Was tun gegen die schlechter werdende Bildung der Deutschen? Hier ist zunächst nicht die Schulbildung gemeint. Auch nicht in erster Linie die Universitätsbildung, die in neuerer Zeit — und das kann man durchaus beklagen — auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten wurde und keine echte Geistes- und Herzensbildung oder gar Intellektualität zum Ziel hat. Sondern hier ist die Allgemeinbildung der Deutschen generell gemeint — und ihre Herzensbildung. Die Fähigkeit zur Empathie etwa scheint erheblich nachgelassen zu haben. Doch um die kompliziert gewordene und immer komplizierter werdende Realität im Kopf nachbilden und sie so verstehen zu können, ist mehr nötig als „soft skills“. Die Menschen, die ja immerhin auch mündige WahlbürgerInnen sind (oder sein sollten), brauchen Informationen. Kleiner Tipp am Rande: Eine Tageszeitung zu lesen, kann da schon mal recht hilfreich sein. Doch immer weniger Menschen lesen Tageszeitungen, sondern informieren sich im Netz. Was man so informieren nennt! Am Ende eines solchen Prozesses kann durchaus das Gefühl stehen, sich wirklich informiert zu haben; doch tatsächlich hat man nichts Neues erfahren, sondern eigentlich nur bestätigt gefunden, was man schon wusste oder zu wissen glaubte. Experten nennen dieses Phänomen der Pseudo-Informiertheit „Informationsblasen“. Sie gehen häufig einher mit Empörungsblasen, weil man statt Information in Wirklichkeit Meinungen aufgenommen hat, mit anderen Worten: Man hat sich manipulieren lassen.
Diese kausale Kette ist in Wirklichkeit komplizierter. Ich skizziere sie hier nur in groben Strichen. Es kommt darauf an, dass der Politik nun allmählich die Gefahren bewusst werden, die entstehen, wenn die Menschen in diesem Land sich immer weniger unabhängig und immer mehr meinungsbasiert informieren. Die traditionellen Medien stehen mit ihrem Anspruch, Sachverhalte von verschiedenen Seiten zu beleuchten und verschiedene Stimmen, auch Gegenstimmen, einzuholen, immer einsamer da. Warum erkennen viele Menschen die Notwendigkeit nicht mehr, die Realität so differenziert darzustellen, wie sie nun einmal ist, sondern entscheiden sich mehr oder weniger bewusst oder vorbewusst für schlichte Positionen? Aus Mangel an Bildung? Oder aus Faulheit, sich weiter zu bilden?
Nils Heisterhagen, Grundsatzreferent der SPD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz, ist ein Freund des Humboldtschen Bildungsideals: Das Individuum soll an der Universität zur Selbstbestimmung und Mündigkeit angeleitet werden. Den Antrieb dazu, diesem aufklärerischen Ideal gerecht zu werden, müsse das Individuum zwar aus sich selbst heraus aufbringen, aber dabei könne ihm ein ganzheitlicher Bildungsansatz helfen: das Studium generale. Diese Idee vertrat Heisterhagen in seinem Gastbeitrag „Demokratie braucht Allgemeinbildung“ . Die Leserbriefe, die ich zu diesem Beitrag bekam, sind sehr unterschiedlich. Leider hat sich im Print keine Gelegenheit gefunden, sie zu veröffentlichen, aber die Debatte sollte trotzdem geführt werden.
Leserbriefe
Gerhard Stärk aus Guntersblum meint:
„Sehr geehrter Herr Heisterhagen, Ihrem o.g. Beitrag möchte ich in vielerlei Hinsicht widersprechen.
Zunächst einmal erwarten Sie von anderen das akademische Fachwissen, das Sie selbst an einer Universität erhalten haben. So ist für Sie als studierten Politikwissenschaftler politische Bildung „Kern von Bürgerwissen“ – wie Sie feststellen. Für einen Philosophen dagegen bietet nur die Philosophie das „Orientierungswissen“, das man zum Leben benötigt und für einen Ingenieur ist das Studium des Maschinenbaus Grundlage für das „Verständnis unserer industriell-technischen Lebenswelt“. Derlei beliebig erweiterbaren Stereotype, denen ich im Verlauf eines langen universitären Lebens immer wieder begegnet bin, helfen nicht weiter und sind auch deshalb eine Anmaßung, weil sie Disziplinen innerhalb des Systems der Wissenschaft nach ihrer vermeintlichen Verwertbarkeit gruppieren und die von der eigenen Präferenz abweichende Studienwahl anderer diskriminieren. Das entspricht ganz und gar nicht dem Denken von Humboldt.
Weiterhin widerspreche ich vehement Ihrer impliziten These, wonach Demokratie durch politische Bildung „erlernbar“ sei. Wollen Sie damit sagen, dass man ein guter Demokrat ist oder wird, indem man Politikwissenschaft studiert? Dann sähe es in der Tat schlecht mit der deutschen Demokratie aus, auch wenn es, nicht zuletzt im rheinland-pfälzischen Landtag, zahlreiche Politologen in Landes- und Bundesparlamenten gibt. Sie mögen mehr als andere von unserem politischen System verstehen, aber sind sie deshalb „bessere Demokraten“? Ich beantworte diese Frage – auch aus langjähriger politischer Erfahrung – mit einem klaren „Nein“. Wissenschaftliche (Sach-)Erkenntnis ist eben keine Seinserkenntnis.
