„Herdprämie“: Für Kleinkinder sind Bezugspersonen das Allerwichtigste

Es läuft einiges falsch in Deutschland — auch und vor allem im Bereich Bildung. Man kann nämlich die „Herdprämie“ als eine Art Anti-Bildungsprämie verstehen. Bisher sehen die Politik und jene, die gegen diese 150 Euro agieren, darin in erster Linie eine familienpolitische Leistung des Staates, eine Art Ausgleichszahlung dafür, dass Eltern ihr Kleinkind (vor dem dritten Lebensjahr) zu Hause betreuen und erziehen, also keine staatlich geförderte Kindertagesstätte in Anspruch nehmen. Was selbstverständlich deren Recht ist. Das Thema ist viel komplexer, als es auf den ersten Blick den Anscheint hat. Ich picke mir mal einen Aspekt heraus, einen einzigen, von dem ich glaube, dass er in der Debatte bisher zu kurz gekommen ist, wenn ich die „Herdprämie“ für eine Anti-Bildungsprämie halte.

Die deutsche Bildungspolitik hat sich verpflichtet, jedem Kleinkind bei Bedarf einen Platz in einer Kindertagsstätte zur Verfügung zu stellen. Damit orientierte sie sich am Modell DDR, das in dieser Hinsicht vorbildlich war: Wenn Mütter die Betreuung ihrer Kleinen vertrauensvoll zeitweise in professionelle Hände geben können, stehen sie dem Arbeitsmarkt nach der Geburt schneller wieder zur Verfügung. Daran ist nichts auszusetzen. Zugleich verfolgt die Kita-Verpflichtung des Staates das Ziel, Kinder möglichst früh mit möglichst vielen anderen Kindern zusammenzubringen, auch mit Kindern aus Einwandererfamilien. Und diese Kinder natürlich mit Kindern aus deutschstämmigen Familien. Einen Kita-Platz für jedes Kind, das einen braucht — dies ist letztlich eine integrationspolitische Maßnahme. Wenn in Deutschland lebende Kleinkinder, gleich welcher Herkunft, von Anfang an miteinander lernen, gibt es später weniger Probleme im Zusammenleben, und die Einwandererkinder lernen von Anfang an besser Deutsch.

Diese gute Idee wird von der „Herdprämie“ unterlaufen. Nicht von ungefähr stammt das „Herdprämien“-Konzept, mit dem das Daheimbleiben kleiner Kinder gefördert wird, aus den Schubläden der CSU. Man gibt sich familienfreundlich und bedient ein konservatives Familienbild, betont familiäre Idylle, wohlwissend, dass diese oft genug nur eine hübsche Fassade ist: Jedes vierte kleine Mädchen und jeder zehnte kleine Junge wird in Deutschland sexuell missbraucht — von Familienmitgliedern. Die Kinder wären besser geschützt, wenn eine familienferne Person, etwa eine Erzieherin in einer Kita, regelmäßig ein Auge auf die Kleinen haben könnte. Zudem wächst die Zahl der Alleinerziehenden, der Patchwork-Familien, die Zahl der Kinder, die von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern aufgezogen werden, während die Zahl der Familien, die dem CSU-Ideal entsprechen, kontinuierlich sinkt. Das Ideal der Konservativen entspricht immer weniger der Lebensrealität in Deutschland. Diese Lebensrealität ist unter anderem: Es gibt immer mehr Kinder aus Einwandererfamilien. Also bringt die Kinder zusammen! Lasst sie die ersten Schritte miteinander machen, ihre ersten deutschen Wörter gemeinsam lallen, lasst sie früh Gemeinschaft erleben!

Doch das will die CSU offenbar nicht. Für deren Protagonisten sind multikulturelle Visionen gescheitert (wozu sie mit solcher Politik gezielt beitragen), und Multikulti ist ein Schimpfwort für verschiedenste Gruppierungen am rechten Rand. Statt eine multikulturelle Gesellschaft zu fördern — sie ist unsere Zukunft, ganz egal, was solche Politiker behaupten — und auf diese Weise Zukunft zu gestalten, wird Integration behindert, Segregation gefördert und werden Illusionen populistisch gefördert. Ich hoffe daher, dass das Bundesverfassungsgericht die „Herdprämie“ kassiert, und mit FR-Leitartiklerin Sabine Hamacher sage ich: Das Betreuungsgeld gehört abgeschafft.

