Kritik an der Berichterstattung der FR über die gegenwärtige, durch das Brexit-Referendum ausgelöste Krise der Europäischen Union kommt von FR-Leser Michael Hamke aus Bad Soden. Er ist vor allem mit den Überschriften nicht einverstanden. Sein Leserbrief erschien gekürzt im FR-Leserforum vom 6. Juli 2016, die ungekürzte Fassung stelle ich hiermit im FR-Blog zur Diskussion.

Was ist daran undemokratisch?

Von Michael Hamke

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„Ich empfinde Ihre Berichterstattung und Kommentierung zum CETA-Abkommen als unseriös und europafeindlich.

Schon die Überschriften („Wie Juncker den Protest …befeuert“ oder „Empörung in Deutschland“) — [FR-online: „Empörung über Juncker-Plan“ und „Juncker hat nichts kapiert„, Anm. Bronski] — suggerieren, dass in „Brüssel“ wieder einmal getrickst wird. Herr Sievers stellt eine Verbindung zu dem Bekunden der Briten her, „dass sie die Europäische Union als undemokratisch empfinden“. Und Herr Juncker tut, „als sei nichts gewesen“. Dabei ist das zunächst eine Rechtsfrage. In der EU (oder genauer: in der guten alten EWG) haben die Mitgliedsstaaten ihre Kompetenzen im Außenhandel an Brüssel abgetreten. Wenn es sich also um eine reine Frage des Außenhandels dreht, sind die Parlamente der Mitgliedsstaaten schlicht nicht zuständig. Dann wie Frau Strasser von einer „Entmachtung der Volksvertreter“ zu faseln, ist reine Polemik. Die Sache muss dann „nur“ durch das Europäische Parlament und durch den Ministerrat, der die perfekte Entsprechung zum deutschen Bundesrat darstellt. Ich wüsste nicht, was daran undemokratisch ist. Herrn Schwarzkopf ist das egal, denn weil die EU „keine richtige Demokratie ist, führt an den nationalen Parlamenten kein Weg vorbei“. Dass die
europäischen Verträge das anders regeln und dass mit diesem Argument das Europäische Parlament abgeschafft werden kann, spielt anscheinend keine Rolle.

Offensichtlich hat das Herr Sievers in der Nacht vom 30.06. auf den 01.07. erkannt und geht dann auf diese Problematik ein. Aber auch hier polemische Überschriften („Entmachtung durch Brüssel“) und gleich am Anfang wird Herr Juncker zitiert, dem das „schnurzegal“ ist – halt ein Brüsseler Bürokrat. Weiter lesen die Leute ja nicht. Deswegen steht am Anfang eines Artikels immer das „Wichtigste“ – je weiter hinten, desto
unwichtiger.

Diese Rechtsfrage muss man diskutieren. Es gibt auch in Deutschland oftmals den vergleichbaren Streit, ob der Bund oder die Länder zuständig sind. Niemals würden Sie aber dermaßen polemisch darüber berichten.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Von Ceta oder TTIP halte ich wenig. Herr Juncker muss sich aber, wenn er eine Rechtsmeinung hat, an die Regeln der europäischen Verträge halten. Was würden Sie denn im umgekehrten Fall sagen? Die politische Frage ist, ob Herr Juncker das Ceta-Abkommen überhaupt zur Abstimmung stellen soll oder die Sache lieber auf Eis legt. Das wäre natürlich das Eingeständnis, dass die Kommission falsch verhandelt hat. Darüber freuen sich dann die Populisten aller Lager: Die Kommission hat einen Fehler gemacht, und deswegen dreschen wir auf Europa ein. Die Rundschau hilft dabei.

Abgesehen vom konkreten Fall stört mich schon seit langem, dass in der Rundschau nicht mehr zwischen Bericht und Kommentar getrennt wird.“

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9 Kommentare zu “Was ist daran undemokratisch?