Damit nähere ich mich langsam Ihrem eigentlichen Thema an, dem „Studium Generale“. Ein „Studium Generale“ als eine meist beliebige Auswahl von aus den (meist geisteswissenschaftlichen) Fachstudiengängen herausgerissenen und in diese (meist) einführenden Lehrveranstaltungen für „Hörer aller Fachbereiche“ gab und gibt es an den deutschen Universitäten seit mehr als 50 Jahren und ist somit ein alter und auch weitgehend abgetragener Hut. Dazu kommt, dass es ganz unabhängig von der Existenz solcher Angebote schon immer möglich war, sich im Humboldtschen Sinn parallel zum eigenen Studienfach und aus ureigenem persönlichem Antrieb jenseits jedweder Studienordnung weiterzubilden. Das ist sogar die eigentliche Idee von Universität. Man muss dafür aber allerdings in Kauf nahmen, keine „Credit Points“ angerechnet zu bekommen. Und damit komme ich zu den von Ihnen völlig ignorierten Schwierigkeiten eines „Studium Generale“ in heutiger Zeit.
Zunächst einmal sei festgestellt, dass dieses bereits seit vielen Jahren an den meisten Universitäten durch ein „Studium Integrale“ ersetzt und mit Leben erfüllt wird. Damit ist der Tatsache Rechnung getragen, dass „lebensweltliches Wissen“ (s.o.) als integraler Teil des Fachstudiums und nicht als mehr oder weniger beliebiges Addendum zu diesem vermittelt werden sollte. Unerlässliche Voraussetzung ist aber die verbindliche Anerkennung dieses „fachübergreifenden Studienanteils“ im gewählten Fach. Und dafür wiederum sind die jeweiligen Studienordnungen gezielt anzupassen, indem ein Rahmen von etwa zehn (bescheidenen) Prozent an Credit Points für das fachintegrierte interdisziplinmäre Studium vorgesehen wird. Diesen Anteil fordert zum Beispiel der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) als weltgrößter Ingenieurverband für Ingenieurstudiengänge seit vielen Jahren – bisher ohne große Resonanz an den Technischen Universitäten.
Sie beklagen „die Orientierungslosigkeit von Abiturienten“, benennen dafür aber keine Gründe. Diese sind vielfältig. Der wichtigste ist, dass durch die Verkürzung der gymnasialen Oberstufe in Verbindung mit dem Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht die Studienanfänger heute deutlich jünger sind als noch vor zehn Jahren und damit etwa gleich alt sind wie US-amerikanische Studierende. Dazu kommt die internationale Anpassung der Studienzeiten im Rahmen des gestuften Bachelor- und Masterstudiums (Stichwort: gemeinsamer Bildungsraum etc.) Wie wurde dieses an deutschen Universitäten umgesetzt? Man hat die Studieninhalte der Diplomstudiengänge auf die beiden Studienphasen schlicht verteilt, ohne die Chance ihrer gründlichen Reformierung zu nutzen und dabei eben auch fachübergreifende Studieninhalte zu berücksichtigen. Ganz im Gegenteil wurden gerade diese oft genug den einzelfachlichen und vermeintlich viel wichtigeren Anforderungen geopfert. Und bei dieser sog. Studienreform wurde insbesondere vergessen, dass im anglo-amerikanischen Bildungssystem ein wissenschaftliches Propädeutikum im ersten Studienjahr üblich ist. Hier kann man personale Qualifikationen entfalten, Orientierungswissen erwerben, allgemeine wissenschaftliche Arbeitsmethoden erlernen, ein Stück weit das „Leben in der Theorie“ erproben und die eigene Studienwahl überdenken – ohne ein neues Fachstudium beginnen zu müssen und Credit Points zu verlieren, wenn man sich für ein anderes Fach entscheiden sollte.
