Armut. Dieses neoliberale System braucht Armut – und die Angst davor -, um zu funktionieren. Der Armutsbericht, den der Paritätische Wohlfahrtsverband jetzt vorlegte, ist daher dringend nötig, auch wenn er nur eine einzelne Facette des neoliberalen Syndroms erfasst, an dem dieses Land krankt. Er legt aber zum Beispiel offen, dass die Armut im Jahr 2014 stärker gestiegen ist als die wirtschaftliche Gesamtleistung. Zwölf Millionen Menschen gelten in Deutschland als arm. Dabei ist die Definition, ab wann jemand als arm gelten muss, durchaus kritikwürdig: Der „Median-Wert“ will ein Mittelwert zwischen hohen und unteren Einkommen sein. Wer 60 Prozent darunter liegt, gilt als arm. Dass jemand arm ist, heißt also nicht, dass er zwangsläufig keinen Fernseher und kein Handy hat; doch je nachdem, wie er sein bisschen Einkommen einsetzt, ist er dennoch von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. 2013 lag die Armutsschwelle für einen Singlehaushalt in Deutschland bei 892 Euro im Monat und für Eltern (also etwa in Höhe der „Grundsicherung“ inklusive der möglichen Zusatz-„Leistungen“), mit zwei Kindern bei 1873 Euro (BR). Immer mehr Rentner und immer mehr Kinder und Jugendliche sind von Armut betroffen.
Das ist schlicht eine Schande für ein reiches Land, dessen Einwohner zusammengenommen geschätzte sechs Billionen Euro besitzen. Die vermögendsten zehn Prozent der Deutschen kommen nach Schätzungen des DIW auf 63 bis 74 Prozent dieser Summe, das „untere Fünftel“ auf 0,1 Prozent. Und niemand redet darüber, dass die Schere immer weiter auseinandergeht. Nun ja, fast niemand. Es gibt da ja ein paar Unentwegte, die fest daran glauben, dass dieses Land das Potenzial hat, die Armut zu überwinden – wenigstens innerhalb der eigenen Grenzen. Zu denen gehöre ich übrigens nicht. Ich bin skeptisch. Der Gedanke ist schön, und es wäre absolut wünschenswert, dass er umgesetzt würde, aber das politische Umfeld steht dem im Weg. Denn bei allem Idealismus führt der Weg nicht an der Erkenntnis vorbei:
Die Armut ist politisch gewollt. Ihre Beseitigung nicht.
Trotzdem rufe ich mit FR-Redakteur Viktor Funk, der neulich auf der FR-Titelseite kommentierte: „Es reicht!“
Denn das ist einfach wahr. Lasst uns drüber reden!
Ralf-Michael Lübbers aus Marienhafe schreibt:
„Es reicht! Die wichtigste Debatte in Deutschland wird nicht geführt – die über Arm und Reich. Wer weniger Arme in Deutschland will, muss den Reichen wegnehmen.“ Perfekt! Besser kann man es nicht audrücken! Die wichtigste Debatte wird nicht geführt. Meinen Glückwunsch an Viktor Funk und an die FR-Redaktion! Diese FR hänge ich mir als Poster in die Praxis.“
Volker Westerborg aus Frankfurt:
„Herr Funk scheint der übliche linke Ceteris-paribus-Ökonom zu sein. Für Timelags bei ökonomischen Prozessen fehlt hier die Einsicht. Warum geht’s es Deutschland besser als fast allen anderen Ländern? Allmählich dämmert sogar in linken Kreisen wenigstens ansatzweise das Verständnis, dass die verteufelte Agenda 2010 von Herrn Schröder hierfür die Hauptursache ist. Wirtschaft wächst nur über Investitionen; diese werden nur getätigt, wenn sich Leistung lohnt!“
Heinz Kapp aus Neu-Isenburg:
„Es ist wohltuend, auf der ersten Seite der FR das zu lesen, was mich und viele schon lange umtreibt. So auf den Punkt gebracht, so umfassend in wenigen Sätzen! Es reicht mit der Verarmung von bald einem Fünftel unserer Bevölkerung. Der neue Armutsbericht spricht für sich. Es reicht mit der Merkel-Politik „Weiter so“, „Deutschland geht es gut“. Ja, es stimmt bei der Großindustrie und den Banken, die zu wenig Steuern bezahlen, sich ins Ausland entziehen, aber unsere Infrastruktur nutzen. Eine Infrastruktur die zu verrotten droht, um vor dem Wähler eine „schwarze Null“ zu halten.