  1. Über Ceta bin ich nicht so gut informiert wie über TTIP. Wenn dieses Vertragswerk, sollte es denn verabschiedet werden, ähnlich weitreichende Folgen hat wie TTIP, nämlich den Firmen das Recht gibt, bei veränderter Gesetzgebung in den beteiligten Ländern Regressforderungen zu stellen, wenn sie aufgrund dieser neuen Gesetze Gewinneinbußen erleiden, so betrifft dieser Vertrag eben nicht nur den Außenhandel, sondern z.B. die nationalen Umweltstandards und die Arbeitnehmerrechte, vom massiven Eingriff in die Rechtssprechung in Form von privaten Schiedsgerichten hinter verschlossenen Türen einmal ganz abgesehen.
    In allen diesen Bereichen haben die EU-Staaten ihre Kompetenzen nicht an Brüssel abgegeben, und es käme es einer illegalen Entmachtung der Nationalstaaten gleich, wenn Brüssel hier allein entscheiden wollte.
    Aus diesem Grunde halte ich die Berichterstattung über Ceta in ihrer Schärfe nicht nur für angemessen, sondern für dringend geboten. Zum Glück haben die öffentlichen Proteste ja Erfolg gehabt, und den nationalen Parlamenten wird ein Mitentscheidungsrecht über Ceta eingeräumt.

  2. Formal:
    Das Thema Politik ist schwierig: Eigentlich sollte man zwischen folgenden drei Teilen trennen:
    1. Fakten: Das sind die Wahlergebnisse, die Koalitionen und die neuen Gesetzes- und Vertragstexte (aber wer will und kann die lesen?), Entscheidungen.
    2. Blähungen: Verlautbarungen und Kommentare der Akteure.
    3. Meinungen: Kommentare aus der Redaktion.

    Die beanstandeten Artikel sind da, wo sie nicht von den Meinungen anderer Akteure berichten (meine Rubrik Blähungen, Verlautbarungsjournalismus), als Meinung gekennzeichnet – insofern ist formal alles in Ordnung.

    Inhalt:
    Ein Unternehmer hat ein klares Handlungsziel, das am Ende des Jahres in EURO bezifferbar ist. Wenn berichtet wird, dass da wieder ein Unternehmen trotz riesigen Profits keine Steuern bezahlt hat, so ist das, solange dabei keine Gesetze gebrochen wurden, nichts, was dem Unternehmen anzukreiden ist, sondern der Politik, die diese Rahmenbedingungen geschaffen haben.

    Bei Politikern ist das anders – sie haben keine so schlichten Handlungsziele: Die Aufgabe Junckers besteht nicht einfach darin, das Außenhandelsvolumen der EU zu maximieren. Eines seiner übergeordneten Handlungsziele ist die Stabilität der EU selbst. An der Stelle kann man ihn – im Gegensatz zu einem Unternehmer – durchaus dafür kritisieren, die der EU zugrundeliegenden Verträge einfach zu exekutieren, obwohl er weiß, welches Konfliktpotential das in vorliegendem Fall hat. Das hat nichts mit undemokratisch zu tun; der demokratische Teil bestand im Zustandekommen dieser Verträge, die Ausführung ist aber auch wieder Politik – und damit kritisierbar.

    Allerdings es ist nicht nur Juncker, der hier zu kritisieren ist. Juncker redet hier nur von der Ausschöpfung seiner vertraglich vereinbarten Möglichkeiten. Um den Bogen zu einem anderen Thread zu knüpfen: Es hat den Anschein als wäre die EU hier so geschaffen worden, dass es möglich ist, die kapitalfreundliche Politik, die man in dieser Offensichtlichkeit nicht durch das eigene Parlament bekäme, an sie delegieren zu können. Entsprechende Leute wurden von den Regierungen in die EU-Kommission entsandt.

    Mal abgesehen davon in direkter Antwort zu Michael Hamke: Wenn die Kommission einen Fehler gemacht hat, gehört sie dafür geprügelt. Dafür sind Jounrnalisten da. Und nicht, um sich zurückzunehmen, weil irgendeine politische Seite das ausnutzen könnte.