Ob man damit gebildete „Citoyens“ macht, glaube ich nicht. Dazu sollten eigentlich schon Elternhaus und Gymnasium ihren Beitrag geleistet haben. Den unsäglich hohen Abbrecherquoten an deutschen Universitäten kann man damit aber gewiss vorbeugen. Sie sehen, ein „zusätzliches Jahr Studium Generale vor dem dreijährigen Bachelor“, wie von Ihnen vorgeschlagen und ggf. mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt, halte ich für keine gute Idee für eine Studienreform. Sie würde aus gutem Grund auch von den Studierenden selbst abgelehnt.“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Im Zuge des allgemeinen Trends zur Fachspezialisierung ist leider das gute alte „studium generale“ aus dem Blickfeld geraten. Natürlich kann man dies auch heute noch an einer fakultätsmäßig gut aufgestellten Universität betreiben und seinen BA, M.A. oder anderen höheren, maßgeblichen Abschluss in einem Spezialfach erwerben. Aber wer entschließt sich noch dazu angesichts des Drucks, rasch das Studium abzuschließen? Dass insbesondere auch viele Großunternehmen aber eine gute Allgemeinbildung – und dazu gehört insbesondere auch politische Bildung – für besonders wichtig erachten, sind nicht wenige Firmen dazu übergegangen, in ihre Trainee-Kader nicht nur Juristen und Wirtschaftswissenschaftler sondern auch Absolventen von sogenannten Orchideenfächern einzustellen.“
Robert Maxeiner aus Frankfurt:
„Die Argumentation von Herr Heisterhagen für ein Studium generale finde ich naiv bis kurzsichtig, und zwar aus folgenden Gründen: Würden Menschen in der Krippe, im Kindergarten, in der Schule, im Studium, in der Berufsausbildung wie Individuen und wie Demokraten behandelt, würden sie sich auch als solche fühlen. Wenn ihnen weniger gesagt würde, was richtig oder falsch sei, sondern sie zur Bildung eines eigenen Standpunktes angeregt werden, wissen sie auch eher, was sie studieren wollen, oder ein Studium generale würde nichts mehr oder weniger fördern als die Allgemeinbildung, die in den letzten Jahrzehnten erheblich gelitten hat, da stimme ich ihm zu. Dies ist aber in erster Linie auf eine Haltung zur Bildung als reines Anwendungswissen für zukünftige Arbeitgeber zurück zu führen und auch auf die Bereitschaft seiner Partei, der SPD, die Ressourcen der Eltern den Arbeitgebern zur Verfügung zu stellen, die diese für Zuwendung und Bildung für ihre Kinder dringend brauchen, denn nur ein gesundes Urvertrauen befähigt erst zur Bildung, und durch eine knausrige und nur an technischen Standards ausgerichtete Bildungspolitik zu ersetzen. Die von Herrn Heisterhagen propagierte Bildung passt in die Zeiten der Feudalherrschaft, in der man den Reichen und Mächtigen ein Geringes an Arbeitskraft für die eigene Bildung abzutrotzen versuchte, aber womöglich wird ihm die Geschichte recht geben, und wir bewegen uns in großen Schritten wieder dorthin zurück.“
Das Defizit, das Herr Heisterhagen sieht, sehe ich auch. Es fällt aber nicht erst im „Leben“, sondern bereits im ersten Semester bereits dumm auf, in dem in den jeweiligen Fächern versucht wird, die unterschiedlichen Studenten in einer Art fachlicher Express-Oberstufe erst einmal auf einen Stand zu bringen, den man braucht, um das eigentliche Studium beginnen zu können (das mag bei einigen Geisteswissenschaften anders sein). Die einen langweilen sich und die anderen sind überfordert, zumindest in den „harten“ Fächern wie Mathe und Naturwissenschaften. Das ist nicht unbedingt günstig, weder für die Studenten, noch für die Unis.
Dass dieser Vorschlag, eine weitergehende Allgemeinbildung auf die Akademiker zu beschränken, von einem Sozialdemokraten kommt, ist bemerkenswert. Mein Vorschlag wäre auch ein völlig anderer: Wir ändern nicht das Studium, sondern die Schule, nachdem wir der Bildung den Status der Versorgungsanstalt für Landespolitiker genommen und sie da angesiedelt haben, wo sie hingehört, beim Bund: Dann erklären wir das Fach Religion zum reinen Wahlfach und führen das Pflichtfach Philosophie und Religionskunde für alle und während der ganzen Schulzeit ein. Dann veranschlagen wir für die allgemeine Hochschulreife 14 Jahre und können es uns damit leisten, auch die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften für alle so zu verstärken, dass man bei einem Abiturienten voraussetzen kann, dass er diese Welt grob versteht. Das Fachabitur ist bei uns falsch eingeordnet: Es taugt eigentlich nur für einige Geisteswissenschaften.
Ausländischen Studenten bieten wir einen zwei- oder viersemestriges Vorstudium mit anschließender Prüfung an.
Ich mache es mir gerade mal leicht mit meinem Kommentar. Mit dem, was Robert Maxeiner oben gesagt hat, da füge ich im Grunde nur noch meine Ausrufezeichen!!! dazu. Überhaupt reduziert die SPD ihren Klassenstandpunkt (wenn sie denn noch einen hat) auf Bildungs“gerechtigkeit“ und rutscht dabei gerne ab ins Elitäre (eben diese vom Aufstieg und Anpassung bestimmte ‚Haltung zur Bildung‘). Das universitäre Studium generale ist ja ganz nett gemeint, aber das hilft heute auch nicht mehr. An Frank Wohlgemuth: Gut gesprochen!
Die fehlende Hochschulreife wurde schon beklagt, als ich mein Studium 1975 begann.
Gibt es irgendwelche Fakten, die belegen, dass die Allgemeinbildung schlechter wird oder ist es doch nur die 2500jährige Klage, dass sowieso immer alles schlechter wird?