Thorsten Beckers aus Frankfurt meint:

„Abstrakt gesehen reduziert sich für mich die Frage über Sinn und Unsinn des Betreuungsgeldes darauf, ob es politisch notwendig ist, jemandem, der eine staatliche Infrastruktur nicht benötigt, dafür auch noch zu honorieren. Und sie ist schnell beantwortet: Nein, es ist rausgeworfenes Geld! Niemand hat die Politik dazu beauftragt, hier einen Ausgleich für die Nichtinanspruchnahme zu erfinden. Es käme auch niemand auf die Idee Ausgleichszahlungen an die Bürger zu leisten, die Schwimmbad, Zoo, ÖPNV, Theater, Alte Oper etc. nicht nutzen.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg hingegen:

„Der Staat sollte sich im Prinzip aus der Frage heraushalten, ob Mütter schon im Kleinst-Alter ihrer Kinder wieder ihrem Beruf nachgehen oder ob sie sich für eine gewisse Zeit ganz der persönlichen Erziehung ihrer Neugeborenen – mindestens bis Lebensalter drei – widmen. Es steht dem Staat auch nicht zu, die elterliche Erziehung in irgendeiner Weise gegenüber der
Kita-Erziehung abzuwerten. Es steht auch einer Partei wie wiederum der CSU nicht zu, die elterliche Früherziehung von Kindern grundsätzlich als ’natürliches Gebot‘ zu predigen. Aber die CSU hat sich eben in der Groko mit ihrem Betreuungsgeld durchgesetzt! Nach dem GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Das heißt aber nicht, daß Ledige oder zwar Nichtverheiratete, aber zusammenlebende Partner oder Ehen ohne Kinder, zum Gespött gemacht werden.
Den Spagat zwischen – meistens doch bei der Mutter hängen bleibender Kindererziehung/Hausarbeit — und andererseits dem Beruf muss jede Frau mit sich ausmachen und versuchen, durch sanfte Ermunterung den männlichen Partner mit an der Familienarbeit zu beteiligen. Vernünftige Teilzeitarbeit ist meistens eine probate Lösung. Man darf auch nicht Frauen als quasi unter dem Gesichtspunkt der „Anforderungen“ der Jetztzeit unmündig erachten, wenn sie tatsächlich noch die traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter anstreben und ausleben. Wenn ein Top-Manager in 3. oder 4. Partnerbeziehung eine junge Frau zur nächsten Lebensgefährtin nimmt, die gar keine Kinder will, sondern gern im Porsche Cayenne ihre Mode spazieren fährt, dann hat sich der Staat herauszuhalten mit Wertungen, diese Frau genieße nur das Leben und trage nicht zum Allgemeinwohl bei.
Deutschand ist „Familienpolitik von oben“ (siehe das Mutterkreuz im Dritten Reich) ganz schlecht bekommen. Die Geburtenbeförderungspolitik im Regime von Ceaucescu , dem rumänischen Tyrannen, ist ein Verbrechen erster Ordnung gewesen. Ob jemand ledig bleibt, sich einen Partner wählt, Familie gründen will, die standesamtliche Ehe eingeht oder nicht….. das sind individuelle Entscheidungen. – Es sollte weiterhin bei der Diversität der jeweils gewählten Lebensform bleiben und keine Uniformität angestrebt werden.“

Marc Schneider aus Karben:

„Man kann sicher darüber streiten, ob das Betreuungsgeld in der jetzigen Form sinnvoll ist oder nicht. Der Fairness halber muss man aber sehen, dass ein Kita-Platz größtenteils vom Staat finanziert wird; wenn also jemand freiwillig darauf verzichtet und als Ausgleich einen Anteil des so gesparten Geldes bekommt, finde ich das keinesfalls „absurd“.
Entscheidender ist aber, dass für Kleinkinder Bezugspersonen (in der Regel die Eltern) das Allerwichtigste sind. Ein ständiger Wechsel oder aber um die Aufmerksamkeit der Bezugspersonen mit Gleichaltrigen konkurrieren zu müssen, ist für die Kinder keinesfalls lustig, sondern der pure Stress. Dagegen steht die sichere Geborgenheit eines liebevollen Elternhauses in den ersten Jahren als Grundstein der weiteren sozialen und emotionalen Entwicklung. Frau Hamachers Behauptung, dies wäre ein „Fernhalten von Altersgenossen“ und Erzieher wären per se besser für das Kind als die Eltern ist eine zynische Verdrehung der Tatsachen. Für einen Drei- oder Vierjährigen ist der Kindergarten sicher eine Bereicherung, aber ein Kind unter zwei Jahren in der Kita abzugeben, sollte die allerletzte Möglichkeit bleiben, wenn die Eltern absolut keine andere Wahl haben.
Wer nicht bereit ist, seinem eigenen Kind Zeit und Mühe zu widmen, sollte sich das wenigstens ehrlich eingestehen und aufhören, von ‚frühkindlicher Bildung‘ zu schwafeln oder Verkaufsargumente für die U3-Betreuung zu liefern. Erziehung ist Elternpflicht. Auch die beste Erzieherin kann die Eltern nicht ersetzen, das muss endlich mal in die Köpfe hinein.

