Die Abschaffung der Demokratie

Ich hatte kürzlich einen Mailwechsel mit FR-Leser Hermann Krüger (Leserbrief siehe unten). Er klagte darüber, dass seine Leserbriefe nicht veröffentlicht würden. Es geht ihm natürlich nicht allein so. Auch Sigurd Schmidt, Manfred Kirsch und andere treue FR-Leserinnen und -Leser kommen nicht zum Zuge. Wer den Grund kennen will, der schaue mal nebenan auf den Screenshot einer Leserbriefseite, wie sie im Juni und im Juli 2012 typisch ist. Vor allem längere Leserbriefe haben es schwer.

Morgen, Samstag, veröffentliche ich nun endlich wieder einen Leserbrief von Hermann Krüger, der der vorläufige Schlusspunkt einer Debatte ist, die im FR-Blog begann und die ich daher nun hierher wieder zurückführe. Es geht um ein ernstes Thema, die Euro-Krise und ihre Folgen für uns alle, und die Debatte gipfelt nach meinem Empfinden in einem Satz von Hermann Krüger:

„Wer an der sozialen Ungerechtigkeit nichts ändern will, kann die Krise nicht lösen, muss die Demokratie (‚Volksherrschaft‘) abschaffen.“

Die Gefahren für die Demokratie sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Es gibt viele Indizien dafür, dass etwas fundamental schief läuft.

Beispiel Italien: Dort regiert der Technokrat Mario Monti ohne direkte demokratische Legitimation; er wird zähneknirschend von einer im Grunde zerstrittenen Parlamentsmehrheit getragen, die er sich über Vertrauensabstimmungen sichert.

Beispiel Griechenland: Dort hat der Druck der Euro-Krise zu einer Stärkung links- wie rechtsradikaler Kräfte geführt, so dass den demokratischen Kräften nichts übrig bleibt, als sich gegen die Extreme zusammenzuschließen. Pasok und Nea Dimokratia, die das griechische Desaster verursacht haben, regieren in einer Art Notkoalition zusammen. Die Pasok schickt statt eigener Politiker Technokraten in die Ministerämter.

Beispiel Deutschland: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) regiert mit einer Politik der Alternativlosigkeit, die sich nicht an den Interessen und Möglichkeiten des Bundestags orientiert, sondern an den – angeblichen? – europolitischen Notwendigkeit, die – angeblich? – schnelle Reaktionen erfordern. Zuletzt sah sich der Bundestag in der Abstimmung über den Fiskalpakt gefordert, der jedoch zum Zeitpunkt der Abstimmung bereits, so klagten einige Politiker, in Teilen überholt war, weil die Kanzlerin auf dem kurz vorher beendeten EU-Gipfel Regelungen zugestimmt hatte, die über den Fiskalpunkt hinausgingen (z.B. Bankenunion, direkte Stützung maroder Bankhäuser durch den ESM). Die Entwicklung hat derart Fahrt aufgenommen, dass der Bundestag keine Chance hat, ihr zu folgen. Das Bundesverfassungsgericht rügte den Politikstil der Kanzlerin mehrfach und stärkte das Budgetrecht des Parlaments. Derweil wird gar schon darüber gesprochen, das Grundgesetz in einer europäischen Verfassung aufgehen zu lassen, wofür ein Volksentscheid nötig wäre. Die deutsche Öffentlichkeit folgt dem Durcheinander ebenso verblüfft wie rat- und machtlos. Es gibt keine Debatte über den Politikstil der Kanzlerin. Dazu am Schluss dieser Einleitung der Leserbrief von Prof. Manfred Schweres.

Es gibt viele dringende, ernste Politikfelder, auf denen etwas geschehen muss und auf denen vor allem eines zu herrschen scheint: Lähmung. Die – demokratisch gewählte – Regierungskoalition streitet stattdessen lieber über das läppische Betreuungsgeld, ein Paradebeispiel für Symbolpolitik. Sind das alles Auflösungserscheinungen? Der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter schrieb in der FR:

„Moderne Demokratien haben mehr und mehr informelle Strukturen einer Oligarchie entwickelt. So rutschen wir in eine Legitimationskrise.“

Es sieht so aus, als ob uns die Euro-Krise an die Grenzen der Demokratie führt. Was kommt dahinter? Auch in den folgenden Leserbriefen wird angesprochen, dass es – ich sage: möglicherweise! – eine historische Parallele gibt, nämlich die Weimarer Republik unter Reichskanzler Heinrich Brüning, der letztlich mit Notverordnungen am Parlament vorbei regierte. Was danach kam, ist uns allen bekannt.