Ich würde ein Schulfach Philosophie begrüßen, aber nicht Philosophiegeschichte. Meine französische Frau wundert sich immer, dass ich mit meinem philosophischen Unwissen, ein Abitur habe. Als ich mir ihr Philosophie-Buch anschaute, war ich schon überrascht, einen Text von A. Hitler zu finden.
Auch ich frage mich, wie z.B. Bronski dazu kommt, zu behaupten, dass „die Schulbildung in neuester Zeit auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten“ worden sei und „nicht unbedingt eine echte Geistes- und Herzensbildung zum Ziel“ habe. Da empfehle ich, sich z.B. mal die hessischen Lehrpläne zu Gemüte zu führen. Gerade in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern stehen ganzhheitliche Erziehungsziele im Vordergrund, die mündige Bürger heranbilden möchten, die im Sinne von Demokratie und Menschenrechten agieren.
Abgesehen davon, dass, wie auch Gerhard Stärk schon betonte, die Schulzeitverkürzung auf den Gymnasien ein Irrweg war, sehe ich heute mit Bedauern, dass das Interesse vieler Heranwachsender, wenn ihnen vom Elternhaus keine anderen Werte vorgelebt werden, zu stark auf seichte und oberflächliche Freizeitbeschäftigungen gelenkt wird, die zu viel Zeit und Kraft beanspruchen. Die Menge der Ablenkungen, die sich anbieten, ist in den letzten 20 Jahren ja immer größer geworden. Wer ständig auf Facebook präsent sein, jedes You-Tube-Video, das vobeikommt, gesehen haben und sich jeden Abend noch ein Horrorvideo oder einen Prono reinziehen muss, hat für das, was wir Alten früher unter Bildung verstanden, nur noch wenig Kapazitäten frei. Da kann sich die Schule so viel Mühe geben, wie sie will.
Ganz abgesehen davon: Gerade auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der Technik hat aufgrund der rasanten Entwicklung in den letzten 50 Jahren der zu bewältigende Stoff immens zugenommen. Ein Installateurmeister sagte mir vor einiger Zeit, er bedauere die heutigen Auszubildenden, die bereits Dinge wissen und bewältigen müssten, mit denen er früher erst in seiner Ausbildung zum Meister konfrontiert gewesen sei. Das sollte man auch nicht unbeachtet lassen.
Ich verstehe und habe meine Gedanken präziser gefasst. Da fehlte in der Tat was. Sorry.
Wenn auch ungern, muss ich Frau Ernst in diesem Fall Recht geben.
„Ich verstehe und habe meine Gedanken präziser gefasst.“ (Bronski)
wirklich?
„die Universitätsbildung, die in neuerer Zeit … keine echte Geistes- und Herzensbildung oder gar Intellektualität zum Ziel hat.“(Bronski)
Ich kann mir leider unter Geistes- und Herzensbildung oder gar Intellektualität nichts Präzises vorstellen. Sie benutzen da Begriffe, die nicht mal Wikipedia definieren mag, und erwecken gleichzeitig den Eindruck, dass das früher im Studium vermittelt wurde.
Ich habe ab 1974 studiert – das sollte ich doch eigentlich noch mitbekommen haben. Helfen Sie mir mal bitte auf die Sprünge: In welchen Veranstaltungen war das?
„Die Fähigkeit zur Empathie etwa scheint erheblich nachgelassen zu haben.“(Bronski)
Scheint? oder hat sie tatsächlich und sogar erheblich?
Und Sie reden nicht von der realen Empathie, sondern grundsätzlich von der Fähigkeit dazu, die anscheinend gut genug erforscht ist, um quantifizierbar zu sein. Von wem stammen diese Messungen? Das Messergebnis wundert mich übrigens, nachdem wir gerade erst gesehen haben, wie die große Mehrheit der Deutschen sehr fremde Flüchtlinge willkommen geheißen hat. Wenn ich mich recht erinnere, gab es hier vor nicht all zu langer Zeit eine Serie über die abweisende Haltung, mit der nach dem Krieg die eigenen Flüchtlinge in Deutschland empfangen wurden.
Wenn das, um das es ihnen geht, damals wirklich an der Uni gelehrt worden wäre, könnten Sie es nicht nur mit einem präziseren Namen benennen, den auch Wikipedia kennt, sie könnten auch sagen, in welcher Veranstaltung das war. Das können Sie aber nicht. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass es da auch nicht wirklich um etwas direkt Vermittelbares geht, sondern mehr um eine Lebenseinstellung, die keine Lehrveranstaltung benötigt, sondern bestimmte Rahmenbedingungen, um zu wachsen.
Eine Bedingung, die uns geprägt hat, war die relative soziale Sicherheit. Wir sind zur Schule und anschließend auf die Uni gegangen, mit der relativen Sicherheit, anschließend auch Arbeit zu bekommen. Bevor wir an neuen Lehrplänen basteln, sollten wir erst einmal sehen, was die veränderten Aussichten mit unseren Kindern machen, und wir sollten sehen, wie wir diese Aussichten ändern können. Die fortschreitende Automatisierung wird in den nächsten 20 Jahren ca. die Hälfte der Arbeitsplätze unnötig machen und zum Ausgleich sinniert so ein Nachwuchsapparatschik über das Studium generale? Es wäre wahrscheinlich sinnvoller er sinnierte über praktikable andere Verteilungsschlüssel für unsere Güter und für die Teilhabe an der Gesellschaft – das bedingungslose Grundeinkommen ist so eine Möglichkeit, die in dem Zusammenhang eher überlegt werden sollte als Studienkosmetik.