Es reicht, dass das Fünkchen Hoffnung auf etwas mehr Gerechtigkeit, das mit dem Mindestlohn, der Mütterrente, der Familienförderung aufkeimte, von einem farblosen Sigmar Gabriel in Sachen abgewürgter Energiewende schon wieder begraben werden muss.
Es reicht, dass Banken, auch dank Schäuble und anderer Konservativer in der EU, noch immer nicht vorsorgen müssen für ihr Risikogeschäft (weit unter zehn Prozent Eigenkapital). Da sollen später wieder die Steuerzahler retten! Bezahlt haben die Bankenkrise die Schwächsten, mit den sozialen Einschnitten. Auch dank Gerhard Schröder.
Es reicht, immer zu hören: Wenn mehr Menschen (Armuts-)Arbeit haben, dann geht es allen gut und Wachstum kann auf diesem Planeten immer weiter gesteigert werden.
Es reicht, den Eindruck zu erwecken, Griechenland bisher Geld geschenkt zu haben. Man hat deutsche und französische Banken die dort Geld gemacht hatten, abziehen lassen, hat staatliche Kredite aufgenommen und zu höheren Zinsen an Griechenland weitergegeben. Also daran erst einmal verdient. Bisher.
Griechenland braucht keine Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslähmung. Es braucht Impulse zur wirtschaftlichen Erholung, eine gerechtere Verteilung und die Hilfe der europäischen Finanzminister zur Eintreibung von Steuern bei den Reichen, die Einfrierung der Konten von Steuersäumigen.
Die FR ist seit einigen Jahren umgekrempelt worden, einfach gelungen! Übersichtlich, prägnant, die Tagesthemen-Hintergründe auf den Seiten 2 und 3, die Graphiken, die informative Kurz-Chronologie, optimal. Dazu die unvergleichlichen Karikaturen von Thomas Plassmann. Wohltuend auch die nicht nachlassende Aufklärung, erinnert sei nur an die Sachen Finanzbehörden Hessen, Frankfurt, Hanau, Karlheinz Weimar und in der NSU-Angelegenheit, aber auch bezüglich der Atompolitik, Menschenrechte zuletzt Gerechtigkeit und jetzt „Es reicht“.“
Manfred Kirsch aus Neuwied:
„Der FR sei Dank gesagt, dass sie den gesellschaftlichen Skandal der Armut an hervorgehobener Stelle thematisiert und anprangert. Viktor Funk beklagt völlig zu Rechte, dass in dieser Republik keine Debatte mehr über Arm und Reich geführt wird. Zumindest die von der SPD-Regierung Gerhard Schröder durch die Agenda 2010 zu verantwortende Verschärfung der Armut muss endlich wieder zurückgenommen werden. Eine Politik der Umverteilung und antikapitalistischer Strukturreformen muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Denn wenn die Armut noch weiter steigt, werden sich viele Menschen von der Politik und vom politischen Engagement abwenden.