Regina Neumann aus Marburg:

„Ich hätte mir gewünscht, dass über die Frage, ob sehr kleine Kinder unbedingt eine Kita besuchen sollten, etwas differenzierter argumentiert würde. Es ist nach meiner Beobachtung z. B. eine sehr große Belastung für berufstätige Eltern, wenn die Kinder häufig Infekte mit nach Hause bringen und die Eltern zuhause bleiben müssen. Das ist auch nicht karrierefördernd.
Tendenziös finde ich auch die Aussage: „Genau 64201 [von 386483] der Empfänger besaßen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.“ Denn nur, wenn man den Prozentsatz der nicht deutschen Eltern an der Gesamtzahl der Geburten weiß, handelt es sich um überdurchschnittlich viele oder wenige.
Und: Falls die Stadt Hamburg gewinnt, kann es für die Kommunen richtig teuer werden. Wenn alle Eltern, die Anspruch auf einen Kitaplatz haben, aber keinen bekommen, Verdienstausfall einklagen, wird manch Kämmerer bereuen, nicht alles beim Altem gelassen zu haben.
Bei der Argumentation gegen das Betreuungsgeld geht doch Einiges durcheinander.
Sozial besonders problematische Familien, die Hartz IV bekommen, haben nichts vom Betreuungsgeld, da es ihnen wieder abgezogen wird. Im Gegenteil: Wenn sie in Hamburg ihr Kind in die kostenlose Kita schicken, bekommen sie noch das kostenlose Mittagessen geschenkt. Fördert dieser Aspekt den Kita-Besuch?“

Heidi Hecht aus Barsinghausen:

„Ich zitiere hier einmal Jesper Jul, einen anerkannten dänischen Familientherapeuten: Kinderkrippen wurden geschaffen, um die Bedürfnisse der Familien zu erfüllen, in denen beide arbeiten gehen wollen oder müssen, und sie dienen gleichzeitig dem wachsenden Bedarf der Gesellschaft und der Wirtschaft an Erwerbstätigen. Sie wurden nicht eingerichtet, um die Bedürfnisse der Kinder zu erfüllen. Dem habe ich nur noch hinzuzufügen, dass uns seit Jahrzehnten über die Medien eingebläut wird, dass frühkindliche Bindung, elterliche Liebe, Sicherheit und Geborgenheit in der Familie sowie Individualität nichts mehr wert sind, sondern die angebliche frühkindliche Bildung in Massenaufbewahrung wichtiger ist. Sollen hier angepasste, leicht zu führende konsumfreudige Menschen herangezogen werden?“

 

Peter Bender aus Paderborn :