Das zweite war, dass wir als Schüler mehr Zeit für weniger Stoff hatten. Die Pädagogik war zwar noch nicht so weit, aber trotzdem war die Schule menschlicher und mit weniger Druck (wenn man mal von den Paukanstalten im christlich-sozialen Bayern absieht). Was dann passierte, ist nur absurd: Bei wachsender Produktivität und der gesundheitlichen Möglichkeit zu längeren Lebensarbeitszeiten, das heißt, ohne Not, verkürzen unsere Kultusdeppen in vorauseilendem Gehorsam, ohne dass dieser Wunsch von der Wirtschaft wirklich geäußert worden wäre, die Schulzeit und straffen die Studien, um jetzt, die Wehrpflicht ist auch abgeschafft, den Effekt zu haben, dass die in der Wirtschaft nicht wissen, was sie mit den unfertigen Kindern anfangen sollen, die da nach der Ausbildung bei ihr anmarschieren.
Wir haben heute mehr Stoff, der sinnvollerweise an so viele vermittelt werden sollte, wie möglich, also in der Schule. Gleichzeitig sollte wir sehen, dass die Kindheit der Kinder eine Kindheit bleibt – die brauchen mehr Zeit dafür statt weniger. Und wenn man dann auch noch den Studenten genügend Zeit gibt, findet auch während des Studiums wieder ein Sozialleben statt, das die Entwicklung dieser Menschen vollständiger macht. Das alles kann aber nur in einer Atmosphäre funktionieren, in der nach der Ausbildung eine sinnvolle Teilhabe an der Gesellschaft nicht nur Glücksache ist.
Es wird mehr Geld kosten. Aber wo wäre das sinnvoller investiert?
@ Bronski: Sorry für die Prügel am Anfang. Sie sind nicht persönlich gemeint.
@ Frank Wohlgemuth
Kein Problem. Wenn ich hier jedesmal eine wissenschaftliche Facharbeit schreiben sollte, um eine Diskussion zu eröffnen, käme ich zu nichts anderem mehr. Sie haben ja schon angefangen, sich einen Reim auf die begrifflichen Unschärfen zu machen. Es wird sich bestimmt jemand finden, der Ihnen gern widerspricht.
@ Frank Wohlgemuth
In den meisten Punkten stimme ich Ihnen zu.
Zur Ergänzung: Was ich angesichts der größeren geistigen Flexibilität, die von der jungen Generation heute gefordert wird, ebenfalls für ungeheuer wichtig halte, ist die Fähigkeit und Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Berufsbilder wandeln sich und verschwinden, deshalb braucht man einen wachen Geist und das Rüstzeug, sich neue Inhalte zu erarbeiten und neue Situationen zu meistern. Wenn diese geistige Flexibilität verbunden ist mit der Fähigkeit, sowohl Überkommenes als auch neue Trends kritisch zu hinterfragen, kommen wir dem Ideal des mündigen Bürgers schon sehr nahe.
Zur Behauptung, wir hätten früher eine bessere Bildung genossen:
Wir (Abijahrgang 1966) hatten Hauptfächer, für die wir uns anstrengen mussten (Deutsch, Englisch, Latein, Französisch, Mathe), die „Nebenfächer“ (für mich im sprachlichen Zweig Bio, Chemie und Physik, für alle Erdkunde, Geschichte und Gemeinschaftkunde) liefen sehr schmalspurig am Rande mit. In der Mittelstufe schrieb man dort gar keine schriftlichen Tests, in der Oberstufe selten.
Kritisches Denken war in der Adenauer-Ära wenig gefragt, aber immerhin wurden wir über die Nazizeit aufgeklärt. Mein kritisches politisches Bewusstsein habe ich erst ab 1968 in Gesprächen mit Kommilitonen außerhalb der universitären Lehrveranstaltungen geformt. Von den Professoren kam da wenig Anregung. Und was meine eigenen Studienfächer angeht, so bekam ich erst während meiner eigenen Lehrtätigkeit in Zusammenarbeit mit KollegInnen den richtigen Durch- und Überblick. Während des Studiums hatte ich immer das Gefühl, ich bewegte mich im Ungewissen.
So viel zur besseren Schul- und Universitätsbildung früherer Zeiten.
@Frank Wohlgemuth
Wenn immer ich irgendwo lese, dass etwas mehr geworden ist, dann frage ich mich, vorher man das eigentlich weiß. Kann man das überhaupt messen und hat es jemand gemessen? Daher hat mir der erste Teil Ihres Beitrages ausserordentlich gut gefallen.