  3. zu Brigitte Ernst: nur ein Beispiel zu Ceta, der aber schon ausreicht: Viele US-Firmen haben Niederlassungen in Kanada. Sollten diese sich in ihren Gewinnerwartungen durch Maßnahmen europäischer Staaten gegenüber diesen Firmen beeinträchtigt fühlen, können sie deshalb vor diese ominösen Schiedsgerichte ziehen. Insofern hilft es nichts, wenn bei TTIP sogenannte Handelsgerichte eingerichtet werden sollten.

  4. „Abgesehen vom konkreten Fall stört mich schon seit langem, dass in der Rundschau nicht mehr zwischen Bericht und Kommentar getrennt wird.“
    Hier bin ich mit M. Hamke einer Meinung. Ich fühle mich immer etwas bevormundet, vor allem wenn es einen Artikel gemischt mit Kommentar gibt und zusätzlich noch einen Kommentar.

  5. Die Bundesregierung muss dem Abkommen zustimmen. Ob auch der Bundestag zustimmen muss, ist eine juristische Streitfrage. Die Frage wäre doch wirklich nur von Interesse, wenn es vorstellbar wäre, dass der Bundestag gegen den Willen der Regierung das Abkommen ablehnt. Dies würde üblicherweise den Sturz der Kanzlerin bedeuten.
    Und darum der Sturz im Wasserglas?

  6. Warum sollte das gewählte Parlament nicht ein Gesetz ablehnen, das ausschließlich dem Nutzen der US-Konzerne dient, dem Volk aber schadet. Schließlich leisten auch die Regierungsmitglieder einen Eid, den Nutzen des Volkes (nicht der Konzerne) zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Daraus ergibt sich noch keinesfalls notwendigerweise ein Sturz der Kanzlerin, und wenn, worin bestünde der Schaden?

  7. @Peter Boettel
    Das war doch hier nicht die Frage. Was ist denn faktisch der Unterschied, ob Regierung zustimmt oder die Mehrheit im Bundestag? Sie werden doch beide die gleiche Meinung haben.
    Faktisch läuft es also auf das gleiche heraus, ob die Regierung oder der Bundestag zustimmt bzw. ablehnt. Aber wieder mal eine schöne Gelegenheit zum EU-Bashing ist es doch.

  8. @Henning Flessner
    Der Unterschied besteht darin, dass für die Gesetzgebung das Parlament, also Bundestag und bei zustimmungspflichtigen Gesetzen auch der Bundesrat zustimmen müssen, während die Bundesregierung lediglich ein Initiativrecht hat, Gesetze einzubringen.
    Bei Ceta handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der einer Ratifizierung durch die Parlamente bedarf. Dabei können Bundestag und auch Bundesrat durchaus zumindest theoretisch anders entscheiden als die Regierung.
    Gerade im Falle TTIP oder Ceta kann es durchaus so laufen, dass die Regierungsvorlage im Parlament abgelehnt wird.

  9. „Was ist denn faktisch der Unterschied, ob Regierung zustimmt oder die Mehrheit im Bundestag? Sie werden doch beide die gleiche Meinung haben.“ (Henning Flessner)

    Es kann aber sein, dass es aus wahltaktischen Gründen unklug wäre, die eigene Meinung selbst zur Ausführung zu bringen:

    Wir sehen diese Verträge hauptsächlich als gegen den Verbraucher gerichtet, weil wir hier inzwischen verbraucherfreundliche Regeln durchgesetzt haben, die damit unterlaufen werden können. Deshalb sind diese Verträge hier im Forum unpopulär.

    Allgemein stärken diese Vertträge die exportierende Wirtschaft gegenüber der Regierung des Importlandes – und wir sind eine Exportnation. Zwei Seelen wohnen da in Muttis Brust: Die eine macht sich um die Wählerstimmen Sorgen, die andere um die Großspenden. Da ist es dann ein guter Kompromiss, wenn die böse EU diese Verträge (mit der eigenen Zustimmung) unterzeichnet, während man zu Hause ordentlich dagegen wettert.

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