„Die Pseudofeministen in Parlamenten, Verwaltungen, Gerichten, Hochschulen sorgen für ihre Klientel in Form von Ministersesseln, Lehrstühlen und Aufsichtsratsposten, und den Müttern möchten sie das Betreuungsgeld wegnehmen. Die Argumente der Betreuungsgeldgegner sind so fadenscheinig, dass sie sie durch die Rede von Irrsinn u.ä. ersetzen. Weggenommen soll den Müttern das Betreuungsgeld, u.a. um ihnen „den Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen“ (so die Hamburger Verfassungsklage).
Einen anderen Zweck der Streichung des Betreuungsgelds bringt die Autorin Sabine Hamacher in ihrem Artikel und speziell mit ihrem Junktim ins Spiel, daraus die Erzieher besser zu bezahlen. Da kommt die Katze aus dem Sack. Anscheinend geht man (zutreffend) gar nicht davon aus, dass die Mütter arbeiten gehen, wenn sie die 150 Euro nicht erhalten. In der Tat wird die Entscheidung von Eltern, ihre Kinder selbst zu betreuen, kaum vom Betreuungsgeld beeinflusst. Würden diese Eltern stattdessen ihre Kinder auch in die Kita geben, würde das für den Staat direkt achtmal so teuer (1200 Euro monatlich kostet ein Kita-Platz im Durchschnitt), und da käme ganz gewiss keine Gehaltserhöhung für die Erzieher heraus. An diese Alternative denkt man aber anscheinend gar nicht.
Dies nährt den Verdacht, dass es den Pseudofeministen um etwas ganz anderes geht: Die Lebensentwürfe der Mehrzahl der Frauen passen ihnen nicht, und diese Lebensentwürfe dürfen nicht auch noch „belohnt“ werden. Das Betreuungsgeld ist allerdings keine Belohnung, sondern eine kleine Entschädigung dafür, dass nicht ein viel teurerer KiTa-Platz in Anspruch genommen und (eventuell teilweise und zeitweise) auf ein berufliches Einkommen verzichtet wird.
Vergleichbare soziale Wohltaten, wie sie – bei allen Nachteilen – eine Kita durchaus bietet, kommen auch noch zum Tragen, wenn ein Kind erst mit drei Jahren zum Kindergarten geht. Die Behauptung, dass es in diesem Fall isoliert aufwüchse, ist ein Zerrbild der Realität. Auch bei der Betreuung durch die Eltern gibt es soziale Kontakte mit anderen Kindern, in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen oder selbstorganisiert. Statt Erzieher sind dann halt die Mütter dabei, was man eher als Vorzug sehen kann.
Solche Lebensentwürfe verdienen genauso Achtung wie die von Eltern, die arbeiten gehen und ihre Kinder schon mit null bis zwei Jahren in die Kita geben. Bei diesen rede ich nicht von „abschieben“, und bei jenen ist die Rede von „Herd “ oder „Fernhalte-Prämie“ unangebracht. In diesem Zusammenhang empfinde ich die Karikatur vom 15.4. als treffend.“

 

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5 Kommentare zu “„Herdprämie“: Für Kleinkinder sind Bezugspersonen das Allerwichtigste

  1. In den 70er und 80er Jahren machte man Müttern noch ein schlechtes Gewissen und nannte sie Rabenmütter, wenn sie es wagten, ihr Kleinkind ein paar Stunden am Tag einer anderen Person zu Betreuung zu überlassen.
    Heute redet man ihnen ein, sie müssten ihre Kinder im zarten Alter von einem Jahr schon in eine Einrichtung geben, in der diese von mehreren verschiedenen Bezugspersonen betreut werden und den ganzen Tag dem Geschrei von 20 Kinder ausgesetzt sind. Gleichzeitig diskriminiert man Familien, die ein anderes Lebensmodell vertreten. So kann sich die öffentliche Meinung innerhalb von 30 Jahren ändern!

    Ich muss vorausschicken, dass ich jeder Frau nur raten kann, ihre Berufstätigkeit nicht zu lange zu unterbrechen, weil sich das negativ auf die Alterssicherung auswirkt. Auf das traditionelle Lebensmodell zu vertrauen und dem Mann die Aufgabe des Broterwerbs zu überlassen, während die Frau sich um die Familie kümmert, kann angesichts der hohen Scheidungsrate heute nicht mehr empfohlen werden.
    Das Ideal wäre eine gerechte Aufteilung von Berufstätigkeit und Familienarbeit zwischen Vater und Mutter. Ich kann die Familienministerin nur dabei unterstützen, dieses Modell zu fördern. Das kann z.B. bedeuten, dass beide Elternteile in der Kleinkindphase ihre Arbeitsstunden ein bisschen zurückfahren, um sich mehr mit ihren Kindern beschäftigen zu können. Denn man setzt diese ja nicht in die Welt, um sie vorwiegend von anderen großziehen zu lassen.