Im zweiten Teil, wenn Sie auf die geänderten Anforderungen der Schüler eingehen, frage ich mich, woher Sie das wissen. Erforscht das jemand und wie misst man den Druck, den Schüler ausgesetzt sind? Ich habe Jahre gebraucht, mich von dem psychischen Druck der Schule zu erholen. Ich habe Mühe mir vorzustellen, dass es heute schlimmer ist.
Ich empfehle Vorsicht in Bezug auf Vorhersagen, solange man die zu Grunde liegenden Gesetzmässigkeiten nicht kennt. Bisher sind alle Vorhersagen bezüglich der Arbeitsplätze nicht eingetreten. Es ist jedoch sehr sicher, dass die Bevölkerung in den nächsten Generationen dramatisch schrumpfen wird.
Ich habe etwa zur gleichen Zeit studiert wie Sie und am Ende meines Studiums hat man mir gesagt, dass ich in meinem Berufsleben mehrmals neu anfangen müsste, weil sich gerade im technischen Bereich die Welt alle paar Jahre ändert (lebenslanges Lernen). Ich habe nach 6 Jahren den Arbeitsbereich gewechselt und danach die nächsten 28 Jahre das gleiche gemacht. Ich habe viele Kollegen gehabt, denen es ähnlich gegangen ist. Noch eine Vorhersage, die danebenging.
Welche Bildung ist eigentlich gemeint? Abitur und nachfolgendes Studium mag vielleicht zur Ausübung eines Berufes befähigen, aber noch lange nicht zum einem sozialen Platz in einer guten, humanen, Gesellschaft. Ich selbst habe nur mittlere Reife, und war immer davon angetan, möglichst früh auch mit der Arbeitswelt jenseits von Schülern und Studenten in Kontakt zu kommen. Weil sich dort für mich das Leben abspielte und nicht im Kämmerlein. Und meine politischen Erfahrungen habe ich in der Wirklichkeit, über KollegInnen, Betriebsräte, Freunde, Nachbarn, erhalten und verwertet, und nicht über büchergestülpte Theoretiker. Die Gesellschaft war es, die Musik der 60er Jahre, die Filme, das Theater, und allgemein die Straße. Ich hatte Glück, über Bekannte meiner Mutter und Freunde im Lehrbetrieb ins Ausland zu kommen und dort andere Anschauungen kennen zu lernen, und abends mit den jungen Menschen, z.B. Mitte der 60er in England, ausgelassen zu tanzen und zu feiern.
Manchmal habe ich mir mir Theorie gewünscht, aber es gab ja Bücher. Und die Praxis half mir immer mehr. Ich hatte auch Kontakte zu Studierenden, aber fand diese immer recht abgehoben und zu theoretisch. Und ich hatte dann eine Freundin in Berlin, 2. Semester Psychologie, und war erstaunt, wie „praxisnah“ sie bereits war.
Später habe ich immer wieder erleben müssen, das die „Arbeiter des Kopfes“ oft nicht mit den „Arbeitern der Faust“ konkurrieren konnten, weil letztere eben sich im Leben besser behauptet haben. Spätestens seit HARTZ IV ist dies leider anders geworden, vielleicht auch mit Absicht. Ein Studierter ist eben nicht, dank Studium, automatisch klüger, und vor allem nicht – humaner.
@ Henning Flessner
Ich bemesse die Belastung von Schülern z.B. daran, wie viele Klassenarbeiten und Klausuren sie schreiben müssen. Wie ich schon oben sagte, wurden in Hessen in den 50er und 60er Jahren schriftliche Leistungsnachweise nur in den von mir genannten Hauptfächern gefordert. Heute schreiben die Schüler in jedem Fach außer Sport (es sei denn, sie haben es als Leistungsfach gewählt) Klassenarbeiten oder Test. Zwischen dem 5. und 9./10 Schuljahr sind das 2-3 Klassenarbeiten pro Halbjahr in den Hauptfächern und je ein Test in den Nebenfächern. Dazu kommen noch Vokabelarbeiten, für die es keine Vorschriften gibt. Für einen Siebtklässler (12-13 Jahre alt) bedeutet das (ohne Vokabelarbeiten) im Halbjahr je drei Arbeiten in Deutsch, Mathe, Englisch und der zweiten Fremdsprache und je eine in Bio, Chemie, Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde, Musik, Religion bzw. Ethik. Macht summa summarum 19 Arbeiten, die auf ca. 3 1/2 Monate verteilt werden müssen. Die Zeit ist so kurz, weil der Stoff vor den schriftlichen Leistungsnachweisen etwa sechs Wochen erarbeitet werden muss, deshalb fängt die Klassenarbeitsphase im Winterhalbjahr nicht vor Ende September an und endet 2 Wochen vor den Halbjahreszeugnissen am 1. Februar, da die Arbeiten ja vor den Zeugniskonferenzen noch korrigiert werden müssen. In Stoßzeiten häufen sich die Arbeiten dann bis zu drei in einer Woche, was bei Schülern, denen der Stoff nicht unbedingt zufliegt, zu erheblichem Stress führt.
Einem solchen Druck war ich in meiner Schulzeit nicht ausgesetzt.
