Kaum beginnt ein deutscher Politiker, laut darüber nachzudenken, ob man angesichts der Realitäten in Deutschland vielleicht gesetzliche muslimische Feiertage einführen sollte, da fängt schon wieder das Gejammer über das angebliche Einknicken der „Gutmenschen“ vor dem Islam an. „Dann sind wir nicht auf dem Wege in eine neue DDR, sondern bereits mittendrin“, hyperventiliert Henryk M. Broder in der „Welt“. Ich wäre wirklich enttäuscht gewesen, wenn er sich einmal nachdenklich gegeben hätte.
Ich finde den Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) gar nicht übel. Muslimische Feiertage? Warum eigentlich nicht? Der deutsche Feiertagskanon umfasst außer Neujahr, dem 1. Mai und dem 3. Oktober nur christliche Feiertage. Das entspricht den historischen Wurzeln unserer Gesellschaft. So eine Gesellschaft ist jedoch kein starres Etwas, sondern so eine Gesellschaft entwickelt sich. Unablässig. Ob man es wahrhaben will oder nicht. Dieser Prozess lässt sich nicht aufhalten oder gar rückgängig machen. Als ein Land, das — so hat Samuel P. Huntington es formuliert — Kernstaat der westlichen Kultur ist, steht Deutschland im Fokus der Globalisierung. Ein anderer Kernstaat dieser westlichen Kultur, die USA, haben gute Erfahrungen mit Einwanderung. Der Unterschied zu Deutschland ist: Sie haben die Einwanderung in ihr Land gesteuert. In Deutschland hingegen hatte lange das „Jus sanguinis“, das Abstammungsrecht, Vorfahrt vor dem „Jus solis“, dem Geburtsortsprinzip.
Unsere Politiker wären gut beraten, die Veränderungen unserer Gesellschaft aktiv zu gestalten, statt populistische Parolen rauszuhauen wie „Wer betrügt, fliegt“ (eine Forderung, die übrigens im Fall Uli Hoeneß nicht umgesetzt wurde; anders ausgedrückt: Es wurde auf lächerlich auffällige Weise bigott gehandelt). Nicht vermauern, sondern offen ran an die Prozesse! Also her mit den muslimischen Feiertagen! Wer glaubt, dass deswegen das Abendland islamisiert werde, unterschätzt die Strahlkraft unserer Wertegemeinschaft. Die ängstliche Hysterie, wie sie etwa aus Broder spricht, hat die Menschen übellaunig und verzagt werden lassen. Mehr Selbstvertrauen, Leute! Wer daran glaubt, dass die westlichen Werte der Freiheit und Toleranz zu Recht universal sind, der sollte nicht bei jedem „Allahu-akbar!“ zusammenzucken und sich in sein Schneckenhaus zurückziehen, sondern der sollte daran gehen, für diese Werte einzutreten. Offensiv und selbstbewusst.
Peter Kuhn aus Hemsbach meint:
„Bevor ein führender Politiker darüber nachdenkt, nichtchristliche religiöse Feiertage anzuerkennen, sollte er sich erst mal die heutige leicht verworrene Situation bei den Christen anschauen: Es gibt konfessionsübergreifende Feiertage (etwa Ostern), landesweite konfessionsgebundene Feiertage (etwa Allerheiligen), es gibt den regionalen konfessionsgebundenen Feiertag Mariä Himmelfahrt in Augsburg. Außerdem gibt es Feiertage, die sich nach dem Kalender (Weihnachten) oder nach dem Mond (Ostern) richten. Es gibt Feiertage, die immer zehn Tage vor einem bestimmten Sonntag, der sich seinerseits wieder auf den variablen Ostersonntag bezieht, stattfinden. Es gibt ein- und mehrtägige Feiertage. Dazu kommen die weltlichen kalendergebundenen Feiertage „Neujahr“, „Maifeiertag“ und „Tag der deutschen Einheit“.