    Was die Betreuung von Ein- und Zweijährigen anbetrifft,so würde ich persönlich immer eine qualifizierte Tagesmutter bevorzugen, die im Idealfall, wenn man sich das leisten kann, ins Haus kommt oder bei sich zu Hause maximal drei Kinder betreut. Denn gerade die Kleinsten benötigen intensive Zuwendung und sind oft zu lärmempfindlich für Großgruppen. Der Behauptung, dass dem Kind dadurch, dass es mit einem oder zwei Jahren noch nicht in eine Kita gegeben wird, Bildungsschancen verloren gingen, muss ich widersprechen. Frühförderung beginnt mit festen Bezugspersonen und einer ruhigen und stressfreien Umgebung. Der Umgang mit Gleichaltrigen und – im Falle von Migrantenkindern – die deutsche Sprache kann auch noch ab drei Jahren gelernt werden.

    Ich persönlich finde es nicht falsch, Eltern (es muss ja nicht immer die Mutter sein)) einen Anerkennungsbetrag zuzugestehen, wenn sie es vorziehen, ihr ein- oder zweijähriges Kind selbst zu betreuen.
    Dafür sollte ab dem Alter von drei Jahren eine Kindergartenpflicht eingeführt werden. Das wäre für die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung der Kinder meiner Ansicht nach förderlicher als der Massenbetrieb Kita für die Allerkleinsten.

  2. Ich stimme Herrn Bender und anderen Kommentator/innen zu.

    Vorweg: Es geht mir nicht primär darum, ob es das Betreuungsgeld gibt oder nicht. Diese staatliche Leistung ist aber das Einfallstor geworden, einen bestimmten Lebensentwurf von Müttern/Eltern als „besser“ zu propagieren. Das schöne Argumentationsmuster „Aber es kann doch jede Frau wählen, was sie macht“ mit dem genuschelten Nebensatz „…, aber wer sein Kind den Kitas entzieht, enthält ihm Bildung vor“ ist geheuchelte Toleranz. Es soll im allgemeinen Bewusstsein ein Familienmodell verankert werden, das die frühe Erwerbstätigkeit nach der Geburt als Synonym für ein modernes erfülltes Frauenleben (damit auch Männerleben) feiert. Früher war man eine Rabenmutter, wenn man mit Kleinkind arbeiten ging, heute ist man das Dummchen am Herd, wenn man zwei Jahre mit seinem Nachwuchs verbringen möchte. Damit werden die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Klein(st)kinder hintangestellt, und Mütter werden de facto, pauschal, als unfähig(er als Erzieherinnen in ihrer professionellen Rolle) verunglimpft, weil sie ihre Kleinen nicht optimal „bilden“ können. Und natürlich keine Ahnung davon haben, wie wichtig Kontakte des eigenen Nachwuchses mit anderen Kindern sind.

    >> FR: Die deutsche Bildungspolitik … orientierte sie sich am Modell DDR, das in dieser Hinsicht vorbildlich war: Wenn Mütter die Betreuung ihrer Kleinen vertrauensvoll zeitweise in professionelle Hände geben können, stehen sie dem Arbeitsmarkt nach der Geburt schneller wieder zur Verfügung. Daran ist nichts auszusetzen.

    Sagt wer? Die heute hoch gelobten DDR-Krippen galten in Westdeutschland noch vor 20, 25 Jahren überwiegend „als das Schreckensbild schlechthin“, als „Einmischung des Staates in das Privatleben und Kollektivismus“ (SZ, 10.11.2014) Es wurde argumentiert, dass Klein(st)kinder die Bindung vor allem an die Mutter brauchen. Inzwischen hat ein „Paradigmenwechsel“ (Wikipedia) stattgefunden, Krippen, Babys und Eltern haben sich nicht substantiell geändert, da muss der Zeitgeist Hand in Hand mit gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zugeschlagen haben.

    >> FR: Zugleich verfolgt die Kita-Verpflichtung des Staates das Ziel, Kinder möglichst früh mit möglichst vielen anderen Kindern zusammenzubringen, auch mit Kindern aus Einwandererfamilien. … dies ist letztlich eine integrationspolitische Maßnahme … / … Statt eine multikulturelle Gesellschaft zu fördern … und auf diese Weise Zukunft zu gestalten, wird Integration behindert, Segregation gefördert und werden Illusionen populistisch gefördert.

