In seiner Kolumne „Der blinde Fleck der SPD“ hat Mario Müller etwas ausgesprochen, was auch in vielen Leserbriefen angemerkt wird, die mich derzeit erreichen und die ich leider nicht alle veröffentlichen kann. Statt auf seinen Text zu verlinken, veröffentiche ich ihn hier noch einmal in voller Länge:
Der blinde Fleck der SPD
„Mit Aktien hatte Al Capone nichts am Hut. Die Spekulation an der Wall Street hielt der Kapitalverbrecher für ‚eine Gaunerei‘. Er investierte sein Geld stattdessen im illegalen, aber profitablen Schnapsgeschäft. Sei nüchterner Kommentar zum Börsenkrach vom Oktober 1929: ‚Ich bestreite jede Verantwortung.‘
Selbstverständlich haben die ehrenwerten Akteure, die jetzt an den Finanzmärkten ein Blutbad anrichten halfen, mit dem Gangster aus Chicago nichts, aber auch gar nichts gemein. Noch nicht einmal seine Ironie. Ob Verkäufer von US-Hypotheken oder Investmentbanker, ob Politiker oder Währungsmanager, ob Rating-Agenten oder Aufsichtsbeamte, ob große oder kleine Anleger: Sie alle kämen noch nicht einmal auf die Idee, jede Verantwortung zu bestreiten. Schon dies könnte verdächtig erscheinen.
So hat sich denn die Verantwortung für das Debakel in Luft aufgelöst. Die Täter schweigen, geben sich überrascht oder versuchen sich als Opfer darzustellen. Besonders apart ist der Versuch, den ganzen Schlamassel dem System in die Schuhe zu schieben: Damit wäre jeder entschuldigt.
Jetzt haben es alle vorher gewusst und schon immer vor den Gefahren eines zügellosen Kapitalismus gewarnt. Zum Club der unerhörten Mahner zählt sich interessanterweise auch Hans Eichel. In einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung schrieb der ehemalige Bundesfinanzminister, er habe, wie einst Kanzler Gerhard Schröder, in internationalen Gremien immer wieder auf eine bessere Regulierung der Finanzmärkte gedrängt. Alle Vorstöße seien aber an der ‚angelsächsischen Front‘ abgeprallt. Dann verweist Eichel auf die neuen Spieler wie Hedge- oder Private-Equity-Fonds, Rating-Agenturen oder Pensionsfonds, die ‚drastisch die Risiken an Finanzmärkten‘ erhöht hätten.
Der Kölner Politikwissenschaftler Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung spricht von einem ‚Parteien-Paradox‘: Ausgerechnet Sozialdemokraten schrieben sich die Liberalisierung der Kapitalmärkte auf die Fahne, unterstützt von den Gewerkschaften. Den Grund für diese ungewöhnliche Parteinahme sieht Höpner in der Hoffnung, eine Koalition aus Beschäftigten und Aktionären gegen die Manager schmieden und neue Wählerschichten gewinnen zu können.
Eichels Amnesie wäre nicht der Rede wert, würde sie nicht den Blick auf Lösungen verstellen. So aber werden neue Legenden gesponnen. Was insofern nicht überraschen sollte, als auch die Agenda 2010, wie wir von Arbeitsminister Olaf Scholz erfahren, in Wahrheit ein linkes Projekt sein soll.“
Dazu ein Leserbrief von Ex-Bundesfinanzminnister Hans Eichel, MdB:
„Herr Müller muss in seiner Kolumne seinerseits einiges durcheinandergebracht haben:
1. Die Stärkung der Aktionärsrechte durch mehr Transparenz bei Unternehmen („Bilanzpolizei“), mehr Rechte der Minderheitsaktionäre gegenüber dem Management, präzise Kapitalmarktinformationen, das heißt Stärkung der Unternehmens- und Kapitalmarktintegrität, das sind Grundvoraussetzungen jeder funktionierenden Börse, im „rheinischen Kapitalismus“ genauso wie im anglo-amerikanischen System.
2. Die Steuerfreistellung der Veräußerungsgewinne von Unternehmensbeteiligungen ist logischer Bestandteil des Halbeinkünftesystems bei der Unternehmensbesteuerung. Die Ablösung des körperschaftssteuerlichen Vollanrechnungsverfahrens durch das Halbeinkünfteverfahren hat das deutsche Steuerrecht in diesem Bereich erst europarechtskonform gemacht. Ohne diese Reform hätte der deutsche Fiskus einen zweistelligen Milliardenbetrag an Steuern zurückzahlen müssen, wie EUGH-Urteile gezeigt haben.
3. Der Unterschied zwischen kapitalmarktgedeckter „Riester-Rente“ und geldgierigen Pensionsfonds liegt in der Anlagestrategie: Der deutsche Gesetzgeber setzt auf Sicherheit, nicht auf höchstmöglichen und damit – wie wir gesehen haben – höchstgefährlichen Profit. Das ist der fundamentale Unterschied zum anglo-amerikanischen System!
5. Im „rheinischen Kapitalismus“ waren die Banken wegen ihrer Interessenkonflikte zu Recht in der Kritik: Eigentümer und Aufseher, Kreditgeber und Berater von Unternehmen und zugleich ihrer Konkurrenten. Und welche Rolle übernehmen sie bei Zusammenschlüssen von zwei Unternehmen, wenn sie an beiden beteiligt sind? Das musste bereinigt werden.