Der Sozialstaat und dessen Ausbau sind im Grundgesetz verankert und stellen ein Verfassungsgebot dar. Der Begriff „Reform“ muss wieder einen guten und hoffnungsvollen Klang bekommen, nachdem die Schrödersche Politik vor allem Angst erzeugt hat. Armut ist grausam, vererbt sich und raubt den Betroffenen jede Perspektive. Außerdem macht Armut krank. Hier müsste sich eigentlich die Nach-Schröder-SPD etablieren, denn in dieser Partei gibt es nach wie vor viele, die die Prinzipien der Arbeiterbewegung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ noch nicht zu den Akten gelegt haben. Wer anders als die SPD würde glaubwürdiger in der Lage sein, die verhängnisvollen Fehler der Schtröder-Regierung zu korrigieren und wieder eine Gesellschaft der Freiheit und des meokratischen Sozialismus anzustreben? Doch in einer großen Koalition wird es unmöglich sein, das Ziel einer armutsfreien Gesellschaft zu erreichen.“
Horst Meyer aus Hamburg:
„Herzlichen Glückwunsch zu dieser gelungenen Titelseite – inhaltlich und optisch.“
Angela Madaus aus Walddorfhäslach:
„Ja, Armut in Deutschland existiert. Aber: sie wird nicht richtig erfasst, wenn das Nettoäquivalenzeinkommen nach dem Mikrozensus mit Hilfe eines Medians berechnet wird, wobei sich die Zahl der Menschen, die als relativ arm gelten, vergrößert, wenn sich die Einkommen der Mittelverdiener erhöhen, die der unteren Einkommensgruppe aber gleich bleiben. Auch wenn sich die Einkommen aller erhöhen, bleibt die Zahl derer, die weniger als 60 % haben, konstant; sie gelten also weiterhin als relativ arm.
Außerdem ist es problematisch, die Ungleichverteilung von Einkommen per se als Indikator für Armut zu setzen. Soziokulturelle Faktoren und Ungleichgewichte zwischen Ländern und Regionen sind zu berücksichtigen. Z.B. treibt der Einbezug allein lebender Studenten (auch solchen in Wohngemeinschaften) den Anteil Armut gefährdeter Einpersonenhaushalte in die Höhe und das Nettoäquivalenzeinkommen variiert regional sehr stark.
Andererseits verfestigt sich in Deutschland offensichtlich die Armut. Nach der Bundeszentrale für politische Bildung sind es ganz bestimmte Personengruppen, die Armut gefährdet sind: gering Qualifizierte, Familien mit Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehende, junge Familien mit Kindern und kinderreiche Familien (heute spricht man bereits ab 4 Kindern von Kinderreichen!). Altersarmut spielt noch keine Rolle, wird aber wegen der großen Zahl von Teilzeitbeschäftigten und Minijobbern bis 2030 eine Rolle spielen.
Ziel der Politik muss deshalb sein: größere Steuergerechtigkeit, Unterstützung der Familien mit Kindern durch weiteren Ausbau der Infrastruktur (z.B. durchgängige finanzierbare (!) Betreuungsangebote von der Kita an), Ermöglichung von Teilhabe (z.B. Bildungsgutscheine, Ermäßigungen oder kostenlose Bildungsangebote für Familien mit Kindern) zur Vermeidung sozialer Exklusion. Der Schlüssel heißt Bildung, denn diese stellt ein kulturelles Kapital dar, das die negativen Erscheinungen von Armut auffangen kann und das Armutsrisiko minimiert.“
Thomas Kiefer aus Frankfurt:
Sehr „geehrter Herr Funk, ich war im Zweifel, ob ich nicht versehentlich ein Blatt der Linken in den Händen hielt. Im Zeichen sprudelnder Steuererinnahmen und gleichzeitiger Verschwendung (s. Report des Bundes deutscher Steuerzahler) sehen Sie Vermögensumverteilung als alternativlos? Es gibt aber immer Alternativen, die auch in unser Wirtschaftssystem passen – nur wenn man die nicht sehen will, dann wird man das auch nicht. Zunächst einmal sind Steuereinnahmen nicht zu verschwenden. Wieso braucht man Pressesprecher – die können doch alle reden, warum einen Bundespräsidenten, der auf Safari in Afrika gezeigt wird, warum einen Berliner Flughafen, warum private Krankenversicherungen für Privilegierte meist ohne Kinder, warum wurde Stuttgart 21 überhaupt zugelassen? Über die fehlende Vorabkontrolle der Staatsausgaben sollten Sie im Interesse der Allgemeinheit mal rütteln, so wie es in der privaten Wirtschaft auch gemacht werden würde. Alleine das würde schon ausreichen, um Reformen zu erreichen und, falls nötig, zu finanzieren. Auch mit dem Mindestlohn (brutto knapp 1400 Euro – na und, das ist doch OK für Mindestlohn, davon kann man leben – mein Sohn lebt derzeit von weniger und es geht. Es heißt ja auch Mindestlohn und ist damit als unterste Grenze gedacht!) wird viel erreicht werden. Konzentrieren Sie sich mal auf die Lösung der sozialen Probleme (da steht Bildung an vorderster Front, Integration und natürlich auch stärkere Unterstützung sozial schwacher, alleinerziehender Mütter mit Kindern…). Statt dessen schielen Sie auf das Vermögen anderer (nein, ich weiß, es ist kein Neid). Wenn man an Großverdiener heranmöchte, dann kann man das über die Einkommenssteuersätze tun, nachdem man das System kostenseitig optimiert hat.“
„Die Armut ist politisch gewollt. Ihre Beseitigung nicht“
Und warum wird diese Ungeheurlichkeit einfach geschluckt?