All dies würde noch verworrener, wenn weitere Feiertage der Muslime (und auch weiterer Religionen!?) dazukämen. Die gewachsene Vielfalt bewirkt, dass manche Menschen an bestimmten Tagen arbeiten müssen, an denen sie nicht wollen oder dürften, und andere nicht arbeiten dürfen an Tagen an denen sie es eigentlich wollten.
Als Lösung könnte ich mir vorstellen, alle Feiertage da zu lassen, wo sie sind, sie aber nicht als „gesetzliche Feiertage“ zu führen. Im Gegenzug dazu sollte eine entsprechende Zahl von „gesetzlichen freien Tagen“ eingeführt werden. Diese freien Tage kann dann jeder Berufstätige an seinen eigenen Bedürfnissen ausrichten. Bei den Senioren würde sich nichts ändern. Bei bestimmten Berufsgruppen, die sowieso an Feiertagen arbeiten müssen (Busse und Bahnen fahren, Kühe werden gemolken usw.) könnte es zu mehr Flexibilität kommen. Auch in der Wirtschaft könnte es zu besserer Planbarkeit kommen.“
Der Vorschlag von Herrn Kuhn findet meine Unterstützung. Kunden im Rest der Welt interessiert es nicht, dass wir im Frühjahr eine Massierung von Feiertagen haben. Eine 4-Tage-Woche bedeutet für die Mitarbeiter dann, dass die Arbeit von 5 Tagen in 4 Tagen zu erledigen ist.
Der Vorschlag von Herrn Kuhn ist wohl die zweckmäßigste Idee. Da kann sich natürlich keinePartei neuen Wählern mit andienen, aber letzlich besser als sich zum Kasper irgendwelcher Partikularinteressen zu machen.
..finde ich auch einleuchtend. Ausserdem sollten alle „religiösen“ (nicht nur christlichen) Feiertage abgeschafft (und nicht christliche erst gar nicht angeschafft) werden. Sie dienen nur der Konsumüberflutung-Sucht und – oft der einen Heuchelei. Aber dazu kommt ’s vermutlich in naher Zukunft nicht…
@Kuhn
Ein grandioser Vorschlag!
Schön, dass dieses Thema hier eingestellt wurde. Mir juckte schon beim Lesen in der FR etwas in den Fingern, was für einen regulären Leserbrief jedoch zu ausführlich gewesen wäre:
Ich stolpere im Leserbrief von Peter Kuhn über die vage Formulierung „könnte kommen“. Wie sicher ist es denn, womit ist es belegt, dass „gesetzlichen freien Tage“ gegenüber für alle festgelegten Feiertagen diese positiven Effekte hätten? Insbesondere die bessere Planbarkeit in der Wirtschaft müsste er mir noch einmal erläutern, da sie sich mir logisch nicht erschließt.
Ja, die Feiertage springen wild im Kalender oder durch die Wochentage herum. Aber es ist Jahre im Voraus bekannt, wo sie liegen, und somit können ihre Effekte unternehmensintern, national und international langfristig eingeplant werden. Bei gesetzlichen freien Tagen wäre dagegen nicht so lange im Voraus klar, wie viele Mitarbeiter sie zu den früheren festgelegten Feiertagen nehmen wollen und ob und inwieweit ein Unternehmen an diesen Tagen funktionsfähig ist.
Oder müssten auch Unternehmen und Arbeitsbereiche, die eigentlich keinen Dauerbetrieb mit Schichtdienst haben, an diesen Tagen auf jeden Fall voll funktionsfähig sein? Das würde dann wiederum bedeuten, dass nicht alle Mitarbeiter, die einen Feiertag wahrnehmen wollen, diesen auch wahrnehmen könnten, weil die üblichen Urlaubsvertretungsregelungen greifen würden. Nicht zu vergessen diejenigen, die gegen ihren Wunsch kommen müssten, weil die Infrastruktur des Unternehmens für diejenigen, die arbeiten wollen, in Gang gehalten werden muss.