    Diese Integration kann man immer noch sehr gut erreichen, wenn sie bei Kindergartenkindern von 2 1/2 oder 3 Jahren anfängt, meine ich, sie muss nicht bei Windelträgern mit Schnuller im Mund einsetzen. Gut, für Kinder aus anderen Herkunftsländern trifft zu, dass sie in Kitas früh(er) Deutsch lernen, auch hier wäre aber, wenn man alle betroffenen Eltern motivieren könnte, Kinder g ä r t e n in Anspruch zu nehmen, schon viel gewonnen. Gerade migrantische Eltern haben oft klare pädagogische Vorstellungen, welche die außerhäusliche Erziehung von ganz jungen Kindern nicht einschließen (besagen Studien). Ganz am Rande erlaube ich mir die Anmerkung, dass die vorgebrachte Argumentation weniger die individuellen Vorzüge der Kita für nicht-migrantische Eltern herausstellt als vielmehr ein Ziel der Parteien und des Staates (die gesellschaftliche Integration) in den Vordergrund stellt – ein Ziel, das kurioser Weise in vielen „Migrations-Studien“ gar nicht mehr en vogue ist, denn dort wird ausdrücklich ein Loblied auf die Vielfalt und „Diversität“ der Gesellschaft gesungen und Integration im klassischen Sinne eher abgelehnt. Ich hege persönlich den Verdacht, dass die Befürworter von Multikulti jenseits des Bekenntnisses dazu (noch) gar kein konsensfähiges, vor allem: lebenspraktisches Konzept für ihr Modell haben und dass das neuzeitliche Leitbild der bunten Gesellschaft selbst tendenziell „Segregation fördert“, was hier implizit den Betreuungsgeld-Befürwortern unterstellt zu werden scheint.

    >>FR: … Man gibt sich familienfreundlich und bedient ein konservatives Familienbild, betont familiäre Idylle, wohlwissend, dass diese oft genug nur eine hübsche Fassade ist …

    Mal abgesehen davon, dass es in Deutschland immer noch funktionierende Familien gibt: Hier wird doch die Katze aus dem Sack gelassen: Die Kita hat keineswegs nur die hehre Aufgabe, die Berufstätigkeit der Frau zu ermöglichen und Kinder zu bilden, sondern sie soll in hohem Maße unterschiedliche gesellschaftliche Defizite auffangen und gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen, mit denen der Rest der Welt überfordert ist. (Dazu wären auch die Arbeitsbedingungen, die die Wirtschaft den Erwerbstätigen bietet, zu zählen.)

    Klingt nach dem abwaschbaren Hansaplast-Pflaster für viele blutende Wunden.

    Sexueller Missbrauch und schlechte Behandlung von Kindern durch Elternteile (die viele Jugendamt-Mitarbeiter schwer bemerken) sollen erkannt, evtl. gar abgestellt werden, potenzielle Probleme, die durch Einwanderung verursacht werden, sollen gelöst werden, Alleinerziehende müssen unterstützt werden. Warum Patchwork-Familien und gleichgeschlechtliche Lebenspartner als Eltern andere Bedürfnisse als „normale“ Eltern haben sollten, weiß ich jetzt allerdings nicht.

    Und zu guter Letzt: Mir scheinen die Vorbehalte gegenüber dem so genannten „konservativen Familienbild“ einseitig. Betreuungsgeld-Gegner tragen vor allem insofern die falsche Brille, als sie im- oder explizit unterstellen, einige wenige Jahre beim Kind seien der beabsichtigte Einstieg in 50 Jahre Hausfrauenehe. Frauen/Männern in den ersten Lebensjahren des Kindes Zeit mit diesem zu ermöglichen, ist aus meiner Sicht keine reaktionäre, sondern moderne Familienpolitik. Nachdem wir die Ganztagschule eingeführt haben und die Mehrzahl der Familien den Kindergarten ab 3 nutzt, besteht wohl kaum die Gefahr der mütterlichen Überbehütung des Kindes. Immer mehr Elternteile sind, wenn die Kinder schulpflichtig sind, erwerbstätig, da bleibt nur noch begrenzte Zeit für Familiäres. Nein, nicht jedes Baby gehört vom ersten Monat an in die Kita. Kinder sind unterschiedlich, Eltern und familiäre Verhältnisse sind unterschiedlich. Ich wünschte persönlich, jede Familie könnte wirklich frei entscheiden, was für sie und speziell: ihr Klein(st)kind das Beste ist; dabei ist mir natürlich klar, dass viele Familien aus diversen Gründen kaum eine Wahl haben – leider. Und wenn die betroffenen, zeitweilig nicht berufstätigen Mütter 150,-€ bekommen, finde ich es OK.