@Brigitte Ernst
Für mich waren die Klassenarbeiten nicht die Hauptsorge. Schlimm war die tägliche Drohung seine Hausarbeit vor der Klasse vorlesen zu müssen und eventuell bloßgestellt zu werden. Danach wurde der (rote?) Lehrerkalender gezückt und man erhielt einen Eintrag. Man wusste jedoch nicht, was eingetragen wurde. Vielleicht war diese Erfahrung der Grund, dass ich Prüfungen immer als Demütigungen empfunden habe.
@ Henning Flessner
Zu Ihren eigenen Erfahrungen: Ich werde traurig, wenn ich so etwas lese, und die Lehrer, die das veranstaltet oder auch nur zugelassen haben, waren mit Sicherheit keine Zierde ihres Faches. Aber nicht nur die: Bei der Entstehung des geringen Selbstbewusstseins, das diese Situationen überhaupt möglich gemacht hat, sind Ihre Eltern ganz stark beteiligt. Waren die für Sie überhaupt so weit ansprechbar, dass Sie mit dem Problem zu ihnen gehen konnten? Hier frage ich jetzt nicht weiter, sondern schließe allgemein: Die negativen Erfahrungen und Erinnerungen, die sehr viele mit ihrer Schulzeit verbinden, haben ihre Ursache nicht unbedingt in der Schule.
@ Wolfgang Fladung
Die Bildung, um die es geht, ist eigentlich Persönlichkeitsbildung – aber auch die braucht ihren Raum, den Sie sehr überzeugend beschrieben haben.
Ihre Erfahrungen kann ich ihnen natürlich nicht wegnehmen, aber man kann sie auch anders deuten:
Wo Sie schreiben, dass „Arbeiter des Kopfes“ oft nicht mit den „Arbeitern der Faust“ konkurrieren konnten, würde ich einfach sagen, dass da die besseren Köpfe gewonnen haben, auch wenn die nicht die formal beste Ausbildung hatten. Sie sind offensichtlich jemand, der sich die Theorie zu einer neuen Aufgabe selbst aneignet, das ist viel, das ist mehr, als viele Akademiker beherrschen, die zwar gelernt haben, eine Theorie auswendig zu lernen, aber nicht wissen, was sie dann in der Realität damit anfangen sollen, auch, weil sie die Grenzen dieser Theorie nicht kennen. Der Transfer von der Theorie zur Praxis ist offensichtlich für einige Leute so schwer wie sonst der Transfer von der Praxis zur Theorie. Dabei kann ich als „Arbeiter der Faust“ durchaus mit Ihnen mitreden: Ich habe als Student als Metaller gearbeitet, sowohl als Bauschlosser als auch in der Werkstatt, als Krankenpfleger, als Industriefacharbeiter, mit Sense, Motorsäge und Mähraupe in der Landschaftspflege, auf dem Bau usw. und bin da nie negativ aufgefallen, obwohl ich immer ungelernt war und trotzdem realtiv normal mitgearbeitet habe. Auch von da her kann ich sagen: Es gibt nichts praktischeres als eine die Realität hinreichend beschreibende Theorie – wenn man sie denn anzuwenden in der Lage ist.
Es wäre interessant gewesen, zu sehen, was sie alles gemacht hätten, wenn man Ihnen mehr Ausbildung gegönnt hätte. Auf der anderen Seite: Wenn Sie ihr Leben als geglückt bezeichnen, haben Sie alles erreicht, was man überhaupt erreichen kann – ein möglicher Verlust trifft hier nur die Gesellschaft, für die sie an anderer Stelle vielleicht mehr hätten tun können.
Und an der Stelle kommen wir dann wieder zu dem Grundsatzreferenten der SPD-Landtagsfraktion, der nicht in alle investieren will, um jeden soweit zu bringen, wie er kann, er möchte das Herrschaftswissen in politischer Philosophie erst an der Uni verteilen, so wie in der DDR halt jeder Student noch seine Seminare in Marxismus-Leninismus zu absolvieren hatte. Ich vermute, dass es unsere Gesellschaft auch ähnlich weiterbringen würde wie der Unterricht in ML die DDR.
@ Henning Flessner
Sie haben recht, wenn Sie die mangelnde Achtung vor den einzelnen Schülerpersönlichkeiten kritisieren, die in Ihrer und auch meiner Schulzeit noch sehr verbreitet war. Schülerinnen und Schüler vor der Klasse zu demütigen, zeugt natürlich von einem Mangel an pädagogischer Professionalität, dem man heute – hoffentlich – in den Schulen weniger begegnet als in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Heute haben die Schüler z.B. jederzeit das Recht, von der Lehrkraft über den jeweiligen Stand ihrer Leistung Auskunft zu erhalten. Eine Eintragung ins Notenbüchlein, ohne dass der Schüler/die Schülerin deren Inhalt kennt, ist für den Lernfortschritt nicht förderlich, denn Noten sollen ja als Feedback dienen und helfen, die eigenen Stärken und Defizite zu erkennen. Das muss heute im Interesse des Datenschutzes in einem persönlichen Gespräch geschehen.