Neben diesem Verlust der „Urlaubsgarantie“, von der z. B. auch Veranstaltungen profitieren, die an bestimmten Feiertagen oder langen Wochenenden terminiert werden, ginge für bestimmte Tätigkeitsbereiche ein Effekt verloren, der Feiertage im Vergleich zu „normalem“ Urlaub besonders erholsam macht: Da auch sonst niemand arbeitet, muss für die freien Tage ein erheblich niedrigerer „Aufarbeitungspreis“ gezahlt werden.
Zu guter Letzt steht zu befürchten, dass solche gesetzlichen freien Tage „zum Wohle des Wachstums“, für mehr Konkurrenzfähigkeit usw., wesentlich schneller ersatzlos abgeschafft bzw. mit dem Urlaub „verrechnet“ wären als die an konkrete Anlässe gebundenen festen Feiertage. Der vielgeschmähten Religion ist nicht nur zu verdanken, dass überhaupt so viele Feiertage existieren, sie ist auch ein wesentlich effektiveres Bollwerk gegen ihre Abschaffung, als es ein weltliches Gesetz je sein könnte.
Die gleichen Argumentationen – auf der einen wie der anderen Seite – könnte man natürlich auch auf den arbeitsfreien Sonntag (und Samstag) anwenden. Nur dass eine Auflösung der Wochenstruktur und frei wählbare Arbeitstage zusätzlich die (inhaltliche) Zusammenarbeit und Terminfindungen erheblich erschweren würden.
Machen wir uns doch nichts vor: Der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist es völlig egal, warum sie an manchen Tagen des Jahres nicht arbeiten müssen. Ob das kirchliche oder staatliche Gründe hat, ist für die meisten uninteressant. Was machen denn die frommen Bayern am Dreikönigstag? Sie kommen nach Hessen zum Shoppen. Ich denke, selbst der islamkritischste Bevölkerungsteil hätte gegen islamische Feiertage nichts einzuwenden, sofern die auch für ihn arbeitsfrei wären.
Das aus Unternehmersicht alle Feiertage abgeschafft gehören, ist offensichtlich. Aber warum läuft es dann wiederum in Bayern mit den bundesweit meisten Feiertagen (im Bezirk Augsburg) so gut?
Der Vorschlag von Peter Kuhn würde tatsächlich die Abschaffung der arbeitsfreien Tage bedeuten, da die Arbeitnehmerseite heute weit weniger ihre Interessen durchsetzen kann als in früheren Zeiten dieser Republik. Feiertage zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch in einer bestimmten Art und Weise begangen werden können. Nicht umsonst besteht etwa an Karfreitag in allen Bundesländern ein Tanzverbot. Dieses würde mit der Umsetzung des Kuhn’schen Vorschlags aufgehoben werden müssen. Fragen Sie mal bei der Kirchenvertretern nach, was die davon halten. Die Antwort dürfte eindeutig sein. Deshalb sind die christlichen Kirchen in diesem Bereich die (Zweck-)Verbündeten derer, die sonst ihre arbeitsfreie Zeit verlieren würden. – Die FR-Abonnenten hätten natürlich mit der Umsetzung des Kuhn-Vorschlags den Vorteil, dass sie für ihr Geld mehr Ausgaben erhalten würden. Bronski und seine KollegInnen dagegen hätten die A-Karte gezogen. Das wollen wir doch nicht!
Vorschlag Kuhn : Man wird ja mal träumen dürfen.
Zum Vorschlag Stephan Weil. Nur zu, warum nicht auch muslemische Feiertage. Machen wir uns weiterhin lächerlich. Solange es noch einen gesetzlichen Feiertag gibt, wegen der „Leiblichen (!) Himmelfahrt Marias“ die ein Papst 1950 (!) als Dogma „beschlossen“ hat, wird das in unserem, so „gläubigen“ Volk auch noch durchgehen.