Es gibt noch jemanden der einen hohen Preis für die beschriebene Entwicklung bezahlt hat. Die SPD, sie ist zur 20 % Partei geworden und wird es auch bleiben wenn sie sich nicht von Leuten wie Schröder und Klement lossagt. Wobei die beiden sind ja wieder Arbeitskollegen bei den großen Energiekonzernen vielleicht hat Herr Gabriel auch schon eine Bewerbung abgegeben.
es ist immer dasselbe, im Wahlkampf zeigt sich die SPD als mitfühlende Partei der unteren und armen Klassen, um danach in der Regierung Nullrunden an den armen und unteren Klassen zu führen. Die SPD regiert seit 1998 – mit der Unterbrechung der christ-liberalen Koalition – ist damit in der Regierung seit 1998, damit also auch für Misstände seit 1998 mitverantwortlich. Es ist schon sehr widersprüchlich, sich selber sozialdemokratisch zu nennen, dabei seit fast zwanzig Jahren an der Regierung zu sein und eine Bericht zu erhalten wie diesen Armutsbericht. Schuld daran sind natürlich Andere, dieser Armutsbericht ist die Bilanz von fast zwanzig Jahren Regierungsbeteiligung der SPD. Mein Vertrauen in Versprechen der SPD ist daher erschüttert. Die SPD liefert Nullrunden an den armen und unteren Klassen für das Gemeinwohl des Staates.
Ich höre immer wieder einmal, wir Deutsche hätten ein besonderes Talent, auf hohem wirtschaflichen Niveau zu jammern. Selbst habe ich dieses Niveau noch nicht erreicht; aber vielleicht ist vorsorgliches Jammern gar nicht so schlecht eingedenk des Spruchs meiner Oma: „Wenn der Bauer lacht, soll man ihm einen Zahn ziehen.“
Wenn ich im Brustton tiefer Besorgnis vorgetragene Befürchtungen vernehme, so kommen diese aus Kreisen von natürlichen und juristischen Personen, die ihre Einkünfte aus Kapitalanlagen beziehen.
Sicher, es gibt sozialpolitische Untersuchungen, zum Teil polemisch „Armutsbericht“ benannt, die in absoluten und Prozentzahlen über Zeitabschnitte hinweg belegen, daß die Einkommen aus Erwerbstätigkeit von den Kapitaleinkünften dramatisch abgekoppelt sind. Für die Bezieher von Erwerbseinkommen selbst scheint es trotz vorhandener Abstiegsängste (noch) kein Thema zu sein, daß sich unterhalb ihrer Schicht schon wieder etwas bildet wie das, was einst als „Lumpenproletariat“ diskriminiert wurde.
Klingt „Umverteilung von Vermögen“ tatsächlich gut oder doch eher wie etwas, das sich gegen den Willen der Vermögenden nicht so leicht bewerkstelligen ließe? Wie wäre es, wenn unser Staat erst einmal alles daransetzen würde, Steuervermeidern, -hinterziehern und –flüchtlingen Paroli zu bieten? Wie wäre es, Arbeitsplätze im Sozial- und Bildungswesen zu schaffen? Wie wäre es, öffentliche Aufgaben nicht in den Niedriglohnsektor auszugliedern? Wir sollten die Probleme nicht nur bei den Griechen sehen!