Die folgende Debatte wurde angestoßen durch einen Leserbrief von Sigurd Schmidt aus Bad Homburg, den ich unter der Überschrift „Es gibt kein Spardiktat“ am 26. Juni veröffentlicht habe. Herr Schmidt regiert damit auf einen anderen Leserbrief von Winfried Kallabis, der hier veröffentlicht ist – und in der Print-FR zuvor unter der Überschrift „Eine nie dagewesene Umverteilung“ zu lesen war. Sigurd Schmidt schreibt:

„Die Leserkolumne zeugt von einer vollkommenen Unkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge. Man kann über Angela Merkel alles Mögliche Kritische denken und sagen. Sie folgt aber als Physikerin einem rationalen Sachverstand. Die Politik in modernen Geldwirtschaften muss nun einmal Bedingungen herstellen, die Unternehmertum ermuntern, aktiv – insbesondere über vernünftige Investitionen – zu werden. Dies hat mit neoliberaler Denke überhaupt nichts zu tun. Selbstverständlich fordern die inneren Bewegungsgesetze der Marktwirtschaft auch einen sozialen Tribut.
Deutschland ist von einigen EU-Mitgliedern der Vorwurf aufgenötigt worden, sich in der sogenannten Austerität, also dem angeblichen Kaputtsparen, zu suhlen. Dies ist völliger Unsinn. So wenig wie ein familiärer Haushalt ständig über seine Verhältnisse leben kann, so wenig kann dies eine nationale Volkswirtschaft im Zeichen unbarmherzigen internationalen Wettbewerbs. Eine Perversion des keynesianischen Denkens vergiftet die volkswirtschaftlichen Dialoge.
Es gibt kein Merkel´sches Spardiktat gegenüber der EU, sondern nur finanz-ökonomischen Sachverstand! Das Daherschwätzen vom Primat der Politik über die Ökonomie verkennt, dass Ökonomie wie Politik eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, die aber keine Gesetzmäßigkeiten im naturwissenschaftlichen Sinne sind. Der Lateiner sagt: „Est modus in rebus“, es sollte ein Maß in den Dingen herrschen. Das gilt auch für das Verhältnis unterschiedlicher Lebenssphären zu einander.“

Das veranlasste FR-Leser Wolfgang Fladung aus Bad Camberg, der auch hier im FR-Blog aktiv ist, zu folgender Erwiderung:

„Die Leserkolumne von Sigurd Schmidt zeugt von einer vollkommenen Unkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge (um seine Worte aufzugreifen.) Diese permanente Verwechslung von betriebswirtschaftlichem Denken der „schwäbischen Hausfrau“ und dem volkswirtschaftlichen Ergebnis, wenn dann Tausende Hausfrauen so handeln, scheint niemanden zu interessieren.
Wenn, wie Schmidt schreibt, Unternehmertum ermuntert werden muss, „aktiv – insbesondere über vernünftige Investitionen – zu werden“, dann scheint er keine Ahnung von vernünftigem unternehmerischem Handeln zu haben. Ein Unternehmer investiert nicht einfach drauflos, sondern handelt nach vorhandener Nachfrage auf seinem Absatzmarkt, gegebenenfalls begleitet von Marktanalysen. Gibt es keine Nachfrage, investiert er nicht. Wenn er investieren möchte, weil seine Produkte nachgefragt werden, gibt es derzeit, gerade in den Südstaaten Europas, viele Banken, welche ihm das Geld für die Investitionen nicht vorstrecken wollen (oder können).
Wohin der „vernünftige finanz-ökonomische Sachverstand“ von Merkel und ihren Merkelianern führt, lässt sich seit Monaten vor allem in Griechenland beobachten: Die Wirtschaftsleistung und somit das BIP sinken, die Massenarbeitslosigkeit gerade der jungen Leute steigt, radikale Parteien gewinnen an Zulauf. Wohin das Sparen geführt hat, hat sich exemplarisch gezeigt am Beispiel des Reichskanzlers Brüning und seiner „Notverordnungen“ – in die Nazi-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg.
Unsere Kanzlerin hat den Begriff der „marktkonformen Demokratie“ geprägt. Es gibt demnach eher ein Primat der Märkte über die Politik als umgekehrt. Meine Meinung über Wirtschaftsexperten und ihre „Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge“: Für mich sind diese Herren Kaffeesatzleser, eine Art Priester der nicht mehr ganz neuen Religion Neoliberalismus. Hier von „vernünftigem finanz-ökonomischen“ Sachverstand zu reden, setze ich gleich mit christlichen Dogmen wie der Jungfrauengeburt.
Dass das Statistische Bundesamt am 25. Juni gemeldet hat, dass die öffentlichen Schulden Deutschlands um 2,1 Prozent auf 2 042 Milliarden Euro zum Ende des ersten Quartals 2012 gestiegen sind, passt wohl zu den markigen Sprüchen der Berliner Supersparer – ist diese Meldung doch eher ein Armutszeugnis.“