Sicherlich hat jeder eine unterschiedliche Leidenserfahrung, die schwer mit anderen Bedingungen in anderen Zeiten zu vergleichen ist. Allerdings meine ich, dass man bestimmte Mehrbelastungen auch objektiv messen kann. Wenn z.B., wie es bei der verkürzten Gymnasialzeit der Fall ist, ein bestimmter Lernstoff, der früher auf sechs Jahre verteilt war, nun innerhalb von fünf Jahren aufgenommen und verarbeitet werden muss, was dazu führt, dass die Schüler zwischen dem 5. und 9. Schuljahr mehr Wochenstunden und entsprechend mehr Hausaufgaben bewältigen müssen, dann kann man sicher von einen objektiv messbaren Mehrbelastung sprechen.
Korrektur:
Mich hat dieser Bericht einer Frankfurter Grundschullehrerin heftig erschüttert: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/misstaende-an-deutschen-schulen-eine-lehrerin-berichtet-14871446.html.
Was läuft da bei uns alles schief? Und wer trägt dafür die Verantwortung? Ist dies die Verquickung und Vermischung von falscher Einwanderungspolitik, falsch angewandter Migrationspolitik, überempfindlichen Eltern (unser Kind ist das Klügste überhaupt, und wird nur von den doofen Lehrern unterschätzt)? Oder die zunehmende Aufteilung unserer Gesellschaft wieder in Klassen und Herkunft, von der ich annahme, sie hätte sich erledigt?
@ Wolfgang Fladung
Was da schief läuft ist sehr einfach zu beschreiben und hat mit dem, was Sie da alles aufzählen im Endeffekt wenig zu tun. Aber darauf komme ich am Ende zurück.
Die Schulsituation, deren Beschreibung Sie hier verlinken, ist die logische Folge einer Schulpolitik unter Sparzwang: Das pädagogisch erfolgversprechende Modell Inklusion ist zum reinen Schlagwort verkommen und hat mit der Realität nichts mehr zu tun: Eine Integrationsklasse ohne die Unterstützung eines oder mehrerer Sonderpädagogen ist keine Integrationsklasse sondern eine Menschenzerstörungseinrichtung, sowohl für den beteiligten Lehrer als auch für die Schüler.
Wenn wir in die noch ganz junge Vergangenheit mit Förder (früher: Sonder-)schulen zurückblicken, waren die – auch bei großem Engagement der Lehrer – im Wesentlichen Aufbewahrungsorte für verhaltensauffällige Kinder, von gestörten Kindern bis zu Höchstbegabten war dort alles zu finden. Es lässt sich nachweisen, dass unter den Bedingungen auf diesen Schulen alle Kinder Fähigkeiten verlieren, statt neue zu entwickeln, es gab vor diesem Hintergrund eine Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 2008 in Deutschland ratifiziert wurde.
Die weitgehende Auflösung der Förderschulen wurde dann als Sparkonzept benutzt.
Und jetzt zur Auflösung: Eigentlich sollte Demokratie so funktionieren, dass die gewählten Vertreter die Aufgaben des Staates festlegen und danach ein Schlüssel für die Besteuerung der Bürger gewählt wird, um die Erfüllung dieser Aufgaben zu finanzieren. Das war im Prinzip bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts auch Konsens, es hat sich auch niemand über einen Spitzensteuersatz von über 50% beschwert, obwohl am oberen Ende damals auch relativ noch nicht so viel verdient wurde wie heute.
Dann kam eine kleine Partei auf die Idee, den Bürger (eigentlich speziell ihre Klientel) als durch die Steuern vom Staat ausgeraubten Menschen zu sehen, und der Steuersparwettbewerb begann, in dem nicht mehr die Aufgaben des Staates Priorität haben, sondern die fiktiv begrenzten Steuereinnahmen. Sie bestimmen dann das Maß, zu dem die staatlichen Aufgaben, auf die man sich geeinigt hatte, erfüllt werden. Die Folgen sehen wir in allen Bereichen, nicht nur in der Schulpolitik.
@Wolfgang Fladung: Als Ergänzung zu Frank Wohlgemuths Antwort hier noch eine Antwort zu Ihrer Frage nach der Aufteilung der Gesellschaft, die Sie überwunden glaubten:
In der Bildung funktioniert die Klassengesellschaft hervorragend – fragen Sie doch mal bei Eltern nach, deren Kind auf die weiterführende Schule gehen soll und eine Empfehlung von seiten der Grundschule bekommen hat, die den Eltern nicht passt. Oder lesen Sie zu Schuljahresbeginn die immer wiederkehrenden Berichte in der FR über todunglückliche ELtern, deren Kind auf dem „falschen“ Gymnasium gelandet ist…
Bildung und Bildungsabschlüsse sind Statussymbole und werden auch als solche umkämpft – nicht von den Kindern, sondern von Eltern. Käme jemand auf die Idee, in Frankfurt flächendeckend die Integrierte Gesamtschule als alleinige Schulform einzuführen, dann gäbe es wahrscheinlich einen bewaffneten Aufstand.
In einer solchen Gesellschaft ist Persönlichkeitsbildung eine Marginalie, der richtige Schulabschluss dagegen alles.