  3. Ich habe in #1 meine Meinung zum Thema Kitas für Ein- und Zweijährige bereits geäußert. Was mich an den Beiträgen von Peter Bender und eh stört, ist diese ewiggestrige Fixierung auf die Mutter als wichtigste Bezugsperson für das Kind. Damit machen es sich Männer ganz schön leicht. Zugegeben, wenn kein Vater greifbar ist, gibt es keine Alternative, aber ich bin der Auffassung, dass nach der Stillzeit Väter die Rolle, die in der vorletzten Generation traditionell den Müttern zugeschoben wurde, genauso gut übernehmen können, und nur bei wirklich gerechter Aufteilung der Erziehungsaufgaben und der Hausarbeit sowie der Chancen zur Selbstverwirklichung im Beruf und zur angemessenen Alterssicherung werden in Zukunft noch genügend Frauen Kinder bekommen wollen. Das Großziehen von Kindern bedeutet immer Verzicht, sei es auf materielle Güter, sei es auf eine steile Karriere oder das Pflegen eines persönlichen Hobbys außerhalb der Familie. Aber dieser Verzicht wurde lange genug vorwiegend den Frauen aufgebürdet, und es wird Zeit, dass Männer ihre Verantwortung für die Familie endlich angemessen wahrnehmen und ihnen Politik und Wirtschaft die Wege dazu ebenen. Wenn es diese Haltung ist, die Sie, Herr Bender, mit „Pseudofeminismus“ bezeichnen, dann bin ich gerne eine „Pseudofeministin“.

  4. Ich glaube, Herr Bender meinte den Begriff Pseudofeminist anders, aber dazu soll er sich ggf. selbst äußern. Ansonsten: volle zerknirschte Zustimmung von mir. Die Diskussion hängt sich derzeit und traditionell halt vor allem an den Frauen auf; aber ich gönne auch den Kinder betreuenden Vätern die 150,-€. Die Hürden sind hier allerdings in der Tat recht hoch: Politik und Wirtschaft müssen ihre Vorliebe für fulltime und pausenlos arbeitende Männer aufgeben (der ein oder andere Mann muss evtl. auch an seinem Selbstbild arbeiten, die Ehefrau am Männerbild), und zu klären ist, wie bei Teilzeitarbeit oder einer Kinder-Auszeit des Vaters das Familieneinkommen nicht in den Keller geht. In aller Regel verdient der Vater immer noch mehr als die Mutter bzw. hat den sichereren Job.

    Nachsatz: Ich möchte nicht als Kita-Hasser in die Geschichte eingehen/missverstanden werden. Kitas sind im Prinzip sinnvolle Einrichtungen, wenn sie nicht mit Aufgaben überladen werden und Kinder dort nicht überfordert. Zwei, drei Stunden mit Altersgenossen zu spielen ist sicherlich schön. Ich kenne jedoch einige (U3-)Erzieherinnen, die unter der Hand sagen, dass ihnen „die kleinen Würmchen leidtun“, die 9 Stunden untergebracht werden, einige Kinder verkrafteten mehrere Stunden in der Gruppe prima, andere seien gestresst und litten still. Das ist der Ansatzpunkt meiner Skepsis gegenüber pauschaler Kita-Bildungs-Begeisterung.

  5. @ eh

    Ich stimme Ihnen voll zu.

    Aus meiner Erfahrung bezüglich der Männerrolle: Als ich 1977, nachdem ich zwei Jahre lang wegen Kinderbetreuung eine halbe Stelle gehabt hatte, meinem damaligen Ehemann (wir waren beide Beamte mit gleichem Einkommen),vorschlug, wir könnten doch jetzt mal tauschen und er könne seine Stundenzahl reduzieren, antwortete er mir lapidar:“Das kann ich mit meinem männlichen Selbstverständnis nicht vereinbaren.“
    Umso mehr begrüße ich es, dass mein Sohn und meine Schwiegertochter (beide ebenfalls mit etwa gleichem Gehalt) sich nach der Geburt ihres Babys die Elternzeit gerecht aufteilen: 7 Monate für jeden.
    Man sieht, es geht – langsam zwar – allmählich voran.

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