Darauf erwiderte Sigurd Schmidt:

„Ich überlasse es den Lesern der FR, einen vernünftigen roten Faden in den Ausführungen von Wolfgang Fladung zu entdecken. Herr Fladung hat offenbar noch nie etwas von Wagniskapital gehört. Auch ist ein großer Teil der ‚Nachfrage‘ durch Marketing induziert. Schulden müssen nun einmal mit Zinsen bedient werden und wohin die übermäßige Akkumulation von Schulden führt, läßt sich an dem früheren Beispiel Argentinien und jetzt Griechenland trefflich studieren. Wirtschaftsexperten in Bausch und Bogen als ‚Kaffeesatzleser‘ oder als ‚Priester der Religion des Neoliberalismus‘ zu bezeichnen oder auf das „christliche Dogma der Jungfrauengeburt“ abzuheben, zeugt auch nicht gerade von einem nüchternen Blick auf das Wirtschaftsgeschehen. Auf Deutschland wird gegenwärtig ein enormer Druck zur Vergemeinschaftung von Schulden in der € Währungszone ausgeübt. Dem widersetzt sich zu Recht die Kanzlerin. Es ist höchst unwahrscheinlich , daß Herr Fladung freiwillig die Schulden seiner Nachbarn übernimmt, die vielleicht ihren Arbeitsplatz verloren haben und die Hypotheken für ihr Eigenheim nicht mehr bedienen können. Dies sind nun einmal finanz-ökonomische Zwänge, die Wolfgang Fladung nicht einfach mit dem Hinweisauf die Sparpolitik des ehemaligen Reichskanzlers Brüning hinweg diskutieren kann.“

Nun der eingangs erwähnte Leserbrief von Hermann Krüger aus Frankfurt:

„Dem Leserbrief von Wolfgang Fladung kann ich nur zustimmen. Kein Wunder, dass Kanzlerin Merkel mit dem „Abkanzeln“ ihrer Kritiker auf dem Brüsseler Gipfel fast alleine dastand. Dort wurde deutlich, dass die Zeichen für eine Lösung der Krise auch innerhalb der Euroländer auf eine grundsätzliche Kursänderung hinauslaufen. Nur die Hardliner des sozial unverträglichen Kurses, voran Deutschland, ziehen einen Austritt der sogenannten Schuldenländer aus dem Euromarkt einer demokratischen und sozialen Kursänderung vor.
Es wird einfach nicht gesehen oder verschwiegen, dass es hier darum geht, dass die griechischen Schulden (und nicht nur diese) nicht zuletzt als Gewinne auch in den Tresoren der deutschen und griechischen Großbanken liegen, die in der Vergangenheit eine unverantwortliche Kreditpolitik zugunsten des deutschen Exports mit allen negativen Folgen betrieben haben.
Die ständig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in allen Euroländern wird durch die Kluft zwischen den armen und reichen Staaten noch verschärft. Wer an der sozialen Ungerechtigkeit nichts ändern will, kann die Krise nicht lösen, muss die Demokratie („Volksherrschaft“) abschaffen.
Diese Krise wurde erst durch die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung ökonomisch ungleicher EU-Länder zu einem Problem, bei dem die ökonomisch stärksten Länder das Sagen haben ohne Rücksicht auf die schwächeren. Dies ist der Hintergrund für eine nationalistische Sichtweise, dass „wir“ (vor allem die Deutschen als Hauptgewinner dieser Entwicklung) für die anderen zahlen sollen.
Ich halte dies insofern für sehr bedenklich, als ich darin eine extreme Zuspitzung nationalistischer Tendenzen durch Rechtspopulismus sehe. In zahlreichen Kommentaren wurden ja bereits die Erfahrungen aus der Weimarer Zeit (Versailler Vertrag und Brüningsche Notverordnungen) für den Aufstieg des Faschismus gesehen. Darum sollte die scheinbare Interesselosigkeit breiter Volksschichten an diesem Thema nicht falsch eingeschätzt werden und eine breite Aufklärung erfolgen. Daran haben besonders die Medien einen großen Anteil und eine große Verantwortung.
Statt weiterhin mit unsozialen Spardiktaten die Krise zu verschärfen, sollte in allen Euroländern der Massenprotest gegen Sozialabbau und für mehr Demokratie unterstützt und geführt werden.“