Herrn Müller sei also gesagt: Auf die Fakten kommt es an, die ideologische Brille trübt den Blick.“
Und es gibt doch eine Gemeinsamkeit mit Al Capone „der Charakter und die maßlose Gier „
Wiedermal so ein primitives Totschlag(schein)argument!
Die „ideologische Brille“ trübt den Blick nicht, sie schärft ihn!
Eine Brille,lieber Hans, ist eine Sehhilfe, die es ermöglicht, weit zu sehen oder auch anderen genauer auf die Finger zu schauen.
Aber, lieber Hans, die meisten Menschen sind so gebildet, daß sie selbst wissen, welche Brille sie gerade auf der Nase haben.
Der Faktenbrille jedenfalls traut kaum jemand mehr: Sie hat zuveiel Facetten.
Sehr geehrter Herr Eichel,
in Antwort auf oben gedrucktes mit bestem Dank an Bronski der Vorlage wegen. Was Herr Müller möglicherweise durcheinandergebracht hat, bitte bedenken Sie stets die Stein-Glashaus Regel und ob dem Herrn rechtmässig vorzuwerfen. Ihre Punkte im einzelnen.
„Grundvoraussetzungen funktionierender Börse“
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In Folge dessen selber Laie in finanzpolitisch relevanter Ideomatik zwingen die Wiederholungsereignisse jüngeren Datums zum Wechsel des Diskussionsschwerpunktes. Was immer nötig, damit Börsen funktionieren entzieht sich dem Verständnis wohl der meisten. Je mehr sie funktionieren, desto mehr entsteht dann aber der Eindruck, dass etwas anderes zunehmends nicht mehr funktioniert, meint: menschliche Gesellschaften, mal klein, gross, oder wie die Globalisierung sie mit sich bringt. Börsen per se zu verbieten wäre politisch nicht durchsetzbar und die Prohibition machte Al Capone schliesslich auch erst zu dem was er war. Schwarzmarkt stünde zu erwarten.
„Halbeinkünftesystem“
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Dem gemeinen Bürger erneut völlig unverständlich, welche Fakten nun verschleiert werden sollen, fragt sich instinktiv was „körperschaftssteuerliche Vollanrechnungsverfahren“ mit Halbwelten von Boxpromotern gemein haben könnten. Bzw. anders summiert, wer wäre Begünstiger des Zurückzahlens gewesen. Doch nicht etwa die denen abgezwackt?! Nächster Punkt.
„Der deutsche Gesetzgeber setzt auf Sicherheit, nicht auf höchstmöglichen und damit – wie wir gesehen haben – höchstgefährlichen Profit.“
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Falsch. Remember deutsche Einigung.
„Privatisierungen waren ein beliebtes Mittel des “rheinischen Kapitalismus”, wie z. B. Lufthansa“
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Der Punkt geht an sie, Ausnahmen helfen bestätigen.
Punkt 5, die Interessenkonflikte.
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I beg you pardon?!?
Fakten Eichelscher Regierungsbeteiligung hatten nicht zuletzt zur Folge, dass Verluste irgendwelcher Grosskupferer – offshore erwirtschaftet – vom deutschen Fiskus belohnt werden. Anders sinniert, welchen Sinn macht ein Geschäft das verlustig und welch Meister sind dort am Werk, geschweige derer für die sie Lobbyisten bezahlen. Dem deutschen Ottobürger ist jenes Fachchinesisch anyway zu hoch, nur was ihm auf gar keinen Fall beizubringen ist, dass weiterhin nicht eben die Leute haften die verantwortlich wenn es schon wieder crashed. Bei Al Capone reichte Steuerhinterziehung für Hinter Gitter, heute bestenfalls für schlechte Presse.
regards,
B. Wachowiak
@ Eichel
1. Statt die Rechte der Aktionäre zu stärken wurden also Hedge-Fonds (Heuschrecken) eingeführt. Sie hätten lieber die Rechte der Arbeitnehmer bei der Mitbestimmung stärken sollen.
2. Das Halbeinkünfteverfahren ist der steuerpolitische Flop unter Ihrer Zeit als Finanzminister gewesen.
3.Riestern lässt es sich nur, wenn hinter der kapitaorientierten Rente auch steigende Börsenkurse zu verzeichnen sind. Da haben Sie sich also vergallopiert, nicht wahr, Herr Eichel?
4.Volkswagen: Wissen Sie nicht, dass das VW-Werk mit den beschlagnahmten Vermögen der Gewerkschaften der Weimarer Republik finanziert wurde? Die Post ist seit der Privatisierung nur noch eine Geldmaschine für Aktienbesitzer. Kosten-Nutzen-Rechnung ohne auf die Beschäftigten Rücksicht zu nehmen. Das Gleiche gilt für die Telekom. Service ist da nur noch mit der Lupe zu finden.
5. So schlecht, wie Sie es machen, war der Rheinische Kapitalismus nicht. Es hätte nur einer wirklichen Aufsicht bedurft. Allerdings gabs dafür erhebliche Widerstände bei den entsprechenden Lobbyisten. Im Übrigen sei Ihnen ein Blick auf die Schlüsse der Beteiligten nach dem Ende des WK II empfohlen. Lesen Sie einfach mal das „Ahlener Programm“. Sie wissen sicher welche partei dieses Programm einst schrieb, nicht wahr? Und das mit der Brille: Haben Sie wirklich blinde Flecke in Ihrem Sehbereich?