Haben wir einen Grund, unserer von drei Volksparteien getragenen Bundesregierung nicht zu glauben, die uns versichert, uns gehe es gut, wir seien die Konjunkturlokomotive Europas, und wir müßten nur kräftig genug sparen, damit es uns und unseren Kindeskindern noch besser ginge?
Wir haben jeden Grund!
Die Forderung nach Vermögensumverteilung scheint nach Einschätzung von FR-Leser Thomas Kiefer eine typische Forderung der Linken zu sein und schon allein deswegen verdächtig. Denn Reformen des Sozialstaats müssen nach seiner Meinung in das wirtschaftliche System der Bundesrepublik passen.
Sein Verständnis von Gesellschaft und Staat scheint mir typisch zu sein für von Nichtwissen geprägte Vorurteile in der Bevölkerung. Dies betrifft das Verständnis vom Menschen, das vom Wesen einer staatlichen Gemeinschaft und das von der Rolle der Wirtschaft.
Die Wirtschaft, vor allem Banken, Versicherungen und Schlüsselindustrien, reklamiert für sich zunehmend eine Vorrangstellung im Staat, die auf eine Neudefinition staatlicher Aufgaben einschließlich der sozialen Ethik hinausläuft. Und das, obwohl die Finanzkrise von 2008 offenbart hat, dass die Großunternehmen keineswegs die regelmäßig beschworenen Grundsätze eines ehrlichen Kaufmanns verinnerlicht haben und anwenden. Die Folgen dieses wirtschaftlichen Stalingrads wurden vor allem den Steuerzahlern aufgebürdet, wurden also umverteilt. Einige der direkt Beteiligten wie das Bankhaus Goldman Sachs konnte sogar einen Mann seines Vertrauens, Mario Draghi, als Chef der Europäischen Zentralbank installieren. Das ist nicht nur Umverteilung, das ist unverschämte Besatzungspolitik.
Der allgegenwärtige Paradigmenwechsel, der von Bundesregierung und europäischen Institutionen vorangetrieben wird, beeinflusst immer weitere Kreise.
So argumentiert Herr Kiefer mit Forderungen aus Broschüren des „Bunds der Steuerzahler BdSt“. Also eines Vereins, dessen Mitglieder sich zu mindestens 60 Prozent aus mittelständischen Unternehmen zusammensetzen und der einen „schlanken“ Staat propagiert, der (von den Unternehmen) wenig Steuern erhebt und folglich kaum soziale Verpflichtungen erfüllen kann. Statt dass der Staat seine Einnahmen erhöht (also die Steuern), plädiert der BdSt dafür, der Steuerverschwendungen Einhalt zu gebieten. Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, wenn diese relativ marginalen Ausgaben nicht unzulässigerweise zur Ursache aller Defizite hochgerechnet würden. Ohnehin ist nicht jede staatliche Ausgabe, die auf den ersten Blick Fragen aufwirft, Verschwendung. Der Bundesrechnungshof listet das wirklich Fragwürdige Jahr für Jahr auf (und der BdSt schreibt aus diesem Bericht stets erkennbar ab). Bezeichnenderweise steht der so genannten Schuldenuhr des Vereins keine Vermögensuhr gegenüber. Eine solche würde die Notwendigkeit zur Umverteilung der Vermögen geradezu herausschreien.
In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass in den Talkshows von ARD und ZDF häufiger Vertreter des „Bunds der Steuerzahler“ zu Wort kommen, ohne dass ihre Interessensbindung erwähnt wird. Das lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Redaktionen ihr Publikum längst mehrheitlich dem ungebildeten Plebs zuordnen und der Bildungs- und Informationsauftrag des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Vergangenheit anzugehören scheint. Dialoge mit den Zuschauern politischer Magazine finden zunehmend bei FACEBOOK statt. Demnächst vermutlich direkt bei den Marketing-Abteilungen von Banken, Versicherungen und diversen Markenherstellern. Die persönlichen Daten dafür können dann praktischerweise bei FACEBOOK abgerufen werden.