Als eine Art P.S. möchte ich folgenden Leserbrief von Prof. Manfred Schweres aus Hannover hinzufügen, der die Herkunft des Politikstils der Kanzlerin in der DDR verortet und der auf den zuvor verlinkten Gastbeitrag von Franz Walter reagiert:

„Es haben sich unsere Demokratien „mehr und mehr zu Verhandlungsdemokratien in verschlossenen Räumen mit den informellen Strukturen einer Oligarchie entwickelt. … [Deren Entscheidungen fallen] zunehmend jenseits des parlamentarischen Ortes und seiner Kontrollmöglichkeiten“, schrieb Franz Walter.
Aber nicht nur unter der Oligarchie (= Herrschaft einer kleinen Gruppe der Reichsten, so Aristoteles; heute: Plutokratie) hat Europa zu leiden, ebenso unter den Nachwirkungen der Zentralverwaltungswirtschaften des Ostblocks mit Ein-Parteien-Herrschaft. So auch in Deutschland mit seinem „DDR-Erbe“. Dort herrschte ein kleiner Kreis im Politbüro des ZK der SED und als SED-Sekretäre. Ministerrat, Staatsrat nahmen deren Weisungen in der Exekutive wahr. Die Volkskammer (nach Verfassung oberstes staatliches Machtorgan) war gehalten, ihre Entscheidungen auszurichten „an den „objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung“ (BMIB: DDR-Handbuch, Köln 1979). Die bestimmte die SED. Auch deswegen entsprach die Volkskammer nicht dem Funktionsbild westlicher Demokratien.
Der Regierungsstil der Bundeskanzlerin Angela Merkel ist geprägt von Entscheidungsvorbereitungen im kleinsten Kreise. Wiederholt rügte das Bundestagspräsidium sie bei ihrem schroffen Umgang mit dem Parlament. Nach einigen Verfassungsbeschwerden wies das Bundesverfassungsgericht sie zum sorgsamen Umgang mit dem Parlament (oberster Volkssouverän) an.
Ihr Politikstil ist oligarchisch und DDR-geprägt, spielt sich in kleinen „Insider-Gruppen“ in verschlossenen Räumen ab, zunehmend außerhalb des Parlaments.“

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11 Kommentare zu “Die Abschaffung der Demokratie

  1. Man stelle sich vor , man lebt in einem Land , in dem sich irgendein Hinterbänkler einen Spaß machen will und die Forderung aufstellt , die Satzung des Dachverbands der Brieftaubenzüchter solle ab jetzt zur bundesdeutschen Verfassung erhoben werden.
    Zu seiner größten Überraschung wird er nicht verlacht , sondern bejubelt , vor allem in großen Teilen der Medien, alle findens super und fortan gilt seine Denke als alternativlos.

    Absurd? Leider nicht , in genau einem solchen Land leben wir , bei uns heißt das „schwäbische Hausfrau“ , und wer es in Zweifel zieht , gibt natürlich nur „Geschwätz“ und „keynesianische Pervertierung“ von sich.

    Der Vergleich mit der Politik Brünings ist richtig , wird aber selten verstanden , Ex-Wirtschaftsminister Brüderle etwa äußerte Im Bundestag ,die „Katastrophe des 20.Jahrhunderts“ sei auf die Inflation von 1923 zurückzuführen.

    Diese Krise gleicht in Teilen der von 1929 , es gibt aber auch große Unterschiede , vor allem im politischen Bereich , und darin liegt die Hoffnung , daß die Folgen sich in gewissen Grenzen halten werden.

  2. Um die Wortwahl von Herrn Sigurd Schmidt, Mitglied des SPD-Parteivorstandes Bad Homburg, aufzugreifen: „Ich überlasse es den Lesern der FR, einen vernünftigen roten Faden in den Ausführungen von Herrn Schmidt zu entdecken. (Einige der Beiträge bzw. Leserbriefe, auch im Blog „Niemand spricht von höheren Steuern“ scheinen diesen „roten Faden“ eher bei mir gefunden zu haben, als bei Herrn Schmidt. Dafür meinen Dank.)

    Für mich ist Herr Schmidt bzw. seine Einstellung ein typisches Beispiel für die Neoliberalisierung der SPD, was sich unter Schröder-Fischer bereits für viele deutlich abzeichnete, mit Steinbrück fortsetzte und mit der glorreichen „Troika“ nebst allen Zustimmungen zu den Merkelschen „Reformen“ (für mich das Unwort des Jahrzehnts) fortsetzte. Außer der FR scheint Herr Schmidt wohl auch Springers WELT zu lesen, ein bekanntlich „linkes anti-kapitalistisches Kampfblatt“.