In dem Leserbrief findet auch eine vielfach anzutreffende Überzeugung Ausdruck, dass der Staat seine Kosten optimieren müsse. Doch für die meisten staatlichen Aufgaben erweisen sich die Instrumente der Betriebswirtschaft als ungeeignet. Denn die Gewinnerzielungsabsicht eines Staats ist die Daseinssicherung seiner Bürger. Dazu muss er notfalls Einnahmen, über die er erst künftig verfügt, bereits heute verwenden, also Verbindlichkeiten eingehen (oder eben Steuern erhöhen).
Aktuelle „Optimierungs“-Beispiele zeigen, dass der Bau von Schulgebäuden durch private Investoren und die anschließende Anmietung durch Kommunen eindeutig zu Lasten der öffentlichen Haushalte geht; Schulden wären günstiger gewesen.
Im Juni 2003 beschloss der Frankfurter Magistrat mit den Stimmen von CDU, FDP und Grünen (die mitregierende SPD enthielt sich), U-Bahnen und Straßenbahnen für 99 Jahre an US-Investoren zu vermieten und sofort zurück zu leasen (Cross-Border-Leasing). Dank der Bürgerinitiative „Rettet die Bahn“ (mit dabei waren ATTAC, GEW, PDS) kamen mehr als ausreichend Unterschriften für ein Bürgerbegehren zusammen, sodass der Beschluss im September 2003 zurückgenommen wurde. Wären die Verhandlungen fortgesetzt und zum Abschluss gebracht worden, wären Frankfurts kommunale Verkehrsbetriebe zunächst ein Opfer der bald darauf geänderten US-Steuergesetze und dann noch der Finanzkrise von 2008 geworden und die Betriebswirtschaft hätte über volkswirtschaftliche Vernunft gesiegt.
FR und Blog reden Tacheles , es ist erfrischend und macht Spaß , das zu lesen.
Umverteilung von Oben nach Unten sollte nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen auf der Tagesordnung stehen sondern auch um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Der Geldsegen der von der EZB dauernd ausgeschüttet wird verfehlt seine Wirkung deshalb komplett weil er an die falschen Stellen geht. Wo er wirkt kann man fast täglich an der Börse beobachten die trotz weltweiter Krisen von einem Rekord zum anderen eilt. Welch segensreiche Wirkung das Geld an der richtigen Stelle eingesetzt haben könnte beginnt sich beim Mindestlohn abzuzeichnen. Wenn man Leuten Geld gibt die davon zu wenig haben also dieses Geld dann komplett wieder ausgeben dann wird das eine positive Wirkung auf die Wirtschaft haben. Dies zeichnet sich schon bei den Steuereinnahmen im Januar ab und wird sich die nächsten Monate noch mehr verstetigen. Nicht auszudenken welch positive Wirkung es hätte wenn die EZB ihre Geldgeschenke nicht an Leute gäbe die eh schon zu viel Geld haben sondern an Leute die zu wenig haben.
Thomas Kiefer schreibt in seinem Leserbrief:
„Zunächst einmal sind die Steuereinnahmen nicht zu verschwenden. … Wenn man an Großverdiener heran möchte, dann kann man das über die Einkommensteuersätze tun, nachdem man das System optimiert hat.“
Warum danach? Warum nicht gleichzeitig? Sicher sollte man Steuern nicht verschwenden. Denn das wäre respektlos gegenüber den Steuerzahlern (also uns allen). Wann aber wäre „das System“ (die Steuerausgaben) optimal, so daß man endlich reinen Gewissens „auf das Vermögen der anderen schielen“ dürfte, um mit Herrn Kiefers Worten zu sprechen? Es wäre nie optimal. Weil es kein Naturgesetz gibt, was uns das Optimum zeigen könnte. Man würde ewig warten müssen.
Wir aber haben keine Zeit, ewig zu warten. Weil es drängende Probleme gibt, die mit dem sinnlos vielen Geld und Vermögen der (Super-)Reichen gelöst werden können. Menschen sterben, weil es ihnen an einfachsten
Dingen mangelt: An sauberer Luft, unverseuchtem Trinkwasser, genug Nahrung, einem Dach über dem Kopf, medizinischer Versorgung. Sie leiden und sie leben nicht menschenwürdig. Und das nur, damit die Reichen reich bleiben können? Das kann es nicht sein!