    Aber jetzt zur Sache und dabei der Reihe nach. Warum ich noch nichts von „Wagniskapital“ gehört haben sollte, erschließt sich mir nicht. Wohl erschließt sich mir aber, daß die finanziellen Kapitalwagnisse, die von kleinen und vor allem großen – und damit angeblich systemrelevanten – Banken eingegangen wurden, letztendlich beim Steuerzahler hängen blieben und bleiben. Weil das mit dem „Wagnis“ wohl so verstanden wurde, daß dies nur für ein positives Ergebnis zu gelten hatte, bei einem negativem Ergebnis, also einem Verlust, aber sofort nach staatlicher Hilfe geschrieen wurde. „Wir sind eben system-relevant“! System-„relevant“ war dabei nur die Verbandelung der in den Banken „gehedtgen“ Großvermögen über die Medien, wie Springer und Bertelsmann, zur Berliner (nicht nur) Politik. Beispiele gibt es zuhauf, als da wären: HRE, Bayernhyp Alpe Adria, IKB, WestLB, Deutsche Bank, und andere mehr. Alles nach dem Motto wohl: Helft ihr und den von uns verzockten Großvermögen nicht aus der Patsche, dann zahlen wir weniger auf eure Partei-Schwarzgeld-Konten a la „jüdische Vermächtnisse & Co.“ ein.

    Zurück. Wenn ich als Unternehmer Wagniskapital gewähre oder aufnehme, kann ich dies mit Risiko-Versicherungen oder Bürgschaften absichern. Aber im Falle eines Verlustes zahlt einer der Beteiligten, und dies sollte in keinem Fall ein Unbeteiligter, also Steuerzahler sein!

    Auch die durch „Marketing“ induzierte Nachfrage ist doch stark zu bezweifeln. Marketing wirkt dann am besten, wenn ein potentieller Kaufwunsch, unterstützt durch vorhandenes Geld zum Konsumieren, vorhanden ist. Für mich als Rentner mag ein Sechszylinder-Mercedes ein schönes, im Marketing toll umgesetztes Auto sein. Allein, weder meine Rente, noch meine paar Spargroschen, noch die Unterhaltskosten jetzt und künftig, lassen sich durch „Marketing“ übertölpeln. Aber das scheint bei Herrn Schmidt anders zu funktionieren. Hoffentlich führt das nicht in die von ihm so beklagte Schuldenfalle, wie bei den Südländern.

    Argentinien ist ein Sonderfall, weil hier der Primärfehler die Koppelung der Währung an den US-Dollar war. Daß Griechenland ein eher magrebinisch strukturiertes Land war und ist, aufgebaut auf einer heiteren Mischung aus Ouzo, Fakelaki und Steuer- (nein, nicht Hinterziehung, eher -Vermeidung), wußten alle vor Einführung bzw. Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone. Aber da war viel Gesundbeterei am Werk, und wohl auch starke finanzielle Interessen von Siemens, Telekom, Krauss-Maffei etc. Und Goldman-Sachs führte im Hintergrund Regie.

    Wer die jüngste Geschichte der letzten beiden Jahrzehnte, und das Aufblühen der neoliberalen Schein-Wissenschaften, beobachtet hat, weiß, wenn er nicht gerade zur Oberschicht oder oberen Mittelschicht gehört, wo der Hammer hängt – und wer zu bezahlen hat – Hänschen Müller. Außer einigen wenigen (z.B. Krugman, Otte) hat keiner Lehmann und die Folgen vorausgesehen. Und die zaghaften Regulierungsansätze wurden sofort wieder in diesem widerlichen Cocktail von Gier, Korruption, Blödheit und Ignoranz ersäuft.

    In den Naturwissenschaften sind 1 + 1 immer noch 2. Bei den Wirtschafts“wissenschaften“ kann dies auch mal 1,5 oder 2,5, oder 5, oder sonstwas, sein. Kaffeesatzleserei wird dadurch betrieben, daß man davon ausgeht, zwischen Deutschland und den Nachbarn wäre ein natürlicher XXL-Wachstums- und Wohlstands-Zaun gezogen. Inzwischen gibt es starke Hinweise aus der abnehmenden bzw. nachlassenden Konsum- und vor allem Industriegüter-Produktion, siehe Maschinenbau und LKW-Fertigung, die Schlimmes befürchten lassen – und eigentlich den ökonomischen Gesetzen entsprechen, die da lauten:

    Wenn die einen sparen, und nix kaufen, können die anderen nix verkaufen, und verdienen, und müssen dann, „restrukturieren“, also „entlassen“. Und der Staat verdient nix, wenn nix verkauft wird, und hat nur höhere Kosten für Soziales. Wenn jetzt ein Land, wie Griechenland oder Spanien, für seine ausgegebenen Staatsanleihen Zinsen von 6 und mehr Prozent zahlen muß, bei sinkendem BIP, dann kriegt es Probleme, weil dann die Ausgaben immer den Einnahmen vorweg laufen.