Die durch die neoliberale Revolution ausgelöste dramatische Umverteilung der Vermögen von 99,9% auf 0,1% der Bevölkerung nutzt niemandem. Sie schadet offensichtlich uns 99,9% Arme und weniger Arme und mäßig Wohlhabende. Sie schadet aber auch den Super-Reichen.
Wenn man satt ist, bringt das leckerste Essen nichts. Wenn man 5 Ferraris besitzt, bringt der 6. deutlich weniger Spaß. (Könnte ich mir vorstellen. Als VW Polo-und Bus- und Rad-Fahrer.)
In meiner Heimatstadt Aurich gibt es einen leibhaftigen Milliardär. Aloys Wobben von der Windenergie-Firma ENERCON (siehe http://www.enercon.de), in meinem Heimatdorf Sandhorst. Er ist 63 Jahre alt und der reichste Niedersachse. Und er ist dement. Aus die Maus. Er könnte sich die tollsten Pflegeassistentinnen leisten, die ihn nackt füttern und dabei Bauchtanzen, und er hätte nichts davon. Weil er einen Kaktus nicht von
Nicole Kidman unterscheiden kann (welch ein Schicksal; übrigens danke für das Bild von meiner Lieblingsschauspielerin Nicole Kidman vor kurzem in der Frankfurter Rundschau) und eine Windmühle nicht von einer Kaffeemühle.
Hätte der Staat dafür gesorgt, daß er und seine Milliardärs-Kollegen sich mit ihren Vermögen angemessen an der Finanzierung unseres Staates beteiligen müssen, so gäbe es möglicherweise schon ein Alzheimer-Medikament. Wenn der Staat (also wir alle als demokratische Staatsbürger) gleichzeitig auch dafür gesorgt hätte, daß Pharmafirmen in erster Linie sinnvolle Medikamente entwickeln und nicht ausschließlich auf Profit achten. Aber das ist eine noch andere Geschichte.
Aloys Wobben hat als Ingenieur eine große Windenergie-Firma aufgebaut. Diese Firma bekämpft den Klimawandel. Echt toll! Mein Respekt. Aloys Wobben verdient sein Geld also mit etwas Sinnvollem, im Gegensatz zu vielen seiner Millionärs-pardon Milliarärskolleginnen und -kollegen, die Tabak oder Waffen oder zahnschädliche Gummibärchen verticken. Neidlos gönne ich ihm dafür Belohnung. Reich geworden ist er, weil er seine Angestellten aussaugt. Es gibt in dieser Firma keinen Betriebsrat. Das Arbeitsklima ist schlecht. Einige seiner Mitarbeiter sind meine Patienten. Das ist der falsche Weg zum richtigen Ziel.
Hätten er und die anderen Milliardäre sich gemäß ihren Einnahmen gerecht mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen beteiligt (vorher demokratisch festgelegt), gäbe es vielleicht ein wirksames Mittel gegen Demenz. Dann hätte er weiter arbeiten können an der Energiewende. Was ihn sicher mehr befriedigt hätte, als gefüttert zu werden von wem auch immer.
Bei Einnahmen aus der Erbschaftsteuer von nur ca. 4,5 Milliarden jährlich aus vererbten 250 Milliarden wundert mich gar nichts mehr. Zum Vergleich: Die Einnahmen aus der Tabaksteuer sind dreimal so hoch!
Neben deutlicher Erhöhung der Erbschaftsteuer für große Erbschaften (> 1 Mio.) brauchen wir eine Rechtsverschiebung der Progressionskurve bei gleichzeitiger Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Zu Zeiten von Birne Kohl haben wir sogar 56% überlebt.
Das wird aber unter Schwarz-Rot und einer neoliberal geprägten Wirtschaftspolitik nicht passieren. In zweieinhalb Jahren hat das gemeine Volk wieder die Chance, etwas daran zu ändern.