    Zu Brüning sage ich nichts mehr. Wenn das Herr Schmidt nicht begreift, dann sorry.

    So, zum Schluß, endlich: Wenn mein Nachbar und seine Familie nette, umgängliche Leute sind, vielleicht ein wenig eigen oder unerfahren, und jetzt aufgrund von Pech die Hypotheken für ihr Haus nicht mehr, oder regelmäßig, leisten können, dann helfe ich ihnen. Ich helfe, indem ich sie zu einem Schuldnerberater schleppe, mit ihnen über zu kürzende Ausgaben und Steigerung von Einnahmen (z.B. durch Verkauf von Sammlungen) rede, zur Bank gehe und über Stundung und Streckung verhandle und und und. Aber ich würde mich sicherlich nicht freuen, wenn die stadtbekannte Halbweltgröße, die schon lange ein Auge auf das Anwesen geworfen hat, dort einzieht, oder irgendwelche braunen Jungs. Natürlich umgekehrt wird auch ein Schuh draus – wenn beschriebene unangenehme Nachbarn sich verzockt haben – so wie die Banken – und daher ihre Hypotheken nicht bezahlen können, werde ich einen Teufel tun, ihnen irgendwie zu helfen.

    Doch leider sehen das unsere Regierenden anders.

  3. Noch ein schicker, kleiner Nachschlag aus SPON, siehe hier:
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/euro-krise-fuehrt-zu-neuen-allianzen-nach-oekonomen-appell-a-843044.html

    Wenn demnach Frau Wagenknecht, eine angeblich Links-Radikale, mit ihrem Statement, dass „der europäische Steuerzahler dauerhaft für die Fehlspekulationen der Finanzmafia bluten“ müsse, und dies so auch von Herrn Hanns-Werner Sinn, einem eher von mir im neo-cons-Lager verorteten Ökonom unterschrieben wird, siehe der Aufruf der 170, dann gibt es derzeit eine herrliche Auflösung der alten Fronten. Und es wird endlich einmal die Frage gestellt: Was hilft wirklich? Hilft es, die Dosis der verabreichten Medizin immer weiter zu erhöhen (bis der Patient tot ist) oder braucht es ein anderes Medikament, weil die Anfangsdiagnose falsch war?

    Bin gespannt, was die Mitblogger dazu zu sagen haben.

  4. Der heutige Leitartikel im Wirtschaftsteil der FR hat sich auch mit dem Thema Bankenrettung und Schuldenkrise der Eurostaaten beschäftigt. Was mich wundert das in solchen Artikeln nie die wirklich intressante Frage auch nur annähernd aufgeworfen wird: Wer soll das bezahlen? Was intressant war ist die Information das bei den Banken in der Summe etwa 3 mal soviel Geld im Feuer steht als bei den Staaten. Das ist doch mal eine Aussage die unseren alten (nicht wörtlich nehmen)Mitdiskutanten Max Wedell intressieren wird. Wenn Banken und Staaten offensichtlich nicht in Insolvenz gehen können muss man die ganze Finanzierung in Frage stellen oder klar sagen wie man eine Bankenrettung stemmen will. Das würde die Märkte beruhigen, wenn das eine glaubhafte Aussage wäre. Wenn die Regierung sagt wir erhöhen den Spitzensteuersatz sobald Steuergelder zur Bankenrettung gebraucht werden um den entsprechenden Betrag zu erziehlen wäre das z.B. eine klare Aussage. Dazu sollte dann eine europäische Bankenaufsicht kommen die dafür sorgen soll das es nicht dazu kommt. Solange man nicht sagt woher das Geld kommen soll wird es keine Ruhe geben und warum man bei diesem Thema immer wieder auf die Sozialkassen kommt erschließt sich mir eh nicht. Die Sozialkassen sind völlig unverdächtig an der Immomilienblasen in Spanien oder USA beteiligt gewesen zu sein.

  5. Ist die Demokratie in Gefahr? Das hängt davon ab ob es ihr gelingt Lösungen zu erreichen. Heute in der FR war auch ein Bericht über das Europaparlament, der eigentlich zu Optimismus Anlass gibt. Die Zeit in der Demokratie heißt staatliche Leistungen zu gewähren und die Bezahlung über Schulden in die Zukunft zu verschieben geht hoffentlich zu Ende, sonst wird die Demokratie immer in Gefahr sein. Irgendwann ist Zukunft und dieser Moment ist zumindest in den südlichen Ländern jetzt gekommen. Das bedeutet in der Vergangenheit wurden die Weichen gestellt das dort die Demokratie jetzt in Gefahr ist. Daraus sollte man lernen.
    Wenn man allerdigs solche Sachen wie die Schuldenbremsen in aller Herren Länder sieht kann man schon zweifeln. So etwas in die Verfassung zu schreiben und gleichzeitig Schulden und Bürgschaften in noch nie dagewesenen Umfang zu unterschreiben ist natürlich das genaue Gegenteil von dem was nötig wäre. Wie oben geschrieben müßte die Demotratie über die Bürger durchsetzen das die Parteien benennen wie das zusammengehen soll und wer das bezahlen soll. Wenn das nicht durchsetzbar ist kann es mit der Demokratie nur schwierig werden. Dabei muss man der Linken zugute halten das sie bei diesem Thema schon einen Ansatz hat. Ich bin mal gespannt ob der so eher rechte Wähler seinen Parteien durchgehen lässt dazu kein Konzept zu haben.

  6. Auf den NachDenkSeiten von heute fand ich zur Debatte um das, was Ökonomen tun, einen wichtigen und in der Begründung interessanten Link der taz-Redakteurin Ulrike Hermann, welchen ich hier 1 : 1 wiedergebe: Zitat: „Endlich! Die Zunft der Volkswirte streitet sich mit voller Wucht und in allen Medien. Das ist heilsam für Deutschland. Denn damit erledigt sich das gern gehegte Selbstbild der Ökonomen, sie würden eine Art Naturwissenschaft betreiben, die „Wahrheiten“ zu verkünden hat. Stattdessen zeigt der Streit, wohin die Ökonomie gehört: Sie ist eine Sozialwissenschaft, die stets mehrere Interpretationen für das gleiche Phänomen liefert.
    Diese Einsicht ist wichtig. Denn damit wird offenbar, was hinter all den mathematischen Formeln und der naturgesetzlichen Scheinobjektivität stets verborgen werden sollte: Volkswirtschaftliche Theorien sind immer von Interessen geleitet. Sie sind ein Teil im Kampf um Macht – und um die Verteilung von Einkommen.“

  7. Heute denke ich hoffentlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Kläger. Sonst wird die Frage nach einer alternativen Finanzierung und wer das bezahlen soll nie gestellt und die Rettungsschirme werden nur immer größer.

  8. Der Blog, oder Threat, scheint wieder mal nicht so den gewünschten Anklang zu finden. Also mache ich es kurz, mit einem Spruch aus alten Sponti-Tagen: DIE LAGE IST HOFFNUNGSLOS, ABER NICHT ERNST.

    Wenn jetzt schon das Grundgesetz, für welches das BVG einzustehen hat, gebeugt, gezogen und interpretiert werden soll – auf welchem Planeten leben wir dann eigentlich? Ich las vor kurzem einen Bilderwitz, bei dem die seit 1916 bestehende Inschrift auf der Fassade des Deutschen Reichstags umgeschrieben wurde in: „Den Deutschen Banken“.

    Wir Bürger müssen uns entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen – ohne die Banken mit blauen Flecken davon kommen oder mit ihnen, den ach so systemrelevanten, untergehen. Und wir sollten uns genau anschauen, wo das Hauptkapital der Banken herstammt. Gregor Gysi hat dies in seiner Rede vor Studenten der Saarbrücker Uni recht anschaulich formuliert, Zitat:
    „Faktisch hat die neoliberale politische Elite den Staat übernommen, um in Not geratenen ANGEHÖRIGEN er neoliberalen wirtschaftlichen Eliten aus der Krise helfen zu können. Die angebliche „Systemrelevanz“ führt nicht nur zur Rettung maroder Hedgefonds und Banken, sondern auch zur Aushebelung elementarer demokratischer Parlamentsrechte.“ Und er ergänzt mit dem Satz: „Das ist der Tausch Demokratie gegen Markt.“

    Und solange ich befürchten muß, das alle Brüsseler Beschlüsse hin zu einem neuen Europa kein soziales und gerechtes Europa begründen, sondern nur das Merkelsche „marktkonforme“, solange werde ich mich mit allen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen, gegen dieses Europa sträuben und dagegen ankämpfen. Und ich hoffe, daß dies in Karlsruhe genauso gesehen wird.

    Auf einem europäischen Sklavenschiff, gesteuert von „den Märkten“, möchte ich nicht anheuern.

  9. zu @Wolfgang Fladung
    Sie retten sie ja nicht wirklich sie gewinnen nur Zeit und bringen die Staaten in eine ausweglose Situation.

  10. Heute im Leitartikel des Wirtschaftsteils der FR seht ein Bericht über ein Wirtschaftsforschungsinstitut das dabei ist die richtige Richtung aufzuzeigen das Europroblem zu lösen. Vielleicht wird das ja doch noch was. Einfach das Geld über Inflation zu entwerten kann die Lösung wohl nicht sein, da es dabei um viel größere Summen geht die bei Inflation entwertet werden, wie auch völlig richtig in dem Artikel steht. Bin mal gespannt wann die Rechte mit einem Lösungsvorschlag kommt, befürchte aber nie.

  11. „Die Not der breiten Volksmasse führt zu starken innerpolitischen Spannungen. Der Staat ist der mit Gewalt verhinderte Bürgerkrieg. In der Absicht, diese Spannungen zu mildern, werden der Masse politische Rechte gewährt; man gelangt allmählich zur Staatsform der Demokratie. Die Arbeitenden leben in dem Glauben, ihre politische Gleichberechtigung werde die wirtschaftliche nach sich ziehen. Allein, die erwartete Besserung tritt nicht ein, kann ja gar nicht eintreten. Was man durch das allgemeine Wahlrecht und den Parlamentarismus zu erreichen hofft, ist ja das wirtschaftliche Ziel des vollen Arbeitsertrages. Dieses Ziel aber setzt, wie wir wissen, die wirtschaftliche Freiheit voraus, das heißt den freien Wettbewerb, die Zerstörung bzw. Unschädlichmachung der Monopole. Diese Monopole hat man aber zum Teil als solche gar nicht erkannt. Wie soll sich da die Lage der Arbeitenden bessern?
    Weil die Marktwirtschaft infolge der bestehenden Monopole nicht richtig funktionieren kann, müssen sich ständig wirtschaftliche und soziale Störungen ergeben. Anstatt nun aber das Übel bei der Wurzel zu packen und die Monopole unschädlich zu machen, begnügt man sich damit, an den Erscheinungen herumzukurieren. Man beschließt immer neue und immer tiefere Eingriffe in die Wirtschaft, wodurch man bald dieser bald jener Gruppe Sondervorteile verschafft. Beim Aushandeln dieser zahllosen Planwirtschaftsgesetze tritt der parlamentarische Kuhhandel in Aktion, das Feilschen der politischen Parteien um die Vorteile, die jede von ihnen „ihren“ Wählern zu verschaffen trachtet. So entartet unter der Herrschaft der Monopole der an sich gesunde Gedanke der Demokratie zum parlamentarisch verbrämten Schacher um Gruppenvorteile. Das Parlament wird zur Gesetzesfabrik, aus der sich unaufhaltsam eine Paragraphenflut über das hilflose Volk ergießt, in dessen Namen man regiert. Die Monopole und die von ihnen veranlasste Planwirtschaft morden die Demokratie. Das darf nicht wundernehmen. Demokratie setzt Freiheit und Gleichberechtigung voraus; beides aber kann es in der herkömmlichen Monopolwirtschaft nicht geben.“

    Otto Valentin („Die Lösung der Sozialen Frage“, 1952)

    „Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ stammt von dem Freiwirtschaftler Otto Lautenbach, der im Januar 1953 die Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft (ASM) gründete. In enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Wirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler Ludwig Erhard sollte erstmalig eine „freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ verwirklicht werden. Im Juli 1954 verstarb Otto Lautenbach, die ASM zerfiel im Streit (eine Organisation gleichen Namens existiert heute noch, sie verfügt aber über keinerlei makroökonomische Kompetenz mehr). Für die makroökonomische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland wurde ein von der so genannten „katholischen Soziallehre“ beeinflusstes Konzept von Alfred Müller-Armack übernommen, eine „sozial gesteuerte Marktwirtschaft“ (kapitalistische Marktwirtschaft mit angehängtem „Sozialstaat“), für die sich später der Begriff „soziale Marktwirtschaft“ einbürgerte.“

    Von der Überwindung der Religion zur echten Sozialen Marktwirtschaft
    http://www.krisentalk.de/krise/ueberwindung-religion-echten-sozialen-marktwirtschaft/183001

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